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Die Ergebnisse des Projekts sind 2012 im Buch - Bruno Kreisky ...

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Eigentum und Geschlecht.<br />

Soziale und ökonomische Handlungsspielräume von Wiener „Juden“ und „Jüdinnen“ in<br />

der ersten Hälfte <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts: Eine sozialhistorische Studie über<br />

Vermögensbildung, NS-Verfolgung und Restitution.<br />

Ein Projekt <strong>des</strong> Zukunftsfonds der Republik Österreich<br />

Projektnummer: P06-0041<br />

Stiftung <strong>Bruno</strong> <strong>Kreisky</strong> Archiv<br />

Projektleitung: Maria Mesner<br />

Endbericht<br />

verfasst von<br />

Sonja Niederacher<br />

Wien, <strong>im</strong> Juni 2008<br />

1


INHALT<br />

1 EINLEITUNG .................................................................................................................................................... 4<br />

2 KONSTRUKTIONEN DES „JÜDISCHEN“ ................................................................................................ 10<br />

ZAHLENSPIELE. ZUR GESCHICHTE STATISTISCHER ERHEBUNGEN VON „JUDEN“, „JÜDINNEN“ UND IHREM<br />

VERMÖGEN ....................................................................................................................................................... 10<br />

Definieren durch Zählen ab der Wende zum 20. Jahrhundert..................................................................... 10<br />

Rassisierungen auf gesetzlicher Grundlage ................................................................................................ 14<br />

<strong>Die</strong> Vermögensverkehrsstelle (VVSt)........................................................................................................... 15<br />

Exkurs: Der Ausstellungskatalog „<strong>Die</strong> Entjudung der Wirtschaft in der Ostmark“................................... 18<br />

Statistische Erhebungen nach 1945............................................................................................................. 19<br />

„JÜDISCHE“ IDENTITÄTEN................................................................................................................................. 21<br />

Das „jüdische“ Fin de Siècle – retrospektiv betrachtet .............................................................................. 21<br />

Opferkonstruktionen <strong>des</strong> „Jüdischen“ in Österreich nach 1945................................................................. 25<br />

3 QUELLEN: VERMÖGENSANMELDUNGEN, DAS SAMPLE UND DIE DATENBANK .................... 29<br />

DIE AKTEN DER VERMÖGENSVERKEHRSSTELLE ALS QUELLE........................................................................... 29<br />

DAS SAMPLE ..................................................................................................................................................... 33<br />

Das Subsample ............................................................................................................................................ 35<br />

DIE DATENBANK ALS HISTORISCHE QUELLE..................................................................................................... 36<br />

4 DIE UNTERSUCHUNGSGRUPPE ............................................................................................................... 38<br />

GESCHLECHT .................................................................................................................................................... 40<br />

ALTERSVERTEILUNG......................................................................................................................................... 41<br />

STAATSANGEHÖRIGKEIT ................................................................................................................................... 41<br />

FAMILIENSTAND ............................................................................................................................................... 42<br />

BERUF............................................................................................................................................................... 42<br />

5 DIE GENDERSPEZIFISCHE VERMÖGENSVERTEILUNG IM JAHR 1938 ....................................... 45<br />

GESAMTVERMÖGEN .......................................................................................................................................... 45<br />

VERBINDLICHKEITEN ........................................................................................................................................ 48<br />

GRUNDVERMÖGEN............................................................................................................................................ 48<br />

BETRIEBSVERMÖGEN ........................................................................................................................................ 49<br />

FINANZKAPITAL................................................................................................................................................ 50<br />

BANKGUTHABEN............................................................................................................................................... 51<br />

VERSICHERUNGEN ............................................................................................................................................ 52<br />

SACHWERTE: SCHMUCK, LUXUSGEGENSTÄNDE, KUNST................................................................................... 52<br />

KAPITALFORDERUNGEN.................................................................................................................................... 53<br />

6 VERMÖGENSBILDUNG AM BEISPIEL VON LIEGENSCHAFTEN UND UNTERNEHMEN.......... 55<br />

LIEGENSCHAFTEN ............................................................................................................................................. 55<br />

Vererben von Liegenschaften ...................................................................................................................... 57<br />

UNTERNEHMEN................................................................................................................................................. 58<br />

Tradierung von Unternehmen...................................................................................................................... 60<br />

7 BERUFLICHE IDENTITÄTEN UND ÖKONOMISCHES HANDELN.................................................... 70<br />

GESCHLECHT UND ZUSCHREIBUNGEN DES „JÜDISCHEN“ IN DER ARBEITSWELT DES BEGINNENDEN 20.<br />

JAHRHUNDERTS ................................................................................................................................................ 71<br />

DIE BEVÖLKERUNGS- UND BESCHÄFTIGUNGSSTRUKTUR IN DER ZWISCHENKRIEGSZEIT .................................. 76<br />

FALLBEISPIELE.................................................................................................................................................. 82<br />

RESÜMIERENDE BETRACHTUNGEN ................................................................................................................... 92<br />

Soziale Mobilität.......................................................................................................................................... 92<br />

Ehestatus ..................................................................................................................................................... 93<br />

Sichtbarkeit.................................................................................................................................................. 94<br />

8 WIRTSCHAFTEN MIT DER FAMILIE ...................................................................................................... 97<br />

UNTERNEHMENSGESCHICHTE VERSUS GESCHLECHTERGESCHICHTE?............................................................... 97<br />

UNTERNEHMERISCHE STABILITÄT UND PROSPERITÄT DURCH EHEVERBINDUNGEN........................................ 101<br />

Verwandtschaften und Unternehmensnetzwerke ....................................................................................... 101<br />

2


Das Heiratsgut: Altersvorsorge und Kapitalspritze .................................................................................. 106<br />

Ehepaar und Compagnie........................................................................................................................... 113<br />

9 NS-ENTZUG UND RESTITUTION ............................................................................................................ 116<br />

„AM FIRMAMENT DER WIRTSCHAFT LEUCHTEN DIESELBEN STERNE WIE AN DEM DES POLITISCHEN LEBENS, DES<br />

SOZIALEN GESCHEHENS UND DES KULTURELLEN WIRKENS.“ VERMÖGENSENTZUG ALS BESTANDTEIL DER NS-<br />

IDEOLOGIE ...................................................................................................................................................... 116<br />

<strong>Die</strong> Perspektive der Betroffenen................................................................................................................ 120<br />

RESTITUTION................................................................................................................................................... 123<br />

Gesetzliche Grundlagen ............................................................................................................................ 124<br />

Auswertung der Datenbank ....................................................................................................................... 125<br />

Restitutionsergebnisse nach AntragstellerInnen ....................................................................................... 127<br />

Restitutionsergebnisse nach Vermögen und Vermögensarten................................................................... 128<br />

VOM SYMBOLWERT DES EIGENTUMSVERLUSTES............................................................................................ 132<br />

10 CONCLUSIO ............................................................................................................................................... 135<br />

BIBLIOGRAPHIE............................................................................................................................................ 138<br />

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS..................................................................................................................... 150<br />

3


1 Einleitung<br />

Als Mitarbeiterin eines Forschungsprojektes der Historikerkommission der Republik<br />

Österreich über „das Vermögen der jüdischen Bevölkerung“ habe ich zusammen mit den<br />

anderen KollegInnen Unmengen an Akten und Dokumenten über den Vermögensentzug der<br />

Nationalsozialisten und nach 1945 die Rückstellungsbemühungen der überlebenden<br />

Geschädigten ausgewertet. 1 Dabei fiel mir auf, wie sehr Vermögensverhältnisse<br />

geschlechtsspezifisch strukturiert waren. Doch leider war in unserem Forschungs<strong>des</strong>ign für<br />

solche Betrachtungen kein Platz eingeräumt worden. <strong>Die</strong> Historikerkommission hatte die von<br />

den Nationalsozialisten als solche kategorisierten „Juden“ als eine der in diesem<br />

Zusammenhang wichtigsten Gruppen neben anderen Gruppen von Verfolgten <strong>im</strong> Blick, und<br />

ging damit sehr differenziert vor. Doch waren Unterschiede, insbesondere das Geschlecht,<br />

innerhalb der Gruppe der „Juden“, nur von äußerst marginaler Bedeutung. Nicht nur dieses<br />

Projekt, auch alle anderen Studien der Historikerkommission, bei denen<br />

Vermögensberechnungen <strong>im</strong> Zentrum stehen, vernachlässigten die Kategorie Geschlecht fast<br />

zur Gänze. Interessanterweise beschäftigten sich Projekte über Zwangsarbeit und andere<br />

Formen der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik sehr wohl mit der Kategorie<br />

Geschlecht, die Historikerkommission zeigte sich also grundsätzlich offen für<br />

wissenschaftliche Ansätze aus den Gender Studies, offenbar wurde aber gerade das Pekuniäre<br />

als ein geschlechtsneutraler Bereich verstanden. <strong>Die</strong>se Beobachtung beschränkt sich nicht nur<br />

auf die Historikerkommission und Arbeiten in Zusammenhang mit der nationalsozialistischen<br />

Raubpolitik. In den Arbeiten zur Geschlechtergeschichte bilden ökonomische Fragen ebenso<br />

ein Minderheitenprogramm. Wie sehr sich Vermögensstruktur und -verteilung<br />

geschlechtsspezifisch bedingen, gehört zwar zum persönlichen Erfahrungsbereich eines/r<br />

jeden Einzelnen, doch scheint es fast so etwas wie Vorbehalte in der historischen<br />

Geschlechterforschung zu geben, sich diesem Thema zu widmen, vor allem, was die jüngere<br />

Vergangenheit betrifft. 2 <strong>Die</strong>se Arbeit verfolgt daher zwei vorrangige Anliegen, einerseits<br />

sollen die bereits bestehenden Forschungen zum nationalsozialistischen Vermögensentzug um<br />

Fragen nach Gendereffekten ergänzt werden, andererseits sollen Geschlechterverhältnisse<br />

1 <strong>Die</strong> <strong>Ergebnisse</strong> wurden veröffentlicht in: Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar,<br />

Barbara Holzheu, Sonja Niederacher, Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen<br />

der jüdischen Bevölkerung Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der<br />

Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und<br />

Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Band 9) Wien/München, 2004.<br />

2 Siehe dazu den Überblick über den jeweiligen Forschungsstand zu Beginn der einzelnen Kapitel.<br />

4


unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet, und hier insbesondere eine Verbindung<br />

zwischen Familien, Vermögen und ökonomischem Handeln hergestellt werden.<br />

<strong>Die</strong>se Studie beginnt mit der Betrachtung der Vermögensverhältnisse der<br />

Untersuchungsgruppe über zwei bis drei Generationen hinweg, noch vor Beginn der<br />

ökonomischen Entrechtung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten. <strong>Die</strong> finanziellen<br />

Möglichkeiten, Vermögen zu erwerben, die Praktiken der Weitergabe und Umverteilung der<br />

später als „Juden“ und „Jüdinnen“ festgeschriebenen Personen, die hier analysiert werden,<br />

<strong>sind</strong> nicht von vorneherein <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem NS-Vermögensentzug zu sehen, denn<br />

nichts, was diese Gruppe getan oder unterlassen hatte, stellte einen Schritt in die Richtung dar,<br />

die die nationalsozialistische Politik schließlich eingeschlagen hat. <strong>Die</strong>ser Zugang ist ein<br />

Versuch, die Geschichte der „Juden“ und „Jüdinnen“ nicht von ihrem Ende her zu lesen, in<br />

einer Weise, die die Vorgeschichte prioritär als Entwicklung auf dem Weg zur Shoah sieht,<br />

sondern unabhängig davon. <strong>Die</strong> Gemeinsamkeit der Personen der in dieser Arbeit analysierten<br />

Untersuchungsgruppe besteht darin, von den Nationalsozialisten aufgrund rassischer Kriterien<br />

als „jüdisch“ definiert worden zu sein. <strong>Die</strong>se Definition verpflichtete sie, ihr Vermögen den<br />

