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Bibelarbeit von Walter Klaiber, Bischof i.r. - Evangelisch ...

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Wie und warum<br />

hat Jesus Menschen in die Nachfolge gerufen?<br />

Impulsreferat<br />

für die Tagung der<br />

Jährlichen Konferenz Schweiz-Frankreich 2011<br />

Winterthur, Samstag 18. Juni 2011<br />

Dr. <strong>Walter</strong> <strong>Klaiber</strong>, <strong>Bischof</strong> i.R.


Wie und warum<br />

hat Jesus Menschen in die Nachfolge gerufen?<br />

Impulsreferat für die Tagung der Jährlichen Konferenz Schweiz-Frankreich 2011<br />

Winterthur, Samstag 18. Juni 2011<br />

Die Frage, die mir als Thema gestellt worden ist, klingt klar und eindeutig. Wie und Warum –<br />

darauf sollte man doch Antwort geben können. Wir finden ja in den Evangelien einige<br />

Berichte darüber, wie Jesus Menschen in seine Nachfolge gerufen hat. Ob daraus auch für uns<br />

einfach zu handhabende Handlungsanweisungen abzuleiten sind, wie wir Menschen in die<br />

Nachfolge Jesu berufen können, das ist eine andere Frage. Ich möchte deshalb in der kurzen<br />

Zeit, die mir zur Verfügung steht, vor allem Texte aus den Evangelien zu uns sprechen lassen<br />

und hören, was sie zu unserer Fragestellung sagen.<br />

1. Der unwiderstehlich Ruf Jesu – die Berufung der ersten Jünger<br />

Als erste Aktion Jesu berichten Markus und Matthäus <strong>von</strong> der Berufung der ersten Jünger<br />

(Mk 1,1-20 ‖ Mt 4,18-22).<br />

Und als er den See <strong>von</strong> Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des Simon, auf<br />

dem See die Netze auswerfen; sie waren nämlich Fischer. Und Jesus sagte zu ihnen: Kommt, mir<br />

nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Und sogleich ließen sie die Netze liegen und<br />

folgten ihm.<br />

Und als er ein paar Schritte weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen<br />

Bruder Johannes, wie sie im Boot die Netze herrichteten. Und sogleich rief er sie. Und sie ließen<br />

ihren Vater Zebedäus mit den Tagelöhnern im Boot zurück und gingen fort, ihm nach.<br />

Jesus schart Leute hinter sich, indem er ihnen einfach zuruft: Auf, mir nach! Er sagt nicht,<br />

warum sie ihm folgen sollen, sondern wozu: Und ich werde euch zu Menschenfischern<br />

machen. Die Formulierung ist eigenartig. Menschen fischen hat einen negativen Klang. Wer<br />

will sich schon einfangen lassen! Das Wort Jesu ist nur aus seinem Zusammenhang heraus<br />

verständlich. Leute, die sich bisher damit beschäftigt haben, Fische zu fangen, um ihren<br />

Lebensunterhalt zu verdienen, deren Lebensinhalt soll es werden, Menschen für das Reich<br />

Gottes zu gewinnen.<br />

Dass die Männer hinter Jesus her gehen sollen, ähnelt äußerlich dem Verhalten der Schüler<br />

der Rabbinen. Deshalb hat man die Menschen, die Jesus folgten, Jünger Jesu genannt, ein<br />

altes Wort für Lehrling, Schüler. Aber in der Sache besteht ein entscheidender Unterschied.<br />

Ein Rabbi beruft seine Schüler nicht. Sie schließen sich ihm aus eigenem Entschluss an. Sie<br />

werden auch nicht für eine Aufgabe berufen, sondern gehen ein Lehrverhältnis ein. Jesu Ruf<br />

gleicht am ehesten der Berufung des Elisa durch Elia in 1Kön 19,19-21. Er begründet eine<br />

Beauftragung, die Jesu Werk weiterträgt.<br />

Bedeutsam ist aber auch, dass dieser Bericht auf die Zusammenfassung der Verkündigung<br />

Jesu in 1,15 folgt. Sie lautet: Erfüllt ist die Zeit, und nahe gekommen ist das Reich Gottes.<br />

