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Hausarbeit - Integration im Sportunterricht 2010

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Gliederung<br />

1. Begründung der Themenwahl ..................................................................................... 1<br />

2. Theoretische Grundlagen ........................................................................................... 2<br />

2.1 Begründung durch Grundgesetz und Lehrplan........................................................... 2<br />

2.2 Begriffserklärung........................................................................................................ 2<br />

2.2.1 <strong>Integration</strong>......................................................................................................... 2<br />

2.2.2 <strong>Integration</strong> <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong>............................................................................ 3<br />

2.3 Der Sportbegriff in einem erweiterten Blickfeld........................................................... 4<br />

2.4 Jonas - ein Kind mit besonderen Bedürfnissen .......................................................... 5<br />

2.4.1 Kurze Biographie .............................................................................................. 5<br />

2.4.2 Das Krankheitsbild - Osteogenesis Imperfecta Typ III....................................... 6<br />

2.4.3 Könnensstand................................................................................................... 6<br />

2.5 Situationsanalyse der Klasse ..................................................................................... 7<br />

2.5.1 Bemerkung zum Klassenverband...................................................................... 7<br />

2.5.2 Bemerkung zu einzelnen Schülern.................................................................... 8<br />

3. Praktische Umsetzung ................................................................................................ 9<br />

3.1 Die Einbindung von Jonas in den <strong>Sportunterricht</strong>....................................................... 9<br />

3.1.1 Der <strong>Sportunterricht</strong> in der 1. und 2. Klasse........................................................ 9<br />

3.1.2 Das erste Schulhalbjahr 2009/10 ...................................................................... 9<br />

3.1.3 Das zweite Schulhalbjahr <strong>2010</strong> ........................................................................10<br />

3.2 Stundenbeispiele zur Einbindung von Jonas in den <strong>Sportunterricht</strong> ..........................11<br />

3.2.1 Bewegungskünste - Zirkusstunde ....................................................................11<br />

3.2.2 Alltagsmaterialien - Turnen mit einer Zeitung ...................................................13<br />

3.2.3 Spiele mit Hand und Schläger..........................................................................15<br />

3.2.4 Bewegungslandschaft - In den Bergen.............................................................16<br />

3.2.5 Pädagogische Staffelspiele..............................................................................18<br />

3.3 Der Rollstuhltag ........................................................................................................19<br />

3.3.1 Warum ein Rollstuhltag? ..................................................................................19<br />

3.3.2 Der Ablauf des Rollstuhltages ..........................................................................20<br />

3.3.3 Die Sportstunde der Klasse 3b/4b....................................................................21<br />

3.3.4 Resümee .........................................................................................................21<br />

3.4 Fragebogenauswertung ............................................................................................22<br />

3.5 Interview mit Jonas ...................................................................................................25<br />

4. Resümee ......................................................................................................................26<br />

Literaturangabe<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

Anhang<br />

Erklärung<br />

0


1. Begründung der Themenwahl<br />

Am 14.09.2009 begann meine Referendarzeit an der Grundschule Günzburg Südost.<br />

An diesem Tag wurden die Erstklässler von allen anderen Kindern begrüßt und ich<br />

sah Jonas zum ersten Mal. Er fuhr ganz selbstbewusst in seinem Rollstuhl vor die<br />

neuen Schüler, stellte sich vor und erklärte ihnen seine Krankheit. Bereits bei dieser<br />

Ansprache merkte ich, wie viel Energie und Lebensfreude in diesem Kind steckten.<br />

Einige Tage später erhielt ich meinen Stundenplan und eine kleine Anmerkung zu<br />

meiner Sportklasse: „In ihrer Klasse ist Jonas, der Junge mit der<br />

Glasknochenkrankheit, aber um diesen müssen sie sich nicht kümmern, er<br />

beschäftigt sich schon selber mit seiner Individualbetreuerin, Frau Gürtler.“<br />

Der Gedanke, dass dieses zufriedene Kind <strong>im</strong> Sport ausgesondert werden sollte und<br />

dadurch eine Außenseiterposition einnahm, gefiel mir nicht. Durch diese<br />

Ausgrenzung hätte er seine Klassenkameraden 1 nur von einer Matte aus beobachten<br />

können und deutlich zu spüren bekommen, wie sehr ihn seine Behinderung auch in<br />

dieser Hinsicht einschränkte.<br />

Somit beschloss ich noch am gleichen Tag, Jonas in meinem <strong>Sportunterricht</strong> zu<br />

integrieren und ihm möglichst weitgehende Beteiligungschancen zu ermöglichen. Im<br />

Internet recherchierte ich über die Glasknochenkrankheit und sprach mit Jonas’<br />

Individualbetreuerin, welche Bewegungen er in seinem Ermessen ausführen konnte.<br />

Im ersten Schulhalbjahr tastete ich mich an den integrativen <strong>Sportunterricht</strong> heran<br />

und vertiefte mein Vorhaben <strong>im</strong> zweiten Schulhalbjahr.<br />

Im Klassenverband wurde Jonas ausnahmslos integriert und angenommen. Da er<br />

aber in den ersten beiden Schuljahren nicht integrativ <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> mitmachen<br />

konnte, war es mir ein Anliegen, die Kinder für den Umgang mit Jonas zu<br />

sensibilisieren und ein gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Seine<br />

Klassenkameraden sollten lernen, rücksichtsvoll mit ihm umzugehen und ihn trotz<br />

seiner Einschränkungen in ihrer Mitte aufzunehmen. Mein Ziel war es somit, meine<br />

Sportstunden so zu planen, dass auch wirklich alle Kinder daran teilnehmen<br />

konnten.<br />

1<br />

Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wird <strong>im</strong> Verlauf der Arbeit sowohl für männliche als auch für<br />

weibliche Personen die männliche Form verwendet.<br />

1


2. Theoretische Grundlage<br />

2.1 Begründung durch Grundgesetz und Lehrplan<br />

Grundgesetz<br />

Der Deutsche Bundestag ergänzte 1994 den Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes,<br />

welcher den Gleichheitsgrundsatz regelt, durch Satz 2: „Niemand darf wegen seiner<br />

Behinderung benachteiligt werden“ (Eberwein & Knauer 2002, S. 13).<br />

Lehrplan<br />

Auch der Lehrplan weist in seinen fächerübergreifenden Bildungs- und<br />

Erziehungsaufgaben auf das Leben und Lernen mit Behinderten hin. Damit laut<br />

Lehrplan eine gesellschaftliche <strong>Integration</strong> von Menschen mit Behinderungen<br />

gelingen kann, ist eine frühzeitige Sensibilisierung <strong>im</strong> wechselseitigen<br />

Miteinanderumgehen erstrebenswert. Durch den vorurteilsfreien Umgang aller Kinder<br />

kann eine Akzeptanz und Toleranz aufgebaut werden, die auch <strong>im</strong> Erwachsenenalter<br />

weiterhin bestehen bleibt (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und<br />

Kultus 2007, S. 16).<br />

Im Fachprofil Sporterziehung wird zudem der Lernbereich „Gemeinschaft“ genannt,<br />

wobei den Schülern Gelegenheiten für soziales Lernen offeriert werden. „Sie lernen<br />

dabei Haltungen und Einstellungen des kooperativen, fairen Miteinanders zu<br />

erproben und zu festigen“ (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus<br />

2007, S. 44). Die Notwendigkeit der allgemeinen Regeleinhaltung sollte den Kindern<br />

hierbei bewusst werden und sie sollen erkennen, dass diese den Bedürfnissen aller<br />

Beteiligten angepasst werden können. Zudem lernen die Schüler, sich gegenseitig zu<br />

helfen und neben Rücksicht auch Toleranz gegenüber ihren Klassenkameraden<br />

aufzubauen (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2007, S.<br />

44).<br />

2.2 Begriffserklärung<br />

2.2.1 <strong>Integration</strong><br />

Um zunächst einen grundlegenden Einblick in die Thematik zu erhalten, wird der<br />

Begriff <strong>Integration</strong> näher erläutert.<br />

2


Die erste geschlossene Konzeption für die <strong>Integration</strong> von Kindern mit<br />

Behinderungen in die Regelschule wurde 1973 vorgelegt. Dabei handelt es sich um<br />

eine Empfehlung des Deutschen Bildungsrates, die den Titel „Zur pädagogischen<br />

Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher“<br />

trägt. <strong>Integration</strong> wird in diesem Sinne als eine neue Konzeption verstanden, die eine<br />

gemeinsame Unterrichtung von Menschen mit und ohne Behinderung anstrebt (vgl.<br />

Muth 1986, S.11).<br />

„Die schulische und gesellschaftliche Nichtaussonderung von Menschen mit Behinderungen<br />

ist das Ziel der <strong>Integration</strong>spädagogik. Im Verständnis dieser Bewegung meint <strong>Integration</strong><br />

das gemeinsame Lernen aller, von geistig behinderten bis hin zu sehr guten Schülerinnen<br />

und Schülern und schließt Kinder mit allen Arten von Behinderungen [�] mit ein“<br />

(Prengel 2006, S. 139; Herv. S.M.).<br />

Folglich sollte an Schulen keine Segregation mehr stattfinden, bei der Kinder mit<br />

besonderen Bedürfnissen ausgeschlossen werden. Vielmehr sollte eine Schule für<br />

alle Kinder geschaffen werden, welche die Unterschiede der Kinder und die sich<br />

daraus ergebende Heterogenität als Chance und nicht als Nachteil betrachtet.<br />

„Integrative Grundschularbeit wird hier verstanden als das Bemühen, allen Kindern<br />

und jedem Kind gerecht zu werden“ (Erzmann 2003, S. 249; Herv. S.M.).<br />

2.2.2 <strong>Integration</strong> <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong><br />

In der Sportliteratur ist <strong>im</strong>mer wieder zu lesen, dass durch den Sport die soziale<br />

<strong>Integration</strong> zunehmend verbessert werden kann. Durch die große Bandbreite, die<br />

der <strong>Sportunterricht</strong> einem Lehrer eröffnet, hat er viele Möglichkeiten, Kinder mit und<br />

ohne Behinderungen entsprechend ihrer Voraussetzungen zu fördern und sie in die<br />

jeweilige Sportgruppe zu integrieren. Die Schüler arbeiten häufig mit ihrem Partner<br />

oder der ganzen Gruppe zusammen und müssen lernen, sich gegenseitig zu helfen<br />

und die Stärken und Schwächen ihres Gegenübers zu respektieren und<br />

anzuerkennen.<br />

Zudem ist das Bedürfnis nach sportlichen Betätigungen in jedem Kind, ob mit oder<br />

ohne Beeinträchtigungen, gegeben, da der Bewegungsdrang von Natur aus in<br />

jedem menschlichen Wesen existiert. Von klein auf ist der Mensch auf Bewegung<br />

ausgelegt und entwickelt spielerisch ein selbstbewusstes Verhältnis zu seiner<br />

eigenen Leiblichkeit (vgl. Kapustin & Kapustin- Lauffer 2009, S. 14).<br />

3


Um eine ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung zu gewährleisten, müssen laut<br />