Behörden zu deklarieren. <strong>Die</strong>se Anmeldebögen bilden den zentralen Quellenbestand, auf dem<br />

diese Studie, wie die meisten Arbeiten zum NS-Vermögensentzug, aufbaut. In der Folge<br />

bildet die NS-Definition <strong>des</strong> „Jüdischen“ in sämtlichen Quellen den Ausgangspunkt für die<br />

historische Betrachtung. <strong>Die</strong> durch die Quellen aufgedrängte Bedeutung <strong>des</strong> „Jüdischen“ gilt<br />

es nun zu dekonstruieren, sowohl hinsichtlich von Zuschreibungen als auch von Inhalten. Als<br />

Ausdruck der Distanzierung und um sichtbar zu machen, dass es sich bei der Bezeichnung<br />

„Jüdisch“ um Konstruktionen handelt, die zu verschiedenen Zeitpunkten, aus verschiedenen<br />

Perspektiven gesehen, jeweils Unterschiedliches meinten, werden die Begriffe „Juden“,<br />

„Jüdin“ und „jüdisch“ <strong>im</strong>mer unter Anführungszeichen gesetzt, außer es handelt sich um die<br />

Religionsgemeinschaft. 3 Von Interesse ist jedoch, welche Bedeutung dem „Jüdischsein“ in<br />

verschiedenen Zusammenhängen zukommt, ob es sich um Angehörige einer religiösen<br />

Gemeinschaft handelt, um als „jüdisch“ definierte Händler, um Einwanderer aus Galizien<br />

oder um die rassisch basierte Definition der Abstammung, oder um Opfer <strong>des</strong> Holocaust. <strong>Die</strong><br />

Personen der Untersuchungsgruppe <strong>sind</strong> von sozialer und ökonomischer Heterogenität<br />

gekennzeichnet, den einzelnen Individuen lassen sich nur schwer gemeinsame<br />

3 Zur Verwendung der Begriffe „Juden“ und „Nicht-Juden“ schreibt Ernst Gombrich: „Wir haben kein Wort, das<br />

alle Menschen jüdischer Abstammung bezeichnet und daher können wir nur eine <strong>im</strong> Grunde rassistische<br />

Terminologie verwenden“, Ernst H. Gombrich: Jüdische Identität und jüdisches Schicksal. Eine<br />

Diskussionsbemerkung (hg. von Emil Brix und Frederick Baker), Wien 1997, S. 45.<br />

5


Verhaltenscodices oder gesellschaftliche Positionen zuschreiben. Aber es können Aspekte <strong>des</strong><br />

sozialen Lebens und der finanziellen Verhältnisse <strong>im</strong> Kontext <strong>des</strong> ökonomischen Handelns<br />

betrachtet werden. Der Frage, inwieweit sich das Vermögen und die Geschlechterrollen von<br />

„Juden“ und „Nicht-Juden“ in Wien zu Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts unterschieden, wird in<br />

der vorliegenden Arbeit bewusst keine größere Aufmerksamkeit zuteil, da es kein Anliegen<br />

der Autorin ist, die (meist unter antisemitischem Vorzeichen) konstruierten Trennlinien weiter<br />

zu ziehen, auch sollen die Zusammenhänge zwischen Kapitalismus und Judentum, wie sie in<br />

antisemitischen Diskursen hergestellt werden, nicht affirmiert werden. Ebenso wie das<br />

Konzept der Ass<strong>im</strong>ilation wurde inzwischen in der Geschichtswissenschaft die Annahme<br />

einer Dichotomie zwischen „Juden“ und „Nicht-Juden“ in Wien um die Jahrhundertwende<br />

deutlich relativiert. Der Antisemitismus konstruierte zwar Differenzen, bewirkte aber letztlich<br />

keine Trennung zwischen „Juden“ und „Nicht-Juden“, da es dem Antisemitismus nicht<br />

gelang, eindeutige Grenzen zwischen „Juden“ und „Nicht-Juden“ zu ziehen, <strong>im</strong> Gegenteil<br />

kam es auf vielen Ebenen zu einem „intensiven Miteinander“ und „Interaktionen“, nicht<br />

zuletzt, weil die „jüdische“ Bevölkerung nicht separiert wohnhaft war. In diesem Sinne gab es<br />

auch keine von einander abgegrenzte Mehr- und Minderheit. 4 Differenzierungen in den<br />

Begrifflichkeiten <strong>sind</strong> auch für die Zeit nach 1945 notwendig, allein, um nicht in der<br />

Eind<strong>im</strong>ensionalität <strong>des</strong> Begriffes vom „jüdischen Opfer“ zu verharren.<br />

Was weiß man, wenn man über die Vermögenssituation einer Person Bescheid weiß? <strong>Die</strong><br />

finanziellen Verhältnisse bilden eine Grundlage für Handlungsspielräume und den Lebensstil<br />

oder den Habitus, <strong>im</strong> Sinne Pierre Bourdieus. Sie beeinflussen die Außenwirkung und das<br />

Auftreten eines Menschen, bleiben aber dennoch <strong>im</strong> Detail verborgen und <strong>im</strong> Grunde<br />

Privatsache. Zwischen den tatsächlichen Vermögensverhältnissen und der öffentlichen<br />

Darstellung besteht ein Spannungsverhältnis, das sich meist in einer Diskrepanz ausdrückt, da<br />

das öffentliche Auftreten selten deckungsgleich mit den der dahinterstehenden finanziellen<br />

Basis ist. Kennt man die Vermögensverhältnisse, weiß man mehr, als jemand in der Regel<br />

öffentlich mitteilt, kennt man nur sie, lässt sich aber noch nicht auf den Lebensstil einer<br />

Person schließen, die sei vorausgeschickt.<br />

<strong>Die</strong>se Arbeit konzentriert sich auf die ökonomisch zu definierenden Handlungsspielräume<br />

sowie auf Praktiken der Weitergabe von ökonomischem und, mit Einschränkung, sozialem<br />

Kapital. <strong>Die</strong> Studie geht dabei von der Familie als Grundeinheit aus, wie es auch von einigen<br />

4 Klaus Hödl: Wiener Juden – Jüdische Wiener. Identität, Gedächtnis und Performanz <strong>im</strong> 19. Jahrhundert,<br />

Innsbruck/Wien/Bozen 2006, S. 23-24.<br />

6


Soziologen bei repräsentativen Stichproben angewandt wird. 5 So wird etwa der soziale Status<br />

„als Merkmal familialer Gruppen und nicht als Attribut einzeln erfasster Individuen“<br />

begriffen, da einzelne Statuselemente, die die Verortung <strong>im</strong> sozialen Raum betreffen, von den<br />

Eltern auf die Kindern übertragen werden, auf deren Grundlage diese erst einen eigenen<br />

sozialen Status aufbauen können. 6 Im Kapitel über die beruflichen Identitäten und<br />

ökonomisches Handeln wird auf solche Statusübertragungen eingegangen. Überlegungen zu<br />

monetären Übertragungen innerhalb von Familien werden <strong>im</strong> Kapitel Vermögensbildung<br />

angestellt, am Beispiel von Vererbungspraktiken von Liegenschaften und Unternehmen.<br />

Eigentumsübertragungen innerhalb von Familien wird vor allem in der Sozialanthropologie<br />

bzw. der Historischen Anthropologie große Bedeutung beigemessen, die darin wesentliche<br />

Aspekte gesellschaftlicher Abläufe sehen. 7 Sich auf das Erbrecht zu beziehen, um über<br />

Verwandtschaften zu sprechen, birgt aber auch die Gefahr, die auf der männlichen Linie<br />

beruhenden Verbindungen zu festigen. 8 Ein Versuch, diese agnatischen Linien in der<br />

Herangehensweise zu perforieren, wird <strong>im</strong> Kapitel über die Vermögensbildung durch Erben<br />

unternommen, indem nicht dem Weg <strong>des</strong> Vermögens (in Form <strong>des</strong> Unternehmens) gefolgt<br />

wird, sondern, indem das Verhältnis aller gesetzlich zur Erbschaft berechtigten<br />

Familienmitglieder zur Erbmasse betrachtet wird, unabhängig davon, wie die Erbflüsse<br />

tatsächlich verlaufen. Ähnliches gilt für die Familie als Unternehmensgemeinschaft und<br />

Kapitaltransfers zwischen Verwandten, wie <strong>im</strong> Kapitel Wirtschaften mit der Familie<br />

dargestellt wird. Wirtschaftshistoriker weisen auf die Bedeutung eines Vergleichs zwischen<br />

Haushalts- und Individualeinkommen hin – die Verteilung von Individualeinkommen ist<br />

wesentlich ungleicher als die von Familieneinkommen, da in einem Haushalt das Einkommen<br />

einer gut verdienenden Person, das Einkommen wenig verdienender oder nicht erwerbstätiger<br />

Personen ausgleichen kann. 9 Das unterstreicht die Bedeutung von familiären Beziehungen für<br />

die Vermögenssituation eines jeden Einzelnen. Bei all den genannten Punkten wird nach<br />

Geschlechtereffekten bei Vermögensverteilung und -transaktionen gefragt. Im letzten Kapitel<br />

wird auf die Raubpolitik der Nationalsozialisten sowie auf die nach Ende der NS-Herrschaft<br />

begonnene Restitutionstätigkeit eingegangen.<br />

5 Siehe Daniel Bertaux, Isabell Bertaux-Wiame: „Was du ererbt von deinen Vätern...“ Transmissionen und<br />

soziale Mobilität über fünf Generationen, in: BIOS, 4., Jg., 1991/1, S. 13-40.<br />

6 Daniel Bertaux, Isabell Bertaux-Wiame: „Was du ererbt von deinen Vätern...“ Transmissionen und soziale<br />

Mobilität über fünf Generationen, in: BIOS, 4., Jg., 1991/1, S. 13-40, S. 13.<br />

7 Lawrence M. Friedman: Tod, Eigentum und Familie. <strong>Die</strong> Vereinigten Staaten <strong>im</strong> 19. und 20. Jahrhundert, in:<br />

Hannes Siegrist, David Sugarman (Hg.): Eigentum <strong>im</strong> internationalen Vergleich (18.-20. Jahrhundert), (Kritische<br />

Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 130) Göttingen 1999, S. 45-64.<br />

8 Vgl. Margareth Lanzinger, Edith Saurer: Politiken der Verwandtschaft. Einleitung, in: Margareth Lanzinger,<br />

Edith Saurer (Hg.): Beziehungsnetze, Geschlecht und Recht, Göttingen 2007, S. 7-24.<br />

9 Michael Pammer: Entwicklung und Ungleichheit. Österreich <strong>im</strong> 19. Jahrhundert (Vierteljahrschrift für Sozial-<br />

und Wirtschaftsgeschichte: Beiheft 161) Stuttgart 2002, S. 32.<br />

7


<strong>Die</strong> Historikerkommission wies eindrücklich auf die Schwierigkeit oder gar die<br />

Unmöglichkeit hin, historische Werte auf aktuelle Größen zu berechnen. Das bezieht sich auf<br />

die Wertänderungen während <strong>des</strong> Zweiten Weltkrieges und die Zeit danach, aber es trifft in<br />

nicht geringerem Maße für die Zeit davor ebenso zu. Abgesehen von Quellenproblemen<br />

bereitet vor allem die Frage, wie historische Werte nach heutigen Maßstäben zu beurteilen<br />

<strong>sind</strong>, Kopfzerbrechen. Den einzigen Anhaltspunkt bieten die Verbraucherprei<strong>sind</strong>ices, sie<br />

wurden 1921 in Zeiten der Lebensmittelknappheit und galoppierender Inflation eingeführt,<br />

Messziffernreihen hatte es aber bereits schon vorher bis 1800 zurück gegeben. 10 So berechnet<br />

entsprach ein Altschilling <strong>im</strong> Jahr 1937 34,90 Schilling <strong>im</strong> Jahr 1999. 1 Reichsmark <strong>im</strong> Jahr<br />

1938 käme <strong>im</strong> Jahr 1999 auf 52,87 Schilling. 11 Doch gilt es bei diesen Berechnungen einiges<br />

zu berücksichtigen: In der Zwischenzeit haben sich Lebensstile usw. dermaßen geändert, dass<br />

die dem Warenkorb zugrunde liegenden Produkte sich stark gewandelt haben. Abgesehen<br />

davon <strong>sind</strong> die Kosten für Ernährung und die Einkommen ungleich gestiegen. War zu Beginn<br />

