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Programmheft - Badisches Staatstheater - Karlsruhe

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MEDEA! ICH BIN’S!<br />

„Man hat mich bös genannt, ich war es<br />

nicht, allein ich fühle, dass man’s werden<br />

kann“, sagt Medea in Franz Grillparzers<br />

1820 vollendeter Trilogie Das goldene Vlies,<br />

als sie endgültig mit dem Rücken zur Wand<br />

steht und keinen anderen Ausweg sieht, als<br />

der an ihr verübten Gewalt mit Gewalt zu<br />

begegnen. Im Versuch, diesem Kreislauf zu<br />

entkommen, ist sie gescheitert. Aus Liebe zu<br />

Jason hatte sie ihm geholfen, das goldene<br />

Vlies zu stehlen, war ihm auf sein Schiff gefolgt<br />

und beging damit unwillentlich Verrat<br />

an ihrem Vater. Ihr Bruder Absyrtus starb,<br />

indem er sich selbst opferte, um der<br />

Entführung durch Jason zu entgehen;<br />

daraufhin starb auch ihr Vater, „gen sich<br />

selber wütend“. Medea und Jason, über<br />

Jahre gemeinsam nach Griechenland<br />

segelnd, bekamen zusammen zwei Kinder<br />

und hofften auf eine siegreiche Rückkehr<br />

nach Jolkos, Jasons Heimat.<br />

Doch der Ruf der „Gräuel“ ist ihnen vorausgeeilt,<br />

die Griechen fürchten und verabscheuen<br />

Medea als „Fremde“, „Barbarin“,<br />

„Vatermörderin“ und „Giftmischerin“<br />

und hängen ihr noch den Mord an Jasons<br />

Onkel, König Pelias aus Jolkos, an. Für<br />

Jason, dessen Heldenschicksal sich<br />

nicht wie erwartet erfüllt, ist sie nur noch<br />

eine Last, die ihm den Wiedereintritt in<br />

die griechische Gesellschaft versperrt.<br />

Für König Kreon in Korinth, bei dem die<br />

Familie um Aufnahme bittet, ist Medea<br />

ebenfalls nur ein Hindernis auf seinem<br />

Weg zum goldenen Vlies. Als sie sich<br />

nicht nur verstoßen, sondern ihrer eigenen<br />

Kinder beraubt sieht, besinnt sie sich auf<br />

ihre „Herkunft“.<br />

Grillparzers „humanistische“ Version des<br />

Stoffes gründet eine Medea-Tradition, die<br />

vor allem im 20. Jahrhundert, in Christa<br />

Wolfs Erzählung Medea. Stimmen und anderen<br />

Dichtungen, fortgeschrieben wurde.<br />

Die „Ursprungs“-Medea des Euripides, der<br />

fünf Morde und die indirekte Schuld an zwei<br />

weiteren Toden zur Last gelegt werden,<br />

wird hier selbst zum Opfer der an ihr verübten<br />

Gewalt und der „üblen Nachrede“,<br />

die ihr die bösen Taten anhängt. Doch statt<br />

daran zu zerbrechen, steigert sie ihren<br />

Zustand in eine blutige Radikalität; sie wird<br />

zu dem, was man in ihr sieht und agiert die<br />

Unmenschlichkeit der Gesellschaft in dem<br />

Mord an ihren Kindern aus. Sie übernimmt<br />

die Verantwortung für die gewalttätige<br />

Konsequenz ihres Schicksals, dass sie sich<br />

nicht ausgesucht hat und wird zu der verstörenden,<br />

gewaltigen Medea des Mythos,<br />

deren Fall schon immer ein Politikum war.<br />

Er verletzt Grenzen und macht sie dadurch<br />

sichtbar. Geschlechterkampf, Rassismus<br />

und Fremdenfeindlichkeit, Flucht und Aufnahme,<br />

Gewalt und deren Legitimation – in<br />

Medea überkreuzen sich Themenfelder, die<br />

uns bis heute aufwühlen, verstören und die<br />

Frage nach der moralischen Integrität unserer<br />

westlichen Zivilisation stellen.<br />

Mareike Mikats Inszenierung – nach ihrem<br />

VOLKSTHEATER-Projekt der ersten beiden<br />

Teile, Der Gastfreund / Die Argonauten, der<br />

Abschluss der Trilogie – ist ein intensives<br />

Kammerspiel, in dem die Modernität des<br />

Stoffes ebenso wie seine Archaik zum Tragen<br />

kommen, in dem die politische Intrige<br />

gegen den Versuch steht, Mensch zu sein<br />

und zu bleiben.

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