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Dyskalkulie oder Rechenschwäche?

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Einführung in die Mathematikdidaktik<br />

Schwerpunktarbeit SoSe `10<br />

Katharina Hoffrichter und Jessica Ackerschewski<br />

<strong>Dyskalkulie</strong> <strong>oder</strong> <strong>Rechenschwäche</strong>?<br />

Definition und Begriff <strong>Rechenschwäche</strong><br />

Abstraktions- und Wissensmängel im Bereich der elementaren Arithmetik, die in individuell<br />

verschiedenen Erscheinungsformen, Typen und Ausprägungen auftreten können, die in jedem<br />

Fall aber das Verständnis des darauf aufbauenden schulischen Lernstoffes in der Mathematik<br />

verhindern <strong>oder</strong> hemmen... (Kwapis, 2008)<br />

WHO<br />

Auszug aus Kapitel V der ICD-10 der WHO, Deutsche Version von 2008:<br />

Abschnitt „Entwicklungsstörungen“ (F80-F89)<br />

F81.2 Rechenstörung<br />

Diese Störung besteht in einer umschriebenen Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten, die nicht<br />

allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung <strong>oder</strong> eine unangemessene Beschulung erklärbar ist.<br />

Das Defizit betrifft vor allem die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten, wie Addition,<br />

Subtraktion, Multiplikation und Division, weniger die höheren mathematischen Fertigkeiten, die für<br />

Algebra, Trigonometrie, Geometrie <strong>oder</strong> Differential- und Integralrechnung benötigt werden.<br />

Entwicklungsbedingtes Gerstmann-Syndrom<br />

Entwicklungsstörung des Rechnens<br />

Entwicklungs-Akalkulie<br />

Exkl.: Akalkulie 1 o.n.A. ( R48.8 )<br />

Kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten 2 ( F81.3 )<br />

Rechenschwierigkeiten, hauptsächlich durch inadäquaten Unterricht (Z55, Z65 )<br />

Allgemein gibt es keine eindeutige Definition für <strong>Rechenschwäche</strong>. Das Gesetz bezieht sich auf die<br />

Definition der WHO, die jedoch nicht kritikfrei ist. So werden Kinder mit <strong>Rechenschwäche</strong> vom Staat<br />

nur gefördert, wenn ihre Intelligenz ausreichend hoch ist. Ist sie jedoch zu niedrig, wird die<br />

<strong>Rechenschwäche</strong> auf fehlende Intelligenz zurückgeführt und nicht gefördert (Diskrepanzkriterium).<br />

Von <strong>Dyskalkulie</strong> spricht man meist im klinischen Bereich, um eine Krankheit zu assoziieren.<br />

Dabei gibt es genügend Kinder, deren <strong>Rechenschwäche</strong> nicht auf neurologische <strong>oder</strong><br />

physische Ursachen zurückzuführen ist. <strong>Rechenschwäche</strong> und Rechenstörung als Begriff<br />

findet man meist in der Pädagogik. Trotzdem sind die Begriffe <strong>Rechenschwäche</strong>, <strong>Dyskalkulie</strong><br />

und Rechenstörung nicht eindeutig festgelegt.<br />

„Symptome“<br />

• zählendes Rechnen (evtl. mit den Fingern)<br />

• überdurchschnittlich lange Bearbeitungszeit für Aufgaben<br />

• fehlendes Verständnis für Rechenstrategien<br />

• erfolgloses Üben<br />

• fehlende Fähigkeit zur Analogiebildung ( 3 + 4 = 7 => 13 + 4 = 17 => 23 + 4 = 27 )<br />

• Schwierigkeiten beim Zehner- <strong>oder</strong> Hunderterübergang<br />

• fehlendes Mengen- und Größenverständnis (Wie groß ist dein Papa? - 4 Meter.)<br />

• kein Begründen und kritische Betrachtung von Ergebnissen möglich<br />

1 Fehlende Fähigkeit zum Rechnen (z.B. durch einen Unfall)<br />

2 Verminderte Intelligenz => Diskrepanzkriterium<br />

1/2


Mögliche Ursachen<br />

• Die genauen Ursachen sind noch nicht geklärt.<br />

• Die Wissenschaftler streiten sich um die genauen Gründe<br />

• Ansätze: Entweder Kognitive Störungen und/<strong>oder</strong> andere Risikofaktoren<br />

Risikofaktoren sind beispielsweise:<br />

Die Person<br />

o Fähigkeiten, Interessen, (Vor)wissen<br />

o Sensorische Beeinträchtigungen (visuell,<br />

auditiv…)<br />

o Anstrengungsbereitschaft<br />

o Motivation, Interesse, Aufmerksamkeit,<br />

Konzentration, Gedächtnis<br />

o Angst<br />

o ….<br />

Kognitive Störungen:<br />

Familiäres und soziales Umfeld<br />

o Familiäre Situation (Überbehütung,<br />

Vernachlässigung, Scheidung, Konkurrenz<br />

zwischen Geschwistern, Beherrschung der<br />

deutschen Sprache, Freizeitangebote…)<br />

o Art der Hausaufgabenbetreuung,<br />

Möglichkeiten der Nachhilfe, der<br />

psychologischen Beratung, der Fähigkeit der<br />

Eltern, die Probleme wahrzunehmen…<br />

Schulisches Umfeld<br />

o Lehrerausbildung<br />

o Lehrkraft und ihre Interaktion mit dem<br />

Kind<br />

o Unterrichtskonzept<br />

o Lehrbuch<br />

o Umgang mit Material<br />

o Förderunterricht<br />

o Mitschüler/innen<br />

• Bei Kindern mit <strong>Rechenschwäche</strong> kommt es zu Störungen des Aufbaus und der Vernetzung<br />

neuronaler Strukturen<br />

o Gründe könnten Unterversorgung des Gehirns während der Schwangerschaft,<br />

Krankheiten <strong>oder</strong> Unfälle sein<br />

• Kinder mit <strong>Dyskalkulie</strong> zeigen bei der funktionellen Magnetresonanztomographie wenige bis<br />

keine Regungen in den „Gehirnbreichen für Mathematik“<br />

• Kinder mit <strong>Dyskalkulie</strong> haben in den Bereichen weniger graue Masse<br />