Kehrt um und glaubt an das Evangelium! Die Berufung der Jünger zeigt also beispielhaft, wie<br />

die Botschaft <strong>von</strong> der nahen Herrschaft Gottes, Menschen dazu bringt, ihr bisheriges Leben zu<br />

verlassen und sich Gott und Jesu Wort anzuvertrauen.<br />

Allerdings scheint Jesus die Menschen nicht pauschal in die Nachfolge zu rufen, sondern ganz<br />

gezielt einige wenige, die er in seine Mission mit hineinnimmt. So heißt es <strong>von</strong> den Zwölfen,<br />

dass Jesus sie rief, damit sie mit ihm seien und er sie sende (Mk 3,14). Aus der Gemeinschaft<br />

mit Jesus erwächst der Auftrag, Jesu Botschaft und Jesu Wirken weiterzutragen. Jesus beruft<br />

1


dazu auch nicht nur Einzelne, sonder eine ganze Gruppe. Nachfolge bedeutet also Lebens-,<br />

Lern- und Arbeitsgemeinschaft mit Jesus, aber auch mit anderen Jüngern.<br />

Lukas erzählt die Berufung der ersten Jünger etwas anders. Im Anschluss an die Geschichte<br />

<strong>von</strong> dem wunderbaren Fischzug heißt es:<br />

Als Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füssen und sagte: Geh weg <strong>von</strong> mir, Herr, denn ich bin<br />

ein sündiger Mensch. Denn er und alle mit ihm erschraken über den Fang, den sie getan hatten; …<br />

Da sagte Jesus zu Simon: Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen. Und sie<br />

brachten die Boote an Land, ließen alles zurück und folgten ihm. (Lk 5,8f)<br />

Historisch – also im Blick auf die Frage, wie das nun genau gewesen ist – sind die beiden<br />

Berichte schwer miteinander zu harmonisieren, obwohl man das immer wieder versucht hat.<br />

Aber sachlich ergänzen sie einander. Die Erzählung bei Lukas zeigt in welche Tiefe<br />

menschlicher Existenz Jesu Ruf reicht. Es ist die Erfahrung der Gegenwart Gottes und der<br />

wunderbaren Hilfe, die sie für ihn bedeutet, die Petrus aufs tiefste erschüttert. Er spürt, sein<br />

Leben kann nicht vor Gott bestehen. Die Antwort Jesu aber ist, ihn in seine Gemeinschaft zu<br />

rufen und ihm eine Aufgabe zu geben, die sein Leben in neuer Weise erfüllt. Er, der selber<br />

<strong>von</strong> dem Wunder der Fürsorge Gottes überwältigt wurde, soll nun Menschen fangen, ihr<br />

Leben für die rettende Gemeinschaft mit Gott gewinnen. Vergebung und Beauftragung,<br />

Annahme durch Gott und Ruf in die Nachfolge, Begnadigung und Begnadung sind letztlich<br />

ein Vorgang. So war auch für Paulus die Begegnung mit dem auferstandenen Christus<br />

Bekehrung und Berufung zugleich.<br />

2. Der Ruf in die Nachfolge – Modell bedingungsloser Annahme<br />

Auch Mk 2,13-17 berichtet, wie ein Mensch auf den Weg mit Jesus gerufen wird:<br />

Und er ging wieder hinaus, den See entlang, und alles Volk kam zu ihm, und er lehrte sie. Und im<br />

Vorübergehen sah er Levi, den Sohn des Alfäus, am Zoll sitzen. Und er sagt zu ihm: Folge mir!<br />

Und der stand auf und folgte ihm.<br />

Und es geschieht, dass er in dessen Haus bei Tisch sitzt. Und viele Zöllner und Sünder saßen mit<br />

Jesus und seinen Jüngern bei Tisch. Es waren nämlich viele, und sie folgten ihm. Und als die<br />

Schriftgelehrten unter den Pharisäern sahen, dass er mit den Sündern und Zöllnern aß, sagten sie<br />

zu seinen Jüngern: Mit den Zöllnern und Sündern isst er! Und als Jesus das hört, sagt er zu ihnen:<br />

Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu<br />

rufen, sondern Sünder.<br />

Während die Berufung eines Zöllners, weg <strong>von</strong> seiner Kasse und hinein die Gefolgschaft<br />

