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GBPT im Gespräch mit Martin Ertl Chief Innovation Officer, Bombardier

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m <strong>Gespräch</strong><br />

<strong>GBPT</strong> <strong>im</strong> <strong>Gespräch</strong> <strong>mit</strong> <strong>Martin</strong> <strong>Ertl</strong><br />

<strong>Chief</strong> <strong>Innovation</strong> <strong>Officer</strong>, <strong>Bombardier</strong><br />

8 Performance Ausgabe 1.2011<br />

Weltweit werden neue Mobilitätskonzepte gesucht. Dabei spielt auch der Schienen-<br />

verkehr eine wichtige Rolle. Das kanadische Verkehrstechnikunternehmen<br />

<strong>Bombardier</strong> hat daher begonnen, aktiv Trends zu analysieren und Lösungen für die<br />

Mobilität der Zukunft zu entwickeln. Kl<strong>im</strong>awandel, Kostendruck bei öffentlichen<br />

Auftraggebern oder die rasante Weiterentwicklung von technologischen Kompeten-<br />

zen in den Schwellenländern verändern das Wettbewerbsumfeld für Unternehmen<br />

wie <strong>Bombardier</strong> rasant.<br />

Welche Bedeutung haben strukturelle Umbrüche und gesellschaftliche Trends für<br />

die strategische Ausrichtung von <strong>Bombardier</strong>? Welche Aufgabe hat dabei das<br />

<strong>Innovation</strong>smanagement? Und wie lässt es sich in einem traditionell ausgerichteten<br />

Unternehmen <strong>mit</strong> starker Kundenfokussierung durchsetzen? <strong>Martin</strong> <strong>Ertl</strong>, <strong>Chief</strong><br />

<strong>Innovation</strong> <strong>Officer</strong> bei <strong>Bombardier</strong>, gibt <strong>im</strong> <strong>Gespräch</strong> <strong>mit</strong> <strong>GBPT</strong> Auskunft, wie bei<br />

<strong>Bombardier</strong> <strong>Innovation</strong>en vorangetrieben werden, wie er aktuelle Entwicklungen<br />

einschätzt und welche Geschäfts modelle für die Bahnbranche daraus folgen könnten.