• Erwachsene können nach einem schweren Hirnverletzungen/-krankheiten die Fähigkeit des<br />

Rechnens verlieren (Akalkulie) <strong>oder</strong> im mathematischen Verständnis eingeschränkt sein<br />

(<strong>Dyskalkulie</strong>)<br />

Quellen:<br />

• WHO (2008): ICD-10<br />

http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2008/fr-icd.htm<br />

• http://www.pisa-kritik.de/files/Ansari-Neurologie-und-<strong>Dyskalkulie</strong>-2009.pdf<br />

• http://www.irtberlin.de/download/Gerster-Broschuere.pdf<br />

• http://www.uni-bielefeld.de/idm/serv/handreichung-schipper.pdf<br />

• http://www.drk-kliniken-berlin.de/uploads/media/von_aster_et_al._2006.pdf


Einführung in die Mathematikdidaktik<br />

Schwerpunktarbeit SoSe `10<br />

Katharina Hoffrichter und Jessica Ackerschewski<br />

Förderung<br />

1. Schritt: Denkanalyse<br />

Nur wenn man weiß, wie ein Kind über Zahlen, Stellenwerte, Rechenoperationen denkt, kann<br />

man sinnvolle Fördermaßnahmen von nicht zielführenden Maßnahmen unterscheiden. Man<br />

muss anerkennen, dass sie das tun aufgrund von Überlegungen, die ihnen selbst richtig<br />

erscheinen. Diese Diagnostik muss man fortlaufend wiederholen.<br />

2. Irrglaube: Rechenschwache Kinder dadurch fördern zu wollen, dass man sich<br />

nicht mit dem Rechnen beschäftigt bzw. mit ihnen übt im Sinne von: Möglichst<br />

viele Rechnungen!<br />

Rechnen kann nur dadurch gelernt werden, das man mit den Kindern rechnet, allerdings nicht<br />

unendlich viele Aufgaben. Denn das Kind wird diese Aufgaben nicht anders rechnen, als in<br />

der Schule, nämlich zählend. Da hilft es auch nicht, ihnen zu sagen, sie sollen es im Kopf<br />

lösen. Sie können auch im Kopf zählen.<br />

Man muss mit den Kindern einen Neuaufbau des mathematischen Denkens anvisieren, ihnen<br />

die Grundlagen nochmals erläutern.<br />

Die Kinder sollen es verstehen und nicht Regeln und Gesetze auswendig lernen.<br />

Denn Verständnis belastet nicht, es entlastet das Gedächtnis.<br />

3. Irrglaube: Das „Zaubermaterial“<br />

Materialien sind unverzichtbar für mathematische Lernprozesse, aber es ist entscheidend, was<br />

für Materialien es sind und mit welchen Überlegungen Kinder diese Handlungen begleiten.<br />

Material kann nicht für sich sprechen, wie bei den meisten Kindern. Rechenschwache Kinder<br />

ziehen die wichtigen Schlüsse nicht, durchschauen und verinnerlichen nicht. Sie sehen in den<br />

Materialien das, was sie können, aber nicht das, was sie lernen sollen, d.h. sie nutzen es<br />

beispielsweise zum Abzählen.<br />

4. Schritt: Psychische Entlastung im „Gesamtsystem“<br />

Kinder mit <strong>Rechenschwäche</strong> haben beständige Misserfolge, die Auswirkungen auf die<br />

kindliche Psyche haben. Der Erwachsene sollte dem mit Verständnis gegenübertreten und die<br />

Grenzen des Kindes akzeptieren, ohne es weniger zu lieben und zu achten.<br />

In der Schule kann man vor Allem präventiv tätig sein und einen verständlichen Unterricht<br />

führen. Bei eingetretener <strong>Rechenschwäche</strong> hilft dann dauerhaft nur Einzelförderung.<br />

Vorurteile über <strong>Rechenschwäche</strong><br />

1. <strong>Rechenschwäche</strong> ist erblich<br />

Es ist noch kein Gen gefunden worden, das man für <strong>Rechenschwäche</strong> verantwortlich machen<br />

könnte<br />

2. <strong>Rechenschwäche</strong> ist Dummheit (mangelnde Intelligenz)<br />

Es gibt rechenschwache Kinder mit durchschnittlicher und überdurchschnittlicher Intelligenz<br />

3. <strong>Rechenschwäche</strong> kann an typischen Fehlern erkannt werden<br />

Nahezu alle Kinder machen die gleichen Fehler beim Erlernen eines neuen Stoffes, nur zu<br />

unterschiedlicher Zeit und auch unterschiedlich lange.<br />

4. <strong>Rechenschwäche</strong> ist dauerhaft unveränderlich<br />

Auch schwache Kinder können unter günstigen Bedingungen zumindest die<br />

elementaren Rechenfertigkeiten erlernen.<br />

• http://www.irtberlin.de/download/Gerster-Broschuere.pdf<br />

Quellen:<br />

• http://www.rechenschwaeche.at/vertiefendes/wege-irrwege.pdf<br />

2/2


Profil<br />

Duden Institut für Lerntherapie<br />

Das Duden Institut für Lerntherapie ist Teil der Duden Paetec GmbH und ist in ganz Deutschland zu<br />

finden. Seit 1997 existiert das Institut auch in Berlin Spandau. Inhalt ist eine Integrative Lerntherapie<br />

zur Überwindung von Lernstörungen bei <strong>Rechenschwäche</strong>, Lese-Rechtschreib-Schwäche und<br />