Jesu, dem entspricht, was wir Mk 1,16-20 über Jesu Ruf in die Nachfolge gehört haben, heißt<br />

es hier darüber hinaus, dass viele Zöllner und Sünder mit Jesus feiern und ihm folgen. Jesus<br />

begründet das damit, dass er gekommen sei, die Sünder zu rufen. Wozu ruft er sie und wie<br />

folgen sie ihm? Lukas hat das in seiner Version des Berichts verdeutlicht. Jesus sagt dort, er<br />

sei gekommen, die Sünder zur Umkehr zu rufen (Lk 5,32). Dass Jesus das tut, indem er ein<br />

Festmahl mit ihnen hält, erregt Anstoß! Der Bruch mit ihrem bisherigen Leben wird zunächst<br />

nicht sichtbar. Daher der Vorwurf der Pharisäer: „Dieser nimmt die Sünder an und isst mit<br />

ihnen“ (Lk 15,2). Jesus spricht Menschen, denen er begegnet, auf unterschiedliche Weise an.<br />

Da gibt es Menschen, denen er einfach durch seine Nähe zeigt, dass Gott sie nicht aufgegeben<br />

hat, sondern seine heilvolle Herrschaft auch sie einschließt. Und da sind die, die er in seine<br />

Gefolgschaft ruft. Sie sind Modell für das, was es heißt, den Ruf Gottes zu hören und sich<br />

seiner Herrschaft anzuvertrauen. Ihr Leben und ihre Gemeinschaft mit Jesus ist eines der<br />

Zeichen der nahen Gottesherrschaft. Ihr Weg ist nicht eine Bedingung, die alle erfüllen<br />

müssten, um Heil <strong>von</strong> Gott zu erfahren. Überwältigt <strong>von</strong> der Nähe Gottes in der Person und<br />

im Ruf Jesu, sind sie Boten des Heils, das sie in Wort und Tat weitertragen.<br />

2


Dass im Einzelfall der Ruf in die Nachfolge auch zum Testfall für den Ernst der Hinwendung<br />

zu Gott werden kann, zeigt Mk 10,20f. Einer, der nach dem Weg zum ewigen Leben fragt und<br />

<strong>von</strong> Jesus auf die Gebote verwiesen wird, kann sagen: Meister, das alles habe ich befolgt <strong>von</strong><br />

Jugend an. Von ihm heißt es:<br />

Jesus blickte ihn an, gewann ihn lieb und sagte zu ihm: Eines fehlt dir. Geh, verkaufe, was du hast,<br />

und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir.<br />

Jesus stellt damit keine zusätzliche Bedingung. Seinen Besitz an die Armen zu verteilen und<br />

Jesus zu folgen, ist nicht das entscheidende gute Werk, das dem Mann noch fehlt, sondern der<br />

Schritt, durch den er sein Leben wirklich Gott anvertraut. Der Ruf in die Nachfolge ist ja ein<br />

Ruf aus Liebe. Durch ihn ruft Jesus zum Glauben, zum völligen Vertrauen auf Gott. Das ist<br />

es, was dem Mann fehlt.<br />

Die diesem Ruf folgen, bilden keinen besonderen Stand der „Vollkommenen“, wie man auf<br />

Grund <strong>von</strong> Mt 19,21 (willst du vollkommen sein) gemeint hat. Sie veranschaulichen mit ihrem<br />

Gehorsam den Ernstfall des Glaubens, der grundsätzlich für alle Christen gilt.<br />

3. Bewerbungen sind schwierig<br />

Jesus ruft in die Nachfolge. Sich selbst zu bewerben oder die Bedingungen auszuhandeln,<br />

unter denen man kommen möchte, ist eher schwierig. Eindrucksvoll zeigen das<br />

Begebenheiten, die in Lk 9,57-62 zusammengestellt sind:<br />

Und als sie so ihres Weges zogen, sagte einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du auch gehst.<br />

Jesus sagte zu ihm: Die Füchse haben Höhlen, und die Vögel des Himmels haben Nester, der<br />

Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.<br />

Zu einem anderen sagte er: Folge mir! Der aber sagte: Herr, erlaube mir, zuerst nach Hause zu<br />

gehen und meinen Vater zu begraben. Er aber sagte zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben.<br />

Du aber geh und verkündige das Reich Gottes.<br />

Wieder ein anderer sagte: Ich will dir folgen, Herr; zuerst aber erlaube mir, Abschied zu nehmen<br />

<strong>von</strong> denen, die zu meiner Familie gehören. Jesus aber sagte zu ihm: Niemand, der die Hand an den<br />

