25.02.2013 Aufrufe

Kurzfassung Gutachten zur Evaluierung von ... - Bund NRW

Kurzfassung Gutachten zur Evaluierung von ... - Bund NRW

Kurzfassung Gutachten zur Evaluierung von ... - Bund NRW

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Kurzfassung</strong><br />

<strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong><br />

<strong>Evaluierung</strong> <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />

im Rheinischen Braunkohlenrevier<br />

im Hinblick auf ihre Sozialverträglichkeit<br />

im Auftrag des Ministeriums für<br />

Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft<br />

Nordrhein-Westfalen


<strong>Kurzfassung</strong><br />

<strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong><br />

<strong>Evaluierung</strong> <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />

im Rheinischen Braunkohlenrevier<br />

im Hinblick auf ihre Sozialverträglichkeit<br />

im Auftrag des Ministeriums für<br />

Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

Büro für Stadtplanung und Stadtforschung<br />

Peter Zlonicky Kunibert Wachten<br />

Prof. Peter Zlonicky<br />

Dr. Katrin Hater<br />

Dr. Rainer Stierand<br />

Dipl.-Soz. Saskia Siefert<br />

Elke Wendt-Kummer<br />

Jens Cüppers<br />

Dortmund, im Dezember 1999


Inhalt 3<br />

Inhalt Seite<br />

Vorwort........................................................................................................................................................... 5<br />

1. Sozialverträglichkeit auf dem Prüfstand ............................................................................................. 6<br />

Der Entstehungszusammenhang des Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990 .......................................... 6<br />

Veränderte Rahmenbedingungen 1999..................................................................................................... 7<br />

Ernüchterung und Ermutigung ................................................................................................................... 7<br />

2. Zur Methodik ....................................................................................................................................... 8<br />

Methodisches Vorgehen ............................................................................................................................ 8<br />

Aufbau des <strong>Gutachten</strong>s.............................................................................................................................. 9<br />

Beteiligung der Akteure.............................................................................................................................. 9<br />

3. Maßstäbe für eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im <strong>Gutachten</strong> 1990 ............................. 10<br />

Erinnerungen an die Wertprämissen........................................................................................................ 10<br />

Selbstbestimmung.................................................................................................................................... 11<br />

Solidarität ................................................................................................................................................. 11<br />

Politische Gestaltung................................................................................................................................ 12<br />

Die zehn Kriterien der Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990................................................................. 13<br />

4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren ............................... 15<br />

Programmatische Positionen <strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit im Rheinischen Braunkohlenrevier.................... 15<br />

Der Braunkohlenausschuß....................................................................................................................... 15<br />

Der Bergbautreibende.............................................................................................................................. 16<br />

Die Vereinten Initiativen ........................................................................................................................... 16<br />

Die Naturschutzverbände......................................................................................................................... 17<br />

Die Kirchen............................................................................................................................................... 17<br />

Die Umsiedlungsgemeinden .................................................................................................................... 18<br />

Fazit.......................................................................................................................................................... 19<br />

Neue Verträge und Verfahren .................................................................................................................. 19<br />

Der Inden-Vertrag................................................................................................................................. 19<br />

Die Rahmenvereinbarung Elsdorf, Erkelenz-Erklärung........................................................................ 20<br />

Die Jüchen-Erklärung ........................................................................................................................... 21<br />

Die Umsiedlerfibel................................................................................................................................. 22<br />

Das Standortfindungskonzept .............................................................................................................. 23<br />

Der Umsiedlungsbeauftragte................................................................................................................ 23<br />

Der Treuhandfonds............................................................................................................................... 23<br />

Der Fonds für Umsiedlungszwecke...................................................................................................... 24<br />

5. Sozialverträglichkeit in der Praxis – vier Fallstudien......................................................................... 25<br />

Umsiedlung Garzweiler/Priesterath ...................................................................................................... 26<br />

Umsiedlung Inden/Altdorf ..................................................................................................................... 26<br />

Umsiedlung Etzweiler/Gesolei.............................................................................................................. 26<br />

Planung der Umsiedlungen Otzenrath/Spenrath und Holz .................................................................. 27<br />

6. Konkretisierung der Kriterien ............................................................................................................ 28<br />

1. Demokratische Legitimation................................................................................................... 28<br />

2. Reversibilität und Planungssicherheit .................................................................................... 29<br />

3. Prävention .............................................................................................................................. 30<br />

4. Erwerb <strong>von</strong> Kompetenz.......................................................................................................... 30<br />

5. Materielle Sicherung .............................................................................................................. 31<br />

6. Partizipation ........................................................................................................................... 34<br />

7. Differenzierte Zeitplanung ......................................................................................................35<br />

8. Differenzierte Angebotsplanung............................................................................................. 36<br />

9. Zukunftschancen.................................................................................................................... 37<br />

10. Regionale Entwicklungsperspektiven .................................................................................... 38<br />

11. Gemeinsame Umsiedlung...................................................................................................... 39<br />

12. Qualitätssicherung ................................................................................................................. 43<br />

7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven ..................................................................................... 45<br />

Stärken und Schwächen .......................................................................................................................... 45<br />

Stärken ................................................................................................................................................. 45<br />

Schwächen ........................................................................................................................................... 46


4 Vorwort<br />

Allgemeine Empfehlungen ....................................................................................................................... 47<br />

1. Demokratische Legitimation................................................................................................... 47<br />

2. Reversibilität und Planungssicherheit .................................................................................... 47<br />

3. Prävention .............................................................................................................................. 48<br />

4. Erwerb <strong>von</strong> Kompetenz.......................................................................................................... 48<br />

5. Materielle Sicherung .............................................................................................................. 49<br />

6. Partizipation ........................................................................................................................... 49<br />

7. Differenzierte Zeitplanung ......................................................................................................50<br />

8. Differenzierte Angebotsplanung............................................................................................. 50<br />

9. Zukunftschancen.................................................................................................................... 50<br />

10. Regionale Entwicklungsalternativen ...................................................................................... 51<br />

11. Gemeinsame Umsiedlung...................................................................................................... 51<br />

12. Qualitätssicherung ................................................................................................................. 52<br />

Spezielle Handlungsempfehlungen für Otzenrath, Spenrath und Holz ................................................... 52<br />

Veränderung der Sozialverträglichkeit in der zeitlichen Entwicklung....................................................... 53<br />

Szenario 1............................................................................................................................................. 53<br />

Szenario 2............................................................................................................................................. 54<br />

Szenario 3............................................................................................................................................. 55<br />

Literatur........................................................................................................................................................ 56<br />

Quellen ................................................................................................................................................. 58


Inhalt 5<br />

Vorwort<br />

Ziel des <strong>Gutachten</strong>s ist die <strong>Evaluierung</strong> und Konkretisierung der Kriterien, die <strong>von</strong> unserem Büro in einem<br />

<strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im Rheinischen Braunkohlenrevier (1990) formuliert<br />

wurden, sowie die Überprüfung der aktuellen Umsiedlungsplanungen in Otzenrath/Spenrath und<br />

Holz.<br />

Die vorliegende <strong>Kurzfassung</strong> übernimmt weitgehend die Aufgabenstellung, die Erläuterung des methodischen<br />

Vorgehens, die Ableitung aus den Wertprämissen des Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990 und<br />

die Erfahrungen der letzten zehn Jahre (Kapitel 1 - 4) aus der Langfassung des <strong>Gutachten</strong>s. Die Ergebnisse<br />

der Fallstudien, der umfangreichste Teil des <strong>Gutachten</strong>s (Kapitel 5) und die Konkretisierung der Kriterien<br />

(Kapitel 6), werden hier nur zusammenfassend wiedergegeben. Die abschließenden Erkenntnisse<br />

und Empfehlungen folgen weitgehend der Langfassung (Kapitel 7).<br />

Das <strong>Gutachten</strong> ist in einem intensiven Gedankenaustausch mit den beteiligten Akteuren entstanden. Für<br />

die Bereitschaft, uns ihre Erfahrungen mitzuteilen, danken wir den Vertreterinnen und Vertretern der beteiligten<br />

Gemeinden, der Geschäftsstelle des Braunkohlenausschusses und der Umsiedlungsabteilung <strong>von</strong><br />

Rheinbraun wie auch den Kirchen und Verbänden. Unser Dank gilt ganz besonders den Umsiedlerinnen<br />

und Umsiedlern, die uns - am alten oder am neuen Umsiedlungsort oder in ihrer neuen Heimat - ihre persönlichen<br />

Eindrücke in langen Gesprächen vermittelt haben.<br />

Auftraggeber für dieses <strong>Gutachten</strong> ist das Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des<br />

Landes Nordrhein-Westfalen. Wir danken den zuständigen Mitarbeitern für ihre begleitende Betreuung<br />

und Unterstützung unserer Arbeit.<br />

Peter Zlonicky<br />

Büro für Stadtplanung und Stadtforschung<br />

Dortmund, im Dezember 1999


6 1. Sozialverträglichkeit auf dem Prüfstand<br />

1. Sozialverträglichkeit auf<br />

dem Prüfstand<br />

Das Ministerium für Umwelt, Raumordnung und<br />

Landwirtschaft (MURL) hat das Büro für Stadtplanung<br />

und Stadtforschung beauftragt, ein <strong>Gutachten</strong><br />

<strong>zur</strong> <strong>Evaluierung</strong> <strong>von</strong> Umsiedlungen im Rheinischen<br />

Braunkohlenrevier im Hinblick auf ihre Sozialverträglichkeit<br />

zu erstellen. Damit wird zum einen eine<br />

Empfehlung des <strong>Gutachten</strong>s <strong>zur</strong> Beurteilung der<br />

Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im Rheinischen<br />

Braunkohlenrevier aus dem Jahr 1990 (im<br />

folgenden: Sozialverträglichkeitsgutachten 1990)<br />

aufgenommen, das eine regelmäßige Überprüfung<br />

des Erfolgs <strong>von</strong> Sozialverträglichkeitsmaßnahmen<br />

vorgeschlagen hat. Zum anderen hat die Landesplanungsbehörde<br />

mit der Genehmigung des<br />

Braunkohlenplanes Garzweiler II ihre Absicht bekräftigt,<br />

weitergehende Überlegungen <strong>zur</strong> konkreten<br />

Umsetzung des Braunkohlenplanes und <strong>zur</strong><br />

Weiterentwicklung des Umsiedlungsgeschehens im<br />

Hinblick auf die Sozialverträglichkeit anzustellen.<br />

Das <strong>Gutachten</strong> soll einen Beitrag <strong>zur</strong> Erfüllung dieser<br />

Ansprüche leisten.<br />

<strong>Evaluierung</strong> umfaßt die systematische, datengestützte<br />

Beschreibung und Bewertung <strong>von</strong> Programmen,<br />

Projekten, Materialien für Zwecke der<br />

Entscheidungsfindung oder der kontinuierlichen<br />

Verbesserung (Beywl 1998). Im Rahmen einer<br />

<strong>Evaluierung</strong> wird überprüft, wieweit einmal gesetzte<br />

Ziele, in diesem Fall also die sozialverträgliche Gestaltung<br />

<strong>von</strong> Umsiedlungen, erreicht werden konnten,<br />

wie Abweichungen vom Ziel erklärt werden<br />

können und ob Korrekturen an den Zielen, den Mitteln<br />

oder den Wegen erforderlich sein können.<br />

Die vorliegende <strong>Evaluierung</strong>sstudie untersucht<br />

zehn Jahre Planungs- und Umsiedlungspraxis vor<br />

dem Hintergrund der im Sozialverträglichkeitsgutachten<br />

1990 erarbeiteten Kriterien.<br />

Auf der Grundlage der Erfahrungen mit den Umsiedlungen<br />

aus Garzweiler, Inden/Altdorf und<br />

Etzweiler/Gesolei und neuerer Literatur zum Thema<br />

Sozialverträglichkeit werden die Kriterien des<br />

Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990 aktualisiert<br />

und konkretisiert. Die Überprüfung der aktuellen<br />

Umsiedlungsplanungen für die Ortschaften Otzenrath,<br />

Spenrath und Holz führt zu einer erneuten<br />

Auseinandersetzung mit den Grundlagen einer sozialverträglichen<br />

Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen.<br />

Der Entstehungszusammenhang des<br />

Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990<br />

Das <strong>Gutachten</strong> war einer <strong>von</strong> mehreren Schritten<br />

auf dem Weg, den Begriff Sozialverträglichkeit und<br />

ein entsprechendes Prüfverfahren in die Braunkohlenplanung<br />

zu integrieren. Hintergrund war die europaweite<br />

Debatte über die Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung<br />

(UVP) bei der Genehmigung<br />

<strong>von</strong> Großvorhaben, die starke Auswirkungen<br />

auf die natürliche Umwelt haben würden. Es<br />

lag auf der Hand, für Tagebauvorhaben, die mit so<br />

tiefen Eingriffen in soziale Lebensverhältnisse verbunden<br />

sind, in ähnlicher Weise eine Sozialverträglichkeitsprüfung<br />

vorzusehen. Die wachsende<br />

Komplexität <strong>von</strong> Umsiedlungen im Rheinischen<br />

Braunkohlenrevier verlangte nach neuen Lösungen.<br />

Die Gemeinde Inden, die drei Orte zeitversetzt<br />

an einen gemeinsamen Standort umsiedeln sollte,<br />

brauchte neue Konzepte und praktische Unterstützung.<br />

Im Bereich Garzweiler II dagegen wurde die<br />

grundsätzliche Frage aufgeworfen, ob der Tagebau<br />

überhaupt notwendig sei und unter welchen Voraussetzungen<br />

er akzeptabel sein könnte. Die politische<br />

Akzeptanz des Abbauvorhabens war bei den<br />

betroffenen Bürgerinnen und Bürgern und den<br />

Gemeinden nicht ohne weiteres vorauszusetzen.<br />

Das Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 antwortete<br />

auf diese Herausforderung mit einer breit angelegten<br />

Untersuchung des gesamten Umsiedlungsgeschehens.<br />

In drei Fallstudien wurden die praktischen<br />

Erfahrungen der Gemeinden und der betroffenen<br />

Umsiedlerinnen und Umsiedler dokumentiert.<br />

In sieben thematisch geordneten Fachbeiträgen<br />

wurden diese Informationen systematisch ausgewertet<br />

und im Rahmen übergreifender sozial- und<br />

planungswissenschaftlicher Wissensbestände interpretiert.<br />

Damit stand erstmals eine Gesamtdarstellung<br />

des Umsiedlungsgeschehens <strong>zur</strong><br />

Verfügung, auf die sich im folgenden alle Akteure<br />

beziehen konnten, wenngleich nicht alle Akteure<br />

den Erkenntnissen der Gutachter in allen Punkten<br />

folgen mochten. Die Empfehlungen der Gutachter<br />

bauten auf dieser Analyse des Umsiedlungsgeschehens<br />

auf und versuchten, Antworten auf die<br />

aktuell in Erscheinung tretenden Probleme zu formulieren.<br />

In Anbetracht der offenen Entscheidungssituation<br />

zu Garzweiler II wurde deutlich, daß<br />

die Frage der Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />

kaum zu trennen war <strong>von</strong> der Frage der<br />

grundsätzlichen Akzeptanz eines Braunkohlenvorhabens<br />

und des politischen Entscheidungsverfahrens.<br />

Die Gutachter griffen auch diese Verunsicherungen<br />

auf und gaben unter dem Stichwort Demokratische<br />

Legitimation Empfehlungen zu Verfahrensinnovationen.<br />

Insbesondere schlugen sie vor,


1. Sozialverträglichkeit auf dem Prüfstand 7<br />

den Landtag stärker in die Entscheidung über einzelne<br />

Tagebauvorhaben einzubeziehen<br />

Veränderte Rahmenbedingungen 1999<br />

Das vorliegende <strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong> <strong>Evaluierung</strong> <strong>von</strong><br />

Umsiedlungen findet neue Rahmenbedingungen<br />

vor. Die rechtliche Verankerung der Sozialverträglichkeitsprüfung<br />

ist mit der Änderung des Landesplanungsgesetzes<br />

im März 1993 abgeschlossen<br />

worden. Die Umsetzung dieses Verfahrens<br />

in die Praxis der Braunkohlenplanung und<br />

die Realisierung <strong>von</strong> Zielen der Sozialverträglichkeit<br />

kann an zwei Beispielen, den Umsiedlungen<br />

aus Etzweiler/Gesolei und den Umsiedlungsplanungen<br />

für die Ortschaften Otzenrath, Spenrath<br />

und Holz, untersucht werden. Die Umsiedlungen<br />

aus den Ortschaften Inden und Altdorf sind zwar<br />

noch ohne formale Sozialverträglichkeitsprüfung<br />

geplant und durchgeführt worden, waren aber doch<br />

begleitet und beeinflußt <strong>von</strong> der Auseinandersetzung<br />

um Standards und Verfahren der Sozialverträglichkeit.<br />

Die <strong>Evaluierung</strong>sstudie findet nicht nur sachlich,<br />

sondern auch politisch in einer veränderten Situation<br />

statt. Garzweiler II, das umstrittenste Vorhaben<br />

in der Geschichte des Rheinischen Reviers, hat in<br />

diesem Zeitraum die wichtigsten Planungs- und<br />

Genehmigungsverfahren durchlaufen. Dabei ist der<br />

Umfang deutlich verkleinert worden. Die Genehmigungen<br />

sind darüber hinaus mit erheblichem Auflagen<br />

versehen worden. Eine endgültige Sicherheit<br />

über den tasächlichen Abbau besteht damit weiterhin<br />

nicht, auch wenn der Tagebau anders als im<br />

Jahre 1990 nicht mehr <strong>zur</strong> politischen Disposition<br />

steht. Darüber hinaus steht kein weiteres Abbauvorhaben<br />

<strong>zur</strong> Diskussion.<br />

Die Frage, wieweit es tatsächlich gelingt, Umsiedlungen<br />

sozialverträglich durchzuführen, ist weiterhin<br />

<strong>von</strong> grundlegender Bedeutung. So soll die Genehmigung<br />

der in den folgenden Jahrzehnten<br />

Schritt um Schritt zu erarbeitenden Teilpläne für<br />

künftige Umsiedlungen nach dem Braunkohlenplan<br />

Garzweiler II jeweils <strong>von</strong> einer Überprüfung der<br />

Grundannahmen der energiepolitischen Notwendigkeit<br />

und der Beherrschbarkeit der ökologischen<br />

und sozialen Folgen abhängig gemacht werden.<br />

Die Grundannahme der Sozialverträglichkeit <strong>von</strong><br />

Umsiedlungen muß sich dann auch in der Praxis<br />

bestätigt haben (vgl. Genehmigungserlaß Garzweiler<br />

II).<br />

Etwa seit dem Jahresende 1997 wird außerhalb<br />

der politischen Entscheidungsgremien und der<br />

förmlichen Genehmigungsverfahren über die öko-<br />

nomische Rentabilität <strong>von</strong> Braunkohleverstromung<br />

diskutiert. Dabei stellen unterschiedliche Akteure<br />

Veränderungen <strong>von</strong> Rahmenbedingungen in<br />

Rechnung und kommen zu entsprechend unterschiedlichen<br />

Ergebnissen. Auch der Betreiber der<br />

Braunkohleverstromung selbst, das RWE, bindet<br />

die Realisierung der genehmigten Abbaupläne an<br />

eng definierte politische Rahmenbedingungen.<br />

Über die Presse verbreitete Gerüchte, Spekulationen<br />

und Drohungen verunsichern die Betroffenen<br />

erheblich und belasten das Bemühen um eine sozialverträgliche<br />

Umsiedlungsgestaltung vor Ort. Im<br />

Laufe der gutachterlichen Untersuchungen ist die<br />

Sensibilität für die Rahmenbedingungen der Sozialverträglichkeit<br />

gewachsen.<br />

Ernüchterung und Ermutigung<br />

In mancher Hinsicht ist eine Ernüchterung in den<br />

Erwartungen an die vor zehn Jahren formulierten<br />

Kriterien der Sozialverträglichkeit zu erkennen.<br />

Manche Bürgerinnen und Bürger sind enttäuscht,<br />

daß der Begriff der Sozialverträglichkeit keinen<br />

unumstrittenen, objektiven Maßstab für Gerechtigkeit<br />

und Fairneß bietet, daß auch die Sozialverträglichkeitsprüfung<br />

kein Verfahren darstellt, mit<br />

dem umstandslos alle Anliegen und Wünsche der<br />

Betroffenen durchgesetzt werden könnten. Beschwerden<br />

über empfundene Verletzungen <strong>von</strong><br />

Sozialverträglichkeit bleiben scheinbar folgenlos,<br />

und es ist weitgehend unklar, an welche Instanz<br />

solche Beschwerden legitimerweise zu richten wären.<br />

Auf der anderen Seite steht Ermutigung, steht die<br />

Erfahrung vor allem der betroffenen Kommunen,<br />

daß die öffentliche Debatte und der rechtliche<br />

Zwang zum Nachweis der Sozialverträglichkeit sie<br />

in ihrem Bemühen unterstützen, das Beste für die<br />

ihnen anvertrauten Bürgerinnen und Bürger herauszuholen.<br />

Die Vereinbarungen zum Braunkohlenplan<br />

Inden II und die Jüchen-Erklärung sind<br />

starke Belege für deutliche Verbesserungen in der<br />

Praxis. Dies gilt insbesondere für jene Betroffenen,<br />

die nicht über die Verhandlungsmacht <strong>von</strong> Immobilienbesitzern<br />

verfügen.


8 2. Zur Methodik<br />

2. Zur Methodik<br />

Das Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 hatte<br />

empfohlen, künftige Umsiedlungen kontinuierlich<br />

zu evaluieren und dazu einige Verfahrensschritte<br />

formuliert. Diesen Empfehlungen wurde leider nicht<br />

entsprochen. Damit ist auch die Datengrundlage<br />

für das vorliegende <strong>Gutachten</strong> problematisch. Weder<br />

bei den Gemeinden noch beim Braunkohlenausschuß,<br />

weder beim Ministerium für Umwelt,<br />

Raumordnung und Landwirtschaft noch beim<br />

Bergbautreibenden wurden zu den interessierenden<br />

Fragen systematisch Daten gesammelt und<br />

Erfahrungen ausgewertet. Damit liegen keine verläßlichen<br />

Angaben über die Sozial- und Altersstruktur<br />

in den neuen Orten und entsprechend über die<br />

Sozial- und Altersstruktur der Abwanderer vor.<br />

Noch viel weniger weiß man Genaues über die<br />

Zielorte, die neue Wohn- und ggfs. Arbeitssituationen<br />

und die Abwanderungsmotive derer, die nicht<br />

an der gemeinsamen Umsiedlung teilgenommen<br />

haben. Es liegen keine vollständigen Daten vor,<br />

nach welchen Finanzierungsmodellen und durch<br />

welche Träger wieviel Mietwohnungen an den neuen<br />

Standorten errichtet wurden, Wohnungsgrößen<br />

und Mietpreise wurden nicht systematisch dokumentiert.<br />

Der Mangel an exakten Zahlen wird im <strong>Gutachten</strong><br />

teilweise kompensiert, indem die Beobachtungen<br />

<strong>von</strong> Schlüsselpersonen gesammelt werden und<br />

generalisierte Aussagen in den Erfahrungsberichten<br />

der Beteiligten, etwa in den offiziellen Broschüren<br />

zum Abschluß <strong>von</strong> Umsiedlungen, hinzugezogen<br />

werden. Unsere insistierenden Nachfragen bei<br />

allen Verantwortlichen haben schließlich zahlreiche<br />

Einzelfakten zutage gefördert, die wir dann zu einem<br />

Gesamtbild zusammengefügt haben. Auf dieser<br />

Grundlage konnten schließlich doch plausible<br />

Schlußfolgerungen über den Erfolg einzelner Programme,<br />

etwa des Mieterhandlungskonzepts, gezogen<br />

werden. Es reicht jedoch nicht aus, um bewertungsfähige<br />

Aussagen <strong>zur</strong> Sozial- und Altersstruktur<br />

unter den Abwanderern und in den neuen<br />

Orten zu treffen. In solchen Zahlen könnten möglicherweise<br />

noch Aspekte der sozialen Dynamik <strong>von</strong><br />

Umsiedlungen sichtbar werden, die auch <strong>von</strong><br />

Schlüsselpersonen nicht wahrgenommen werden.<br />

Wir gehen jedoch da<strong>von</strong> aus, daß sich dadurch die<br />

Beurteilung der Sozialverträglichkeit nicht grundsätzlich<br />

ändern würde.<br />

Methodisches Vorgehen<br />

Diese Versäumnisse sind durch das vorliegende<br />

<strong>Gutachten</strong> nicht auszugleichen. Dies würde zum<br />

einen erfordern, eine quantitative Vollerhebung bei<br />

allen Umsiedlerhaushalten durchzuführen. Ein solcher<br />

sehr zeit- und kostenaufwendiger Arbeitsschritt<br />

ist im Auftrag nicht vorgesehen. Seine<br />

Durchführung wäre ohnehin fast unmöglich, weil<br />

der Verbleib der Abwanderer in vielen Fällen nicht<br />

bekannt ist. Zum anderen ist die zeitnahe Beobachtung<br />

<strong>von</strong> Geschehnissen nur begrenzt durch rückblikkende<br />

Befragungen und Aktenanalyse zu ersetzen.<br />

Grundlagen des vorliegenden <strong>Gutachten</strong>s sind Daten,<br />

die bei den Gemeinden, beim Bergbautreibenden<br />

und beim Landesamt für Datenverarbeitung<br />

und Statistik verfügbar sind, Protokolle, Informationsmaterialien<br />

und Veröffentlichungen, Karten und<br />

Pläne.<br />

Für die Befragung wurde eine qualitative Untersuchungsmethode<br />

gewählt. Es wurde keine Stichprobe<br />

gezogen, das Kriterium der Repräsentativität<br />

der Auswahl der Befragten kann deshalb hier keine<br />

Anwendung finden. Dennoch wurde eine gezielte<br />

Auswahl der Interviewpartner vorgenommen. Wie<br />

beim ersten <strong>Gutachten</strong> waren folgende Kriterien<br />

ausschlaggebend:<br />

�� Aus den vorab angenommenen Gruppen unterschiedlicher<br />

Betroffenheit (z.B. Altersgruppen,<br />

Eigentümer und Mieter, Landwirte und<br />

Gewerbetreibende) sollte an jedem Ort mindestens<br />

eine Person vertreten sein,<br />

�� die an der Vorbereitung und Durchführung der<br />

Umsiedlung beteiligten lokalen Akteure sollten<br />

ausreichend repräsentiert sein,<br />

�� das dörfliche Vereins- und Pfarrgemeindeleben<br />

sollte <strong>von</strong> mehreren Mitgliedern dargestellt<br />

werden,<br />

�� zu einzelnen Themen sollten auch überlokal<br />

handelnde Experten befragt werden.<br />

Nach diesen Kriterien wurden Personen ausgesucht,<br />

die zum überwiegenden Teil Schlüsselpersonen<br />

in dem Sinne waren, daß sie durch den Umgang<br />

mit einer größeren Anzahl <strong>von</strong> Betroffenen<br />

eine intime Kenntnis typischer Problemwahrnehmungen<br />

und Lösungsmuster erworben hatten, teilweise<br />

zugleich selbst Umsiedler waren. Viele Befragte<br />

vermittelten Kontakte zu weiteren Interviewpartnern.<br />

Darüber hinaus wurden in den Umsiedlungsorten<br />

eine Anzahl zufällig ausgewählter Passanten<br />

befragt.<br />

Für uns dienten die Interviews dazu, ein möglichst<br />

umfassendes Wissen über Umsiedlungen und Sozialverträglichkeit<br />

in der Praxis zu erlangen. Des-


2. Zur Methodik 9<br />

halb versuchen wir die qualitativen Differenzierungen,<br />

die uns die Interviews liefern, in unserer Analyse<br />

wiederzugeben. Wahrnehmungsurteile der Betroffenen<br />

behandeln wir in diesem Sinne als Fakten.<br />

Wir fügen wörtliche Zitate ein, wenn sie einen<br />

Sachverhalt besonders deutlich beleuchten. Zum<br />

Schutz der Gesprächspartner haben wir die Interviews<br />

anonymisiert.<br />

Die Aussagen aus den einzelnen Interviews wurden<br />

mit den Daten verglichen, die sich aus den<br />

Dokumenten und Statistiken ergeben. Damit konnte<br />

eine hohe Zuverlässigkeit und Gültigkeit der Interviewergebnisse<br />

erzielt werden. Dennoch wäre<br />

eine Langzeitstudie als Ergänzung und zusätzliche<br />

quantitative Fundierung wünschenswert. Das vorgeschlagene<br />

Soziale Monitoring würde diese Aufgabe<br />

erfüllen.<br />

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die<br />

Interviews, die in den einzelnen Orten geführt wurden,<br />

sowie die Anzahl der Befragten und die Bereiche,<br />

in denen sie tätig sind. Viele der Befragten erleben<br />

und reflektieren das Umsiedlungsgeschehen<br />

aus unterschiedlichen Betroffenheiten: als Mensch,<br />

der umsiedeln muß, als beruflich Tätiger und als<br />

Persönlichkeit, die in der Dorfgemeinschaft oder in<br />

sonstigen Gremien eine Funktion einnimmt. Diesem<br />

Gesichtspunkt wird in der Tabelle unter dem<br />

Stichwort Positionen Rechnung getragen.<br />

Garzweiler/<br />

Priesterath<br />

Aufbau des <strong>Gutachten</strong>s<br />

Nach der Erörterung der Aufgabe dieses <strong>Gutachten</strong>s<br />

(Kapitel 1) und des methodischen Vorgehens<br />

(Kapitel 2) folgt eine Erinnerung an Wertmaßstäbe<br />

für eine sozialverträgliche Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen,<br />

die für das Sozialverträglichkeitsgutachten<br />

1990 erarbeitet wurden (Kapitel 3). Der folgende<br />

Abschnitt bilanziert Erfahrungen der letzten zehn<br />

Jahre (Kapitel 4). Die Fallstudien ermöglichen einen<br />

Einblick in das Umsiedlungsgeschehen vor Ort<br />

(Kapitel 5). Auf dieser Grundlage werden die Kriterien<br />

für eine sozialverträgliche Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />

konkretisiert und erweitert (Kapitel 6).<br />

Zusammenfassend werden weitergehende Empfehlungen<br />

formuliert. Eine Veränderung der Bewertung<br />

einer Sozialverträglichkeit in der zeitlichen<br />

Entwicklung <strong>von</strong> Umsiedlungen folgt im letzten Abschnitt<br />

(Kapitel 7).<br />

Beteiligung der Akteure<br />

Wichtiges Element des methodischen Vorgehens<br />

ist die Rückkopplung der Untersuchungsergebnisse<br />

mit allen an den Umsiedlungen beteiligten Akteuren<br />

<strong>zur</strong> Validierung unserer Aussagen. Auf der<br />

Grundlage eines Zwischenberichtes konnten zu<br />

den gutachterlichen Aussagen Anregungen und<br />

Bedenken formuliert und in einer gemeinsamen Informationsveranstaltung<br />

im Ministerium für Umwelt,<br />

Raumordnung und Landwirtschaft erörtert werden.<br />

Der vorliegende Abschlußbericht berücksichtigt die<br />

Ergebnisse dieses Gesprächs.<br />

Etzweiler/<br />

Gesolei<br />

Inden/<br />

Altdorf<br />

Otzenrath/<br />

Spenrath/Holz<br />

1. Einzelgespräche<br />

Anzahl der Gespräche 11 8 17 35<br />

Anzahl der Personen 12 12 20 44<br />

Anzahl der Positionen 18 16 22 53<br />

da<strong>von</strong>:<br />

Gemeinde, Politik, Verwaltung 3 4 4 11<br />

soz./med./pfleg. Betreuung 1 1 2<br />

Kultur/Bildung/Kirche 2 2 5 9<br />

Dienstl./Gewerbe/Landwirt. 3 1 3 8<br />

Fachberatung 1 1 2 5<br />

Vereine/Gruppen 8 8 7 18<br />

2. Gruppengespräche 1/10 Personen 1/20 Personen 1/30 Personen


10 3. Maßstäbe für eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im <strong>Gutachten</strong> 1990<br />

3. Maßstäbe für eine<br />

Sozialverträglichkeit <strong>von</strong><br />

Umsiedlungen im<br />

<strong>Gutachten</strong> 1990<br />

Erinnerungen an die Wertprämissen<br />

Das <strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong> Beurteilung der Sozialverträglichkeit<br />

<strong>von</strong> Umsiedlungen im Rheinischen Braunkohlenrevier<br />

wurde zu einem Zeitpunkt verfaßt, als<br />

die wissenschaftliche Diskussion um eine wertorientierte<br />

Begründung <strong>von</strong> Sozialverträglichkeitskonzepten<br />

weitgehend abgeschlossen war. Die Gutachter<br />

konnten seinerzeit auf drei unterschiedliche<br />

Ansätze verweisen: auf das Akzeptanz-Modell aus<br />

dem Umkreis der Kernforschungsanlage Jülich, auf<br />

das Akzeptabilitätsmodell aus dem Umkreis der<br />

Enquête-Kommission des Deutschen <strong>Bund</strong>estages<br />

<strong>zur</strong> friedlichen Nutzung der Kernenergie und auf<br />

Partizipationsmodelle, wie sie im Umfeld <strong>von</strong> Forschungen<br />

<strong>zur</strong> Einführung neuer Technologien in<br />

Verwaltungen und Betrieben entwickelt worden waren.<br />

Auch die Auseinandersetzung über die Einführung<br />

<strong>von</strong> Umweltverträglichkeitsprüfungen war zu<br />

diesem Zeitpunkt mit der Frage beschäftigt, wie<br />

materielle Standards für Umweltverträglichkeit<br />

festgelegt und begründet werden könnten.<br />

Die Frage nach allgemein begründbaren Werten<br />

und Normen entsprach dem gesellschaftlichen Bedürfnis,<br />

für politisch stark umstrittene Themen - allen<br />

voran die friedliche Nutzung der Kernenergie<br />

und die Einführung neuer Technologien - Bewertungskriterien<br />

zu gewinnen, die, mit wissenschaftlicher<br />

Autorität ausgestattet, die Verständigung und<br />

Vermittlung zwischen politischen Kontrahenten erleichtern<br />

könnten. Je verhärteter jedoch die Fronten<br />

waren, umso mehr Schützenhilfe erwartete jede<br />

Streitpartei <strong>von</strong> der Wissenschaft für ihre jeweilige<br />

Position. Umwelt- und Sozialverträglichkeit waren<br />

Begriffe, die mit durchaus konträren politischen<br />

Vorstellungen besetzt wurden. Durch wissenschaftliche<br />

Anstrengungen sollten sie zu rational eindeutig<br />

entscheidbaren Sachverhalten festgeschrieben<br />

werden.<br />

Ein solches Bedürfnis ließ sich auch im Zusammenhang<br />

mit dem umstrittenen Tagebauvorhaben<br />

Garzweiler II feststellen. Während die Gegner des<br />

Vorhabens da<strong>von</strong> ausgingen, daß die Vernichtung<br />

<strong>von</strong> Dörfern und Kulturlandschaften unter keinen<br />

Umständen als sozialverträglich bezeichnet werden<br />

könne, beanspruchte das Bergbauunternehmen mit<br />

ebensolcher Selbstverständlichkeit, daß seine über<br />

die gesetzlichen Verpflichtungen hinausgehende<br />

Entschädigungspraxis sowie sein unablässiges<br />

Bemühen um einen möglichst reibungslosen Ablauf<br />

und die Vermeidung <strong>von</strong> individuellen Härtefällen<br />

mit dem Prädikat sozialverträglich zu honorieren<br />

seien.<br />

Die Gutachter bestätigten, was kaum bestritten<br />

werden kann: Braunkohlentagebau vernichtet historisch<br />

gewachsene Kulturlandschaften und Dörfer.<br />

An vielen Stellen des <strong>Gutachten</strong>s wird daher<br />

ein grundsätzlicher Vorbehalt formuliert: Alle Beeinträchtigungen,<br />

Belastungen, materiellen und immateriellen<br />

Wertverluste, die mit Umsiedlungen<br />

zwangsläufig verbunden sind, sind nur zu rechtfertigen<br />

und können erst dann als zumutbar gelten,<br />

wenn über die energiepolitische Notwendigkeit weiterer<br />

Braunkohlenförderung ein breiter politischer<br />

Konsens auch bei den unmittelbar Betroffenen besteht<br />

(Sozialverträglichkeitsgutachten 1990, I, S.<br />

57).<br />

Mit dieser Vorbemerkung begann für die Gutachter<br />

jedoch erst die Arbeit, Sozialverträglichkeitsstandards<br />

für in diesem Sinne notwendige Umsiedlungen<br />

zu entwickeln. Sie würdigten dabei die übergesetzlichen<br />

Leistungen des Bergbautreibenden, teilten<br />

jedoch nicht dessen Definition <strong>von</strong> Sozialverträglichkeit<br />

als Vermeidung und Beruhigung gesellschaftlicher<br />

Konflikte. Vielmehr entwickelten die<br />

Gutachter eine eigenständige Wertorientierung entlang<br />

der in der wissenschaftlichen Debatte entwikkelten<br />

Kriterien einerseits und einer sorgfältigen<br />

Analyse des Umsiedlungsgeschehens andererseits.<br />

Auf der Grundlage der untersuchten Ortsumsiedlungen<br />

gingen sie der Frage nach, wo Spannungen<br />

zwischen den übergeordneten<br />

gesellschaftlichen Zielen wie Freiheit, Gleichheit,<br />

Gerechtigkeit, Solidarität und den praktischen<br />

Erfahrungen <strong>von</strong> Umsiedlerinnen und Umsiedlern<br />

entstehen.<br />

Chancen für Selbstbestimmung, Solidarität und politische<br />

Gestaltung in einem Verfahren zu eröffnen,<br />

das durch fremdgesetzte ökonomische Zwecke<br />

und fremdbestimmte betriebsorganisatorische Zeitplanungen<br />

geprägt ist, erfordert mehr als den guten<br />

Willen derer, die vor Ort die Umsiedlungen zu bewältigen<br />

haben. So betonte das <strong>Gutachten</strong> deutlich,<br />

daß auch die für Braunkohlenplanung politisch<br />

Verantwortlichen auf Landesebene gefordert seien,<br />

Gelegenheiten für eine Mitsprache der Betroffenen<br />

zu geben, bei denen ihre Interessen gleichberechtigt<br />

neben denen des Bergbauunternehmens <strong>zur</strong><br />

Geltung gebracht werden könnten. Bei ungleichen<br />

Machtverhältnissen zwischen Bergbauunternehmen<br />

und Betroffenen ist es die Aufgabe rechtsstaatlichen<br />

Handelns, die Bürger in ihren Rechten<br />

zu stärken.