Englisch-Schwäche, die einem wissenschaftlich begründetem und praktisch erprobtem Konzept von<br />

Frau Dr. Andrea Schulz zu Grunde liegt. Dabei werden pädagogische, psychotherapeutische und<br />

fachdidaktische Maßnahmen miteinander verbunden. Ziel ist dabei die erfolgreiche Teilnahme am<br />

Regelunterricht und eine Vermeidung vom Sitzenbleiben bzw. einer Versetzung in eine Sonderschule.<br />

Von der Beratung zur Therapie<br />

1. kostenlose Beratung der Eltern, durch Gespräch mit Kind, Eltern (und Lehrkraft)<br />

2. kostenpflichtige Diagnose (ca. 3 Stunden am Vormittag für 165 €)<br />

3. Lerntherapie (ca. 50€ pro Monat)<br />

Therapieformen<br />

1. Normaltherapie/ Einzeltherapie: Wöchentlich eine Stunde unterrichtsbegleitende Gruppen-/<br />

Einzeltherapie<br />

2. Therapie nach Sondervereinbarung: Flexibel wahrnehmbare, unterrichtsbegleitende<br />

Einzeltherapie<br />

3. Intensivtherapie: Eine Woche täglich drei Stunden Therapie in den Ferien (eine Stunde<br />

Einzeltherapie, zwei Stunden mit einem weiteren Kind gemeinsam)<br />

4. integrative Lerntherapie: - Ausgangspunkt = aktueller Entwicklungsstand<br />

Zusatzangebot<br />

- Ziele: Verbesserung des Selbstwertgefühls und der Lernmotivation<br />

des Kindes, Verbesserung der Lernvoraussetzungen für jegliches<br />

Lernen, Aufbau der inhaltlichen Grundlagen im Problemfach<br />

- Integration von anderen Therapieformen: Bestandteile der<br />

Ergotherapie, der Spieltherapie, der Gesprächstherapie, der<br />

Familientherapie ( Übungen zur Orientierung und zur Verbesserung<br />

der Wahrnehmung, Verbesserung der Konzentrations- und<br />

Gedächtnisleistungen, erfahren und Erproben von Strategien und<br />

Techniken zum konzentrierten Arbeiten, Selbstkontrolle und -<br />

steuerung, Einprägen und Reproduzieren, Entspannung, Einüben<br />

von Automatismen, Gespräche mit dem Kind und seinen Eltern<br />

zum besseren Verständnis der Probleme, Besprechen von<br />

Möglichkeiten sinnvoller Lernunterstützung durch die Eltern)<br />

• Elternkurse zum Thema <strong>Rechenschwäche</strong> mit dem Inhalt der Erklärung der Ursachen, Tipps<br />

für die angemessene Interaktion mit dem Kind und Unterstützungsmaßnahmen<br />

• kostenpflichtige Fortbildungsangebote für Pädagogen zum Lerntherapeuten mit der<br />

anschließenden Möglichkeit der Arbeit im Therapiezentrum auf Honorarbasis (Mit Beginn der<br />

Fortbildung verpflichtet man sich eine bestimmte Zeit im Duden-Therapiezentrum zu arbeiten.<br />

Während dieser Zeit arbeitet man die Kosten für die Fortbildung ab.)


Zentrum zur Therapie der <strong>Rechenschwäche</strong> � Diagnose<br />

Arithmasthenie/<strong>Dyskalkulie</strong> � Beratung<br />

� Therapie<br />

ZTR Berlin � Potsdam � Leipzig � Dresden � Magdeburg � Forschung<br />

ZTR-Reihe: Elternratgeber<br />

Die Beiträge der ZTR-Reihe Elternratgeber erscheinen unregelmäßig. Sie sind in den ZTR-<br />

Instituten kostenlos erhältlich und können von unserer folgenden Internetseite als<br />

pdf-Datei kostenlos heruntergeladen werden:<br />

Wolfgang Hoffmann<br />

www.ztr-rechenschwaeche.de<br />

Nachmittag im Leben eines rechenschwachen Kindes<br />

Eine psychodramatische Erzählung in aufklärender Absicht,<br />

mit einem Vorwort von Rudolf Wieneke<br />

Vorwort<br />

Wir möchten Eltern, Lehrern, Erziehungs- und Familienberatern sowie Psychologen eine<br />

Erzählung vorstellen, die exemplarisch an einer Aufgabenstellung an einem Nachmittag<br />

die brisante Interaktion von verzweifelnder Mutter und verzweifeltem Kind wiedergibt.<br />

Dieser Nachmittag ist nicht ein Ereignis, sondern verdichtetes Exemplar einer gründlich<br />

schieflaufenden Kommunikation zwischen Mutter und rechenschwacher Tochter. Der unbeteiligte<br />

Beobachter berichtet über einen Nachmittag und erhellt, wie jeder Nachmittag<br />

die familienzerstörerische Potenz einer Interaktion von einander wohlgesonnenen Akteuren<br />

entfaltet. Der Autor legt schonungslos die Wirkung elterlicher wohlmeinender Erziehungspraktiken<br />

offen und schildert, wie falsch es ist, die elterliche Hilfe als wirkungslos zu<br />

bezeichnen. Die elterlichen Hilfen wirken, allerdings gegenteilig zur guten Absicht. Ermahnungen<br />

(”Konzentriere Dich mal!”) werden als störend, sogar als falsches Eingehen von<br />

der Tochter wahrgenommen (”Meine Mutter stört mich in meiner Konzentration!”). Elterliche<br />

Tipps (wie das Benutzen der Finger zu verbieten) werden wahrgenommen als das,<br />

was sie sind: eine Entwaffnung der rechenschwachen Tochter im Umgang mit der unverstandenen<br />