„Wir versuchen den Zugverkehr effizienter<br />

zu machen. Dabei beziehen wir unsere Kunden<br />

stark <strong>mit</strong> ein.“<br />

Im 21. Jahrhundert steigt die Bedeutung eines<br />

Ökosystems aus Kooperationspartnern, um flexibel<br />

auf neue Entwicklungen reagieren zu können.<br />

<strong>GBPT</strong>: Herr <strong>Ertl</strong>, wie positioniert sich<br />

ein Unternehmen wie <strong>Bombardier</strong> in<br />

einem Markt, der zwar oligopolistisch<br />

geprägt ist, sich aber auch den ökonomischen<br />

Umbrüchen der letzten Jahre<br />

nicht entziehen kann?<br />

M. <strong>Ertl</strong>: Auch für Unternehmen wie <strong>Bombardier</strong><br />

wird die Strategiebildung <strong>im</strong>mer<br />

wichtiger. Traditionell kommt staatlichen<br />

Betreibern bzw. der Politik <strong>im</strong> Bahnbereich<br />

eine starke Rolle zu. Bislang fokussierten<br />

sich die Strategien daher trotz Lebens–<br />

zyklen von bis zu dreißig Jahren mehr auf<br />

den un<strong>mit</strong>telbaren Zeitraum bis zu fünf<br />

Jahren. Zunehmend müssen sich aber<br />

auch die staatlichen Betreiber dem Wettbewerb<br />

stellen und ihren Kunden attraktive<br />

Optionen präsentieren: Zum Beispiel<br />

haben die Bahnfahrer zwischen Hamburg<br />

und Köln <strong>mit</strong>tlerweile die Wahl zwischen<br />

verschiedenen Angeboten. Im Regionalverkehr<br />

bieten private Betreiber ebenfalls<br />

attraktive Optionen an. Hinzu kommt,<br />

dass auch die Hersteller den verstärkten<br />

Wettbewerb aus Asien spüren, sodass<br />

eine stärkere Segmentierung und Spezialisierung<br />

auf Nischen notwendig wird.<br />

Unser Planungshorizont verändert sich<br />

daher: Überlegungen über die Situation<br />

in zehn oder fünfzehn Jahren sind notwendig<br />

– ohne dass bereits ein Kundenauftrag<br />

dahinter steht. Im Gegensatz zur Situation<br />

der Hersteller <strong>im</strong> 20. Jahrhundert steigt<br />

da<strong>mit</strong> <strong>im</strong> 21. Jahrhundert die Bedeutung<br />

eines Ökosystems aus verschiedenen<br />

Kooperationspartnern, um Wissen zu sourcen<br />

und flexibel auf neue Entwicklungen<br />

reagieren zu können.<br />

<strong>GBPT</strong>: Bei <strong>Bombardier</strong> steht traditionell<br />

also eher das Prinzip der Kundennähe<br />

<strong>im</strong> Vordergrund als die Beherrschung<br />

der Kosten und das Vorantreiben<br />

von <strong>Innovation</strong>en?<br />

M. <strong>Ertl</strong>: Das Thema Kosten ist zum Beispiel<br />

<strong>im</strong> Rahmen einer Ausschreibung sehr<br />

wichtig, aber natürlich ist nicht alles auf<br />

Kostensparen ausgelegt. Schienensysteme<br />

bedürfen hoher Sicherheitsstandards,<br />

da lässt sich nicht sparen. Aber die Kosten<br />

beschränken sich ja nicht nur auf die Herstellungskosten,<br />

sondern setzen sich für<br />

den Betreiber aus den Anschaffungskosten<br />

und den Life-Cycle-Kosten zusammen –<br />

das eröffnet einigen Spielraum. Wir versuchen<br />

den Zugverkehr effizienter zu machen.<br />

Dabei beziehen wir unsere Kunden<br />

stark <strong>mit</strong> ein. Unsere Technologie-Initiative<br />

ECO4 zeigt, wie stark <strong>Bombardier</strong> den<br />

Energieverbrauch der Fahrzeuge senken<br />

kann.<br />

Und klar, wir sprechen bereits von einem<br />

großen Volumen, wenn 200 Einheiten<br />

produziert werden. Wir stoßen jedoch bei<br />

der Erhöhung der Volumenzahl gerade in<br />

Europa schnell an Grenzen: Es sind individualisierte<br />

Lösungen gefragt, da oftmals<br />

Signaltechnik, Spannungssysteme und der<br />

Spurweiten nicht kompatibel sind. Eisenbahnen<br />

waren lange Zeit auch ein militärisches<br />

Thema. Hier müssen die Nationalstaaten<br />

über ihren Schatten springen, sich<br />

von rein nationalen Lösungen lösen und<br />

eine Vereinheitlichung von Normen und<br />

Standards noch schneller vorantreiben.<br />

Vielleicht wären dann noch verstärkt internationale<br />

Plattformlösungen möglich. Die<br />

Kosten könnten dann aufgrund der Skaleneffekte<br />

weiter gesenkt werden.<br />

<strong>Martin</strong> <strong>Ertl</strong><br />

<strong>Chief</strong> <strong>Innovation</strong> <strong>Officer</strong><br />

<strong>Bombardier</strong><br />

Performance Ausgabe 1.2011 9


„In den Schwellenländern steigen die Ansprüche<br />

nicht nur Kosten-, sondern auch Technologieführerschaft<br />

zu erlangen.“<br />

<strong>GBPT</strong>: Doch da für ist sehr viel<br />

Überzeugungsarbeit notwendig ...<br />

Richtig, knappe Staatskassen könnten<br />

jedoch die Entwicklung in diese Richtung<br />

weiter vorantreiben. Zunehmend könnten<br />

aber auch neue Geschäftsmodelle für die<br />

Betreiber <strong>im</strong> Vordergrund stehen. Es<br />

besteht durchaus die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass private Betreiber auf ein „Ryan-Air-<br />