3. Maßstäbe für eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im <strong>Gutachten</strong> 1990 11<br />

Die Entwicklungen in den vergangenen zehn Jahren<br />

haben die Sensibilisierung dafür verstärkt, daß<br />

der Spielraum für politisches Handeln und Gestalten<br />

auf allen Ebenen der Entscheidung immer wieder<br />

gefährdet und in vielfältige Abhängigkeiten eingebunden<br />

ist. Er muß für die Interessen der Betroffenen<br />

stets aufs neue gewonnen werden.<br />

Selbstbestimmung<br />

Ohne Frage greift der Zwang zu einer tagebaubedingten<br />

Umsiedlung in das Selbstbestimmungsrecht<br />

der Betroffenen ein. Die Betroffenen werden<br />

genötigt, ihren Wohnsitz aufzugeben, ihre Immobilie<br />

zu verkaufen, ggfs. ihren Betrieb zu verlagern<br />

oder aufzugeben. Umsiedlung ist ein mühsamer<br />

Prozeß, der für einen längeren Zeitraum körperliche,<br />

geistige und emotionale Anstrengungen erfordert<br />

und viel Zeit kostet.<br />

Die Möglichkeiten der einzelnen Umsiedler oder<br />

auch der Umsiedlergemeinschaft, auf politischem<br />

oder rechtlichem Weg die Entscheidung über ein<br />

Tagebauvorhaben zu beeinflussen, sind sehr gering.<br />

Die Bürgerbeteiligung an der Braunkohlenplanung<br />

setzt zu einem Zeitpunkt ein, an dem die<br />

grundsätzliche Entscheidung für ein Vorhaben<br />

weitgehend gefällt ist. Rechtlicher Widerspruch gegen<br />

einen genehmigten Braunkohlenplan ist dem<br />

Einzelnen nicht möglich, da dieser Plan formal keine<br />

Rechtsbindung gegenüber den Bürgern hat. Der<br />

Einfluß auf die Mitglieder des Braunkohlenausschusses<br />

scheint in Anbetracht der langen Delegationsketten,<br />

über die Mitglieder in den Braunkohlenausschuß<br />

gelangen, eher gering. In bezug auf<br />

die grundsätzliche Entscheidung über ein Tagebauvorhaben<br />

und die damit verbundenen Umsiedlungen<br />

muß daher <strong>von</strong> einer Fremdbestimmung<br />

ausgegangen werden.<br />

Umso bedeutender erschien den Gutachtern die<br />

Frage der demokratischen Legitimation einer solchen<br />

Entscheidung. Die Gutachter konstatierten<br />

hier bei aller formalen Korrektheit des Verfahrens<br />

ein unbefriedigtes Bedürfnis bei den Betroffenen.<br />

Sie schlugen daher vor, die Genehmigung eines<br />

Braunkohlenplanes zum Gegenstand einer Abstimmung<br />

im Landtag zu machen.<br />

Wo sich Fremdbestimmung nicht vermeiden läßt,<br />

ist die Frage der Kompensation besonders bedeutsam.<br />

Über die gesetzlichen Entschädigungsregelungen<br />

hinaus gibt es einen Bedarf an materieller<br />

Entschädigung, die den gemeinschaftlichen Aufgaben<br />

am alten und am neuen Ort gerecht wird.<br />

Im Ablauf der Umsiedlungen ist ein größtmöglicher<br />

Spielraum für die selbstbestimmte Gestaltung<br />

durch die Umsiedlergemeinschaft zu gewährleisten.<br />

Dies setzt voraus, daß für alle anstehenden<br />

Entscheidungen hinreichend Zeit, Gelegenheit und<br />

Information bereitgestellt würden, um das Mögliche<br />

zu erkunden, die unterschiedlichen Vorstellungen<br />

und Interessen auszuloten und zu einer gemeinschaftlichen<br />

Entscheidung zu gelangen. Die Gutachter<br />

hatten vorgeschlagen, dazu auch formal eine<br />

Umsiedlergemeinschaft zu gründen, die sich<br />

den unterschiedlichen Aufgaben und Interessen<br />

gemäß in Arbeitsgruppen aufteilt.<br />

Gemeinschaftliche Selbstbestimmung setzt bestimmte<br />

Kompetenzen voraus. Diese reichen <strong>von</strong><br />

der Fähigkeit, die eigenen Wünsche und Interessen<br />

wahrzunehmen und zu artikulieren, über die<br />

Anforderung, einen Plan zu lesen und sich das<br />

Geplante vorzustellen, bis zu der Fähigkeit und<br />

dem Mut, in einer Gruppe oder auf einer Versammlung<br />

zu sprechen, möglicherweise sogar eine Minderheitenposition<br />

zu vertreten. Die Gutachter<br />

schlugen daher eine aktivierende Beratung vor, bei<br />

der die Beratung zu den Umsiedlerinnen und Umsiedlern<br />

kommt, Probleme erkennt, bevor sie zu<br />

großen Belastungen werden, und zu einer aktiven<br />

Interessenvertretung und gemeinschaftlichen Verantwortung<br />

anregt.<br />

Solidarität<br />

Der stete Bezug aller Einzelmaßnahmen auf die<br />

gemeinschaftliche Betroffenheit und die Problembewältigung<br />

in der Gemeinschaft ist ein Kernthema<br />

des Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990. Dem<br />

liegen zwei Annahmen zugrunde.<br />

Zum einen bedeutet Tagebau die Vernichtung ganzer<br />

Ortschaften, die mehr sind als die Summe einzelner<br />

baulicher Anlagen und Haushalte. Sie bilden<br />

ein höchst vielfältiges und vielschichtiges kulturelles<br />

und soziales Gefüge, das durch die Umsiedlung<br />

existentiell erschüttert wird. Die gemeinsame Umsiedlung<br />

soll den ersatzweisen Neuanfang einer<br />

lokalen Gemeinschaft ermöglichen, die wiederum<br />

mehr sein wird als die Summe ihrer Einzelhaushalte.<br />

Dazu muß eine nennenswerte Zahl <strong>von</strong> Betroffenen<br />

bereit sein, über die individuelle Umsiedlung<br />

hinaus sich an gemeinschaftlichen Aktivitäten zu<br />

beteiligen und Kernelemente des vertrauten Gemeinschaftslebens<br />

auf den neuen Ort zu übertragen.<br />

Gemeinsam umzusiedeln ist eine weitaus vielfältigere<br />

und schwierigere Aufgabe als ein individueller<br />

Umzug.


12 3. Maßstäbe für eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im <strong>Gutachten</strong> 1990<br />

Der Wertmaßstab der Solidarität verweist zum anderen<br />

auf die Notwendigkeit, den zahlreichen Entsolidarisierungsprozessen<br />

im Laufe einer Umsiedlung<br />

durch geeignete Maßnahmen und entsprechende<br />

Aufmerksamkeit entgegenzuwirken. Der<br />

Prozeß des Umsiedelns macht soziale Ungleichheiten<br />

sichtbar und bedeutungsvoll, die zuvor im<br />

dörflichen Zusammenleben nur eine sehr untergeordnete<br />

Wichtigkeit hatten. Dies geschieht, weil die<br />

Wohn- und Lebenssituation im Ort angesichts der<br />

Umsiedlung nicht mehr die Gestalt <strong>von</strong> konkreten<br />

Personen, Bauten und Tätigkeiten hat, sondern<br />

anhand eines abstrakten Maßstabs <strong>von</strong> entschädigungsfähigen<br />

Rechten und materiellen Werten betrachtet<br />

wird. Darüber hinaus verleitet die aktuelle<br />

Krisensituation dazu, daß sich diejenigen im Dorf<br />

enger zusammenschließen, die eine gewisse Vertrautheit<br />

miteinander haben und sich zutrauen, die<br />

Aufgabe gemeinsam zu bewältigen. Diejenigen, die<br />

eher am Rande stehen, geraten leicht aus dem<br />

Blick.<br />

Politische Gestaltung<br />

Die Gutachter teilten die im Revier weit verbreitete<br />

Auffassung, der Bergbautreibende sei als Verursacher<br />

und vorrangiger Nutznießer des Braunkohleabbaus<br />

auch hauptverantwortlich für den Ausgleich<br />

aller direkten und indirekten materiellen Schäden.<br />

Sie stellten jedoch auch fest, daß für den Ausgleich<br />

des Verlusts an Selbstbestimmung der Betroffenen<br />

vorrangig politische Initiativen erforderlich seien.<br />

Diese reichen <strong>von</strong> einer offensiven Einbeziehung<br />

der Betroffenen in den Prozeß der Entscheidungsfindung<br />

über ein neues Abbauvorhaben bis hin <strong>zur</strong><br />

praktischen Umsetzung und konkreten Gestaltung<br />

<strong>von</strong> Umsiedlungen durch die kommunale Politik<br />

und Verwaltung. Nicht zuletzt ist die Frage, welche<br />

Form die Interessenvertretung der Betroffenen hat<br />

und über welche Mitspracherechte sie verfügt, eine<br />

Frage kommunalpolitischen Handelns. Auf allen<br />

Ebenen muß der eigenständige Gestaltungsspielraum<br />

der jeweils zuständigen politischen Gemeinschaft<br />

erkennbar sein.<br />

Da der Begriff Politische Gestaltung für die zu leistende<br />

<strong>Evaluierung</strong> des Umsiedlungsgeschehens<br />

<strong>von</strong> großer Bedeutung ist, der Begriff politisch jedoch<br />

im Alltag ganz unterschiedlich verstanden<br />

und bewertet wird, soll im Zusammenhang dieses<br />

<strong>Gutachten</strong>s unter Politik alles Handeln verstanden<br />

werden, bei dem Ziele und Regeln für die gemeinschaftlichen<br />

Angelegenheiten gesetzt oder verändert<br />

werden.<br />

Diese abstrakte Definition kann an einem Beispiel<br />

erläutert werden. Wenn eine Gemeinde einen Um-<br />

siedlungsstandort plant, ist sie gesetzlich dazu verpflichtet,<br />

in einem bestimmt Verfahren die Bürger<br />

an der Bauleitplanung zu beteiligen. Solange sie<br />

nicht mehr tut, handelt sie nicht politisch, sondern<br />

vollzieht nur ein bereits vorhandenes Gesetz.<br />

Wenn sie aber die Geschäftsordnung des Rates<br />

per Beschluß dergestalt ändert, daß sie einen Umsiedlungsausschuß<br />

einrichtet, in dem eine bestimmte<br />

Anzahl <strong>von</strong> Betroffenen als sachkundige<br />

Bürger mit Rederecht vertreten ist, handelt sie politisch:<br />

sie setzt neue Regeln für die Entscheidung<br />

gemeinschaftlicher Angelegenheiten.<br />

Politisch handeln heißt neue Wege <strong>zur</strong> Regelung<br />

gemeinschaftlicher Angelegenheiten verbindlich zu<br />

beschreiten, die unabhängig <strong>von</strong> persönlichen Beziehungen<br />

oder Verhandlungsgeschick Gültigkeit<br />

haben. Diese Arbeit, die gewählte Politikerinnen<br />

und Politiker in den Parlamenten tatsächlich leisten,<br />

wird jedoch <strong>von</strong> den Bürgerinnen und Bürgern<br />

manchmal nicht als Lösungsweg ihrer Probleme<br />

wahrgenommen. Der notwendige Streit zwischen<br />

den Parteien scheint Politik gelegentlich auf<br />

parteipolitische Interessenkalküle zu reduzieren,<br />

mit denen der Normalbürger möglichst wenig zu<br />

tun haben möchte.<br />

Die an den Grundwerten der Selbstbestimmung,<br />

der Solidarität und der politischen Gestaltung orientierten<br />

Handlungsvorschläge begründen Forderungen<br />

nach finanziellen Aufwendungen des Bergbautreibenden<br />

einerseits und politischen Anstrengungen<br />

auf Landes- und kommunaler Ebene andererseits,<br />

die über die Abgeltung gesetzlicher Ansprüche<br />

und die Abwicklung formal korrekter Verfahren<br />

hinausgehen. Indem unter dem Begriff Sozialverträglichkeit<br />

Forderungen und Vorstellungen gefaßt<br />

werden, die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche<br />

Regelungen übersteigen, ist eine stete<br />

Auseinandersetzung darüber im Revier notwendig.<br />

Zwischenergebnisse werden in <strong>Gutachten</strong>, Vereinbarungen,<br />

Verträgen, Erlassen und Richtlinien<br />

festgehalten und sind nun verbindlich für das weitere<br />

Umsiedlungsgeschehen.<br />

Die Wertprämissen des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />

1990 sind in dieser Interpretation Grundlage<br />

auch des neuen <strong>Gutachten</strong>s <strong>zur</strong> <strong>Evaluierung</strong><br />

<strong>von</strong> Umsiedlungen.


3. Maßstäbe für eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im <strong>Gutachten</strong> 1990 13<br />

Die zehn Kriterien der Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990<br />

Die abschließend formulierten zehn Kriterien <strong>zur</strong><br />

Beurteilung der Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />

im Rheinischen Braunkohlenrevier übersetzten<br />

die grundsätzlichen Wertorientierungen in<br />

konkrete Handlungsanweisungen für die einzelnen<br />

zeitlichen Phasen und sachlichen Aufgaben <strong>von</strong><br />

Umsiedlungen.<br />

Kriterien <strong>zur</strong> Beurteilung der Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen (1990)<br />

1. Demokratische Legitimation<br />

Der Eingriff ist nicht willkürlich oder allein im betriebswirtschaftlichen Interesse des Bergbautreibenden begründet,<br />

sondern eine zwingende energiepolitische Notwendigkeit. Auch Umfang und Zeitpunkt sind begründet, glaubwürdig,<br />

einsichtig und nachvollziehbar und gelten daher als zumutbar. Für diese Gewißheit haben eine weitaus breitere<br />

Information der Betroffenen, als sie heute praktiziert wird, und eine offene energiepolitische Entscheidungsfindung<br />

unter Beteiligung der Betroffenen gesorgt. In öffentlicher Debatte und offener Abstimmung hat der Landtag<br />

die politische Verantwortung dafür übernommen, daß der Abbruch der jeweiligen Ortschaft und die Umsiedlung<br />

ihrer Bewohner zugunsten des Braunkohlentagebaus aus energiepolitischen Gründen gerechtfertigt sei.<br />

2. Reversibilität<br />

Es ist sichergestellt, daß die naturgemäß langfristigen Braunkohlenplanungen revidiert werden, wenn sich die<br />

Grundannahmen ändern. Die Grundannahmen werden deshalb periodisch oder auf qualifizierten Antrag zum<br />

Beispiel der Umsiedler eines betroffenen Ortes in offener Diskussion überprüft. Damit ist auch noch zu Beginn<br />

der Umsiedlungen durch zeitnahen Nachweis sichergestellt, daß die Umsiedlungen tatsächlich unvermeidlich<br />

sind.<br />

3. Prävention<br />

Da bereits die Erwägung eines Braunkohlentagebaus nachhaltige Schäden in den betroffenen Gemeinschaften<br />

hervorruft, sind bereits zu diesem Zeitpunkt ausgleichende Maßnahmen ergriffen worden, die <strong>zur</strong> Abwehr der<br />

Frühwirkungen sowie <strong>zur</strong> Stärkung der Orte und der örtlichen Gemeinschaften geeignet sind, nicht zuletzt, um für<br />

die später akute Krisensituation eine möglichst stabile Ausgangssituation zu schaffen. Die Stärkung der Ortschaften<br />

behält auch dann ihren Sinn, wenn der erwogene Tagebau schließlich nicht realisiert wird.<br />

4. Erwerb <strong>von</strong> Kompetenz<br />

Für die Umsiedler besteht ein Netz <strong>von</strong> Beratungsangeboten, dessen Umfang und Organisation ihre fachkundige<br />

und umfassende Beratung in allen rechtlichen, planerischen, technischen und finanziellen Fragen gewährleistet.<br />

Das Angebot umfaßt auch die psychische und soziale Beratung des Einzelnen und der örtlichen Gemeinschaften.<br />

Neben der Einzelfallberatung auf Anfrage wird eine aktivierende und begleitende Beratung praktiziert. Ziel und<br />

Leitlinie der Beratungsarbeit ist die Befähigung aller Umsiedler, die Umsiedlungsaufgabe in individueller und gemeinschaftlicher<br />

Selbstbestimmung zu bewältigen.<br />

5. Materielle Sicherung<br />

Neben der Entschädigung der Umsiedler nach Recht und Gesetz stehen allen Umsiedlern zusätzliche Leistungen<br />

des Bergbautreibenden zu, sei es als Antwort auf ihre immateriellen Verluste, sei es als Anerkennung ihrer Umsiedlungsleistung.<br />

Art und Umfang der zusätzlichen Leistungen sind zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen<br />

und dem Bergbautreibenden vertraglich vereinbart. Für alle Umsiedlerortschaften wird als Bestandteil materieller<br />

Sicherung die "gemeinsame Umsiedlung" angeboten. Jeder Umsiedler, auch jeder Mieter in einem Umsiedlerort<br />

hat die reale Chance, an den gemeinsamen neuen Standort ziehen zu können, sofern er das wünscht. Bei der<br />

Planung und Durchführung <strong>von</strong> Umsiedlungen besitzen die Umsiedler geregelte Beteiligungsrechte an den sie<br />

betreffenden Entscheidungen. Das Angebot der gemeinsamen Umsiedlung eröffnet die Möglichkeit, die Geborgenheit<br />

im gewohnten Bekannten- und Freundeskreis bewahren oder rasch wieder aufbauen zu können.<br />

6. Partizipation<br />

Vorbereitung und Durchführung der Umsiedlungen lassen Raum für persönliche und gemeinschaftliche Verantwortung,<br />

Entscheidung und Mitbestimmung der Umsiedler. Für die Zeit der Planung und Durchführung <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />

besitzen die Umsiedler geregelte Beteiligungsrechte an den sie betreffenden Entscheidungen.


14 3. Maßstäbe für eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im <strong>Gutachten</strong> 1990<br />

Diese Kriterien haben Maßstäbe <strong>zur</strong> Bewertung<br />

sozialer Verträglichkeit gesetzt. Sie werden <strong>von</strong><br />

nahezu allen Akteuren des Umsiedlungsgesche-<br />

hens und auch in wissenschaftlichen Diskussionen<br />

anerkannt.<br />

7. Differenzierte Zeitplanung<br />

Der Zeitraum für die Umsiedlungen aus dem alten Ort ist auf zehn Jahre begrenzt. Dies ist auch die Dauer der<br />

gemeinsamen Umsiedlung. Dieser Zeitraum ist in gemeinschaftlich abgestimmte Umzugsphasen gegliedert, die<br />

eine Integration der Umsiedlungen in die unterschiedlichen Lebensphasen und den jeweiligen Familienzyklus ermöglichen.<br />

Durch abschnittweise Erschließung des Umsiedlungsstandortes besteht die Möglichkeit, für die einzelnen<br />

Umsiedlergruppen die Belastungen eines "Lebens auf der Baustelle" auf einen relativ kurzen Zeitraum zu<br />

beschränken.<br />

8. Differenzierte Angebotsplanung<br />

Da nicht jeder Umsiedlerhaushalt willens oder in der Lage ist, die neue Wohnung am Umsiedlungsort in eigener<br />

Regie zu erstellen, wird am Umsiedlungsort ein Wohnungsangebot bereitgestellt, das mindestens Kaufeigenheime,<br />

Altenwohnungen, Mehrgenerationenhäuser und dörflich angepaßte Mietwohnungen umfaßt und in Größe<br />

und Ausstattung unmittelbar auf die differenzierten Bedürfnisse der einzelnen Umsiedler Bezug nimmt.<br />

9. Zukunftschancen<br />

Die Planungen für die baulich-räumliche Gestalt und das soziale Zusammenleben im neuen Ort eröffnen eine zukunftsweisende<br />

Handlungsorientierung in den Bereichen Wohnen, Arbeiten und Leben in einer örtlichen Gemeinschaft.<br />

Nicht die Rekonstruktion überkommener Strukturen hat die erste Priorität, sondern die Aufnahme gesellschaftlicher<br />

Bewegungen und Tendenzen, die voraussichtlich die Zukunft in Beruf und Alltag der Umsiedler<br />

bestimmen werden. Mit den Vorbereitungen dazu wird bereits im alten Dorf begonnen. Sie konkretisieren sich<br />

schon in der Planung für den Umsiedlungsort.<br />

10. Regionale Entwicklungsalternativen<br />

Die Braunkohlenplanung ist in umfassende alternative Konzepte <strong>zur</strong> Entwicklung der Region eingebettet, da die<br />

Umsiedlungen vom Braunkohlentagebau verursacht sind, der zugleich die wirtschaftspolitisch bedenkliche Monostrukturierung<br />

der Region bestimmt. Die Reversibilität der Braunkohlenpläne ist auch dadurch abgesichert, daß<br />

durch den Verzicht auf einen Tagebau keine Notlage auf dem Arbeitsmarkt entsteht.


4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren 15<br />

4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong><br />

Umsiedlungen heute:<br />

Erfahrungen aus zehn<br />

Jahren<br />

Die Ergebnisse des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />

1990 haben die Beiträge zu einer sozialverträglichen<br />

Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen verstärkt.<br />

Neben der bereits erörterten Verankerung der Sozialverträglichkeitsprüfung<br />

im Landesplanungsgesetz<br />

wird in den folgenden Abschnitten dargestellt,<br />

wie Sozialverträglichkeit im Revier programmatisch<br />

und praktisch weiterentwickelt wurde.<br />

Programmatische Positionen <strong>zur</strong><br />

Sozialverträglichkeit im Rheinischen<br />

Braunkohlenrevier<br />

Sozialverträglichkeit läßt sich nur begrenzt verwaltungsrechtlich<br />

definieren und abarbeiten. Sozialverträglichkeit<br />

bedarf des öffentlichen Diskurses über<br />

Wertorientierungen und praktische Erfahrungen.<br />

Die letztendlich verbindlichen Festlegungen im Gesetzes-<br />

und Verwaltungsverfahren müssen erkennbar<br />

auf diesen Diskurs Bezug nehmen und<br />

fortgeschrieben werden. Die zehn Kriterien des<br />

Sozialverträglichkeitsgutachtens boten vor zehn<br />

Jahren einen gemeinsamen Bezugspunkt für die<br />

weitere Debatte über Sozialverträglichkeit im Rheinischen<br />

Revier, die hier kurz zusammengefaßt<br />

werden soll. Dabei werden zunächst nur solche<br />

Positionen dargestellt, die sich grundsätzlich zum<br />

Begriff der Sozialverträglichkeit äußern.<br />

Der Braunkohlenausschuß<br />

Eine erste Stellungnahme zum <strong>Gutachten</strong> war dem<br />

Braunkohlenausschuß vorbehalten. Im Laufe des<br />

Jahres 1990 wurden die Ergebnisse des <strong>Gutachten</strong>s<br />

in allen Unterausschüssen und Arbeitskreisen<br />

des Braunkohlenausschusses und in diesem selbst<br />

auf seiner Sitzung vom 30.5.1990 diskutiert. Streitpunkte<br />

im Ausschuß waren die Anregungen des<br />

<strong>Gutachten</strong>s<br />

�� <strong>zur</strong> demokratischen Legitimation der<br />

Braunkohlenplanung,<br />

�� zum Zeitpunkt, <strong>von</strong> dem an frühestens präventive<br />

Maßnahmen in potentiell betroffenen Ortschaften<br />

sinnvoll seien,<br />

�� zum Ausmaß der Vorgaben <strong>zur</strong> städtebaulichen<br />

Gestaltung des neuen Ortes,<br />

�� zum Verhältnis <strong>von</strong> gemeinschaftlichen und individuellen<br />

Orientierungen, die <strong>von</strong> den Umsiedlerinnen<br />

und Umsiedlern erwartet werden<br />

könnten, sowie<br />

�� zu grundsätzlichen Fragen nach gesellschaftspolitischen<br />

Orientierungen, die den Hintergrund<br />

der formulierten Kriterien bildeten.<br />

Der Ausschuß war mehrheitlich der Auffassung,<br />

daß das geltende Verfahren demokratischer Entscheidungsfindung<br />

ein bewährtes und hinreichendes<br />

Procedere darstelle. Danach sind die grundlegenden<br />

energiepolitischen Entscheidungen beim<br />

Landtag angesiedelt, Entscheidungen über einzelne<br />

Tagebauvorhaben bei der Regierung und die<br />

konkrete Planung beim Braunkohlenausschuß.<br />

Präventive Maßnahmen in den einzelnen Orten<br />

seien zweifelsohne sinnvoll, könnten jedoch frühestens<br />

dann getroffen werden, wenn mit dem Erarbeitungsbeschluß<br />

des Braunkohlenausschusses<br />

die Realisierung des Vorhabens vermutet werden<br />

könne. Im praktischen Verlauf <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />

schließlich müsse den individuellen Wünschen der<br />

Umsiedler soweit wie eben möglich Vorrang eingeräumt<br />

werden. Sie dürften nicht durch zu enge Gestaltungsvorschriften<br />

eingeengt werden. Eine Weiterentwicklung<br />

<strong>von</strong> Beratungsangeboten und die<br />

Einbeziehung sozialer und psychologischer Beratungen<br />

wurde grundsätzlich befürwortet. Bei Fragen<br />

der materiellen Entschädigung sei die Situation<br />

<strong>von</strong> Mietern stärker zu berücksichtigen. Partizipation<br />

werde grundsätzlich hinreichend angeboten, sei<br />

im Detail aber immer wieder zu verbessern. Eine<br />

differenzierte Zeitplanung bei der Erschließung der<br />

Umsiedlungsorte sei Angelegenheit der Kommunen.<br />

Über differenzierte Angebotsplanungen sei<br />

man für die Umsiedlungen Inden/Altdorf bereits in<br />

Verhandlungen. Die Entwicklung <strong>von</strong> Zukunftschancen<br />

im neuen Ort könne im Zusammenhang<br />

<strong>von</strong> verbesserter Beratung und Beteiligung angestrebt<br />

werden. Regionale Entwicklungsalternativen<br />

zu entwerfen sei Aufgabe der Strukturpolitik, wobei<br />

jedoch nicht da<strong>von</strong> auszugehen sei, daß der<br />

Braunkohlentagebau eine wirtschaftliche Monostrukturierung<br />

des Reviers gezeitigt habe.<br />

In der gleichen Sitzung konkretisierte der Ausschuß<br />

die Anforderungen, die der Bergbautreibende<br />

bei der Erarbeitung des seit 1989 gesetzlich<br />

vorgeschriebenen Sozialen Anforderungsprofils zu<br />

erfüllen habe. Dazu gehörte eine umfassende Bestandsaufnahme<br />

der sozialen, wirtschaftlichen und<br />

räumlichen<br />

Verhältnisse und Verflechtungen, eine Beschreibung<br />

der möglichen wesentlichen Auswirkungen<br />

vor, während und nach den Umsiedlungen sowie<br />

Vorschläge <strong>zur</strong> Vermeidung bzw. Minderung <strong>von</strong>


16 4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren<br />

nachteiligen Auswirkungen. Aussagen <strong>zur</strong> grundsätzlichen<br />

Akzeptanz des Braunkohlentagebaus<br />

bei den Betroffenen gehörten danach nicht zu den<br />

für die Beurteilung der Sozialverträglichkeit notwendigen<br />

Informationen. In der Praxis blieb der<br />

Bergbautreibende die einzige Instanz, die Unterlagen<br />

<strong>zur</strong> Prüfung der Sozialverträglichkeit konkreter<br />

Umsiedlungsvorhaben beizubringen hatte.<br />

Jenseits der praktischen Problemlösungen in einzelnen<br />

Umsiedlungsverfahren und der persönlichen<br />

Grundsatzerklärungen einzelner Mitglieder<br />

hat der Braunkohlenausschuß seit 1990 keinen<br />

Bedarf gesehen, das damals verabschiedete<br />

Soziale Anforderungsprofil <strong>zur</strong> Handhabung der<br />

Sozialverträglichkeitsprüfung zu überprüfen und<br />

gegebenenfalls zu verändern.<br />

Der Bergbautreibende<br />

Der Bergbautreibende sah durch das<br />

Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 wesentliche<br />

Aspekte der bisherigen Umsiedlungspraxis<br />

bestätigt. Dies galt insbesondere für das Konzept<br />

der gemeinsamen Umsiedlung als Voraussetzung<br />

für Sozialverträglichkeit. Er interpretierte das<br />

<strong>Gutachten</strong> als einen weiteren Schritt in einem<br />

Lernprozeß, der sich <strong>von</strong> Umsiedlung zu<br />

Umsiedlung kontinuierlich fortsetze und jeweils<br />

Verbesserungen im Detail ermögliche. Bedarf an<br />

grundlegenden Neuerungen in der<br />

Umsiedlungspraxis, in der Sozialverträglichkeit erst<br />

zu entwickeln sei, sah der Bergbautreibende<br />

jedoch nicht. Insbesondere sah er keine Notwendigkeit<br />

einer erweiterten demokratischen Legitimation<br />

der Braunkohlenplanung. Zukunftsorientierte<br />

Planungskonzepte, die einen intensiven Diskussions-<br />

und Beratungsprozeß über die Zielvorstellungen<br />

der gemeinschaftlichen Entwicklung in den<br />

Dörfern voraussetzen würden, lehnte er mit der<br />

Begründung ab, dies entspreche nicht den Bedürfnissen<br />

der Umsiedler, sondern allein den<br />

individuellen Wertvorstellungen der Gutachter (vgl.<br />

Braunkohlenausschuß 30.5.1990 Anlage 2).<br />

In den folgenden Jahren setzte der Bergbautreibende<br />

seine Bemühungen um praktische Verbesserungen<br />

des Umsiedlungsgeschehens fort und<br />

griff dabei auch einige Vorschläge aus dem Sozialverträglichkeitsgutachten<br />

auf. Er akzeptierte eine<br />

stärkere Verantwortung gegenüber Mietern, entwickelte<br />

Angebote für Umsiedlerhaushalte, die<br />

nicht selber bauen oder nicht selber einen Architekten<br />

engagieren wollen und erarbeitete ein Konzept<br />

<strong>zur</strong> Verbesserung <strong>von</strong> Information, Beratung und<br />

Beteiligung im Umsiedlungsprozeß. Gemäß den<br />

gesetzlichen Auflagen hat der Bergbautreibende<br />

zwischenzeitlich Angaben <strong>zur</strong> Prüfung der Sozialverträglichkeit<br />

in zwei unterschiedlichen Konkreti-<br />

sierungsstufen vorgelegt. Das Unternehmen ist,<br />

wie sich in den Fallstudien zeigen wird, noch stärker<br />

als zuvor in die praktische Durchführung <strong>von</strong><br />

Umsiedlungen eingebunden. An dieser Stelle bleibt<br />

festzuhalten: das Unternehmen geht bis heute da<strong>von</strong><br />

aus, daß mit dem Angebot einer gemeinsamen<br />

Umsiedlung und den über die gesetzlichen Bestimmungen<br />

hinausgehenden Entschädigungsleistungen<br />

die Anforderungen der Sozialverträglichkeit<br />

grundsätzlich erfüllt sind.<br />

Die Vereinten Initiativen<br />

Die Vereinten Initiativen – Bürger gegen den Abbau<br />

Garzweiler II, die für viele <strong>von</strong> Garzweiler II<br />

Betroffene sprechen, lasen und interpretierten das<br />

Sozialverträglichkeitsgutachten anders. Sie betonten<br />

die Verantwortlichkeit politischer Entscheidungsträger<br />

und griffen die Empfehlung einer<br />

Landtagsentscheidung über den Aufschluß neuer<br />

Tagebaue auf. Sie wünschten eine stärkere Berücksichtigung<br />

der im <strong>Gutachten</strong> aufgelisteten Belastungsfaktoren<br />

in der Öffentlichkeitsarbeit der<br />

Landespolitik wie auch bei den politischen Entscheidungen.<br />

Sie kritisierten das <strong>Gutachten</strong>, weil<br />

es den Wertewandel in der Gesellschaft nicht hinreichend<br />

berücksichtigt habe: Immaterielle Wertorientierungen<br />

an Heimat, Tradition und gewachsenen<br />

Gemeinschaften sowie das größer gewordene<br />

Umweltbewußtsein hätten stärker gewichtet werden<br />

müssen. Anders als die Gutachter gingen sie<br />

nicht da<strong>von</strong> aus, daß Sozialverträglichkeit überhaupt<br />

erreichbar sei: Alle Vorschläge oder Empfehlungen<br />

des Gutachters, sozial nicht verträgliche<br />

Umsiedlungen dennoch sozial erträglich zu machen,<br />

sind <strong>von</strong> vornherein zum Scheitern verurteilt.<br />

Man könne <strong>von</strong> den ohnehin belasteten Menschen<br />

nicht verlangen, daß sie sich ehrenamtlich für gemeinschaftliche<br />

Aufgaben während der Umsiedlung<br />

einsetzten. Bezahlte Helfer und Berater aber<br />

würden nur die Verfilzung mit den Behörden und<br />

dem Bergbautreibenden verdichten. Sie forderten<br />

Sozialverträglichkeitsuntersuchungen zu einem<br />

Zeitpunkt, wo die grundsätzliche Frage der Aufschließung<br />

eines Tagebaus noch offen sei. Darüber<br />

hinaus forderten sie Langzeitbeobachtungen,<br />

um auch Spätfolgen <strong>von</strong> Umsiedlungen bekannt zu<br />

machen.<br />

In der Summe ihrer Aussagen lassen die Vereinten<br />

Initiativen kaum einen Zweifel an der Überzeugung,<br />

daß das Kriterium Sozialverträglichkeit beim Wort<br />

genommen das sichere Ende jedes Braunkohleabbaus<br />

bedeuten würde.


4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren 17<br />

Die Naturschutzverbände<br />

Auch die Naturschutzverbände übten in ihrer Stellungnahme<br />

zum Braunkohlenplanentwurf Garzweiler<br />

II grundsätzliche Kritik. Sie vermerkten, daß die<br />

offenen Formulierungen im Beschluß des Braunkohlenausschusses<br />

zum Sozialverträglichkeitsgutachten<br />

1990 keine klaren Kriterien <strong>zur</strong> Beurteilung<br />

der Sozialverträglichkeit böten. Außerdem sei das<br />

Verfahren, nach dem Sozialverträglichkeit geprüft<br />

werden solle, unklar.<br />

Bezogen auf den konkreten Planentwurf und die<br />

vorangegangenen Erarbeitungsschritte stellten sie<br />

fest, die bisherigen Umsiedlungsplanungen für Otzenrath,<br />

Spenrath und Holz seien gemessen an<br />

den Kriterien des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />

1990 nicht sozialverträglich abgelaufen. Sie kritisierten<br />

den Zeitpunkt der Umsiedlungsplanung. Die<br />

Betroffenen seien zu Standortentscheidungen genötigt<br />

worden, obwohl für viele noch unklar gewesen<br />

sei, ob der Tagebau überhaupt realisiert würde.<br />

Weiterhin bemängelten sie die Angaben des<br />

Bergbautreibenden <strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit. Diese<br />

enthielten keine Aussagen zu den Auswirkungen<br />

des Vorhabens vor dem Abbau. Entsprechend fehle<br />

auch jeder Vorschlag für präventive Maßnahmen<br />

in den erst später betroffenen Ortschaften der Gemeinde<br />

Erkelenz.<br />

Für die Naturschutzverbände besteht eine unauflösliche<br />

Verbindung zwischen einer zwingenden<br />

energiepolitischen Notwendigkeit eines konkreten<br />

Abbauvorhabens und der Chance einer sozialverträglichen<br />

Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen. Da die<br />

Notwendigkeit in ihren Augen nicht gegeben ist, sei<br />

auch eine Sozialverträglichkeit nicht möglich.<br />

Die Kirchen<br />

Sowohl die evangelische als auch die katholische<br />

Kirche haben sich mit vielfältigen Initiativen und<br />

Stellungnahmen des Themas der Sozialverträglichkeit<br />

<strong>von</strong> Umsiedlungen angenommen. Beide<br />

Kirchen begründen ihr Engagement aus einer<br />

christlichen Verantwortung gegenüber der Schöpfung<br />

Gottes und einer kirchlichen Verantwortung,<br />

den Betroffenen in ihren Ängsten und Sorgen beizustehen.<br />

Es würde den Rahmen dieses <strong>Gutachten</strong>s<br />

sprengen, die zahlreichen Positionspapiere<br />

verschiedener kirchlicher Gruppen und Gremien zu<br />

würdigen (vgl. dazu die Aufstellungen in: Sevenich,<br />

Gellrich 1993, 1996). Vielmehr möchten wir anhand<br />

weniger Texte und Resolutionen die grundlegenden<br />

Positionen und Wertorientierungen der Kirchen<br />

<strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit darstellen.<br />

Im Jahr 1993 erschien eine Veröffentlichung des<br />

Ökumenischen Arbeitskreises Garzweiler II (Sevenich,<br />

R.; Gellrich, B. 1993). Regionen und Kirchenkreise<br />

der evangelischen und katholischen Kirche,<br />

die <strong>von</strong> dem Vorhaben Garzweiler II berührt werden,<br />

arbeiten im Ökumenischen Arbeitskreis zusammen.<br />

Mit diesem Buch sollte den Betroffenen<br />

und der interessierten Öffentlichkeit eine Arbeitshilfe<br />

<strong>zur</strong> Beteiligung am Braunkohlenplanverfahren<br />

vermittelt werden. Drei Jahre später erschien der<br />

zweite Band zum Thema Sozialverträglichkeit, in<br />

dem zahlreiche Beiträge zu einzelnen Aspekten<br />

der Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen oder<br />

zum Braunkohleabbau <strong>von</strong> verschiedenen Autorinnen<br />

und Autoren erörtert werden (Sevenich, R.;<br />

Brendel, P.; Gellrich, B. 1996). In diesem Zusammenhang<br />

hat Dr. Karl-Heinz Kurze, Moraltheologe<br />

und Mitarbeiter des Bistums Aachen, Maßstäbe für<br />

die Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Braunkohleabbau und<br />

Umsiedlungen anhand der Prinzipien der katholischen<br />

Soziallehre entwickelt und kommt zu dem<br />

Fazit, daß der gegenwärtige Zustand nicht als sozialverträglich<br />

zu bezeichnen ist.<br />

Die evangelischen Kirchengemeinden befaßten<br />

sich auf ihrer Regionalsynode Energie im Herbst<br />

1993 mit dem Thema Sozialverträglichkeit. Unter<br />

dem grundsätzlichen Vorbehalt, daß die Zerstörung<br />

<strong>von</strong> Landschaften, Kulturen und Dörfern durch die<br />

Tagebaue unter keinen Umständen sozialverträglich<br />

sein könnten, grenzen sie ein, was sie unter<br />

dem Stichwort Sozialverträglichkeit behandeln wollen:<br />

den Begriff sozialverträglich beziehen wir auf<br />

eine besondere Entschädigungs- bzw. Hilfeleistung<br />

und Gewährung <strong>von</strong> Mitwirkungsrechten für die<br />

vom Tagebau betroffenen Menschen angesichts<br />

der ihnen <strong>von</strong> der Gesellschaft zugefügten<br />

Schmerzen und Verluste. Sie erheben eine Reihe<br />

<strong>von</strong> Forderungen an die Praxis <strong>von</strong> Braunkohlenplanung<br />

und Umsiedlung. Sie halten eine Entscheidung<br />

des Landtags über einzelne Braunkohlevorhaben<br />

für notwendig. Sie fordern eine gesetzliche<br />

Grundlage für eine rechtlich überprüfbare Definition<br />

<strong>von</strong> Sozialverträglichkeit, die über die<br />

Braunkohlenplanung hinaus auch für andere Großprojekte<br />

gelten solle. Sie beschäftigen sich auch<br />

mit Qualitätsmerkmalen für den neuen Ort und fordern<br />

eine Entschädigung der Altanwesen nach<br />

dem Grundsatz neu für alt. Um diese Ziele zu realisieren<br />

seien politische Initiativen <strong>von</strong>nöten: Allgemeine<br />

landesplanerische Richtlinien für 'normale'<br />

Planungsfälle sind nicht grundsätzlich auf die Umsiedlung<br />

zu übertragen. Schließlich wird gefordert,<br />

daß Sozialverträglichkeit als demokratischer Prozeß<br />

und als Daueraufgabe institutionell verankert<br />

wird und die praktischen Erfahrungen wissenschaftlich<br />

begleitet werden.