<strong>des</strong> 20. Jahrhunderts die Beschäftigung von zwei Bediensteten die Untergrenze für einen<br />

bürgerlichen Lebensstil, hat dies heute eine gänzlich andere Bedeutung. Auf der anderen Seite<br />

<strong>sind</strong> <strong>im</strong> 21. Jahrhundert Kosten maßgeblich, wie etwa für Gesundheit, Urlaub, Autos usw.,<br />

denen 100 Jahre vorher keine vergleichbare Bedeutung zukam. 12 <strong>Die</strong> Historikerkommission<br />

verzichtete <strong>des</strong>halb auf eine Umrechnung von Vermögenswerten von 1938 oder früheren<br />

Zeitpunkten in heutige Zahlen, auch in der vorliegenden Arbeit werden die Beträge nicht<br />

umgerechnet. Zur Einschätzung der Größenordnungen, da in dieser Arbeit Beträge in vier,<br />

bzw. wenn man den Schilling vor 1938 und den Schilling nach 1945 separat zählt, fünf<br />

verschiedenen Währungen dargestellt werden, sollen einfache Umrechnungsfaktoren, die<br />

nicht auf dem Verbraucherprei<strong>sind</strong>ex, sondern auf dem Wechselkurs zum Stichtag basieren,<br />

dienen.<br />

Geltungszeitraum Währung Umrechnung zum Stichtag<br />

der Umstellung<br />

1816-1892 Gulden<br />

1892-1925 Kronen 1 Gulden = 2 K<br />

1925-1938 Schilling 10.000 K = 1 S<br />

10 Vgl. Vera Mühlpeck, Roman Sandgruber und Hannelore Woitek: Index der Verbraucherpreise von 1800 bis<br />

1979. Eine Rückberechung für Wien und Gebietsstand <strong>des</strong> heutigen Österreich, Wien 1979.<br />

11 Zahlen entnommen aus Oliver Rathkolb et al.: Vermögenswerte jüdischer Kunden und Kundinnen <strong>im</strong><br />

„Postsparkassenamt“ Wien. Naziraub 1938-1945, Zweiter Forschungszwischenbericht, Wien 2000<br />

(unveröffentliches Manuskript).<br />

12 Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 1) Wien/München 2004, S. 61-64.<br />

8


1938-1945 Reichsmark 1,5 S = 1 RM<br />

1945-1999 Schilling 1 RM = 1 S<br />

2002- Euro 1 EUR = 13,7603 S<br />

Mit diesen Zahlen lassen sich die jeweiligen Währungen mit der nächstfolgenden vergleichen,<br />

nicht möglich ist jedoch die Umrechnung von zB Kronen in Euro. Im Mittelpunkt der<br />

folgenden Betrachtungen stehen vor allem Vermögensstrukturen, die Vermögenshöhen <strong>sind</strong><br />

dem nachgeordnet, da sie nur eingeschränkt auf derselben Ebene vergleichbar <strong>sind</strong>.<br />

9


2 Konstruktionen <strong>des</strong> „Jüdischen“<br />

Zahlenspiele. Zur Geschichte statistischer Erhebungen von „Juden“, „Jüdinnen“ und<br />

ihrem Vermögen<br />

Definieren durch Zählen ab der Wende zum 20. Jahrhundert<br />

Ab der Mitte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts erlaubten die technischen Möglichkeiten, die Bevölkerung<br />

und ihre Lebensumstände auf zunehmend differenzierte Weise statistisch zu erfassen.<br />

Generell ging es darum, soziale Veränderungen und ihre Wirkungen auf einzelne Gruppen zu<br />

dokumentieren. <strong>Die</strong> <strong>Ergebnisse</strong> waren politisch vielfach einsetzbar, sie halfen, Argumente für<br />

politische Forderungen zu formulieren. Seit 1869 wurden in Österreich Volkszählungen <strong>im</strong><br />

Abstand von etwa zehn Jahren durchgeführt. Bald setzten die Behörden auch elektrische<br />

Zählmaschinen nach dem Hollerithsystem ein, was eine Multiplikation der Datenmengen zur<br />

Folge hatte, insbesondere die Volkszählung von 1890 stellte vom Umfang der erhobenen<br />

Datenkategorien sowie von den technischen Auswertungsverfahren her „einen Sprung in ein<br />

neues Zeitalter“ dar. 13 Allein bei den Berufen wurden bei dieser Zählung 150 Kategorien<br />

erhoben.<br />

Auch „Juden“ und „Jüdinnen“ gehörten zu den Gruppen, von denen man sich mittels Statistik<br />

ein Bild erstellen wollte, das Aussagen über ihr Zuviel oder Zuwenig in best<strong>im</strong>men Kontexten<br />

ermöglichen sollte. Ende <strong>des</strong> 19. und zu Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts kam es zu angestrengten<br />

Versuchen, „Juden“ durch das Definieren von Merkmalen von „Nicht-Juden“ unterscheidbar<br />

zu machen. Das Konstruieren von „Juden“ durch Zählen stand <strong>im</strong> Zentrum <strong>des</strong><br />

antisemitischen Gedankenfel<strong>des</strong> in der Wissenschaft, in den Medien und in der Politik. Aber<br />

auch von „jüdischer“ Seite selbst versuchte man, aus Furcht vor einem möglichen<br />

Identitätsverlust durch Angleichung, quantitativ festzustellen, wie viele „Juden“ es überhaupt<br />

gab und wie diese sozial und ökonomisch <strong>im</strong> Vergleich zur „anderen“ Bevölkerung gestellt<br />

13 Johannes Ladstätter: Wandel der Erhebungs- und Aufarbeitungsziele der Volkszählungen seit 1869, in:<br />

He<strong>im</strong>old Helczmanovszki (Hg. <strong>im</strong> Auftrag <strong>des</strong> Österreichischen Statistischen Zentralamtes): Beiträge zur<br />

Bevölkerungs- und Sozialgeschichte Österreichs. Nebst einem Überblick über die Entwicklung der<br />

Bevölkerungs- und Sozialstatistik, Wien 1973, S. 267-296, S. 271.<br />

10


waren. Tatsächlich waren die Grenzen zwischen „Juden“ und „Nicht-Juden“ <strong>im</strong> ausgehenden<br />

19. Jahrhundert dabei zu verwischen. Dazu trugen die rechtliche Gleichstellung von Juden<br />

und Christen bei, die Angleichung der Lebensstile sowie die abnehmende Bedeutung der<br />

jüdischen Konfession bzw. die zahlreichen Konversionen. 14 <strong>Die</strong> Best<strong>im</strong>mung von Differenzen<br />

ist jedoch für das Funktionieren von Antisemitismus essentiell, doch nun konnten<br />

Unterschiede nicht mehr an der Religion oder kulturellen Formen festgemacht werden. <strong>Die</strong><br />

Lösung war, Unterscheidungsmerkmale über den Körper bzw. die „Rasse“ zu konstruieren. 15<br />

<strong>Die</strong> gesetzlichen Definitionen kannten an sich nur die Religionszugehörigkeit als<br />

Unterscheidungskriterium. Auch Volkszählungen boten nur die Konfession als Kategorie zur<br />

Sichtbarmachung von „Juden“ an. Vor der Volkszählung von 1934 wurden jedoch<br />

Möglichkeiten diskutiert, „Juden“ über die Religion hinaus zu erfassen, jedoch wurde keine<br />

geeignete Formulierung gefunden, als Hinweis wurden Ort und Land der Geburt zugefügt, um<br />

zumin<strong>des</strong>t daraus Rückschlüsse auf eine „jüdische“ „Herkunft“ z. B. aus Galizien ziehen zu<br />

können. 16 Viele Vereine und Organisationen behalfen sich ebenfalls mit anderen<br />

Unterscheidungsmerkmalen als der Konfession, indem sie zum Beispiel die<br />

„Deutschblütigkeit“, also die Abstammung, als Maßstab heranzogen und Personen, deren<br />

Überprüfung der Vorfahren jüdische Verbindungen ergaben, von der Mitgliedschaft<br />

ausschlossen, was in so genannten „Arierparagraphen“ fest geschrieben war. 17 Be<strong>im</strong><br />

Optionsrecht, das regelte, wie ehemalige BürgerInnen Österreich-Ungarns nach dem Ersten<br />

Weltkrieg die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben konnten, wurden Wege gefunden,<br />

Flüchtlinge abzuweisen, die in der öffentlichen Wahrnehmung als „Ostjuden“ galten. 18 Dabei<br />

wurden die Kriterien von St. Germain, die sich auf Sprache und ethnische Zugehörigkeit<br />

bezogen, als Abstammung in rassistischem Sinne interpretiert, um gezielt „Juden“ aus<br />

Galizien vom Optionsrecht auszuschließen. Es wird angenommen, dass davon etwa 25.000<br />

14 Siehe dazu Anna Staudacher: Jüdisch-Protestantische Konvertiten in Wien 1782-1914, Frankfurt am<br />

Main/Wien 2004.<br />

15 Körperbildern kommt in antisemitischen Diskursen eine wichtige Bedeutung zu. Vgl. A.G. Gender-Killer<br />

(Hg.): Antismemitismus und Geschlecht. Von „maskulinisierten Jüdinnen“, „effeminierten Juden“ und anderen<br />

Geschlechterbildern, Münster 2005; Sander L. Gilman: The Jew’s Body, New York 1991.<br />

16 Peter Melichar: Definieren, Identifizieren, Zählen. Antisemitische Praktiken in Österreich vor 1938, in: ÖZG,<br />

17. Jg. 2006/1, S. 114-146, S. 131-132.<br />

17 Peter Melichar: Definieren, Identifizieren, Zählen. Antisemitische Praktiken in Österreich vor 1938, in: ÖZG,<br />

17. Jg. 2006/1, S. 114-146, S. 117.<br />

18 Vgl. Beatrix Hoffmann-Holter: „Abreisendmachung“. Jüdische Kriegsflüchtlinge in Wien 1914 bis 1923,<br />

Wien/Köln/We<strong>im</strong>ar 1995.<br />

11


Personen betroffen waren, in der zeitgenössischen antisemitischen Presse war von 100.000 die<br />

Rede. 19<br />

Da die offiziellen Statistiken also nicht geeignet waren, um „Juden“ nach den Kriterien der<br />

Antisemiten dieser Zeit zu erfassen, wurden, wie Peter Melichar ausführt, Zahlen auch ganz<br />

einfach erfunden: 1924 veröffentlichten zwei Zeitungen, der Eiserne Besen und der<br />

Nationalsozialist, „Judenkataster“, die Namen und Adressen von Unternehmern enthielten,<br />

deren „Jüdischsein“ auf Vermutungen und Denunziation beruhte. Vorhaben, einen solchen<br />

öffentlichen Kataster für alle Juden und deren Vermögen anzulegen, wurden angedacht,<br />

konnten aber nicht umgesetzt werden. Derartige Auflistungsversuche von „Juden“, die die<br />

ganzen 1920er und 1930er hindurch unternommen wurden, hatten den mehrheitlichen Zweck,<br />

zum Boykott der als solche identifizierten „jüdischen“ Geschäfte und Unternehmen<br />

aufzurufen. 20<br />

Während die Antisemiten die Existenz, die für sie von Vorneherein ein Zuviel an „Juden“<br />

bedeutete, als Gefahr propagierten, befürchteten zur selben Zeit die sich selbst als „Juden“<br />

Bezeichnenden, diese als konfessionelle Gruppe wären <strong>im</strong> Schwinden begriffen. In der der<br />

Folge zeigte auch die „jüdische“ Gemeinde Interesse an statistischen Definitionen, wenn auch<br />

aus anderen Beweggründen. So stellte Leo Goldhammer <strong>im</strong> Vorwort seiner statistischen<br />

Studie über „<strong>Die</strong> Juden Wiens“ aus dem Jahr 1927 die Sorge um den Fortbestand der<br />

„jüdischen Gemeinde“ in Wien in den Vordergrund. 21 Als Probleme der „jüdischen<br />

Gemeinde“ führte er Geburtenrückgänge, Mischehen und zurück gehende<br />

Einwanderungszahlen aufgrund der neuen Grenzen zwischen den Ländern der ehemaligen<br />