Kapustin & Kapustin- Lauffer (2009, S. 23) jedem Kind Bewegungserfahrungen und<br />

– erfolge ermöglicht werden.<br />

Auch bei Kindern mit der Glasknochenkrankheit ist viel Bewegung das oberste<br />

Gebot. Trotz der ständigen Bruchgefahr müssen Knochenzellen belastet werden,<br />

damit sie genügend Knochengrundsubstanz produzieren. Die Verkalkung dieser<br />

Substanz führt zu einer erhöhten Knochenfestigkeit, wodurch mehr Belastung<br />

toleriert werden kann. Zusätzlich wird durch die Bewegung das Muskelkorsett<br />

aufgebaut, was dazu beiträgt, dass die Knochen seltener brechen oder sich<br />

verformen (vgl. Lehmann 2004, S.4).<br />

Die hohe Wertschätzung, die dem <strong>Sportunterricht</strong> sowohl in Bezug auf dessen<br />

<strong>Integration</strong>skraft als auch auf dessen gesundheitlichen Nutzen entgegengebracht<br />

wird, ist unbestritten. Allerdings liegen hier noch Defizite in der praktischen<br />

Umsetzung vor (vgl. Wurzel 1991, S. 11).<br />

„Trotz der nach übereinst<strong>im</strong>mender Auffassung von Ärzten, Psychologen und Pädagogen<br />

großen Bedeutung des Sports für Behinderte, vor allem für die Unterstützung des<br />

Bildungsprozesses [�] und für ihre <strong>Integration</strong> in die Gesellschaft, sind die<br />

Voraussetzungen für den Sport dieser Gruppe noch unzureichend“ (Kultusminister NRW<br />

in Wurzel 1991, S. 12; Herv. S.M.).<br />

Laut Kapustin & Kapustin- Lauffer (2009, S. 9) liegt die Mitgliedsquote behinderter<br />

Kinder in ihrem nahen Sportverein sehr deutlich unter 10% und noch deutlich<br />

geringer ist der Anteil von Kindern mit Behinderungen, die gemeinsam mit<br />

Nichtbehinderten in Spiel- und Sportgruppen integrieret sind.<br />

Diese Prozentzahl beruht zum einen darauf, dass nach wie vor Methoden und<br />

Hinweise für die Organisation des Unterrichts mit Kindern mit Behinderungen fehlen<br />

und sich die Sportlehrer außerstande sehen, diesen Schülern gerecht zu werden<br />

(vgl. Scholtzmethner in Wurzel 1991, S. 94). Zum anderen muss vom traditionellen<br />

Sportverständnis abgewichen werden und ein weit reichendes und umfassendes<br />

Sportverständnis in den Blickwinkel gerückt werden (vgl. Rheker 1993, S.8).<br />

2.3 Der Sportbegriff in einem erweiterten Blickfeld<br />

Um einem Kind mit besonderen Bedürfnissen weitgehende Beteiligungschancen <strong>im</strong><br />

<strong>Sportunterricht</strong> zu ermöglichen, darf sich der Lehrer nicht nur an den traditionellen<br />

Disziplinen wie Springen, Werfen und Laufen orientieren. Mit diesem<br />

Sportverständnis, das vor allem die Zielvorstellung höher, schneller und weiter<br />

4


einhaltet, können nicht alle Kinder entsprechend ihrer Fähigkeiten gleichberechtigt<br />

am <strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen. Zudem führt ein derart enges Sportverständnis dazu,<br />

dass Schüler, die gewissen Normen nicht entsprechen, vom <strong>Sportunterricht</strong> befreit<br />

oder ausgegrenzt werden (vgl. Sowa 1997, S.9 f.).<br />

„Erst das Überschreiten von scheinbaren Grenzen, erst die Erweiterung des eigenen<br />

Blickfeldes öffnet die Sicht für mehr Aktivität <strong>im</strong> Bereich des Sports. Erst das Blicken über den<br />

eigenen Horizont, über den vielleicht am eigenen Leib erlebten <strong>Sportunterricht</strong> hinaus, macht<br />

frei“ (Sowa 1997, S.10; Herv. S.M.).<br />

Der Lehrplan <strong>im</strong> Sport ermöglicht einem Lehrer in vielen verschiedenen Bereichen zu<br />

agieren und auch neue Ideen in den Unterricht mit einzubringen. Wenn die<br />

Orientierung an traditionellen Normen wegfällt, ist der Weg frei für einen<br />

erlebnisoffnen <strong>Sportunterricht</strong>, der sich nach den individuellen Bedürfnissen aller<br />

Schüler richtet. Somit sollte der integrative <strong>Sportunterricht</strong> so strukturiert werden,<br />

dass jeder Teilnehmer seine Wünsche, Fähigkeiten und Fertigkeiten mit einbringen<br />

kann. Zudem sollte die Gestaltung des <strong>Sportunterricht</strong>s darauf abzielen, jedem<br />

Schüler Inhalte anzubieten, die seine Unabhängigkeit und Selbstständigkeit fördern<br />

(vgl. Sowa 1997, S. 10).<br />

Jeder Sportlehrer müsste sich demnach die Frage stellen, wie er seinen<br />

<strong>Sportunterricht</strong> aufbauen kann, damit jeder seiner Schüler aktiv am <strong>Sportunterricht</strong><br />

teilnehmen kann. Damit dies jedoch gewährleistet werden kann, muss man jeden<br />

Schüler genauer betrachten und seine Stärken und Schwächen herausfinden. Aus<br />

diesem Grund wird <strong>im</strong> Folgenden ein kurzer Einblick in die Krankengeschichte und<br />

den Könnensstand von Jonas Lacher gegeben.<br />

2.4 Jonas- ein Kind mit besonderen Bedürfnissen<br />

2.4.1 Kurze Biographie<br />

Jonas Lacher wurde am 23.11.1999 in Günzburg geboren. Er ist das ältere von zwei<br />

Kindern, wobei der jüngere Bruder gesund ist. Im Alter von vier Jahren kam Jonas in<br />

den Kindergarten und wurde 2007 in die Grundschule Günzburg Südost eingeschult.<br />

Zur Bewältigung des schulischen Alltags standen ihm zwei Individualbetreurinnen zur<br />

Seite.<br />

5


2.4.2 Das Krankheitsbild - Osteogenesis Imperfecta Typ III<br />

Bei der Erstuntersuchung <strong>im</strong> Krankenhaus wurden bei Jonas eine Deformierung der<br />

unteren Extremitäten und ein Einwärtsdrehen der Füße festgestellt. Hinzu kamen ein<br />

ausgeprägter Verknöcherungsdefekt des gesamten Hinterschädels und eine leichte<br />

Muskelhypotonie. Als Jonas sieben Monate alt war wurde die Diagnose einer<br />

Osteogenesis <strong>im</strong>perfecta Typ III gestellt (vgl. Ärztlicher Entlassungsbericht).<br />

Der Fachterminus „Osteogenesis Imperfecta“ beschreibt den meist <strong>im</strong> Mundgebrauch<br />

verwendeten Begriff der „Glasknochenkrankheit“. Dabei handelt es sich um eine<br />

seltene Erkrankung des Binde- und Stützgewebes, die auf Veränderungen der<br />

Erbsubstanz beruhen (vgl. Lehmann 2004, S.6).<br />

Das klinische Symptombild der Osteogenesis Imperfecta untergliedert sich nach<br />

Schweregrad der Erkrankung in sieben Typen. Bei Jonas wurde Typ III diagnostiziert,<br />

der zu den extremen Verlaufsformen der Osteogenesis <strong>im</strong>perfecta zählt. Die<br />

Betroffenen weisen eine geringe Körpergröße auf und sind häufig auf den Rollstuhl<br />

angewiesen. Zudem kommt die höchste Neigung zu Deformierung und<br />

Knochenbrüchen. Jonas war zu dem damaligen Zeitpunkt 90 cm groß und 13 kg<br />

schwer und hatte bereits viele Frakturen (vgl. Glaesner, Hagelsetin& Petersen n.v.,<br />

S.8).<br />

2.4.3 Könnensstand<br />

Bei einem integrativen <strong>Sportunterricht</strong> ist es sehr wichtig, Kinder mit Behinderungen<br />

nicht als Defizitwesen zu betrachten und nur ihre „Mängel“ hervorzuheben. „Auch<br />

wenn für Kinder mit einer Körperbehinderung Grenzen in ihrer motorischen<br />

Entwicklung bestehen, bedeutet dies nicht, dass ihre Bewegungsmöglichkeiten<br />

begrenzt werden dürfen“ (Hachmeister in Schoo 1999, S. 31, Herv. S.M.).<br />

Da sie täglich mit ihren Einschränkungen leben müssen, ist es wichtig, ihnen<br />

Entfaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen, die ihnen helfen, ihren Körper zu akzeptieren<br />

und sich mit ihm zu identifizieren. Um ihnen hierfür Erfolgserlebnisse geben zu<br />

können, müssen die Stärken der Schüler hervorgehoben werden, die sich bei jedem<br />

Kind entdecken lassen (vgl. Schoo 1999, S.31f.).<br />

Aus diesem Grund wollte ich mir noch ein genaueres Bild von Jonas’ motorischen<br />

Fähigkeiten machen und fuhr am 29.03.<strong>2010</strong> mit ihm und seiner Mutter nach Ulm zur<br />

Krankengymnastik. Während dieser Stunde konnte ich miterleben, welche<br />

Bewegungen Jonas gut ausführen konnte und welche ihm Probleme bereiteten.<br />

6


Jonas konnte sich generell nur fortbewegen, indem er auf den Unterarmen (Ellbogen)<br />

und Knien krabbelte. Der aufrechte Gang war für ihn nicht realisierbar. Aus der<br />

Bauchlage setzte er sich über die Seite hin und durch Gewichtsverlagerung rutschte<br />

er auf dem Gesäß nach vorne. Allerdings waren die Arme zum Abstützen auf den<br />

Boden nicht lang genug und er konnte sich nur durch das Festhalten an niedrigen<br />

Gegenständen aufrichten.<br />

Während den Übungen hatte ich Gelegenheit, mit der Krankengymnastin über<br />

mögliche Aktivitäten <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> zu sprechen. Auch Jonas wurde bei diesem<br />

