Wege aus der Stille - LBZH Braunschweig
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<strong>Wege</strong> <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Stille</strong><br />
„Je<strong>der</strong> hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“<br />
… lautet Artikel 2 des Grundgesetzes. Nichts weniger, als die Erfüllung dieses Anspruches für jeden zu ermöglichen, hat sich das<br />
<strong>Braunschweig</strong>er Landesbildungszentrum zum Ziel gesetzt.<br />
VON MARKUS HILLEMANN<br />
Früher war alles besser. Erweist sich das für die meisten von uns schon als Trugschluss, so trifft dies ganz beson<strong>der</strong>s auf die Situation<br />
Hörgeschädigter zu.<br />
Schwerhörigkeit o<strong>der</strong> Taubheit führten unweigerlich ins soziale Abseits, denn durch die mangelhafte Sprachentwicklung war an eine<br />
höherqualifizierte schulische o<strong>der</strong> berufliche Ausbildung nicht zu denken.<br />
Seit vielen Jahren allerdings gibt es entsprechende Einrichtungen, die es ermöglichen, hörgeschädigte Kin<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Geburt bis zum<br />
Schulabschluss zu betreuen und zu för<strong>der</strong>n. In unserer Region übernimmt dies das Landesbildungszentrum für Hörgeschädigte<br />
(<strong>LBZH</strong>) in <strong>Braunschweig</strong>.<br />
Die Einrichtung, <strong>der</strong>en Wurzeln 177 Jahre zurückreichen, untersteht direkt dem Nie<strong>der</strong>sächsischen Landessozialamt und bietet neben <strong>der</strong><br />
Frühför<strong>der</strong>ung mit eigenem Kin<strong>der</strong>garten eine vollwertige schulische Ausbildung bis zum Haupt- o<strong>der</strong> gar dem Erweiterten<br />
Sekundarabschluss I nach <strong>der</strong> 10. Klasse.<br />
Wie überall gibt es sie auch hier, die unglaublichen Erfolgsgeschichten, etwa von <strong>der</strong> Schülerin mit Gehörlosigkeit, die nach einem<br />
Auslandsaufenthalt in Kanada und ihrem Abitur in Deutschland heute die Fächer Geschichte und Englisch – inklusive Latein (!) – studiert.<br />
Doch auch für solche Ausnahmetalente beginnt <strong>der</strong> Weg in <strong>der</strong> Frühför<strong>der</strong>ung: Im Beratungszentrum werden zunächst Art und Ausmaß<br />
<strong>der</strong> Hörschädigung festgestellt, und die För<strong>der</strong>konzepte festgelegt. Die Eltern erhalten umfassende Informationen zur Situation, über die<br />
Angebote an sinnvollen und möglichen Maßnahmen sowie Empfehlungen zur weiteren För<strong>der</strong>ung ihrer Kin<strong>der</strong>. Darüber hin<strong>aus</strong> kann die<br />
ganze Familie an viertägigen Eltern-Kind-Kursen teilnehmen, in denen sie sich auf die wichtige H<strong>aus</strong>frühför<strong>der</strong>ung vorbereitet und mit<br />
an<strong>der</strong>en Betroffenen Erfahrungen <strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>chen kann; eine Unterstützung, die auch für Kin<strong>der</strong>gartenpersonal und weiteres<br />
fachpädagogisches Personal angeboten wird. Die Zusammenarbeit zwischen Fachärzten, Pädagogen und Hörgeräteakustikern<br />
gewährleistet eine gezielte effektive För<strong>der</strong>ung in dieser wichtigen Phase <strong>der</strong> Hör- und Sprachentwicklung.<br />
Im Schulunterricht wird selbstverständlich <strong>der</strong> Schwerpunkt auf die Hör-, Sprech- und Spracherziehung gelegt. Neben dem Erlernen <strong>der</strong><br />
Deutschen Sprache wird mit vielen Veranschaulichungen und mo<strong>der</strong>nster Technik in akustisch optimierten Unterrichtsräumen gearbeitet.<br />
Es gelten die Rahmenrichtlinien und Curricularen Vorgaben (Richtlinien) für allgemeine Schulen. Vor<strong>aus</strong>setzung ist allerdings, dass die<br />