Zahlenwelt, die Wegnahme des einzigen Orientierungsinstrumentariums - als<br />

Hilfe, die zur Hilflosigkeit führt.<br />

Sachlich geht die Mutter auf Maren wie auf jedes andere Kind ein, wegen der besonderen<br />

Probleme Marens geht jedoch jede Einwendung der Mutter an Maren sachlich vorbei. Man<br />

kommuniziert zirkulär: Mutter versteht Maren so wenig, wie Maren die Mutter. Hilfe wird<br />

von Maren als falsch, ungereimt und unangemessen empfunden, Misstrauen gegen den<br />

Erzieher macht sich breit. Maren macht sich ihren eigenen Reim auf sich (”Bin ich vielleicht<br />

doch zu blöd?”) und die Welt der Erwachsenen. (”Sie stören, machen gemeine<br />

ZTR Berlin, Dürerstraße 38, 12203 Berlin, Tel. 030-832 80 17<br />

ZTR Potsdam, Hebbelstraße 12, 14469 Potsdam, Tel. 0331-550 77 67<br />

ZTR Leipzig, Kreuzstraße 3b, 04103 Leipzig, Tel. 0341-268 95 20<br />

ZTR Dresden, Obergraben 19, 01097 Dresden, Tel. 0351-810 45 42<br />

ZTR Magdeburg, Arndtstraße 53, 39108 Magdeburg, Tel.0391-733 24 24<br />

1


Vorschläge, erschweren Kindern das Rechnen, Hilfe ist von denen nicht zu erwarten.”) Alle<br />

Expositionen für ein Drama sind geschaffen.<br />

Der Autor des Vorwortes empfiehlt, den Text zweimal zu lesen. Einmal zwecks Kenntnisnahme,<br />

das andere Mal nach Studium des sachlichen Problems von Maren (Fehleranalyse,<br />

Grundlagentheorie der <strong>Dyskalkulie</strong>), weil der Autor - ohne darauf hinzuweisen - ein Instrumentarium<br />

auf Tochter wie auf die Mutter anwendet. Als gewiefter Fehleranalytiker<br />

zeichnet er Marens subjektiv-algorithmische Umgangsweisen nach, die Maren sich als Reaktion<br />

auf ihr Unverständnis und auf die sehr subjektive (d.h. nicht sachlich aufklärende)<br />

Konfrontation der Mutter mit dem Objektiven zulegt. Der Kern dieses so nicht lösbaren<br />

Problems liegt in dieser wechselseitigen Konter-Taktik beider Parteien.<br />

Diese Erzählung reißt ein noch offenes Kapitel der sogenannten sekundären Neurotisierung<br />

bei <strong>Rechenschwäche</strong> an. Bisher wurde nur auf den ”Teufelskreis entmutigender Demotivierung”<br />

(Misserfolg - negative Selbsteinschätzung - Entmutigung) hingewiesen, der<br />

theoretische Wert dieser Schilderung verweist auf die unberücksichtigte aktive Rolle von<br />

Erziehern, die diesen Zirkel nicht nur nicht außer Kraft setzen, sondern einen Aktivposten<br />

zur Beförderung desselben darstellen. Ganz gegen ihre Absichten!<br />

Der Autor, Herr Hoffmann, ist Leiter des Mathematischen lerntherapeutischen Zentrums<br />

Dortmund. Herr Hoffmann hat die Urteile von Kindern über die Intervention von Erwachsenen<br />

in seiner therapeutischen Praxis gesammelt und zu dieser Erzählung dramaturgisch<br />

aufbereitet. Die Parteilichkeit für Maren ist vom Autor gewollt.<br />

__________________________________<br />

Nachmittag im Leben eines rechenschwachen Kindes<br />

An einem "einfachen" Beispiel, wie es von Eltern und Kindern immer wieder geschildert<br />

wird, wollen wir einmal darstellen, mit welchen Schwierigkeiten, Erklärungsnöten und Ungereimtheiten<br />

ein rechenschwaches Kind zu tun hat.<br />

Das Kind (wir nennen es Maren) soll seine Hausaufgaben in Mathe erledigen. Maren ist im<br />

Förderunterricht und bekommt Aufgaben zum Üben, die normalerweise von Kindern Ende<br />

des zweiten Schuljahres gelöst werden sollen. Die Mutter sitzt wie üblich daneben und<br />

versucht ihrer Tochter so gut es geht zu helfen.<br />

Die erste Aufgabe lautet 25 + 18 = ? - ein scheinbar nicht allzu schwer bewältigbares<br />

Problem. Maren fängt an zu "rechnen". Da sie über keinen Zahlbegriff verfügt, kompensiert<br />

sie ihr völliges Unverständnis durch das Abzählen einer auswendig gelernten Zahlenreihe.<br />

Für Maren stellt sich die Aufgabe folgendermaßen dar: "Ich soll von der 25 aus<br />

hoch zählen (wegen dem plus), und zwar genau 18 Stück."<br />

Die Aufgabe soll ohne Fingerhilfe gelöst werden, schließlich ist das Kind ja bereits in der<br />

dritten Klasse. Maren erinnert sich an eine ihrer ersten Regeln, die sie in der ersten Klasse<br />

gelernt hat. 'Da steht zwar, dass ich bei der 25 anfangen soll zu zählen, aber in Wirklichkeit<br />

meinen die (Erwachsenen) bei Plusaufgaben die 26!'<br />

2


Eine Regel, die nicht selten bei Erstklässlern, sehr wohl logisch durchdacht, zu einer Beschwerde<br />

führt: Denn wenn Rechnen nichts anderes ist, als Auf- bzw. Abwärtszählen,<br />

dann gibt mir die erste Zahl an, wo man anfangen muss zu zählen, das Rechenzeichen, ob<br />

auf- bzw. abwärts gezählt wird, und die zweite Zahl, wie viel gezählt werden soll. Das<br />

hieraus folgerichtige Ergebnis der Aufgabe 4 + 3 ist dann die 6 (Verzähler um 1, s. o.).<br />