Pflug legt und zurückschaut, taugt für das Reich Gottes.<br />

Die Radikalität, die aus diesen Worten spricht, schreckt eher ab, als dass sie einlädt. Hier<br />

heißt es nicht: Komm zu Jesus und alle deine Probleme sind gelöst. Nachfolge ist kein<br />

Wellness- oder Wohlfühl-Trip. Wer Jesus folgt, muss damit rechnen, heimatlos zu werden<br />

und mit den Regeln der Pietät in Konflikt zu kommen. Es gilt, nur noch nach vorne, auf den<br />

Weg mit Jesus zu blicken.<br />

Andere Beispiele zeigen, dass Nachfolge auch ganz anders aussehen kann. Signalcharakter<br />

hat dafür der Schluss der Geschichte des geheilten Besessenen, der Jesus zum Abschied bittet<br />

(Mk 5,18-20), bei ihm bleiben zu dürfen.<br />

Aber Jesus ließ es nicht zu, sondern sagt zu ihm: Geh nach Hause zu den Deinen und erzähle<br />

ihnen, was der Herr mit dir gemacht hat und dass er Erbarmen hatte mit dir. Und der ging weg<br />

und fing an, in der Dekapolis kundzutun, was Jesus mit ihm gemacht hatte.<br />

Schon während der irdischen Wirksamkeit Jesu gibt es eine neue Form der Nachfolge, die<br />

nicht mehr darin besteht, alles zu verlassen und hinter Jesus herzugehen, sondern im<br />

angestammten Umfeld weiterzugeben, was Gott im eigenen Leben getan hat.<br />

Aber es gibt auch Leute, die Jesus folgen, ohne dass <strong>von</strong> ihrer Berufung erzählt wird. Wenig<br />

beachtet, aber für unseren Zusammenhang wichtig ist die kurze Notiz in Mk 15,40f:<br />

Es waren aber auch Frauen da, die <strong>von</strong> ferne zuschauten, unter ihnen Maria aus Magdala und<br />

Maria, die Mutter des Jakobus des Kleinen und des Jose, und Salome, die ihm gefolgt waren und<br />

ihn unterstützt hatten, als er in Galiläa war, und noch viele andere Frauen, die mit ihm nach<br />

Jerusalem hinaufgezogen waren.<br />

3


Auch diese Frauen haben Jesu Ruf gehört und sich Jesus angeschlossen. Es gibt auch<br />

unspektakuläre und wenig beachtete Wege der Nachfolge. Umso auffälliger ist, dass diese<br />

Frauen die einzigen waren, die Jesus nicht verließen!<br />

4. Menschen zu Jesus führen<br />

In die Nachfolge kann nur Jesus rufen. Aber der Weg in die Nachfolge kann durch das<br />

Zeugnis <strong>von</strong> Menschen vorbereitet werden. Das zeigt das Johannesevangelium, das oft schon<br />

die nachösterliche Situation im Blick hat, in seiner Fassung der Berufungsgeschichte (Joh<br />

1,35-51). Johannes der Täufer weist zwei seiner Jünger auf Jesus hin und sagt:<br />

Seht, das Lamm Gottes. Die beiden Jünger hörten das und folgten Jesus. … Einer <strong>von</strong> denen, die<br />

auf Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren, war Andreas. Dieser findet zuerst seinen<br />

Bruder Simon und sagt zu ihm: Wir haben den Messias gefunden! Er führte ihn zu Jesus. Jesus sah<br />

ihn an und sprach: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kefas genannt werden! …<br />

Am Tag darauf wollte er nach Galiläa aufbrechen, und er findet Philippus. Und Jesus sagt zu ihm:<br />

Folge mir! ... Philippus findet Natanael und sagt zu ihm: Den, <strong>von</strong> dem Mose im Gesetz und auch<br />

die Propheten geschrieben haben, den haben wir gefunden, Jesus, den Sohn Josefs, aus Nazaret.<br />

Und Natanael sagte zu ihm: Kann aus Nazaret etwas Gutes kommen? Philippus sagt zu ihm:<br />

Komm und sieh! … Natanael antwortete ihm: Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König<br />

Israels. … Jesus entgegnete ihm: … Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes auf-<br />

und niedersteigen auf dem Menschensohn.<br />

Suchen und Gefunden werden, so könnte man diese Geschichte überschreiben. Eindrücklich<br />

ist, wie die unterschiedlichen Antworten auf die Frage, wer Jesu ist, das Geheimnis der<br />