Kin<strong>der</strong> neben Ihren Hörstörungen keine an<strong>der</strong>e Primärbehin<strong>der</strong>ung aufweisen.<br />
Da für die Sekundarstufe 2 nach den allgemeinen Rahmenrichtlinien des Kultusministeriums unterrichtet wird, sind die Schulabschlüsse<br />
absolut gleichwertig zu denen normaler Schulen.<br />
Für das Abitur besuchen die Schüler entwe<strong>der</strong> ortsnahe Gymnasien o<strong>der</strong> Spezialeinrichtungen.<br />
Das <strong>LBZH</strong> hat ein <strong>aus</strong>gedehntes überregionales Einzugsgebiet, das vom Landkreis Lüneburg bis zum Landkreis Goslar und vom<br />
Landkreis Celle bis Helmstedt reicht. Dar<strong>aus</strong> ergibt sich zum einen, dass viele Schüler täglich zur Schule und wie<strong>der</strong> nach H<strong>aus</strong>e fahren.<br />
Zum an<strong>der</strong>en gibt es ein Internat auf dem Gelände des Landesbildungszentrums, in dem die Schüler von Montag bis Freitag mit<br />
Ausnahme <strong>der</strong> Ferien zusammen wohnen. Das begünstigt die Sozialisierung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> teilweise erheblich.<br />
Zum an<strong>der</strong>en fahren Mitarbeiter des Zentrums hin<strong>aus</strong> ins Land mit <strong>der</strong> vornehmlichen Aufgabe, hörgeschädigte Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />
an allgemeinbildenden Schulen zu begleiten. Vor<strong>aus</strong>setzung für diesen Mobilien Dienst ist die Feststellung des Son<strong>der</strong>pädagogischen<br />
För<strong>der</strong>bedarfs durch die Landesschulbehörde.<br />
Fachpädagogen beraten Lehrer, Mitschüler, Erzieher o<strong>der</strong> Eltern bezüglich Unterrichtsorganisation, Einsatz hörgeschädigtenspezifischer<br />
Mittel, <strong>der</strong> Nutzung und Kontrolle technischer Hörsysteme, <strong>der</strong> akustischen Raumgestaltung und des hörbehin<strong>der</strong>tenspezifischen<br />
Vorgehens. Eine weitere Initiative, Schülerinnen und Schüleri auch über das Absolvieren <strong>der</strong> zehnjährigen Schulzeit hin<strong>aus</strong> zur Seite zu<br />
stehen, ist beispielsweise die Verzahnung mit betrieblichen Ausbildungswerkstätten bei regionalen Kooperationspartnern wie MAN,<br />
Volkswagen und <strong>der</strong> Technischen Universität <strong>Braunschweig</strong>, bei denen Ausbildungsplätze für die Schulabgänger angeboten werden. Wer<br />
im <strong>LBZH</strong>-eigenen Fernsehstudio, bei <strong>der</strong> Zeitung o<strong>der</strong> beim Gestalten <strong>der</strong> Webpräsenz sein Interesse an <strong>der</strong> Medientechik entwickelt hat,<br />
kann sich beispielsweise auch bei <strong>der</strong> Oskar-Kämmer-Schule zum Mediengestalter für Digital- und Printmedien <strong>aus</strong>bilden lassen. Weitere<br />
Ausbildungsstellen sind beispielsweise in den Landesbildungszentren für Hörgeschädigte in Hildesheim und Osnabrück sowie in<br />
speziellen Berufsbildungswerken gegeben. Grundsätzlich sind die Mitarbeiter des <strong>LBZH</strong> sehr an vorberuflichen Maßnahmen interessiert,<br />
begleiten die Schülerinnen und Schüler während ihrer Praktikumszeiten und wirken beratend bei <strong>der</strong> Berufsfindung und –<strong>aus</strong>bildung mit.
Offenheit und Kontakte zu Institutionen wie beispielsweise dem <strong>Braunschweig</strong>er Kin<strong>der</strong>hörzentrum und dem H<strong>aus</strong> des Hörens in<br />
Oldenburg sichern ein ein hohes technisches und wissenschaftliches Niveau.<br />
Für den Start in ein selbstbestimmtes Leben.<br />
Es muss ja nicht immer gleich Kanada sein.<br />
Erschienen in clicclac 02/06