Monarchie an. <strong>Die</strong>se Bevölkerungsstatistik sollte zum politischen Handeln auffordern, um<br />

Gegenmaßnahmen zum Bevölkerungsrückgang der „Juden“ zu setzen. <strong>Die</strong>se Studie ist nur ein<br />

Beispiel von mehreren für den Versuch, die Zahl der „Juden“ zwecks Selbstlegit<strong>im</strong>ation und<br />

Selbstvergewisserung quantitativ fest zu machen. 22 Leo Goldhammers Statistiken beruhen auf<br />

der Definition <strong>des</strong> „Jüdischen“ durch die Religionszugehörigkeit. Er sprach auch, allerdings<br />

nur sehr kurz, die Schwierigkeiten an, „Juden“ aus den offiziellen Bevölkerungsstatistiken<br />

19<br />

Albert Lichtblau: Antisemitismus. Rahmenbedingungen und Wirkungen auf das Zusammenleben von Juden<br />

und Nichtjuden, http://www.sbg.ac.at/ges/people/lichtblau/antisem.htm, 12. April 2007; Leo Goldhammer: <strong>Die</strong><br />

Juden Wiens: eine statistische Studie, Wien 1927, S. 12-14.<br />

20<br />

Peter Melichar: Definieren, Identifizieren, Zählen. Antisemitische Praktiken in Österreich vor 1938, in: ÖZG,<br />

17. Jg. 2006/1, S. 114-146, S. 131-134.<br />

21<br />

Leo Goldhammer: <strong>Die</strong> Juden Wiens: eine statistische Studie, Wien 1927.<br />

22<br />

Veröffentlichungen <strong>des</strong> Bureaus für Statistik der Juden, Berlin 1905- siehe auch: Zeitschrift für Demographie<br />

und Statistik der Juden, Berlin 1905-.<br />

12


herauszuschälen, scheute dabei nicht vor Vermutungen zurück, zum Beispiel, als er schrieb:<br />

„Obwohl eine die Konfession berücksichtigende Zählung der in den neuen Gemeindehäusern<br />

untergebrachten Parteien nicht vorhanden ist, so kann doch erfahrungsgemäß ohneweiters<br />

angenommen werden, dass nicht einmal ein Prozent dieser Wohnungen jüdischen Familien<br />

zugewiesen worden <strong>sind</strong>“. 23 Auch hier wurde also mit Zahlen jongliert und diese für die<br />

eigene Argumentation zurechtgebogen. Neben demographischen Erhebungen beschäftigte<br />

sich Goldhammer auch mit Kr<strong>im</strong>inalitätsraten von „Juden“ und „Nicht-Juden“. Er kam<br />

allgemein zum Schluss, „dass die Juden Wiens alle jene Eigenschaften, in gutem wie in<br />

schlechtem Sinne, aufweisen, die wir bei einer jeden großstädtischen Bevölkerung beobachten<br />

können“. 24 Aber: „Nichts<strong>des</strong>toweniger bildet die Judenschaft Wiens eine in sich geschlossene<br />

Ganzheit, die sich von den Nichtjuden nicht bloß durch ihre Gedanklichkeit, ihre Konfession<br />

und (was nicht von allen zugestanden werden will) durch ihre Nationalität, sondern auch<br />

durch mehrere, nur bei ihnen zu beobachtende Eigenschaften abhebt.“ 25 Zu diesen<br />

Eigenschaften zählt er die Konzentration der „jüdischen“ Bevölkerung auf best<strong>im</strong>mte Wiener<br />

Wohnbezirke, eine andere Berufsstruktur sowie eine niedrigere Geburtenziffer als bei der<br />

„nicht-jüdischen“ Bevölkerung und einige andere Punkte, die er zwar als typisch für die<br />

städtische Bevölkerung <strong>im</strong> Allgemeinen angeführt hatte, doch bei den „Juden“ sieht er die<br />

Tendenzen als besonders ausgeprägt an. Goldhammer stellt „Juden“ begrifflich „Nichtjuden“<br />

gegenüber. Das unterstützt einerseits die Argumentation, „Juden“ seien eine von „Nichtjuden“<br />

in den wesentlichen Bereichen <strong>des</strong> Lebens unterschiedliche Gruppe. Andererseits verweist es<br />

darauf, dass hier das „Jüdische“ weiter als die Religionszugehörigkeit gefasst wurde, da es<br />

nicht anderen Konfessionen z. B. den Christen gegenüber gestellt wurde.<br />

Andere zeitgenössische Arbeiten zum Wiener Judentum gründeten zum Teil auf den Ideen<br />

einer jüdischen Nation und waren vom Zionismus beeinflusst. Sie können, ebenso wie die<br />

statistischen Abhandlungen, als Beiträge zum Diskussionsprozess über den Fortbestand<br />

jüdischer Gemeinden angesichts fortschreitender Ass<strong>im</strong>ilation und Bestrebungen nach<br />

bürgerlich-rechtlicher Gleichstellung auf der einen und Betonung der eigenen Besonderheit<br />

auf der anderen Seite gelten. 26 Weil sein Verfasser in dem in dieser Arbeit untersuchten<br />

Samples aufscheint, sei Hans Tietze mit seinem Werk über „<strong>Die</strong> Juden Wiens“ aus dem Jahr<br />

23 Leo Goldhammer: <strong>Die</strong> Juden Wiens: eine statistische Studie, Wien 1927, S. 64.<br />

24 Leo Goldhammer: <strong>Die</strong> Juden Wiens: eine statistische Studie, Wien 1927, S. 63.<br />

25 Leo Goldhammer: <strong>Die</strong> Juden Wiens: eine statistische Studie, Wien 1927, S. 63.<br />

26 vgl. Sigmund Mayer: <strong>Die</strong> Wiener Juden. Kommerz, Kultur, Politik 1700-1900, Wien/Berlin 2 1918; Max<br />

Grunwald: Geschichte der Wiener Juden bis 1914, Wien 1926; Ludwig Bato: <strong>Die</strong> Juden <strong>im</strong> alten Wien, Wien<br />

1928.<br />

13


1933 erwähnt. 27 In diesem Zusammenhang kann die „jüdische“ Historiographie als bedeutsam<br />

für die jüdische Identität betrachtet werden. 28 Tietzes Anliegen war es, „nicht die innere<br />

Geschichte dieses lokalen Judentums möglichst ausführlich und gleichmäßig zu schildern [...]<br />

sondern die Geschichte der Juden Wiens <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Leben dieser ganzen<br />

Stadt zu erfassen, das heißt, zu erkennen, was Wien für sie und sie für Wien bedeutet haben<br />

und bedeuten [...]“ 29<br />

Rassisierungen auf gesetzlicher Grundlage<br />

<strong>Die</strong> Definition <strong>des</strong> „Jüdischen“ aufgrund der Abstammung erfuhr 1935 in den Nürnberger<br />

Rassegesetzen ihre gesetzliche Festschreibung, die in Österreich von 1938 bis 1945 gültig<br />

war:<br />

„(1) Jude ist, wer von min<strong>des</strong>tens drei der Rasse nach volljüdischen Großelternteilen<br />

abstammt. § 2 Abs. 2 Satz 2 findet Anwendung.<br />

(2) Als Jude gilt auch der von zwei volljüdischen Großeltern abstammende<br />

staatsangehörige jüdische Mischling,<br />

a) der be<strong>im</strong> Erlaß <strong>des</strong> Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört<br />

hat oder danach in sie aufgenommen wird,<br />

b) der be<strong>im</strong> Erlaß <strong>des</strong> Gesetzes mit einem Juden verheiratet war oder sich<br />

danach mit einem solchen verheiratet,<br />

c) der aus einer Ehe mit einem Juden <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Absatzes 1 stammt, die nach<br />

dem Inkrafttreten <strong>des</strong> Gesetzes zum Schutze <strong>des</strong> deutschen Blutes und der<br />

deutschen Ehre vom 15. September 1935 (Reichsgesetzbl. I S. 1146)<br />

geschlossen ist,<br />

d) der aus dem außerehelichen Verkehr mit einem Juden <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Absatzes<br />

1 stammt und nach dem 31. Juli 1936 außerehelich geboren wird.“ 30<br />

Nun waren einfache Kriterien festgelegt, nach denen zu best<strong>im</strong>men war, wer „jüdisch“ war<br />

und wer nicht. Dabei gab es mit den verschiedenen Mischlingsgraden Abstufungen <strong>des</strong><br />

„Jüdischen“, die den betroffenen Personenkreis noch erweiterten. <strong>Die</strong> Konfession spielte an<br />

sich keine Rolle mehr, der jüdischen Religionsgemeinschaft Zugehörige erhielten die<br />

27 Hans Tietze: <strong>Die</strong> Juden Wiens. Geschichte – Wirtschaft – Kultur, Wien 1933.<br />

28 Andrea Brill: Historisches Bewusstsein als ein Kriterium jüdischer Identität, in: Klaus Hödl (Hg.):<br />

Historisches Bewusstsein <strong>im</strong> jüdischen Kontext. Strategien – Aspekte – Diskurse, Innsbruck/Wien/Bozen 2004,<br />

S. 257-270.<br />

29 Hans Tietze: <strong>Die</strong> Juden Wiens. Geschichte – Wirtschaft – Kultur, Wien 1933, S. 7.<br />

30 § 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935, RGBl. I S. 1333.<br />

14


Bezeichnung „Glaubensjuden“. 31 „Juden“ waren die Antipoden von „Deutschen“ und<br />

„Ariern“. Mit der Forderung von Abstammungsnachweisen und Ahnenpässen wurde die<br />

gesamte Bevölkerung einem Screening unterzogen, und auch die „Arier“ mussten erst<br />

beweisen, dass sie es auch tatsächlich waren. Das Ziel war die völlige Ausgrenzung von<br />

„Juden“, die letztlich bis zu ihrer Ermordung führte. <strong>Die</strong> Nationalsozialisten perfektionierten<br />

nach und nach die statistischen Methoden <strong>des</strong> Zählens und Erfassens von „Juden“. 32 1938<br />

endete das, was später in der Geschichtsschreibung als das „jüdische Wien“ beschrieben<br />

werden sollte, endgültig. Abgesehen davon florierten antijüdische Forschungen zur<br />

Geschichte <strong>des</strong> „Judentums“ und zu „Rassenfragen“ noch während <strong>des</strong> NS-Reg<strong>im</strong>es weiter. 33<br />

<strong>Die</strong> Vermögensverkehrsstelle (VVSt)<br />

In Bezug auf die statistische Erfassung und Organisation <strong>des</strong> Entzuges <strong>des</strong> Vermögens der<br />

„jüdischen“ Wiener Bevölkerung war die Vermögensverkehrsstelle die zentrale Behörde,<br />

hier liefen alle Fäden <strong>des</strong> Vermögensentzuges an der „jüdischen“ Bevölkerung zusammen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>im</strong> Ministerium für Wirtschaft und Arbeit angesiedelte Behörde wurde <strong>im</strong> Mai 1938<br />

eingerichtet und beschäftigte rund 300 MitarbeiterInnen. 34 <strong>Die</strong> Vermögensverkehrsstelle war<br />

die einzige solche Behörde <strong>im</strong> gesamten Deutschen Reich. 35 Ihr Ziel war, <strong>im</strong> Eigentum von<br />

„Juden und Jüdinnen“ befindliches Vermögen auf gesetzlicher Grundlage zu entziehen und zu<br />

„arisieren“, einhergehend mit einer völligen Ausschaltung von „Juden“ und „Jüdinnen“ aus<br />

dem Wirtschaftsleben, dazu gehörten auch die Stilllegung bzw. der Zwangsverkauf von<br />

Unternehmen sowie die Entlassung von „jüdischen“ MitarbeiterInnen. Der erste Schritt zu<br />

diesem kollektiven Eigentümerwechsel war die genaue Erfassung <strong>des</strong> Vermögens der<br />

31<br />

1939 erfasste die Volkszählung <strong>im</strong> Gau Wien 79.919 „Glaubensjuden“ und 92.982 „Juden <strong>im</strong> Sinne der<br />

Nürnberger Gesetze“ (inklusive „Mischlinge ersten und zweiten Gra<strong>des</strong>“, die Angehörige der israelitischen<br />