18 4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren<br />

Im Mai 1999 tagte die Regionalsynode Energie erneut<br />

zum Thema Sozialverträglichkeit in bezug auf<br />

Garzweiler II. Als Maßstab der Beurteilung gab sie<br />

das Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 an und<br />

kam zu folgenden Schlußfolgerungen: Unbeschadet<br />

punktueller Verbesserungen könne <strong>von</strong> Sozialverträglichkeit<br />

kaum die Rede sein. Die Synode<br />

war der Ansicht, daß die energiepolitische Notwendigkeit<br />

<strong>von</strong> Garzweiler II nach wie vor den Betroffenen<br />

nicht einsichtig sei. Die lange Verunsicherung<br />

darüber, ob Garzweiler II überhaupt realisiert<br />

würde, sowie der praktische Umgang der planenden<br />

Behörden mit den Betroffenen habe dazu geführt,<br />

daß die Betroffenen sich nicht als gleichberechtigte<br />

Partner, sondern vielmehr als Opfer bzw.<br />

Objekte der Planenden fühlten. Nicht eingelöste<br />

Versprechen der Landesregierung, z.B. <strong>zur</strong> Einsetzung<br />

eines Ombudsmanns, förderten das Mißtrauen<br />

bei den Betroffenen. Die übergesetzlichen Leistungen<br />

des Bergbautreibenden seien wenig kalkulierbar.<br />

Dies fördere Verunsicherung und Entsolidarisierung.<br />

Mieter seien noch immer benachteiligt.<br />

Ende 1996 hat sich der Aachener Bischof Mussinghoff<br />

erneut mit einer grundsätzlichen Erklärung<br />

<strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen an die<br />

Öffentlichkeit gewandt und darauf hingewiesen,<br />

daß die gesetzlichen Grundlagen, auf denen die<br />

Tagebau- und Umsiedlungsverfahren abgewickelt<br />

werden, nicht die Kriterien der Sozialverträglichkeit<br />

erfüllen und erst recht nicht den Maßstäben der katholischen<br />

Soziallehre genügen. Die Ansprüche der<br />

Betroffenen müßten durch eine neue gesetzliche<br />

oder vertragliche Regelung einklagbar sein. Es sei<br />

eine unabhängige Stelle zu schaffen, an die sich<br />

als Berufungsinstanz die Betroffenen bei Streitfällen<br />

im Zuge des Umsiedlungsverfahrens wenden<br />

können (Positionen und Erklärungen zu Garzweiler<br />

II, Bistum Aachen 1998).<br />

Im Einzelnen fordert Bischof Mussinghoff<br />

�� die frühzeitige Beteiligung der Betroffenen bei<br />

den Entscheidungsfindungen,<br />

�� die nochmalige Überprüfung der Notwendigkeit<br />

des Vorhabens vor einer Genehmigung,<br />

�� die Berücksichtigung der Interessen <strong>von</strong> Gewerbe-<br />

und Industriebetrieben bei der Planung,<br />

die Sicherung der Arbeitsplätze,<br />

�� eine Entschädigung über den Sachwert hinaus,<br />

damit Wohnsituationen nicht schlechter und<br />

Belastungen für Umsiedlerinnen und Umsiedler<br />

nicht schwerer sind als vorher,<br />

�� die Berücksichtigung der Belange <strong>von</strong> Mietern,<br />

die Einbeziehung <strong>von</strong> Frauen, Alleinerziehen-<br />

den, Kindern und Jugendlichen, Rentnerinnen<br />

und Rentnern in den Prozeß der Gestaltung<br />

des neuen Lebensraumes, um eine gleichwertige<br />

Lebensführung nach der Umsiedlung zu<br />

ermöglichen,<br />

�� die Anerkennung immaterieller Werte und eine<br />

entsprechende Entschädigung, um die Lebensqualität<br />

am alten Ort möglichst lang zu<br />

halten und am neuen Standort frühzeitig zu<br />

ermöglichen.<br />

Ziel einer gemeinsamen Veranstaltung der Kirchen<br />

im April 1998 war es, den Dialog der Befürworter<br />

und Gegner des Braunkohlentagebaus Garzweiler<br />

II neu zu eröffnen, den Blick über die Tagesaktualität<br />

hinaus auf längerfristige Perspektiven<br />

des Raumes zu lenken, vorrangig die Arbeitsplatzproblematik<br />

zu diskutieren und insgesamt einen<br />

Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung des Raumes<br />

in der Bördenlandschaft zu erarbeiten.<br />

In der Folge dieser Veranstaltung wurde ein Arbeitskreis<br />

Regionalentwicklung eingerichtet. Er hat<br />

die Aufgabe, einen Prozeß der nachaltigen Entwicklung<br />

der Bördenlandschaft an Erft, Rur und Inde<br />

zu initiieren. Dahinter steht ein Konzept <strong>zur</strong><br />

Vernetzung lokaler Akteure und Potentiale unter<br />

Einbeziehung der dort lebenden Menschen. Eine<br />

zweite Regionalkonferenz der Kirchen folgt im Mai<br />

2000.<br />

Die Umsiedlungsgemeinden<br />

Die betroffenen Kommunen sind wesentlich daran<br />

beteiligt, Sozialverträglichkeit für die Umsiedlerinnen<br />

und Umsiedler herzustellen. Sie wünschen<br />

aber eine stärkere Berücksichtigung ihrer ureigensten<br />

Belange unter dem Stichwort<br />

Kommunalverträglichkeit. In dieser Wortschöpfung<br />

drücken sich die unmittelbaren<br />

Belastungserfahrungen der Gemeinden durch<br />

Umsiedlungen aus, aber auch ihr Verlust an<br />

Selbstbestimmung in Gestalt der Einschränkung<br />

ihrer kommunalen Planungshoheit durch einen<br />

genehmigten Braunkohlenplan. Unter dem<br />

Stichwort Kommunalverträglichkeit werden<br />

mehrere Problemfelder zusammengefaßt:<br />

�� der zu erwartende Einwohnerverlust durch<br />

Umsiedlungen, der mitunter, etwa im Fall der<br />

Gemeinde Inden, existentielle Bedeutung für<br />

die Gemeinde haben könne,<br />

�� Fragen der Entschädigung und Wiedererstellung<br />

der kommunalen Infrastruktur,<br />

�� Fragen der erheblichen Arbeitsbelastung der<br />

Gemeinden durch Umsiedlungen und ganz besonders


4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren 19<br />

�� die Einschränkung der kommunalen Planungshoheit<br />

sowohl durch den Verlust <strong>von</strong> Gemeindefläche<br />

als auch durch die parzellenscharfen<br />

Festlegungen im Braunkohlenplan.<br />

Für die Kommunalverträglichkeit gilt wie für die Sozialverträglichkeit,<br />

daß sie sich nicht in gesetzlich<br />

abgesicherten Ansprüchen und formal korrekten<br />

Verfahren erschöpft. Auch wenn der Verfassungsgerichtshof<br />

des Landes Nordrhein-Westfalen die<br />

Braunkohlenplanung für verfassungsgemäß erachtet<br />

hat, bleibt die Frage offen, ob und wie die besonderen<br />

Belastungen der Gemeinden und der gesetzlich<br />

legitimierte Eingriff in ihre Selbstverwaltungsrechte<br />

praktisch kompensiert werden können.<br />

Fazit<br />

Neben der verfahrensrechtlichen Klärung <strong>von</strong> Sozialverträglichkeitsprüfungen<br />

findet eine öffentliche<br />

Auseinandersetzung über den Begriff Sozialverträglichkeit<br />

in bezug auf Braunkohleabbau und<br />

Umsiedlungen statt. Diese Auseinandersetzung<br />

wird wesentlich <strong>von</strong> solchen Gruppen und Institutionen<br />

getragen, die dem Braunkohlenabbau generell<br />

kritisch gegenüber stehen und nach grundlegenden<br />

Wertorientierungen <strong>zur</strong> Beurteilung <strong>von</strong><br />

Braunkohleabbau und Umsiedlungen suchen. Die<br />

Befürworter und Praktiker dagegen halten die<br />

Grundsatzfrage weitgehend für geklärt und sind<br />

stärker an einzelnen Problemen der Durchführung<br />

<strong>von</strong> Umsiedlungen interessiert. Diese werden nur<br />

selten in einen systematischen Zusammenhang mit<br />

Sozialverträglichkeitskriterien gebracht, selbst<br />

wenn sie indirekt darauf Bezug nehmen.<br />

Die Frage nach den Beurteilungskriterien der Sozialverträglichkeit<br />

wird immer dann akut, wenn Betroffene<br />

in Konflikt mit den Verantwortlichen geraten<br />

und nach Gerechtigkeits- und Angemessenheitskriterien<br />

fragen. In diesen Situationen hätte<br />

sich Sozialverträglichkeit als Wertorientierung aller<br />

Beteiligten zu bewähren.<br />

Durchgängig wird in den Debatten jenseits des<br />

Braunkohlenausschusses die politische Verantwortung<br />

auf Landesebene angemahnt, sei es, daß ein<br />

Landtagsentscheid über jedes einzelne Vorhaben<br />

eingeklagt wird, sei es, daß eine Überarbeitung der<br />

gesetzlichen Grundlagen der Braunkohlenplanung<br />

für erforderlich gehalten wird. Vor allem sollen<br />

mehr Beteiligungsmöglichkeiten der Betroffenen an<br />

der Entscheidungsfindung ermöglicht, die Rechte<br />

der Betroffenen gegenüber dem Bergbautreibenden<br />

abgesichert und Spielräume für weitere Neuerungen<br />

in der Umsiedlungspraxis geschaffen werden.<br />

Die grundsätzlichen Wertorientierungen des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />

1990 - Selbstbestimmung,<br />

Solidarität, politische Gestaltung - erweisen<br />

sich dabei immer wieder als tragfähige Bezugspunkte<br />

der öffentlichen Verständigung.<br />

Neue Verträge und Verfahren<br />

Jenseits programmatischer Erklärungen haben vor<br />

allem die Kommunen und die Bezirksplanungsbehörde<br />

kontinuierlich Fortschreibungen und Verbesserungen<br />

der Umsiedlungspraxis entwickelt. Im<br />

Zusammenhang mit der Genehmigung <strong>von</strong> Braunkohlenplänen<br />

wurden jeweils zwischen den Gemeinden<br />

und dem Bergbautreibenden Vereinbarungen<br />

getroffen, die neben manchem anderen<br />

Regelungsbedarf auch Fragen der Umsiedlung berührten.<br />

Diese Vereinbarungen sind im sogenannten<br />

Inden-Vertrag, in der Rahmenvereinbarung<br />

Elsdorf und in der Jüchen-Erklärung schriftlich<br />

festgehalten worden. Auch die Stadt Erkelenz hat<br />

mit dem Bergbautreibenden eine Vereinbarung<br />

darüber getroffen, welche Verantwortlichkeiten dieser<br />

in dem langen Zeitraum zwischen der Genehmigung<br />

des Braunkohlenplans Garzweiler II und<br />

dem Beginn der Umsiedlungen im Gemeindegebiet<br />

hat. Die Bezirksplanungsbehörde hat neue Wege<br />

bei der Standortfindung beschritten und diese im<br />

sogenannten Standortfindungskonzept dargelegt.<br />

Auch die Umsiedlerfibel, eine Informationsschrift<br />

mit halbamtlichem Charakter, wurde überarbeitet.<br />

Der Inden-Vertrag<br />

Der sogenannte Inden-Vertrag umfaßt eine ganze<br />

Reihe <strong>von</strong> Anliegen, die der Gemeinde und dem<br />

Braunkohlenausschuß jenseits der Aussagen des<br />

Braunkohlenplans verbindlich regelungsbedürftig<br />

erschienen. Vier dieser Anliegen berühren Umsiedlungsfragen<br />

im engeren Sinn.<br />

• Vermögensentschädigungen zwischen<br />

Inden und Langerwehe<br />

Der Braunkohlenausschuß hatte entschieden, daß<br />

Vermögensentschädigungen im Rahmen der<br />

Selbstverwaltungsrechte der Gemeinde zu regeln<br />

seien. De facto hat die Gemeinde nach Rechtslage<br />

entschieden und die Gemeinde Langerwehe nicht<br />

an der Entschädigung der Infrastruktur in den Alt-<br />

Orten teilhaben lassen. Damit waren die Neubaukosten<br />

für die Erschließung und für die Errichtung<br />

<strong>von</strong> sozialer Infrastruktur am Umsiedlungsstandort<br />

in Langerwehe vollständig durch Rheinbraun,<br />

staatliche Städtebauförderungsmittel und die Eigenbeteiligung<br />

der Gemeinde zu bestreiten. Es ist<br />

zu vermuten, daß nach derzeitiger Rechtslage<br />

auch in Zukunft im Falle einer Umsiedlung über<br />

Gemeindegrenzen hinweg die Verhandlungen zwi-


20 4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren<br />

schen zwei Gemeinden kaum anders ausgehen<br />

werden. Obwohl dies schlechtere Ausgangsbedingungen<br />

für die Infrastrukturausstattung der neuen<br />

Orte schafft und sowohl den Bergbautreibenden als<br />

auch die öffentliche Hand stärker belasten wird, ist<br />

auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten kaum<br />

eine andere Lösung sinnvoll. Allerdings sollte sorgfältig<br />

darauf geachtet werden, daß Werte, die durch<br />

gemeinschaftliche Selbsthilfe der betroffenen Dorfgemeinschaft<br />

entstanden sind, auch dieser direkt<br />

entschädigt werden, so daß ein Grundstock für die<br />

Errichtung entsprechender Anlagen am neuen Ort<br />

vorhanden ist. Dies könnte z.B. für Ausbauleistungen<br />

bei Vereinshäusern, Sportplätzen, Kinderspielplätzen<br />

und kirchlichen Räumen gelten.<br />

• Ankauf <strong>von</strong> Eigentumsobjekten in<br />

Tagebaurandlage<br />

Der geplante Tagebau Inden wird sehr nah an die<br />

Ortschaft Schophoven heranrücken. Dadurch entstehen<br />

erhebliche Belastungen durch Staub und<br />

Lärm, Verkehrswege werden zeitweilig<br />

durchschnitten, Ackerflächen in Anspruch<br />

genommen. Dennoch wurde keine grundsätzliche<br />

Regelung für den Ankauf in Tagebaurandlage<br />

getroffen. Vielmehr wurde grundsätzlich die<br />

Belastung als zumutbar gewertet. Im Einzelfall soll<br />

durch die Härtestelle entschieden werden.<br />

Dieser Regelung ist grundsätzlich zuzustimmen,<br />

wobei da<strong>von</strong> ausgegangen werden muß, daß der<br />

Bergbautreibende im Rahmen der Braunkohlenplanung<br />

zu allen Maßnahmen verpflichtet wird, die<br />

die Belastungen verringern können, wie etwa ein<br />

Lärmschutzwall und die Staubbindung im Tagebau.<br />

Wenn Ackerflächen beansprucht werden, müssen<br />

diese ohnehin entschädigt werden. In Ausnahmefällen<br />

ist auch eine Umsiedlung <strong>von</strong> landwirtschaftlichen<br />

Betrieben möglich, deren Ackerflächen ganz<br />

überwiegend im Abbaugebiet liegen.<br />

• Baugrunduntersuchungen am<br />

Umsiedlungsstandort<br />

Die Gemeinde sicherte mit dieser Regelung die<br />

Ansprüche der Umsiedler auf kostenfreie Baugrunduntersuchungen<br />

sowie Übernahme der Kosten<br />

in den Fällen, in denen der Baugrund einen<br />

zusätzlichen Gründungsaufwand erfordert. Die<br />

Frage stellte sich in Inden mit hoher Dringlichkeit,<br />

weil der Umsiedlungsstandort im Auenbereich <strong>von</strong><br />

Inde und Wehebach gelegen ist und unsichere<br />

Böden zu erwarten waren.<br />

Der Anspruch auf sorgfältige Baugrunduntersuchung<br />

und gegebenfalls Übernahme der zusätzlichen<br />

Gründungskosten gehört seit dem Inden-<br />

Vertrag zum Standardpaket der übergesetzlichen<br />

Leistungen des Bergbautreibenden. Dies entlastet<br />

die Umsiedler <strong>von</strong> technischen Risiken und unvorhergesehenen<br />

finanziellen Belastungen und ist daher<br />

unter Sozialverträglichkeitsgesichtspunkten zu<br />

begrüßen.<br />

• Mieterhandlungskonzept (Inden)<br />

Die größte Sorge der Gemeinde Inden in Vorbereitung<br />

der Umsiedlungen betraf die Frage, wie ein<br />

ausreichender und bezahlbarer Mietwohnungsbau<br />

am Umsiedlungsstandort gesichert werden kann.<br />

Sie vereinbarte ein umfangreiches Mieterhandlungskonzept<br />

mit dem Bergbautreibenden. In diesem<br />

Mieterhandlungskonzept werden zum einen<br />

alle Leistungen des Bergbautreibenden und der öffentlichen<br />

Hand, die bereits seit dem Hambach-<br />

Vertrag <strong>von</strong> 1982 gelten, aufgelistet und damit bestätigt.<br />

Zusätzlich wurde der Bergbautreibende<br />

verpflichtet, in dem Fall, daß all diese Maßnahmen<br />

nicht ausreichen würden, selbst Mietwohnungen zu<br />

erstellen bzw. durch einen Träger erstellen zu lassen.<br />

Weiterhin sollte der Bergbautreibende darauf<br />

hinwirken, daß ein zumutbares und den ortsüblichen<br />

Verhältnissen angemessenes Mietpreisniveau<br />

eingehalten wird.<br />

Dieses Konzept ist in der Praxis konkretisiert worden<br />

und hat sich bewährt. So wurde eine Mietpreisbindung<br />

über fünf Jahre mit den Vermietern<br />

vereinbart, die eine besondere Förderung durch<br />

Rheinbraun erhalten hatten. Die Forderung an<br />

Rheinbraun, notfalls selbst Mietwohnungen zu errichten<br />

oder durch Träger errichten zu lassen, hat<br />

im Ergebnis zum Bau <strong>von</strong> ca. sechzig Mietwohnungen<br />

geführt.<br />

Auch das Mieterhandlungskonzept <strong>von</strong> Inden gehört<br />

heute selbstverständlich zum Paket <strong>von</strong> Verantwortlichkeiten,<br />

die der Bergbautreibende in jedem<br />

Umsiedlungsort akzeptiert. Damit kann die<br />

quantitative Versorgung der Umsiedlungsorte mit<br />

Mietwohnungen als gesichert betrachtet werden.<br />

Die Erfahrungen aus Inden zeigen, daß etwa die<br />

Hälfte der Wohnungen in der einen oder anderen<br />

Form durch Rheinbraun gefördert werden und damit<br />

eine Mietpreisbindung über mehrere Jahre vereinbart<br />

werden konnte.<br />

Unter dem Gesichtspunkt der Sozialverträglichkeit<br />

ist dies ein erheblicher Fortschritt gegenüber den<br />

Befunden des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />

1990.<br />

Die Rahmenvereinbarung Elsdorf, Erkelenz-<br />

Erklärung<br />

Die Rahmenvereinbarung Elsdorf umfaßt im wesentlichen<br />

Detailvereinbarungen zwischen der


4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren 21<br />

Gemeinde, dem Bergbautreibenden und Dritten,<br />

die die Modalitäten der Realisierung <strong>von</strong> Erschließung<br />

und sozialer Infrastruktur am Umsiedlungsstandort<br />

betreffen und nicht <strong>von</strong> grundsätzlicher<br />

Bedeutung sind.<br />

Nach der Erkelenz-Erklärung akzeptiert der Bergbautreibende<br />

eine Verantwortung, die durch das<br />

Tagebauvorhaben Garzweiler II verursachten<br />

Raumstörungen auf vielfältige Weise zu kompensieren.<br />

Es werden verschiedene Wege benannt,<br />

wie dieser Ausgleich erfolgen soll: durch gemeinsame<br />

Bauleitplanentwicklung, Bereitstellung <strong>von</strong><br />

Grundstücken für öffentliche Infrastrukturmaßnahmen,<br />

Gewerbeansiedlungen und private Bauvorhaben,<br />

Angebote in der Stadt Erkelenz als Alternative<br />

<strong>zur</strong> gemeinsamen Umsiedlung, Vorhaltung <strong>von</strong><br />

Grundstücken über den Umsiedlungsbedarf hinaus,<br />

schließlich auch die Unterstützung der Stadt<br />

Erkelenz, die durch den Tagebau verlorengehenden<br />

Bauflächen möglichst vollständig ersetzt zu<br />

bekommen .<br />

In der Rahmenvereinbarung Elsdorf taucht erstmals<br />

der Anspruch auf, der dann auch <strong>von</strong> der<br />

Gemeinde Jüchen unter dem Stichwort Kommunalverträglichkeit<br />

und der Stadt Erkelenz in Rahmen<br />

der Erkelenz-Erklärung erhoben wird: Finanzieller<br />

Ausgleich der Nachteile aus der geänderten<br />

städtebaulichen Entwicklung der Gemeinde Elsdorf.<br />

Es entsteht der Eindruck, als solle der Bergbautreibende<br />

als dauerhafter privater Kooperationspartner<br />

mit besonderer Bringschuld in die Stadtentwicklung<br />

einbezogen werden. Dabei wird ihm vor allem die<br />

Aufgabe einer umfassenden Bodenvorratshaltung<br />

zugedacht, um die Gemeinde über die Gestaltung<br />

des Bodenpreises bei öffentlichen und privaten<br />

Bauvorhaben wirkungsvoll fördern zu können.<br />

Schließlich wird <strong>von</strong> ihm erwartet, er möge die<br />

Gemeinde gegenüber der Landesplanung vertreten.<br />

Es ist nicht Aufgabe dieses <strong>Gutachten</strong>s, Fragen<br />

der Kommunalverträglichkeit erschöpfend zu behandeln.<br />

Allerdings sind wir aufgefordert, zu den<br />

kommunalen Vereinbarungen unter dem Gesichtspunkt<br />

der Sozialverträglichkeit Stellung zu nehmen.<br />

Nach den bereits 1990 dargelegten Grundsätzen<br />

ist der Bergbautreibende selbstverständlich verpflichtet,<br />

alle Verluste vorhandener Rechte und<br />

Vermögenswerte zu entschädigen. Die Kompensationsforderungen<br />

der Gemeinden aber gehen darüber<br />

hinaus und schaffen damit eine unseres Erachtens<br />

über die Braunkohlenbelange im engeren<br />

Sinn hinausgehende Abhängigkeit vom Bergbautreibenden.<br />

Möglicherweise sind die Bestrebungen der Gemeinde<br />

Folge einer zu engen regionalplanerischen<br />

Berücksichtigung kommunaler Belange. So weist<br />

der Braunkohlenplan Ersatzsiedlungsflächen nur in<br />

dem Umfang aus, wie eine Teilnahme an der gemeinsamen<br />

Umsiedlung zu erwarten ist. Es wäre<br />

zu empfehlen, im Rahmen des Braunkohlenplans<br />

auch andere Wohnsiedlungsgebiete in der betroffenen<br />

Gemeinde auszuweisen, die, ohne mit einem<br />

Enteignungsanspruch seitens Rheinbraun verbunden<br />

zu sein, einen planerischen Ausgleich für den<br />

Verlust an Siedlungsfläche der Gemeinde darstellen.<br />

Damit könnte möglicherweise auch die Problematik<br />

einer gemeinsamen Umsiedlung über die<br />

Gemeindegrenzen hinweg entschärft werden. Oder<br />

es könnte im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang<br />

mit der Braunkohlenplanung eine entsprechende<br />

Änderung der regionalen Planung erfolgen.<br />

Eine Ausweisung <strong>von</strong> Siedlungsgebieten<br />

auf potentiellen Abbauflächen kann so vermieden<br />

werden.<br />

Zweifellos ist eine enge Kooperation zwischen<br />

Rheinbraun und Gemeinden notwendig, um die<br />

Umsiedlung der betroffenen Ortschaften gut zu<br />

bewältigen. Dabei ist auch ein Maß an Engagement<br />

des Bergbautreibenden <strong>von</strong>nöten, das über<br />

seine gesetzlichen Verpflichtungen weit hinausgeht<br />

und ihn eng in die gemeindliche Bauleitplanung<br />

und Bodenvorratspolitik einbezieht. Aus der Perspektive<br />

der Sozialverträglichkeit aber sollte diese<br />

dichte Kooperation auf einen engen zeitlichen und<br />

sachlichen Zusammenhang der gemeinsamen<br />

Umsiedlung beschränkt werden. Die Betroffenen<br />

reagieren sehr sensibel, wenn sie den Eindruck<br />

gewinnen, die Gemeinde habe zu viele eigene Interessen<br />

gegenüber dem Bergbautreibenden.<br />

Die Jüchen-Erklärung<br />

Die Jüchen-Erklärung befaßt sich ausschließlich<br />

mit den Ansprüchen der Umsiedlungsbetroffenen.<br />

Im Zuge der Verhandlungen des Braunkohlenplans<br />

und der Sozialverträglichkeitsprüfung konnten diese<br />

im Vergleich zu vorangegangenen Umsiedlungen<br />

nochmals verbessert werden. Die Jüchen-<br />

Erklärung dient nicht allein der vertraglichen Sicherung<br />

zwischen der Gemeinde und Rheinbraun,<br />

sondern ist deutlich auch als kurze, aber sehr verbindliche<br />

Information an die Betroffenen konzipiert.<br />

• Eigentümer-Handlungskonzept<br />

Wichtigste Neuerung des Eigentümerhandlungskonzeptes<br />

gegenüber vorangegangenen Regelungen<br />

ist die Zusage Rheinbrauns, daß ca. 95% aller<br />

Anwesen allein aus der Entschädigungssumme im<br />

vergleichbaren Standard als Neubau wiedererrichtet<br />

werden können. Diese Aussage bedeutet einen


22 4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren<br />

erheblichen Zuwachs an frühzeitiger finanzieller<br />

Sicherheit der Umsiedlerinnen und Umsiedler und<br />

ist deshalb sehr zu begrüßen.<br />

Die Änderung der Kaufpreisauszahlungsfristen<br />

(90% bei Eigentumsübertragung, 10% bei Räumung)<br />

ist zwar <strong>von</strong> finanziellem Vorteil für die Umsiedler,<br />

weil sie gegebenenfalls Zinsgewinne erzielen<br />

können und garantiert keine Zwischenfinanzierungskosten<br />

beim Neubau anfallen. Damit dieser<br />

Vorteil auch wirklich zum Tragen kommt, ist jedoch<br />

eine sorgfältige Beratung <strong>zur</strong> Verwaltung der erheblichen<br />

Geldbeträge im Übergang zwischen altem<br />

und neuem Anwesen erforderlich. Die mietfreie<br />

Nutzung des Altanwesens bis <strong>zur</strong> Räumung schafft<br />

zusätzliche zeitliche Spielräume, die neue Wohnsituation<br />

sorgfältig zu planen und zu bauen, ohne finanzielle<br />

Belastungen tragen zu müssen.<br />

Eine garantierte Mindestgröße des Tauschgrundstücks<br />

am neuen Ort und die Anerkennung <strong>von</strong> 50<br />

m Grundstückstiefe als Bauland sind zwei Bausteine,<br />

die die schuldenfreie Umsiedlung auch bei entschädigungsrechtlich<br />

schwierigen Altanwesen erleichtern.<br />

Die Regelung, daß auch ein zweites Wertgutachten<br />

<strong>von</strong> Rheinbraun zu bezahlen ist, schafft mehr<br />

Transparenz bei der gutachterlichen Bewertung der<br />

Altanwesen und reserviert die Beratungskostenpauschale<br />

tatsächlich für den Fall eines akuten<br />

Konfliktes mit Rheinbraun oder – wie zu Recht immer<br />

wieder empfohlen wird – für die gründliche<br />

Vorbereitung der Verhandlungen mit Rheinbraun.<br />

• Mieterhandlungskonzept (Jüchen)<br />

Das Mieterhandlungskonzept umfaßt die gleichen<br />

Bausteine für Mietwohnungsbau und Eigentumserwerb<br />

durch Mieter am Umsiedlungsstandort wie<br />

in den Indener Vereinbarungen. Es folgen jedoch<br />

einige bedeutsame Präzisierungen. Der Mietpreis<br />

<strong>von</strong> Rheinbraun-geförderten Wohnungen wird präzise<br />

festgelegt, die Mietpreisbindung soll sechs<br />

bzw. acht Jahre betragen. Die Unterschiede beim<br />

Grundstückserwerb durch Mieter im Vergleich zu<br />

Eigentümern am Umsiedlungsstandort werden benannt.<br />

Die Entschädigungsansprüche der Mieter haben<br />

sich im Durchschnitt deutlich verbessert, indem<br />

sich die entsprechenden Pauschalen nicht mehr<br />

nach der Anzahl bewohnter Räume, sondern nach<br />

der Quadratmeterzahl der Wohnung richten. Auch<br />

den Mietern steht, allerdings nicht erst seit der Jüchen-Erklärung,<br />

eine Beratungskosten-Pauschale<br />

zu.<br />

Sowohl die materiellen Vereinbarungen als auch<br />

die Gestaltung der Jüchen-Vereinbarungen als<br />

kurze, übersichtliche und sehr verbindliche Information<br />

an die Umsiedlungsbetroffenen sind unter<br />

Sozialverträglichkeitsgesichtspunkten eindeutig zu<br />

begrüßen.<br />

Die Umsiedlerfibel<br />

Die Informationsschrift des Regierungspräsidenten<br />

für Umsiedlerinnen und Umsiedler wurde 1992 mit<br />

dem Ziel überarbeitet, sie zu aktualisieren und die<br />

Informationen für die Betroffenen so verständlich<br />

wie möglich aufzubereiten. Im Vergleich der beiden<br />

umfangreichen Broschüren zeigen sich einige<br />

wichtige Neuerungen. So werden Mieter unmißverständlich<br />

als Umsiedler anerkannt und ihre Rechte<br />

in einem gesonderten Kapitel dargestellt. Das im<br />

Anschluß an das Sozialverträglichkeitsgutachten<br />

1990 entwickelte Standortfindungskonzept wird erläutert,<br />

die fachlichen Gesichtspunkte für die Eignung<br />

eines Standortes werden dargelegt. Checklisten<br />

für Umsiedler, die in der alten Fibel in das Kapitel<br />

Verhandlungen mit Rheinbraun integriert waren,<br />

sind nun gesondert nach Eigentümern, Mietern,<br />

Landwirten und Gewerbetreibenden ausgearbeitet<br />

und ergänzen als eigenständige Listen die<br />

Fibel. Sie sind für die Vorbereitung der Verhandlung<br />

mit Rheinbraun deutlich besser geeignet.<br />

Schließlich zeigt sich der Regierungspräsident in<br />

den einleitenden Kapiteln <strong>zur</strong>ückhaltender in der<br />

Prognose künftiger Braunkohlenförderung und<br />

deutlich toleranter gegenüber Umsiedlern, die nicht<br />

an der gemeinsamen Umsiedlung teilnehmen wollen.<br />

Die Überarbeitung der Umsiedlerfibel wurde nicht<br />

für einen grundlegenden Stilwechsel genutzt. Sie<br />

wird auch heute <strong>von</strong> vielen Umsiedlerinnen und<br />

Umsiedlern als schwer verständlich empfunden.<br />

Eine Ursache für diese verbreitete Einschätzung<br />

mag in den tatsächlich komplizierten Zusammenhängen<br />

liegen, die erläutert werden müssen. Eine<br />

andere Ursache liegt unseres Erachtens darin, daß<br />

die Sachverhalte stets im Prinzip erklärt werden,<br />

das heißt entlang der gesetzlichen Regelungsgrundlagen.<br />

Es bleibt den Umsiedlern überlassen,<br />

diese prinzipiellen Regelungen und ihre komplexeren<br />

praktischen Erfahrungen so zu verbinden, daß<br />

sie aus den Informationen der Umsiedlerfibel Antworten<br />

auf ihre akuten Fragen gewinnen können.<br />

Die Umsiedlerfibel und die Checklisten für Umsiedler<br />

sind auch in der heutigen Form eine unverzichtbare<br />

Informationsquelle für Umsiedler. Es wäre jedoch<br />

zu wünschen, daß in Zukunft die wertvollen<br />

Informationen über die rechtlichen Grundlagen enger<br />

an die praktischen Erfahrungen der Umsiedler


4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren 23<br />

mit einer vielfältigen und scheinbar widersprüchlichen<br />

Realität verknüpft werden.<br />

Im Anschluß an die Jüchen-Erklärung ergibt sich<br />

ein Aktualisierungsbedarf. Die <strong>von</strong> Rheinbraun<br />

konkret genannte Zahl <strong>von</strong> ca. 95 % der Anwesen,<br />

die ohne Aufnahme <strong>von</strong> Fremdmitteln in entsprechender<br />

Größe und Ausstattung wiedererrichtet<br />

werden können, ist eine wichtige Aussage, die die<br />

Angaben der Umsiedlerfibel über Finanzierungshilfen<br />

<strong>von</strong> Rheinbraun relativiert. Nach aller Erfahrung<br />

im rheinischen Revier sind sie in etwa 5% der Fälle<br />

<strong>von</strong>nöten.<br />

Das Standortfindungskonzept<br />

Im Empfehlungsteil des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />

1990 wurden Kriterien für die Standortwahl<br />

bei einer gemeinsamen Umsiedlung formuliert. Aus<br />

heutiger Sicht scheint insbesondere bedeutsam,<br />

daß neben den Wünschen und Vorstellungen der<br />

Umsiedler (lokale Bindungen, Nähe zum bisherigen<br />

Standort, Erreichbarkeit <strong>von</strong> Arbeitsplätzen und infrastrukturellen<br />

Einrichtungen, Sicherheit vor<br />

erneuter Umsiedlung) auch die Vereinbarkeit des<br />

Standortes mit landesplanerischen und raumordnungspolitischen<br />

Zielvorstellungen gefordert wird.<br />

Dabei ist vor allem der Schutz der natürlichen<br />

Landschaft, die Schonung freier Landschaftsräume<br />

und die Bewahrung kultivierter Flächen zu erwähnen.<br />

Den Umsiedlern soll eine Wahl zwischen verschiedenen<br />

Standortalternativen ermöglicht werden. Die<br />

Eigenschaften der alternativen Standorte sollen mit<br />

ihren Vorteilen, Restriktionen und Nachteilen dargelegt<br />

werden.<br />

Im Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 wird die<br />

Frage erörtert, ob ein Umsiedlungsstandort innerhalb<br />

oder außerhalb des Gemeindegebiets vorzuziehen<br />

ist. Dabei wird auf die Vorteile <strong>von</strong> Standorten<br />

im Anschluß an eine bestehende Gemeinde<br />

verwiesen. Die Bürger erhalten bei der Standortwahl<br />

eine zentrales Mitspracherecht. Für den Fall,<br />

daß mehrere Standorte <strong>zur</strong> Wahl stehen, wird eine<br />

Abstimmung darüber gefordert, ob eine gemeinsame<br />

Umsiedlung erwünscht ist oder in Ergänzung<br />

zu einer gemeinsamen Umsiedlung auch andere<br />

Alternativen (wie der Umzug in kleinen Gruppen)<br />

gewünscht werden.<br />

Es zeigt sich, daß diese Forderungen zunächst in<br />

der Umsiedlerfibel <strong>von</strong> 1992 und dann im Umsiedlungsverfahren<br />

Etzweiler/Gesolei sehr weitgehend<br />

und sinngemäß übernommen wurden. Die Umsiedlerfibel<br />

weist die Betroffenen darauf hin, daß für die<br />

Auswahl eines geeigneten Umsiedlungsstandortes<br />

im wesentlichen die im <strong>Gutachten</strong> genannten Krite-<br />

rien beachtet werden. Über die Empfehlungen des<br />

Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990 hinaus können<br />

Bürger selbst Standortvorschläge bei der Geschäftsstelle<br />

des Braunkohlenausschusses einreichen.<br />

Diese Standortvorschläge werden einer<br />

Bürgerbefragung unterworfen. Im Braunkohlenplan<br />

Hambach, sachlicher Teilabschnitt Etzweiler/Gesolei<br />

(1993) wird entsprechend darauf hingewiesen,<br />

daß bei der Erstellung des Vorentwurfes<br />

des Braunkohlenplans die Ergebnisse der Bürgerbefragungen<br />

berücksichtigt wurden.<br />

Auch die weiteren Beteiligungsmöglichkeiten bei<br />

Bedenken und Anregungen zum ausliegenden<br />

Entwurf, bei der gemeindlichen Rahmenplanung<br />

und bei der Bauleitplanung werden erwähnt.<br />

Es ist da<strong>von</strong> auszugehen, daß das Standortfindungsverfahren<br />

für Etzweiler/Gesolei in der Intention<br />

des Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990 gestaltet<br />

ist. Die dort hervorgehobenen Gesichtspunkte<br />

der Akzeptanz und Mitwirkung der Bürger werden<br />

noch stärker betont und ausgestaltet als dies<br />

im Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 gefordert<br />

wird.<br />

Die praktischen Erfahrungen mit diesem Konzept<br />

haben gezeigt, daß die spontanen Wünsche der<br />

Umsiedlerinnen und Umsiedler zu diesem frühen<br />

Punkt der Befragung deutlich abweichen können<br />

<strong>von</strong> dem, was unter guten landesplanerischen<br />

Gründen und dem Gesichtspunkt der langfristigen<br />

Entwicklungschancen eines Standortes genehmigt<br />

werden kann. Insofern wird in Zukunft eine engere<br />

Verknüpfung <strong>von</strong> fachlich begründeten Standortvorschlägen<br />

durch die verantwortlichen Planungsinstanzen<br />

– die Gemeinde und die Bezirksplanungsbehörde<br />

und der Meinungsbildung der Betroffenen<br />

zu gewährleisten sein.<br />

Der Umsiedlungsbeauftragte<br />

Die Landesregierung versprach im Genehmigungserlaß<br />

Garzweiler II, einen Beauftragten zu<br />

bestellen, der eine unmittelbare Verbindung zwischen<br />

der Landesregierung und den Betroffenen<br />

dauerhaft leisten sollte. Dieses Versprechen ist bis<br />

heute nicht erfüllt. Die Rolle eines Umsiedlungsbeauftragten<br />

wird in diesem <strong>Gutachten</strong> an verschiedenen<br />

Stellen erläutert.<br />

Der Treuhandfonds<br />

Der Treuhandfonds zum staatlichen Ankauf <strong>von</strong><br />

Anwesen vor Beginn der gemeinsamen Umsiedlung<br />

wird in den Koalitionsvereinbarungen <strong>von</strong><br />

1995 angekündigt. Er geht insofern auf eine Anregung<br />

des Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990<br />

<strong>zur</strong>ück, als dort die Problematik vorzeitiger Ankäufe


24 4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren<br />

durch Rheinbraun ausführlich erörtert wird. Er ist<br />

bis heute nicht eingerichtet, kann also an dieser<br />

Stelle nicht kommentiert werden.<br />

Der Fonds für Umsiedlungszwecke<br />

Im Zusammenhang mit der Genehmigung des<br />

Braunkohlenplans Garzweiler II hat sich das Bergbauunternehmen<br />

bereit erklärt, einen Fonds für<br />

Umsiedlungszwecke im Rheinischen Braunkohlenrevier<br />

ein<strong>zur</strong>ichten. Auch dieser Fonds geht möglicherweise<br />

auf eine Anregung aus dem Sozialverträglichkeitsgutachten<br />

1990 <strong>zur</strong>ück. Dort wird, allerdings<br />

im Kontext einer Neuorganisation der Entschädigung,<br />

vorgeschlagen, einen Umsiedlungsfonds<br />

für gemeinschaftliche Angelegenheiten ein<strong>zur</strong>ichten.<br />

Diese Anregung hatte das Ziel, in den<br />

Einzelprojekten eine größere Unabhängigkeit vom<br />

Bergbautreibenden zu erreichen. Inwieweit der<br />

eingerichtete Fonds diesem Ziel gerecht wird kann<br />

nicht überprüft werden, da er bis heute nicht abgerufen<br />

werden kann. Bis heute sind die Einzelheiten<br />

über die Vergabe <strong>von</strong> Mitteln aus diesem Fonds<br />

nicht geregelt.<br />

Unabhängig <strong>von</strong> der Frage, ob einzelne Maßnahmen<br />

sinnvoll oder notwendig sind, ist die Verzögerung<br />

bei der Einhaltung <strong>von</strong> Versprechen des Landes<br />

an die Umsiedler unter dem Gesichtspunkt der<br />

Sozialverträglichkeit sehr schädlich. Hier wird<br />

nachhaltig der Eindruck erweckt, daß das Land<br />

kein zuverlässiger Partner für die Umsiedler sei.<br />

Sollte sich bei näherer Prüfung herausstellen, daß<br />

ein Versprechen aus guten Gründen nicht eingehalten<br />

werden kann, sollten diese Gründe gegenüber<br />

den Umsiedlerinnen und Umsiedlern erläutert<br />

und vertreten werden.