Gespräch miteinbezogen und konnte selber seine Sichtweise mit einbringen. Für ihn<br />

war es extrem wichtig, Bewegungen in seinem eignen Tempo ausführen zu können,<br />

sie selbst zu steuern und den eigenen Rhythmus zu finden. Das Schwungtuch hätte<br />

sich hier beispielsweise nicht geeignet, da Jonas es <strong>im</strong> gleichen Tempo wie seine<br />

Mitschüler schwingen müsste. Des Weiteren waren ruckartige Bewegungen und<br />

Zweikämpfe unbedingt zu vermeiden.<br />

2.5 Situationsanalyse der Klasse<br />

2.5.1 Bemerkung zum Klassenverband<br />

Auch der Klassenverband ist bei einem integrativen <strong>Sportunterricht</strong> wichtig und wird<br />

<strong>im</strong> Folgenden näher erläutert.<br />

Die Kombiklasse 3b/4b setzte sich aus 25 Kindern zusammen, davon 12 Mädchen<br />

und 13 Jungen. Besonders bemerkenswert war das Sozialverhalten der Kinder<br />

untereinander. Gegenseitiges Helfen, selbstständiges Arbeiten in Gruppen und die<br />

Akzeptanz jedes einzelnen Kindes waren hier sehr stark ausgeprägt. Das<br />

vorherrschende Kl<strong>im</strong>a war sehr angenehm und die vereinbarten Regeln wurden von<br />

dem größten Teil der Klasse auch eingehalten. Dies war auch wichtig, damit ein<br />

gemeinsamer <strong>Sportunterricht</strong> mit Kindern mit und ohne Behinderung überhaupt<br />

funktionieren konnte.<br />

Jonas wurde in seiner Klasse ausnahmslos akzeptiert und behandelt wie jeder<br />

andere. Die Hilfsbereitschaft und die Rücksichtnahme ihm gegenüber waren enorm<br />

groß. Allerdings mussten die Kinder langsam an den richtigen Umgang mit Jonas<br />

herangeführt werden und auch er musste lernen, dass er seinen Klassenkameraden<br />

vertrauen konnte.<br />

7


2.5.2 Bemerkung zu einzelnen Schülern<br />

Im Folgenden werden einzelne Schüler näher beschrieben, um einen detaillierteren<br />

Einblick in die Schülerkonstellation zu erhalten.<br />

Einige Kinder, wie beispielsweise Johannes und Annika waren sehr oft an Jonas’<br />

Seite und unterstützten ihn tatkräftig. Sie waren äußerst hilfsbereit und brachten ihm<br />

Materialien, wenn er sie selber nicht beschaffen konnte.<br />

Robert fehlte auf Grund seiner Leukämieerkrankung sehr oft <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong>. Er<br />

wirkte oft abwesend und hatte die größten Probleme, sich an die vereinbarten<br />

Regeln zu halten. In der Zusammenarbeit mit Jonas war er manchmal noch etwas<br />

unbeholfen und vergaß leicht, dass hier besondere Vorsicht erforderlich war.<br />

Zudem gab es schon sehr pubertierende Jungen, wie Loran und T<strong>im</strong>, die gerne ihre<br />

„coole Seite“ zeigten. Im Umgang mit Jonas mussten sie <strong>im</strong> Laufe des Schuljahres<br />

für mehr Rücksichtnahme sensibilisiert werden und lernen, dass verstärkte Regeln<br />

zum Wohl aller Beteiligten beitrugen.<br />

Marc und Christian waren zwei sportlich sehr aktive und ehrgeizige Jungen. Sie<br />

sahen sich gerne in der Gewinnerposition und mussten des Öfteren daran erinnert<br />

werden, dass sie keine Einzelkämpfer waren. Wenn jedoch Jonas in ihrer Gruppe<br />

war, ging es nicht mehr ausschließlich um das Gewinnen, sondern um das<br />

gemeinsame Miteinander und das Fairplay. Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme<br />

rückten dann schnell in den Vordergrund. Daher war es für mich wichtig, Situationen<br />

zu arrangieren, bei denen vor allem die Teamarbeit und das Miteinander <strong>im</strong><br />

Mittelpunkt standen.<br />

8


3. Praktische Umsetzung<br />

3.1 Die Einbindung von Jonas in den <strong>Sportunterricht</strong><br />

3.1.1 Der <strong>Sportunterricht</strong> in der 1. und 2. Klasse<br />

In den ersten beiden Schuljahren war Jonas nicht <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> integriert und<br />

nahm eine Außenseiterrolle ein. Vor dem Geräteraum wurden für ihn <strong>im</strong>mer zwei<br />

Turnmatten bereitgelegt, auf denen er sich mit einem Mitschüler und seiner<br />

Individualbetreuerin aufhielt. Hier beschäftigte er sich mit einem Ball oder dem<br />

Rollbrett und nahm öfter die Rolle des passiven Zuschauers ein. Vor jeder<br />

Sportstunde suchte sich Jonas einen Schüler aus, der bei ihm blieb. Wenn jedoch<br />

ein attraktives Spiel für die Klasse angeboten wurde, lief dieser davon und Jonas<br />

geriet in Vergessenheit.<br />

In Schiedsrichtertätigkeiten wurde er nie mit einbezogen und langweilte sich nach<br />

eigenen Aussagen in seiner meist inaktiven Rolle. Der Inhalt <strong>im</strong> Sport basierte oft auf<br />

Fangspielen oder Spielen wie beispielsweise „Rübenziehen“, an denen Jonas nicht<br />

teilnehmen konnte. Lediglich be<strong>im</strong> Rundenlaufen in der Sporthalle konnte Jonas<br />

mitmachen.<br />

3.1.2 Das erste Schulhalbjahr 2009/10<br />

Den <strong>Sportunterricht</strong> teilte ich mir gemeinsam mit unserem Direktor, Herrn Hackel. Er<br />

gab in dieser Klasse die Einzelstunde am Donnerstag und ich die Doppelstunde am<br />

Montag.<br />

Im ersten Schulhalbjahr versuchte ich Jonas von Anfang an in den <strong>Sportunterricht</strong> mit<br />

einzubeziehen. Da er jeden zweiten Montag in der Krankengymnastik war, konnte er<br />

somit nur alle zwei Wochen am <strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen.<br />

Be<strong>im</strong> Turnen, wo die Kinder die Rolle vor- und rückwärts erlernten, legte ich für<br />

Jonas andere Kriterien fest, um ihm ein Mitmachen zu ermöglichen. Somit rollte er<br />

die schiefe Ebene über die Längsachse mit gestrecktem Körper hinunter. Zudem<br />

wurde in dieser Stunde in Kleingruppen gearbeitet, wobei die Schüler je nach<br />

eigenem Könnensstand eine Bahn auswählten, die verschiedene<br />

Differenzierungsangebote enthielt.<br />

Als am Ende der Sequenz die Noten abgenommen wurden, hatte Jonas Angst in den<br />

<strong>Sportunterricht</strong> zu gehen, da er die Anforderungen seiner Mitschüler nicht meistern<br />

konnte. Aber auch bei der Notengebung galten für ihn andere Kriterien, wie die oben<br />

9


ereits genannten. Um den Schwierigkeitsgrad auch bei ihm zu steigern, musste er<br />

beispielsweise einen Ball zwischen die Beine klemmen und ihn ohne zu verlieren<br />

nach unten befördern. Diese Aufgabe meisterte er sehr gut und konnte so<br />

entsprechend seiner individuellen Voraussetzungen beurteilt werden.<br />

Beteiligen konnte er sich auch bei der Ausdauersequenz und be<strong>im</strong> Werfen. Meine<br />

erste Unterrichtsvorbereitung <strong>im</strong> Sport richtete ich somit auch nach Jonas, damit er<br />

hier zusammen mit seiner ganzen Klasse teilnehmen konnte. Es ging dabei um die<br />

verschiedenen Wurfarten, wie Schlagwurf, Schöpfwurf und Brustwurf, bei denen<br />

Jonas problemlos mitmachen konnte. Be<strong>im</strong> freien Bewegen zu Beginn der Stunde<br />

wärmte sich Jonas allerdings mit einem Mitschüler in einem abgetrennten Feld auf<br />

und auch be<strong>im</strong> Abschlussspiel nahm er die Rolle meines Assistenten ein, da ich noch<br />

nicht genau einschätzen konnte, inwiefern die Klasse auf Jonas Rücksicht nehmen<br />

konnte. Be<strong>im</strong> Brennball erhielt Jonas eine eigene Bahn, die parallel zu der Bahn der<br />

anderen Kinder verlief.<br />

Im Januar brach sich Jonas zu Hause in der Badewanne seinen Arm und konnte drei<br />

Monate lang nicht am <strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen. Hierbei ist zu erwähnen, dass sich<br />

Jonas <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> nie eine Fraktur zugezogen hat.<br />

In der Zeit, wo er nicht am <strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen konnte, plante ich meinen<br />

Stoffverteilungsplan um und schob die Fußballsequenz dazwischen. Bei dieser<br />

Sportart hätte Jonas auf Grund seiner motorischen Eigenschaften nicht mitmachen<br />

können und somit bot sich diese Änderung an. In diesem integrativen <strong>Sportunterricht</strong><br />

war es wichtig sich nach den Gegebenheiten der Kinder zu richten, weshalb ein<br />

flexibles Handeln erforderlich war.<br />

Am Ende des ersten Halbjahres stellte ich fest, dass ich Jonas phasenweise sehr gut<br />

integrieren konnte und wollte ihn nun komplett mit einbeziehen. Seine Mutter änderte<br />

die Termine bei der Krankengymnastik und Jonas konnte somit jeden Montag am<br />

<strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen.<br />

3.1.3 Das zweite Schulhalbjahr <strong>2010</strong><br />

In der Bibliothek fand ich theoretische Ansätze, wie ein integrativer <strong>Sportunterricht</strong><br />

mit einem Kind mit besonderen Bedürfnissen allgemein möglich wäre. Jedoch gab es<br />

keine praktischen Hilfen, wie man mit einem Kind mit Osteogenesis Imperfecta einen<br />

integrativen Sport gestalten konnte. Demzufolge war es wichtig, Jonas und seine<br />

Klassenkameraden über einen best<strong>im</strong>mten Zeitraum zu beobachten und die Stunden<br />

10


nach deren Voraussetzungen zu planen. Im ersten Schulhalbjahr konnte ich meine<br />