Gegenwart Gottes in seiner Person umkreisen und doch nur vorläufig beschreiben können.<br />

Entscheidend bleibt die persönliche Begegnung. Man kann niemand in die Nachfolge Jesu<br />

hinein argumentieren. Wer andere zu Jesus führt, kann nur sagen: „Komm und sieh!“<br />

5. Der Preis und der Lohn der Nachfolge.<br />

In manchen Aussagen Jesu in den Evangelien ist Nachfolge offensichtlich nicht nur Modell<br />

für einen Weg mit Jesus, auf den einzelne exemplarisch berufen werden, sondern das<br />

entscheidende Lebenskonzept für alle. Im Anschluss an das Bekenntnis des Petrus, an Jesu<br />

Leidensansage und deren Abweisung durch Petrus heißt es in Mk 8,34f:<br />

Und er rief das Volk samt seinen Jüngern herbei und sagte zu ihnen: Wenn einer mir auf meinem<br />

Weg folgen will, verleugne er sich und nehme sein Kreuz auf sich, und so folge er mir. Denn wer<br />

sein Leben retten will, wird es verlieren, wer aber sein Leben verliert um meinetwillen und um des<br />

Evangeliums willen, wird es retten.<br />

Das gilt nicht nur denjenigen, die Jesus zu seinen Lebzeiten folgten. Nachfolge meint hier das<br />

Leben als Jünger und Jüngerin Jesu auch in der nachösterlichen Gemeinde. Drei Bedingungen<br />

werden für echte und konsequente Nachfolge genannt:<br />

(1) Sich selbst zu verleugnen. Nicht sich selbst zu verneinen oder sein Ich zu zerstören, ist<br />

gemeint, sondern <strong>von</strong> sich selbst abzusehen, Distanz zum eigenen Ich zu gewinnen und eigene<br />

Belange zurückstellen zu können.<br />

(2) Sein Kreuz auf sich zu nehmen. Das hatte damals eine konkrete Bedeutung. Wer zum Tod<br />

am Kreuz verurteilt worden war, musste den schweren Querbalken, an dem er aufgehängt<br />

werden würde, selbst zur Hinrichtungsstätte tragen. Die Bereitschaft, sein Kreuz auf sich zu<br />

nehmen, schließt also ein, als Konsequenz der Nachfolge auch den Tod in Kauf zu nehmen.<br />

Wie Lk 9,24 zeigt, wo ein täglich eingefügt ist, hat man das aber auch übertragen verstanden.<br />

Es geht um die Bereitschaft, Nachteile, Widerstände und Schwierigkeiten auf sich zu nehmen,<br />

die durch konsequente Nachfolge entstehen.<br />

(3) Jesus folgen. Während in der Einleitung mit Jesus nachfolgen, grundsätzlich das<br />

Jüngersein gemeint ist, geht es hier ganz praktisch um ein Leben in den „Spuren“ Jesu (1Petr<br />

2,21). Jesus so zu folgen, wie er gelebt hat, ist auch noch für die möglich, die seinen Ruf nach<br />

seiner Auferstehung hören. Er hat den Weg für ein Leben mit und für andere gebahnt; wir<br />

4


müssen ihn nicht mehr selber frei machen. Es geht darum, seinen Spuren zu folgen. „Was<br />

würde Jesus tun?“ fragen deshalb manche unserer jungen Leute und tragen ein Armband mit<br />

den Buchstaben WWJD (What Would Jesus Do?), um diese Frage immer vor sich zu haben.<br />

Aber all das klingt nicht gerade wie eine Einladung zu einem glücklichen und erfüllten Leben.<br />