Auf den Einwand der Mutter, dass man hier bei 5 anfangen muss, lautet die wiederum<br />

vom Kind aus gesehene logische Beschwerde: "Warum schreibt ihr das eigentlich nicht<br />

sofort hin? Das find' ich doof!" Aber wenden wir uns jetzt wieder Maren und ihrer Mutter<br />

zu.<br />

Maren beginnt die Aufgabe zählend zu lösen. Dabei schaut das Kind scheinbar geistesabwesend<br />

aus dem Fenster. Das und die Tatsache, dass das Mädchen wieder einmal ewig<br />

braucht, verleitet die Mutter zur Mahnung: "Maren, Du sollst das doch ausrechnen! Nun<br />

konzentriere Dich doch mal!" Woraufhin sich das Kind fürchterlich beklagt, dass es erstens<br />

beim Rechnen wäre und zweitens nicht gestört werden wolle, weil es jetzt noch einmal<br />

alles neu rechnen müsse.<br />

Marens Widerspruch ist vollkommen zu Recht erfolgt. Sie war gerade dabei, von der 25<br />

aus hoch zuzählen und ist zunächst einmal beim Zehnerübergang hängen geblieben. 'Was<br />

kommt da noch mal für eine Zahl nach der 29?' Um dieses Problem zu lösen, zählt das<br />

Kind die 10er-Reihe hoch: '10, 20, 30, - Also jetzt kommt die 30'. Bei dieser Überlegung ist<br />

dem Kind jedoch entfallen, wie viel es vorher eigentlich schon hoch gezählt hatte, und<br />

eine Kontrolle mit den Fingern ist ja nicht gestattet. 'Also muss ich mir die Finger vorstellen!'<br />

<strong>Dyskalkulie</strong>rende Kinder nennen dieses "Kontrollinstrumentarium" Luftfinger, wobei das<br />

Material durchaus wechseln kann, je nachdem, womit in der Schule gerade gerechnet wird<br />

(Zahlenstrahl, Hundertertafel etc.). Um dieses Bild der Finger vor dem geistigen Auge zu<br />

haben (und es werden ja immerhin 18 Stück!), schaut das Kind aus dem Fenster in den<br />

Himmel, um eine möglichst monochrome Fläche vorzufinden (manche Kinder schließen<br />

auch die Augen <strong>oder</strong> starren zur Decke). Maren beginnt also jetzt die Aufgabe erneut zählend<br />

zu lösen, schafft dann auch schneller den Zehnerübergang, und dann kommt die<br />

Mahnung der Mutter! Das Bild der Finger verschwindet, das Mädchen weiß nicht mehr, bei<br />

welcher Zahl es gerade war, und muss wieder von vorne anfangen; alle Anstrengung und<br />

alle Konzentration waren umsonst, nur weil 'Mama mich nicht rechnen lässt und mich immer<br />

stört'!<br />

Im weiteren Verlauf bemüht sich die Mutter um Geduld, und Maren versucht erneut, die<br />

Aufgabe zu lösen. Diesmal mit Hilfe der Finger, damit es erstens nicht so schwer ist, zweitens<br />

schneller geht und Mutti dann nicht wieder unterbrechen kann. Dafür müssen die<br />

Finger natürlich unter dem Tisch versteckt werden. Leider hat Maren hier die Rechnung<br />

ohne den Wirt gemacht. Diese "Tricks" sind der von ständiger erfolgloser Überei nervlich<br />

angeschlagenen Mutter natürlich wohl bekannt, so dass auch der dritte Versuch Marens,<br />

die Aufgabe zu lösen, mit der Bemerkung, dass sie es doch bitte ohne Finger versuchen<br />

solle, ein vorzeitiges Ende findet. Inzwischen sind bereits 5 Minuten vergangen, und noch<br />

keine einzige von den 20 Aufgaben wurde gelöst; und zum Schluss ist da ja auch noch die<br />

Textaufgabe, und die kann Maren überhaupt nicht. Die erste vorsichtige Hochrechnung<br />

der Mutter kommt auf 2 Stunden und das nur für Mathe! Also muss hier schleunigst eine<br />

Hilfestellung gegeben werden, damit der Nachmittag nicht schon wieder mit Tränen endet.<br />

3


"Maren, rechne doch erst einmal 25 + 5!" Maren ist über dieses Anliegen im höchsten<br />

Maße verwundert. Die Hausaufgabe hieß doch 25 + 18, und hatte die Mutti nicht seit<br />

geraumer Zeit darauf bestanden, dass sie diese Aufgabe auch lösen soll?! Maren fragt<br />

nach: "Warum soll ich denn die Aufgabe 25 + 5 rechnen; die ist doch gar nicht bei den<br />

Hausaufgaben?" Die Antwort der Mutter sorgt bei Maren für völlige Konfusion: "Weil du<br />

erst einmal zum nächsten vollen Zehner rechnen sollst!"<br />

Sicherlich kennen leidgeprüfte Mütter Fehler ihrer Kinder bei Sachaufgaben, wo die Antwort<br />

nicht zur Frage passt. Dieses Mal ist es aber so, dass die Mutter keine Antwort auf<br />

die Frage des Kindes gegeben hat, dies aber trotzdem glaubt. Maren und ihre Mutter reden<br />

also völlig aneinander vorbei.<br />

Maren hat eigentlich eine sehr einfache Frage gestellt. Sie wollte wissen, warum sie eine<br />

Aufgabe, die nicht zu den Hausaufgaben gehört, eigentlich rechnen soll. Daraus ist zunächst<br />

einmal der Schluss zu ziehen, dass das Kind zwischen den beiden Aufgaben keinerlei<br />