5. Sozialverträglichkeit in der Praxis -- vier Fallstudien 25<br />

5. Sozialverträglichkeit in der Praxis – vier Fallstudien<br />

Die Umsiedlungsorte im Rheinischen Braunkohlenrevier Quelle: Dickmann, F. 1996 (aktualisiert)


26 5. Sozialverträglichkeit in der Praxis – vier Fallstudien<br />

Dieses Kapitel umfasst die <strong>Evaluierung</strong>en der abgeschlossenen<br />

Umsiedlungen Garzweiler/Priesterath,<br />

Inden/Altdorf und Etzweiler/Gesolei sowie der<br />

laufenden Umsiedlungsplanungen Otzenrath/<br />

Spenrath und Holz. Im <strong>Gutachten</strong> bildet es mit ca.<br />

120 Seiten den umfangreichsten Abschnitt. Daten<br />

und Fakten auf der einen, zusammenfassende<br />

Sichten <strong>von</strong> Akteuren und Umsiedlern auf der anderen<br />

Seite ermöglichen für jedes Fallbeispiel eine<br />

Bewertung der Beiträge <strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit. In<br />

dieser <strong>Kurzfassung</strong> wird nur eine Zusammenfassung<br />

der Ergebnisse vermittelt.<br />

In den abgeschlossenen Verfahren überwiegt im<br />

Rückblick die Genugtuung über individuelle und<br />

gemeinsame Leistungen. Im Prozess der aktuellen<br />

Umsiedlungsplanungen überwiegen unter dem<br />

Eindruck unbestimmter Rahmenbedingungen die<br />

kritischen Stimmen.<br />

Umsiedlung Garzweiler/Priesterath<br />

Für die abgeschlossene Umsiedlung Garzweiler/Priesterrath<br />

werden die gemeinsamen Anstrengungen<br />

<strong>zur</strong> Aufrechterhaltung des Lebens am alten<br />

Ort, die Information und Vertretung der Interessen<br />

der Umsiedlerinnen und Umsiedler, ihre Mitwirkung<br />

an der Planung und die friedliche Zuordnung der<br />

Grundstücke entsprechend ihren Wünschen anerkannt.<br />

Zufrieden sind Umsiedlerinnen und Umsiedler<br />

mit der Gestaltung des neuen Ortes, mit der erkennbaren<br />

Übernahme <strong>von</strong> Motiven des alten Ortes,<br />

mit der guten Ausstattung.<br />

Neu-Garzweiler/Priesterath<br />

Begründet sind die Erfolge der Umsiedlung auch<br />

im Engagement lokaler Leitfiguren. Eingeschränkt<br />

werden diese Anerkennungen durch die Feststellungen,<br />

daß tragende Persönlichkeiten des Dorflebens<br />

wie die Landwirte am neuen Ort fehlen, manche<br />

Vereine zumindest Übergangsschwierigkeiten<br />

haben. Für Mieter wurde erst spät gesorgt. Der<br />

neue Ort ist eng begrenzt, er kann sich innerhalb<br />

und außerhalb dieser Grenzen kaum weiterentwikkeln.<br />

Empfohlen wird eine unabhängige, fachübergreifende<br />

Beratung, gefordert wird die Einführung<br />

eines Umsiedlungsbeauftragten. In der Planung<br />

sollte mehr auf die Verflechtungen des neuen Ortes<br />

mit der aufnehmenden Gemeinde geachtet<br />

werden, mehr als bisher sollten typische Dorfqualitäten<br />

auch am neuen Ort möglich sein.<br />

Umsiedlung Inden/Altdorf<br />

Für die abgeschlossene Umsiedlung Inden/Altdorf<br />

werden insbesondere die mit persönlichem Engagement<br />

gebotenen Beratungen und die Regelungen<br />

zugunsten der Mieter anerkannt. Zufrieden<br />

sind die meisten mit der Gestaltung des neuen Ortes,<br />

mit einer guten Ausstattung und mit dem Zusammenwachsen<br />

zweier Orte in einer neuen Gemeinde.<br />

Neu-Inden/Altdorf<br />

Kritisiert wird fehlende Information, die lange Phase<br />

zwischen Standortwahl und Umsiedlungsbeginn<br />

wie auch die lange Zeitdauer der Umsiedlung.<br />

Empfohlen wird die Kontinuität einer integrierten<br />

Beratung, die rechtzeitige Bereitstellung <strong>von</strong> Mietwohnungen<br />

und schlüsselfertigen Häusern und die<br />

Straffung des gesamten Verfahrens.<br />

Umsiedlung Etzweiler/Gesolei<br />

Anerkannt wird im Umsiedlungsverfahren Etzweiler/Gesolei<br />

die gute Zusammenarbeit zwischen<br />

dem Gemeindedirektor, dem Ortsvorsteher und<br />

dem Arbeitskreis Umsiedlung. Verbesserungen<br />

früherer Umsiedlungsverfahren - die Grundstücksvormerkung,<br />

das Mieter-Hand-lungskonzept, das<br />

Soziale Anforderungsprofil - konnten übernommen<br />

werden. Harte Kritik der Umsiedlerinnen und Umsiedler<br />

gilt der Bestimmung des Standortes, die als<br />

Mißachtung ihres im schwierigen Abstimmungsverfahren<br />

ermittelten Standortwunsches aufgefaßt<br />

wird. Kritik gilt auch den Strukturen des neuen Ortes,<br />

der Isolierung und der bisher fehlenden Busanbindung,<br />

auch dem bisherigen Fehlen einer sozialen<br />

und kulturellen Infrastruktur. Schließlich fehlt<br />

alles, was im alten Dorf selbstverständlich war: der<br />

Bäcker, der Lebensmittelladen, die Gastwirtschaft,<br />

die Feuerwehr, nicht zuletzt die Kirche. Vorschläge


5. Sozialverträglichkeit in der Praxis – vier Fallstudien 27<br />

für Verbesserungen gelten besseren Informationen,<br />

unabhängigen Beratungen, dem Verfahren<br />

der Wahl eines günstigeren Standortes und auch<br />

dem Vorratsbau am neuen Ort.<br />

Planung der Umsiedlungen Otzenrath/Spenrath<br />

und Holz<br />

Wegen der Aktualität der Umsiedlungsplanungen<br />

wurden die Untersuchungen in Otzenrath/Spenrath<br />

und Holz besonders breit angelegt und mehr Gespräche<br />

als in den bisherigen Fallstudien geführt.<br />

Otzenrath<br />

Betroffene aus Otzenrath/Spenrath und Holz sind<br />

bereit, Umsiedlungen zu akzeptieren, wenn sie die<br />

Notwendigkeit einsehen. Für eine Akzeptanz sind<br />

allerdings eindeutige Vorgaben, Transparenz der<br />

Entscheidungen und glaubwürdige Beteiligungsangebote<br />

unverzichtbar. Anerkannt wird die Möglichkeit<br />

der Überprüfung <strong>von</strong> Grundannahmen und der<br />

Reversibilität. Gegenüber früheren Umsiedlungen<br />

haben sich die Planungs- und sozialen Techniken<br />

der Umsiedlung verbessert. Umsiedlerinnen und<br />

Umsiedler fühlen sich zunehmend besser informiert<br />

und beraten. Die Entschädigungen kommen dem<br />

Postulat neu für alt ein deutliches Stück näher. Die<br />

Beteiligung an der Planung - insbesondere mit Planungswerkstätten<br />

- und die Beteiligung an der<br />

Grundstücksvormerkung werden grundsätzlich akzeptiert.<br />

Anerkannt wird das Engagement der Vereine<br />

<strong>zur</strong> Stärkung der Orte und ihrer Gemeinschaften.<br />

Anerkannt wird das Engagement der Kirchen<br />

um eine Zukunftsperspektive der Region.<br />

Kritisiert wird <strong>von</strong> Umsiedlerinnen und Umsiedlern<br />

in Otzenrath/Spenrath und Holz die Landespolitik<br />

mit unterschiedlichen Aussagen zu den Rahmenbedingungen<br />

der Umsiedlung, mit der fehlenden<br />

Einlösung <strong>von</strong> Versprechen - zum Beispiel zum<br />

Ombudsmann - und wegen der fehlenden Präsenz<br />

vor Ort. Kritik gilt auch der Gemeinde und dem Beteiligungsverfahren,<br />

das nach Auffassung der Betroffenen<br />

nicht die Mehrheit der Umsiedlergemeinschaft<br />

berücksichtigt. Kritisiert wird die un<strong>zur</strong>eichende<br />

Sorge um die Erhaltung der Infrastruktur<br />

am alten Ort. Das Fehlen einer fachübergreifenden,<br />

integrierenden Beratung wird angemahnt.<br />

Harte Kritik gilt dem Verfahren der Standortwahl<br />

und der un<strong>zur</strong>eichenden Berücksichtigung der<br />

Wünsche der Umsiedlerinnen und Umsiedler. Der<br />

Zeitraum der Beschäftigung mit der Umsiedlungsproblematik<br />

scheint ihnen zu lang, obwohl - oder<br />

weil - sie sich ständig unter Zeitdruck gesetzt fühlen.<br />

Unterschiedliche Interpretationen des Zeitpunkts<br />

der Erteilung des Umsiedlerstatus haben<br />

Abwanderungen begünstigt, und damit das Ziel einer<br />

gemeinsamen Umsiedlung gefährdet. Mit der<br />

erklärten Position, daß eine Umsiedlung auch ohne<br />

Tagbau vorstellbar sei, ist für viele der Sinn und die<br />

Akzeptanz einer Umsiedlung in Frage gestellt. Damit<br />

wird auch das Fehlen einer offenen Diskussion<br />

<strong>zur</strong> Überprüfung der Rahmenbedingungen des Tagebaus<br />

moniert.<br />

Empfohlen wird eine zeitnahe Überprüfung der<br />

Grundannahmen, nicht zuletzt, um Planungssicherheit<br />

- für den Bergbautreibenden und auch für<br />

die Umsiedlergemeinschaft - zu gewinnen. Die<br />

Gemeinde sollte in Zusammenarbeit mit Rheinbraun<br />

ein Konzept für die Nutzung leerstehender<br />

Gebäude erarbeiten, das auch jungen Familien aus<br />

dem Dorf und Existenzgründern eine Chance gibt.<br />

Informationen sind zeitnah, bezogen auch auf einzelne<br />

soziale Gruppen zu vermitteln. Die Beratungen<br />

sollten um fachspezifische - zum Beispiel psychologische<br />

- Beratungen auch außerhalb der Gemeinde<br />

ergänzt werden, nicht zuletzt um Ängste<br />

im Verfahren, besonders vor den Entschädigungsverhandlungen,<br />

abzubauen.<br />

Abzubauen ist auch das Mißtrauen der Umsiedlerinnen<br />

und Umsiedler, daß die Gemeinde im Zweifelsfall<br />

eine Kommunalverträglichkeit höher bewertet<br />

als die Sozialverträglichkeit. Die Gremien der<br />

Bürgerbeteiligung sollten so gebildet werden, daß<br />

möglichst alle Gruppen der Umsiedlergemeinschaft<br />

sich vertreten fühlen. Weiterhin zu verbessern sind<br />

die Sicherheiten für die Mieter, sich an der gemeinsamen<br />

Umsiedlung beteiligen zu können. Die Angebote<br />

für Landwirte, auch am neuen Ort wohnen<br />

zu können, sind ebenso zu verbessern wie die Angebote<br />

für Gewerbe und Dienstleistungen zugunsten<br />

dorftypischer Mischungen. Das Zusammenspiel<br />

<strong>von</strong> Umsiedlungsbeauftragten auf Landesebene,<br />

lokalem Beratungsbüro und sozialem Monitoring<br />

in der Gemeinde und einer auf Distanz angesiedelten<br />

Begleitforschung erscheint als sinnvoller<br />

Beitrag <strong>zur</strong> Sicherung einer Sozialverträglichkeit.


28 6. Konkretisierung der Kriterien<br />

6. Konkretisierung der<br />

Kriterien<br />

In den folgenden Abschnitten wird jedes der Kriterien<br />

<strong>zur</strong> Beurteilung der Sozialverträglichkeit erläutert.<br />

Auf die Frage, wieweit diese Kriterien in der<br />

Praxis der vergangenen zehn Jahre akzeptiert und<br />

umgesetzt werden konnten, ergeben sich Schlußfolgerungen<br />

sowohl hinsichtlich der Bewertung der<br />

Sozialverträglichkeit des aktuellen Umsiedlungsgeschehens<br />

als auch einer Aktualisierung der damaligen<br />

Kriterien.<br />

Jeder Abschnitt beginnt mit dem Ergebnis der Neuformulierung<br />

des jeweiligen Kriteriums. Bis zum<br />

zehnten Kriterium stimmt die Reihenfolge mit dem<br />

Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 überein. Auch<br />

die sprachliche Darstellung in der Gegenwartsform,<br />

die erreichte Ziele beschreibt, wird fortgeschrieben.<br />

Weiterentwicklungen der ersten zehn Kriterien sowie<br />

die Neuformulierungen des elften und des<br />

zwölften Kriteriums werden durch Fettdruck hervorgehoben.<br />

1. Demokratische Legitimation<br />

Der Eingriff ist nicht willkürlich oder allein im<br />

betriebswirtschaftlichen Interesse des Bergbautreibenden<br />

begründet, sondern eine zwingende<br />

energiepolitische Notwendigkeit. Auch<br />

Umfang und Zeitpunkt sind begründet, glaubwürdig,<br />

einsichtig und nachvollziehbar und<br />

gelten daher als zumutbar. Für diese Gewißheit<br />

haben eine breite Information der Betroffenen<br />

und eine offene energiepolitische Entscheidungsfindung<br />

unter Beteiligung der Betroffenen<br />

gesorgt.<br />

Die Fragen <strong>von</strong> demokratischer Legitimation, Reversibilität<br />

und Planungssicherheit in der Braunkohleplanung<br />

berühren weniger die Gestaltung <strong>von</strong><br />

Umsiedlungen im engeren Sinn. Sie gehören vielmehr<br />

zu den Rahmenbedingungen für sozialverträgliche<br />

Umsiedlungen, die in viele Einzelheiten<br />

des praktischen Umsiedlungsgeschehens hineinwirken.<br />

Heute kann man eindeutig da<strong>von</strong> ausgehen, daß<br />

das gegenwärtige Verfahren einer verfassungrechtlichen<br />

Überprüfung ohne weiteres standhält. Danach<br />

wird die Entscheidung, ob ein neuer Tagebau<br />

bzw. ein Anschlußtagebau aufgeschlossen wird<br />

oder nicht, weitgehend <strong>von</strong> der Landesregierung<br />

vorgeprägt. Den sogenannten Leitentscheidungen<br />

der Landesregierung <strong>zur</strong> Braunkohlenpolitik kommt<br />

dabei eine herausragende Bedeutung zu.<br />

In gewisser Hinsicht stellte die Konzentration der<br />

öffentlichen Auseinandersetzung auf verfassungsrechtliche<br />

Fragen eine thematische Einengung dar.<br />

Die Anregungen des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />

1990 zu Fragen einer Verfahrensbeteiligung<br />

der Betroffenen im landespolitischen Entscheidungsprozeß<br />

wurden nur am Rande aufgegriffen.<br />

Nach wie vor gilt, daß eine förmliche Beteiligung<br />

der Betroffenen erst im Braunkohlenplanverfahren<br />

vorgesehen ist. Zu diesem Zeitpunkt sind jedoch<br />

die landespolitischen Grundsatzentscheidungen<br />

längst gefallen. Die Sozialverträglichkeitsprüfung in<br />

diesem Verfahren hat vor allem die Aufgabe, konkrete<br />

Ziele und Maßnahmen für eine möglichst sozialverträgliche<br />

Durchführung <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />

festzulegen. Die Frage, ob ein Tagebau energiepolitisch<br />

erwünscht ist oder nicht, ist zu diesem Zeitpunkt<br />

weitgehend entschieden.<br />

Die Information der Betroffenen durch die Landespolitik<br />

ist ebenfalls nicht wesentlich verbessert<br />

worden. Außerhalb des förmlichen Braunkohlenplanverfahrens<br />

mit seinen Beteiligungsgeboten erfahren<br />

die Betroffenen wesentliche Entscheidungen,<br />

etwa die Leitentscheidungen der Landesregierung<br />

oder die mit Spannung erwartete Erteilung der<br />

wasserrechtlichen Erlaubnis, aus allgemeinen<br />

Pressemitteilungen. In Anbetracht der unmittelbaren<br />

und umfassenden Bedeutung solcher Entscheidungen<br />

für die persönliche Lebensplanung ist<br />

nur eine persönliche Benachrichtigung durch Anschreiben<br />

angemessen. Diese muß damit verbunden<br />

werden, daß ein ortsnaher Ansprechpartner<br />

benannt wird, der für Nachfragen und weitere Information<br />

<strong>zur</strong> Verfügung steht. Dies kann eine der<br />

Aufgaben eines Umsiedlungsbeauftragten sein. Die<br />

Gemeinde muß solche markanten Punkte im Entscheidungsprozeß<br />

durch ein entsprechendes Beratungsangebot<br />

für die persönlichen Planungen begleiten.<br />

Ein grundsätzlicher Hinweis des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />

1990 konnte nicht in die Praxis<br />

umgesetzt werden. Akzeptanz, d.h. die grundsätzliche<br />

Einsicht, daß ein Tagebauvorhaben zweifellos<br />

einem übergeordneten Interesse der Allgemeinheit<br />

dient und entsprechende Opfer verlangt werden<br />

können, wird dort als unabdingbare Voraussetzung<br />

dafür genannt, daß die vorgeschlagen Maßnahmen<br />

<strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit ihre Wirkung entfalten können.<br />

Im sozialen Anforderungsprofil, das der<br />

Braunkohlenausschuß <strong>zur</strong> Konkretisierung <strong>von</strong> Sozialverträglichkeit<br />

beschlossen hat, ist dieser Gesichtspunkt<br />

nicht erwähnt. Im Falle <strong>von</strong> Garzweiler<br />

II ist bei vielen ein tiefer Zweifel darüber geblieben,<br />

ob der geplante und genehmigte Tagebau tatsächlich<br />

mehr Nutzen als Schaden für die Allgemeinheit<br />

bringen wird.


6. Konkretisierung der Kriterien 29<br />

Die gerichtliche Bewertung <strong>von</strong> Verfahrensfragen<br />

der Braunkohlenplanung hat manches <strong>zur</strong> Klärung<br />

des Binnenverhältnisses zwischen Landtag, Landesregierung<br />

und Braunkohlenausschuß beigetragen.<br />

Die angekündigten Verfahrensreformen sind<br />

durchweg zu begrüßen. Diese Bemühungen aber<br />

können die Betroffenen offensichtlich nicht überzeugen,<br />

was darauf verweist, daß die 1990 in Gesprächen<br />

mit Betroffenen oft geäußerten Zweifel an<br />

der demokratischen Legitimation der Verfahren tatsächlich<br />

weniger die formalen Verfahren als vielmehr<br />

sachlich-inhaltliche Fragen auf indirekte Weise<br />

thematisierten.<br />

Eine Akzeptanz des Umsiedlungsgeschehens setzt<br />

neben der gegebenen Legitimation auch die Information<br />

und Beteiligung am Braunkohlenplanverfahren<br />

voraus. Ohne sachlich - inhaltliche Akzeptanz<br />

ist eine Sozialverträglichkeit nicht gegeben.<br />

2. Reversibilität und Planungssicherheit<br />

Es ist sichergestellt, daß die naturgemäß<br />

langfristigen Braunkohlenpläne revidiert werden<br />

können, wenn sich die Grundannahmen<br />

ändern. Jeweils zu Beginn der Umsiedlungsplanungen<br />

ist durch zeitnahen Nachweis sichergestellt,<br />

daß die Umsiedlungen tatsächlich<br />

unvermeidlich sind. Nach dieser Überprüfung<br />

hat jede Umsiedlerin und jeder<br />

Umsiedler ein Recht auf Umsiedlung im<br />

angegebenen Zeitraum. Planungssicherheit<br />

ist für alle Beteiligten gegeben.<br />

Das Kriterium Reversibilität stellt nicht in Frage,<br />

daß Braunkohlenplanungen naturgemäß langfristig<br />

angelegt sind und Braunkohlenabbau, wie auch<br />

Umsiedlungen nur vor dem Hintergrund verläßlicher<br />

Rahmenbedingungen realisiert werden können.<br />

Aber es mahnt an, daß auch nach Verabschiedung<br />

eines auf mehrere Jahrzehnte angelegten<br />

Braunkohlenplanes Zeitpunkte markiert werden<br />

sollten, an denen in einer erneuten politischen<br />

Auseinandersetzung die Planungen überprüft und<br />

gegebenenfalls verändert werden können, ohne<br />

damit untragbare Regreßforderungen des<br />

Bergbautreibenden zu begründen. In diesem Sinne<br />

ist die Reversibilität <strong>von</strong> Braunkohlenplänen seit<br />

1989 Bestandteil des Landesplanungsgesetzes:<br />

§ 35 Überprüfung und Änderung. Der Braunkohlenplan<br />

muß überprüft und erforderlichenfalls geändert<br />

werden, wenn die Grundannahmen für den<br />

Braunkohlenplan sich wesentlich ändern. Die Änderung<br />

erfolgt in dem Verfahren, das für seine Aufstellung<br />

gilt; ... (zit. nach Landesplanungsgesetz in<br />

der Fassung vom 29.6.1994).<br />

Die Erfahrungen mit Garzweiler II zeigen, daß zentrale<br />

Annahmen des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />

1990 nicht mehr ohne weiteres vorausgesetzt<br />

werden können. Die Gutachter waren da<strong>von</strong><br />

ausgegangen, daß durch eine offene Abstimmung<br />

im Landtag die Grundsatzentscheidung über<br />

ein Tagebauvorhaben getroffen wird. Die anschließenden<br />

Genehmigungsverfahren würden diese<br />

Grundsatzentscheidung ausfüllen und umsetzen,<br />

nicht aber grundsätzlich in Frage stellen. Damit wäre<br />

ein verbindlicher Handlungsrahmen für alle Beteiligten<br />

gesetzt gewesen einschließlich der Regeln,<br />

nach denen die Grundannahmen überprüft<br />

werden können. Dieser Rahmen erst eröffnet die<br />

Spielräume für die selbstbestimmte und gemeinschaftliche<br />

Mitwirkung der Betroffenen an der Gestaltung<br />

der Umsiedlungen.<br />

In dem Maße, wie in der öffentlichen Diskussion<br />

deutlich wird, daß jeder noch ausstehende fachgesetzliche<br />

Genehmigungsakt prinzipiell auch die<br />

Möglichkeit der Nicht-Genehmigung beinhaltet,<br />

bleibt die Selbstorganisation der Betroffenen einschließlich<br />

der betroffenen Gemeinden in einem<br />

merkwürdigen Schwebezustand. Was immer sie<br />

unternehmen oder unterlassen, es wird ihnen fast<br />

zwangsläufig als vorschnelle Parteinahme und Opportunismus<br />

oder als Querulantentum und Don<br />

Quichotterie ausgelegt. Selbstvertrauen und Zuversicht<br />

in die eigenen Fähigkeiten, die anstehenden<br />

Aufgaben gemeinschaftlich zu bewältigen,<br />

kann sich da kaum entwickeln. Vielmehr prägt sich<br />

die Erfahrung ein, ohnmächtiges letztes Glied in<br />

einer langen Kette <strong>von</strong> Abhängigkeiten zu sein.<br />

Auf diese Weise hat sich in den letzten Jahren der<br />

Eindruck durchgesetzt, die Entscheidung über die<br />

Realisierung eines Tagebauvorhabens sei nicht<br />

durch eine im Kern rationale und öffentlich nachvollziehbare<br />

Abwägung <strong>von</strong> Interessen und Gemeinwohl<br />

in demokratisch legitimierten Gremien<br />

erfolgt. Es sieht vielmehr so aus, als sei sie durch<br />

ein schwer durchschaubares Geflecht <strong>von</strong> vielen<br />

Einzelhandlungen, individuellen Rechten, materiellen<br />

Interessen und strategisch eingesetzten Verfahren<br />

entweder nur machtvoll durchzusetzen oder<br />

heroisch zu verhindern.<br />

Hinzu kommt schließlich noch die Erwägung, daß –<br />

trotz der Versicherung, Vereinbarungen einzuhalten<br />

– der Bergbautreibende selbst beziehungsweise<br />

das RWE ihre Interessen angesichts unabsehbarer<br />

Entwicklungen, vor allem aus Gründen veränderter<br />

Rentabilitätsbedingungen verändern<br />

könnten.<br />

Die sozialverträgliche Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />

aber braucht einen durch eindeutige Entscheidungen<br />

für eine hinreichende Frist befriedeten


30 6. Konkretisierung der Kriterien<br />

Handlungsspielraum. Planungssicherheit ist unverzichtbar,<br />

auch für die Lebensplanungen der einzelnen<br />

Umsiedlerinnen und Umsiedler.<br />

3. Prävention<br />

Da schon die Erwägung eines Braunkohlentagebaus<br />

nachhaltige Schäden in den betroffenen<br />

Gemeinschaften hervorruft, sind bereits<br />

zu diesem Zeitpunkt ausgleichende Maßnahmen<br />

ergriffen worden, die <strong>zur</strong> Abwehr der<br />

Frühwirkungen sowie <strong>zur</strong> Stärkung der Orte<br />

und der örtlichen Gemeinschaften geeignet<br />

sind, nicht zuletzt, um für die später akute Krisensituation<br />

eine möglichst stabile Ausgangssituation<br />

zu schaffen. Diese Maßnahmen beziehen<br />

sich auch auf den sozialen Zusammenhalt<br />

der Orte. Die Stärkung der Ortschaften<br />

behält auch dann ihren Sinn, wenn der<br />

erwogene Tagebau schließlich nicht realisiert<br />

wird.<br />

Das Kriterium Prävention hat zum Ziel, die Lebensqualität<br />

in den alten Orten so lange wie möglich<br />

zu erhalten. Dabei sind deutlich zwei Zeitabschnitte<br />

zu unterscheiden: der Zeitraum zwischen<br />

Genehmigung eines Braunkohlenplanes und Beginn<br />

der gemeinsamen Umsiedlung und die Zeitspanne<br />

der eigentlichen Umsiedlung bis zum letzten<br />

Auszug aus dem alten Ort. In den Fallstudien<br />

wird deutlich, daß der Erhalt <strong>von</strong> Lebens- und<br />

Wohnqualität und die Stärkung der dörflichen Gemeinschaft<br />

auch in der eigentlichen Umsiedlungsphase<br />

so weit wie möglich durch gezielte Maßnahmen<br />

gestützt werden müssen:<br />

�� Maßnahmen <strong>zur</strong> Stabilisierung der Orte durch<br />

normale öffentliche und private Investitionen<br />

und <strong>zur</strong> Stärkung der Dorfgemeinschaft in ihrer<br />

Auseinandersetzung mit dem Abbauvorhaben<br />

sind unverzichtbar,<br />

�� deutliche Investitionssignale <strong>von</strong> Seiten der<br />

Gemeinden, die Betroffene ermutigen, ihrerseits<br />

im Ort engagiert zu bleiben, sind auch im<br />

laufenden Umsiedlungsvorhaben fortzusetzen.<br />

Es wird empfohlen, die Sozialplanung und die Gemeinwesenarbeit<br />

in den betroffenen Dörfern wesentlich<br />

zu verstärken. Die Altorte sind durch die<br />

Fluktuation der Einwohner in ihrer sozialen Zusammensetzung<br />

und hinsichtlich ihres sozialen Zusammenhalts<br />

ebenso stark gefährdet wie hinsichtlich<br />

ihrer Bausubstanz, des Erscheinungsbildes ihrer<br />

Häuser und ihrer Infrastruktur. Auch in dieser<br />

Hinsicht müssen erhebliche Anstrengungen unternommen<br />

werden.<br />

Handwerk und Einzelhandel haben in den alten Orten<br />

stark gelitten. Für lokale Unternehmen, die<br />

nicht nur für die Versorgung der Bevölkerung, sondern<br />

auch für die soziale Kommunikation wichtig<br />

sind, sollte verstärkt eine Existenzsicherung unterstützt<br />

werden.<br />

Die örtliche Gemeinschaft wird gestützt durch das<br />

Vereinswesen und durch die Kirchen. Sie leisten in<br />

Otzenrath/Spenrath und Holz <strong>zur</strong> Zeit soziale<br />

Schwerstarbeit, um die Erosion der Dorfgemeinschaft<br />

zu verhindern, obwohl sie sich gleichzeitig<br />

auf ihre zukünftige Aufgabenstellung in den neuen<br />

Orten vorbereiten müssen. Der Arbeitskreis <strong>zur</strong> Erhaltung<br />

des Dorfes greift die bestehenden Probleme<br />

auf und versucht, das Ortsbild solange wie<br />

möglich zu erhalten und zu pflegen. Diese bürgerschaftlichen<br />

und kirchlichen Aktivitäten sollten gefördert<br />

und verstärkt werden.<br />

Maßnahmen zum möglichst langen Erhalt der Lebensqualität<br />

in den alten Orten können dort ansetzen,<br />

wo vorzeitige Wegzüge zum Beispiel mit Hilfe<br />

<strong>von</strong> Beratungsgesprächen oder durch die Bereitstellung<br />

<strong>von</strong> Wohnungen für Familienmitglieder abgewendet<br />

werden können.<br />

Ziel einer Erhaltung der sozialen Qualität des Dorflebens<br />

ist es, die Entmutigung <strong>von</strong> Bewohnern zu<br />

verhindern. In diesem Zusammenhang ist eine begleitende<br />

Gemeinwesenarbeit in einem wesentlich<br />

stärkeren Umfang als bisher zu unterstützen.<br />

Eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen ist<br />

ohne soziale und bauliche Pflege des alten Ortes<br />

nicht gegeben.<br />

4. Erwerb <strong>von</strong> Kompetenz<br />

Für die Umsiedler besteht ein Netz <strong>von</strong> Beratungsangeboten,<br />

dessen Umfang und Organisation<br />

ihre fachkundige und umfassende Beratung<br />

in allen rechtlichen, planerischen,<br />

technischen und finanziellen Fragen gewährleistet.<br />

Das Angebot umfaßt auch die psychische<br />

und soziale Beratung des Einzelnen und<br />

der örtlichen Gemeinschaften. Neben der Einzelfallberatung<br />

auf Anfrage wird eine aktivierende<br />

und begleitende Beratung praktiziert.<br />

Ziel und Leitlinie der Beratungsarbeit ist die<br />

Befähigung aller Umsiedler, die Umsiedlungsaufgabe<br />

in individueller und gemeinschaftlicher<br />

Selbstbestimmung zu bewältigen. Das<br />

Beratungsbüro erhält eine Vermittlungsaufgabe<br />

zwischen allen beteiligten Akteuren<br />

auf der kommunalen Ebene. Auf Landesebene<br />

wird die Beratungs- und Vermittlungsfunktion<br />

<strong>von</strong> einem Umsiedlungsbeaufragten<br />

wahrgenommen.


