Hungerinseln« im Rhein - Schlossgut Diel

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Der Begriff »Hungerinseln« stammt aus alter Zeit, als die Schiffe noch von Flößern mit Seilen durch das enge Mittelrheintal gezogen wurden. Bei Niedrigwasser erschienen auf dem Rhein die steinigen Inseln und die Flößer hatten keine Arbeit mehr und mussten deshalb »hungern«. 2003 hat der Rhein einen historischen Niedrigstand an Wasser gehabt, was man auch für die Weinberge behaupten kann. Ein Jahrhundertjahrgang? Ganz sicher ein außergewöhnlicher und extremer Jahrgang, wie er nur ganz selten in einem Jahrhundert vorkommt. Bedeutet es auch gleichzeitig herausragende Qualität? Offenkundig nicht überall. Klar ist, dass der Jahrgang 2003 zu heiß und zu trocken für viele Weinberge war. Für die Winzer stellte er große Herausforderungen an die Arbeit im Weinberg und im Keller. 2003 brachte hohe und allerhöchste Mostgewichte, wie man sie in dieser eigentlich recht nördlichen Region gar nicht kennt. Joachim Ratzenberger, der VDP-Chef am Mittelrhein berichtet von einem Phänomen: »Weine unter 90 Öchsle haben wir überhaupt nicht geerntet.« Und sein Oberweseler Kollege Jörg Lanius verrät gar, dass er einen Riesling exakt mit dieser Gradation auf die Literflasche abgefüllt habe, also einem Reifegrad bei dem man sonst am Mittelrhein schon Auslese auf´s Etikett schreiben darf. Aber dafür sind die Erntemengen im Jahr 2003 extrem niedrig ausgefallen. Wo in üblichen Jahren die Säure schon mal zu hoch und das Volumen der Weine eher etwas zu leicht ausfällt, war es diesmal eher umgekehrt; die Weine wirken oftmals geradezu opulent, gar eine Spur zu alkoholbetont und man lassen die sonst schon mal allzu garstige Säure vermissen. Erstmals gab es 2003 eine europaweite Ausnahmeregelung, welche die Zugabe von Weinsäure erlaubt, wie sie in den südlichen Ländern des Kontinents und in der Neuen Welt völlig üblich ist. Viele Spitzenwinzer haben davon – sei es aus Angst vor der eigenen Courage oder aus Weitsicht – keinen oder nur differenziert Gebrauch gemacht und siehe da: die Weine ohne Säurezusatz wirken meist harmonischer und natürlicher. Bei vielen nachgesäuerten Weinen - erst recht wenn der Eingriff nicht schon beim Most, sondern erst beim fer- XXXXngut St. Antony«: Betriebsleiter Dr. Alexander Michalsky inmitten seiner Reben bei Nierstein. Seine 2002er Kollektion lässt an die besten Zeiten des tig vergorenen Wein erfolgte - stehen Süße und Säure neben- GROSSE UND KLEINE JAHRGÄNGE einander, ohne eine rechte Harmonie einzugehen. Aus- Jahr Bewertung Trinkreife nahmen bestätigen diese Re- 2003 ★★★ bis 2006 gel! Bleibt abzuwarten, wie 2002 ★★★★ bis 2008 sich die Weine in zwei bis drei 2001 ★★★ bis 2005 Jahren oder gar einem Jahr- 2000 ★★ jetzt zehnt präsentieren. 1999 ★★ jetzt Unsere Verkostungen er- 1998 ★★★ jetzt gaben, dass die Schwierigkei- 1997 ★★★ jetzt ten beim Jahrgang 2003 eher 1996 ★★★★ jetzt im trockenen Geschmacksbe- 1995 ★★★ jetzt reich liegen, weniger bei den halbtrockenen oder edelsüßen Weinen. Die trockenen Ries- 1994 ★★★★ jetzt linge fallen für den Mittelrhein, wie schon gesagt, ausgesprochen wuchtig aus, Alkoholwerte von 13 Prozent und mehr sind keine Ausnahme. Sicher passen diese kräftigen Weine gut zu einem gehaltvollen Essen, aber machen sie wirklich Lust auf ein zweites oder gar drittes Glas, zu schweigen von einer zweiten Flasche? Meist fehlt es an jener belebenden, frischen Art, wie sie für viele Weines des Jahrgangs 2002 typisch war, ganz zu schweigen von säurebetonten Klassikern des letzten Jahrzehnts, etwa den 94ern oder 96ern. Fast jeder Winzer erntete eine Fülle von Auslesen und etliche sogar Beeren- und Trockenbeerenauslesen in einer Qualität wie seit dem letzten grandiosen Jahr 1976 nicht mehr. Ob man sie in dieser Menge in absehbarer Zeit auch vermarkten kann, steht natürlich auf einem anderen Blatt: Nach wie vor sind im Inland eher trockene Rieslinge beliebt! In der Spitzengruppe Weingüter des Mittelrheins gibt es praktisch keine Veränderung. Nach wie vor bestimmen Peter Jost und Jochen Ratzenberger Ratzenberger aus Bacharach und dem benachbarten Steeg sowie Weingart, Didinger, Müller und Thomas Perll aus dem Bopparder Bereich das Geschehen. Es ist erstaunlich XXXXngut St. Antony«: Betriebsleiter Dr. Alexander Michalsky inmitten seiner Reben bei Nierstein. Seine 2002er Kollektion lässt an die besten Zeiten des alles über WEIN 5 | 2004 63 Weine & Menschen |