Zusammenhang erkennt. Diesen Zusammenhang unterstellt die Mutter bei Maren aber<br />

als begriffen und argumentiert dementsprechend weiter mit einer Rechenstrategie, und<br />

diese Antwort hat mit Marens Frage nun wirklich nichts zu tun.<br />

Die Mutter versucht, Maren eine weitere Hilfestellung zu geben: "Kannst Du mir denn sagen,<br />

welcher volle Zehner das ist?" Kann Maren natürlich nicht! Sie weiß, dass ein Wasserglas<br />

<strong>oder</strong> eine Mülltonne voll sein können, aber eine volle 10, das kann sie sich beim<br />

besten Willen nicht vorstellen! Die Mutter erkennt, dass das Kind offensichtlich Schwierigkeiten<br />

hat, den vollen Zehner zu benennen. Sie versucht es mit einer "Erklärung": "10, 20,<br />

30, 40, 50 usw., das sind alles volle Zehner!" Maren ist erstaunt! Die 10 ist also gleichzeitig<br />

auch 20 und 30 und 40 und 50! Und was soll überhaupt das 'und so weiter'?<br />

Inzwischen sind 10 Minuten vergangen, ohne dass auch nur ansatzweise eine Lösung der<br />

ersten Aufgabe gefunden wurde. Ganz im Gegenteil merkt die Mutter, dass Maren auch<br />

"einfachste Erklärungen" nicht versteht. Also gibt sie die bisherige Linie auf und fordert<br />

das Kind auf, doch erst einmal 25 + 5 zu rechnen, nach dem Motto, dass der Rest sich<br />

schon ergeben wird und der Groschen bei dem Kind dann fällt.<br />

Maren sieht zwar überhaupt nicht ein, dass sie eine Aufgabe rechnen soll, die nicht zu den<br />

Hausaufgaben gehört, aber sie gibt dem Drängen der Mutter schließlich nach. Maren zählt<br />

von 25 aus 5 Zahlen hoch, der Zehnerübergang gelingt, das Ergebnis lautet 30. Der vorsichtige<br />

Blick des Mädchens in die sich aufhellende Miene der Mutter signalisiert ihr, dass<br />

das Ergebnis passt. Die Mutter macht Maren Mut: "Siehst Du, das ist doch viel einfacher!"<br />

Nun, das ist Maren auch nicht entgangen: '25 + 5 ist natürlich einfacher als 25 + 18',<br />

denkt sich Maren noch, als die nächste Frage der Mutter folgt: "Was musst du denn nun<br />

rechnen?" Maren denkt an ihre Hausaufgaben und folgerichtig lautet die Antwort: "25 +<br />

18", wobei Maren erwartungsvoll die Mutter anschaut. Die ist mit ihrer Antwort aber überhaupt<br />

nicht zufrieden; ganz im Gegenteil: "Aber Maren! Hast du überhaupt einmal genau<br />

hingeschaut, was wir gerechnet haben?" Maren blickt in ihr Heft. Dort steht:<br />

4


25 + 18 =<br />

25 + 5 = 30<br />

und antwortet der Mutter: "25 + 5 = 30."<br />

"Richtig", meint die Mutter und fährt fort: "Also (?!?) müssen wir jetzt mit der 30 weiterrechnen!"<br />

Das Mädchen gibt es auf, dem Gedanken der Mutter zu folgen. 'Mama hat also<br />

gesagt, dass jetzt mit der 30 weitergerechnet werden soll', und weil es schließlich eine<br />

Addition ist, probiert es Maren mit der Antwort: "Plus 30!" Der barscher werdende Ton der<br />

Mutter, deren Geduld sich langsam dem Ende neigt, führt bei Maren zu den ersten Tränen:<br />

"Maren, du denkst ja gar nicht nach! Du rätst ja nur!"<br />

Ersteres Urteil entbehrt jeder Grundlage, während das zweite durchaus seine Berechtigung<br />

hat, wobei es aber eben nicht ein wildes Raten ist, sondern durchaus zielgerichtet<br />

auf die "Erklärungen" der Mutter abgestimmt ist.<br />

Um die Situation nicht weiter emotional eskalieren zu lassen, sagt die Mutter den nächsten<br />

Rechenschritt vor: "Schreib' doch jetzt einmal die nächste Aufgabe hin! 30 + 3! Was<br />

kommt da denn raus?" Maren tut, was ihr die Mutter gesagt hat und rechnet auch das<br />

richtige Ergebnis (33) aus, auch wenn es nicht die Hausaufgaben sind. Das Lob der Mutter<br />

bestätigt sie in ihrer Strategie, nicht noch einmal nachzufragen, weil die Mutter dann wieder<br />

schimpft. "Prima Maren, das hast du richtig gemacht!" Die Mutter bezweifelt jedoch<br />

(zu Recht), dass Maren den Rechenweg verstanden hat, und fasst noch einmal zusammen:<br />

"Wir haben doch jetzt 8 - 5 gerechnet und das ist 3; und weil wir schon bei 30 angekommen<br />

sind, müssen wir jetzt 30 + 3 rechnen, weil das der Rest von der 8 ist, die wir<br />

ja plus rechnen müssen; so geht das viel schneller!"<br />

Maren ist einigermaßen fassungslos. 'Das mit dem viel schneller kann die Mutti ja wohl<br />

nicht ernsthaft meinen. Dürfte ich mit den Fingern rechnen und müsste ich nicht laufend<br />

zusätzliche Aufgaben lösen, und ich wäre mit den Hausaufgaben schon viel weiter. Aber<br />

noch viel rätselhafter ist, warum wir (?!?) die Aufgabe 8 - 5 = 3 gerechnet haben sollen;<br />

die steht nirgendwo im Heft, und von wir kann nun wirklich nicht die Rede sein, bestenfalls<br />