Modell“ setzen: nur ein Zugmodell, robust<br />

und nicht individualisiert. Außerdem könnten<br />

kleine private Betreiber über Kapitalgesellschaften<br />

Züge beispielsweise für<br />

zehn Jahre leasen – dies könnte durchaus<br />

zur Entwicklung von kostengünstigen<br />

Basismodellen führen. In diesem Szenario<br />

muss man sich fragen, wie es beispielsweise<br />

<strong>mit</strong> der Wirtschaftlichkeit von Energierückgewinnungssystemen<br />

aussieht<br />

und wie man <strong>mit</strong> kürzeren Zyklen umgeht.<br />

Allerdings müssen wir uns auch <strong>mit</strong> dem<br />

Szenario befassen, dass wir keine Angleichung<br />

der Standards sehen werden und in<br />

Europa bei gesättigten Märkten evtl. sogar<br />

10 Performance Ausgabe 1.2011<br />

eine Verringerung der Lebensstandards<br />

beobachten können. Das würde eine Verlängerung<br />

der Lebenszyklen bedeuten,<br />

zum Beispiel durch eine regelmäßige Nach -<br />

rüstung von Software und Elektronik sowie<br />

eine Überarbeitung von Außenhülle und<br />

Innenausstattung.<br />

<strong>GBPT</strong>: Wie entwickeln sich <strong>im</strong><br />

Gegenzug die Marktaussichten<br />

in den Schwellenländern?<br />

M. <strong>Ertl</strong>: Die Konkurrenz aus Asien tritt<br />

zunehmend neben etablierte Spieler <strong>im</strong><br />

Markt wie <strong>Bombardier</strong> oder auch Siemens<br />

und Alstom. In den Schwellenmärkten<br />

steigen die Ansprüche, nicht nur Kosten-,<br />

sondern auch Technologieführerschaft zu<br />

erlangen, zunehmend. Dabei ist es jedoch<br />

schwierig, Schwellenland <strong>mit</strong> Schwellenland<br />

zu vergleichen. Allein China als sprich -<br />

wörtlicher „Makrokosmos“ hat extrem<br />

viele Gesichter. <strong>Bombardier</strong> Sifang Transportation<br />

baut derzeit den Hochgeschwindigkeitszug<br />

ZEFIRO für China, der 380 Kilo -<br />

meter pro Stunde fahren wird. Die chine-<br />

Foto: <strong>Bombardier</strong><br />

sische Regierung treibt jedoch auch selbst<br />

<strong>mit</strong> hohem Ressourceneinsatz die Entwicklung<br />

von Hochgeschwindigkeitszügen<br />

voran. Hinzu kommt, dass der Zug in China<br />

der stärkste Wettbewerber der Luftfahrt<br />

ist: In China reden wir von Metropolverbindungen<br />

– und zwar direkt von Stadtzentrum<br />

zu Stadtzentrum. In weniger als drei<br />

Stunden können tausend Kilometer überwunden<br />

werden. Die Folge: Airlines werden<br />

fusionieren, da sie gegen den Zug nicht<br />

mehr konkurrieren können. In Europa<br />

haben wir eine vergleichbare Situation<br />

vielleicht noch in Frankreich, wo Inlandsflüge<br />

von Paris in den Süden des Landes<br />

durch den Einsatz von Schnellzügen<br />

hin fällig geworden sind.<br />

Indien hat dagegen mehr den Anspruch,<br />

ein extrem robustes und zuverlässiges<br />

Transport<strong>mit</strong>tel bei sehr hoher Fahrgastkapazität<br />

zu haben, setzt derzeit aber noch<br />

nicht so sehr auf Geschwindigkeit. Und<br />

schauen wir in den Mittleren Osten: Dubai<br />

hatte bisher keine Bahn-Infrastruktur, ist<br />

also kein etablierter Markt, liegt aber<br />

bezüg ich der allgemeinen Ansprüche und<br />

Standards deutlich über den westlichen<br />

Märkten. Man muss sich in Dubai nur die<br />

neue Metro anschauen. Daher sollte man<br />

sich eher fragen: Was ist der Anspruch<br />

der politischen Klasse? Streben sie eher<br />

nach Funktionalität oder nach einem Prestigeobjekt?<br />

DAS Schwellenmarktprodukt<br />

gibt es daher nicht, auch hier sind die<br />

Lösungen hochgradig individuell. Von<br />

<strong>Innovation</strong> kann man daher meist erst an<br />

zweiter Stelle sprechen. Zunächst geht<br />

es eher um die Selektion der richtigen<br />

Funk tionen – um dort vielleicht noch Neuheiten<br />

einzubringen.