6. Konkretisierung der Kriterien 31<br />

Das Kriterium Erwerb <strong>von</strong> Kompetenz aus dem<br />

Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 hebt die Bedeutung<br />

eines Netzes <strong>von</strong> Beratungsangeboten<br />

hervor, dessen Umfang und Organisation die fachkundige<br />

und umfassende Beratung in allen rechtlichen,<br />

planerischen, technischen und finanziellen<br />

Fragen gewährleistet. Das Angebot sollte auch die<br />

psychische und soziale Beratung des Einzelnen<br />

und der örtlichen Gemeinschaft umfassen. Die<br />

Bürgerbeteiligung im gesamten Umsiedlungsprozeß<br />

wird als eine Grundbedingung für Sozialverträglichkeit<br />

betrachtet. Als wichtiger Realisierungsschritt<br />

wird in diesem Zusammenhang ein Umsiedlerberatungsbüro<br />

empfohlen, in dem professionelle<br />

Berater unterschiedlicher Disziplinen als Team zusammenarbeiten.<br />

Die Schwierigkeit für die Umsiedlerin und den Umsiedler,<br />

sich im Umsiedlungsgeschehen zu orientieren<br />

und eine Handlungsposition zu finden, hat seit<br />

1990 zugenommen, insbesondere weil die Unsicherheiten<br />

bei der Umsetzung des Braunkohlenplans<br />

heute noch größer erscheinen. Umso wichtiger<br />

sind für die Umsiedler deshalb Information und<br />

Beratung geworden. Zugleich erhält die Frage, ob<br />

die Bürger weiterhin zu gemeinschaftlichem Handeln<br />

bereit und in der Lage sind, wachsende Bedeutung.<br />

Durch die im Vorfeld der Umsiedlung einsetzende<br />

Fluktuation entsteht in den Orten in einer ohnehin<br />

angespannten Situation die Notwendigkeit, sich mit<br />

neuen, teilweise kulturell fremden Nachbarn zu arrangieren.<br />

Neuansiedlungen sollten durch einen<br />

beratende und betreuende Gemeinwesenarbeit<br />

begleitet und auf Anraten des vor Ort arbeitenden<br />

Fachpersonals begrenzt werden.<br />

Vorgeschlagen wird auf Bezirks- oder Landesebene<br />

ein Umsiedlungsbeauftragter und auf der kommunalen<br />

Ebene ein Umsiedlerberatungsbüro. Der<br />

Umsiedlungsbeauftragte wird als neutraler Dritter in<br />

horizontaler und vertikaler Richtung vermittelnd<br />

zwischen den Behörden und Institutionen tätig.<br />

Vertikal übernimmt er vor allem die Aufgabe, die<br />

Interessen der Gemeinde und der Umsiedler zu<br />

formulieren und möglichst authentisch und zeitnah<br />

in die Entscheidungsprozesse auf der Bezirks-<br />

oder Landesebene einzubringen. Horizontal muß<br />

er auch über die Verhältnisse in den Orten informiert<br />

sein und bei den Umsiedlern Vertrauen genießen,<br />

also häufig präsent sein.<br />

In den Umsiedlungsorten sollten Fachleute verschiedener<br />

Disziplinen (zum Beispiel ein Raumplaner,<br />

ein Jurist/Betriebswirt, ein Gemeinwesenarbeiter)<br />

zusammen arbeiten und eine fachliche (planerische,<br />

juristische, finanzielle, technische) und allgemeine<br />

soziale Beratung anbieten. In diesem Bü-<br />

ro ist mit einer Sonderrolle auch der Vermittler angesiedelt,<br />

der insbesondere bei Konfliktsituationen<br />

eingreifen kann und, wie der Umsiedlungsbeauftragte<br />

auf der Bezirks- oder Landesebene, den<br />

Fortgang des Verfahrens verfolgt und unterstützt.<br />

Beide Rollenträger sollten nicht den Weisungen einer<br />

beteiligten Behörde unterliegen und nicht <strong>von</strong><br />

Rheinbraun abhängig sein. Sie sollten das Teilnahme-<br />

und Rederecht in den einschlägigen Entscheidungsgremien<br />

haben. Vom Beratungsbüro ist<br />

auch das soziale Monitoring durchzuführen.<br />

Bei der Ausgestaltung des Beratungsbüros sollte<br />

auf einladende Räume geachtet werden. Hier sollten<br />

alle Informationen, die mit der Umsiedlung zu<br />

tun haben, auch zum Selbststudium bereit liegen.<br />

Fachkräfte sollten hier ohne lange Anmeldezeiten<br />

<strong>zur</strong> Verfügung stehen. Sie müssen nicht nur fachlich<br />

versiert, sondern auch geschult sein, auf die<br />

Bedürfnisse <strong>von</strong> Umsiedlerinnen und Umsiedlern<br />

einzugehen und als Team zu arbeiten. Das Beratungsbüro<br />

sollte gleichzeitig die Gehstruktur der<br />

Beratung realisieren, das heißt systematisch auch<br />

Haushalte ansprechen, die vermutlich Schwierigkeiten<br />

haben und sonst nicht erreichbar sind. Dies<br />

gilt insbesondere bei der Vorbereitung zu den Entschädigungsverhandlungen.<br />

Die umfassende, querschnittsorientierte Aufgabenstellung<br />

des Beratungsbüros schließt nicht aus,<br />

daß bestimmte Aufgaben ausgelagert werden, zum<br />

Beispiel psychologische Beratungen in entsprechende<br />

Arztpraxen. Das Büro ersetzt nicht die Bürgerbeteiligung<br />

<strong>zur</strong> Gestaltungsplanung mit den<br />

Umsiedlern, die der Planer durchführt. Die Betreuungsarbeit<br />

der evangelischen Kirche, die für ältere<br />

Bürger durchgeführt wird, sollte mit dem Büro vernetzt<br />

werden.<br />

Integrierende Beratung vor Ort und unabhängige<br />

Vermittlung auf Landes- und regionaler Ebene sind<br />

unverzichtbare Bestandteile einer Sozialverträglichkeit<br />

<strong>von</strong> Umsiedlungen.<br />

5. Materielle Sicherung<br />

Neben der Entschädigung der Umsiedler nach<br />

Recht und Gesetz stehen allen Umsiedlern<br />

zusätzliche Leistungen des Bergbautreibenden<br />

zu, sei es als Antwort auf ihre immateriellen<br />

Verluste, sei es als Anerkennung ihrer<br />

Umsiedlungsleistung. Art und Umfang der zusätzlichen<br />

Leistungen sind mit dem Land<br />

Nordrhein-Westfalen und dem Bergbautreibenden<br />

vertraglich vereinbart. Die Einhaltung<br />

der Vereinbarungen wird routinemäßig<br />

überprüft. Für alle Umsiedlungsortschaften<br />

wird als Bestandteil materieller Sicherung die<br />

gemeinsame Umsiedlung angeboten. Jeder


32 6. Konkretisierung der Kriterien<br />

Umsiedler, auch jeder Mieter in einem Umsiedlerort<br />

hat die reale Chance, an den gemeinsamen<br />

neuen Ort ziehen zu können.<br />

Das Sozialverträglichkeitskriterium Materielle Sicherung<br />

umfaßt mehr als die Entschädigungsfragen<br />

im engeren Sinn. Dennoch sind naturgemäß<br />

die Entschädigungsleistungen des Bergbautreibenden<br />

das wesentliche Fundament der materiellen<br />

Voraussetzungen für sozialverträgliche<br />

Umsiedlungen. Sie gründen nicht allein auf der<br />

nach <strong>Bund</strong>esberggesetz vorgeschriebenen<br />

Entschädigung vorhandener Vermögenswerte,<br />

sondern umfassen auch die Bemühungen,<br />

immaterielle Verluste auszugleichen und die<br />

besonderen Leistungen der Umsiedler<br />

anzuerkennen.<br />

Eigentümer<br />

Die derzeitige Praxis, die für die unmittelbar anstehenden<br />

Umsiedlungen die explizite Zusage umfaßt,<br />

95% aller Anwesen könnten allein aus der Entschädigungssumme<br />

einschließlich der Zusatzleistungen<br />

und Nebenentschädigungen einen vergleichbaren<br />

Neubau wieder errichtet, kann als eine<br />

weitgehende Erfüllung der Forderung neu für alt<br />

angesehen werden. Grundlegende Alternativen <strong>zur</strong><br />

derzeitigen Praxis scheinen wenig erfolgversprechend.<br />

Es ist jedoch im Detail anhand einer repräsentativen<br />

Auswahl <strong>von</strong> abgeschlossenen Entschädigungsfällen<br />

zu prüfen, welche Konsequenzen eine<br />

Entschädigung nach Sachwert anstelle <strong>von</strong> Orientierung<br />

am Sachwert für Ein- und Zweifamilienhäuser<br />

nach sich ziehen würde. Soweit im Rahmen<br />

dieses <strong>Gutachten</strong>s abschätzbar, würde eine solche<br />

Regelung im Vergleich <strong>zur</strong> heutigen Praxis eine<br />

deutliche Verbesserung für die Besitzer aufwendiger<br />

und unkonventioneller Häuser im obersten<br />

Marktsegment bedeuten, während für die übrigen<br />

Fälle nur wenig Änderungen im Ergebnis, aber erheblich<br />

mehr Sicherheit in den Verhandlungen zu<br />

erwarten wäre. Dem Aspekt <strong>von</strong> Sicherheit und<br />

Transparenz ist unter Sozialverträglichkeitsgesichtspunkten<br />

ein hoher Wert beizumessen.<br />

Dem vielfach geäußerten Wunsch nach mehr Sicherheit<br />

und Transparenz im Verhandlungsverlauf<br />

und in den Ergebnissen kann nicht allein durch<br />

neue gesetzliche Regelungen entsprochen werden.<br />

Denn diese können naturgemäß wieder nur Grundsätze<br />

angeben, die dann weiterhin in Einzelverhandlungen<br />

auf den Einzelfall zu beziehen wären.<br />

Dem Bedürfnis nach Transparenz steht das Bedürfnis<br />

nach Schutz der persönlichen Verhältnisse<br />

vor öffentlicher Einsichtnahme entgegen. Transparenz<br />

wird daher nur in Ausnahmefällen durch Öffentlichkeit<br />

hergestellt. Wir möchten an die Stelle<br />

des Begriffs Transparenz den des Vertrauens setzen.<br />

Die Empfehlung zielt darauf ab, die Grundlage zu<br />

verbreitern, auf der jeder Umsiedler vertrauen<br />

kann, daß er<br />

- in bezug auf seine persönlichen Erfordernisse,<br />

- im Vergleich zu den anderen Umsiedlern und<br />

- in seinen Rechten gegenüber Rheinbraun<br />

ein gerechtes Ergebnis in den Verhandlungen erzielt<br />

hat. Vertrauen hat im wesentlichen vier Grundlagen.<br />

• Abgesicherte Rechte<br />

Die Rechtsansprüche und vergleichbar abgesicherte<br />

Rechte der Umsiedler sind oben ausführlich dargestellt.<br />

Der rechtsverbindliche Charakter <strong>von</strong> Absichtserklärungen<br />

und Zielvereinbarungen in öffentlich-rechtlichen<br />

Verträgen sollte in der Öffentlichkeit<br />

deutlicher vermittelt werden.<br />

Es ist seitens der Landesregierung anhand einer<br />

repräsentativen Zahl <strong>von</strong> Fällen zu prüfen, welche<br />

Konsequenzen bei einer Änderung der Entschädigungsgrundsätze<br />

<strong>von</strong> Orientierung am Sachwert zu<br />

Entschädigung nach Sachwert zu erwarten sind.<br />

Es ist dann abzuwägen, ob diesbezüglich eine<br />

neue vertragliche Regelung zwischen dem Bergbautreibenden<br />

und dem Land abzuschließen ist.<br />

• Information und Beratung<br />

Alle verantwortlichen Stellen haben die Aufgabe<br />

akzeptiert und umfangreich wahrgenommen, mit<br />

ihren je eigenen Möglichkeiten die Umsiedler über<br />

ihre Entschädigungsansprüche und die damit verbundenen<br />

Verfahren zu informieren. Allgemeine<br />

Informationsveranstaltungen und Broschüren aber<br />

klären noch nicht die vielfältigen Fragen des<br />

Einzelfalls.<br />

Die Checkliste des Regierungspräsidenten, die mit<br />

der Umsiedlerfibel allen Umsiedlern zugeschickt<br />

wird, ist ein guter erster Leitfaden, um die persönlichen<br />

Verhandlungen vorzubereiten. An dem Punkt<br />

sollte aber auch die individuelle Beratung einsetzen.<br />

Es ist zu empfehlen, daß Umsiedler, bevor sie<br />

in Verhandlung mit Rheinbraun treten, ihre Verhandlungsvorbereitung<br />

mit einem erfahrenen Dritten<br />

durchsprechen. Es ist zu empfehlen, daß die<br />

Gemeinde dafür sorgt, daß ein solcher erfahrener<br />

Dritter kostenlos hinzugezogen werden kann. Jeder<br />

weitere Verfahrensschritt kann mit dieser Vertrauensperson<br />

durchgesprochen werden. Als<br />

designierter Entschädigungsberater sollte er<br />

entweder in einer vorangegangenen Umsiedlung


6. Konkretisierung der Kriterien 33<br />

in einer vorangegangenen Umsiedlung an mehreren<br />

Verhandlungen teilgenommen, oder eine repräsentative<br />

Anzahl <strong>von</strong> abgeschlossenen Fällen<br />

aus den Akten nachvollzogen haben. Dieser Dritte<br />

ist selbstverständlich <strong>zur</strong> Verschwiegenheit verpflichtet.<br />

Auf seinen Überblick über eine Vielzahl<br />

<strong>von</strong> Verfahren aber kann der Umsiedler stillschweigend<br />

vertrauen.<br />

Die in der Jüchen-Erklärung eingeräumte Möglichkeit,<br />

kostenlos ein zweites Wertgutachten einzuholen,<br />

stärkt das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der<br />

Verhandlungsgrundlage.<br />

Die Beratungskostenpauschale muß erst dann eingesetzt<br />

werden, wenn es zu nachhaltigen Meinungsverschiedenheiten<br />

mit dem Bergbauunternehmen<br />

kommt.<br />

• Kontrolle<br />

Es stärkt das Vertrauen in das Verhandlungsverfahren,<br />

wenn das Ergebnis notfalls auch überprüft<br />

werden kann. Aufgrund der zahlreichen Sondervereinbarungen<br />

für Umsiedlungen schlagen wir<br />

vor, bei einer staatlichen Stelle eine repräsentative<br />

Fallsammlung anzulegen, die analog zu einem<br />

Kreisgutachterausschuß die Angemessenheit eines<br />

Kaufpreises überprüfen kann, wenn der Verkäufer<br />

darüber im Zweifel ist.<br />

Die kritische Öffentlichkeit, die in Sachen Braunkohlentagebau<br />

allgemein und Umsiedlungen im<br />

besonderen zu verzeichnen ist, bietet eine wirksame<br />

indirekte Kontrolle. Auch wenn gewöhnlich keine<br />

Einzelfälle in der Öffentlichkeit verhandelt werden,<br />

fänden berechtigte Beschwerden relativ leicht<br />

öffentliches Gehör.<br />

• Gute Erfahrungen in der Vergangenheit<br />

Skandale fehlgeschlagener Entschädigungsverhandlungen<br />

sind äußerst selten. Selbst die Auffanglinien<br />

für schwierige Fälle, die Rheinbraun-<br />

Darlehen, werden nur selten in Anspruch genommen,<br />

die Härteausgleichsstelle wird noch seltener<br />

angerufen. Die Neubauten in den Umsiedlungsgebieten<br />

zeigen durchweg einen guten bis hohen<br />

Baustandard. Allem Anschein nach können die<br />

Umsiedler auf eine gute Entschädigungspraxis vertrauen.<br />

Mieter<br />

Die allgemeinen Grundsätze <strong>zur</strong> Sicherung der<br />

Teilnahme <strong>von</strong> Mietern an der gemeinsamen Umsiedlung<br />

sind nach den Erfahrungen der Gemeinde<br />

Inden hinreichend, um quantitativ einen vollständigen<br />

Ersatz der aufzugebenden Mietwohnungen<br />

einschließlich der mittelfristigen Sicherung eines<br />

niedrigen Mietniveaus bei einer großen Anzahl <strong>von</strong><br />

Wohnungen zu gewährleisten. Die explizite Kopplung<br />

der Räumungsfrist an die Verfügbarkeit der<br />

gewünschten Ersatzwohnung schafft eindeutigere<br />

Rahmenbedingungen für die Gestaltung des Überlassungsverhältnisses.<br />

Es ist zu empfehlen, in die Räumungserklärung einen<br />

Passus über angemessene Instandhaltungsverpflichtungen<br />

im Rahmen des Überlassungsverhältnisses<br />

aufzunehmen, da dieses sich in der Regel<br />

über mehrere Jahre erstreckt.<br />

Die Vergabe <strong>von</strong> zinsgünstigen Rheinbraun-<br />

Darlehen an Mieter, die selber bauen wollen, hängt<br />

derzeit ab <strong>von</strong> der Entscheidung des Eigentümers<br />

der Mietwohnung am alten Ort, ob er neue Mietwohnungen<br />

errichten und dafür möglicherweise<br />

ebenfalls ein Rheinbraun-Darlehen beantragen<br />

wird. Auch wenn dies eine zeitlich befristete Unsicherheit<br />

des Mieters bedeutet, der nicht weiß, ob er<br />

mit einem Darlehen rechnen kann oder nicht, plädieren<br />

wir dafür, diese Regelung beizubehalten.<br />

Andernfalls würde entweder das vorrangige Ziel,<br />

preisgünstige Mietwohnungen am Umsiedlungsstandort<br />

bereitzustellen, zugunsten <strong>von</strong> Eigentumsförderung<br />

<strong>zur</strong>ückgestellt, oder Rheinbraun müßte<br />

im Zweifelsfall in bezug auf ein und dieselbe Wohnung<br />

zinsgünstige Darlehen für die Errichtung <strong>von</strong><br />

zwei neuen Wohnungen gewähren. Wir befürworten<br />

die Regelung der Jüchen-Erklärung, die explizit<br />

vorsieht, diese Fragen im Dreieck zwischen Rheinbraun,<br />

Vermieter und Mieter vor Vertragsabschluß<br />

verbindlich zu klären. Wir halten Einzelfalllösungen<br />

für denkbar, bei denen Ansprüche <strong>von</strong> Mietern und<br />

Vermietern aus zwei verschiedenen Immobilien untereinander<br />

vermittelt werden, so daß jeder zu seiner<br />

passenden Lösung gelangt.<br />

Die Nachrangigkeit der Interessen des Mieters gegenüber<br />

den Ansprüchen des Vermieters an<br />

Rheinbraun bezieht sich heute schon regelmäßig<br />

nur auf die Vergabe <strong>von</strong> Rheinbraun-Darlehen.<br />

Rheinbraun versichert, daß die Vergabe <strong>von</strong><br />

Grundstücken an Mieter völlig unabhängig da<strong>von</strong><br />

ist, ob der alte Vermieter neue Mietwohnungen zu<br />

errichten beabsichtigt oder nicht.<br />

Da die Möglichkeiten der Mieter, ihre Umsiedlung<br />

zu gestalten, mittlerweile recht vielfältig geworden<br />

sind, empfiehlt sich auch für sie die Inanspruchnahme<br />

eines Beraters – weniger wegen etwaiger<br />

Konflikte mit dem Bergbauunternehmen als vielmehr<br />

<strong>zur</strong> Vorbereitung der Gespräche mit ihm und<br />

dem Vermieter, zum Abklären der persönlichen<br />

Vorstellungen und Möglichkeiten und als Absicherung<br />

dafür, in voller Kenntnis der Rechte und<br />

Pflichten als Umsiedler seine Entscheidungen zu<br />

treffen. Wie auch für Eigentümer bietet ein solcher


34 6. Konkretisierung der Kriterien<br />

Rheinbraun-unabhängiger Berater eine einfache<br />

und wirksame Kontrolle über die Einhaltung <strong>von</strong><br />

Standards und die Gleichbehandlung aller Umsiedler.<br />

Materielle Sicherung, abgesicherte Rechte, Information<br />

und Beratung, die Möglichkeit der Überprüfung<br />

und das Vertrauen dank guter Erfahrungen<br />

sind für Eigentümer und Mieter Grundlagen der<br />

Sozialverträglichkeit.<br />

6. Partizipation<br />

Vorbereitung und Durchführung der Umsiedlungen<br />

lassen Raum für persönliche und gemeinschaftliche<br />

Verantwortung, Entscheidung<br />

und Mitbestimmung der Umsiedler. Für die<br />

Zeit der Planung und Durchführung <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />

besitzen die Umsiedler geregelte<br />

Beteiligungsrechte an den sie betreffenden<br />

Entscheidungen. Die Entscheidungssituationen<br />

sind beteiligungsfreundlich gestaltet.<br />

Die Mitwirkung der Betroffenen an der Sozialverträglichkeitsprüfung<br />

ist zwar nicht vorgeschrieben,<br />

kann aber innerhalb der bestehenden gesetzlichen<br />

Regelungen praktiziert werden. Die Definition der<br />

zu bearbeitenden Themen und die Frage, welche<br />

Indikatoren bei der Sozialverträglichkeitsprüfung<br />

Verwendung finden, sollte zusammen mit der Bezirksregierung,<br />

der Gemeinde und auch bereits mit<br />

den Bürgern vorgenommen werden.<br />

Schon vor dem Beginn des formellen Verfahrens<br />

<strong>zur</strong> Aufstellung eines Braunkohlenplans gibt es in<br />

der Region Vermutungen, Sorgen und öffentliche<br />

Diskussionen über ein mögliches Abbauvorhaben.<br />

Die ersten Beteiligungsschritte im Verfahren sollten<br />

auf diese Vorgeschichte Rücksicht nehmen, weil<br />

sich schon hier Einstellungen herausgebildet haben<br />

und Initiativen entstanden sind. Die Ausgrenzung<br />

<strong>von</strong> Vorhabengegnern aus dem Entscheidungsprozeß<br />

ist bereits bei Beginn des Verfahrens<br />

zu vermeiden.<br />

Erörterungen im Braunkohlenverfahren sollten, um<br />

Konfliktsituationen wie bei der Veranstaltung in Erkelenz<br />

nicht noch zu verhärten, nicht allein als<br />

Großveranstaltungen abgehalten werden. Anregungen<br />

und Bedenken können thematisch sortiert,<br />

in Arbeitskreisen oder an Runden Tischen themenzentriert<br />

erörtert und erst dann in einer abschließenden<br />

Veranstaltung zusammengefaßt werden.<br />

In bisherigen Planungsverfahren wurden Erfahrungen<br />

mit unterschiedlichen Formen der Auswahl <strong>von</strong><br />

Standortalternativen für den Umsiedlungsort gesammelt.<br />

Eine wesentliche Rolle dabei spielte die<br />

Befragung der Bürger. Charakteristisch für Standortdebatten<br />

und Standortbefragungen war, daß sie<br />

gleichzeitig mehrere Funktionen erfüllten. Die Befragung<br />

diente dazu, die Standortpräferenzen der<br />

Umsiedler zu klären, die benötigte Flächengröße<br />

für den neuen Ort zu ermitteln und gleichzeitig den<br />

Standortfindungsprozeß mit einer Abstimmung zu<br />

einem Abschluß zu bringen.<br />

Aus Sicht der Bürger spielen bei der vergleichenden<br />

Beurteilung <strong>von</strong> Standortalternativen Gesichtspunkte<br />

wie zum Beispiel die Möglichkeit, den<br />

alten Ort und seine Lebensverhältnisse als sozialräumliche<br />

Einheit am neuen Standort wiederzufinden,<br />

die landschaftliche Lage oder die Zugehörigkeit<br />

zum alten Gemeindeverband eine Rolle. Diese<br />

in den fachlichen Standortanalysen meist unvollständig<br />

in rationale Standortargumente übersetzten<br />

Bürgeranliegen würden in der Befragung berücksichtigt,<br />

in der – nach einer vorausgehenden öffentlichen<br />

Information und Diskussion – Alternativen<br />

<strong>zur</strong> Wahl stünden. In einer abschließenden Abstimmung<br />

sollten nicht mehr als zwei realisierbare<br />

Standortalternativen <strong>zur</strong> Wahl stehen.<br />

Ein Nachteil des Zeitpunktes und der Funktion der<br />

Befragung im bisherigen Verfahren ist, daß die<br />

Bürger zu einem relativ frühen Zeitpunkt ihren<br />

Grundstücksbedarf anmelden sollten. Entsprechend<br />

konnten die Befragungsergebnisse nicht<br />

mehr als ein Anhaltspunkt für die Planung sein,<br />

weil Umsiedler sich später anders entschieden, als<br />

sie sich bei der Befragung geäußert hatten.<br />

Es wird deshalb vorgeschlagen, daß die Bürger<br />

zunächst nur über ihre Präferenzen hinsichtlich der<br />

Standortalternativen befragt werden, während die<br />

erforderliche Flächengröße des Umsiedlungsstandortes<br />

nicht in dieser Befragung ermittelt wird,<br />

sondern über Erfahrungs- bzw. Richtwerte erfolgt.<br />

Die Ermittlung <strong>von</strong> genauen Flächengrößen kann<br />

dann in einem zweiten Schritt zusammen mit der<br />

Grundstücksvormerkung stattfinden. Diese Befragung<br />

kann auch Aspekte der städtebaulichen und<br />

baulichen Gestaltung einbeziehen.<br />

Soziale Phänomene werden im Umzugsgeschehen<br />

häufig nur bruchstückhaft wahrgenommen und in<br />

den Planungsprozeß vermittelt. Sie sollten systematischer<br />

mit sozialen Methoden ausgewertet<br />

werden und damit als verläßliche Erfahrungsbasis<br />

für die Beurteilung <strong>von</strong> Gestaltungsalternativen <strong>zur</strong><br />

Verfügung stehen. So sind zwar Nachbarschaften<br />

erfolgreich baulich berücksichtigt oder ein Stück<br />

Dorfgeschichte durch Erinnerungsstücke aus dem<br />

alten Ort an den neuen Ort hinüber gerettet worden.<br />

Milieuelemente wie Ecken als Treffpunkte<br />

<strong>von</strong> Jugendlichen, der Tabak- und Zeitungsladen<br />

als Kommunikationszentrum, die soziale Funktion


6. Konkretisierung der Kriterien 35<br />

der Dorfstraße als sonntägliche Promenade könnten<br />

nach sorgfältiger Analyse <strong>von</strong> Ideen der betreffenden<br />

Gruppen und mit Unterstützung durch Sozialplaner<br />

oder Gemeinwesenarbeiter im neuen Ort<br />

wieder eine neue räumliche Gelegenheit erhalten.<br />

Nicht nur die Sicherung der formalen Beteiligungsrechte,<br />

sondern auch die offene Gestaltung <strong>von</strong><br />

Beteiligungsmöglichkeiten im Umsiedlungsprozeß<br />

– vor allem bei der Standortwahl, bei der städtebaulichen<br />

Planung und bei der Grundstückswahl –<br />

ist Voraussetzung für eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong><br />

Umsiedlungen.<br />

7. Differenzierte Zeitplanung<br />

Der Zeitraum für die eigentliche Umsiedlung<br />

aus dem alten Ort ist auf vier bis sechs Jahre<br />

begrenzt. Dies ist auch die Dauer der gemeinsamen<br />

Umsiedlung. Dieser Zeitraum ist<br />

erforderlich, um Entscheidungen auf der<br />

Grundlage bestmöglicher Information zu<br />

treffen und schmerzliche Phasen wie den<br />

Umzug, das Leben in verlassenen oder unfertigen<br />

Orten so kurz wie möglich zu halten.<br />

Der Zeitraum ist in gemeinschaftlich abgestimmte<br />

Umzugsphasen gegliedert, die eine<br />

Integration der Umsiedlungen in die unterschiedlichen<br />

Lebensphasen und den jeweiligen<br />

Familienzyklus ermöglichen. Durch abschnittsweise<br />

Erschließung des Umsiedlungsstandortes<br />

besteht die Möglichkeit, für die<br />

einzelnen Umsiedlergruppen die Belastungen<br />

eines Lebens auf der Baustelle auf einen relativ<br />

kurzen Zeitraum zu beschränken.<br />

Das Kriterium hat aufgrund der Fallstudien, die diesem<br />

<strong>Gutachten</strong> zugrunde liegen, eine noch höhere<br />

Bedeutung erlangt, muß jetzt aber auch eine andere<br />

Interpretation erfahren.<br />

Nicht verändert haben sich die Situationsbedingungen,<br />

unter denen die Umsiedler<br />

handeln müssen. Betroffene haben so gut wie keinen<br />

Einfluß auf die Zeitplanung, die <strong>von</strong> politischen<br />

Entscheidungen und wirtschaftlichen Erwägungen<br />

des Bergbautreibenden bestimmt wird. Dagegen<br />

wird den Betroffenen abverlangt, ihre Lebensplanung<br />

auf die Umsiedlung einzustellen. Damit regieren<br />

Tagespolitik und wirtschaftliche Erwägungen<br />

in die Strukturen des Alltags hinein und blockieren<br />

Selbsthilfekräfte und Anpassungsfähigkeiten der<br />

betroffenen Menschen.<br />

Im Hinblick auf die Sozialverträglichkeit erscheint<br />

die Gesamtdauer der Umsiedlung als der eigentlich<br />

wichtige Zeitrahmen, wobei <strong>von</strong> den Betroffenen<br />

schon die Vorgänge im Vorfeld einer Umsiedlung<br />

bis zum Einleben am neuen Ort zu diesem Zeit-<br />

raum gerechnet werden (für Otzenrath/Spenrath<br />

und Holz zumindest 25 Jahre). Aus der Sicht der<br />

Umsiedler dauert der gesamte Einschnitt in ihr Leben<br />

also wesentlich länger als die formell veranschlagten<br />

15 Jahre. Vor diesem Hintergrund soll<br />

nach Meinung verschiedener Befragter zumindest<br />

die Zeitphase der eigentlichen Umsiedlung verkürzt<br />

werden. Dies ist die Zeitphase, in der die Belastungen<br />

für die Umsiedler besonders groß sind, weil sie<br />

sich um die Gestaltung der Verhältnisse am alten<br />

und am neuen Ort gleichzeitig kümmern müssen.<br />

Als eigentliche Umsiedlung ist der Zeitraum <strong>von</strong><br />

der Verfügbarkeit baureifer Grundstücke an bis<br />

zum endgültigen Umzug der letzten Familien aus<br />

dem alten Ort, und damit der Aufgabe dieses Ortes,<br />

anzusehen. Den Umsiedlern, die eine Umsiedlung<br />

hinter sich haben, erschien häufig besonders<br />

dieser Zeitraum als zu lang. Ein Zeitraum <strong>von</strong> vier<br />

bis sechs Jahren – entsprechend der Größe des<br />

Umsiedlungsortes – scheint für diese Umsiedlungsphase<br />

angemessen. Trotzdem sollte man die<br />

Jahre, die der Orientierung dienen, nicht als starres<br />

Gerüst auffassen. Die Betroffenen sind der Meinung,<br />

daß für die gründliche Information, Diskussion<br />

und Mitwirkung an der Standortwahl und an der<br />

Gestaltung des neuen Ortes nicht weniger Zeit <strong>zur</strong><br />

Verfügung stehen sollte.<br />

Sobald die Bedingungen geklärt sind, sollte ein rascher<br />

Neubau und Umzug erfolgen. Der Zeitraum<br />

für die eigentliche Umsiedlung vom Zeitpunkt der<br />

Verfügbarkeit baureifer Grundstücke bis <strong>zur</strong> Aufgabe<br />

des alten Ortes sollte nicht länger als vier bis<br />

sechs Jahre betragen.<br />

Viele Umsiedler leben derzeit in der doppelten Erwartung<br />

– mit Hoffnungen und Befürchtungen zugleich.<br />

In dieser gespaltenen Situation finden sich<br />

diejenigen, die sich z.B. für Grundstücke am neuen<br />

Ort vormerken und doch gleichzeitig gegen die<br />

Umsiedlung kämpfen. Andere können solche Widersprüche<br />

in ihrem Leben psychisch nicht ertragen.<br />

Sie halten die ihnen abverlangte Doppelbödigkeit<br />

– sich gleichzeitig mit ihrem alten Ort<br />

zu identifizieren und sich doch gegen ihn zu entscheiden,<br />

indem sie sich an der Grundstücksvormerkung<br />

beteiligen oder ein Wertgutachten anfertigen<br />

lassen - für moralisch unvereinbar und<br />

schwer zu ertragen. Konsequent treffen sie also<br />

keine Vorbereitungen für einen Umzug, geraten<br />

dadurch mit fortschreitender Zeit unter immer größeren<br />

Druck und in eine Minderheitenposition. Einen<br />

Ausweg aus dieser Situation bietet ein Umzug<br />

in eine andere Region.<br />

Viele Befragte in Otzenrath und Spenrath schildern<br />

die Schwierigkeit, in die sie durch das lange Warten<br />

auf klare Entscheidungen der Politik und des


36 6. Konkretisierung der Kriterien<br />

Bergbauunternehmens für oder gegen die Weiterführung<br />

des Abbauvorhabens Garzweiler II geraten.<br />

Damit zusammenhängend wird die Notwendigkeit<br />

der Umsiedlung immer wieder in Frage gestellt,<br />

was dazu führt, daß das Verfahren der<br />

Braunkohlenplanung den Betroffen keine eindeutige<br />

Planungssicherheit mehr vermittelt.<br />

Die Planrealisierung läuft dem formellen Entscheidungsverfahren<br />

voraus; es entsteht der Eindruck<br />

<strong>von</strong> erzeugter Hast zu Lasten der Mitwirkungsmöglichkeiten<br />

der Betroffenen. Im Umsiedlungsprozeß<br />

Otzenrath/ Spenrath und Holz folgen<br />

auch weitere Schritte diesem Muster: Grundstücksvormerkungen<br />

für Grundstücke am neuen<br />

Ort finden statt und Wertgutachten für die alten<br />

Anwesen werden erstellt, sogar der Spatenstich für<br />

den neuen Ort erfolgt, obwohl der Bebauungsplan<br />

für die neue Ortslage noch nicht rechtskräftig ist,<br />

rechtlich relevante Einwände der Bürger noch nicht<br />

ausgeräumt sind. Juristisch gesehen mögen diese<br />

zeitlichen Überschneidungen <strong>von</strong> Realisierungsphasen<br />

hinnehmbar sein. In der Alltagswahrnehmung<br />

vieler Betroffener sind sie dennoch<br />

nicht akzeptabel. Es entsteht der Eindruck, daß<br />

aus strategischen Gesichtspunkten Entscheidungen<br />

mit großer Eile getroffen werden<br />

(Standortwahl, vorsorgliche Bauleitplanung, Wertgutachten,<br />

Vormerkung, erster Spatenstich).<br />

Ziel einer differenzierten Zeitplanung muß es dagegen<br />

sein, den Umsiedlern genügend Zeit zu geben,<br />

Entscheidungen auf der Grundlage bestmöglicher<br />

Information zu treffen, um dann schmerzliche<br />

Phasen wie den Umzug und das Leben in sterbenden<br />

bzw. unfertigen Orten so kurz wie möglich zu<br />

halten.<br />

Aus diesen Erörterungen resultiert die Empfehlung,<br />

die verschiedenen Phasen des Verfahrens klarer<br />

zu trennen. In der Phase der Standortsuche darf<br />

nicht bereits ein parzellenscharfer Bebauungsplan<br />

erarbeitet werden; vor Genehmigung des Braunkohlenplans<br />

findet keine Planung für den neuen<br />

Standort statt; vor Beschluß des Bebauungsplanes<br />

finden keine Grundstücksvormerkungen statt.<br />

Der Braunkohlenausschuß sollte zukünftig über die<br />

gegenwärtig gültige gesetzliche Regelung hinaus<br />

zu einem Zeitpunkt, an dem die Grundannahmen<br />

des Braunkohlenplans <strong>von</strong> den Hauptakteuren offensichtlich<br />

selbst in Zweifel gezogen werden, eine<br />

Fortschreibung des Plans durchführen. Unter veränderten<br />

Bedingungen könnte erneut eine klare<br />

Verantwortlichkeit hergestellt und ein neuer Zeitplan<br />

vorgegeben werden. Der Schwebezustand, in<br />

dem sich die Umsiedler befinden, kann durch einen<br />

klaren Zeithorizont erneut begrenzt werden.<br />

Von Fall zu Fall ist zu entscheiden, ob die Standortwahl<br />

im Rahmen der Erarbeitung des Braunkohlenplans<br />

stattfinden soll, oder auch für die kurzfristig<br />

(innerhalb <strong>von</strong> fünfzehn Jahren) vorgesehenen<br />

Umsiedlungen erst nach Genehmigung des Braunkohlenplans<br />

als sachlicher Teilplan gesondert erarbeitet<br />

wird. Die erste Lösung hat den Vorteil, daß<br />

alle genehmigungsrelevanten Fragen in einem Verfahren<br />

entschieden werden und auch die Betroffenen<br />

alle ihre Anliegen direkt einbringen können.<br />

Die zweite Lösung hat den Vorteil, daß die<br />

Betroffenen sich nicht verbindlich auf Umsiedlungsperspektiven<br />

einlassen müssen, bevor nicht<br />

das Tagebauvorhaben genehmigt ist. Welcher Variante<br />

der Vorzug zu geben ist, hängt nicht zuletzt<br />

<strong>von</strong> der grundsätzlichen Akzeptanz des Vorhabens<br />

in der Bevölkerung ab.<br />

Eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen erscheint<br />

möglich, wenn nach einem transparent gegliederten<br />

Verfahren die Phase der eigentlichen<br />

Umsiedlung verkürzt wird mit dem Ziel, den Zeitraum<br />

doppelter Belastungen für Umsiedler und Gemeinde<br />

– die Gestaltung der Verhältnisse am alten<br />

und am neuen Ort – auf vier bis sechs Jahre zu begrenzen.<br />

8. Differenzierte Angebotsplanung<br />

Da nicht jeder Umsiedlerhaushalt willens oder<br />

in der Lage ist, die neue Wohnung in eigener<br />

Regie zu erstellen, wird am Umsiedlungsort<br />

ein Wohnungsangebot bereitgestellt, das<br />

mindestens Kaufeigenheime, Altenwohnungen,<br />

Mehrgenerationenhäuser und<br />

dörflich angepaßte Mietwohnungen umfaßt<br />

und in Größe und Ausstattung unmittelbar auf<br />

die Bedürfnisse der einzelnen Umsiedler Bezug<br />

nimmt. Über das differenzierte Wohnungsangebot<br />

hinaus gibt es Parzellen,<br />

die für die Aufnahme dorftypischer Nutzungen<br />

geeignet sind, vor allem für Kleingewerbe<br />

und für landwirtschaftlichen Nebenerwerb.<br />

Dorftypische Nutzungsmischung<br />

ist auch am neuen Ort<br />

möglich.<br />

An den Ansprüchen an einen neuen Ort hat sich im<br />

Laufe der Jahre wenig geändert: er soll auf der einen<br />

Seite die Identität der Dorfgemeinschaft ausweisen,<br />

auf der anderen Seite den Umsiedlerinnen<br />

und Umsiedlern möglichst viel Raum für Individualität<br />

lassen. Im Grunde soll der neue Ort<br />

möglichst so aussehen wie der alte, auch wenn<br />

das Wohnen allen Ansprüchen an modernen Komfort<br />

genügen soll. Nicht nur die an den alten Ort erinnernden<br />

Grundrißstrukturen und einprägsamen<br />

Gestaltungselemente sollen übernommen werden,<br />

sondern auch möglichst alle dorftypischen Nutzun-


6. Konkretisierung der Kriterien 37<br />

gen. Wenn die Dorfgemeinschaft nicht nur aus Eigentümern<br />

und Mietern, sondern auch aus Gewerbetreibenden,<br />

Landwirten und ihren Beschäftigten<br />

besteht, so sollen sie sich – trotz doppelter Belastung<br />

aus allgemeinen strukturellen Veränderungen<br />

und besonderen Problemen angesichts der<br />

Betriebsverlagerung und einer unter Umständen<br />

un<strong>zur</strong>eichenden Tragfähigkeit am neuen Ort –<br />

nach einer gemeinsamen Umsiedlung alle in ihren<br />

vertrauten Strukturen am neuen Ort wiederfinden<br />

können.<br />

Wenn der Erhalt der baulichen Nutzungen, der sozialen<br />

Zusammensetzung und der wirtschaftlichen<br />

Strukturen im Vordergrund der Wünsche <strong>von</strong> Umsiedlerinnen<br />

und Umsiedlern stehen, so ist die Frage<br />

zu erörtern, mit welchen Mitteln eine vorausschauende<br />

Planung diesen Ansprüchen möglichst<br />

nahe kommen kann.<br />

Das Leitbild der Nutzungsmischung wird nicht nur<br />

für Umsiedlungsstandorte, sondern auch allgemein<br />

für dörfliche und städtische Strukturen eingefordert.<br />

Mit einer Nutzungsmischung können Bewohner ihre<br />

Alltagsaktivitäten verknüpfen und damit Wege<br />

zwischen Arbeiten, Einkaufen, Freizeit und Wohnen<br />

verringern – damit können Kosten und Zeit<br />

eingespart werden. Der kurze Weg <strong>von</strong> der Wohnung<br />

zum Bäcker, <strong>zur</strong> Kirche wird vor allem <strong>von</strong><br />

jenen Umsiedlerinnen und Umsiedlern als wichtiger<br />

Beitrag <strong>zur</strong> Lebensqualität geschätzt, die an ihrem<br />

neuen Standort lange Wege – wie in Neu-Etzweiler<br />

– <strong>zur</strong>ücklegen müssen.<br />

Mit der Nutzungsmischung kann ein Angebot auch<br />

für ein anderes Leitbild realisiert werden - mit kurzen<br />

Wegen kann eine Vermeidung <strong>von</strong> Fahrten,<br />

eine Verringerung <strong>von</strong> Energieverbrauch und<br />

Schadstoffbelastungen erreicht werden.<br />

Dorftypische Nutzungsmischung entsteht nicht <strong>von</strong><br />

selbst. Für den neuen Ort sind erhebliche Anstrengungen<br />

nötig, um mit differenzierten Wohnungsangeboten<br />

eine soziale Mischung, mit städtebaulichen<br />

Konzepten, Be-ratungen und Förderungen<br />

auch wirtschaftliche Strukturen für eine Mischung<br />

<strong>von</strong> Wohnen, Arbeiten, Versorgen und Erholen am<br />

neuen Standort zu sichern.<br />

Eine Umsiedlung kann nicht sozialverträglich sein,<br />

wenn die tragenden Säulen dörflicher Strukturen –<br />

die Landwirtschaft in ihrer wirtschaftlichen und sozialen<br />

Rolle, Gemeinschaftseinrichtungen, dorftypisches<br />

Gewerbe, differenzierte Wohnformen – fehlen.<br />

Ein Beitrag für eine sozialverträgliche Gestaltung<br />

<strong>von</strong> Umsiedlungen ist eine offene Planung,<br />

die alle Formen <strong>von</strong> angemessenen Nutzungsmischungen<br />

ermöglicht. An Planung, Beratung und<br />

politische Gestaltung sind hohe Ansprüche zu stel-<br />

len, wenn eine sozialverträgliche Gestaltung der<br />

Lebensverhältnisse am neuen Ort erreicht werden<br />

soll.<br />

9. Zukunftschancen<br />

Die Planungen für die baulich-räumliche Gestalt<br />

und das soziale Zusammenleben am<br />

neuen Ort eröffnen eine zukunftsweisende<br />

Handlungsorientierung in den Bereichen<br />

Wohnen, Arbeiten und Leben in einer örtlichen<br />

Gemeinschaft. Leitlinie ist die Entwicklung<br />

nachhaltiger Strukturen. Ökologische,<br />

soziale und ökonomische Entwicklungen<br />

des neuen Ortes sind so zu gestalten, daß<br />

die Spielräume auch für alle zukünftigen<br />

Generationen <strong>zur</strong> selbstbestimmten Gestaltung<br />

ihrer Lebensverhältnisse offen<br />

bleiben. Nicht die Rekonstruktion überkommener<br />

Strukturen hat die erste Priorität, sondern<br />

die Aufnahme gesellschaftlicher Bewegungen<br />

und Tendenzen, die voraussichtlich<br />

die Zukunft in Beruf und Alltag der Umsiedler<br />

bestimmen werden. Mit den Vorbereitungen<br />

dazu wird bereits im alten Dorf begonnen. Sie<br />

konkretisieren sich schon in der Planung für<br />

den Umsiedlungsstandort.<br />

Umsiedler empfinden Tagebau und Umsiedlung als<br />

einen harten, doppelten Schnitt. Auf der einen Seite<br />

bedeutet er den Verlust <strong>von</strong> Vergangenheit, zumindest<br />

den Verlust einer Wohnung, eines Hauses,<br />

eines Ortes, eines Raumes, der in allen Schichten<br />

und Bildern Heimat bedeutet. Auf der anderen Seite<br />

ist er eine große Verunsicherung möglicher Perspektiven,<br />

die sich individuell oder für die Gemeinschaft<br />

des Dorfes eröffnen können.<br />

Zunächst überwiegt der Versuch, Vergangenheit zu<br />

retten: der neue Ort soll wie das alte Dorf aussehen,<br />

mit der gemeinsamen Umsiedlung soll das<br />

Gemeinschaftsleben des alten Ortes auch am neuen<br />

Ort wieder aufleben können. Nach Möglichkeit<br />

sollen allerdings Mängel und Konflikte des alten<br />

Ortes, des Lebens am alten Ort überwunden werden.<br />

Politische Steuerung und Planung einer nachhaltigen<br />

Entwicklung wird sich auf drei Aspekte konzentrieren.<br />

Für ökologische Anliegen muß vorrangig ein anderer<br />

Umgang mit Energie eingefordert werden. Neben<br />

Energieeinsparung ist es hier eine Nutzung<br />

auch <strong>von</strong> anderen Energieformen, die den Anlaß<br />

der Umsiedlung - den Verbrauch <strong>von</strong> Landschaft<br />

und Heimat durch den Tagebau - langfristig überflüssig<br />

machen. Dies schließt eine perspektivisch<br />

wirksamere Verwendung der wertvollen Braun-


38 6. Konkretisierung der Kriterien<br />

kohle mit ein. Angesichts der langfristig kritischen<br />

Grundwasserverhältnisse wird es notwendig sein,<br />

überzeugende Wasserkonzepte auch bei der Gestaltung<br />

der Gebäude und ihres Umfeldes zu berücksichtigen.<br />

Dabei wird auf eine möglichst geringe<br />

Versiegelung <strong>zur</strong> Versickerung des Regenwassers<br />

zu achten sein.<br />

Für eine nachhaltige Entwicklung eines Ortes sind<br />

soziale und kulturelle Anstrengungen erforderlich.<br />

Sie brauchen Orte: Kindergärten und Schulen, die<br />

auch Begegnungsstätten sein können, eine Kirche,<br />

die auch als kultureller Ort benötigt wird, Gemeinschaftseinrichtungen<br />

für Vereine, Aktivitäten der<br />

Dorfgemeinschaft, Angebote für den Sport.<br />

Schließlich muß der öffentliche Raum so gestaltet<br />

sein, daß er alle Formen <strong>von</strong> Aufenthalt und Bewegung,<br />

Kommunikation und Ruhe, Zweckmäßigkeit<br />

und Schönheit ermöglicht.<br />

Nachhaltige Entwicklung braucht wirtschaftliche<br />

Unterstützung. Die Förderung dorftypischen Gewerbes<br />

und der Landwirtschaft – auch in neuen<br />

Formen der Produktion und des Vertriebs – stehen<br />

im Vordergrund, aber auch Angebote für Existenzgründer,<br />

die die Chance der Gestaltung eines<br />

neuen Ortes nutzen. So können zum Beispiel die<br />

Möglichkeiten dezentraler Arbeit genutzt werden,<br />

Wohnen und Arbeiten unter einem Dach gefördert<br />

werden. In der Kooperation <strong>von</strong> Planung und Wirtschaftsförderung,<br />