Mutti hat das gerechnet. Eine Minus-Aufgabe, obwohl doch plus gerechnet werden<br />

soll!! Schimpft Mutti nicht immer, wenn ich statt minus plus rechne?! Und jetzt macht sie<br />

es selber. Und das mit dem Rest ist auch so komisch. Den gibt es doch nur bei Geteilt-<br />

Aufgaben!' Maren beschließt, aufgrund der vielen Ungereimtheiten nachzufragen: "Warum<br />

soll ich das denn alles rechnen?" Die Antwort der Mutter sorgt für neue Tränen: "Weil das<br />

so doch alles ganz einfach ist, findest du nicht?!"<br />

Nein, das findet Maren wirklich überhaupt nicht. 'Und dann ist da schon wieder der Satz,<br />

dass immer alles ganz einfach ist', denkt sich Maren. Den hat sie schon tausendmal gehört.<br />

'Das sagt auch immer die Lehrerin und auch die anderen Kinder; selbst der Thomas,<br />

und der ist doch sonst viel schlechter in der Schule als ich. Und alle sagen immer, ich soll<br />

fleißig üben, dann wird es schon besser. Das hilft bei mir nicht, weil ich einfach zu dumm<br />

bin; das hat auch schon mal der Papa gesagt. Aber vielleicht bin ich ja auch wirklich krank<br />

im Kopf; schließlich war die Mutti mit mir deswegen schon beim Arzt und auch im Krankenhaus,<br />

und in der Schule haben sie auch schon einen Test gemacht.'<br />

5


Der Mutter gelingt es schließlich, das Mädchen zu beruhigen. Als Maren sich gefangen hat,<br />

macht die Mutter den Vorschlag, einfach ins Heft zu schreiben, dass sie (Maren) die<br />

Hausaufgaben nicht verstanden hätte, damit die Lehrerin ihr noch mal alles erklären könne.<br />

Aber ohne Hausaufgaben will Maren auf keinen Fall in die Schule gehen, denn: "Dann<br />

sehen alle wieder, dass ich zu doof bin!" Die Mutter dementiert energisch und macht ihrer<br />

Tochter Mut. Das hat Maren auch schon tausendmal gehört, und ein Blick des Mädchens<br />

auf das immer noch so gut wie weiße Blatt ihres Haushefts spricht ja wohl Bände.<br />

Nach 20 Minuten fällt die Bilanz in der Tat ziemlich verheerend aus: Im Heft steht:<br />

25 + 18 =<br />

25 + 5 = 30<br />

30 + 3 = 33<br />

Maren ist, was die mathematischen "Erklärungen" angeht, vollends verwirrt, ihr Selbstwertgefühl<br />

hat einmal wieder den absoluten Nullpunkt erreicht, und die Verabredung mit<br />

ihrer Freundin kann sie sowieso vergessen. So ist das fast immer, wenn Mathe-<br />

Hausaufgaben anstehen. Die Mutter ist mit ihren Nerven "voll zu Fuss"; sie weiß sich<br />

keinen Rat mehr, meint, dass man "einfacher" nun doch wirklich nicht "erklären" könne.<br />

Das mit der "ausgerutschten Hand" ist ihr zwar bis jetzt noch nicht passiert, aber irgendwie<br />

muss es doch an dem mangelnden Willen ihrer Tochter liegen. Schließlich hat man<br />

doch alles getan! 1 Jahr Nachhilfe, Erfolg gleich Null; das EEG war ohne Befund, und auch<br />

die Lehrerin meinte, dass Maren kein Kind für die Sonderschule sei. Sie versucht es weiter<br />

mit der "Erklärung" des nächsten Rechenschritts.<br />

"So, Maren. Wir haben jetzt die 8 plus gerechnet. Die ist also (?!?) schon mal weg (???).<br />

Jetzt ist da noch die 1. Was musst du denn jetzt noch rechnen?" (Die Mutter deutet auf<br />

die Zehnerstelle der Zahl 18.) Maren denkt angestrengt nach: "Mutti hat gesagt, dass wir<br />

die 8 plus gerechnet haben und wir sie deshalb minus gerechnet haben, weil sie ja schon<br />

weg ist. Jetzt soll ich was mit der 1 machen, und davor steht ein Plus!<br />

"Plus 1!", lautet Marens Antwort. Die Mutter hätte auch auf jede andere Zahl deuten können,<br />

Maren hätte sie sofort als die zu addierende Zahl benannt. Die Mutter nimmt die<br />

Antwort wohlwollend auf und fragt weiter nach: "Fast richtig, Maren. Aber schau mal, die<br />

1 steht vor der 8, die ja schon fertig plus gerechnet ist. Deswegen (???) ist die 1 ein ..."<br />

'Zehner' wollte Marens Mutter hören. Das rettende Wort bleibt natürlich aus, weil das<br />

Mädchen das dekadische Positionssystem auch in Ansätzen nicht verstanden hat. Eine<br />

weitere "Hilfestellung" der Mutter folgt: "Also, wenn die 8 schon weg ist, dann bleibt bei<br />

den Einern eine Null, und dann steht da die Zahl 10."Maren weiß zwar nicht, was ihre<br />

Mutter da erklärt hat, aber sie probiert es mal mit der Zahl 10 aus: "Plus 10!"<br />

"Richtig", kommt die erlösende Antwort der Mutter. Das aber immer noch ratlose Gesicht<br />

ihrer Tochter lässt sie zu dem Schluss kommen, den nächsten Rechenschritt zu diktieren:<br />

"Wir schreiben also (?!?) jetzt auf 33 + 10 = und rechnen das jetzt aus!"<br />

Aufgabe Nr. 3 steht jetzt im Heft, die nichts mit den Hausaufgaben zu tun hat. Maren<br />

zählt aufwärts, stockt wieder beim Zehnerübergang und gelangt schließlich doch zur Zahl<br />