<strong>GBPT</strong>: Welche Voraussetzungen<br />

müssen denn in einem Unternehmen<br />

wie <strong>Bombardier</strong> für die erfolgreiche<br />

Generierung von <strong>Innovation</strong>en gegeben<br />

sein?<br />

M. <strong>Ertl</strong>: Ein Unternehmen muss fähig sein,<br />

die richtigen Partner und Kompetenzen<br />

aus seinem „Ökosystem“ zusammenzubringen.<br />

<strong>Innovation</strong> würde ich zudem als<br />

ein „People Business“ bezeichnen: <strong>Innovation</strong><br />

ohne direkte Interaktion ist schwer<br />

denkbar. Hierfür muss jedoch erst die richtige<br />

Organisationsform gefunden werden.<br />

Es muss zum Beispiel <strong>im</strong> Unternehmen<br />

möglich sein, Mittel zur Verfügung zu stellen,<br />

um Leute aus ihrer Einheit rauszuholen.<br />

Solange, bis man das Potenzial einer<br />

Idee deutlich erkennen kann oder bereits<br />

einen konkreten Business Case vorliegen<br />

hat – vergeleichbar zu einem Inkubator. In<br />

diesem Prozess müssen sowohl Experten<br />

als auch thematisch unbelastete Team<strong>mit</strong>glieder<br />

<strong>im</strong> Sinne von Advocati Diaboli<br />

eingebunden werden und ein hochrangig<br />

besetztes Gremium zur Beurteilung zur<br />

Verfügung stellen. Da<strong>mit</strong> man sich nicht in<br />

eine Technologie „verliebt“ und einfach<br />

losläuft, muss ein Austausch- und Bewertungsprozess<br />

stattfinden.<br />

<strong>GBPT</strong>: Wie gelingt es Ihnen, die<br />

Ziele zu kommunizieren?<br />

Es ist viel Überzeugungskraft notwendig.<br />

Ich muss beispielsweise Verständnis dafür<br />

schaffen, dass es bei der Etablierung einer<br />

<strong>Innovation</strong>splattform nicht um ein weiteres<br />

Betriebsvorschlagswesen geht, sondern<br />

darum, die richtigen Leute und Kompetenzen<br />

zusammenzubringen. Werden Kampagnen<br />

zu best<strong>im</strong>mten Themen gestartet,<br />

sollten klare Korridore vorgegeben sein<br />

und die Kampagnen zeitlich begrenzt<br />

angelegt werden, da die Aufmerksamkeit<br />

erfahrungsgemäß schnell nachlässt.<br />

Dabei geht es meiner Meinung nach nicht<br />

Foto: <strong>Bombardier</strong><br />

um Masse (zum Beispiel 15.000 Ideen in<br />

zwei Tagen), sondern um hohe Qualität<br />

und direkte Rückkopplung und Interaktion.<br />

Verändert sich da<strong>mit</strong> das<br />

Anforderungsprofil an<br />

die eingesetzten Mitarbeiter?<br />

Ich denke, dass es „den einen“ Innovator<br />

nicht mehr gibt. <strong>Innovation</strong>en entstehen<br />

zum Beispiel besonders gut, wenn Ideen<br />

verschiedenen Charakters <strong>mit</strong>einander<br />

gekreuzt werden. Die Mitarbeiter sollten<br />

schon eine profunde Wissensbasis in<br />

ihrem Fachgebiet <strong>mit</strong>bringen, aber durchaus<br />

auch ein Verständnis für übergreifende<br />