Beobachtungen tätigen und lernte dabei die Klasse besser einzuschätzen und zu<br />

beurteilen. Somit konnte ich <strong>im</strong> zweiten Schulhalbjahr <strong>im</strong>mer gezielter entscheiden,<br />

welche sportlichen Aktivitäten mit allen Schülern umsetzbar waren.<br />

Als Jonas wieder am <strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen konnte, holte ich mir, wie bereits<br />

unter Punkt 2.4.3 beschrieben, Informationen zu seinem Könnensstand ein. Zudem<br />

nahm ich über das Internet Kontakt zu vielen anderen Betroffenen auf und erkundigte<br />

mich nach möglichen Ideen und Vorgehensweisen, die aber leider nicht sehr<br />

umfangreich waren, da Kinder mit Osteogenesis Imperfecta oft vom <strong>Sportunterricht</strong><br />

befreit werden.<br />

Ausgehend von all diesen Überlegungen plante ich integrative Sportstunden, die ich<br />

von den Oster- bis zu den Sommerferien durchführte.<br />

3.2 Stundenbeispiele zur Einbindung von Jonas in den <strong>Sportunterricht</strong><br />

3.2.1 Bewegungskünste - Zirkusstunde<br />

Zielsetzung<br />

3.4 Spielen- Gestalten - Fit werden<br />

3.4.1 Spielen mit der Bewegung<br />

Um den vertrauensvollen Umgang mit Jonas und seinen Klassenkameraden zu<br />

vertiefen, plante ich am 26.04.<strong>2010</strong> eine Zirkusstunde mit der gesamten Klasse.<br />

Durch die verschiedenen Interaktionsformen, wie gemeinschaftliches Üben und<br />

gegenseitiges Helfen, sollte dies umgesetzt werden. Die Schüler sollten bei den<br />

Menschenpyramiden genaue Absprachen treffen und eine gewisse Wachsamkeit für<br />

Jonas entwickeln. Zudem war es mir wichtig, intensive Körperkontakte zwischen ihm<br />

und seinen Mitschülern zu ermöglichen. Einerseits, um den Kindern die Angst vor<br />

Jonas’ Krankheit zu nehmen und ihnen auch bewusst zu machen, das sie selber eine<br />

hohe Verantwortung für sein Wohlergehen trugen und auf ihn besonders aufpassen<br />

mussten. Andererseits, um Jonas zu zeigen, dass er Vertrauen zu seinen<br />

Mitschülern aufbauen und sich auf sie verlassen konnte.<br />

Weitere Ziele dieser Stunde waren die koordinativen und kreativen Fähigkeiten der<br />

Schüler zu verbessern und ihnen die Freude an den Bewegungskünsten zu<br />

vermitteln.<br />

11


Praktische Durchführung<br />

Vorbereitungsstunde<br />

Eine Woche vor der geplanten Zirkusstunde wurde eine vorbereitende<br />

Einführungsstunde durchgeführt, um den Schülern best<strong>im</strong>mte Techniken und<br />

Verhaltensweisen näher zu bringen. Die Jongliertechnik wurde besprochen und von<br />

den Schülern gruppenweise geübt. Zudem wurden die Menschenpyramiden<br />

methodisch erarbeitet. Erste Körperkontakte fanden durch den Körper- TÜV statt,<br />

wobei die Kinder best<strong>im</strong>mte Körperteile anspannen mussten und ihre Partner die<br />

Muskelanspannung überprüften. Um die Standfestigkeit der Pyramide zu<br />

gewährleisten, übten alle Kinder die Bankstellung und korrigierten sich gegenseitig.<br />

Zudem wurden genaue Absprachen getroffen. Jonas musste seiner Gruppe<br />

beispielsweise sagen, wenn er auf die Menschenpyramide krabbelte und sich<br />

vergewissern, dass alle eine standfeste Position innehatten.<br />

Zirkusstunde<br />

In der eigentlichen Zirkusstunde wurde zum Aufwärmen ein Laufspiel durchgeführt,<br />

wobei die Schüler in ihren Gruppen zusammengingen und hintereinander her in<br />

Reihen zur Musik in der Halle herum liefen. Wenn die Musik stoppte, mussten sie zu<br />

verschiedenen Stationen laufen und dort mit Materialien, wie Tüchern, Jonglierbällen<br />

und Bändern Bewegungsaufgaben durchführen.<br />

Anschließend durchliefen die Schüler mit ihren Gruppen verschiedene Stationen<br />

(Jonglierkünste, Turnkunststücke, Löwengehege, Balancierkünste und<br />

Gruppenpyramiden) und führten die unterschiedlichen Aufgaben aus. Bei den<br />

Jonglierkünsten versuchten sie mit Bällen oder Tüchern zu jonglieren. Ihre<br />

Turnkunststücke übten sie auf der Matte, wobei Hilfsmittel oder andere Materialien<br />

miteinbezogen werden konnten. Im Löwengehege mussten die Schüler mit<br />

Rollbrettern eine Strecke, die mit Seilen ausgelegt war, abfahren und durften dabei<br />

die Seile nicht berühren. Da Jonas nicht <strong>im</strong> Laufen balancieren konnte, mussten er<br />

und seine Mitschüler in Bauchlage Sandsäckchen oder andere Materialien auf ihrem<br />

Kopf balancieren und sie sicher zur anderen Seite befördern. Um Jonas bei den<br />

Menschenpyramiden ein „Aufsteigen“ auf seine Mitschüler zu ermöglichen, wurden<br />

auf beiden Seiten kleine Kästen aufgestellt. Jonas konnte zuerst auf diese Hilfsmittel<br />

und anschließend auf den Rücken seiner Mitschüler krabbeln.<br />

12


Resümee<br />

Abb. 1: Jonas und seine Klassenkameraden<br />

bei der Ausführung der Menschenpyramide<br />

Diese Zirkusstunde übertraf meine Erwartungen. Sehr selbstständig übten die Kinder<br />

an den verschiedenen Stationen und gaben sich bei der Zwischenreflexion<br />

gegenseitig Tipps. Ihrer Kreativität ließen sie freien Lauf und somit hatte jeder seine<br />

individuellen Erfolgserlebnisse. Bei den Jonglierkünsten musste ich allerdings in der<br />

Vorbereitungsstunde feststellen, dass Jonas aufgrund seiner Armlänge nicht mit<br />

Tüchern jonglieren konnte und so lieh ich mir kleine Jonglierbälle aus, mit denen er in<br />

der Zirkusstunde üben konnte.<br />

Ein gewisses Risiko bestand bei der Station mit den Menschenpyramiden, da ein<br />

Zusammenbrechen der Pyramide oder ein Herunterfallen von Jonas eine weitere<br />

Fraktur bedeutet hätte. Jedoch stärkte gerade diese Verantwortung für Jonas das<br />

gegenseitige Vertrauen und ließ die Klasse noch stärker zusammenwachsen.<br />

3.2.2 Alltagsmaterialien - Turnen mit einer Zeitung<br />

Zielsetzung<br />

3.4 Spielen – Gestalten - Fit werden<br />

3.4.6 Turnen an Geräten<br />

Ein wesentliches Ziel dieser Stunde mit Alltagsmaterialien war, den Bewegungsdrang<br />

und den Erfindungsgeist der Schüler herauszufordern. Auch Jonas sollte hier<br />

sportliche Aktivitäten finden, die er unter Berücksichtigung seiner Gegebenheiten<br />

ausführen konnte. Zudem ging es darum, Ängste abzubauen und ein freies Agieren<br />

zu ermöglichen.<br />

Praktische Durchführung<br />

Bei der Aufwärmphase sollten die Kinder auf optische Signale reagieren und<br />

best<strong>im</strong>mte Bewegungsaufgaben mit ihrer Zeitung ausführen. Hieran schloss sich die<br />

13


freie Exper<strong>im</strong>entierphase an. In dieser offenen Phase ließen die Schüler ihrer<br />

Kreativität freien Lauf und überlegten sich mit ihrem Zeitungsbogen unterschiedliche<br />

Bewegungsaufgaben. Diese demonstrierten sie den Schülern und ahmten sie<br />

anschließend nach. Auch Jonas erfand Bewegungen, wie beispielsweise die Zeitung<br />

zu einem Knäuel zu formen, diesen hochzuwerfen, zu klatschen und ihn danach<br />

wieder aufzufangen. Daraufhin entwickelten die Schüler in Partnerarbeit best<strong>im</strong>mte<br />

Ideen, wie sie mit einer Zeitung spielerisch umgehen konnten.<br />

Nach dieser Phase zeigte ich den Kindern Bewegungen, die sie zu zweit ausführen<br />

sollten. Bei dem Spiel „Blinder und Blindenhund“ stellten sich die Schüler<br />

hintereinander auf und hielten einen Zeitungsbogen in Hochhalte. Das hintere Kind<br />

schloss die Augen und ließ sich vom Vordermann führen.<br />

Daraufhin wurde die Klasse in zwei Gruppen eingeteilt. Die einen hielten<br />

Zeitungsbögen in die Luft und die andern versuchten, diese abzuwerfen. Zum<br />

Ausklang stellten sich die Schüler gruppenweise in Reihen auf und transportieren die<br />

Kugeln aus Zeitungspapier zur anderen Hallenseite. Sieger war dabei die<br />

Mannschaft, die dies zuerst schaffte.<br />

Resümee<br />

Der Erfindungsgeist der Kinder konnte bei dieser Stunde voll zur Geltung kommen.<br />

Sie exper<strong>im</strong>entierten viel und auch Jonas konnte ungezwungen agieren, da er keine<br />

Angst vor harten Materialien haben musste.<br />

Dennoch war es wichtig, dass die Kinder sich in dieser Stunde an die vereinbarten<br />

Regeln hielten, da ein zu starkes Durcheinander be<strong>im</strong> freien Erproben Jonas<br />

gefährdet hätte. Auf Pfiff mussten die Schüler stehen bleiben und be<strong>im</strong> Kreiszeichen<br />

schnell in den Mittelkreis kommen. Jonas hielt sich bei der freien Phase am Rand der<br />

Halle auf, um das Risiko eines Zusammenstoßens zu vermeiden. Auch be<strong>im</strong><br />

Abschlussspiel war es wichtig, dass Jonas in der Reihenaufstellung den letzten Platz<br />

einnahm, damit der nötige Freiraum für ihn gewährleistet war und er nicht in der Mitte<br />

unterging.<br />

14


3.2.3 Spiele mit Hand und Schläger<br />

Zielsetzung<br />

3.4 Spielen- Gestalten- Fit werden<br />

3.4.5 Spielen mit Bällen<br />

Der Schwerpunkt dieser Stunde lag darin, dass die Schüler Erfahrungen mit<br />

unterschiedlichen Bällen und Schlägern sammeln konnten, um die für ihre<br />

Könnensstufe geeigneten Materialien selbst herauszufinden. Zudem ging es darum,<br />

best<strong>im</strong>mte Bälle mit der Hand oder dem Schläger zu spielen und eine gewisse<br />