Religionsgemeinschaft waren.) zit. in Jonny Moser: Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938-<br />

1945, Wien 1999, S. 31.<br />

32<br />

Götz Aly, Karl Heinz Roth: <strong>Die</strong> restlose Erfassung. Volkszählen, Identifizieren, Aussondern <strong>im</strong><br />

Nationalsozialismus, Berlin 1984.<br />

33<br />

Dirk Rupnow: Rasse und Geist. Antijüdische Wissenschaft, Definitionen und Diagnosen <strong>des</strong> „Jüdischen“ <strong>im</strong><br />

Dritten Reich, in; Zeitgeschichte, 34. Jg. Jänner/Februar 2007/1, S. 4-24.<br />

34<br />

Gertraud Fuchs: <strong>Die</strong> Vermögensverkehrsstelle als Arisierungsbehörde, Univ.-Dipl. Wien 1989.<br />

35<br />

Vgl. Hans Safrian, ‚Beschleunigung der Beraubung und Vertreibung. Zur Bedeutung <strong>des</strong> „Wiener Modells“<br />

für die antijüdische Politik <strong>des</strong> „Dritten Reiches“ <strong>im</strong> Jahr 1938’ in Constantin Goschler and Jürgen Lillteicher<br />

(eds.), „Arisierung“ und Restitution. <strong>Die</strong> Rückerstattung jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich<br />

nach 1945 und 1989 (Göttingen, 2002), S. 61-89. siehe auch Gabriele Anderl, Dirk Rupnow (unter Mitarbeit von<br />

Alexandra-Eileen Wenck): <strong>Die</strong> Zentralstelle für jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitution.<br />

Nationalsozialistische Institutionen <strong>des</strong> Vermögensentzuges 1 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich, Band 10/1) Wien/München 2004.<br />

15


jüdischen Bevölkerung <strong>im</strong> „Verzeichnis über das Vermögen von Juden“, so der offizielle<br />

Name für die Vermögensanmeldungen. 36 <strong>Die</strong> VVSt genehmigte nach Prüfung die<br />

Arisierungsbewerbungen und die Kaufpreise, legte verschiedene Auflagen fest und verwaltete<br />

die Erlöse aus den Arisierungen. 37<br />

<strong>Die</strong> statistische Auswertung der eingelangten Vermögensanmeldungen erforderte viel<br />

Aufwand. <strong>Die</strong> aufbereiteten Daten gingen an die Finanzämter, die Reichsfluchtsteuerbehörde,<br />

die Zollfahndungsstelle, die Gehe<strong>im</strong>e Staatspolizei, an die Spediteure, die Zentralstelle für<br />

jüdische Auswanderung sowie Kripo und Passämter, an sämtliche Behörden und<br />

Unternehmen, die mit Emigration befasst waren und die sicherstellen sollten, dass die<br />

Auswandernden ihre Vermögenswerte vorher zu festgelegten Bedingungen veräußerten und<br />

alle ihnen auferlegten Abgaben bezahlten. <strong>Die</strong> angelegten Verzeichnisse wurden sofort<br />

gebraucht, bevor sie abgeschlossen werden konnten, und es waren mehrere Ausfertigungen<br />

notwendig, um die wachsende Zahl an Datentransfers zwischen den Behörden zu<br />

bewerkstelligen. „Wenn nicht die Abteilung Vermögensanmeldung von sich aus, aus<br />

Verantwortungsbewusststein, sich um diese Aufgaben angenommen hätte, wäre es nie<br />

möglich gewesen, einerseits die Ausreise der Juden wirklich zu forcieren, andererseits<br />

Unregelmäßigkeiten von Seiten der Juden mit aller Strenge <strong>des</strong> Gesetzes zu ahnden.“, schrieb<br />

die Abteilung Vermögensanmeldungen <strong>im</strong> Juli 1939 an Regierungsrat Wagner. 38 <strong>Die</strong><br />

Abteilung präsentierte die statistische Erfassungsarbeit als Voraussetzung für die schnelle<br />

Vertreibung der jüdischen Bevölkerung und die lückenlose Sicherstellung derer<br />

Vermögenswerte. Deshalb suchte sie auch um die Anlage einer „Zentralkartei sämtlicher<br />

Juden“ an, damit „dieses Material es vielleicht erst möglich macht, an Arbeiten heranzugehen,<br />

die sich über dem Rahmen der Entjudung der Wirtschaft und <strong>des</strong> Handels bewegen. Ich denke<br />

da insbesondere an die vollkommene Entjudung der Ostmark, d.h. es müsste früher oder<br />

später der Fall eintreten, dass tatsächlich bis auf verschwindende Ausnahmen sämtliche Juden<br />

der Ostmark den Rücken gekehrt haben und deren Eigentum entweder in arische Hände<br />

übergeführt wurde oder so vom Staat gesichert erscheint, dass die Juden auch von Auslande<br />

darüber kein Verfügungsrecht mehr haben.“ 39 Behördenintern wurde der Ausbau der<br />

36 <strong>Die</strong> Vermögensanmeldungen <strong>sind</strong> <strong>im</strong> Österreichischen Staatsarchiv archiviert, ÖSTA/AdR/VVSt/Aktenzahl.<br />

37 Vgl. Ulrike Felber, Peter Melichar, Markus Priller, Berthold Unfried und Fritz Weber: Ökonomie der<br />

Arisierung, Teil 1: Grundzüge, Akteure und Institutionen. (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich, Band 10/1) Wien/München 2004, S. 81-103.<br />

38 ÖSTA, AdR, 06, VVSt, Kt. 1408, Korrespondenz, Schreiben vom 3. Juli 1939.<br />

39 ÖSTA, AdR, 06, VVSt, Kt. 1408, Korrespondenz, Schreiben vom 3. Juli 1939.<br />

16


statistischen Abteilung mit dem dadurch möglichen „effizienteren“ Vermögensentzug<br />

argumentiert.<br />

Ein Mitarbeiter der Vermögensverkehrsstelle, Karl Schubert, ließ die <strong>Ergebnisse</strong> seiner Arbeit<br />

in dieser Behörde in seine Dissertation einfließen, die er 1940 an der Hochschule für<br />

Welthandel in Wien einreichte. 40 Zu einer Zeit geschrieben, als der Vermögensentzug von<br />

„Juden“ und „Jüdinnen“ noch in vollem Gange war, kann dieser Text als ein Zeugnis der<br />

Geisteshaltung <strong>des</strong> Staates und der jeweiligen Behörden gegenüber den als „jüdisch“<br />

bezeichneten Unternehmern gelesen werden. Nach einer bis ins 13. Jahrhundert<br />

zurückgreifenden historischen Einleitung über Judenverfolgungen in Wien liefert der Autor<br />

ausführliche Argumente für die „Notwendigkeit“ der „Entjudung“ der österreichischen<br />

Wirtschaft, auch unter Hinweis auf die Begehrlichkeiten der „nicht-jüdischen“ Bevölkerung.<br />

„<strong>Die</strong> maßlose Unterdrückung der Bevölkerung in den verflossenen Jahren der<br />

Systemregierung wirkte sich in der Ostmark als dem Entstehungsland <strong>des</strong> Antisemitismus <strong>im</strong><br />

19. und 20. Jahrhundert vor allem in einer ausgesprochen revolutionären St<strong>im</strong>mung gegen das<br />

Judentum aus. Unter Hinweis auf das bisher Angeführte über den Einfluss der Juden auf das<br />

Wirtschaftsleben und die politische Gestaltung der Ostmark erscheint es verständlich, dass<br />

sofort nach dem Umbruch von den verschiedensten Stellen der Organisation der gewerblichen<br />

Wirtschaft und der Partei in jüdischen Betreiben Kommissare eingesetzt wurden, um damit<br />

die von der St<strong>im</strong>mung der Bevölkerung getragene Forderung nach sofortiger Ausschaltung<br />

der Juden von der Betriebsführung zu gewährleisten.“ 41 <strong>Die</strong>se Einleitung diente in ihrer<br />

Ausführlichkeit dazu, den Vermögensentzug der österreichischen „Juden“ zu rechtfertigen,<br />

zur Untermauerung dieser als Notwendigkeit dargestellten Forderungen schilderte Schubert<br />

ein Szenario für den Fall, dass jüdische Unternehmen weiter bestünden. 42 Solche Argumente<br />

wurden auch gegenüber der Öffentlichkeit verwendet, und die Vermögensverkehrsstelle<br />

machte regelrecht Werbung für die eigene Arbeit, die als wichtige Maßnahme zur „Schaffung<br />

einer künftigen nationalsozialistischen Wirtschaft“ präsentiert wurde. 43<br />

40<br />

Karl Schubert: <strong>Die</strong> Entjudung der ostmärkischen Wirtschaft und die Bemessung <strong>des</strong> Kaufpreises <strong>im</strong><br />

Entjudungsverfahren, Univ.-Diss Wien, 1940.<br />

41<br />

Karl Schubert: <strong>Die</strong> Entjudung der ostmärkischen Wirtschaft und die Bemessung <strong>des</strong> Kaufpreises <strong>im</strong><br />

Entjudungsverfahren, Univ.-Diss Wien, 1940, S. 32.<br />

42<br />

Karl Schubert: <strong>Die</strong> Entjudung der ostmärkischen Wirtschaft und die Bemessung <strong>des</strong> Kaufpreises <strong>im</strong><br />

Entjudungsverfahren, Univ.-Diss Wien, 1940, S. 12-15.<br />

43<br />

„<strong>Die</strong> Entjudung der Wirtschaft in der Ostmark“, Ausstellung der Vermögensverkehrsstelle <strong>im</strong> Ministerium für<br />

Wirtschaft und Arbeit. Ausstellungskatalog, o.D., S. 3.<br />

17


Exkurs: Der Ausstellungskatalog „<strong>Die</strong> Entjudung der Wirtschaft in der Ostmark“<br />

<strong>Die</strong> Vermögensverkehrsstelle in Wien präsentierte 1939 der Öffentlichkeit in ihren<br />

Räumlichkeiten <strong>im</strong> Ministerium für Wirtschaft und Arbeit die Zwischenergebnisse ihrer<br />

Arbeit in einer Ausstellung. Schautafeln, auf denen Statistiken graphisch dargestellt wurden,<br />

illustrierten die betriebsame Tätigkeit dieser Behörde. Wenn staatliche Stellen ihre Tätigkeit<br />

der breiten Öffentlichkeit vorstellen, verfolgen sie in der Regel den Zweck, die damit<br />

ergriffenen Maßnahmen populär zu machen und Zust<strong>im</strong>mung dafür zu erreichen. Ideologische<br />

Positionen wurden hier dezent, aber wirkungsvoll unter dem Pr<strong>im</strong>at wirtschaftlicher<br />

Notwendigkeiten zur Anschauung gebracht. <strong>Die</strong> mit Türmchen und Diagrammen vorgeführte<br />

Effizienz suggeriert einen allgemeinen Nutzen aus der Enteignung der „Juden“ und<br />

„Jüdinnen“, fast als könne der/die BetrachterIn selbst davon profitieren, als bekomme man<br />

etwas geschenkt oder „zurück“. <strong>Die</strong> Graphiken <strong>sind</strong> so angelegt, dass erst 100-Prozentwerte<br />

das Bild komplett erscheinen lassen, je mehr entzogen wird, umso vollständiger erscheinen<br />

die Illustrationen. Geringere Raten veranschaulichen direkt den Handlungsbedarf, um das<br />

Bild zu vollenden. Balkendiagramme steigen in gewaltige Höhen auf, um hohe Zahlen noch<br />

höher erscheinen zu lassen. Indem neben einem Bild <strong>des</strong> Stephansdomes drei Stapel Papier<br />

dargestellt werden, wird durch den Größenvergleich die eindrückliche Effizienz einer<br />

<strong>Die</strong>nststelle vorgeführt, bei diesem Beispiel noch unterstrichen durch die Zeile: „[D]ie<br />

abgefertigten Poststücke erreichen fast 3mal die Höhe <strong>des</strong> Stephansturmes“. 44 Der Erfolg der<br />