Themen haben.<br />

Es sollte darum gehen, für einen kontinuierlichen<br />

Prozess zu sorgen und neue<br />

Formate für diesen Zweck zu entwickeln.<br />

Das ist natürlich zeitaufwendig, aber<br />

/ Im <strong>Gespräch</strong> /<br />

dafür sollten <strong>Innovation</strong>smanager da sein,<br />

die die richtigen Fragestellungen abklären<br />

und Unterstützung absichern. Nicht alle<br />

Unternehmensbereiche sind aufgrund l<strong>im</strong>i -<br />

tierter Ressourcen gleich bereit, bei solchen<br />

Aktionen direkt an Bord zu kommen<br />

und Leute freizustellen. Hier ist es wichtig,<br />

ein passendes Anreizsystem zu etablieren,<br />

um ein siloübergreifendes Denken zu<br />

ermöglichen und Mitarbeiter zu motivieren,<br />

ihre Ideen voranzutreiben. <strong>Innovation</strong>smanager<br />

sollten dabei als Katalysatoren<br />

fungieren. Und: Nur Erfolgs geschichten<br />

schaffen dann letztendlich die Motivation<br />

und Einstellung, die bei einem Bottom-up-<br />

Verfahren benötigt werden.<br />

Performance Ausgabe 1.2011 11


Foto: <strong>Bombardier</strong><br />

<strong>GBPT</strong>: Eine viel diskutierte Frage:<br />

Wie lässt sich letztendlich der<br />

<strong>Innovation</strong>serfolg des Unternehmens<br />

messen?<br />

M. <strong>Ertl</strong>: Ein richtiger Return on <strong>Innovation</strong><br />

Investment lässt sich schwer messen. Die<br />

Messung der neuen Produkte am Markt<br />

ist <strong>im</strong>mer ein Abgrenzungsproblem: Wann<br />

ist ein Produkt neu? Hier besteht durchaus<br />

die Gefahr, ein falsches Anreizsystem zu<br />

schaffen, das viele Unternehmen dazu verleitet,<br />

<strong>im</strong>mer mehr Produkte nur als neu<br />

zu titulieren. Auch die reine Anzahl angemeldeter<br />

Patente hat wenig Aussagekraft.<br />

Viele Unternehmen melden kaum Patente<br />

an, sind aber durchaus innovativ. Einige<br />

12 Performance Ausgabe 1.2011<br />

Unternehmen melden keine oder unklar<br />

formulierte Patente an, um Wettbewerber<br />

nicht zu alarmieren oder um sie auf eine<br />

falsche Fährte locken. Bei kleineren Unternehmen<br />

spielen Kosten-Nutzen-Abwägungen<br />

durchaus eine Rolle, ebenso kann<br />

die Anzahl der angemeldeten Patente auch<br />

<strong>mit</strong> kulturellen Phänomenen zusammenhängen:<br />

In Ländern wie Frankreich spielen<br />

Patente eine vergleichsweise untergeordnete<br />

Rolle. Insgesamt sollte man daher<br />

auch die tatsächliche Beteiligung der<br />

Mitarbeiter des Unternehmens am <strong>Innovation</strong>sprozess<br />

messen und prüfen, wie viele<br />

Projekte der strategischen Ausrichtung<br />

des Unternehmens entsprechen und wie<br />

viel Freiheitsgrade bei neuen Projekten<br />

gegeben sind. Es ist notwendig, ein dynamischeres<br />

und breiteres Bild zu zeichnen.<br />