Geschicklichkeit <strong>im</strong> Umgang mit den Geräten zu entwickeln. Da die Bälle hin- und<br />

hergespielt wurden, bestand keine Gefahr von Zweikämpfen und durch eine gut<br />

organisierte Aufstellung sollte auch Jonas seinen Freiraum zum eigenständigen<br />

Agieren erhalten. Seine Klassenkameraden sollten in dieser Stunde lernen,<br />

Rücksicht auf Jonas zu nehmen und mit Geduld ein gemeinsames Rückschlagspiel<br />

zu arrangieren, bei dem nicht das Gewinnen, sondern das „Gemeinsame<br />

Miteinander“ <strong>im</strong> Mittelpunkt stand.<br />

Praktische Durchführung<br />

Nachdem die Schüler frei mit dem Luftballon exper<strong>im</strong>entieren konnten, stellte ich<br />

ihnen best<strong>im</strong>mte „Wer kann“ Aufgaben, wie beispielsweise „Wie lange kannst du den<br />

Luftballon in der Luft halten, ohne dass er herunterfällt?“ oder „Kannst du den<br />

Luftballon mit deiner Hand zu deinem Partner spielen?“. In der Zwischenreflexion<br />

erklärten die Kinder sich gegenseitig, wie sie die Hand halten mussten, um sich den<br />

Luftballon zuspielen zu können.<br />

Anschließend setzten sie ihre Ideen um. Das Ganze wurde auch mit anderen Bällen,<br />

wie beispielsweise Gymnastik- oder Tennisbällen, ausprobiert. Durch andere<br />

Materialien wie Reifen oder Hütchen lernten die Schüler die Bälle passgenau ihrem<br />

Partner zuzuspielen und mit viel Geschicklichkeit den Gegenstand zu treffen.<br />

Nach diesen Übungen spielten sich die Schüler mit unterschiedlichen Schlägern die<br />

verschiedenen Bälle zu und suchten sich entsprechend ihrer Fähigkeiten den<br />

Richtigen aus. Verwendung fanden hier Badminton- oder Beachballschläger. Für<br />

Jonas hatte ich mir einen kleinen Badmintonschläger ausgeliehen, der entsprechend<br />

seiner Armlänge besser auf ihn abgest<strong>im</strong>mt war.<br />

15


Abb. 2: Jonas und Marc<br />

be<strong>im</strong> Badmintonspielen<br />

Zum Ausklang setzten sich alle Beteiligten <strong>im</strong> Kreis zusammen und massierten sich<br />

gegenseitig entsprechend einer Geschichte, die ich ihnen zu dem „Igelball“ erzählte.<br />

Resümee<br />

Die methodische Aufbereitung wurde von den Schülern gut umgesetzt und sie<br />

fanden individuell ihre Geräte, mit denen sie am besten umgehen konnten.<br />

Leistungsstärkere Schüler spielten schnell mit den Badmintonschlägern und den<br />

Federbällen. Andere hingegen hielten sich lieber bei anderen Geräten auf, wie<br />

beispielsweise den Gymnastikbällen oder den Luftballons. Auch Jonas spielte zu<br />

Beginn den Luftballon mit dem Badmintonschläger seinem Partner zu, da er diesen<br />

auf Grund seiner langsamen Geschwindigkeit gut kontrollieren konnte. Später<br />

versuchte er es auch mit dem Federball, dessen Umgang für ihn schwieriger war, der<br />

ihn aber auch in gewisser Weise herausforderte.<br />

Für seinen Mitspieler ging es pr<strong>im</strong>är darum, passgenau zu Jonas zu spielen, um ein<br />

gemeinsames Spiel zu ermöglichen. Marc, der ansonsten sehr auf das Gewinnen <strong>im</strong><br />

Sport aus war, zeigte hierbei eine andere Seite, da ihm das gemeinsame Spielen in<br />

dieser Hinsicht wichtiger erschien. Auch die anderen Kinder kamen auf ihre Kosten,<br />

da diese Stunde wieder sehr differenziert war und jedem Schüler gerecht wurde.<br />

3.2.4 Bewegungslandschaft – In den Bergen<br />

Zielsetzung<br />

3.4 Spielen- Gestalten- Fit werden<br />

3.4.6 Turnen an Geräten<br />

Damit Jonas <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> nicht <strong>im</strong>mer an den Rollstuhl gebunden war, plante<br />

ich eine Sportstunde, bei der er auf gleicher Augenhöhe mit seinen Mitschülern sein<br />

16


konnte. Da er fast den ganzen Tag nur sitzend verbrachte, ist es laut Glaesner,<br />

Hagelstein & Petersen (n.v., S.76) wichtig, einen Bewegungsparcours mit seiner<br />

eigenen Fortbewegungsart zu durchlaufen. Aus diesem Grund stellte ich eine<br />

Bewegungslandschaft für die gesamte Klasse zusammen, wobei viele<br />

Wahrnehmungsbereiche sowie die Grobmotorik gefördert und viele Muskelgruppen<br />

gestärkt werden sollten. Zudem sollten die Kinder selbst an dem Umbau des<br />

Parcours mitwirken und ihre Ideen mit einbringen.<br />

Praktische Durchführung<br />

Schwerpunkt dieser Sportstunde waren die verschiedenen Stationen, welche die<br />

Schüler zum Thema „In den Bergen“ durchliefen. An der Station „Wacklige Brücke“<br />

mussten sie sich in Bauchlage an Kästen entlang vorziehen, ohne dabei die<br />

aufgestellten Reifen zu berühren. Bei der nächsten Station „Achtung Felsbrocken“<br />

sollten die Beteiligten unter einer Matte hindurch kriechen und am Ende mit einer<br />

Rolle vor- oder seitwärts abschließen. Um auch die Arm- und Rückenmuskulatur zu<br />

trainieren, mussten sich die Kinder auf einem Rollbrett liegend an einem Seil entlang<br />

zur Sprossenwand ziehen. Des Weiteren gab es noch zwei andere Stationen. Zum<br />

einen „Kurvenreiche Bergstraße“, bei der die Kinder mit ihren Rollbrettern durch<br />

Stangen und bogenförmige Matten fuhren und zum anderen „Berg herunterrollen“ wo<br />

sie zwei Weichbodenmatten hinauf kriechen mussten und anschließend in<br />

Bauchlage hinunterrollten.<br />

Bei der Zwischenreflexion hatten die Kinder die Möglichkeit, Änderungen an den<br />

Stationen vorzunehmen und den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen.<br />

Resümee<br />

Während dieser Sportstunde war Jonas genauso aktiv wie seine Mitschüler.<br />

Unterschiede fielen dabei nicht mehr auf. Da er aber ohne Rollstuhl Sport machte,<br />

galt für die Anderen eine erhöhte Aufmerksamkeitsbereitschaft und so wurde die<br />

allgemeine Regel aufgestellt, dass der Nächste erst an die Station durfte, wenn sein<br />

Vordermann bei einem vereinbarten Punkt angelangt war.<br />

Jonas konnte hier seine tatsächlichen motorischen Möglichkeiten kennen lernen und<br />

weiter ausschöpfen. Alle Bewegungsaufgaben konnte er zudem selbstständig und<br />

mit seinen individuellen Möglichkeiten lösen.<br />

Der Stationenwechsel, welcher <strong>im</strong> Uhrzeigersinn erfolgte, wurde mit Musik<br />

unterstützt. Durch dieses eingeübte Signal war ein reibungsloser Ablauf garantiert.<br />

17


Mittlerweile konnte ich die Kinder auch so gut einschätzen, dass ich Jonas<br />

bedenkenlos ohne Rollstuhl teilnehmen ließ. Seine Individualbetreuerin, Frau Gürtler,<br />

war zudem auch <strong>im</strong>mer an seiner Seite und hätte gegebenenfalls eingreifen können.<br />

3.2.5 Pädagogische Staffelspiele<br />

Zielsetzung<br />

3.4 Spielen- Gestalten- Fit werden<br />

3.4.3 Laufen, springen, werfen<br />

Bei Staffelspielen mit heterogenen Gruppen ist es erforderlich, die Diskrepanz<br />

zwischen läuferisch starken und motorisch eingeschränkten Mitspielern<br />

auszugleichen (vgl. Schoo 1999, S. 68).<br />

Deshalb war das Hauptziel dieser Stunde, den Schülern die bestehenden<br />

Ungleichheiten zwischen ihnen und Jonas zu verdeutlichen und sie zum Nachdenken<br />

anzuregen, wie sie diese Unterschiede aufheben konnten. Im Mittelpunkt stand somit<br />

nicht wer gewinnt, sondern welche Mannschaft es schaffte, die Regeln so<br />

festzulegen, dass alle die gleichen Erfolgschancen hatten.<br />

Praktische Durchführung<br />

Um die Schüler für die bestehende Situation zu sensibilisieren, ließ ich am Anfang<br />

die Staffeln in ihren Sportgruppen gegeneinander laufen. Bewusst erhielt jeder<br />

Schüler die gleiche Aufgabe und auch Jonas musste <strong>im</strong> Rollstuhl genauso, wie seine<br />

Mitschüler die gleiche Strecke in Form einer Pendelstaffel zurücklegen.<br />

In der Zwischenreflexion sprachen die Kinder sehr schnell davon, dass ungerechte<br />

Bedingungen für Jonas vorherrschten, da er mit seinem Rollstuhl viel langsamer war,<br />

als die Anderen. Zur Problemlösung diskutierten die Gruppen über mögliche<br />

Variationen und hielten ihre Ideen auf einem Blatt fest (siehe Anhang 1).<br />

Anschließend stellte jede Gruppe ihre Strategie vor, die auch gleich umgesetzt<br />

wurde. Damit die Schüler ein Gefühl für die Lage von Jonas bekommen konnten,<br />

hatte ich mir <strong>im</strong> Vorfeld einen Rollstuhl vom Augsburger Klinikum ausgeliehen.<br />

Dieser wurde <strong>im</strong>mer von einem Mitglied der präsentierenden Gruppe gefahren, damit<br />

diese auch selber das Resultat ihrer Idee erfassen konnten.<br />

Bei der ersten Gruppe fuhren die beiden Rollstuhlfahrer von der gegenüberliegenden<br />

Seite aus los, um sich eine Streckenlänge zu sparen. Die restlichen Schüler liefen die<br />

Strecke zwe<strong>im</strong>al, da sie von dem normalen Startpunkt aus losliefen. Nach jeder<br />