64 Weine & Menschen | genug, dass aber nur zwei der vorgenannten Betriebe auch Mitglieder im Verband der Prädikatsweingüter des Gebietes sind, nämlich Jost und Ratzenberger. Die mehr als 30 Kilometer rheinabwärts gelegenen Kollegen in Boppard und Spay sind außen vor, obschon sich die meisten Fachleute darin einig sind, dass die dortigen Weinberge denen im Raum Bacharach qualitativ nicht nachstehen. Dabei wäre für das kleine Anbaugebiet am Rhein dringlicher denn jetzt endlich die Kräfte zu bündeln: Innerhalb von zehn Jahren verringerte sich die Anbaufläche von 700 auf gerade noch 500 Hektar und Jahr für Jahr beobachtet man mit zunehmender Sorge wie immer große Flächen der Brache anheim fallen. Ungewöhnlich genug sind da Rekultivierungsprojekte wie im Oberweseler Oelsberg, wo mit Hilfe der Landesregierung und der Bahn bislang verkarstete Steilhänge mittels Querterrassaierung wieder urbar gemacht werden. Auf Anfrage gibt sich VDP-Chef Ratzenberger scheinbar offen: »Wir müssten es halt irgendwann mal erfahren, wenn es Interesse an einer Mitarbeit im Verband gibt.« Hinter vorgehaltener Hand hört man aus VDP-Kreisen aber auch schon mal anderes: »Die Bopparder sollen erst mal die Erträge reduzieren und ihr Preisniveau anheben, bevor wir über eine Mitgliedschaft im VDP reden!« Mit solchen Sprüche ermuntert man die eher schüchtern wirkenden Shooting-Stars der letzten Jahre ganz gewiss nicht zu forschen Aktivitäten: Florian Weingart und Matthias Müller, beide in Spay bei Boppard zuhause und potenzielle Kandidaten für eine Mitgliedschaft in dem Eliteverein, erzeugen so ganz im Stillen exzellente Weine und verkaufen sie weit überwiegend an eine treue Privat- XXXXngut St. Antony«: Betriebsleiter Dr. Alexander Michalsky inmitten seiner Reben bei Nierstein. Seine 2002er Kollektion lässt an die besten Zeiten des alles über WEIN 5 | 2004 kundschaft. Zu ihren Stärke zählt fraglos, dass sie ihre zehn respektive acht Hektar Rebfläche umfassenden Betriebe nur mit wenig permanentem Personal bewirtschaften und beide Ehefrauen komplett im Betrieb engagiert sind. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass sie ihre Keller komplett auf temperaturgesteuerte Edelstahltanks umgestellt haben und ihre Lesemannschaften immer noch aus umliegenden Gemeinden rekrutieren: »Viele Männer und Frauen gehen weniger des Geldes wegen mit, sondern eher wegen der Geselligkeit,« weiß Matthias Müller, dessen Frau Marianne mittags warmes Essen kocht und nachmittags auch Kaffee und Kuchen in den Weinberg bringt. »Damit hält man die Leute bei Laune, im Sommer hilft ein kroatisches Paar bei den Laubarbeiten!« Seit einem Bandscheibenvorfall im vergangenen Jahr muss sich Müller nun aber schonen, darf nicht mehr schwer tragen, und denkt nun doch über die Einstellung eines festen Mannes nach. Der zehn Jahre jüngere Cousin Florian Weingart ist da schon ein Stück weiter. Neben den sechs Hektar im Bopparder Hamm bewirtschaftet seit 1998 ein Mitarbeiter für ihn vier Hektar im 40 Kilometer südlich gelegenen Diebachtal. Irgendwann könnte sich Weingart sogar vorstellen, die dortige Ruine Fürstenberg als Station am Rheinburgen-Wanderweg begehbar zu machen, vielleicht sogar verbunden mit einem gastronomischen Betrieb. Auch die Müllers haben Pläne: Gleich gegenüber in Spay haben sie ein Grundstück in Augenschein genommen, wo sie ein Gästehaus mit Gutsschänke bauen möchten, sobald die Kinder Interesse am Betrieb zeigen. Außerdem träumt Marianne Müller noch von etwas anderem: Am liebsten würde sie sich an einem Weingut in Südtirol oder der Toskana beteiligen, der Rotweine wegen. ❦ Eine Liste der verkosteten Weine finden Sie auf Seite xxx. Der Mittelrhein auf einen Blick Rebfläche: 505 Hektar • Rebsorten: 70% Riesling, 8% Spätburgunder, 7 Müller-Thurgau XXXXngut St. Antony«: Betriebsleiter Dr. Alexander bei Nierstein. lässt an die besten Zeiten des
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