Dennoch bleibt das positive Ziel im Auge, wenn auch auf paradoxe Weise (V.35). Sein Leben<br />

zu retten, gehört zu den Grundinstinkten geschöpflichen Lebens. Aber Menschen erfahren<br />

immer wieder, dass sie, wenn sie sich nur um das eigene Leben sorgen und es um jeden Preis<br />

zu bewahren suchen, ihr eigentliches Leben verlieren. Vor lauter Sorge um eigene Sicherheit<br />

bunkern sie sich ein und ersticken, was wirklich Leben ist: Leben in der Gemeinschaft, Leben<br />

für andere und Leben für Gott. Nur wer bereit ist, sein Leben zu riskieren, wird erfahren, was<br />

wirkliches Leben ist. Nach Ostern ist Jesus in der Botschaft des Evangeliums gegenwärtig. So<br />

wird neu beschrieben, was Nachfolge heißt. Es geht um die Sache Jesu, die Gegenwart Gottes<br />

unter den Menschen, für die er mit seinem Leben und Sterben eintrat. Wer dafür sein Leben<br />

einsetzt, wird es in Wirklichkeit retten und gewinnen. Denn das führt in die Gemeinschaft mit<br />

Gott. Sie ist Leben – jetzt und in Ewigkeit.<br />

Dennoch sprechen die Evangelien auch <strong>von</strong> so etwas wie dem „Lohn“ der Nachfolge. Mk<br />

10,27 heißt es nach der Geschichte <strong>von</strong> dem Reichen, der Jesus nicht folgen wollte:<br />

Da ergriff Petrus das Wort und sagte zu ihm: Wir hier haben alles verlassen und sind dir gefolgt.<br />

Jesus aber sprach: Amen, ich sage euch: Da ist keiner, der um meinetwillen und um des<br />

Evangeliums willen Haus, Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlässt und der<br />

nicht hundertfach empfängt, jetzt in dieser Zeit Häuser, Brüder und Schwestern, Mütter und Kinder<br />

und Äcker inmitten <strong>von</strong> Verfolgungen, und in der kommenden Welt ewiges Leben.<br />

Nicht Grund für die Nachfolge, wohl aber Konsequenz des Nachfolgens ist der Gewinn einer<br />

neuen tragfähigen Gemeinschaft. Der Bruch mit der Herkunftsfamilie, der in manchen<br />

religiösen Kulturen bis heute unvermeidlich ist, führt in eine neue Familie und zu Reichtum<br />

ganz anderer Art. Freilich liegt darin auch eine Gefahr: Was Kontrastgesellschaft sein soll, die<br />

in die Gesellschaft hineinwirkt, kann zur Subkultur werden, die sich <strong>von</strong> den anderen<br />

abschottet.<br />

6. Menschen in die Nachfolge Jesu führen – Inhalt unserer Mission<br />

Die Anweisung, Menschen in die Nachfolge Jesu zu führen, wie wir sie aus Mt 28,18-20<br />

kennen, ist nicht die einzige Weise, wie im Neuen Testament der Missionsauftrag der<br />

Gemeinde formuliert wird. Aber sie ist wohl die wirkungsmächtigste Ausformung des<br />

sogenannten „Missionsbefehls“. Der Auferstandene sagt dort zu den Jüngern:<br />

Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Geht nun hin und macht alle Völker zu<br />

Jüngern: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehrt<br />

sie alles halten, was ich euch geboten habe. Und seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis an der<br />

Welt Ende.<br />

Der Auftrag an die Jünger ist also eingebettet in die Zusage der Gegenwart und der Herrschaft<br />

Christi. Der Ruf in die Nachfolge erfolgt nicht aus eigener Kraft. Dennoch bleibt die Frage,<br />

wie man Menschen zu Jüngern machen kann. Im griechischen Text fehlt das problematische<br />

Wort machen, das uns in der deutschen, französischen oder englischen Übersetzung irritiert.<br />

Menschen in die Nachfolge Jesu zu führen, ist deshalb eine sehr gute Umschreibung dessen,<br />

was „Jünger machen“ bzw. „Making disciples“ wirklich meint. Es geht darum, Menschen in<br />

die Lebens- und Lerngemeinschaft mit Jesus zu führen und gemeinsam mit ihnen auf dem<br />

Weg mit Jesus zu sein. Zwei Schritte werden genannt, durch die das geschehen kann:<br />

1. Durch die Taufe im Namen des dreieinigen Gottes: Menschen werden in die Wirklichkeit<br />

des Handelns Gottes in Christus Jesus hineingestellt. Hier spiegelt sich die nachösterliche<br />

Situation: Dass Menschen sich hineinnehmen lassen, in das was Gott in Christus getan hat<br />