18


Staffel fand ein Gespräch statt und hierbei stellte sich heraus, dass die<br />

Rollstuhlfahrer <strong>im</strong>mer noch benachteiligt waren.<br />

Daran anschließend wurden die Ideen der restlichen Gruppen ausprobiert. Diese<br />

waren unter anderem, dass die anderen Schüler ein Handicap bekamen, wie auf<br />

einem Bein zu hüpfen oder sich <strong>im</strong> Vierfüßlergang fortzubewegen. Auch die<br />

Streckenlänge wurde variiert. Die beiden Rollstuhlfahrer fuhren zu einem Hütchen,<br />

das in der Mitte der Strecke platziert wurde, die anderen mussten die übliche Strecke<br />

ablaufen. Bei der Puzzlestaffel nahmen sie anstatt einem Puzzleteil gleich zwei mit.<br />

Am Ende fand die Klasse eine opt<strong>im</strong>ale Lösung, wobei die Rollstuhlfahrer nur bis zu<br />

der Mitte des Hütchens fuhren und alle anderen Kinder die längere Strecke <strong>im</strong><br />

beidbeinigen Hüpfen zurücklegen mussten.<br />

Zum Ausklang wurden Glückstaffeln gespielt, bei der die Gruppe mit dem meisten<br />

Glück und nicht mit den schnellsten Schülern gewinnen konnte.<br />

Resümee<br />

In dieser Stunde gelang es den Kindern ganz alleine, die unterschiedlichen<br />

Voraussetzungen zu erkennen und zu berücksichtigen. Hierfür musste ich ihnen nur<br />

die entsprechenden Anregungen geben und die Ergebnisse mit ihnen in einer<br />

Zwischenreflexion erörtern.<br />

Die Kinder hatten genug Phantasie, um die bestehenden Unterschiede zu<br />

überwinden und die Spielregeln entsprechend anzupassen. Dies dauerte eine<br />

gewisse Zeit, aber am Ende waren alle Kinder mit den gemeinsam vereinbarten<br />

Änderungen zugunsten einer Chancengleichheit zufrieden. Im Mittelpunkt stand<br />

eindeutig die gleichberechtigte Teilhabe an den Staffelspielen und nicht wer<br />

letztendlich gewonnen hatte. Im sozialen Miteinander haben die Kinder sehr viel über<br />

Gerechtigkeit gelernt, was ihnen hoffentlich noch länger <strong>im</strong> Gedächtnis bleiben wird.<br />

3.3 Der Rollstuhltag<br />

3.3.1 Warum ein Rollstuhltag?<br />

Bereits <strong>im</strong> Februar <strong>2010</strong> nahm ich über das Internet Kontakt zu verschiedenen<br />

Gesellschaften für Menschen mit dem Krankheitsbild Osteogenesis Imperfecta auf<br />

und suchte nach kompetenten Fachleuten. Mein Anliegen war es, einen Rollstuhltag<br />

für die gesamte Klasse zu organisieren, um alle Kinder für das Gefühl <strong>im</strong> Rollstuhl zu<br />

sensibilisieren. Sie sollten so weit wie möglich nachvollziehen können, welche<br />

19


Bedürfnisse und Schwierigkeiten ein Rollstuhlfahrer <strong>im</strong> Alltag hat, um sich noch<br />

besser in Jonas hineinversetzen zu können (vgl. Deutscher Rollstuhl-Sportverband<br />

2009, S. 17f.).<br />

Nach vielen Telefonaten, die in ganz Deutschland stattfanden, bekam ich den Tipp,<br />

bei Frau Birgit Meitner, einer aktiven Rollstuhlbasketballerin anzurufen. Sie hat<br />

erfolgreich bei den Paralympics teilgenommen und die Silbermedaille mit ihrer<br />

Mannschaft gewonnen. Gleich bei unserem ersten Telefonat erklärte sie sich bereit,<br />

den Rollstuhltag in der Kombiklasse durchzuführen.<br />

3.3.2 Der Ablauf des Rollstuhltages<br />

Am 21.06.<strong>2010</strong> kam Frau Meitner mit zwei ihrer Teamkollegen, Manfred Wolf und<br />

Natalie S<strong>im</strong>anowski, an die Grundschule Günzburg Südost. Mit dabei hatten sie zwölf<br />

Sportrollstühle, die sie für die Kinder in der Halle bereitstellten. Auch die örtliche<br />

Presse war von Herrn Wolf verständigt worden und schrieb einen Artikel über diesen<br />

Rollstuhltag (siehe Anhang 2).<br />

Zu Beginn fand eine Gesprächsrunde statt, bei der die Schüler Fragen an Frau<br />

Meitner stellten, die vorab <strong>im</strong> Klassenverband erarbeitet wurden (siehe Anhang 3).<br />

Hierfür hatte ich den Kindern eine Woche vor dem Rollstuhltag eine Powerpoint<br />

Präsentation mit den wichtigsten Informationen über ihre Person und ihren Sport<br />

gezeigt. Darauf basierend schrieben die Schüler Fragen auf, die sie Frau Meitner an<br />

diesem Tag stellten.<br />

Anschließend gingen die Kinder <strong>im</strong>mer paarweise zusammen und vollführten erste<br />

Eingewöhnungsübungen für den Umgang mit einem Rollstuhl. Dies beinhaltete unter<br />

anderem geradeaus zu fahren, Slalom vorwärts und rückwärts zu fahren und ein<br />

Slalomrennen. Zudem lernten die Kinder, wie sie <strong>im</strong> Fahren einen Ball aufnehmen<br />

konnten.<br />

Daraufhin wurde die Klasse in drei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe spielte<br />

gegeneinander Basketball (vier gegen vier), die nächste Gruppe absolvierte<br />

Korbwurfübungen und die dritte Gruppe übte mit Jonglierbällen das genaue Werfen<br />

und Fangen.<br />

Nach kurzem Bedenken, Jonas auch bei dem Basketballspiel antreten zu lassen,<br />

waren wir uns schnell einig, dass wir es versuchen wollten. Ein Zusammenstoßen<br />

der Rollstühle hätte für Jonas unangenehme Folgen gehabt. Aus diesem Grund<br />

sprach ich mit den beteiligten Kindern über die Vorsichtsmaßnahmen. Somit<br />

20


edeutete ein langer Pfiff sofort stehen zu bleiben, woran sich die Kinder auch<br />

vorbildhaft hielten.<br />

Zwei volle Stunden dauerte der Rollstuhltag und am Ende stellten die Kinder noch<br />

einmal Fragen, wie etwa „Wie hast du diese Behinderung bekommen?“ oder „Wie ist<br />

die Umstellung von früher, wo du laufen konntest, auf jetzt, wo du <strong>im</strong> Rollstuhl sitzen<br />

musst?“. Zum Schluss verabschiedeten sich alle per Handschlag bei den Dreien und<br />

bedankten sich für den tollen Rollstuhltag.<br />

3.3.3 Die Sportstunde der Klasse 3b/4b<br />

Um mir ein Bild über den Lernzuwachs der Kinder machen zu können, erhielten sie<br />

gleich <strong>im</strong> Anschluss an den Rollstuhltag eine Aufgabe von mir. Sie sollten selber eine<br />

Basketballstunde planen, bei der Jonas und die gesamte Klasse gleichermaßen<br />

mitmachen konnte. Hierfür wurde den bestehenden Gruppen ein Platz in der Halle<br />

zugewiesen und sie bekamen ein leeres Stationenblatt, um ihre Ideen festzuhalten.<br />

Ohne meine Hilfe stellten sie Stationen zusammen und planten mit ihrer eigenen<br />

Kreativität eine integrative Sportstunde. Bei zwei Gruppen kam es während der<br />

Planung zu Meinungsdifferenzen, die aber nach einem Gespräch behoben werden<br />

konnten.<br />

Anschließend stellten die Gruppen ihre Stationen vor und alle Kinder durchliefen sie<br />

einmal. Jonas konnte bei allen Stationen bis auf einer problemlos mitmachen. Eine<br />

Gruppe hatte jedoch Jonas’ Größe bei der Planung nicht beachtet, da er auch auf<br />

den großen Basketballkorb werfen sollte. Aber schon bei der Vorstellungsrunde<br />

bemerkten einige Kinder dieses Defizit. Dies wurde jedoch gleich behoben, indem<br />

zwei Kinder einen kleinen Kasten holten, diesen umdrehten und daneben stellten.<br />

3.3.4 Resümee<br />

Die Begeisterung der Kinder über diesen Rollstuhltag war groß. Mit viel Interesse<br />

verfolgten sie die Gesprächsrunden und zeigten ihr Mitgefühl bei den Schilderungen,<br />

wie es zu der jeweiligen Behinderung kam.<br />

Am Anfang hatten viele Kinder Probleme bei der Handhabung des Rollstuhles, aber<br />

die drei geübten Rollstuhlfahrer und Jonas konnten hier hilfreiche Tipps geben. Mit<br />

der Zeit wurden die Schüler <strong>im</strong> Umgang mit dem Rollstuhl sicherer und es machte<br />

ihnen offenkundig Spaß mal einen anderen <strong>Sportunterricht</strong> zu erleben.<br />

21


Deutlich zu spüren war die Rücksichtnahme der Kinder be<strong>im</strong> Basketballspiel. Hier<br />

hielten sie Jonas den Weg frei, ohne ihn bewusst zu verteidigen.<br />

Am Ende des Schultages hielten die Schüler ihre Eindrücke und Meinungen zu dem<br />

Rollstuhlsport schriftlich fest. Auf die Frage „Wie hat es sich angefühlt, <strong>im</strong> Rollstuhl<br />

Sport zu machen?“ kamen folgende Antworten:<br />

• „Dieses Gefühl <strong>im</strong> Rollstuhl zu sitzen ist wie alleine und verlassen zu sein“ (Marc, 4.<br />

Klasse).<br />

• „Es macht Spaß <strong>im</strong> Rollstuhl zu sitzen, aber es ist ungewohnt, weil das ist mein erstes<br />

mal, wo ich in einem Rollstuhl sitze und das ist schwer für mich. Mir hat das Spiel am<br />

besten gefallen, weil da merkt man, dass man alleine kein Tor machen kann. Nur mit<br />

einem Team das habe ich gemerkt“ (Elvan, 3. Klasse).<br />

• „Es war toll zu erfahren, das es Ballsportarten gibt, die man <strong>im</strong> Rollstuhl machen kann“<br />