Dabei sind strategische, kulturelle und<br />

finanzielle Faktoren zu berücksichtigen.<br />

<strong>GBPT</strong>: Welche Bedeutung hat<br />

geistiges Eigentum, beispielsweise<br />

das Patentportfolio, innerhalb der<br />

<strong>Innovation</strong>sstrategie?<br />

M. <strong>Ertl</strong>: Die strategische Nutzung von<br />

Patenten spielt zunehmend eine wichtige<br />

Rolle. Es ist notwendig, regelmäßig das<br />

Portfolio an geistigem Eigentum zu prüfen.<br />

Dafür n<strong>im</strong>mt man sich aber viel zu oft<br />

zu wenig Zeit. Dabei kann sich geistiges<br />

Eigentum als wichtiger strategischer Hebel<br />

entwickeln. Der Aufbau eines Patentradars<br />

für zentrale Technologien – bei <strong>Bombardier</strong><br />

sind das zum Beispiel Bahnanwendungen<br />

oder auch Mikrotechnologie – <strong>im</strong> Rahmen<br />

eines „Outside-in-Prozesses“ ist für uns<br />

selbstverständlich. Bei allem entscheidet<br />

jedoch die gezielte Selektion.


<strong>GBPT</strong>: Sie haben kürzlich einen<br />

Designwettbewerb ins Leben gerufen.<br />

Welche Rolle spielen Aussehen und<br />

Design bei der Entwicklung Ihrer Züge?<br />

M. <strong>Ertl</strong>: Im 21. Jahrhundert geht nicht<br />

mehr nur um das passendste und kostengünstigste<br />

Produkt, sondern auch um<br />

Aussehen und Design. Die weiter gehenden<br />

und verdeckten Bedürfnisse der Passagiere<br />

zum Beispiel standen früher nicht besonders<br />

<strong>im</strong> Fokus – das ändert sich jedoch.<br />

Neben Grundvoraussetzungen wie Sicherheit,<br />

Zuverlässigkeit und Kosteneffizienz<br />

fordern die Betreiber jetzt Lösungen,<br />

um noch attraktivere Produkte anzubieten<br />

– ohne dass die Kosten und der Komplexitätsgrad<br />

zu stark steigen.<br />

Wir haben daher einen Designwettbewerb*<br />

initiiert, den „YouRail Contest“: Wie könnte<br />

die Innenausstattung eines Zuges der<br />

Zukunft aussehen und welche Funktionen<br />

sollte sie erfüllen? Es muss bedacht werden,<br />

dass sich insbesondere bei der jungen<br />

Generation die Ansprüche ändern. Das<br />

kann man sehr gut an der Verwendung des<br />

Autos zeigen: Die junge Generation in<br />

den Großstädten definiert sich nicht mehr<br />

über die Autos, die sie fährt, sondern eher<br />

über ihre Smartphones. Oftmals besitzen<br />

die jungen Menschen noch nicht einmal<br />

ein Auto. Sie sind sehr viel flexibler <strong>im</strong><br />

Konsumverhalten. Hier muss man sich als<br />

Hersteller die Frage stellen: Welche Funktionalitäten<br />

sind wichtig? Dann geht es um<br />

geschickte Integration und Kombination<br />

der Funktionalitäten. Apple beherrscht diese<br />

„Kunst des Weglassens“ beispielsweise<br />

* Hinweis: Weitere Hintergründe <strong>im</strong> Artikel <strong>Innovation</strong> Management 2.0, S. 51<br />