5


und was er immer wieder neu durch seinen Geist tut, ist die Tür zur Gemeinschaft mit Gott<br />

und zum Weg mit Jesus. Am Anfang der Nachfolge steht nicht, was Menschen tun, sondern<br />

was an ihnen geschieht.<br />

2. Durch das Lehren dessen, was Christus geboten hat. Das ist der matthäische Akzent des<br />

Missionsauftrag: Nachfolge heißt, sich an Jesu Wort und Werk zu orientieren und sein Leben<br />

<strong>von</strong> seinem Weg bestimmen lassen. Dass man dadurch gerettet wird, wird nicht gesagt. Wer<br />

das Evangelium gelesen hat, weiß: So zu leben ist der Weg des Lebens. Heil ist nicht die<br />

Belohnung dafür, so zu handeln. Heil ist, <strong>von</strong> Christus auf diesem Weg mitgenommen und<br />

ans Ziel geführt zu werden.<br />

Eine Herausforderung bleibt der Auftrag, alle Völker in die Nachfolge Jesus zu führen.<br />

Können den Weg mit Jesus nicht immer nur Einzelne gehen? Das ist richtig. Aber sie gehen<br />

diesen Weg nie allein, sondern in der Gemeinschaft mit anderen. Und sie tun das im Horizont<br />

der Gewissheit, dass der Ruf allen gilt und ihr Beispiel alle einlädt, mit Jesus zu gehen.<br />

7. Was heißt, Menschen in die Nachfolge Jesu zu führen?<br />

1. Nachfolge orientiert sich an Jesus Christus. In ihm begegnet uns nicht eine Methode, die<br />

uns zeigt, wie wir Menschen in die Nachfolge bringen, sondern eine Person, durch die Gott<br />

Menschen anspricht und bewegt, ihr Leben seiner Leitung anzuvertrauen.<br />

2. Nachfolge setzt in Bewegung. Jesus sagt nicht, warum es <strong>von</strong> Vorteil ist, ihm zu folgen,<br />

sondern wozu er die braucht, die er ruft. Annahme und Beauftragung oder – in anderen<br />

Begriffen – Rechtfertigung und Heiligung gehören untrennbar zusammen.<br />

3. Nachfolge ist nach vorne orientiert. Wer Jesus folgt, kommt bei den Menschen an, die<br />

Gottes Liebe brauchen. Nachfolge ist Sammlung um Jesus und seine Sache und zugleich<br />

Sendung zu denen, zu denen sich Jesus gesandt wusste: zu den Armen, an den Rand<br />

Gedrängten, den Kranken und <strong>von</strong> der Sünde und bösen Mächten Geknechteten.<br />

4. Nachfolge stellt in die Gemeinschaft all derer, die Jesus folgen. In der Lebens- und<br />

Lerngemeinschaft mit Jesus zu leben, bedeutet auch, <strong>von</strong>einander und miteinander zu lernen.<br />

Jesus zu folgen, heißt, das Leben mit denen zu teilen, die mit auf dem Weg sind, vor allem<br />

aber mit denen, die wir auf diesem Weg mitnehmen möchten.<br />

5. Nachfolge geschieht im Horizont der kommenden Herrschaft Gottes. Die Schar der Jünger<br />

und Jüngerinnen ist nicht mit der Schar der Geretteten identisch. Nachfolge hat immer etwas<br />

Exemplarisches an sich und ist dennoch für die, die der Ruf trifft, unausweichliche Berufung.<br />

Gerade für eine Kirche und für Gemeinden der methodistischen Tradition kann nicht<br />

Breitenwirkung und Gemeindewachstum der letzte Maßstab für die Arbeit sein, sondern die<br />

Berufung, durch treue Nachfolge „Heiligung über das Land zu verbreiten“.<br />

6. Nachfolge wird in unterschiedlichen Formen gelebt. Die Rolle der in besonderen Weise<br />

Herausgerufenen ist so wichtig wie der Dienst derer, die im Alltag mit Jesus leben. Gerade in<br />

dieser Vielfalt bleibt Nachfolge lebendig und wird für andere wirksam.<br />

7. Menschen in die Nachfolge Jeus zu führen, kann nur gelingen, wenn wir uns selber immer<br />

wieder neu auf ihn ausrichten und uns <strong>von</strong> seiner Liebe anstecken lassen und mit unserem<br />

Tun und Lassen, unserem Reden und Handeln auf ihn verweisen: Komm und sieh!<br />

6<br />

<strong>Walter</strong> <strong>Klaiber</strong>

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