(n.v. 3./4. Klasse).<br />

• „Es war toll, aber mein Leben lang würde ich es nicht mögen. Aber es war toll zu erfahren,<br />

wie Behinderte Sport machen“ (Corina, 3. Klasse).<br />

Der größte Teil der Klasse war von den Möglichkeiten, wie Menschen mit<br />

Behinderungen Sport treiben können, sehr angetan. Dennoch sind sich alle einig,<br />

dass sie nicht für längere Zeit in einem Rollstuhl sitzen möchten, da es doch ein<br />

ungewohntes Gefühl ist und man in gewisser Weise sehr eingeschränkt ist.<br />

Größtenteils wurde bei der selbst entworfenen Stunde für Jonas auch an den<br />

Gymnastikball gedacht, der auf Grund des weicheren Materials keine<br />

Verletzungsgefahr darstellte. Eine Gruppe wollte sogar einen Schiedsrichter haben,<br />

der aufpassen sollte, dass nichts passiert. Hieran konnte man klar sehen, dass die<br />

Kinder innerhalb dieses Schuljahres viel dazugelernt hatten, vor allem wie man einen<br />

integrativen <strong>Sportunterricht</strong> umsetzt und auf was man dabei achten muss.<br />

3.4 Fragebogenauswertung<br />

Um die Einstellung von Jonas’ Klassenkameraden zum integrativen <strong>Sportunterricht</strong><br />

widerspiegeln zu können, teilte ich am Ende des Schuljahres einen Fragebogen<br />

(siehe Anhang 6) aus, den die Kinder anonym beantworteten. An diesem Tag war ein<br />

Kind krank, weshalb nur 23 Fragebögen ausgefüllt wurden. Da sehr viele Antworten<br />

das Gleiche aussagten oder sogar exakt <strong>im</strong> Wortlaut übereinst<strong>im</strong>mten, werden <strong>im</strong><br />

Folgenden vor allem die Antworten wiedergegeben, die einen guten Einblick<br />

gewähren.<br />

22


Der Fragebogen gliederte sich in drei Teile: Die Sichtweise der Schüler zum<br />

<strong>Sportunterricht</strong> in den beiden ersten Schuljahren, ihre Einstellung zum derzeitigen<br />

<strong>Sportunterricht</strong> und ihre Meinung, warum der Sport für Jonas wichtig ist.<br />

Auf die erste Frage „Jonas konnte die ersten beiden Schuljahre nicht ganz am<br />

<strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen. Wie fandest du das?“ waren sich alle Kinder einig,<br />

dass sie dies keinesfalls gut fanden und begründeten ihre Meinung auch mit<br />

folgenden Argumenten:<br />

• „Ich fand es gemein, weil wenn jemand außen stehen muss fühlt man sich<br />

ausgeschlossen.“<br />

• „Ich fand es gemein, denn Jonas kann ja nichts dafür dass er Glasknochen hat. Man hätte<br />

ja für ihn das Gleiche aufbauen können. Und zwar so wie er es kann.“<br />

• „Ich fand es gemein, weil Jonas ja auch ein Mensch ist.“<br />

• „Ich fand das blöd, weil er sogar bei manchen Sachen mitmachen konnte aber nicht<br />

durfte. Und er saß <strong>im</strong>mer am Rand und musste zuschauen.“<br />

• „Ich fand das blöd, weil er dann <strong>im</strong>mer alleine ist und zuschauen muss, wie wir Spaß<br />

hatten und er war dann traurig.“<br />

Die Kinder in dieser Klasse hatten einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Ihrer<br />

Ansicht nach war die Ausgrenzung von Jonas nicht angebracht und auch seine<br />

Gefühlslage, die er alleine als Außenseiter innehatte, konnten sie nachvollziehen.<br />

Obwohl der Fragebogen bewusst anonym ausgefüllt wurde und die Kinder auch von<br />

meiner Seite zu ehrlichen Antworten angehalten wurden, kam hier keine Antwort, die<br />

die separate Behandlung von Jonas für gut befunden hätte.<br />

Demzufolge wurde die zweite Frage „Findest du es gut, dass Jonas jetzt <strong>im</strong><br />

<strong>Sportunterricht</strong> <strong>im</strong>mer mitmachen kann?“ einst<strong>im</strong>mig mit „Ja“ beantwortet.<br />

Nachfolgend wurden bei der Frage „Warum? Begründe!“, verschiedene Aspekte<br />

genannt.<br />

• „Weil er sonst ausgegrenzt wurde.“<br />

• „Weil er genauso ein Mensch ist wie alle anderen.“<br />

• „Weil er dann nicht mehr so allein ist.“<br />

Zudem sprachen drei Kinder den Fairnessgedanken an, dass jeder das Recht hat<br />

mitzumachen. Weiterhin wurde von sechs Kindern ein Argument gegen Langeweile<br />

genannt. Ein Kind schrieb, dass es für Jonas wichtig ist, wieder aktiv Sport zu treiben<br />

und auch der Spaßfaktor wurde von ein paar Kindern berücksichtigt:<br />

23


• „Weil er dann genauso viel Spaß haben kann wie wir.“<br />

• „Dann hat er Spaß am <strong>Sportunterricht</strong> und denkt vielleicht nicht an seine Glasknochen.“<br />

Bei der vierten Frage „Musst du auf ihn während der Sportstunde besonders<br />

Rücksicht nehmen? Stört dich das manchmal?“ war es mir wichtig zu erfahren,<br />

wie die Teilnahme von Jonas <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> empfunden wird. Ob er<br />

möglicherweise als Störfaktor gesehen wurde, weil Rücksichtnahme unbedingt<br />

erforderlich war.<br />

Ein Kind schrieb, dass es nur manchmal besonders aufpassen müsse, andere<br />

erwähnten, dass Jonas ja sehr gut auf sich selber aufpasst und sie gegenseitig<br />

Rücksicht nehmen.<br />

Auf die zweite Teilfrage sind nur zehn Kinder näher eingegangen. Unter anderem<br />

wurde hier geantwortet:<br />

• „Jetzt muss ich zwar Rücksicht nehmen, aber es macht jetzt viel mehr Spaß.“<br />

• „Ich muss zwar vorsichtiger sein, aber ich habe mich schon daran gewöhnt.“<br />

• „Ja, aber das macht mir nichts aus, weil er mein Freund ist.“<br />

• „Ich nehme gerne auf ihn Rücksicht, weil er dann mitmachen kann.“<br />

• „Ja, ich muss Rücksicht nehmen. Die Stunden mit Jonas sind aber cool!“<br />

Entgegen meiner Erwartungen kamen hier nur positive Rückmeldungen. Kein Kind<br />

erwähnte, dass es die Rücksichtnahme als störend empfand oder Jonas eine<br />

Belastung für den Unterrichtsablauf darstellte.<br />

Auf die letzte Frage „Was glaubst du, warum es für Jonas wichtig ist <strong>im</strong><br />

<strong>Sportunterricht</strong> mitzumachen?“ schrieb fast die Hälfte der Kinder, dass er dadurch<br />

ein Teil von ihnen ist und auch <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> dazugehört.<br />

• „Er kann jetzt mehr ein Mitglied der Gemeinschaft werden.“<br />

• „Weil er nicht von der Klasse ausgeschlossen ist wenn wir Sport haben.“<br />

• „Dass er nicht mehr so allein ist.“<br />

Acht andere schrieben, dass der sportliche Aspekt auch für Jonas’ Gesundheit<br />

wichtig ist:<br />

• „Dass er sieht dass er auch Sport machen kann und <strong>im</strong>mer fit bleibt.“<br />

• „Damit er mehr Kraft für das Rollifahren bekommt.“<br />

24


Hierbei konnte man klar erkennen, dass die Kinder auch an Jonas’ Fitness dachten<br />

und auch den gesundheitlichen Faktor bei ihm für wichtig erachteten.<br />

3.5 Interview mit Jonas<br />

Am Ende des Schuljahres führte ich zudem mit Jonas ein Interview durch, um auch<br />

seine Sichtweise näher zu betrachten. Die wichtigsten Gesprächsinhalte werden <strong>im</strong><br />

Folgenden wiedergegeben.<br />

1. Frage:<br />

Wie war denn der <strong>Sportunterricht</strong> in der 1. und 2. Klasse für dich?<br />

Jonas:<br />

Es war sehr langweilig, weil ich nichts mitmachen konnte. Oder zumindest das<br />

meiste nicht mitmachen konnte. Ich musste <strong>im</strong>mer extra, separat mit einem Kind auf<br />

einer Matte turnen. Mit irgendwelchen Geräten, die da waren und wenn ein tolles<br />

Spiel kam, sind die Kinder dann auch weggerannt.<br />

2. Frage:<br />

Erzähl doch mal genauer, wie der <strong>Sportunterricht</strong> in diesem Schuljahr war.<br />

Jonas:<br />

Ich kann jetzt alles mitmachen und gehöre auch <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> zur Klasse dazu.<br />

So wie es eigentlich sein sollte.<br />

3. Frage:<br />

Was wünschst du dir für den <strong>Sportunterricht</strong> in den kommenden Schuljahren?<br />

Jonas:<br />

Ich wünsche mir, dass ich wieder so weitermachen kann, wie dieses Schuljahr, dass<br />

ich alle Spiele mitmachen kann und dass es wieder so tolle Aktionen gibt, wie den<br />

Rollstuhltag.<br />

25


4. Resümee<br />

Der Gedanke, nicht die Spieler dem Spiel, sondern das Spiel den Spielern<br />

anzupassen, war mir in diesem Schuljahr ein wichtiger Leitsatz, an dem ich<br />

kontinuierlich gearbeitet habe. Als Sportlehrerin waren zwei Anforderungen an mich<br />

gestellt. Einerseits den leistungsstärkeren Schülern in dieser Klasse gerecht zu<br />

werden und andererseits Beteiligungschancen für Jonas zu finden, durch die er, wie<br />

seine Mitschüler, am <strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen konnte. Dies war eine schwierige<br />

Gradwanderung, da auf der einen Seite Jonas’ Klassenkameraden auf Grund der<br />

geforderten Rücksichtnahme nicht das Interesse am gemeinsamen <strong>Sportunterricht</strong><br />

verlieren durften und auf der anderen Seite Jonas nicht gefährdet werden durfte, um<br />

ihm eine ungezwungene Teilnahme zu ermöglichen (vgl. Schoo 1999, S.37).<br />

In diese neue Aufgabe musste ich auch erst hineinwachsen und mir neues Wissen<br />

selbst aneignen. Faktoren, die sich für mich in einem integrativen <strong>Sportunterricht</strong> als<br />

wichtig herausgestellt haben, waren unter anderem Offenheit, Flexibilität, Kreativität<br />

und eine Portion Mut, <strong>im</strong>mer wieder neues auszuprobieren.<br />

Rückblickend war es mir, vor allem <strong>im</strong> zweiten Schulhalbjahr, gelungen, Jonas<br />

vollständig <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> zu integrieren und ihm Beteiligungschancen zu bieten,<br />

die eine aktive Teilnahme seinerseits ermöglichten. Auch die Klasse hat in diesem<br />