43. Im Heft steht jetzt:<br />

6


25 + 18 =<br />

25 + 5 = 30<br />

30 + 3 = 33<br />

33 + 10 = 43<br />

Die Mutter ist erleichtert. Endlich ist die erste Aufgabe fertig! Da hat sich die Mutter allerdings<br />

gründlich geirrt. Und auch die Annahme, dass die restlichen Aufgaben jetzt schneller<br />

durchgerechnet werden, wird sich nicht bewahrheiten. Die Mutter stellt die nächste Frage:<br />

"Was kommt denn jetzt bei 25 + 18 als Ergebnis raus?" Maren schaut aus dem Fenster<br />

und beginnt zu "rechnen". Die Mutter ist fassungslos: "Aber Maren, das haben wir doch<br />

gerade ausgerechnet!"<br />

Das Mädchen schaut in sein Heft. Drei Aufgaben sind bisher gerechnet worden: Aber die<br />

Aufgabe 25 + 18 ist noch nicht dabei. Maren weiß nicht, was sie sagen soll, da folgt bereits<br />

der nächste Hinweis der Mutter: "Maren, schau doch mal hin! Das Ergebnis steht<br />

doch schon da!" Maren schaut sich die Aufgabe 25 + 18 noch einmal an. "Aber da steht<br />

doch noch kein Ergebnis!" protestiert das Mädchen. Der Protest von Maren fällt jedoch<br />

nicht auf fruchtbaren Boden: "Du schaust ja auch auf die ganz falsche Aufgabe! Da unten<br />

steht doch, dass 33 + 10 = 43 ist. Also (?!?) ist das Ergebnis 43!"<br />

Das findet Maren allerdings überhaupt nicht einleuchtend. 'Wenn ich das Ergebnis der<br />

Aufgabe 25 + 18 wissen will, muss man auf die Aufgabe 33 + 10 schauen. Das würde ja<br />

bedeuten, dass ich 33 + 10 rechnen muss, um herauszubekommen, welches Ergebnis bei<br />

25 + 18 das richtige ist. Aber woran erkenne ich überhaupt, dass man bei 25 + 18 die<br />

Aufgabe 33 + 10 rechnen muss; da ist ja überhaupt keine Zahl gleich? Und welche Aufgabe<br />

muss ich bei der nächsten Rechnung nehmen?'<br />

Die Mutter verlässt die bisherige Erklärungsschiene und versucht es mit einem Rechenschema:<br />

"Wir können die Aufgabe auch so rechnen. Zuerst rechnest du die Zehner zusammen<br />

und dann die Einer." Da die Mutter weiß, dass Maren ständig Zehner und Einer<br />

einer Zahl verwechselt, schiebt sie den nächsten "Tipp" gleich nach: "Also musst du von<br />

den Zahlen 25 und 18 die 2 und die 1 und die 5 und die 8 zusammenrechnen, weil (?!?)<br />

du ja keine Äpfel und Birnen zusammenrechnen kannst!"<br />

Was Äpfel und Birnen mit Zehner und Einer zu tun haben, versteht Maren nicht. Den Trick<br />

mit den Zehnern und Einern hat Maren allerdings schon öfters gehört. Sie befolgt den<br />

Tipp der Mutter und schreibt nach einer Weile das Ergebnis hin:<br />

25 + 18 = 313<br />

Mit diesem Ergebnis zerreißt nun endgültig der Geduldsfaden der Mutter. "Hast du denn<br />

nicht hingehört, was du rechnen sollst? Das sieht man doch sofort, dass das falsch ist.<br />

20 + 10 ist doch nur 30, und du bekommst über 300 raus!" Das Mädchen bricht erneut in<br />

Tränen aus. Schließlich hat es doch genau hingehört und auch das gerechnet, was die<br />

Mutter gesagt hat: 2 +1 = 3 und 5 + 8 = 13, und das Ergebnis hat sie auch hingeschrieben.<br />

Und überhaupt, die Aufgabe 20 + 10 steht nirgends im Heft. Wie kann man<br />

denn dann sehen, dass das falsch ist?<br />

Nach einer Weile hat die Mutter sich wieder beruhigt. Um dem Drama ein Ende zu bereiten,<br />

entschließt sich die Mutter zur letzten Lösungsstrategie: vorsagen! Geschlagene 2<br />

7


Stunden später sind die Mathe-Hausaufgaben fertig (wie Maren und ihre Mutter auch) -<br />

wäre da nicht noch die Textaufgabe. Aber das schafft die Mutter nicht mehr; erstens hat<br />

sie auch noch andere Dinge zu tun, und zweitens ist sie mit ihrem Latein völlig am Ende.<br />

Da muss halt der Papa ran!<br />

Maren zeigt ihrem Vater die Aufgabe. Sie lautet: Herr Meier fährt in den Supermarkt und<br />

kauft 3 Kisten Mineralwasser. In jeder Kiste sind 12 Flaschen.<br />

Der Vater macht Maren Mut: "Versuch' es doch einmal alleine. Das ist gar nicht so schwer.<br />

Wenn du fertig bist, zeigst du mir dein Ergebnis." Maren rechnet die Sachaufgabe aus und<br />

präsentiert dem Vater ihre Lösung. Der Kommentar des Vaters ist: "Jetzt gehst du morgen<br />

in die Schule und sagst deiner Lehrerin, dass du zum Rechnen einfach zu dumm bist!" In<br />

Marens Heft steht:<br />

Frage: Wie viel muss Herr Meier insgesamt bezahlen?<br />

Rechnung: 12 + 3 = 15<br />

Antwort: Es kostet zusammen 15 €.<br />

Zumindest hat die Quälerei für Maren heute ein Ende. Seit nun 3 Jahren geht das so fast<br />

jeden Nachmittag, und zu guter letzt streiten sich darüber dann auch noch der Vater und<br />

die Mutter.<br />

8

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