„Es geht nicht mehr nur um das passendste<br />

und kostengünstigste Produkt, sondern auch<br />

um Aussehen und Design.“<br />

außerordentlich gut. Es ist wichtig, das<br />

Produkt auf die Essenz zu reduzieren und<br />

unterschwellige Bedürfnisse zu transferieren<br />

– selbst bei einem Produkt wie dem<br />

öffentlichen Nahverkehr, der bei dieser<br />

Zielgruppe nicht erste Priorität hat. Beispiele<br />

sind einfach zu finden: neue<br />

Beleuchtungssysteme oder einfache, aber<br />

gute Formlösungen, um den Passagieren<br />

in der U-Bahn das Stehen angenehmer<br />

zu machen. Unser Ziel als <strong>Bombardier</strong><br />

Transportation ist es daher, die attraktivste<br />

Variante der urbanen, regionalen und<br />

überregionalen Mobilität <strong>mit</strong> unseren Produkten<br />

und ganzheitlichen Lösungen zu<br />

schaffen.<br />

<strong>GBPT</strong>: <strong>Bombardier</strong> wird sich also in<br />

Zukunft stärker über Design und<br />

Nachhaltigkeitskonzepte definieren?<br />

M. <strong>Ertl</strong>: Ja. Die <strong>Innovation</strong>sstrategie<br />

fokussiert sich daher bereits stark auf das<br />

Thema Energie, die Lebenszyklus- und<br />

operativen Kosten, aber auch die Wahrnehmung:<br />

Grundsätzlich findet jeder<br />

Schienenverkehr gut, nur möglichst nicht<br />

direkt vor der Haustür. <strong>Bombardier</strong> differenziert<br />

sich daher <strong>mit</strong> Konzepten wie<br />

ECO4, das eine deutliche Steigerung der<br />

Energieeffizienz und eine geringe Lärmemission<br />

sowie weniger Vibration ermöglicht.<br />

Akzeptanzgrad und Passagierfreundlichkeit<br />

werden dadurch gesteigert.<br />

Wichtig ist die Zuverlässigkeit unseres Produkts<br />

und da<strong>mit</strong> auch die Vereinfachung.<br />

ECO4 steht daher für die Entwicklung<br />

von Lösungen, die vom Markt nachgefragt<br />

werden, und die steigende Bedeutung<br />

der Kompetenz, Kunden auch beraten zu<br />

können.<br />

/ Im <strong>Gespräch</strong> /<br />

<strong>GBPT</strong>: Sie kommen ursprünglich aus<br />

der Automobilbranche, wie schätzen<br />

Sie die Möglichkeiten ein, Kompetenzen<br />

der Bahnindustrie auch auf die<br />

Automobilbranche speziell <strong>im</strong> Bereich<br />

Elektromobilität zu übertragen?<br />

M. <strong>Ertl</strong>: <strong>Bombardier</strong> Transportation bzw.<br />

unsere Vorgängerfirmen sind bereits<br />

seit knapp hundert Jahren in der Elek tromo<br />

bilität aktiv. Analogien sind durchaus<br />

vorhanden. In den Bereichen Elektronik,<br />

Elektrik oder Speichermethoden haben wir<br />

über Jahrzehnte weitreichende Expertise<br />

aufgebaut. Diese Erkenntnisse ließen sich<br />

<strong>im</strong> Bereich der „neuen Elektromobilität“<br />

natürlich auch auf der Straße zur Anwendung<br />

bringen. Be<strong>im</strong> Thema Elektromobilität<br />

muss man <strong>im</strong>mer die systemische<br />

D<strong>im</strong>ension sehen: Nur die sinnvolle Kombination<br />

von infrastrukturellen und fahrzeugseitigen<br />

Maßnahmen, also ein integrierter<br />

Ansatz, wie wir ihn in unserer<br />

Branche seit jeher fahren, wird hier zu<br />

nachhaltigen Erfolgen führen. Das Problem<br />

haben wir bereits gesehen, als zum<br />

Beispiel BMW versucht hat, Wasserstoffantriebe<br />

einzuführen, und die flächendeckende<br />

Infrastruktur an Wasserstofftankstellen<br />

fehlte. Die Lösung dieses<br />

Henne-und-Ei-Problems stellt die größte<br />

Herausforderung dar.<br />

<strong>GBPT</strong>: Herr <strong>Ertl</strong>, wir danken Ihnen<br />

für dieses <strong>Gespräch</strong>.<br />

Performance Ausgabe 1.2011 13

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