<strong>von</strong> Hochschulen und nahen<br />

Forschungszentren, <strong>von</strong> Bergbautreibendem und<br />

dem Land können neue Modelle eines wirtschaftlichen<br />

Beitrags <strong>zur</strong> Nachhaltigkeit entwickelt werden.<br />

Wirtschaftlich meint hier auch einen verantwortungsvollen<br />

Umgang mit gegebenen Ressourcen.<br />

Insgesamt geht es um die Gestaltung <strong>von</strong> Lebensverhältnissen,<br />

die der Umsiedlergeneration, aber<br />

auch allen späteren Generationen Spielräume <strong>zur</strong><br />

Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse nach eigenen<br />

Vorstellungen ermöglichen.<br />

Bei der Planung und Gestaltung des Umsiedlungsortes<br />

kann es nicht darum gehen, ein Musterdorf<br />

zu entwickeln, gar experimentellen Wohnungs- und<br />

Städtebau zu betreiben. Es geht vielmehr darum,<br />

einen guten Ort für gute Lebensverhältnisse seiner<br />

Bewohnerinnen und Bewohner zu gestalten. In<br />

diesem Sinne kann das Leitbild einer nachhaltigen<br />

Entwicklung Orientierungen bieten.<br />

Für dieses Leitbild bedarf es erheblicher gemeinsamer<br />

Anstrengungen und planerischer wie auch<br />

vor allem politischer Unterstützung. In Planungs-<br />

wie auch in Zukunftswerkstätten können Leitlinien<br />

für eine nachhaltige Entwicklung erarbeitet werden.<br />

Sie können sich allmählich zu einem Leitbild ver-<br />

dichten, in dem sich die Umsiedlerinnen und Umsiedler<br />

mit ihren Ansprüchen wiederfinden.<br />

Zukunftsfähigkeit heißt auch, Raum für zukünftige<br />

Entwicklungen offen zu lassen. Umsiedlungsstandorte<br />

müssen großzügig dimensioniert werden, in<br />

ihren engeren Grenzen wie auch in den Verflechtungen<br />

zu den Nachbarorten brauchen Umsiedlungsorte<br />

Raum für heute noch nicht abzusehende<br />

Entwicklungen.<br />

Nicht die Gestaltung eines fertigen Umsiedlungsortes<br />

steht im Vordergrund der gemeinsamen Anstrengungen,<br />

sondern auch das Zulassen <strong>von</strong><br />

Fragmentarischem, Unfertigem, Ausbaubarem.<br />

Strukturen des alten Dorfes wie auch Strukturen<br />

zukunftsfähiger Entwicklungen neuer Orte finden<br />

hier ihre gemeinsame Ebene.<br />

Eine sozialverträgliche Gestaltung zukünftiger Lebensverhältnisse<br />

kann nur dann möglich sein,<br />

wenn die zukunftsfähigen Elemente der dörflichen<br />

Strukturen und die für zukünftige Lebensverhältnisse<br />

offenen Strukturen des neuen Ortes eine gemeinsame<br />

Entwicklungslinie finden. Das Leitbild<br />

einer nachhaltigen Entwicklung ist am ehesten geeignet,<br />

langfristige Zukunftschancen zu ermöglichen.<br />

10. Regionale Entwicklungsperspektiven<br />

Die Braunkohlenplanung ist in umfassende alternative<br />

Konzepte <strong>zur</strong> Entwicklung der Region<br />

eingebettet. Damit wird die vom Braunkohlentagebau<br />

verursachte, wirtschaftspolitisch<br />

bedenkliche Monostrukturierung der Region<br />

abgebaut. Ziel ist nicht der Ausgleich<br />

für regionale Schäden, sondern ein Impuls<br />

für regionale Innovationen. Damit ist ein<br />

zeitlicher Vorrang der Förderung <strong>von</strong> integrierten<br />

Projekten in der Braunkohlenregion<br />

verbunden. Die Reversibilität der Braunkohlenpläne<br />

ist auch dadurch abgesichert,<br />

daß bei einem Verzicht auf einen Tagebau<br />

keine Notlage auf dem Arbeitsmarkt entsteht.<br />

Grundbedingung für eine sozialverträgliche<br />

Gestaltung einer Umsiedlung ist das Eröffnen<br />

langfristig gültiger Perspektiven für die Einbettung<br />

des Umsiedlungsstandortes in eine innovative<br />

Entwicklung der Region.<br />

Bisher waren Regionalprogramme eher einer ausgleichenden<br />

Funktion verpflichtet. Im Braunkohlenrevier<br />

galt es, insbesondere die durch den Tagebau<br />

verursachten regionalen Strukturveränderungen<br />

und ihre Folgeschäden in Grenzen zu halten.<br />

Dies kann keine ausreichende Orientierung für<br />

Umsiedler bieten, die nach der individuellen und<br />

gemeinsamen Anstrengung der Umsiedlung eine


6. Konkretisierung der Kriterien 39<br />

Perspektive brauchen, die auch nach der Braunkohle<br />

gültig ist. Statt einer möglichen Gefährdung<br />

durch Monostrukturen auch am neuen Ort muß es<br />

eine Vielzahl regionaler Impulse geben, die – aufbauend<br />

auf der erfolgreichen Bewältigung einer<br />

krisenhaften Situation – die besonderen Potentiale<br />

und Fähigkeiten dieser Region nutzt.<br />

Das Bistum Aachen und die evangelische Kirche<br />

im Rheinland haben 1998 die Initiative zu einer<br />

gemeinsamen Entwicklungskonferenz ergriffen.<br />

Thema einer Auftaktveranstaltung und folgender<br />

Diskussionen ist die Zukunft der Menschen in der<br />

Bördenlandschaft an Erft, Rur und Inde. Im Sinne<br />

der dem kirchlichen Denken vertrauten Kategorie<br />

der Nachhaltigkeit geht es dieser Initiative um die<br />

Schaffung zukunftsfähiger neuer Arbeitsplätze und<br />

um eine Entwicklung, die gleichzeitig ökologische,<br />

soziale und wirtschaftliche Bedingungen berücksichtigt.<br />

In den Beiträgen der Entwicklungskonferenz<br />

wird eine ganzheitliche Sicht des Raums angestrebt,<br />

die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft<br />

gleichzeitig betrachten kann. Netzwerkbeziehungen<br />

der Akteure in der Region und über die<br />

Region hinaus sind zu verstärken. Die räumliche<br />

Identität muß gestärkt, ein gemeinsames Zukunftsvertrauen<br />

neu gebildet werden.<br />

In der Auswertung der positiven Erfahrungen der<br />

IBA EmscherPark hat das Land Nordrhein-<br />

Westfalen sich bereit erklärt, vergleichbare Initiativen<br />

in anderen Regionen zu fördern. Gegenstand<br />

der REGIONALEN ist die gemeinschaftliche Vorbereitung,<br />

Realisierung und Präsentation <strong>von</strong> Projekten,<br />

Ereignissen und Initiativen, die in einer Region<br />

zum Abbau <strong>von</strong> Defiziten wie <strong>zur</strong> Fortentwicklung<br />

ihrer Stärken umgesetzt werden. Ziel ist es, durch<br />

Verknüpfung der Aktivitäten eine regionale Identität<br />

zu fördern und ein für die Region markantes Profil<br />

zu entwickeln. Beiträge <strong>zur</strong> Umsetzung dieser neuen<br />

regionalen Förderung sind freie Budgets, neue<br />

Managementformen wie Entwicklungsagenturen<br />

und eine aktive Beteiligung <strong>von</strong> Bürgerinnen und<br />

Bürgern.<br />

Allgemein gilt es, regionale Profile herauszuarbeiten,<br />

regionale Begabungen zu stärken und damit<br />

auch regionale Defizite zu beheben – unabhängig<br />

<strong>von</strong> staatlichen Fördermitteln. Regionalisierung<br />

muß der Entwicklung innovativer Projekte Vorrang<br />

geben vor einem Vollzug vorhandener Förderprogramme.<br />

Fördermodalitäten und Investitionsrichtlinien müssen<br />

sich nach integrierten Projekten – hier nach<br />

einer Absicherung der Umsiedlung durch ihre Einbettung<br />

in eine zukunftsfähige Region – richten,<br />

nicht die Gestaltung <strong>von</strong> Projekten allein gegebe-<br />

nen Förderbestimmungen und Investitionsrichtlinien<br />

folgen.<br />

Damit kann das Braunkohlenrevier ein offenes,<br />

zielorientiertes Instrument mit breiten Gestaltungsspielräumen<br />

erhalten, um sinnvolle Investitionen in<br />

die Entwicklung regionaler Zukunft zu ermöglichen.<br />

Eine sozialverträgliche Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />

setzt voraus, daß Umsiedlerinnen und Umsiedler<br />

sich an ihrem neuen Lebensmittelpunkt eingebettet<br />

sehen in eine zukunftsfähige Region. Sie<br />

nutzen den Erfahrungsvorsprung der Bewältigung<br />

einer existentiellen Krise, die andere Regionen<br />

noch nicht erfahren haben, und entwickeln aus<br />

dem Bewußtsein dieser Stärke heraus Initiativen<br />

einer Erneuerung der Region. Eine erfolgreiche<br />

Umsiedlung ist ein Baustein für die Innovation der<br />

Region.<br />

11. Gemeinsame Umsiedlung<br />

Die gemeinsame Umsiedlung bietet einen<br />

eindeutig definierten zeitlichen und räumlichen<br />

Rahmen. Darin kann sich gemeinschaftliche<br />

Selbstbestimmung entfalten. Die Leistungen<br />

der öffentlichen Hand und des Bergbautreibenden<br />

können wirksam konzentriert<br />

werden. Es wird sichergestellt, daß nicht nur<br />

Eigentumsansprüche entschädigt werden,<br />

sondern auch ein Ausgleich für den Verlust<br />

eines vielfältigen Gemeinwesens geschaffen<br />

wird. Das Angebot der gemeinsamen Umsiedlung<br />

erhält einen Kernbestand der vertrauten<br />

dörflichen Gemeinschaft als Orientierung für<br />

individuelle Entscheidungen.<br />

Um ihre zentrale Bedeutung für die Sozialverträglichkeit<br />

zu betonen, ist die gemeinsame Umsiedlung<br />

nunmehr ausdrücklich eines der Kriterien <strong>zur</strong><br />

Beurteilung der Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen.<br />

Das Konzept der gemeinsamen Umsiedlung eröffnet<br />

Chancen für Selbstbestimmung in der Gemeinschaft,<br />

die anders nicht geschaffen werden können.<br />

Es bietet einen unverzichtbaren Orientierungsrahmen<br />

für die individuellen Entscheidungsfindungen:<br />

auch nicht mitzuziehen ist eine Entscheidung,<br />

die mit Bezug auf die Möglichkeit, gemeinsam<br />

umsiedeln zu können, gefällt wird. Der<br />

neue Ort stellt zumindest den Versuch dar, einen<br />

Ausgleich für die Vernichtung der Dörfer zu schaffen.<br />

Obwohl ein neuer Ort naturgemäß nicht die<br />

kulturelle Qualität eines alten Dorfes mit seiner<br />

langen Geschichte kompensieren kann, wird doch<br />

ein Rahmen gestaltet. in dem ein neues bauliches,<br />

soziales und kulturelles Gefüge mit eigenem Namen<br />

entstehen kann.


40 6. Konkretisierung der Kriterien<br />

Nach gängiger Überzeugung im Revier wird <strong>von</strong> einer<br />

erfolgreichen gemeinsamen Umsiedlung dann gesprochen,<br />

wenn folgende Kriterien ganz oder in Teilen<br />

erfüllt sind:<br />

- Der größere Teil der Betroffenen ist mitgezogen.<br />

- Der Ortsname bleibt erhalten.<br />

- Die Vereine und die Kirchengemeinden bleiben<br />

erhalten.<br />

- Der neue Ort verfügt über eigene soziale Infrastruktur,<br />

bestehend mindestens aus einem<br />

Bürgerhaus, einer Kirche, einer Gastwirtschaft,<br />

einem Lebensmittelladen, einem Kindergarten,<br />

verallgemeinernd allen nötigen Einrichtungen,<br />

um eine eigene lokale Identität entwickeln zu<br />

können.<br />

- Der neue Ort ist wenigstens in einzelnen Elementen<br />

als Dorf erkennbar.<br />

Wesentlich ist die Erfüllung dieser Kriterien, weniger<br />

die absolute Zahl der Teilnehmer an einer gemeinsamen<br />

Umsiedlung. Der Fall Etzweiler/Gesolei<br />

zeigt jedoch den Zusammenhang <strong>von</strong> quantitativen<br />

und qualitativen Kriterien: abgesehen <strong>von</strong> den Problemen<br />

des nicht integrierten Standorts kann ein<br />

Drittel der früheren Bewohner nicht mehr eine<br />

gleichwertige Infrastruktur auslasten und kein<br />

gleichwertiges Gemeinschaftsleben entwickeln.<br />

Es ist jedoch ein sozial unverträglicher Mißbrauch<br />

eines guten Konzepts, wenn die gemeinsame Umsiedlung<br />

als Druckmittel gegenüber den Betroffenen<br />

eingesetzt wird, um ihre Kooperation zu einem<br />

bestimmten Zeitpunkt zu erzwingen. Vielmehr setzt<br />

in dem Moment, wo die Bürgerinnen und Bürger<br />

aus Protest gegen den Tagebau die Mitwirkung an<br />

der Planung verweigern, die Fürsorgepflicht der<br />

Verantwortlichen ein. Diese schließt auch ein, daß<br />

den Betroffenen zu einem späteren Zeitpunkt erneut<br />

Gelegenheiten <strong>zur</strong> Mit- und Selbstbestimmung<br />

ihrer Angelegenheiten eröffnet werden.<br />

Wegzüge<br />

Von großer Bedeutung ist die klare Einhaltung eines<br />

definierten Zeitraums für die gemeinsame Umsiedlung.<br />

1990 berichteten die Gutachter noch <strong>von</strong><br />

zahlreichen Klagen der Betroffenen, der Bergbautreibende<br />

kaufe nach undurchschaubaren Kriterien<br />

Immobilien schon vor der gemeinsamen Umsiedlung<br />

an. Gerade in der Zeit seien verkaufswillige<br />

Eigentümer in besonderer Abhängigkeit, weil der<br />

freie Markt nicht mehr funktioniere, Rheinbraun<br />

aber nicht in jedem Fall die günstigen Entschädigungsregelungen<br />

anwende.<br />

Der vorzeitige Ankauf <strong>von</strong> Anwesen durch Rheinbraun<br />

war ein steter Streitpunkt im Revier, bei dem<br />

die widersprüchlichen Interessen zwischen denen,<br />

die wegziehen wollen und denen, die bleiben, gegeneinander<br />

standen. Von Kritikern des Tagebaus<br />

wurde Rheinbraun häufig unterstellt, sie kauften<br />

gezielt schon lange vor dem Abbau an, um Fakten<br />

zu schaffen, die Dorfgemeinschaft zu schwächen<br />

und mit den Zwischennutzern die eigenen loyalen<br />

Mitarbeiter in die Orte zu bringen. Aber auch die<br />

Weggezogenen selbst waren, wenn sie sich eigentlich<br />

der Dorfgemeinschaft sehr zugehörig gefühlt<br />

hatten, nicht immer glücklich mit ihrer Entscheidung,<br />

vorzeitig den Ort zu verlassen. Zwischenzeitlich<br />

ist diese Frage sehr viel klarer geregelt und<br />

provoziert erheblich weniger Konflikte.<br />

Über den Ankauf <strong>von</strong> Anwesen vor Beginn der gemeinsamen<br />

Umsiedlung entscheidet seit den<br />

neunziger Jahren eine sogenannte Härtestelle. Im<br />

Einzelfall reicht die Differenz zwischen Verkehrswert<br />

und den deutlich günstigeren Entschädigungsregelungen<br />

im Zusammenhang mit der gemeinsamen<br />

Umsiedlung als Anreiz aus, um mit dem Verkauf<br />

bis zu diesem Zeitpunkt zu warten. Seit Einrichtung<br />

dieser Härtestelle ist die Zahl der durch<br />

Rheinbraun vorzeitig angekauften Anwesen erheblich<br />

<strong>zur</strong>ückgegangen. Dies ist eindeutig zu begrüßen,<br />

denn:<br />

- Es hat sich gezeigt, daß das Vertrauen in die<br />

Entschädigungsleistungen <strong>von</strong> Rheinbraun revierweit<br />

ausreicht, um einen relativ normal<br />

funktionierenden Markt bis kurz vor der gemeinsamen<br />

Umsiedlung aufrecht zu erhalten.<br />

Nur in sehr wenigen Fällen ist ein Ankauf durch<br />

Rheinbraun tatsächlich notwendig.<br />

- Indem Rheinbraun vor Beginn der gemeinsamen<br />

Umsiedlung nicht mehr als die marktüblichen<br />

Preise zahlt, wird der Markt nicht durch<br />

überzogene Preisvorstellungen der Verkäufer<br />

im Vorfeld außer Kraft gesetzt.<br />

- Indem in der Härtestelle nicht nur Rheinbraun,<br />

sondern auch ein Vertreter der Gemeinde und<br />

des Regierungspräsidenten entscheiden, wird<br />

die unmittelbare Abhängigkeit zwischen Verkaufswilligem<br />

und Rheinbraun deutlich reduziert.<br />

- Die auf dem freien Markt verkauften Anwesen<br />

werden wieder <strong>von</strong> Haushalten bezogen, die<br />

im Zusammenhang mit der gemeinsamen Umsiedlung<br />

uneingeschränkt die Rechte <strong>von</strong> Umsiedlern<br />

in Anspruch nehmen können. Sie sind<br />

vollwertige Mitglieder der Dorfgemeinschaft.<br />

Wegzug und Zuzug sind Teil einer normalen<br />

Fluktuation. Damit wird auch dem Konflikt zwi-


6. Konkretisierung der Kriterien 41<br />

schen Wegziehenden und Dableibenden viel<br />

Zündstoff genommen.<br />

- Die Probleme, die im Zusammenhang mit Zwischennutzern<br />

und Leerstand entstehen können,<br />

werden zumindest quantitativ reduziert.<br />

Unseres Erachtens wäre ein Ankauf durch das<br />

Land zu den üblichen Entschädigungsbedingungen<br />

nicht zu befürworten. Abgesehen <strong>von</strong> haushaltsrechtlichen<br />

Schwierigkeiten, einen Kaufpreis<br />

zu begründen, der sich nicht am Verkehrswert<br />

orientiert, ist zu erwarten, daß ein solches<br />

Angebot des Landes das normale Marktgeschehen<br />

in tagebaubetroffenen Ortschaften<br />

vorzeitig zum Erliegen brächte. Allerdings ist zu<br />

empfehlen, daß ein Treuhandfonds eingerichtet<br />

wird, der – nach Klärung der Fälle durch die<br />

Härtestelle – alternativ zu Rheinbraun die Anwesen<br />

zum Verkehrswert erwerben könnte,<br />

wenn der Eigentümer dies wünscht. Nach den<br />

bisherigen Erfahrungen würde dieser Fonds mit<br />

einer begrenzten Finanzausstattung auskommen.<br />

Im zeitlichen Zusammenhang mit der gemeinsamen<br />

Umsiedlung gibt es weitaus weniger finanzielle<br />

Anreize, Umsiedler <strong>zur</strong> Teilnahme zu<br />

bewegen. Der Unterschied bei der Entschädigung<br />

<strong>von</strong> selbstnutzenden Eigentümern liegt im<br />

wesentlichen in den Nebenkosten beim Erwerb<br />

des Ersatzgrundstückes, die Rheinbraun nur<br />

dann übernimmt, wenn sie die Verkäuferin des<br />

Grundstück ist, sowie in der Differenz zwischen<br />

Zeitwert und Neuwert <strong>von</strong> Erschließungs- und<br />

Anschlußkosten bei dem aufzugebenden und<br />

dem neu zu erwerbenden Grundstück.<br />

Für ihre Entscheidung können selbstnutzende<br />

Eigentümer daher relativ frei folgende Vor- und<br />

Nachteile abwägen:<br />

- Verbleib in der vertrauten Gemeinschaft oder<br />

Gestaltung sozialer Beziehungen in einem<br />

neuen Umfeld,<br />

- Reinvestition des gesamten Kaufpreises in eine<br />

Neubaumaßnahme oder Erwerb eines Altbaus<br />

und freie Verfügung über einen Restbetrag<br />

des Kaufpreises,<br />

- Zuzug in ein Neubaugebiet mit voraussichtlich<br />

guter Wohnqualität und der Chance, sich am<br />

Planungsprozeß intensiv zu beteiligen oder<br />

Zuzug in ein vorhandenes Wohngebiet der eigenen<br />

Wahl,<br />

- Teilnahme und Bindung an einen langen Prozeß<br />

gemeinschaftlichen Planens, Bauens und<br />

Einlebens oder individuelle und ungebundene<br />

Entscheidungsfreiheit.<br />

Es wird deutlich, daß es auch viele gute Gründe<br />

geben kann, nicht an der gemeinsamen Umsiedlung<br />

teilzunehmen. Für Mieter bedeutet die Teilnahme<br />

an der gemeinsamen Umsiedlung, vorübergehend<br />

einige Abhängigkeiten in Kauf nehmen zu<br />

müssen. Wollen sie am neuen Standort wieder eine<br />

Mietwohnung beziehen, sind sie abhängig da<strong>von</strong>,<br />

daß jemand sie zum richtigen Zeitpunkt, im<br />

richtigen Zuschnitt baut und zu einem tragbaren<br />

Preis vermietet. Wollen sie am Umsiedlungsstandort<br />

selber bauen, können sie erst nach den Eigentümern<br />

ihr Grundstück aussuchen. Für die Vergabe<br />

eines Rheinbraun-Darlehens müssen zunächst die<br />

Ansprüche des Alteigentümers ihrer alten Wohnung<br />

abgeklärt werden.<br />

Dennoch bestehen auch für Mieter materielle Anreize,<br />

an der gemeinsamen Umsiedlung teilzunehmen.<br />

Die Neubauwohnung ist oft mit erheblichen<br />

Zuschüssen <strong>von</strong> Rheinbraun subventioniert, so<br />

daß das Mietniveau dem im sozialen Wohnungsbau<br />

vergleichbar und über mehrere Jahre stabil ist.<br />

Selbstbauende Mieter schließlich profitieren erheblich<br />

<strong>von</strong> den günstigen Bodenpreisen und ggfs.<br />

auch <strong>von</strong> den zinsgünstigen oder gar zinslosen<br />

Darlehen des Bergbautreibenden. Praktische Verbesserungen<br />

liegen seit der Umsiedlung <strong>von</strong> Inden<br />

und Altdorf vor.<br />

Zwischennutzer<br />

Wenn Rheinbraun ein Anwesen erworben hat, vergehen<br />

in der Regel einige Jahre, bis das Haus tatsächlich<br />

abgerissen wird. Zum möglichst langen<br />

Erhalt eines einigermaßen geschlossenen Ortsbildes<br />

ist dies auch wünschenswert. Rheinbraun bemüht<br />

sich, diese Wohnungen mit neuen Nutzungen<br />

zu belegen, da auch leerstehende Häuser die<br />

Nachbarschaft belasten, zu Plünderungen einladen<br />

und Ungeziefer anlocken. Aber auch die sogenannten<br />

Zwischennutzer erinnern die Dorfbewohner an<br />

die bevorstehende Umsiedlung und den Verlust ihrer<br />

vertrauten Nachbarn. Es ist also damit zu rechnen,<br />

daß Zwischennutzern mit zwiespältigen Gefühlen<br />

begegnet wird.<br />

Immer wieder wird <strong>von</strong> der ansässigen Bevölkerung<br />

der Wunsch geäußert, die frei werdenden<br />

Häuser vorrangig <strong>von</strong> eigenen, dem Dorf verbundenen<br />

Leuten zu belegen, etwa <strong>von</strong> jungen Paaren,<br />

die eine erste gemeinsame Wohnung suchen.<br />

Rheinbraun reagiert auf dieses Ansinnen eher zögerlich.<br />

Das Unternehmen möchte nicht in Konkurrenz<br />

zu den örtlichen Mietwohnungsbesitzern treten,<br />

die vor und während der gemeinsamen Um-


42 6. Konkretisierung der Kriterien<br />

siedlung in größerem Umfang mit Leerständen zu<br />

kämpfen haben.<br />

Die Unterbringung ortsverbundener Haushalte im<br />

Ort dient im optimalen Fall dazu, diese Haushalte<br />

auch für die gemeinsame Umsiedlung zu gewinnen.<br />

Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn<br />

sie auch den vollen Umsiedlerstatus erhalten können.<br />

Die erheblichen Förderungsmöglichkeiten im<br />

Zusammenhang mit der gemeinsamen Umsiedlung<br />

sind darüber hinaus gute Gründe für die Wohnungssuchenden,<br />

für eine Übergangsfrist eine weniger<br />

gute Wohnsituation in Kauf zu nehmen.<br />

Flexibilität<br />

Eine großzügige Bemessung des Umsiedlungsstandortes<br />

und ein flexibler Umgang mit den<br />

Grundstücken am neuen Ort ist notwendig, um<br />

- Mietern die Chance zu geben, selbst zu bauen,<br />

- der nachfolgenden Generation Baugrundstükke<br />

reservieren zu können,<br />

- Zwischennutzer, die sich in die Dorfgemeinschaft<br />

eingelebt haben, mitnehmen zu können,<br />

- Entwicklungsmöglichkeiten nach Abschluß der<br />

gemeinsamen Umsiedlung zu haben und<br />

- typisch dörfliche Elemente wie z.B. Streuobstwiesen,<br />

Gartengrundstücke und ähnliche, wenig<br />

intensiv genutzte Grundstücke übertragen<br />

zu können.<br />

Unter der Bedingung, daß die Flächen freihändig,<br />

das heißt ohne Enteignungsverfahren, erworben<br />

werden können, kommen der Bergbautreibende<br />

und die Gemeinde heute schon diesen Bedürfnissen<br />

ein Stück weit entgegen:<br />

- Rheinbraun vergibt Grundstücke an bauwillige<br />

Mieter,<br />

- Rheinbraun vergibt Grundstücke für Mietwohnungsbau<br />

auch an solche Umsiedler, die im alten<br />

Ort keine Mietwohnungen besaßen,<br />

- Rheinbraun betreibt notfalls selbst Mietwohnungsbau<br />

oder beauftragt einen Bauträger<br />

damit,<br />

- die gemeindliche Bauleitplanung sieht auch<br />

Grundstücke vor, die groß genug sind, um später<br />

geteilt werden zu können.<br />

Außerdem werden die nach Bauleitplanung vorgesehenen<br />

Richtwerte für ökologische Ausgleichsflächen<br />

maximal ausgeschöpft.<br />

Rheinbraun gibt damit deutlich zu erkennen, daß<br />

sie das Recht der Mieter, an der gemeinsamen<br />

Umsiedlung teilzunehmen, genauso hoch schätzt<br />

wie das Recht der Eigentümer. Von der Gemeinde<br />

wird eine erhebliche planerische Phantasie aufgewendet,<br />

um innerhalb der eng gesteckten gesetzlichen<br />

Grenzen Spielraum für Flexibilität zu schaffen.<br />

Auch bei der Vergabe <strong>von</strong> Grundstücken an Mieter<br />

kann Rheinbraun außerhalb der förmlichen Umsiedlungsstandorte<br />

großzügiger und flexibler sein<br />

und die Anforderungen an die Koordination mit<br />

dem ehemaligen Vermieter reduzieren. Diese Praxis<br />

entspricht sehr weitgehend der sozialen Dynamik<br />

im Umsiedlungsgeschehen und hat zu Vielfalt<br />

und Lebendigkeit im neuen Ort beigetragen.<br />

Flexibilität und Großzügigkeit werden erreicht, indem<br />

angrenzend an den Umsiedlungsstandort ein<br />

ergänzendes Baugebiet geplant und erschlossen<br />

wird, in dem Rheinbraun auf freiwilliger, durch öffentliche<br />

Absprache aber auch verbindlicher Basis<br />

für vergleichbare Bedingungen (v.a. Bodenpreise)<br />

sorgt.<br />

Es ist zu empfehlen, daß die entsprechenden Verhandlungen<br />

zwischen der Gemeinde und Rheinbraun<br />

durch die Bezirksplanungsbehörde begleitet<br />

werden, damit der Rückbezug und die Begrenzung<br />

der Planungen und Privilegierungen auf die Belange<br />

der Umsiedlung gewährleistet ist.<br />

Soziale Infrastruktur<br />

Ein zentrales Erfolgskriterium für eine gelungene<br />

gemeinsame Umsiedlung ist der Erhalt des dörflichen<br />

Vereinslebens während der gemeinsamen<br />

Umsiedlung und am neuen Standort. Entsprechend<br />

ihrer großen Bedeutung werden die Vereine und<br />

das Vereinsleben während der gemeinsamen Umsiedlung<br />

auf die vielfältigste Art gefördert. Die besonderen<br />

Belastungen in Gestalt <strong>von</strong> Mitgliederverlusten<br />

durch Wegzug und organisatorische Probleme<br />

bei der Aufspaltung der Dorfgemeinschaft<br />

zwischen altem und neuem Ort werden entweder<br />

durch pauschale, jährlich geleistete Zahlungen <strong>von</strong><br />

Rheinbraun ausgeglichen oder <strong>von</strong> Fall zu Fall<br />

kontinuierlich und unmittelbar bedarfsbezogen bewältigt.<br />

Das normale Unterstützungspaket <strong>von</strong> Rheinbraun<br />

für die Zeit der gemeinsamen Umsiedlung umfaßt<br />

eine Reihe <strong>von</strong> Maßnahmen, mit denen die gleichzeitige<br />

Versorgung <strong>von</strong> altem und neuem Ort sowie<br />

die gemeinsame Nutzung <strong>von</strong> Einrichtungen, die<br />

nur an einem Ort sein können (Kindergarten, Schule,<br />

Kirmes) sehr weitgehend ermöglicht werden.<br />

Bei der Umsiedlung <strong>von</strong> kleinen Läden wird nicht


6. Konkretisierung der Kriterien 43<br />

nur die ökonomische Rentabilität betrachtet, sondern<br />

auch ihre soziale Bedeutung für die alltäglichen<br />

Begegnungsmöglichkeiten im Ort berücksichtigt.<br />

Die Eröffnung <strong>von</strong> wenigstens einer Gastwirtschaft<br />

ist ein unverzichtbares Erfolgskriterium für<br />

eine gemeinsame Umsiedlung. Diese Praxis hat<br />

sich bewährt und sollte beibehalten werden.<br />

Dennoch können alle Bemühungen die Tatsache<br />

nicht außer Kraft setzen, daß die Gemeinschaft am<br />

neuen Ort kleiner ist als am alten und die Umsiedlung<br />

den allenthalben stattfindenden Strukturwandel<br />

im alten Ort zunächst aufhält, am neuen Ort<br />

dann aber beschleunigt. Inden und Altdorf hatten<br />

zusammen genügend eigene Substanz, um am<br />

neuen Standort ein ganz neues und offen der Zukunft<br />

zugewandtes Gemeinwesen entstehen zu<br />

lassen. Etzweiler dagegen hat allein aufgrund seiner<br />

geringen Einwohnerzahl vor allem Verluste an<br />

sozialer Infrastruktur und Eigenständigkeit zu beklagen.<br />

Vor diesem Hintergrund ist zu empfehlen, daß über<br />

die Zusammenlegung <strong>von</strong> Orten im Zuge <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />

unbefangener debattiert wird und Zukunftschancen<br />

realistischer eingeschätzt werden.<br />

Letztlich nutzt es den Betroffenen nicht, wenn alle<br />

Planungen sich an ihrem spontanen Bedürfnis orientieren,<br />

das Alte möglichst unangetastet zu bewahren.<br />

Die Aufgabe ist anspruchsvoller zu formulieren:<br />

Die Planungen dürfen sich den erwartbaren,<br />

in nicht betroffenen Ortschaften beobachteten Entwicklungen<br />

nicht entgegenstellen. Dennoch muß<br />

dafür Sorge getragen werden, daß die in der dörflichen<br />

Gemeinschaft erworbenen Positionen auch in<br />

den neuen Verhältnissen auf die eine oder andere<br />

Art wiedergefunden werden können. Auch hier<br />

kann die Begleitung durch eine langfristig angelegte<br />

Gemeinwesenarbeit <strong>von</strong> großem Nutzen sein.<br />

Chancen<br />

Eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen ist<br />

möglich, wenn die Dorfgemeinschaft am alten Ort<br />

gestärkt, die Unsicherheiten in der Vorphase der<br />

Umsiedlungen abgebaut, Anreize zum vorzeitigen<br />

Verkauf oder Wegzug gemindert, freie Wohnungen<br />

oder Gebäude <strong>von</strong> ortsgebundenen Haushalten<br />

genutzt, Planungen für den neuen Ort flexibel gestaltet<br />

werden und eine Ausstattung mit sozialen<br />

und kulturellen Einrichtungen wie auch für die Altenversorgung<br />

gegeben ist. Gemeinsame Umsiedlung<br />

ist ein Anliegen, aber kein Druckmittel.<br />

12. Qualitätssicherung<br />

Die Qualität der sozialen und sozialkulturellen<br />

Entwicklung im neuen Ort ist gewährleistet.<br />

Dies geschieht durch die Siche-<br />

rung des Gemeinschaftslebens und die Gestaltung<br />

alltäglicher Lebensqualität, durch die<br />

Berücksichtigung der Bedürfnisse der verschiedenen<br />

Altersgruppen und die Vermeidung<br />

<strong>von</strong> sozialer Spaltung. Diese qualitativen<br />

Situationsbedingungen werden mit Hilfe eines<br />

sozialen Monitoring festgestellt und in ihren<br />

Entwicklungen beobachtet.<br />

Das Kriterium Qualitätssicherung wird als zwölftes<br />

Kriterium neu aufgestellt. Es unterstreicht die gestiegene<br />

Bedeutung der sozialen und<br />

sozialkulturellen Aspekte bei einer Umsiedlung.<br />

Auch der Braunkohlenplan Garzweiler II geht im<br />

Abschnitt Immaterielle Belange ausführlich auf die<br />

Bedeutung der örtlichen Gemeinschaft und das<br />

soziale Gefüge der Orte ein. Sie bestimmen neben<br />

den städtebaulichen und baulichen Gegebenheiten<br />

die Individualität und den Charakter des Ortes<br />

sowie die Qualität des Zusammenlebens.<br />

Der Alltag am neuen Ort sollte die selbstverständliche<br />

Vertrautheit mit dem alten Ort in möglichst vielen<br />

Lebensbereichen dadurch schnell wieder erreichen,<br />

daß bauliche Strukturen, infrastrukturelle<br />

Qualitäten, sozialkulturelle Gegebenheiten (Umsiedlung<br />

soll nicht zu einem völligen Bruch in den<br />

Lebensgewohnheiten und im Lebensstil führen)<br />

und auch soziale Strukturen (Umsiedlung darf nicht<br />

zu sozialem Abstieg führen) durch professionelle<br />

räumliche Gestaltungsplanung und durch Sozialplanung<br />

wieder hergestellt werden.<br />

Jugendliche und über 50-jährige sollten durch besondere<br />

Berücksichtigung ihrer Anforderungen an<br />

einem neuen Ort, durch eine spezielle Beratung<br />

und durch auf ihre Altersgruppe abgestellte Sondermaßnahmen<br />

für die Teilnahme an einer gemeinsamen<br />

Umsiedlung gewonnen werden.<br />

Ältere Bürger müssen rechtzeitig und in geeigneter<br />

Form angesprochen und behutsam auf die neue<br />

Lebenssituation vorbereitet werden. Die neuen Lebensbedingungen<br />

sollten bei ihnen, auf den Einzelfall<br />

bezogen, der alten Lebenssituation angenähert<br />

und dem qualitativen Bedarf, der bei den älteren<br />

Menschen nur durch persönliche Gespräche zu<br />

ermitteln ist, angepaßt werden.<br />

Am neuen Ort sind Abgrenzungstendenzen zwischen<br />

verschiedenen Bewohnergruppen durch<br />

Gemeinwesenarbeit und geeignete Maßnahmen<br />

(z.B. Dorf- oder Straßenfeste) abzubauen. Bezogen<br />

auf Otzenrath, Spenrath und Holz sollte möglichst<br />

schnell mit dem Sozialen Monitoring begonnen<br />

werden.<br />

Mit dem Sozialen Monitoring wird der Prozeß der<br />

Umsiedlung dokumentiert. Damit wird Grundlage


44 6. Konkretisierung der Kriterien<br />

für eine aufgeklärte Diskussion geschaffen. Pauschalurteile,<br />

Verunsicherungen, Verdächtigungen<br />

usw. können so leichter vermieden werden. Das<br />

soziale Monitoring unterscheidet sich vom ökologischen<br />

Monitoring: da eindeutige Grenzwerte wie<br />

beim ökologischen Monitoring fehlen, muß man<br />

sich stets über neue Grenzwerte verständigen. Politisch<br />

zu entscheiden ist, wann eingegriffen werden<br />

muß, um sichtbare Härten auszugleichen.<br />

Monitoring dient während der Umsiedlung und<br />

nach der Umsiedlung der Erfolgskontrolle und der<br />

Erfolgsdarstellung. Für den Braunkohlenausschuß<br />

ist es das geeignete Instrument <strong>zur</strong> Überwachung<br />

der Einhaltung der Ziele des Braunkohlenplanes.<br />

Da es zu diesem Zweck prozeßbegleitend erfolgen<br />

sollte; müssen für die gesamte Dauer des Umsiedlungsprozesses<br />

und auch noch für die Zeit danach<br />

personelle und organisatorische Ressourcen eingeplant<br />

werden.<br />

Das Soziale Monitoring dient nicht der Kontrolle der<br />

Umsiedler. Schon um einen solchen Verdacht zu<br />

vermeiden, sollte es nicht unmittelbar <strong>von</strong> einem<br />

der Hauptakteure, sondern <strong>von</strong> einem unabhängigen<br />

Wissenschaftler oder einer unabhängigen Institution<br />

durchgeführt werden. Wir schlagen vor,<br />

das Umsiedlerberatungsbüro und in diesem speziell<br />

den Vermittler mit dieser Aufgabe zu betrauen.<br />

Schließlich erlaubt das Soziale Monitoring die Prüfung,<br />

ob die Grundannahme der Sozialverträglichkeit<br />

weiterhin zutreffend ist. Insbesondere diese<br />

Prüfung erfordert politisch gesetzte Maßstäbe.<br />

Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen braucht Orte,<br />

die Möglichkeiten einer sozialen und kulturellen<br />

Integration bieten. Wege zum Alltagsleben im neuen<br />

Ort müssen begleitet werden. Die Einhaltung<br />

der Ziele des Braunkohlenplanes ist kontinuierlich<br />

zu überprüfen, wenn eine sozialverträgliche Gestaltung<br />

einer Umsiedlung gesichert werden soll.