Arbeit der Vermögensverkehrstelle wird allein schon durch die superlativistische Darstellung<br />

von Zahlen zum Fortschritt der „Entjudung“ belegt. Gleichzeitig wurde mit denselben Mitteln<br />

das „jüdische“ Vermögen in Österreich mittels Kurven- und Balkendiagrammen, Tabellen u.a.<br />

als <strong>im</strong>mens hoch dargestellt, was wiederum als Handlungsauftrag zu verstehen war.<br />

Diffamierende Zuschreibungen finden sich in den schemenhaften Darstellungen von<br />

„Verkäufern“ („Juden“) und „Käufern“ („Arier“). Beide Gruppen werden als männlich<br />

konnotierte Figuren abgebildet. Während die Käufer als weiße Männchen mit hochgerecktem<br />

Kinn und energisch zur Seite gedrehtem Kopf gezeichnet <strong>sind</strong>, <strong>sind</strong> die Verkäufer völlig<br />

schwarz, auch <strong>im</strong> Gesicht, mit bodenlangem Mantel, den Kaftan, das traditionelle<br />

Kleidungsstück von aus Osteuropa stammenden Juden, symbolisierend. <strong>Die</strong> hochgezogenen,<br />

aber breiten Schultern sollen <strong>im</strong> Gegensatz zu den aufrecht stehenden Käufern auf<br />

„Verschlagenheit“ und in ihrer Masse auf die Gefährlichkeit der Verkäufergruppe<br />

44 „<strong>Die</strong> Entjudung der Wirtschaft in der Ostmark“, Ausstellung der Vermögensverkehrsstelle <strong>im</strong> Ministerium für<br />

Wirtschaft und Arbeit. Ausstellungskatalog, o.D., S. 26.<br />

18


hinweisen. 45 <strong>Die</strong> Schwarz-Weiß-Dichotomie findet sich auch in Graphiken, in denen das<br />

Verhältnis zwischen „jüdischen“ und „arischen“ Unternehmen einer Branche in schwarzen<br />

und weißen Kreisen dargestellt wird. 46 <strong>Die</strong> Vermögensverkehrsstelle konnte die graphischen<br />

Vorarbeiten schließlich auch für behördeninterne Zwecke nutzen und Berichte mit<br />

graphischen Darstellungen aufwerten. 47<br />

Den Abbildungen der Schautafeln ist ein fünfseitiger einleitender Text voran gestellt, der,<br />

ohne sich in Erklärungen über den Sinn und Zweck der „Ausschaltung“ der „Juden“ aus dem<br />

Wirtschaftsleben zu verlieren, den Prozess der Enteignung erläutert. Der Text präsentiert die<br />

„Verjudung“ als das Problem, das durch die „Entjudung“ am besten gelöst werden könne. Der<br />

schon <strong>im</strong> Titel verwendete Begriff „Entjudung“ ist der meistverwendete <strong>im</strong> Text. Auch<br />

sprachlich konstruieren diese Begriffe mit den Vorsilben „Ver“ und „Ent“ eine scheinbare<br />

Logik <strong>des</strong> Problems und <strong>des</strong>sen Lösung. Das „Jüdische“ ist der zu entfernende Makel, die<br />

verwendete Sprache „ist darauf abgestellt, sie [die Juden, SN] ganz und unüberbrückbar weit<br />

vom Deutschtum abzusondern“, wie Viktor Klemperer ausführt. 48 „Der Wille zum Handeln<br />

schafft neue Tätigkeitsworte. Man will die Juden loswerden und entjudet, man will das<br />

Geschäftsleben ganz in arische Hände legen und arisiert […].“ 49 <strong>Die</strong> Vermögensverkehrsstelle<br />

ist die Handelnde, die die Lösung <strong>des</strong> „Problems“ tatkräftig vorantreibt. Im Text finden sich<br />

auch andere Merkmale, die Klemperer als typisch für die Sprache der Nationalsozialisten<br />

identifiziert, wie die Verwendung <strong>des</strong> personifizierten und allegorisierenden Begriffes „der<br />

Jude“ für die gesamte „jüdische“ Bevölkerung. <strong>Die</strong> NS-Gesellschaft hatte auf diese Weise, so<br />

erläuterte Victor Klemperer, nicht mehr viele, sondern nur noch einen Feind. <strong>Die</strong>se<br />

Betrachtungsweise lässt das Individuum in der anonymen und hier unhe<strong>im</strong>lich dargestellten<br />

Masse verschwinden und unterbindet mögliche Empathie mit dem/der Einzelnen.<br />

Statistische Erhebungen nach 1945<br />

45<br />

„<strong>Die</strong> Entjudung der Wirtschaft in der Ostmark“, Ausstellung der Vermögensverkehrsstelle <strong>im</strong> Ministerium für<br />

Wirtschaft und Arbeit. Ausstellungskatalog, o.D., S. 24.<br />

46<br />

„<strong>Die</strong> Entjudung der Wirtschaft in der Ostmark“, Ausstellung der Vermögensverkehrsstelle <strong>im</strong> Ministerium für<br />

Wirtschaft und Arbeit. Ausstellungskatalog, o.D., S. 29.<br />

47<br />

Zum Beispiel der Bericht <strong>des</strong> Staatskommissars in der Privatwirtschaft vom 1. April 1939, ÖSTA, AdR, 04,<br />

„Bürckel“-Materie, Kt. 90, 2160/00.<br />

48<br />

Victor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen, Berlin 1947, S. 188.<br />

49<br />

Victor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen, Berlin 1947, S. 239.<br />

19


Vor dem Hintergrund der Forderungen der Alliierten, entzogene Vermögen zu restituieren,<br />

versuchte die Provisorische Staatsregierung nach dem Zweiten Weltkrieg und dem<br />

Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft das Ausmaß <strong>des</strong> geraubten<br />

Vermögens zu eruieren. Um sich einen Überblick zu schaffen und die weitere<br />

Vorgehensweise zu planen, wurde ein Gesetz über die Erfassung entzogener<br />

Vermögenschaften erlassen, das mit der Vermögensentziehungs-Anmeldungsverordnung<br />

(VEAV) vom 15. September 1946 in Kraft trat. 50 Demgemäß waren alle InhaberInnen von<br />

„Vermögenschaften und Vermögensrechten, die nach dem 13. März 1938 – sei es<br />

eigenmächtig, sei es auf Grund gesetzlicher oder anderer Anordnungen – aus sogenannten<br />

rassischen, nationalen oder anderen Gründen den Eigentümern (Berechtigten) […] <strong>im</strong><br />

Zusammenhange mit der nationalsozialistischen Machtübernahme entzogen worden <strong>sind</strong>“,<br />

verpflichtet, diese den Behörden zu melden. 51 Neben den EntzieherInnen konnten auch die<br />

Geschädigten eine Anmeldung machen. Das Ministerium für Vermögenssicherung und<br />

Wirtschaftsplanung wertete diese Anmeldungen aus. 52 1952 versuchte Georg Weis, der<br />

spätere Geschäftsführer der Sammelstellen, in Hinblick auf eine Restitution <strong>im</strong> besonderen<br />

von erblosem entzogenen Vermögen, die entzogenen, erblosen und unbeanspruchten<br />

Vermögenswerte auf Basis <strong>des</strong> Zahlenmaterials der Nationalsozialisten zu schätzen. 53<br />

<strong>Die</strong> bislang letzten Versuche, die Vermögen der gesamten „jüdischen“ Bevölkerung bzw. der<br />

aus diesem Grund von den Nationalsozialisten verfolgten Personen in Wien bzw. Österreich<br />

zu eruieren, unternahm die Historikerkommission der Republik Österreich 2004. 54 Mit<br />

Stichproben – das dieser Arbeit zu Grunde gelegte Sample ist nur eine davon – aus<br />

Vermögensanmeldungen sowie den Akten zu Restitution und Entschädigung wurde versucht,<br />

das Gesamtvermögen hoch zu rechnen. Der Hintergrund war, den Vermögensentzug der<br />

Nationalsozialisten sowie die Aktivitäten der österreichischen Nachkriegsregierungen bei<br />

Rückgabe und Entschädigung in Zahlen zu fassen und gegebenenfalls einen Nachholbedarf an<br />

Restitution fest zu stellen. <strong>Die</strong> Berechnungen der Historikerkommission stützten sich hierbei<br />

vor allem auf die von den nationalsozialistischen Behörden zum Zwecke <strong>des</strong> Entzuges<br />

50 StGBl 1945/10 vom 10. Mai 1945.<br />

51 StGBl 1945/10 vom 10. Mai 1945, §1, Abs. 1.<br />

52 ÖSTA, AdR, BMVS, Gz 30.021-1/1947 zit n. Bd. 9 Histkom, S. 16<br />

53 Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher,<br />

Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien-München, 2004, S. 17.<br />

54 Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 1) Wien/München 2004.<br />

20


generierten Unterlagen, wie sie oben beschrieben wurden. Doch wiederum konnte nur<br />

geschätzt werden, und mehrfach wurde betont, dass es bis zum damaligen Zeitpunkt keine<br />

Gewissheit über den genauen Gesamtwert <strong>des</strong> entzogenen wie <strong>des</strong> restituierten Vermögens<br />

gäbe. 55 Trotz <strong>des</strong> vielen Zählens verschließt sich die Materie der genauen Messbarkeit. Es ist<br />

daher wichtig, <strong>im</strong> Bewusstsein zu halten, dass alle Zahlen über das der „jüdischen“<br />

Bevölkerung entzogene Vermögen auf unvollständigem Datenmaterial beruhen, vieles ist<br />

nicht dokumentiert worden und viele Dokumente <strong>sind</strong> inzwischen vernichtet. Es stehen<br />

lediglich Schätzungen mittels Hochrechnen und Sampling zur Verfügung. Letztlich ist es<br />

auch <strong>im</strong> 21. Jahrhundert <strong>im</strong> Wesentlichen eine Frage der politischen Maßgabe, wie Zahlen<br />

über NS-Raub generiert und verwendet werden.<br />

„Jüdische“ Identitäten<br />

Das „jüdische“ Fin de Siècle – retrospektiv betrachtet<br />

Das Wien der Jahrhundertwende, <strong>des</strong> Fin de Siècle wurde in der Retrospektive <strong>des</strong> 20.<br />

Jahrhunderts zu einem Topos der Moderne stilisiert. Es erfuhr vor allem ab den späten 1980er<br />

Jahren große Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Literatur, insbesondere <strong>im</strong><br />

angelsächsischen Raum. 56 Das Interesse konzentrierte sich auf das Wiener Bürgertum als<br />

Träger <strong>des</strong> künstlerischen und literarischen und allgemein kulturellen Schaffens dieser Zeit.<br />

<strong>Die</strong> Betrachtungen fokussierten vielfach auf die „jüdische Kultur“ und ihre Bedeutung für<br />

Wien, sodass das Wiener Fin de Siècle vielfach als „jüdisch“ gedacht wurde. 57 <strong>Die</strong>s geschah<br />

vor dem Hintergrund, dass das zu dieser Zeit in Wien herrschende geistige Kl<strong>im</strong>a der<br />

55 Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher,<br />

Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien-München, 2004, S. 18.<br />

56 Carl E. Schorske: Fin-de-Siècle Vienna. Politics and Culture, New York 1980.<br />

57 Marsha L. Rozenblit: <strong>Die</strong> Juden Wiens: 1867-1914. Ass<strong>im</strong>ilation und Identität, (Forschungen zur Geschichte<br />

<strong>des</strong> Donauraumes, Bd. 11) Wien/Köln/Graz 1989; Harriet P. Freidenreich: Jewish Politics in Vienna,<br />

Indianapolis 1991; Robert S. Wistrich: The Jews of Vienna in the Age of Franz Joseph, New York 1989; Steven<br />

Beller: Vienna and the Jews, 1867-1938, Cambridge u.a. 1989; Leon Botstein: Judentum und Modernität: Essays<br />

zur Rolle der Juden in der deutschen und österreichischen Kultur 1848 bis 1938, Wien/Köln 1991, George E.<br />

Berkely: Vienna and Its Jews. The Tragedy of Success 1880s-1980s, Cambridge 1988. (Dt. Ausgabe: <strong>Die</strong> Juden<br />

