download December 2011 PDF - Mein SENDLING
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hatte, stand in weißem Trachtenhemd, Lederhose und Haferlschuhen vor mir<br />
und amüsierte sich prächtig auf meine Kosten.<br />
„Du bist vielleicht ’ne Nummer“, feixte er. „Unser Sprachtraining hat sich ja richtig<br />
gelohnt. Auf die gelungene Feuertaufe trinken wir gleich ein Bier. Komm, wir<br />
müssen uns beeilen.“ Damit zog er mich mit sich, und ich sah mich noch einmal<br />
nach dem Fremden um, der kopfschüttelnd von dannen schlich.<br />
Da kamen Beate und Isabelle angerannt, in der Hand ein riesiges Lebkuchenherz<br />
mit der Aufschrift „Flotter Käfer“, das sie mir um den Hals hängten. „Für deine<br />
Wies’n-Premiere“, sagten sie nur.<br />
„Grazie.“ Ich war ganz gerührt.<br />
Eine Minute später stand ich dann zum ersten Mal in meinem Leben in einem<br />
Bierzelt auf dem Münchner Oktoberfest. Der Lärm und das Geruchspotpourri<br />
aus Bier, Hähnchen und Schweiß, die mir entgegenschlugen, betäubten meine<br />
Sinne für einen Moment. An die achttausend Menschen standen eng aneinandergepresst<br />
auf den Bänken und wiegten sich im Takt zu „Volare“ von Domenico<br />
Modugno. Ich wollte meinen Augen und vor allem Ohren nicht trauen. Wir hatten<br />
gerade mal zwölf Uhr mittags, und die meisten von ihnen sahen ganz und<br />
gar nicht mehr frisch geduscht aus.<br />
Otto schob mich sanft durch die Menge in Richtung unseres reservierten Tisches,<br />
an dem die M&Ms und einige ihrer Freunde ihre liebe Mühe hatten, unsere Plätze<br />
zu verteidigen. Ein schwarz gekleideter Ordner war an den Tisch getreten, um die<br />
lautstark debattierenden Australier, die ein Anrecht auf die freien Plätze zu haben<br />
glaubten, ebenso höflich wie bestimmt hinauszukomplimentieren.<br />
Ich fühlte mich dank des Coachings bestens vorbereitet, wusste ich doch, dass ich<br />
weder mit der Bedienung über die Größe der Biergläser noch darüber zu diskutieren<br />
hatte, wieso ich so lange auf mein Essen warten musste oder der Nachbartisch<br />
schneller bedient wurde. „Pfiati“, „Griasgod“ und „Host mi“ gehörten inzwischen<br />
ebenso selbstverständlich zu meinem Wortschatz wie „Prosit“ und „Oans, zwoa,<br />
gsuffa“, und ich wusste sogar, dass mit Auszogne eine Art Krapfen und keinesfalls<br />
einer der Nackedeis am Münchner Eisbach gemeint war. Dementsprechend selbstsicher<br />
konterte ich auch die Anmachversuche der zahlreichen Anwärter auf ein Bussi,<br />
jedenfalls so lange, bis ich meinen Meister fand.<br />
„Du kommst bestimmt aus Polen“, sagte ein glatzköpfiger Mittvierziger und grinste<br />
mir unverschämt ins Gesicht, „denn du hast mir gerade mein Herz geklaut.“<br />
Mit großen Augen starrte ich ihn an und fragte mich, ob er allen Ernstes glaubte,<br />
mit dem Spruch bei einer Frau landen zu können. Erst recht bei einer in dieser<br />
Hinsicht verwöhnten Italienerin. So betrunken konnte ich gar nicht sein. Ich<br />
hatte mir in den letzten Stunden einiges an unoriginellen Sprüchen anhören<br />
müssen, aber das hier war echt der Gipfel.<br />
„Nein, sie kommt aus Neapel und klaut dir gleich dein Portemonnaie“, erwiderte<br />
Isabelle und schlug ihn damit in die Flucht.<br />
Abdruck (gekürzt und leicht geändert) mit freundlicher Genehmigung der Autorin<br />
aus: Angela Troni, Risotto mit Otto, Ullstein Verlag <strong>2011</strong>, 384 Seiten, 8,99 €.<br />
Mehr über die Autorin unter www.angelatroni.de.<br />
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