Dokumentation Kurden In Hessen (PDF) - Barbara Cárdenas
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� Bestandsaufnahme und Darstellung der aktuellen Probleme<br />
in Diskussionsforen<br />
Forum 1<br />
Gründe für den kurdischen muttersprachlichen<br />
Unterricht in Deutschland<br />
Melik Aykoç, Lehrer<br />
Muttersprache ist ein elementares Grundrecht der Menschen.<br />
Deshalb ist sie in vielen internationalen Abkommen verankert.<br />
Wortlaut der Schlussakte von Helsinki vom 19. Juli1975<br />
Es ist sicherzustellen, dass die im Aufnahmeland lebenden Kinder<br />
von Wanderarbeitern unter den gleichen Bedingungen wie die Kinder<br />
dieses Landes Zugang zum dort üblichen Unterricht haben. Darüber<br />
hinaus ist den Kindern zu gestatten, dass sie in ihrer eigenen<br />
Sprache, Kultur, Geschichte und Geographie unterrichtet werden.<br />
Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 25.<br />
Juli1977 über die schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmern<br />
- Artikel 3<br />
Die Mitgliedsstaaten treffen nach Maßgabe ihrer innerstaatlichen<br />
Verhältnisse und ihrer Rechtssysteme in Zusammenarbeit mit den<br />
Herkunftsstaaten geeignete Maßnahmen, um unter Koordinierung<br />
mit dem Regelunterricht die Unterweisung der in Artikel 1 genannten<br />
Kinder in der Muttersprache und der heimatlichen Landeskunde<br />
zu fördern.<br />
Deutschland war mehrere Jahrhunderte bis zum II. Weltkrieg ein<br />
Ort der kurdologischen Forschung. Große Kurdologen wie zum<br />
Beispiel der Berliner Professor Oskar Mann 1 , der Leipziger Professor<br />
Karl Hadank 2 lebten jahrelang in Kurdistan und schrieben<br />
bedeutende Werke über die kurdische Sprache und Literatur. Der<br />
Sprachwissenschaftler Peter J. A. Lerch veröffentlichte sein Werk:<br />
„Forschungen über die <strong>Kurden</strong> und die iranischen Nord-Chaldäer“.<br />
Seit Anfang der 1960iger Jahre sind nach und nach Hunderttausende<br />
von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Türkei<br />
in die Bundesrepublik ausgewandert. Ein beachtlicher Teil dieser<br />
ausgewanderten Kräfte sind Kurdinnen und <strong>Kurden</strong>. Außerdem<br />
emigrierten während des letzten Vierteljahrhunderts Tausende<br />
weiterer Kurdinnen und <strong>Kurden</strong> aus den Staaten, in die Kurdistan<br />
aufgeteilt ist.<br />
Viele Kurdinnen und <strong>Kurden</strong> wurden bereits in der Bundesrepublik<br />
geboren, sind hier aufgewachsen und sind inzwischen deutsche<br />
Staatsangehörige. Das <strong>In</strong>teresse aller Kurdinnen und <strong>Kurden</strong> ist die<br />
Pflege ihres kulturellen Erbes und die Gleichberechtigung bezüglich<br />
der Förderung ihrer Kultur und Sprache.<br />
Es entspricht einfach der Notwendigkeit, dass Kinder aus pädagogischen<br />
Gründen in ihrer Muttersprache unterrichtet werden<br />
müssen.<br />
Rahmenbedingungen für den Muttersprachlichen Unterricht<br />
Kurdisch (MUK)<br />
Zunächst möchte ich die fünf Prinzipien der Gemeinsamkeiten im<br />
Sprachlernbereich erwähnen:<br />
1 Oskar Mann (1867 – 1917), kurdisch-persischer Sprachforscher, 1906 Herausgabe<br />
des 1. Ergebnisbandes, 1909 des 2. Ergebnisbandes seiner Expeditionen nach<br />
Kurdistan.<br />