7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven 45<br />

7. Erkenntnisse,<br />

Empfehlungen,<br />

Perspektiven<br />

Stärken und Schwächen<br />

Die Umsiedlungspraxis in den <strong>von</strong> uns untersuchten<br />

Gemeinden stützt sich vor allem auf lange Erfahrungen<br />

mit gemeinsamen Umsiedlungen im<br />

rheinischen Revier. Für viele immer wieder auftauchende<br />

Fragen und Probleme gibt es bewährte Lösungsmuster,<br />

die flexibel genug sind, um den jeweiligen<br />

örtlichen Gegebenheiten angepaßt zu<br />

werden.<br />

Das Braunkohlenplanverfahren mit seinen aufwendigen<br />

Erarbeitungs- und Beteiligungsschritten bietet<br />

in jedem Fall die Gelegenheit, für typische Problemlagen<br />

grundsätzlich neue Vereinbarungen vor<br />

allem mit dem Bergbautreibenden zu treffen. Der<br />

genehmigte Plan schafft in dem Maße, wie er die<br />

nachfolgenden Behörden bindet, Rechtsverbindlichkeit.<br />

Die Geschäftsstelle des Braunkohlenausschusses<br />

kann in jenen Fällen <strong>zur</strong> Vermittlung angerufen<br />

werden, wo Streitigkeiten über Rechte und<br />

berechtigte Ansprüche entstehen.<br />

Die Grundzüge der Kooperation zwischen Bergbauunternehmen<br />

und Gemeinden sind gut eingespielt.<br />

Beide sind grundsätzlich, wenn auch aus unterschiedlichen<br />

Gründen, an einem zügigen Verfahren,<br />

qualitätvollen baulichen Ergebnissen und<br />

letztendlich zufriedenen Umsiedlerinnen und Umsiedlern<br />

interessiert. Als privates Unternehmen verfügt<br />

Rheinbraun dabei an vielen Stellen über große<br />

Spielräume, Probleme individuell und konkret zu<br />

lösen.<br />

Die Vereine sind eine der wichtigsten Stützen für<br />

die Stärken im Verfahren. Bis heute trifft der Bergbau<br />

durchweg auf dörfliche Gemeinschaften, die<br />

sich als stark genug erweisen, eine gemeinsame<br />

Umsiedlung nicht nur zu überstehen, sondern auch<br />

aktiv mitzutragen.<br />

Bei allen umsiedlungspraktischen Fragen wird immer<br />

wieder auch mit neuen Entwicklungen experimentiert.<br />

Beratungskonzepte werden überarbeitet<br />

und ergänzt, Planungsleitbilder überprüft, verworfen,<br />

erneuert, die Kooperation der Interessenvertretung<br />

der Umsiedler mit dem Gemeinderat findet<br />

<strong>von</strong> Fall zu Fall unterschiedliche neue Formen.<br />

Nicht selten sind es Bürgerinitiativen, die Anstöße<br />

für Reformen geben. Aber auch jeder andere Beteiligte,<br />

Rheinbraun eingeschlossen, geben aus ihrer<br />

Sicht Impulse für Verbesserungen.<br />

Die materielle Entschädigung wird immer wieder<br />

neu thematisiert, Details ergänzend geregelt,<br />

Grundsatzfragen öffentlich erörtert. Die Entschädigung<br />

ist übrigens einer der wenigen Bereiche, in<br />

denen Fortschritte regelmäßig kumulieren können:<br />

was einmal im Rahmen einer Umsiedlung aufgrund<br />

besonderer Voraussetzungen als Anspruch ausgehandelt<br />

wurde, ist bei der nächsten Umsiedlung bereits<br />

Standard, <strong>von</strong> dem ausgehend weitere Ansprüche<br />

verhandelt werden.<br />

Aus dieser Konstellation haben sich in den vergangenen<br />

zehn Jahren folgende Stärken entwickelt,<br />

die unter dem Gesichtspunkt der Sozialverträglichkeit<br />

besonders zu würdigen sind.<br />

Stärken<br />

Im Bereich der sogenannten Vorfeldproblematik<br />

hat sich die Einrichtung der Härtestelle bewährt.<br />

Sollte ein Bewohner eines umsiedlungsbetroffenen<br />

Ortes wegziehen müssen und kann er sein Haus<br />

nicht mehr zu einem angemessenen Preis an Dritte<br />

verkaufen, dann kann die Härtestelle Rheinbraun<br />

verpflichten, das Anwesen vorzeitig aufzukaufen.<br />

Es hat sich gezeigt, daß es in vielen Fälle gelungen<br />

ist, einen anderen Käufer als Rheinbraun zu finden.<br />

Die Erosion der dörflichen Gemeinschaften ist dadurch<br />

im Vergleich zu den achtziger Jahren deutlich<br />

<strong>zur</strong>ückgegangen. Gleichzeitig ist die Gewähr<br />

dafür gegeben, daß kein Betroffener durch den Tagebau<br />

in seiner Bewegungsfreiheit übermäßig beschränkt<br />

wird.<br />

Die Entschädigungsregelungen haben sowohl im<br />

Zusammenhang mit dem Braunkohlenplan Inden<br />

als auch mit dem Braunkohlenplan Garzweiler II<br />

jeweils in den begleitenden Vereinbarungen zwischen<br />

Gemeinde und Rheinbraun einen deutlichen<br />

Qualitätssprung erfahren. In Inden konnte der<br />

Bergbautreibende verpflichtet werden, zusätzlich<br />

zu seiner seit längerem praktizierten Förderung<br />

des Mietwohnungsbaus durch Umsiedler, notfalls<br />

in eigener Regie, Wohnungen am neuen Standort<br />

zu errichten und für ein angemessenes Mietniveau<br />

zu sorgen. Zwischen der Gemeinde Jüchen und<br />

Rheinbraun wurde, neben Detailverbesserungen,<br />

vereinbart, daß ca. 95% der Anwesen in Otzenrath,<br />

Spenrath und Holz ohne Fremdmittel in vergleichbarem<br />

Standard neu errichtet werden können. Damit<br />

ist manchen Ängsten und Spekulationen der<br />

Boden entzogen.<br />

Beim Angebot <strong>von</strong> Beratung und Information sind<br />

viele kleine Initiativen mit unterschiedlichem Erfolg<br />

zu verzeichnen, ohne daß sich dadurch ein grundsätzlicher<br />

Wandel in der Konzeption der Beratung<br />

durchgesetzt hätte. Generell ist das Angebot an<br />

gruppenspezifischer Information und Beratung


46 7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven<br />

ausgeweitet worden. Auch die Einzelberatung ist<br />

ergänzt worden: seit kurzem bietet Rheinbraun in<br />

Otzenrath, Spenrath und Holz eine technische<br />

Bauberatung an, die die Umsiedler als Bauherren<br />

in allen Fragen berät. Besonders hervorzuheben<br />

sind auch die Initiativen der Kirchen, deren Beratungsangebote<br />

häufig mit der Aktivierung der Betroffenen<br />

zu Erfahrungsaustausch und gemeinsamem<br />

Handeln verbunden sind.<br />

Bei der Organisation der Interessenvertreter der<br />

Umsiedler hat die Gemeinde Jüchen Neuland betreten,<br />

indem sie erstmals eine Urwahl für die Besetzung<br />

der Umsiedlerbeiräte durchgeführt hat.<br />

Damit hatte jeder Erwachsene – Umsiedler und<br />

Umsiedlerinnen – die gleiche Chance, Einfluß zu<br />

nehmen.<br />

Die Angebote für Umsiedler am Umsiedlungsstandort<br />

haben sich differenziert. Rheinbraun hat<br />

Angebotshäuser entwickelt und gebaut, die <strong>von</strong><br />

Umsiedlern schlüsselfertig übernommen werden<br />

können und ihnen die Aufgaben eines Bauherren<br />

abnehmen. In Inden/Altdorf haben sich die Kirchen<br />

darüber hinaus im Wohnungsbau für besonders<br />

benachteiligte Gruppen engagiert. Auch die unterschiedlichen<br />

Formen der Förderung des Mietwohnungsbaus<br />

führten zu differenzierten Ergebnissen.<br />

Man kann da<strong>von</strong> ausgehen, daß das Wohnungsangebot<br />

sich auch in Zukunft weiter differenzieren<br />

wird.<br />

In Inden ist die Zusammenlegung <strong>von</strong> zwei vollständigen<br />

Ortschaften an einen Standort geglückt,<br />

der darüber hinaus Zentrum für mehrere umliegende<br />

Ortschaften ist. Das Beispiel eines lebendigen<br />

Ortes mit einem differenzierten Angebot auch an<br />

Läden, Dienstleistungen und Gewerbe ermutigt dazu,<br />

den künftigen Entwicklungsmöglichkeiten eines<br />

Standortes eine noch größere Bedeutung<br />

beizumessen als bisher. Die Planungen für Otzenrath,<br />

Spenrath und Holz sehen ein neues Angebot<br />

an Landwirte ohne Viehhaltung vor, die ihnen die<br />

Teilnahme an der gemeinsamen Umsiedlung erleichtern<br />

soll.<br />

Schwächen<br />

Schwächen im Umsiedlungsverfahren gründen<br />

immer wieder in den Rahmenbedingungen <strong>von</strong><br />

Umsiedlungen. Im gesamten hochkomplexen Entscheidungsgefüge<br />

zu Abbau und Verstromung ist<br />

die Umsiedlung eines der letzten Glieder, eine soziale<br />

Folge, die zu bearbeiten ist, die aber weder<br />

auf die Entscheidung selbst noch auf die Raum-<br />

und Zeitplanung je grundsätzlich Einfluß nimmt.<br />

Diese grundlegende Schwäche wird dadurch abgemildert,<br />

daß die Braunkohlenplanung einen<br />

rechtsverbindlichen Rahmen setzt, der Zeiträume<br />

und Handlungsfelder für kommunale und gemeinschaftliche<br />

Selbstbestimmung bei der Bewältigung<br />

der sozialen Folge Umsiedlung definiert, freihält<br />

und schützt. Auf diesen Sachverhalt sind alle Überlegungen<br />

<strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />

bezogen und gestützt. In dem Maße, wie der<br />

Braunkohlenplanung dies nicht mehr zuverlässig<br />

und für die Dauer der Geltung eines Braunkohlenplans<br />

gelingt, sind alle Anstrengungen der gemeinschaftlichen<br />

Bewältigung ständig vom Scheitern<br />

bedroht.<br />

Aber auch unter sicheren Rahmenbedingungen,<br />

wie sie etwa den Braunkohlenplanungen für Inden<br />

und Hambach unterstellt werden, gibt es immer<br />

wiederkehrende Schwachpunkte.<br />

Trotz der eindeutig definierten Verfahrensschritte<br />

der Braunkohlenplanung ist die Wirklichkeit immer<br />

ein sehr vielfältiges Geflecht <strong>von</strong> nur zum Teil koordinierten<br />

Handlungen verschiedener Akteure. Da<br />

erarbeitet eine Gemeinde eine detaillierte Rahmenplanung<br />

für einen Umsiedlungsstandort, für<br />

den es noch gar keinen Braunkohlenplan gibt. Da<br />

setzt die Kirche einen Mieterberater zu einem Zeitpunkt<br />

ein, an dem die meisten Mieterhaushalte bereits<br />

ihre Umsiedlungsperspektiven abschließend<br />

geklärt haben. Da wird ein weitgehend mit den<br />

Bürgern vorgeklärter Umsiedlungsstandort <strong>zur</strong>ückgezogen,<br />

weil die Bodendenkmalpflege Bedenken<br />

anmeldet. Da wird eine gemeinschaftlich beschlossene<br />

Gestaltungssatzung <strong>von</strong> den lokalen Politikern<br />

selbst ständig unterlaufen. Da werden Interessenvertretungen<br />

der Umsiedler aus gegebenem<br />

Anlaß <strong>von</strong> der Gemeinde initiiert, aber auch wieder<br />

aufgelöst.<br />

Kurz: jenseits des förmlichen Braunkohlenplanverfahrens<br />

fehlt es an einem verbindlichen Ablaufschema,<br />

das Zeitpunkte definiert, zu denen bestimmte<br />

Beteiligte die Verteilung und Koordination<br />

bestimmter Aufgaben beschließen. Bei aller Würdigung<br />

des Wertes ortsspezifischer Besonderheiten<br />

bleiben die Umsiedler sonst <strong>von</strong> zu vielen unkontrollierten<br />

Zufälligkeiten abhängig.<br />

Im engen Zusammenhang damit steht der<br />

Schwachpunkt, daß es noch nicht gelungen ist, die<br />

verschiedenen Beratungsangebote zu koordinieren<br />

und ein über den gesamten Planungs- und Realisierungsprozeß<br />

kontinuierlich arbeitendes Beratungsteam<br />

ein<strong>zur</strong>ichten. Es gibt kein Schulungs-<br />

und Qualifizierungsangebot für Berater. Der Zugang<br />

zu psychologischer Beratung für die Betroffenen<br />

wird nicht erleichtert. Gemeinwesenarbeit<br />

findet höchstens punktuell statt und kann in diesen<br />

rudimentären und unverbindlichen Formen keine<br />

Wirkung entfalten.


7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven 47<br />

Unter diesen Bedingungen fehlen für eine systematische<br />

und prozeßbegleitende Qualitätskontrolle<br />

alle Voraussetzungen.<br />

Schwachpunkte der Partizipation ergeben sich aus<br />

dem grundsätzlichen Konflikt, spontanen Bürgerwillen<br />

und langfristig tragfähige Lösungen zu vermitteln.<br />

Leidvolle Erfahrungen mit der Standortwahl<br />

haben deutlich gemacht, daß Betroffene eben nicht<br />

unverbindlich Vorschläge machen, sondern die<br />

gemeinsame Erarbeitung <strong>von</strong> Vorschlägen mit einer<br />

starken Bindung an bestimmte Präferenzen<br />

einhergeht. Darauf war das innovative Standortfindungskonzept<br />

nicht angelegt.<br />

Ein ebenso klassischer Konfliktpunkt ist die<br />

Schwierigkeit, daß Gestaltungsmaßstäbe, die im<br />

Rahmen der Bauleit- und Gestaltungsplanung <strong>von</strong><br />

den Betroffenen bereitwillig mitgetragen werden,<br />

bei der Realisierung der individuellen Bauvorhaben<br />

mit großer Regelmäßigkeit unterwandert werden.<br />

Die ebenso klassische Antwort der Planer darauf<br />

ist, an einer sehr anspruchsvollen Planung festzuhalten,<br />

um dann ihr Scheitern in der Praxis mehr<br />

oder weniger resigniert <strong>zur</strong> Kenntnis zu nehmen.<br />

Unseres Erachtens berücksichtigt die Gestaltungsplanung<br />

zu wenig die unterschiedlichen Bedürfnisse<br />

der gleichen Menschen zu unterschiedlichen<br />

Zeitpunkten. Die Phase der Bauleit- und Gestaltungsplanung<br />

ist geprägt <strong>von</strong> dem Gefühl gemeinsamer<br />

Betroffenheit. Anspruchsvolle, gestalterisch<br />

harmonische Pläne und Modelle sind eine angemessene<br />

Antwort auf diese Gleichgestimmtheit unter<br />

den Betroffenen. Bei der Realisierung der Bauvorhaben<br />

aber steht das Bedürfnis im Vordergrund,<br />

der eigenen Individualität wieder stärker Ausdruck<br />

zu verleihen, nicht zuletzt auch durch eine entschiedene<br />

Abweichung <strong>von</strong> den vereinheitlichenden<br />

Gestaltungsbindungen. Planungs- und Beteiligungskonzepte,<br />

die diesen Zeitfaktor berücksichtigen<br />

würden, sind noch nicht in Sicht.<br />

Eine große Schwäche im Verfahren ist nach wie<br />

vor die Fixierung aller Aufmerksamkeit auf die<br />

Braunkohle. Da <strong>von</strong> ihr so viele Probleme und<br />

Nachteile ausgehen, sollen <strong>von</strong> ihr auch alle Lösungen<br />

erbracht werden. Insbesondere die Gemeinden<br />

fordern zum Ausgleich ihrer Nachteile umfassende<br />

Investitionen <strong>von</strong> Rheinbraun und RWE<br />

auf ihrem Gemeindegebiet. Im Vergleich zu diesen<br />

Erwartungen treten die Bemühungen um eine diversifizierte<br />

Gewerbeentwicklung in der Gemeinde<br />

in den Hintergrund. Regionale Bemühungen um<br />

eine Entwicklung neben und jenseits der Braunkohle<br />

sind kaum zu verzeichnen. Damit wird einer<br />

langfristigen Abhängigkeit vom Wirtschaftsfaktor<br />

Braunkohle Vorschub geleistet.<br />

Allgemeine Empfehlungen<br />

1. Demokratische Legitimation<br />

• Legitimation der Entscheidungen vermitteln<br />

Die verfassungrechtliche Legitimation ist in Bezug<br />

auf ein Abbauvorhaben gegeben. Die <strong>zur</strong> Zeit <strong>von</strong><br />

der Landesregierung erwogenen rechtspolitischen<br />

Reformen können die Akzeptanz eines Vorhabens<br />

erleichtern. Die Vermittlung <strong>von</strong> Entscheidungsprozessen<br />

außerhalb des förmlichen Braunkohlenplanverfahrens,<br />

insbesondere bei der Vorbereitung<br />

<strong>von</strong> Leitentscheidungen, ist zu verbessern. Dabei<br />

kann der Umsiedlungsbeauftragte die Rolle eines<br />

Mittlers zwischen der Landesregierung und den<br />

Betroffenen übernehmen.<br />

• Information verbessern<br />

Wenn eine inhaltlich-sachliche Akzeptanz des Vorhabens<br />

erreicht werden soll, muß die Information<br />

der Betroffenen durch die Landesregierung wesentlich<br />

verbessert werden.<br />

• Unterschiedliche Kompetenzen inhaltlich<br />

bestimmen<br />

Offensichtlich besteht ein Klärungsbedarf <strong>zur</strong> Abgrenzung<br />

der Kompetenzen <strong>von</strong> Landesregierung<br />

und Braunkohlenausschuß. Eine Verständigung<br />

über sachlich-inhaltliche Fragen und Zuständigkeiten<br />

ist notwendig. Wenn die Landesregierung mehr<br />

Verantwortung an sich zieht, muß sie diese Verantwortung<br />

konsequent tragen und sich die notwendigen<br />

Verwaltungskapazitäten schaffen.<br />

• Schutz vor tagespolitischem Kalkül sichern<br />

Akteure auf Landes- und regionaler Ebene müssen<br />

deutlich mehr Vorsorge dafür treffen, daß die<br />

Angelegenheiten der Umsiedlungsplanungen<br />

besser vor kurzfristigen tagespolitischen Kalkülen<br />

geschützt werden.<br />

2. Reversibilität und Planungssicherheit<br />

• Kommunikation verbessern<br />

Bei wachsenden Unsicherheiten in den Rahmenbedingungen,<br />

die auch <strong>von</strong> der Landesregierung<br />

nicht ohne weiteres beeinflußt werden können, ist<br />

eine direkte Kommunikation zwischen Ministerium<br />

und Umsiedlerinnen und Umsiedlern <strong>von</strong> herausragender<br />

Bedeutung. Die Vermittlung kann nicht<br />

allein über Pressemitteilungen und gelegentliche<br />

Besuche erfolgen. Auch hier kann der Umsiedlungsbeauftragte<br />

eine notwendige Vermittlung leisten.


48 7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven<br />

• Bindungswirkungen <strong>von</strong> Beschlüssen und<br />

Genehmigungen vermitteln<br />

Tatsächlich ist die Bindungswirkung der politischen<br />

Beschlüsse und staatlichen Genehmigungen keinesfalls<br />

so schwach wie der permanente öffentliche<br />

Streit glauben macht. Den Betroffenen muß<br />

vermittelt werden, im Rahmen welcher Verfahren<br />

und mit welchen Rechten und Pflichten ihre Interessen<br />

im Fall <strong>von</strong> Veränderungen der Absichten<br />

des Bergbautreibenden gewahrt werden.<br />

• Planungssicherheit stärken<br />

Nicht nur für den Bergbautreibenden, auch für die<br />

Gemeinden, für die Umsiedlergemeinschaft wie<br />

auch für die einzelnen Umsiedlerinnen und Umsiedler<br />

ist Planungssicherheit eine unverzichtbare<br />

Grundlage des Vertrauens. Eine Umsiedlung ohne<br />

Tagebau würde die Grundlage des Vertrauens zwischen<br />

Umsiedlern einerseits, Land, Gemeinde und<br />

Bergbautreibendem andererseits zerstören. Eine<br />

Sozialverträglichkeit wäre in diesem Fall nicht gegeben.<br />

3. Prävention<br />

• Investitionssicherheit geben<br />

Maßnahmen <strong>zur</strong> Stabilisierung der Orte durch<br />

normale öffentliche und private Investitionen sind<br />

auch in den laufenden Umsiedlungsvorhaben zu<br />

empfehlen. Deutliche Investitionssignale <strong>von</strong> Seiten<br />

der Gemeinden ermutigen die Betroffenen, ihrerseits<br />

im Ort engagiert zu bleiben.<br />

• Ortsbild erhalten<br />

Initiativen und Patenschaften <strong>zur</strong> Erhaltung <strong>von</strong><br />

Gebäuden können auch auf Freiräume, zum Beispiel<br />

eine Gestaltung und Nutzung <strong>von</strong> unbebauten<br />

Grundstücken oder Brachflächen, ausgeweitet<br />

werden.<br />

• Sozialplanung und Gemeinwesenarbeit<br />

verstärken<br />

Die Altorte sind durch die Fluktuation der Einwohner<br />

in ihrer sozialen Zusammensetzung und hinsichtlich<br />

ihres sozialen Zusammenhalts ebenso<br />

stark gefährdet wie hinsichtlich ihrer Bausubstanz,<br />

des Erscheinungsbildes ihrer Häuser und ihrer Infrastruktur.<br />

Auch in dieser sozialen Hinsicht müssen<br />

große Anstrengungen unternommen werden.<br />

• Handwerk und Einzelhandel am alten Ort<br />

fördern<br />

Handwerk und Einzelhandel haben nicht nur für die<br />

Versorgung der Bevölkerung Bedeutung, sondern<br />

auch eine wesentliche Kommunikationsfunktion<br />

und signalisieren die Attraktivität der Orte. Es sollten<br />

verstärkt Erhaltungsmaßnahmen ergriffen werden.<br />

• Vereinswesen und Kirchen unterstützen<br />

Vereine und die Kirchen leisten soziale Schwerstarbeit.<br />

Um die Erosion der Dorfgemeinschaft zu<br />

verhindern, sind ihre Bemühungen weiterhin zu unterstützen.<br />

Bürgerschaftliche Aktivitäten, die sich<br />

speziell auf die Ortspflege richten, sind besonders<br />

zu fördern.<br />

• Betroffene beraten, um Wegzug und<br />

Resignation zu vermeiden<br />

Haushalte und einzelne Personen, die wegziehen wollen,<br />

sollten befragt und beraten werden. Durch Gemeinwesenarbeit<br />

über das vorgeschlagene Beratungsbüro<br />

sollten Aussichtslosigkeit und Resignation<br />

aufgefangen und mögliche Perspektiven aufgezeigt<br />

werden. Die psychologische Beratung sollte über das<br />

Beratungsbüro vermittelt und ebenfalls als präventive<br />

Maßnahme verstanden werden, die zu fördern ist.<br />

4. Erwerb <strong>von</strong> Kompetenz<br />

• Lokale Beratungen erweitern<br />

Vorhandene und zukünftige Beratungen in den alten<br />

wie auch in den neuen Orten sollten in der Art<br />

eines Stadtteilbüros so organisiert werden, daß<br />

fachliche – planerische, juristische, finanzielle,<br />

technische – und allgemeine soziale Beratungen<br />

qualifiziert angeboten werden können. Eine umfassende,<br />

querschnittorientierte Aufgabenstellung des<br />

Büros schließt ein, daß bestimmte Aufgaben – eine<br />

spezielle juristische Beratung, eine psychologische<br />

Beratung – an spezialisierte Praxen außerhalb der<br />

Gemeinde vermittelt werden. Betreuungsarbeiten<br />

der Kirchen sollten mit den lokalen Beratungsbüros<br />

vernetzt und so verbindlich wie kontinuierlich<br />

durchgeführt werden. Vom Beratungsbüro wird<br />

auch das soziale Monitoring betrieben. Eine Finanzierung<br />

kann über vorhandene Fonds wie den<br />

Fonds für Umsiedlerzwecke (Rheinbraun) und den<br />

Treuhandfonds (Land Nordrhein-West-falen) gesichert<br />

werden.<br />

• Den Umsiedlungsbeauftragten berufen<br />

Der Umsiedlungsbeauftragte wird auf Landesebene<br />

als intermediäre Institution eingerichtet. Er vermittelt<br />

zwischen Landesregierung und Betroffenen.<br />

Er begleitet den gesamten Umsiedlungsprozeß und<br />

kontrolliert die Koordination der unterschiedlichen<br />

Akteure. Er ist ergänzend <strong>zur</strong> Gemeinde und <strong>zur</strong><br />

Bezirksplanungsbehörde Ansprechpartner bei Be-


7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven 49<br />

schwerden und Anliegen aus den Umsiedlungsorten.<br />

5. Materielle Sicherung<br />

• Auf neue gesetzliche Regelungen<br />

verzichten<br />

Von einer neuen gesetzlichen Regelung der Entschädigungsfragen<br />

ist weder eine Verbesserung<br />

der materiellen Ansprüche noch eine Vereinfachung<br />

der Verfahren zu erwarten.<br />

• Vertragliche Verbesserungen prüfen<br />

Von Seiten der Landesregierung ist zu prüfen, welche<br />

Konsequenzen bei einer Änderung der Entschädigungsgrundsätze<br />

<strong>von</strong> Orientierung am<br />

Sachwert zu Entschädigung nach Sachwert zu erwarten<br />

sind und ob eine neue vertragliche Regelung<br />

mit dem Bergbautreibenden abzuschließen ist.<br />

• Abgesicherte Rechte vermitteln<br />

Der rechtsverbindliche Charakter <strong>von</strong> Absichtserklärungen<br />

und Zielvereinbarungen in öffentlichrechtlichen<br />

Verträgen sollte in der Öffentlichkeit<br />

deutlicher vermittelt werden.<br />

• Information und Beratungen erweitern<br />

Umsiedlerinnen und Umsiedler sollten ihre Verhandlungsvorbereitung<br />

mit einem erfahrenen Dritten<br />

durchsprechen. Die Gemeinde sorgt dafür, daß<br />

ein erfahrener Dritter kostenlos hinzugezogen werden<br />

kann.<br />

• Kontrolle des Verhandlungsergebnisses<br />

ermöglichen<br />

Bei einer staatlichen Stelle sollte eine repräsentative<br />

Fallsammlung angelegt werden, die analog zu<br />

einem Kreisgutachterausschuß die Angemessenheit<br />

eines Kaufpreises im Zweifelsfall überprüfen<br />

kann.<br />

• Vertrauen in gute Erfahrungen stärken<br />

Auffanglinien für schwierige Fälle wie Rheinbraun-<br />

Darlehen oder die Härteausgleichsstelle werden<br />

kaum in Anspruch genommen. Nach allem Anschein<br />

– auch der Qualitäten an neuen Orten –<br />

können Umsiedler auf eine gute Entschädigungspraxis<br />

vertrauen.<br />

• Interessen <strong>von</strong> Mietern berücksichtigen<br />

Die Grundsätze <strong>zur</strong> Sicherung der Teilhabe <strong>von</strong><br />

Mietern an der gemeinsamen Umsiedlung sind hinreichend,<br />

um quantitativ einen vollständigen Ersatz<br />

der aufzugebenden Mietwohnungen- und mittelfristig<br />

ein niedriges Mietniveau zu gewährleisten.<br />

• Räumungsfrist an die Verfügbarkeit <strong>von</strong><br />

Wohnungen binden<br />

Bei der Festsetzung der Räumungsfristen hat sich<br />

eine offene Formulierung bewährt. Die Wohnung<br />

muß dann geräumt werden, wenn der vorgesehene<br />

Ersatzwohnraum <strong>zur</strong> Verfügung steht.<br />

• Beratungen für Mieter intensivieren<br />

Da die Möglichkeiten der Mieter, ihre Umsiedlung<br />

zu gestalten, mittlerweile recht vielfältig geworden<br />

sind, empfiehlt sich auch für sie die Inanspruchnahme<br />

eines Beraters <strong>zur</strong> Abklärung persönlicher<br />

Vorstellungen und <strong>zur</strong> Absicherung <strong>von</strong> Entscheidungen<br />

in voller Kenntnis <strong>von</strong> Rechten und Pflichten<br />

als Umsiedler.<br />

6. Partizipation<br />

• Teilnahme am Braunkohlenplanverfahren<br />

erweitern<br />

Zu Beginn des Braunkohlenplanverfahrens sollten<br />

bestehende bürgerschaftliche Gruppierungen einbezogen<br />

werden, um eine Beteiligung <strong>von</strong> Umsiedlerinnen<br />

und Umsiedlern <strong>von</strong> Anfang an zu ermöglichen.<br />

• Angepaßte Beteiligungsformen entwickeln<br />

Die Ablehnung <strong>von</strong> Großveranstaltungen begründet<br />

sich aus den bisherigen Erfahrungen der Umsiedlerinnen<br />

und Umsiedler, aber auch aus der<br />

gewohnten Mentalität, Probleme möglichst ortsnah<br />

zu diskutieren und zu lösen. Anregungen und Bedenken<br />

können thematisch sortiert und in Arbeitskreisen<br />

– wie in Otzenrath/Spenrath und Holz –<br />

oder an Runden Tischen erörtert werden. Interessenvertretungen<br />

<strong>von</strong> Umsiedlern müssen auch lokale<br />

Bürgerinitiativen in die Aushandlungsprozesse<br />

einbeziehen. Sie müssen sich auf das Vertrauen<br />

aller Gruppen <strong>von</strong> Umsiedlern stützen können.<br />

• Verfahren der Standortwahl qualifizieren<br />

Beim Vergleich <strong>von</strong> Alternativen können Sozialverträglichkeitskriterien<br />

– zum Beispiel <strong>zur</strong><br />

differenzierten Zeitplanung, <strong>zur</strong> differenzierten<br />

Angebotsplanung, zu Zukunftschancen, zu<br />

gemeinsamer Umsiedlung – angewandt werden.<br />

Nach einer sorgfältigen Auswahl gemeinsam<br />

getragener Alternativen sollten in einer abschließenden<br />

Befragung nur zwei realisierbare<br />

Alternativen <strong>zur</strong> Wahl stehen.


50 7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven<br />

• Mitwirkungen an der Gestaltung des neuen<br />

Ortes erweitern<br />

Mit den Planungswerkstätten wurden für Otzenrath/Spenrath<br />

und Holz bereits beispielhaft Möglichkeiten<br />

einer Mitwirkung <strong>von</strong> Umsiedlerinnen und<br />

Umsiedlern vermittelt. Die Gestaltung ist als sozial<br />

verträglich zu bezeichnen, wenn sie nicht nur baulich,<br />

sondern auch sozial eine lebenswerte Situation<br />

schafft. Eine offene Gestaltung des neuen Ortes<br />

soll eine Inbesitznahme durch alle sozialen Gruppen<br />

unterstützen.<br />

7. Differenzierte Zeitplanung<br />

• Den Zeitraum der Umsiedlung verkürzen<br />

Der Zeitraum, in dem die Betroffenen und die Gemeinde<br />

sich um die Gestaltung der Lebensverhältnisse<br />

am alten und am neuen Ort gleichzeitig<br />

kümmern müssen, soll so kurz wie möglich sein.<br />

Der Zeitpunkt <strong>von</strong> der Verfügbarkeit baureifer<br />

Grundstücke bis <strong>zur</strong> Aufgabe des alten Ortes kann<br />

unter Berücksichtigung der ortsspezifischen Verhältnisse<br />

auf vier bis sechs Jahre verkürzt werden.<br />

• Phasen des Umsiedlungsverfahrens<br />

deutlicher trennen<br />

Vor Genehmigung des Braunkohlenplanes sollte<br />

keine Planung für einen neuen Standort beginnen.<br />

In der Phase der Standortsuche darf nicht bereits<br />

ein parzellenscharfer Bebauungsplan erarbeitet<br />

werden. Vor Beschluß des Bebauungsplans finden<br />

keine Grundstücksvormerkungen statt.<br />

• Zeitpläne überprüfen und verbindlich<br />

gestalten<br />

Eine Verzögerung <strong>von</strong> Entscheidungen hat Konsequenzen<br />

für Akzeptanz und Sozialverträglichkeit.<br />

Nach eingehender Prüfung müssen die Zeitpläne<br />

für Tagebau und Umsiedlung neu vereinbart werden.<br />

8. Differenzierte Angebotsplanung<br />

• Typenplanungen fördern<br />

Sie entlasten ältere Leute und Familien <strong>von</strong> zeitaufwendigen<br />

Planungen. Sie lassen individuell angepaßte<br />

Varianten zu und geben durch feste Kostengrößen<br />

Sicherheit für die Realisierung. Nachbarschaftliche<br />

Zusammenhänge können in Baugruppen<br />

akzentuiert werden, innerhalb einer Bandbreite<br />

unterschiedlicher Typen kann auch eine Individualität<br />

für die einzelne Umsiedlerfamilie<br />

ermöglicht werden. Die Koordination der Mieter<br />

und Bauherren <strong>von</strong> Mietwohnungen bleibt eine im<br />

Detail zu lösende Aufgabe. Auf Typenvielfalt und<br />

Standarddifferenzierung ist auch beim Mietwohnungsbau<br />

zu achten.<br />

• Dienstleistungen und Kleingewerbe<br />

integrieren<br />

Realisierte Beispiele – insbesondere in Neu-<br />

Garzweiler und Inden/Altdorf – zeigen auf anschauliche<br />

Weise, daß trotz struktureller Probleme die Integration<br />

<strong>von</strong> Dienstleistungen und Gewerbe frühere<br />

dorftypische Nutzungen in neuen Formen bietet und<br />

ein gutes Versorgungsangebot sicherstellt. Bei nicht<br />

ausreichender Tragfähigkeit konventioneller Angebote<br />

könnten – zum Beispiel in Neu-Etzweiler – Nachbarschaftsläden<br />

eingerichtet werden.<br />

• Landwirte am neuen Ort integrieren<br />

Nicht nur für Nebenerwerbs-Landwirte ist das Wohnen<br />

in der neuen Dorfgemeinschaft selbstverständlich.<br />

Auch Landwirten mit Ackerbauwirtschaft kann ein<br />

Wohnen am neuen Ort ermöglicht werden. Sie bleiben<br />

damit in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Position<br />

der Umsiedlergemeinschaft erhalten. Bei geregelter<br />

Aufsicht am Arbeitsort können auch Landwirte mit<br />

Viehhaltung am neuen Ort wohnen.<br />

• Nutzungsmischungen erweitern<br />

Der Wunsch, dorftypische Mischungen unterschiedlicher<br />

Nutzungen auch am neuen Ort zu ermöglichen,<br />

läßt sich realisieren. Neuere Leitbilder <strong>zur</strong> Nutzungsmischung<br />

und neuere Forschungsergebnisse auf der<br />

einen Seite, gute Praxisbeispiele wie in Neu-<br />

Garzweiler und in Inden/Altdorf auf der anderen Seite<br />

können eine Nutzungsmischung auch an neuen Umsiedlungsstandorten<br />

unterstützen.<br />

• Bestandsschutz für Nutzungen ermöglichen<br />

In Analogie zu Sanierungsmaßnahmen ist auch bei<br />

Umsiedlungsvorhaben der Bestandsschutz für Nutzungen<br />

einzufordern. Ausnahmen <strong>von</strong> Vorgaben wie<br />

Baunutzungsverordnung oder Abstands-Erlaß müssen<br />

im Sonderfall der Umsiedlung <strong>von</strong> Dörfern ermöglicht<br />

werden.<br />

9. Zukunftschancen<br />

• Nachhaltigkeit fördern<br />

Die Forderung nach einem sorgfältigen Umgang<br />

mit vorhanden Ressourcen, nach einer Entfaltung<br />

sozialer, kultureller wie auch wirtschaftlicher Qualitäten<br />

findet ihre Entsprechung im Selbstverständnis<br />

dörflicher Strukturen. Schutz und Pflege natürlicher<br />

Ressourcen, soziales und kulturelles Leben in<br />

der Dorfgemeinschaft, wirtschaftliche Tragfähigkeit<br />

sind Eckpfeiler auch der Gestaltung des neuen Ortes.


7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven 51<br />

• Identifikation ermöglichen<br />

Für die Übernahme <strong>von</strong> Merkmalen des alten Ortes<br />

gibt es eine Reihe <strong>von</strong> Beispielen. Stärker ist auf<br />

symbolische Zeichen zu achten, die ein Dorf <strong>von</strong><br />

einer Siedlung unterscheiden und Beziehungen<br />

zwischen Ort und Bewohnern ermöglichen. Diese<br />

Zeichen und ihre Gestaltung müssen mit Beteiligung<br />

der Bewohner bestimmt werden.<br />

• Kooperationen erweitern<br />

Zukunftsfähigkeit entsteht nicht <strong>von</strong> selbst. Das<br />

Beispiel <strong>von</strong> Agenda-Gruppen und Foren mit lokalen<br />

und regionalen Kooperationen, die Beratung<br />

aus der Wirtschaftsförderung mit aktuellen Praxiserfahrungen<br />

und aus den Hochschulen mit angewandter<br />

Forschung zeigen, daß Zukunftschancen<br />

gemeinsam zu erarbeiten sind.<br />

• Planung offen gestalten<br />

Die Planung für den neuen Ort endet nicht mit dem<br />

Bebauungsplan. Sie muß Räume auch für zukünftige<br />

Entwicklungen offen lassen.<br />

10. Regionale Entwicklungsalternativen<br />

• Regionale Identität entwickeln<br />

Die Bördenlandschaft an Erft, Rur und Inde ist ein<br />

geographisch abgrenzbarer Raum. Seine spezifischen<br />

Begabungen sind der Reichtum an Kulturlandschaften<br />

und geschichtlich geprägten Siedlungsstrukturen.<br />

Die Definition regionaler Identität<br />

muß ein Gemeinschaftsprojekt der regionalen Akteure<br />

werden.<br />

• Erfahrungen regionaler Innovation nutzen<br />

Erfolgreiche Aktivitäten wie die Internationale Bauaustellung<br />

EmscherPark werden mit der<br />

REGIONALE und mit dem Innovationsfonds als<br />

Angebot auch anderen Regionen übermittelt. Wirtschaftlich<br />

tragfähige Projektentwicklungen im Sinne<br />

der aktuellen EUROGA können, unterstützt durch<br />

den Innovationsfonds des Ministerpräsidenten, bereits<br />

Teil der vorgesehenen Präsentationen 2002<br />

sein.<br />

• Regionale Perspektiven für die Zeit nach<br />

der Braunkohle entwickeln<br />

Der Abbau regionaler Monostruktur, die Entwicklung<br />

vielfältiger regionaler Impulse setzt eine Kooperation<br />

regionaler Akteure voraus. Das Beispiel<br />

der regionalen Entwicklungskonferenz sollte unterstützt<br />

und weiter entwickelt werden.<br />

11. Gemeinsame Umsiedlung<br />

• Bewährte Praxis erhalten und erweitern<br />

Der Ankauf <strong>von</strong> Anwesen durch Rheinbraun bei<br />

Wegzügen vor Beginn der gemeinsamen Umsiedlung,<br />

die Einrichtung <strong>von</strong> Härtestellen haben sich<br />

bewährt. Der <strong>von</strong> der Landesregierung in Aussicht<br />

gestellte, jedoch noch nicht eingerichtete Treuhandfonds<br />

sollte Eigentümern auf ihren – <strong>von</strong> der<br />

Härtestelle geprüften – Wunsch die Möglichkeit<br />

bieten, alternativ zu Rheinbraun ihr Anwesen zum<br />

Verkehrswert an den Fonds zu verkaufen.<br />

• Leerstände nutzen<br />

Gegenüber der Praxis der Auffüllung leerstehender<br />

Wohnungen mit Personen, die keinen Bezug zum<br />

Ort haben, ist es zu empfehlen, attraktive Wohnungen<br />

ortsverbundenen Personen wenigstens für den<br />

Zeitraum der gemeinsamen Umsiedlung <strong>zur</strong> Verfügung<br />

zu stellen.<br />

• Dörfliche Gemeinschaft fördern<br />

Über die bewährte Förderung des Vereinslebens<br />

und der sozialen Infrastruktur hinaus sollten in Vorbereitung<br />

einer gemeinsamen Umsiedlung die Zukunftserwartung<br />

der Vereine und Kirchengemeinden,<br />

gegebenenfalls auch in Zusammenarbeit mit<br />

künftigen Nachbarorten, offen angesprochen werden.<br />

Diese Gespräche bedürfen der Vermittlung<br />

durch die Gemeinde oder einer <strong>von</strong> ihr beauftragten<br />

Gemeinwesenarbeit.<br />

• Gemeinsame Umsiedlung anbieten, nicht<br />

erzwingen<br />

Der Wunsch der Betroffenen nach gemeinsamer<br />

Umsiedlung darf nicht dazu mißbraucht werden,<br />

ihre Kooperation zu einem bestimmten Zeitpunkt<br />

zu erzwingen. Gemeinsame Umsiedlung ist ein<br />

Angebot, kein Druckmittel. Die Ausweisung <strong>von</strong><br />

zusätzlichen Bauflächen in unmittelbarer Nachbarschaft<br />

zum Umsiedlungsort bietet eine flexible Gestaltung<br />

des Umsiedlungsprozesses, die Erhaltung<br />

und Erweiterung sozialer Kontakte, gegebenenfalls<br />

auch eine bessere Auslastung der Infrastrutur.<br />

• Selbstbewußtsein der<br />

Umsiedlergemeinschaft entwickeln<br />

Langfristig ist es für das Selbstbewußtsein der Umsiedlergemeinschaft<br />

wichtig, auf Gemeinschaftswerke<br />

<strong>zur</strong>ückblicken zu können, die auch ohne Hilfe<br />

<strong>von</strong> Rheinbraun verwirklicht werden konnten.<br />

Gemeinsame Projekte sind ein erster Schritt in eine<br />

Normalität einer Dorfgemeinschaft, die nicht mehr<br />

durch Umsiedlung gefährdet und nicht mehr existentiell<br />

abhängig ist.