Schuljahr viel dazugelernt, vor allem das Menschen mit Behinderungen die gleichen<br />

Bedürfnisse haben wie wir alle und dass jeder von uns etwas dazu beitragen kann,<br />

sie in unserer Mitte aufzunehmen.<br />

Das Sozialverhalten war in dieser Klasse unwahrscheinlich stark ausgeprägt. Jeder<br />

bot seine Hilfe an und unterstützt den anderen, wo er nur konnte. Dass dies gerade<br />

in Jonas’ Klasse so war, war best<strong>im</strong>mt kein Zufall. Er hat diese Klasse geprägt und<br />

den Kindern Dinge beigebracht, die sie hoffentlich auch in Zukunft zu einem<br />

hilfsbereiten, toleranten und vorurteilsfreien Umgang mit anderen Menschen anleiten<br />

werden.<br />

Im Sommer konnte Jonas zudem, genau wie seine Mitschüler, das Deutsche<br />

Sportabzeichen machen. Nach einigen Telefonaten konnte ich erreichen, dass für<br />

Jonas andere Ausgleichsdisziplinen zugelassen wurden. Seine Leistungen schickte<br />

ich nach München ein, wo sie bearbeitet wurden. Nach einer Woche kamen die<br />

Urkunde (siehe Anhang 7) und die Anstecknadel zurück, die für Jonas einen großen<br />

Anerkennungswert besitzen.<br />

„Damit Mögliches entsteht, muss <strong>im</strong>mer wieder Unmögliches versucht werden!“<br />

Herrmann Hesse (Deutsche Gesellschaft für Osteogenesis Imperfecta <strong>2010</strong>, S.1; Herv. S.M.).<br />

26


Literaturverzeichnis<br />

Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2000): Lehrplan für die<br />

Grundschule. Kirchhe<strong>im</strong> bei München<br />

Beck, Froschmeier, Lang, Schreibe, Schwesig & Spitzenpfeil (2005): Fit für die<br />

Sporterziehung in der Grundschule. Grundwissen Praxisbausteine. LASPO.<br />

Donauwörth<br />

Bracher, Brattinger, Dressler, Froschmeier, Ludwig, Kohnen, Kohnert & Z<strong>im</strong>nik<br />

(2002): Sporterziehung. Grundschule 3./4. Jahrgangsstufe. LASPO. Donauwörth<br />

Deutsche Gesellschaft für Osteogenesis Imperfecta (Glasknochen) Betroffene e.V.<br />

(<strong>2010</strong>): „Damit Mögliches entsteht, muss <strong>im</strong>mer wieder Unmögliches versucht<br />

werden!“ Hermann Hesse. Hamburg<br />

Deutscher Rollstuhl-Sportverband (2009): Sport+ Mobilität mit Rollstuhl. 28.<br />

Jahrgang, Heft 10/2009. Duisburg<br />

Eberwein, Hans & Knauer, Sabine (2002): <strong>Integration</strong>spädagogik. 6. Auflage.<br />

Weinhe<strong>im</strong> und Basel<br />

Erzmann, Tobias (2003): Konstitutive Elemente einer Allgemeinen (integrativen)<br />

Pädagogik und eines veränderten Verständnisses von Behinderung. Frankfurt am<br />

Main<br />

Glaesner, Nina, Hagelsetin, Willy & Petersen, Tanja (n.v.): Glasfit mini. Das<br />

Frühförderungsprogramm für Kinder mit Osteogenesis <strong>im</strong>perfecta. Hamburg<br />

Häusermann, Stefan (2008): Mit Unterschieden Spielen. Themenfächer.<br />

Herzogenbuchsee<br />

Hosfeld, Christin (2009): Werfen, Laufen und Springen in der Grundschule.<br />

Tageslehrgänge der Staatlichen Lehrerfortbildung (76/902). LASPO<br />

Kapustin, Peter& Kapustin- Lauffer, Tatjana (2009): Ich will auch� wie Du! Sport,<br />

Spiel und Spaß zusammen mit beeinträchtigten Kindern. Wiebelshe<strong>im</strong><br />

Lehmann, Hartwig (2004): Bewegungsträume werden wahr. Krankengymnastik bei<br />

Osteogenesis Imperfecta. Meckenhe<strong>im</strong><br />

27


Muth, Jakob (1986): <strong>Integration</strong> von Behinderten. Über die Gemeinsamkeiten <strong>im</strong><br />

Bildungswesen. Bochum<br />

Prengel, Annedore (2006): Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und<br />

Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik. 3.<br />

Auflage. Wiesbaden<br />

Rheker, Uwe (1993): Spiel und Sport für alle. Aachen<br />

Schoo, Michael (1999): Sport- und Bewegungsspiele für körperbehinderte Kinder und<br />

Jugendliche. München<br />

Sowa, Martin (1997): Sport- Spiel- Spannung- Spaß. Praxishandbuch zum Sport für<br />

alle in Schule und Verein. Dortmund<br />

Wurzel, Bettina (1991): <strong>Sportunterricht</strong> mit Nichtbehinderten und Behinderten.<br />

Untersucht am Beispiel von Sehenden und Blinden. Schorndorf<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

Abb. 1:<br />

Jonas und seine Klassenkameraden bei der Ausführung der Menschenpyramide .. 13<br />

Abb. 2:<br />

Jonas und Marc be<strong>im</strong> Badmintonspielen ................................................................. 16<br />

28


Anhang<br />

Anhang 1:<br />

Gerechte Staffelspiele<br />

Gerechte Staffelspiele<br />

Wie kannst du die Staffelstrecken oder die Bedingungen ändern, dass alle Kinder die<br />

gleichen Chancen haben?<br />

Überlege dir mit deiner Gruppe Möglichkeiten und schreibe sie kurz auf:<br />

__________________________________________________________<br />

__________________________________________________________<br />

__________________________________________________________<br />

__________________________________________________________<br />

29


Anhang 2:<br />

Zeitungsartikel von dem Rollstuhltag<br />

(SAMSTAG, 26. JUNI <strong>2010</strong> NUMMER 144, verfasst von Bernhard Wetzenegger)<br />

30


Anhang 3:<br />

Unsere Fragen an Frau Meitner<br />

Unsere Fragen an Frau Meitner<br />

Aufgabe: Überlege dir in deiner Gruppe Fragen, die du Frau Meitner gerne<br />

stellen würdest und schreibe sie auf.<br />

31


Anhang 4:<br />

Die Basketballstationen der Kombiklasse<br />

1. Station:<br />

2. Station<br />

Unsere Basketballstunde für Jonas<br />

1. Station<br />

Aufgabe: Laufe/fahre Slalom um die Hütchen und werfe den Ball in den Kasten oder den<br />

Basketballkorb.<br />

Variationen:<br />

• Dribble auch mit der linken Hand<br />

• Dribble links/rechts abwechselnd<br />

Du brauchst: 1 kleinen Kasten, 8 Hütchen, 4 Basketbälle, 1 Gymnastikball<br />

32


3. Station<br />

Unsere Basketballstunde für Jonas<br />

2. Station<br />

Aufgabe: Man muss erst über die Matten, dann unter der Stange hindurchkrabbeln. Danach<br />

auf der Weichbodenmatte eine Rolle vor- oder seitwärts machen. Hinter der Matte steht<br />

einer, der den Ball zu einem passt, diesen muss man in den Korb oder den Kasten werfen.<br />

Variationen:<br />

• Versuche vor- oder rückwärts zu krabbeln<br />

• Werfe in den kleinen Kasten oder in den kleinen Basketballkorb<br />

Du brauchst: 1 kleinen Kasten, 2 blaue Matten, 2 Hütchen, 3 Stangen mit Halterungen, 1<br />

Weichbodenmatte, 1 kleinen Kasten, 1 kleinen Basketballkorb, 1 Gymnastikball<br />

Unsere Basketballstunde für Jonas<br />

3. Station<br />

Aufgabe: Krabble <strong>im</strong> Slalom durch die Hütchen und rolle dich über die Matte. Danach prellst<br />

du den Ball in die Reifen und krabbelst unter der Stange durch.<br />

Variationen:<br />

• Fahre mit dem Rollbrett durch die Hütchen<br />

Du brauchst: 3 Hütchen, 2 Basketbälle, 1 Softball, 1 Weichbodenmatte, 3 Reifen, 3 Stangen<br />

mit Halterungen, 2 Hütchen, 1 Gymnastikball<br />

33


4. Station<br />

Unsere Basketballstunde für Jonas<br />

4. Station<br />

Aufgabe: Es spielen 2 Angreifer gegen 2 Abwehrspieler. Später wird getauscht. Einer ist der<br />

Schiedsrichter, der aufpasst.<br />

Variationen:<br />

• Den Korb höher/niedriger stellen<br />

Du brauchst: 1 Kasten, 1 Basketball, 1 Basketballkorb, 1 markiertes Feld, 1 Gymnastikball<br />

34


Anhang 6:<br />

Fragebogen der Mitschüler<br />

<strong>Hausarbeit</strong> Sarah Müller<br />

Fragebogen für die Mitschüler/innen<br />

1.) Jonas konnte die ersten beiden Schuljahre nicht am <strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen. Wie fandest du das?<br />

2.) Findest du es gut, dass Jonas jetzt <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> <strong>im</strong>mer mitmachen kann?<br />

3.) Warum? Begründe!<br />

ja nein<br />

4.) Musst du auf ihn während der Sportstunde besonders Rücksicht nehmen? Stört dich das?<br />

5.) Was glaubst du, warum es für Jonas wichtig ist <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> mitzumachen?<br />

35


Anhang 7:<br />

Das Deutsche Sportabzeichen von Jonas<br />

Anhang 8:<br />

Video: „Integrativer <strong>Sportunterricht</strong> - ein Junge mit der Glasknochenkrankheit <strong>im</strong><br />

Rollstuhl.“<br />

Die Sportstunden vom 12.04. - 21.06.10 wurden von unserem Hausmeister Herr<br />

Schwarz mitgefilmt.<br />

36


Erklärung<br />

Ich versichere hiermit, dass ich die schriftliche <strong>Hausarbeit</strong> nicht schon als Doktor-,<br />

Magister- oder Diplomarbeit bei einer Hochschule oder als schriftliche <strong>Hausarbeit</strong> bei<br />

einer anderen Staatsprüfung für ein Lehramt eingereicht habe. Außerdem habe ich<br />

die Arbeit in allen Teilen selbst gefertigt und keine anderen als in der schriftlichen<br />

<strong>Hausarbeit</strong> angegebenen Hilfsmittel benutzt.<br />

(Ort, Datum, Unterschrift)<br />

37

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