Wiens <strong>im</strong> Zeitalter Kaiser Franz Josephs, Wien/Köln/We<strong>im</strong>ar 1999.); William O. McCagg: A History of<br />

Habsburg Jews. 1670-1918, Indianapolis 1989.<br />

21


Moderne und der Öffnung ebenso schnell ein baldiges Ende fand, wie das „jüdische“ Leben in<br />

Wien auch. In Umkehrung der zeitgenössischen antisemitisch motivierten Verungl<strong>im</strong>pfung<br />

der Moderne und der Urbanität als „jüdische Entartung“ 58 wurden nun die „Leistungen“ der<br />

„Juden“ als wichtige Voraussetzung für das, was als kulturelle Hochblüte Wiens bezeichnet<br />

wurde, erklärt. So kam es auch, dass Leute wie Sigmund Freud oder Karl Kraus, die selbst mit<br />

der jüdischen Religion ihrer Vorfahren längst nichts mehr zu tun hatten, unter dem Label <strong>des</strong><br />

„jüdischen Intellektuellen“ liefen. <strong>Die</strong>se Reaffirmation der NS-Kriterien, wenn auch <strong>im</strong><br />

positiven Sinne, rief auch Kritik hervor (siehe unten). <strong>Die</strong> „Juden“ in diesem Zusammenhang<br />

waren denn auch ausschließlich Protagonisten <strong>des</strong> kulturschaffenden Bürgertums, es galt,<br />

ihren „Beitrag“ zur Medizin, zur Musik, zum Journalismus, zur Literatur, zur Kultur usw.<br />

sichtbar zu machen. 59 <strong>Die</strong> jüdische Unterschicht war kaum Thema.<br />

<strong>Die</strong> meisten, Marsha Rozenblit, Steven Beller und Leon Botstein etwa, ziehen für ihre<br />

Arbeiten die Biographien sowie Lebenserinnerungen von als „jüdisch“ definierten<br />

Intellektuellen, allen voran von bekannten Schriftstellern, heran. <strong>Die</strong>se Betrachtungen <strong>des</strong><br />

„Jüdischen“ <strong>sind</strong> sehr stark von den Blickwinkeln dieser <strong>im</strong> Wiener Bürgertum situierten<br />

Autoren beeinflusst, zu den einflussreichsten literarischen Quellen in diesem Zusammenhang<br />

gehört wohl Arthur Schnitzlers Autobiographie über seine Kindheit. 60 Ökonomische Aspekte<br />

blieben wegen der Konzentration auf die Kultur und nicht zuletzt aufgrund der antisemitisch<br />

konnotierten Verbindung von „Judentum“ und „Kapital“ <strong>im</strong> Hintergrund. Der so genannte<br />

„jüdische Einfluss“ auf das Wirtschaftsleben erfährt dennoch Aufmerksamkeit, meist <strong>im</strong><br />

Rahmen von (familien-)biographischen Studien wie beispielsweise zu den Familien<br />

Rothschild, Arnstein, Eskeles usw. 61 Ökonomische Fragen <strong>sind</strong> jedoch dem kulturellen<br />

Bereich nachgeordnet.<br />

<strong>Die</strong>ses historische Interesse am „jüdischen“ Wien, ging ab den späten 1990er Jahren auch auf<br />

die österreichische Forschungslandschaft über. Das führt zur Frage nach den Ursachen für<br />

diese Konjunktur in den USA ab den späten 1980er Jahren und später auch in Österreich. Aus<br />

der Perspektive der 1980er Jahre mag die Randlage, in der sich Wien zur Zeit <strong>des</strong> Kalten<br />

58 Der Begriff „entartet“ war in Wien in den 1910er und 1920er Jahren in diesem Kontext weit verbreitet, wo ihn<br />

auch Adolf Hitler kennen lernte und für seine Kunstpolitik gegenüber der Avantgarde in Anspruch nahm. Vgl.<br />

Brigitte Hamann: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, München 1996 3 , S. 119-124.<br />

59 Ebenso wie für die Habsburgermonarchie erschienen auch für Deutschland und andere Länder zahlreiche<br />

Studien zu den „Juden“ in Gesellschaft und Wirtschaft, die jedoch an dieser Stelle nicht besprochen werden.<br />

60 Arthur Schnitzler: Jugend in Wien. Eine Autobiographie, Wien/München/Zürich 1968.<br />

61 Als jüngeres Beispiel: Marie-Theres Arnbom: Friedmann, Gutmann, Lieben, Mandl und Strakosch. Fünf<br />

Familienportraits aus Wien vor 1938, Wien/Köln/We<strong>im</strong>ar 2 2003; Karlheinz Rossbacher: Literatur und<br />

Bürgertum. Fünf Wiener jüdische Familien von der liberalen Ära zum Fin de Siècle, Wien/Köln/We<strong>im</strong>ar 2003.<br />

22


Krieges befand, wie auch die vergleichsweise Provinzialität der Stadt das Fin de Siècle noch<br />

faszinierender erscheinen lassen haben. Es ist kennzeichnend für diesen Themenbereich, dass<br />

seine Beforschung aus einem aktuellen Bezug heraus argumentiert wird, die<br />

Geschichtsschreibung über das „jüdische“ Wien definiert sich indirekt über den Holocaust<br />

und wird auch so rezipiert. 62 Sie ist ein Versuch <strong>des</strong> Wiedersichtbarmachens <strong>des</strong> Vernichteten<br />

und als eine Art der nachträglichen Legit<strong>im</strong>ierung <strong>des</strong> Wiener Judentums, wie eine versuchte<br />

Beweisführung, dass es „Juden“ in Wien tatsächlich gegeben hat. Robert Wistrich schreibt<br />

über seine Beweggründe, ein <strong>Buch</strong> über die „Juden“ Habsburgs zu verfassen: „Jeder, der sich<br />

damals [1960er Jahre, SN] mit moderner europäischer Geschichte befasste, fand sich mit der<br />

erstaunlichen Tatsache konfrontiert, dass der jüdische Einfluss großteils ignoriert oder<br />

marginalisiert wurde, auch dort, wo er eindeutig dazu beigetragen hat, dem modernen<br />

intellektuellen Leben viel von seiner besonderen Farbe, seinem Stil und seiner Vitalität zu<br />

verleihen.“ 63 <strong>Die</strong> „Geschichte der Juden in Wien“, 1966 von Hugo Gold als „Gedenkbuch“<br />

verfasst, „soll ein Mahnmal sein für alle, die Wien in schmerzlicher Erinnerung behalten<br />

haben, und für jene, die ihre teuren Eltern, Geschwister, Verwandte, Freunde und Bekannten<br />

durch die Hitlermörder verloren haben.“ 64 <strong>Die</strong> eigene Familiengeschichte mag für viele ein<br />

Anstoß gewesen sein, sich mit der Lebenswelt ihrer Vorfahren bzw. mit der eigenen<br />

verlorenen Kindheitsstadt zu beschäftigen.<br />

Das Jahr 1986 war mit der Waldhe<strong>im</strong>affäre als Wendepunkt der österreichischen<br />

Geschichtsauffassung und Abkehr vom Opfermythos in die Geschichtsschreibung<br />

eingegangen. Gerade in den USA hatte der Fall <strong>des</strong> Präsidentschaftskandidaten Kurt<br />

Waldhe<strong>im</strong>, der mit seinen lückenhaften und ambivalenten Aussagen über seine Rolle als<br />

Nachrichtenoffizier der Deutschen Wehrmacht am Balkan den gesamten österreichischen<br />

Umgang mit der nationalen Vergangenheit bloßgelegt hatte, viel Aufmerksamkeit erhalten. 65<br />

Es ist davon auszugehen, dass die mediale und in der Folge auch wissenschaftliche<br />

Aufmerksamkeit für den Anteil Österreichs an nationalsozialistischen Verbrechen die<br />

Geschichtsschreibung über die „jüdische“ Bevölkerung Österreichs stark beeinflusste. 1988<br />

jährte sich der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich zum 50. Mal und damit auch der<br />

Beginn der systematischen Verfolgung von „Juden“ und „Jüdinnen“, bei der rund 60.000<br />

62 Vgl. Leon Botstein: Judentum und Modernität: Essays zur Rolle der Juden in der deutschen und<br />

österreichischen Kultur 1848 bis 1938, Wien/Köln 1991. Über die Sprache nach dem Holocaust, S. 221-225.<br />

63 Robert S. Wistrich: <strong>Die</strong> Juden Wiens <strong>im</strong> Zeitalter Kaiser Franz Josephs, Wien/Köln/We<strong>im</strong>ar 1999, S. 1.<br />

64 Hugo Gold: Geschichte der Juden in Wien. Ein Gedenkbuch, Tel Aviv 1966, Vorwort.<br />

65 Michael Gehler: „...eine grotesk überzogene Dämonisierung eines Mannes...“. <strong>Die</strong> Waldhe<strong>im</strong>affäre 1986-92,<br />

in: Michael Gehler und Hubert Sickinger (Hg.): Politische Affären und Skandale in Österreich. Mayerling bis<br />

Waldhe<strong>im</strong>, Wien/Müchen ²1996, S. 614-65.<br />

23


ermordet und an die 120.000 Personen aufgrund ihrer „jüdischen“ Herkunft vertrieben<br />

wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg zählte die Israelitische Kultusgemeinde nur etwa 5.000<br />

Mitglieder, die ehedem größte jüdische Gemeinde <strong>des</strong> deutschsprachigen Raumes war zerstört<br />

worden. <strong>Die</strong> nun publizierten Forschungen versuchten, von diesem Datum ausgehend, das<br />

Zerstörte zu rekonstruieren.<br />

<strong>Die</strong> große Aufmerksamkeit für das „Jüdische“ am Fin de Siècle und die Aufwertung <strong>des</strong><br />

Attributes „jüdisch“ barg aber auch die Gefahr <strong>des</strong> Festschreibens von Personen als „Juden“<br />

und „Jüdinnen“ und evozierte auch den Vorwurf einer „Instrumentalisierung für<br />

kulturpolitische Konzeptionen“. 66 Zur Veranschaulichung sollen hier die die Definition <strong>des</strong><br />

„Jüdischen“ von Steven Beller und die daran geäußerte Kritik angeführt werden. Bellers<br />

Anliegen war nachzuweisen, dass es kein Zufall sein konnte, dass so viele der Protagonisten<br />

der Wiener Moderne einen „jüdischen“ kulturellen Hintergrund hatten. Das „Jüdische“<br />

definiert Beller in einem weiten Sinne mit der Gemeinsamkeit der Herkunft, <strong>des</strong> kulturellen<br />

Hintergrun<strong>des</strong>, um den Kreis um Personen zu erweitern, die mittels religiöser<br />

Zugehörigkeiten nicht zu fassen wären. Andernfalls wäre die von ihm beschriebene<br />

„jüdische“ intellektuelle Elite um Namen wie Karl Kraus, Hans Kelsen, Gustav Mahler,<br />

Arnold Schönberg, Sigmund Freud 67 und viele andere ärmer gewesen, wie er einleitend<br />

beschreibt. 68 Sich der Problematik dieser Definition bewusst, rechtfertigt Beller seine<br />

Beweggründe. „Racism starts when one ascribes to biologically inherited characteristics<br />

certain values, and acts on those assumptions. But what I am trying to <strong>des</strong>cribe here is the<br />

effect of the Jewish cultural background and existential situation on the Jewish members of<br />

Vienna’s cultural elite.“ 69 <strong>Die</strong> Schwierigkeit der Darstellung, wie Selbst- und<br />

Fremdzuschreibungen sich wechselseitig beeinflussen, bringt Beller dazu, der antisemitischen<br />

Definition <strong>des</strong> „Jüdischen“ Raum zu geben, wonach, diejenigen „jüdisch“ <strong>sind</strong>, die als solche<br />

angesehen werden: „...on a subjective level, public and private, Jewish <strong>des</strong>cent was known<br />

and significant.“ 70<br />

66 Albert Lichtblau: Integration, Vernichtungsversuch und Neubeginn – Österreichisch-jüdische Geschichte 1848<br />

bis zur Gegenwart, in: Eveline Brugger, Martha Keil, Albert Lichtblau, Christoph Lind und Barbara Staudinger:<br />