52 7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven<br />

12. Qualitätssicherung<br />

• Am neuen Ort Vertrautheit und<br />

Lebensqualität herstellen<br />

Der Alltag am neuen Ort sollte möglichst schnell<br />

wieder eine selbstverständliche Vertrautheit in<br />

möglichst vielen Lebensbereichen erreichen. Dazu<br />

müssen bauliche Strukturen, infrastrukturelle und<br />

sozialkulturelle Qualitäten, auch in Anknüpfung an<br />

die Gegebenheit am alten Ort, schnell wieder hergestellt<br />

werden.<br />

• Die Bedürfnisse der verschiedenen<br />

Altersgruppen berücksichtigen<br />

Insbesondere Jugendliche und über 50-jährige sollten<br />

durch besondere Berücksichtigung, durch eine<br />

spezielle Beratung und durch auf ihre Altersgruppe<br />

abgestellte Angebote für die Teilnahme an einer<br />

gemeinsamen Umsiedlung gewonnen werden. Ältere<br />

Bürger müssen rechtzeitig und in geeigneter<br />

Form angesprochen und behutsam auf die neue<br />

Lebenssituation vorbereitet werden.<br />

• Soziale Abgrenzungstendenzen abbauen<br />

Am neuen Ort sind Abgrenzungstendenzen zwischen<br />

verschiedenen Bewohnergruppen durch<br />

Gemeinwesenarbeit und geeignete Maßnahmen<br />

(z.B. Dorf- oder Straßenfeste) abzubauen.<br />

• Soziales Monitoring einführen<br />

Mit dem Sozialen Monitoring wird der Prozeß der<br />

Umsiedlung dokumentiert und eine Informationsgrundlage<br />

für eine aufgeklärte Diskussion geschaffen.<br />

Pauschalurteile, Verunsicherungen und Verdächtigungen<br />

können so leichter vermieden werden.<br />

Bezogen auf Otzenrath, Spenrath und Holz<br />

sollte möglichst schnell mit dem Sozialen Monitoring<br />

begonnen werden.<br />

Spezielle Handlungsempfehlungen für<br />

Otzenrath, Spenrath und Holz<br />

Die drei Ortschaften der Gemeinde Jüchen stehen<br />

am Beginn der gemeinsamen Umsiedlung.<br />

Dieser Umsiedlung ist eine außergewöhnlich lange<br />

Phase heftiger politischer Konflikte vorausgegangen.<br />

Immer wieder im Verlauf <strong>von</strong> vielen Jahren<br />

stellte sich die Frage, ob der Tagebau überhaupt<br />

kommen würde oder nicht. Diese Frage hatte das<br />

Braunkohleplanverfahren dominiert und war auch<br />

nach der Plangenehmigung nicht erledigt. Sie hat<br />

den Verantwortlichen in der Gemeinde den Jüchener<br />

Spagat aufgenötigt und gerade die engagierten<br />

Bürgerinnen und Bürger gespalten und zum Teil in<br />

Gegensatz zu ihrer Gemeindevertretung gebracht.<br />

Dennoch ist das förmliche Planverfahren Schritt für<br />

Schritt durchgeführt und sind die Planungen Stück<br />

für Stück umgesetzt worden.<br />

Bereits Anfang 1997 hat die Bezirksregierung erklärt,<br />

die Bewohner hätten den sogenannten Umsiedlerstatus.<br />

Rheinbraun ist verpflichtet, Anwesen<br />

anzukaufen und dabei einen den revierverbindlichen<br />

Entschädigungsregeln entsprechenden Kaufpreis<br />

zu zahlen. Auch Mieter können seit diesem<br />

Zeitpunkt bei Aufgabe ihrer Wohnung Unterstützung<br />

und Entschädigung <strong>von</strong> Rheinbraun verlangen.<br />

Mieter und wenige Eigentümer haben <strong>von</strong><br />

diesen Möglichkeiten bereits Gebrauch gemacht.<br />

Die Bauleitplanung für den neuen Ort ist unter Einbeziehung<br />

der Umsiedlerbeiräte in Planungsworkshops<br />

und kontinuierlichen gemeinsamen Beratungen<br />

<strong>von</strong> Einzelfragen abgeschlossen, die meisten<br />

Grundstücke sind vorgemerkt. Ab Mitte des kommenden<br />

Jahres kann mit den privaten Baumaßnahmen<br />

am Umsiedlungsstandort begonnen werden.<br />

Die Gemeinde und Rheinbraun haben in Otzenrath<br />

und Holz jeweils Beratungsbüros eingerichtet und<br />

die Sprechzeiten aufeinander abgestimmt. Ein neutrales<br />

Beratungsbüro wurde als überflüssig erachtet.<br />

Vorgespräche und Verhandlungen mit Rheinbraun<br />

finden häufig in den Privatwohnungen der<br />

Umsiedler nach freier Terminabsprache statt. Zur<br />

Information und Anregung der künftigen Bauherren<br />

wird eine Gestaltungsfibel vorbereitet, eine Architekten-Messe<br />

soll stattfinden. Eine technische<br />

Bauberatung ist eingerichtet, um Schwierigkeiten in<br />

der Bauphase zu vermeiden.<br />

Die folgenden Vorschläge sind an dem orientiert,<br />

was in dieser Situation sinnvoll noch verbessert<br />

werden könnte.<br />

• Gemeinwesenarbeit stärken<br />

Für eine wirksame, prozeßbegleitende Gemeinwesenarbeit<br />

ist es fast zu spät. Ihre Ergebnisse könnten<br />

nicht mehr einfließen in die Konzeption der<br />

neuen Orte, auf ihre räumliche Lage zueinander<br />

und zu den Nachbarorten keinen Einfluß mehr<br />

nehmen. Dennoch ist zu erwägen, durch ein kurzfristigeres<br />

Gemeinwesenarbeitsprojekt Grundlagen<br />

für ein respektvolles Nebeneinander zwischen Alt-<br />

Bewohnern und als fremd empfundenen Zwischennutzern<br />

zu schaffen. Ein solches Projekt muß<br />

<strong>von</strong> der Gemeinde initiiert und finanziert werden.<br />

Eine Refinanzierung durch den Fonds für Umsiedlungszwecke<br />

im Rheinischen Braunkohlenrevier ist<br />

zu erwägen.


7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven 53<br />

• Soziale und psychologische Beratung<br />

anbieten<br />

Der faktische Beginn der gemeinsamen Umsiedlung<br />

– die bevorstehenden Verhandlungen mit<br />

Rheinbraun, die erste Welle <strong>von</strong> Wegzügen aus<br />

dem alten Ort – erhöht den Entscheidungsdruck<br />

auch bei den Familien, die sich über ihre Umsiedlungsperspektiven<br />

noch nicht im klaren sind, die<br />

auch innerfamiliäre Beziehungsveränderungen zu<br />

klären haben, die durch die Umsiedlung unausweichlich<br />

werden. In dieser Phase ist der Bedarf an<br />

sozialer und psychologischer Beratung am größten.<br />

Es sollte sehr schnell geklärt werden, ob in<br />

Trägerschaft der Gemeinde oder durch Dritte<br />

soziale Beratung angeboten wird, die unabhängig<br />

<strong>von</strong> den Umsiedlungsberatern im engeren Sinn in<br />

Anspruch genommen werden kann. Des weiteren<br />

ist zu klären, welche Praxen in der näheren Umgebung<br />

als Anlaufstelle bei besonderen psychischen<br />

Belastungen empfohlen werden können. Es ist ein<br />

Modus zu finden, wie die in Anspruch genommene<br />

Beratung unter Wahrung der Anonymität des Ratsuchenden<br />

abgerechnet werden kann. Der Fonds<br />

für Umsiedlungszwecke im Rheinischen Braunkohlenrevier<br />

kann für diese Aufgabe sinnvoll eingesetzt<br />

werden.<br />

• Soziales Monitoring einrichten<br />

Die Voraussetzungen für ein soziales Monitoring<br />

müssen umgehend geschaffen und auf Dauer gesichert<br />

werden.<br />

• Erfahrungsaustausch verbessern<br />

Im jährlichen Rhythmus soll eine Umsiedlungskonferenz<br />

stattfinden, an der alle Akteure, die in das<br />

Umsiedlungsgeschehen einbezogen sind, teilnehmen:<br />

die Gemeinde, Rheinbraun, die Bürgerbeiräte,<br />

eventuelle Initiativ-Gruppen, die Berater, die<br />

Gemeinwesenarbeiter, die Bezirksplanungsbehörde,<br />

der Mediator und Bearbeiter des sozialen Monitorings<br />

und, falls vorhanden, der Umsiedlungsbeauftragte.<br />

Auf dieser Konferenz werden die Erfahrungen<br />

und wichtigen Informationen ausgetauscht,<br />

aufgetretene Schwierigkeiten besprochen, die Aufgaben<br />

für das folgende Jahr verabredet. Ein zusammenfassender<br />

Bericht über die Konferenz wird<br />

an alle Haushalte verschickt.<br />

• Kontakt mit Wegziehenden aufrechterhalten<br />

Haushalte, die wegziehen, sollten auf die Möglichkeit<br />

aufmerksam gemacht werden, in der Gemeindeverwaltung<br />

ihre neuen Adressen zu hinterlegen,<br />

um weiterhin über wichtige Ereignisse in der dörflichen<br />

Gemeinschaft informiert werden zu können.<br />

• Beteiligung <strong>von</strong> Mietern erweitern<br />

Die Spielräume, die das Mieterhandlungskonzept<br />

für die Einbeziehung <strong>von</strong> Mietern in die Neubauplanung<br />

bereithält, sind längst nicht ausgeschöpft.<br />

Voraussetzung allerdings ist, daß Mieter sich zu<br />

Gruppen zusammenschließen, in denen gemeinsam<br />

Vorstellungen <strong>von</strong> den eigenen Bedürfnissen<br />

und Handlungsmöglichkeiten artikuliert werden<br />

können. Auch dazu könnte ein Gemeinwesenarbeitsprojekt<br />

die Initialzündung geben. Wenn diese<br />

allerdings nicht umgehend eingeleitet wird, dürfte<br />

es für eine weitergehende Beteiligung der Mieter<br />

zu spät sein.<br />

• Wohnungsangebot differenzieren<br />

Wir gehen da<strong>von</strong> aus, daß die Gemeinde und<br />

Rheinbraun heute schon Kontakt aufgenommen<br />

haben zu möglichen Trägern <strong>von</strong> besonderen<br />

Wohnformen, um frühzeitig ein differenziertes<br />

Wohnungsangebot sicherzustellen.<br />

• Zusagen halten<br />

Vermutlich können die alten Konflikte aus der Vorbereitungszeit<br />

nur schwer bewältigt werden. Trotzdem<br />

sollte eine Annäherung zwischen ehemaligen<br />

Mitgliedern der ITOS und den Gemeindevertretern<br />

angestrebt werden. Die Landesregierung sollte<br />

darüber hinaus einen Ansprechpartner benennen,<br />

der den Umsiedlern für Rückfragen zu den immer<br />

wieder auftauchenden tagespolitischen Äußerungen<br />

zu Garzweiler II <strong>zur</strong> Verfügung steht.<br />

Veränderung der Sozialverträglichkeit<br />

in der zeitlichen Entwicklung<br />

Nach dem bisherigen Verlauf der Braunkohlenplanungen<br />

und nach der Einschätzung des zukünftigen<br />

Umsiedlungsgeschehens ist da<strong>von</strong> auszugehen,<br />

daß – gemessen an den zwölf Kriterien dieses<br />

<strong>Gutachten</strong>s – die Qualität einer sozialverträglichen<br />

Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen in ihrer zeitlichen<br />

Entwicklung unterschiedlich einzuschätzen ist. Dies<br />

soll am Beispiel <strong>von</strong> drei denkbaren Szenarien der<br />

Umsiedlungen <strong>von</strong> Otzenrath, Spenrath und Holz<br />

erläutert werden.<br />

Szenario 1<br />

Die bisherige und die weiteren Entwicklungen<br />

verlaufen nach Plan. Auf der Grundlage der<br />

Genehmigung des Braunkohlenplans<br />

Garzweiler II (1995) ist vorgesehen, daß Otzenrath<br />

und Spenrath im Jahre 2006 vom Tagebau<br />

erreicht werden, Holz zwei Jahre später.


54 7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven<br />

Die demokratische Legitimation ist gegeben, die<br />

Grundannahmen werden Anfang des Jahres 2000<br />

überprüft. Zwar haben die langanhaltenden politischen<br />

Konflikte um diesen Tagebau deutlich gemacht,<br />

daß unter Hinnahme bestimmter negativer<br />

Folgen ein Verzicht auf den Tagebau nicht auszuschließen<br />

wäre. Von einer energiewirtschaftlichen<br />

Notwendigkeit des Vorhabens kann also nicht unzweifelhaft<br />

ausgegangen werden. Für die Entscheidungen<br />

<strong>zur</strong> Energiepolitik demokratisch legitimierter<br />

Gremien aber gibt es hinreichend Gründe,<br />

um den Betroffenen das Opfer der Umsiedlung<br />

zuzumuten.<br />

Die Gemeinde Jüchen hat sich verstärkt um eine<br />

Stabilisierung der physischen und sozialen Entwicklung<br />

an den alten Orten bemüht. Das Beratungsangebot<br />

wird im Sinn eines integrierenden<br />

Angebotes erweitert, ein Netz <strong>von</strong> externen Beratungsangeboten<br />

schließt nun auch die psychologische<br />

Beratung ein. Die Entschädigungen sind in<br />

ausreichender Höhe vereinbart, die Transparenz<br />

insbesondere der abschließenden Verhandlungen<br />

ist verbessert. In die Beteiligung am weiteren Verfahren<br />

sind auch die Umsiedlerinnen und Umsiedler<br />

einbezogen, die sich resigniert aus dem bisherigen<br />

Verfahren <strong>zur</strong>ückgezogen haben. Nach Abschluß<br />

der Planungen ist der Zeitraum für die Umsiedlung<br />

reduziert, die meisten Umsiedlungen können<br />

innerhalb <strong>von</strong> fünf Jahren realisiert werden.<br />

Am neuen Ort gibt es für jene Haushalte, die nicht<br />

selbst bauen wollen, differenzierte Angebote <strong>von</strong><br />

Gebäudetypen mit festen Kosten. Im Sinne einer<br />

nachhaltigen Entwicklung erhalten Otzenrath/Spenrath<br />

und Holz am neuen Standort zukunftsfähige<br />

Strukturen. Auch die regionale Entwicklung<br />

läßt erwarten, daß mit neuen Akzenten für<br />

die Zeit nach der Braunkohle langfristig tragfähige<br />

Entwicklungen mit innovativen Konzepten eingeführt<br />

sind. Die Umsiedlung ist entsprechend den<br />

bisherigen Erwartungen weitgehend gemeinsam zu<br />

bewältigen. Eine begleitende Beobachtung und<br />

Dokumentation des Geschehens ist eingeführt. Im<br />

Konfliktfall kann der vom Land Nordrhein-<br />

Westfalen bestellte Umsiedlungsbeauftragte vermitteln.<br />

Unter diesen Bedingungen ist es möglich, eine<br />

Umsiedlung sozialverträglich zu gestalten.<br />

Szenario 2<br />

Der Ablauf des Tagebaus und des Umsiedlungsgeschehens<br />

verzögert sich. Diese Erfahrung<br />

kennen die Betroffenen bereits. Nach<br />

Braunkohlenplan war es vorgesehen, daß <strong>von</strong><br />

1997 an baureife Grundstücke am Umsiedlungsstandort<br />

angeboten werden, dies ist nun<br />

erst für Mitte 2000 zu erwarten. Das Umsied-<br />

lungsgeschehen sollte zwar innerhalb eines<br />

Zeitraums <strong>von</strong> fünf bis sechs Jahren abgewikkelt<br />

werden, der Tagebau würde jedoch die<br />

Ortslagen zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt<br />

erreichen.<br />

Der Bergbautreibende erfüllt die aus dem Braunkohlenplan<br />

resultierenden Verpflichtungen gegenüber<br />

den Umsiedlerinnen und Umsiedlern. Doch<br />

der verlangsamte Abbaufortschritt wird in der politischen<br />

Diskussion kommentiert, als Zeichen nachlassender<br />

Rentabilität gedeutet und nährt neue<br />

Spekulationen über die mittelfristige Aufgabe des<br />

Projektes Garzweiler II. Das RWE droht bei jeder<br />

Änderung der politischen Rahmenbedingungen, die<br />

Braunkohlenverstromung müsse aus Rentabilitätsgründen<br />

reduziert werden. Die öffentliche Diskussion<br />

um Positionen der Politik und um unüberschaubare<br />

Entwicklungen in den Unternehmen angesichts<br />

der Liberalisierung des Strommarktes<br />

führt zu weitergehenden Verunsicherungen.<br />

In den betroffenen Orten setzt erneut eine Spirale<br />

aus Hoffnung und Verunsicherung ein. Wer sich<br />

längst auf den Wegzug eingestellt hat, wird möglicherweise<br />

seinen Zielort ändern: wer weiß, wann<br />

und ob überhaupt der neue Ort soweit bezogen<br />

sein wird, daß sich ein normales Alltagsleben einstellen<br />

kann. Da scheint es sicherer, sich in einem<br />

bestehenden Wohngebiet anzusiedeln. Wer sich<br />

<strong>von</strong> vornherein nur schwer mit der Umsiedlung abfinden<br />

konnte, schöpft neue Hoffnung, auf Dauer<br />

bleiben zu können. Das Festhalten am alten Ort<br />

scheint wieder eine vernünftige, ja vielleicht sogar<br />

die moralisch bessere Haltung im Vergleich zum<br />

entschlossenen Wegzug zu sein.<br />

Diese Unsicherheiten und Uneindeutigkeiten verlängern<br />

den Umsiedlungsprozeß. Die letzte verschworene<br />

Gemeinschaft kann Jahre am alten Ort<br />

ausharren, der doch keine normalen Alltagsbedingungen<br />

mehr bieten kann.<br />

Irgendwann werden auch die Überbrückungsleistungen<br />

des Bergbautreibenden und der Gewerbetreibenden<br />

eingestellt. Der neue Ort aber steht in<br />

Gefahr, ein Torso zu bleiben, weil nicht genug Umsiedlerinnen<br />

und Umsiedler seiner Lebensfähigkeit<br />

vertrauen. Unter diesen Bedingungen wird es<br />

schwer bis unmöglich, das Gemeinschaftsleben<br />

des Dorfes aufrechtzuerhalten und vom alten auf<br />

den neuen Ort übergehen zu lassen. Es teilt sich in<br />

zunehmend verselbständigte Kreise auf. Wesentliche<br />

Ziele der gemeinsamen Umsiedlung können<br />

nicht erreicht werden.<br />

Die Rahmenbedingungen für Sozialverträglichkeit<br />

sind gefährdet. Auch wenn der Bergbautreibende<br />

seinen Verpflichtungen den Umsiedlern gegenüber


7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven 55<br />

uneingeschränkt nachkommt, auch wenn die Gemeinde<br />

und die übergeordneten Planungsbehörden<br />

die Ziele des Braunkohleplanes Punkt für<br />

Punkt umzusetzen versuchen, stehen all diese<br />

Bemühungen in einem größeren Zusammenhang,<br />

der den Sinn des Vorhabens in Frage stellt. Die<br />

Betroffenen haben den Eindruck, daß sie als<br />

Faustpfand im machtpolitischen Poker um verschiedenste<br />

Ziele benutzt werden. Dies untergräbt<br />

ihr Vertrauen darauf, daß das ihnen zugemutete<br />

Opfer einer Umsiedlung durch hinreichend gute politische<br />

Gründe für den Tagebau gerechtfertigt ist.<br />

Vertrauen ist jedoch eine unverzichtbare Grundlage<br />

für die Akzeptanz der Umsiedlung.<br />

Es kostet eine erhebliche Überzeugungsarbeit der<br />

Verantwortlichen vor Ort, in dieser Situation die Betroffenen<br />

nicht mit ihren Spekulationen und Konflikten<br />

allein zu lassen, sondern möglichst klare, kleinteilige,<br />

einigermaßen konsensfähige Ziele vorzugeben<br />

und unter den Umsiedlerinnen und Umsiedlern<br />

dafür zu werben. Dabei muß auch der<br />

Bergbautreibende uneingeschränkt loyal das Ziel<br />

mittragen, die ursprünglichen Planungen zeitgerecht<br />

umzusetzen. Es kostet ein Mehr an Beratungsarbeit,<br />

um individuelle Verunsicherungen zu<br />

klären. Es kostet ein Mehr an Informations- und<br />

Kommunikationsarbeit der Landesregierung und<br />

des Umsiedlungsbeauftragten, um den Betroffenen<br />

die Möglichkeit zu geben, zwischen Gerüchten und<br />

Fakten zu unterscheiden. Es erfordert weitergehende<br />

Beteiligungsangebote, da immer wieder<br />

gemeinschaftliche Auseinandersetzungen mit den<br />

Rahmenbedingungen erforderlich werden, wo es<br />

eigentlich nur noch um die Entscheidung über<br />

Straßengestaltung am neuen Ort gehen sollte.<br />

Unter diesen Bedingungen wird es zunehmend<br />

schwierig, eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />

im Sinne der Kriterien dieses <strong>Gutachten</strong>s zu<br />

erreichen.<br />

Szenario 3<br />

Die Veränderungen <strong>von</strong> politischen, insbesondere<br />

jedoch <strong>von</strong> wirtschaftlichen Erwägungen<br />

führen im Zeitraum der Umsiedlung<br />

<strong>zur</strong> Entscheidung, den Tagebau auf unbestimmte<br />

Zeit zu verschieben oder ganz aufzugeben.<br />

Die Annahme einer Umsiedlung ohne<br />

Tagebau wird Realität.<br />

Zwar ist die Bedingung einer Reversibilität erfüllt,<br />

real kommt eine Überprüfung der Grundannahmen<br />

jedoch zu spät. Die Umsiedlung, der nun nachträglich<br />

die Legitimation entzogen wird, hat schon begonnen.<br />

Bei der praktischen Bewältigung dieser Situation<br />

stellen sich massive Probleme. Ebenso wie die<br />

grundsätzlichen Entscheidungen zum Tagebau und<br />

<strong>zur</strong> Umsiedlung müssen individuelle Lebensentscheidungen,<br />

auch die bisherigen individuellen<br />

Vereinbarungen <strong>zur</strong> Entschädigung des alten Besitzes<br />

und <strong>zur</strong> Planung neuer Vorhaben überprüft<br />

werden. Neu gewecktes Engagement für den Erhalt<br />

der Bestände am alten Ort auf der einen Seite,<br />

Resignation bei jenen, die sich in ihren Erwartungen<br />

getäuscht sehen, auf der anderen Seite nehmen<br />

zu. Besonderer Kraftanstrengungen bedarf es<br />

sowohl für die öffentlichen wie auch für die privaten<br />

Dienstleistungen, die Zeit des Wieder- und des<br />

Neuaufbaus zu überstehen. Sowohl der alte Ort als<br />

auch der neue Ort bleiben als Ansammlungen <strong>von</strong><br />

mehr oder weniger verbundenen Splittersiedlungen<br />

<strong>zur</strong>ück, in denen ein normales Alltagsleben nur mit<br />

Hilfe langfristiger und aufwendiger Stützungsmaßnahmen<br />

möglich ist. Für das, was als gemeinsame<br />

Umsiedlung Kernstück der Sozialverträglichkeitsbemühungen<br />

ist, gibt es weder am neuen noch am<br />

alten Ort genügend Substanz. Beide Orte können<br />

entweder darum konkurrieren, legitime Nachfolger<br />

des durch Braunkohlenplanung (nicht Tagebau)<br />

zerstörten Gemeinwesens zu sein, oder sie können<br />

den äußerst belastenden Versuch unternehmen,<br />

langfristig eine Dorfgemeinschaft über Distanzen<br />

zu leben.<br />

Nicht-Realisierung <strong>von</strong> Vorhaben kann Ökosysteme<br />

in letzter Minute retten. Für dörfliche Gemeinschaften<br />

gilt das mit Beginn der gemeinsamen<br />

Umsiedlung nicht mehr. Sie sind dann längst nicht<br />

mehr die ursprünglichen, vom Vorhaben unberührten<br />

Gemeinschaften. Sie haben als tagebaubetroffene,<br />

als umsiedlungsbetroffene Gemeinschaft<br />

längst eine Art Übergangs-Identität angenommen<br />

mit dem Ziel, am neuen Ort zu neuer Normalität zu<br />

gelangen. Sozialverträglichkeitskriterien befassen<br />

sich mit dieser Situation und dieser Aufgabe. Wenn<br />

der Tagebau jedoch aufgegeben wird, entsteht eine<br />

völlig neue Situation. Das Instrumentarium und<br />

die Wertkriterien für Sozialverträglichkeit, wie sie<br />

diesem <strong>Gutachten</strong> zugrundeliegen, decken diesen<br />

Fall nicht ab.<br />

Wenn zumindest zwei zentrale Voraussetzungen<br />

für Sozialverträglichkeit nicht gegeben sind – weder<br />

die Einsicht in die energiepolitische Notwendigkeit<br />

des Vorhabens noch die gemeinsame Umsiedlung<br />

– kann nicht mehr <strong>von</strong> Sozialverträglichkeit<br />

gesprochen werden.


56 Literatur<br />

Literatur<br />

Alemann, U. v., Böckler M., Liesenfeld, J., Sozialverträgliche<br />

Technikgestaltung. Aktuelle Ansätze sozialer Gestaltung<br />

<strong>von</strong> neuen Technologien am Beispiel Nordrhein-<br />

Westfalen, in: Bartölke u.a. (Hg.), S. 120-132, Bonn 1987<br />

Berger, G., Aus der Sicht eines Betroffenen, in: Bauwelt<br />

1988 H. 31 S. 1295-1297<br />

Beck, Ulrich, Risikogesellschaft. Auf dem Wege in eine<br />

andere Moderne, Frankfurt/M 1986<br />

Beywl, W., Standards für die Evaluation <strong>von</strong> Programmen,<br />

in: Sozialwissenschaften und Berufspraxis 4/98,<br />

Opladen 1998<br />

Bischoff, A., Selle, K., Sinning, H., Informieren, Beteiligen,<br />

Erörtern. Kommunikation in Planungsprozessen.<br />

Eine Übersicht zu Formen, Verfahren, Methoden und<br />

Techniken, 2. Auflage Dortmund 1996<br />

Braun, W., Schneider, K.G., Weiß,G., Braunkohlentagebau<br />

und Umsiedlung im rheinischen Revier. Geostudien<br />

Sonderfolge 3, Köln 1996<br />

Breuer, T., Zur siedlungsgeographischen Problematik<br />

der aktuellen Ortsumsiedlungen im rheinischen Braunkohlenrevier,<br />

in: Berichte <strong>zur</strong> deutschen Landeskunde,<br />

Bd.63 H.1 1989 S.125 – 155<br />

Brückner, M., Umsiedlungen infolge des Braunkohlenbergbaues<br />

im Rheinland. Das Beispiel der Ortsumsiedlungen<br />

im Abbaugebiet Frimmersdorf, in: Geographische<br />

Rundschau, Bd. 41 1989 H.1 S. 31-37<br />

<strong>Bund</strong>eszentrale für politische Bildung (Hg.), Heimat –<br />

Analysen, Themen, Perspektiven. Schriftenreihe Diskussionsbeiträge<br />

<strong>zur</strong> politischen Didaktik Bd. 249, Ulm 1990<br />

Daele, W. van den, Sozialverträglichkeit und Umweltverträglichkeit.<br />

Inhaltliche Mindeststandards und Verfahren<br />

bei der Beurteilung neuer Technik, in: Politische Vierteljahresschrift,<br />

34. Jg. (1993), Heft 2, S. 219-248<br />

Daele, W. van den, Neidhardt, F., Regierung durch Diskussion.<br />

Über den Versuch, mit Argumenten Politik zu<br />

machen, in: dies. (Hg.), Kommunikation und Entscheidung.<br />

Politische Funktionen öffentlicher Meinungsbildung<br />

und diskursiver Verfahren, Berlin 1996<br />

Dickmann, F., Anspruch und Wirklichkeit <strong>von</strong> Ortsumsiedlungen<br />

im Rheinischen Braunkohlenrevier, Aachener<br />

Geographische Arbeiten 1995<br />

Dickmann, F., Umsiedlungsatlas des Rheinischen<br />

Braunkohlereviers, Landschaftsverband Rheinland, 1996<br />

Ebert, R., Gnad, F., Stierand, R., Informieren – Erörtern<br />

– Verhandeln. Stufen der Bürgerbeteiligung auf regionaler<br />

Ebene, in: RaumPlanung 57 (1992), S. 89 - 97<br />

Enneper, B., 25 Jahre Gemeinde Inden, in: Geschichtsverein<br />

Gemeinde Inden (Hg.), Band 4, Altvertrautes -<br />

Neugesehen, Inden 1997<br />

Enquete-Kommission des Deutschen <strong>Bund</strong>estages<br />

(Hg.), Zukünftige Kernenergie - Politik, Bonn 1980<br />

Fetzer, J., Schönes altes Dorf - schönes neues Dorf?, in:<br />

Skizzen aus der Lausitz. Region und Lebenswelt im Umbruch,<br />

Institut für Europäische Ethnologie (Hg.), Bautzen<br />

1997<br />

Förster, F., Ethnosoziale Aspekte der Siedlungsdevastation<br />

im Lausitzer Braunkohlenrevier 1924 bis 1993, in:<br />

H.L. Cose (Hg.), Kulturgrenze und nationale Identität,<br />

1994<br />

Gaßner, H., Holznagel, B., Lahl, U., Mediation -<br />

Verhandlungen als Mittel der Konsensfindung bei<br />

Umweltstreitigkeiten, Bonn 1992<br />

Geipel, R., Territoriale Bewußtwerdungsprozesse durch<br />

Fremdbestimmung regionaler Entwicklung, in: Informationen<br />

<strong>zur</strong> Raumentwicklung 1987, Heft 7/8, S. 403-407<br />

Glässer, E., Etzweiler, Manheim und Morschenich. Eine<br />

sozio-ökonomische Analyse rheinischer Bördensiedlungen<br />

im Tagebaubereich Hambach I, (Kölner Forschungen<br />

<strong>zur</strong> Wirtschaft- und Sozialgeographie, Bd. 36) Köln<br />

1989<br />

Henkel, G., Schadet die Wissenschaft dem Dorf?, Paderborn<br />

1990<br />

Heske, H., Verlorene Heimat – Anmerkungen zum Beitrag<br />

<strong>von</strong> M. Brückner: Umsiedlungen infolge des Braunkohlenbergbaus<br />

im Rheinland, in: Geographische Rundschau<br />

41 H. 7-8 (1989) S.444<br />

Hoffmann, M., Die Kohlearbeiter <strong>von</strong> Espenhain, in: Soziale<br />

Milieus in Ostdeutschland, Köln 1995, S. 91 - 135<br />

ILS (Institut für Landes – und Stadtentwicklungsforschung<br />

des Landes <strong>NRW</strong>), Szenarien in der Stadtentwicklung-<br />

Zum Stand der Diskussion, Dortmund 1989<br />

Klahsen, E., Von der Ruhren, N., Das Rheinische Braunkohlenrevier<br />

Teil III: Braunkohlentagebau und Umsiedlungen,<br />

Rheinbraun (Hg.), Köln 1990<br />

Krüger, R., Den regionalen Dialog fördern – Szenarien<br />

für den Großraum Hannover, in: Selle, K. (Hg.), Planung<br />

und Kommunikation. Gestaltung <strong>von</strong> Planungsprozessen<br />

in Quartier, Stadt und Landschaft, Wiesbaden und Berlin<br />

1996, S.224-225<br />

Kunst, F., Infrastruktur im ländlichen Raum unter den<br />

Bedingungen funktionsräumlicher Maßstabsvergrößerung,<br />

in: Informationen <strong>zur</strong> Raumentwicklung 1989, S.<br />

39-50<br />

Kurze, K.-H., Sozialverträglichkeit im Kontext der katholischen<br />

Soziallehre, in: Sevenich, R., Brendel, P., Gellrich,B.<br />

(Hg.), Sozialverträglich? Garzweiler II Teil 2, Aachen<br />

1996<br />

Mussel, C., Sozialverträglichkeit durch Aushandeln. Zur<br />

Notwendigkeit diskursiver Prozesse im Umgang mit<br />

Umweltgiften in bewohnten Gebieten, in: Nachrichten-


Literatur 57<br />

blatt <strong>zur</strong> Stadt- und Regionalsoziologie, 9. Jg, Nr. 2,<br />

1995, S.57-65<br />

Renn, O., Albrecht, G., Kotte, U., Peters, H. P., Stegelmann,<br />

H. U., Sozialverträgliche Energiepolitik, Ein Gutachen<br />

für die <strong>Bund</strong>esregierung, München 1985<br />

Schmitten, D., Krieg gegen die Natur, in: Sevenich, R.,<br />

Brendel, P., Gellrich,B. (Hg.), Sozialverträglich?<br />

Garzweiler II Teil 2, Aachen 1996<br />

Schrutka-Rechtenstamm, A. (Hg.), Was bleibt ist die Erinnerung.<br />

Volkskundliche Untersuchungen zu Dorfumsiedlungen<br />

im Braunkohlenrevier, (Bonner kleine Reihe<br />

<strong>zur</strong> Alltagskultur 1) Erkelenz 1994<br />

Selle, K. Planung und Kommunikation. Gestaltung <strong>von</strong><br />

Planungsprozessen in Quartier, Stadt und Landschaft,<br />

Wiesbaden und Berlin 1996<br />

Sevenich, R., Gellrich, B.(Hg.), Sozialverträglich? Arbeitshilfen<br />

zum Braunkohlenplan Garzweiler II. Teil 1,<br />

Aachen 1993<br />

Sevenich, R., Brendel, P., Gellrich, B. (Hg.), Sozialverträglich?<br />

Garzweiler II Teil 2, Aachen 1996<br />

Stierand, R., Neuorientierung in der Planungstheorie?<br />

In: RaumPlanung 61, 1993, S. 141-147<br />

Wiedemann, P. M., Mediation bei umweltrelevanten Vorhaben:<br />

Entwicklungen, Aufgaben und Handlungsfelder,<br />

Forschungszentrum Jülich (Hg.): Arbeiten <strong>zur</strong> Risiko-<br />

Kommunikation, Heft 40, 1993<br />

Wirth, A., Bewahrung lokalen Bewußtseins bei Umsiedlungsmaßnahmen<br />

im Rheinischen Braunkohlenrevier, in:<br />

Berichte <strong>zur</strong> deutschen Landeskunde Bd. 64 1990 H.1 S.<br />

157-173<br />

Zlonicky & Partner, <strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong> zeitgleichen oder zeitversetzten<br />

Umsiedlung <strong>von</strong> Pier, Dortmund 1988<br />

Zlonicky & Partner, <strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong> Beurteilung der Sozialverträglichkeit<br />

<strong>von</strong> Umsiedlungen im Rheinischen<br />

Braunkohlenrevier, Dortmund 1990


58 Literatur<br />

Quellen<br />

Bezirksregierung Köln, Braunkohlenplan Garzweiler II,<br />

Textliche Darstellung und Erläuterungsbericht, Köln 1995<br />

Bezirksregierung Köln (Hg.), Information <strong>zur</strong> Braunkohlenplanung<br />

1a, Rechtsgrundlagen, 1997<br />

Bezirksregierung Köln (Hg.), Information <strong>zur</strong> Braunkohlenplanung<br />

1b, Organisation und Verfahren, 1998<br />

Bistum Aachen (Hg.), Positionen und Erklärungen zu<br />

Garzweiler II, Stellungnahmen des Bistums Aachen,<br />

1998<br />

<strong>Bund</strong>esministerium für Raumordnung, Bauwesen und<br />

Städtebau, ExWoSt-Informationen, Heft 19.2, 1996<br />

Diakonisches Werk, Beratungs- und Begleitungsangebote<br />

für die <strong>von</strong> dem geplanten Tagebau Garzweiler II betroffenen<br />

BürgerInnen in Otzenrath, Spenrath und Holz,<br />

Konzeptentwurf Jan. 1995<br />

Gemeinde Inden, Informationen (Informationsheft), Neuauflage<br />

1996<br />

Gemeinde Jüchen, Städtebauliche Dokumentation Umsiedlung<br />

Garzweiler/Priesterath/ Stolzenberg/Jüchen,<br />

Südliche Jüchener Straße, 1997<br />

Jansen, P., Untersuchung über die Ansiedlung <strong>von</strong> Einzelhandelsbetrieben<br />

in der Gemeinde Elsdorf, Köln 1987<br />

Jansen, P., Umsiedlungsbefragung in Etzweiler und der<br />

Gesolei im Auftrag der Gemeinde Elsdorf, Köln 1989<br />

Lögters, C., Mayers, E., Rheinbraun (Hg.), Entwicklungstendenzen<br />

in der Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungsstandorten,<br />

Ein Stück Umsiedlungsgeschichte, Braunkohle Sonderdruck<br />

4/86<br />

Lögters, C., Mayers-Beecks, E., Oppenberger, H., Umsiedlungen<br />

im Blickwinkel der Deutschen Braunkohlenindustrie,<br />

(Vorabentwurf) Köln 1999<br />

Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft,<br />

Genehmigung des Braunkohlenplans Garzweiler<br />

II. Erlaß und Erläuterung <strong>zur</strong> Genehmigung, Düsseldorf<br />

31.3.1995<br />

Mayers-Beecks, E., Temburg, M., Weiterentwicklung der<br />

Bürgerbeteiligung bei Umsiedlungen im rheinischen<br />

Braunkohlenrevier, in: Braunkohle - Surface Mining, Heft<br />

Nr. 5 1998, S. 491-495<br />

Nordrhein-westfälischer Verfassungsgerichtshof: Urteil<br />

vom 29.4.1997 in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren<br />

der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag<br />

Nordrhein-Westfalen gegen den Landtag Nordrhein-<br />

Westfalen<br />

Planungsgruppe H. Heldmann, Prof. H. Ulrich, K.W.<br />

Schrey, Prof. G. Hülsmann, Die Baufibel, Inden 1991<br />

Planungsgruppe Prof. Ulrich und Partner, Umsiedlung<br />

Etzweiler /Gesolei: Bauen und Gestalten, Aachen 1994<br />

Regierungspräsident Köln, Geschäftsstelle des Braunkohlenausschusses,<br />

Braunkohlenplan Inden, räumlicher<br />

Teilabschnitt II, Köln 1990<br />

Regierungspräsident Köln (Hg.), Geschäftstelle des<br />

Braunkohlenausschuß, Protokoll des Braunkohlenausschuß<br />

vom 30.5.1990<br />

Regierungspräsident Köln (Hg.), Geschäftstelle des<br />

Braunkohlenausschuß, Protokoll des Braunkohlenausschuß<br />

vom 22.3.1993<br />

Regierungspräsident Köln (Hg.), Braunkohlenplan Hambach,<br />

Sachlicher Teilabschnitt, Umsiedlung Etzweiler/Gesolei,<br />

1994<br />

Regierungspräsident Köln (Hg.), Informationen <strong>zur</strong><br />

Braunkohlenplanung 4, Umsiedlerfibel, Ein Handbuch für<br />

Umsiedler im Rheinischen Braunkohlenrevier, Stand<br />

1984, Köln 1984<br />

Regierungspräsident Köln (Hg.), Informationen <strong>zur</strong><br />

Braunkohlenplanung 5, Umsiedlerfibel, Ein Handbuch für<br />

Umsiedler im Rheinischen Braunkohlenrevier, Stand<br />

1992, Köln 1992<br />

Regierungspräsident Köln (Hg.), Konzept der landesplanerischen<br />

Festlegung <strong>von</strong> Umsiedlungsflächen in Braunkohlenplänen,<br />

Standortfindung für Etzweiler und die Gesolei-Siedlung,<br />

Köln 1990<br />

Regionalsynode Energie der Kirchenkreise Aachen,<br />

Gladbach, Jülich, Köln-Nord, Köln-Süd und Krefeld, Die<br />

Sozialverträglichkeit der Braunkohlenplanung und ihrer<br />

Folgen für die Betroffenen, Beschluß I vom 25.9.1993 in<br />

Jüchen-Otzenrath<br />

Rheinbraun, Angaben <strong>zur</strong> Prüfung der Sozialverträglichkeit,<br />

Umsiedlung Otzenrath, Spenrath und Holz, Köln<br />

August 1992<br />

Rheinbraun, Angaben <strong>zur</strong> überschlägigen Beurteilung<br />

der Sozialverträglichkeit, Tagebau Garzweiler II, Köln<br />

März 1992<br />

Rheinbraun (Hg.), Die Umsiedlung <strong>von</strong> Inden und Altdorf,<br />

Köln 1999<br />

Rheinbraun (Hg.), Rheinbraun informiert zum Thema<br />

Umsiedlung. Garzweiler und Priesterath, Aachen 1990<br />

Rheinbraun (Hg.), Rechtliche Grundlagen für die Arbeit<br />

<strong>von</strong> Rheinbraun, (Informationsblatt.) Köln 1991<br />

Rheinbraun, Soziales Anforderungsprofil für die Umsiedlung<br />

<strong>von</strong> Etzweiler und Gesolei, Köln August 1991<br />

Rheinbraun, Tagebau Garzweiler II, Angaben <strong>zur</strong> überschlägigen<br />

Beurteilung der Sozialverträglichkeit, Köln<br />

1992<br />

Rheinbraun, Zum Beispiel Garzweiler- Priesterath, Eine<br />

Umsiedlung im Rheinischen Braunkohlenrevier, 2. Auflage<br />

1993


Literatur 59<br />

Rheinbraun, Brief <strong>von</strong> Rheinbraun an das MURL, Beratungskostenpauschale<br />

für Wohnungsmieter bei Umsiedlungen<br />

im Rheinischen Braunkohlenrevier, 22.04.1994<br />

Rheinbraun, Gemeinsam die Umsiedlung gestalten – Ein<br />

Beitrag <strong>zur</strong> Kommunikation- Wege <strong>zur</strong> Verbesserung<br />

<strong>von</strong> Information, Beratung, Betreuung und Mitwirkung,<br />

Köln 1997<br />

Thünker, H., Standortuntersuchung für die gemeinsame<br />

Umsiedlung Etzweiler und Gesolei-Siedlung der Gemeinde<br />

Elsdorf, <strong>Kurzfassung</strong> vom 23.10.1990<br />

Ulrich, H., Baufibel für den Umsiedlungsstandort Inden/Lamersdorf,<br />

1992<br />

Vereinte Initiativen - Bürger gegen Abbau Garzweiler II<br />

(Hg.), Stellungnahme zum Zlonicky-<strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit<br />

<strong>von</strong> Umsiedlungen im Rheinischen<br />

Braunkohlenrevier, Erkelenz, o. J.


60 Literatur

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!