2 Karl Handank (1882 – 1943), kurdisch-persischer Sprachforscher<br />
12<br />
Kompetenzentwicklung der Kinder in Wort und Schrift,<br />
Situationsbezug (d.h. sprachliches Handeln bedarf bestimmter<br />
Situationen),<br />
Sozialbezug (d.h. sie stellen anregende und akzeptierende Geselligkeit<br />
her und bieten Vorbilder und Muster für Sprechen, Lesen<br />
und Schreiben als wichtige Tätigkeiten für Wortschatz und<br />
Satzbau),<br />
Bedeutsamkeit der sprachlichen <strong>In</strong>halte (dazu gehören die Alltagserfahrungen<br />
der Kinder, ihre Sacherfahrungen, ihr fantasievoller<br />
Umgang mit der Sprache sowie die Wahrnehmung ihrer<br />
kulturellen Traditionen),<br />
Sprachbewusstheit (d.h. die Betrachtung der einen Sprache unter<br />
Berücksichtigung der Gemeinsamkeiten und des Besonderen<br />
der anderen).<br />
Die Besonderheiten der Sprachfelder<br />
Zunächst werden Erfahrungen mit Sprachen, die Kindern in der<br />
Lebenswelt begegnen, aufgearbeitet. Zum anderen wird ihre Lust,<br />
mit Klängen, Wörtern, Strukturen verschiedener Sprachen umzugehen,<br />
gestärkt. Dabei ist es wichtig, jeweils situativ bedingt, die<br />
Sprache einzusetzen. Kinder, die Deutsch als Zweitsprache erwerben,<br />
haben bereits eine sprachliche Entwicklung in ihrer Muttersprache.<br />
Daraus ergibt sich, dass bei diesen Kindern der Grad der<br />
Sprachbewusstheit von Anfang an höher ist. Bei diesen Kindern ist<br />
es besonders wichtig, die Sprachfähigkeiten in angeleiteten Lernprozessen<br />
systematisch auszubauen. Dabei sind Rückgriffe auf die<br />
Muttersprache hilfreich.<br />
Es wäre dringend erforderlich, den Kindern eine verpflichtende Bildungszeit<br />
in der Kita mit situativem und explizitem Spracherlernen<br />
in der Mutter- bzw. Zweitsprache zu ermöglichen.<br />
2. Herkunftssprachlicher Unterricht in Niedersachsen<br />
Ich komme jetzt zu einigen Entwicklungen und Phasen, in denen<br />
man versuchte, bessere Bedingungen für die muttersprachliche<br />
Bildung zu schaffen. Betrachtet man die Entwicklung unter diesem<br />
Aspekt, so sind etwa vier Phasen zu erkennen:<br />
1. Phase: Diese Phase erstreckte sich von Anfang der 1970er<br />
Jahre bis Anfang der 1980er Jahre. Der muttersprachliche Unterricht<br />
wurde angeboten für die Kinder und Jugendlichen der so genannten<br />
Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter aus den damaligen<br />
so genannten Anwerbeländern oder Entsendeländern. Der Unterricht<br />
hatte lediglich die Funktion, die sprachliche und kulturelle<br />
Bindung zu den Heimatländern zu pflegen und die Chancen einer<br />
schulischen und beruflichen Reintegration im Falle der Rückkehr<br />
zu erleichtern.<br />
2. Phase: Diese Phase begann schon in der ersten Hälfte der<br />
1980er Jahre und dauerte bis etwa in die zweite Hälfte der 1980er<br />
Jahre. Der muttersprachliche Unterricht wurde für die Kinder der<br />
„ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“, später<br />
ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, angeboten. Die Tendenz<br />
der Rückkehrförderung ließ nach. Die <strong>In</strong>tegration gewann<br />
hohe Zustimmung. Der muttersprachliche Unterricht wurde als ein<br />
Bestandteil der <strong>In</strong>tegration angesehen. Die Materialien im mutter-