Geschichte der Juden in Österreich, (Österreichische Geschichte) Wien 2006, S. 447-566, S. 514.<br />

67 Zur „jüdischen“ Identität von Sigmund Freund siehe die Ausführungen von Robert S. Wistrich: <strong>Die</strong> Juden<br />

Wiens <strong>im</strong> Zeitalter Kaiser Franz Josephs, Wien/Köln/We<strong>im</strong>ar 1999, S. 436-472.<br />

68 Steven Beller: Vienna and the Jews: 1867-1938. A Cultural History, Cambridge, 1989, S. 11-13.<br />

69 Steven Beller: Vienna and the Jews: 1867-1938. A Cultural History, Cambridge, 1989, S. 12.<br />

70 Steven Beller: Vienna and the Jews: 1867-1938. A Cultural History, Cambridge, 1989, S. 12.<br />

24


Als Replik darauf zitierte Ernst Gombrich 1997 in einem Vortrag über das Wiener Kunstleben<br />

um 1900 einen Wiener Kunsthändler, der die Anfrage, einen Essay über jüdisches<br />

Mäzenatentum zu verfassen, 1993 mit folgender Begründung ablehnte: „<strong>Die</strong> Mäzene waren<br />

Mitglieder alteingesessener Wiener Familien, die fast alle ein Merkmal gemeinsam hatten: Sie<br />

fühlten sich voll und ganz als Österreicher und dachten nicht daran, sich von ihren<br />

nichtjüdischen Mitbürgern zu unterscheiden – sie sahen in ihrer überlieferten Religion keinen<br />

Grund für eine Differenzierung […] Den wohlhabenden Wiener Kunstfreunden, die zufällig<br />

Juden waren, macht man keinen Gefallen damit, sie als jüdische Mäzene zu bezeichnen –<br />

ebenso wenig, wie man all den, zum Teil seit Jahrhunderten ansässigen Familien<br />

entstammenden, Großen der Literatur, der Musik, der Wissenschaften und so weiter gerecht<br />

wird, wenn man sie – egal wie wohlwollend – als andersartig hinstellt.“ 71<br />

Zu Bellers These meinte Gombrich: „Es st<strong>im</strong>mt, dass Steven Beller zugeben musste, dass die<br />

meisten bildenden Künstler und Architekten in Wien Nichtjuden waren, aber er versucht seine<br />

These von der überwältigenden Wichtigkeit jüdischen Einflusses mit der Behauptung<br />

aufrechtzuerhalten, dass viele Kunstförderer Juden waren und dass es diese Förderer waren,<br />

die der Moderne zum Sieg verhalfen. Als ich diese Behauptung las, hatte ich plötzlich das<br />

Gefühl, das schon einmal gelesen zu haben. Wo war das? Natürlich! In der Nazipropaganda<br />

meiner Jugend, wo dauernd behauptet wurde, dass die Juden überall die Drahtzieher waren<br />

und dass sie für Entartete Kunst verantwortlich waren.“ 72<br />

Opferkonstruktionen <strong>des</strong> „Jüdischen“ in Österreich nach 1945<br />

Weltweit und insbesondere in Europa kam es in den 1990er Jahren zu einer breiten<br />

Auseinandersetzung mit den während <strong>des</strong> Zweiten Weltkriegs begangenen Verbrechen und<br />

<strong>im</strong> Besonderen mit dem Nationalsozialismus. 73 Als Folge der offiziellen Abkehr vom so<br />

genannten Opfermythos und <strong>des</strong> Eingeständnisses, in die nationalsozialistischen Verbrechen<br />

71<br />

Ernst H. Gombrich: Jüdische Identität und jüdisches Schicksal. Eine Diskussionsbemerkung (hg. von Emil<br />

Brix und Frederick Baker), Wien 1997, S. 35-36.<br />

72<br />

Ernst H. Gombrich: Jüdische Identität und jüdisches Schicksal. Eine Diskussionsbemerkung (hg. von Emil<br />

Brix und Frederick Baker), Wien 1997, S. 49.<br />

73<br />

Elazar Barkan: The Guilt of Nations. Restitution and Negotiating Historical Injustices, New York u.a. 2000.<br />

25


involviert gewesen zu sein, rückte in Österreich die Frage nach dem Umgang mit den Opfern<br />

<strong>des</strong> Nationalsozialismus unmittelbar nach 1945 in den Vordergrund. 74<br />

<strong>Die</strong> 1990er Jahre, aber auch die Zeit danach waren geprägt von Vergangenheitsbewältigung in<br />

der Forschungsliteratur. <strong>Die</strong> radikalste Ausprägung war die Tendenz einer „akkusatorisch<br />

moralisierenden Geschichtsschreibung“, die die Opfertheorie in eine Täterthese umschrieb. 75<br />

Das Interesse an emigrierten „Juden“ stieg, allgemein gesehen zeichnete sich eine<br />

zunehmende Gleichstellung verschiedener Opfergruppen ab, das „Jüdische“ erfuhr sogar eine<br />

positive Bedeutungsumkehrung, es kam zu einer intensiven Beschäftigung mit „jüdischen“<br />

Themen <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> „Wiedergutmachens“ durch Sichtbarmachen.<br />

<strong>Die</strong> verstärkte Aufmerksamkeit gegenüber jüdischen Opfern in den 1990er Jahren war zwar<br />

einerseits die Folge einer „Post-Waldhe<strong>im</strong>-Perspektive“ 76 , aber andererseits auch das Resultat<br />

einer „jüdischen“ Neupositionierung, denn die Opferidentitäten hatten sich transformiert.<br />

Das jüdische Selbstverständnis, zu den vorrangigsten Opfern der nationalsozialistischen<br />

Herrschaft zu gehören, hatte sich erst in den 1960er Jahren konstituiert. 77 In den USA, neben<br />

Israel heute der Ort, wo der Holocaust am meisten <strong>im</strong> öffentlichen Bewusstsein präsent ist,<br />

war die Judenvernichtung während <strong>des</strong> Krieges und danach weniger thematisiert worden. 78<br />

Juden stellten bis zum Novemberpogrom 1938 nur eine Opfergruppe unter vielen dar, die<br />

Konzentrationslager galten in den USA als Symbol für das feindliche Reg<strong>im</strong>e, und in diesem<br />

Blickwinkel erschienen fast ausschließlich Oppositionelle und Widerständler als Eingesperrte.<br />

Da das „natürliche Deutungsmuster“ für den Krieg von aktiv kämpfenden Parteien gebildet<br />

wurde, erhielten Aktivisten <strong>des</strong> Widerstan<strong>des</strong> Anerkennung als heroische Opfer <strong>im</strong> Gegensatz<br />

zu erniedrigten „passiven“ Opfern. 79 Für Juden war der Status eines Opfers aus diesem Grund<br />

nicht erstrebenswert, rief er doch Mitleid und Verachtung hervor. Zudem bestand die<br />

Befürchtung, die Opferrolle könnte dem Antisemitismus in der US-amerikanischen<br />

Gesellschaft neue Nahrung geben. <strong>Die</strong> amerikanischen Juden orientierten sich schließlich an<br />

74 Heidemarie Uhl, ‚Das „erste Opfer“. Der österreichische Opfermythos und seine Transformationen in der<br />

Zweiten Republik’, ÖZP Vierteljahresschrift, 30. Jg, Heft 1 (2001) S. 19-34.<br />

75 Ernst Hanisch: <strong>Die</strong> Präsenz <strong>des</strong> Dritten Reiches in der Zweiten Republik, in: Wolfgang Kos (Hg.): Inventur<br />

45/55. Österreich <strong>im</strong> ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik, Wien 1996, S. 33-50, S. 35.<br />

76 Heidemarie Uhl: Das „erste Opfer“. Der österreichische Opfermythos und seine Transformationen in der<br />

Zweiten Republik, in: ÖZP Vierteljahresschrift, 30. Jg, Heft 1, 2001, S. 19-34, S. 19.<br />

77 Peter Novick: Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord, Stuttgart/ München 2001.(engl.<br />

Originalausgabe, The Holocaust in American Life, Boston/ New York, 1999).<br />

78 Alan Mintz, Popular Culture and the Shaping of Holocaust Memory in America, Seattle/London 2001.<br />

79 Peter Novick: Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord, Stuttgart/München 2001, S. 36-43.<br />

26


der Kultur der Sieger und versuchten, ihr Opfersein als etwas Vergangenes abzulegen. 80 So<br />

wurde in den 1940er und 1950er Jahren kaum von der Judenvernichtung gesprochen. Wie<br />

Peter Novic nachzeichnete, wurde der Holocaust erst in den 1960er Jahren unabhängig von<br />

anderen Opfergruppen dargestellt. In Zusammenhang mit dem Eichmannprozess 1963 wurde<br />

der Begriff „Holocaust“ in Bezug auf die nationalsozialistischen Verbrechen an den Juden<br />

erstmalig verwendet. Neben der öffentlichen Kontroverse v. a. um die Berichterstattung<br />

Hannah Arendts, der die Aufmerksamkeit auf die „jüdischen“ Opfer lenkte, wurde der<br />

Holocaust für die Unterstützung Israels instrumentalisiert, die ihren Höhepunkt Ende der<br />

1970er Jahre erreichte. 81 In dieser Zeit begann auch die Umorientierung der amerikanischen<br />

Juden, sie begannen sich selbst als Opfer zu definieren, und dieser Status wurde zu einem<br />

wichtigen Identifikationsmerkmal, das mit Stolz verknüpft war.<br />

Der Holocaust und die Staatsgründung Israels <strong>sind</strong> die zwei Ereignisse, die „jüdische“<br />

Identität <strong>im</strong> 20. Jahrhundert am stärksten prägten, wobei Religion und historisches<br />

Bewusstsein, insbesondere der Antisemitismus <strong>des</strong> Nationalsozialismus als identitätsstiftende<br />

Faktoren fungierten, vor allem, weil er die Ass<strong>im</strong>ilation verhinderte. 82 Eine wichtige<br />

politische Rolle spielt in den USA die Hervorhebung einer Gruppenidentität, indem eine<br />

geschichtliche Opferrolle geltend gemacht wird, wie dies auch bei Schwarzen oder<br />

Homosexuellen der Fall ist. Einher damit geht eine Neudefinition von Opfer, denn „die<br />

Haltung gegenüber Opfern hat sich von Distanznahme und Verachtung zu begeisterter<br />

Zuwendung verschoben“. 83 Dabei wird ständig versucht, das Verhältnis der heutigen<br />

„jüdischen“ Identität zum Holocaust neu auszuloten, wenn etwa untersucht wird, wie der<br />

Holocaust die Identität von „Juden“ und „Jüdinnen“ beeinflusst, auch wenn diese gar nicht<br />

persönlich betroffen waren, da sie keine Nachfahren von Überlebenden oder Getöteten<br />

waren. 84<br />

Gegen die Shoah als „identity marker“ regt sich aber auch Widerstand, und es gibt die<br />

Tendenz v. a. <strong>im</strong> angloamerikanischen Raum, jüdische Identität abseits von Holocaust und<br />

80 Peter Novick: Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord, Stuttgart/München 2001, S. 165-167.<br />

81 Peter Novick: Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord, Stuttgart/München 2001, S. 171-198.<br />

82 Andrea Brill: Historisches Bewusstsein als ein Kriterium jüdischer Identität, in: Klaus Hödl (Hg.):<br />

Historisches Bewusstsein <strong>im</strong> jüdischen Kontext. Strategien – Aspekte – Diskurse, Innsbruck/Wien/Bozen 2004,<br />

S. 257-270, 257-258.<br />

83 Peter Novick: Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord, Stuttgart/München 2001, S. 20.<br />

84 Vgl. Debra Kaufmann: Post-Holocaust Memory: Some gendered reflections, in: Judith Baumel (Hg): Gender,<br />

place and memory in the modern Jewish experience, London 2003, S. 187-196.<br />

27


Antisemitismus zu explorieren. 85 <strong>Die</strong> Erinnerung an die „gemeinsam erlittene Katastrophe“<br />

überschattet, so Kritiker, eine positive jüdische Identität aus religiöser Tradition durch eine<br />

negative Fremdbest<strong>im</strong>mung, dem Antisemitismus. 86 So schreibt die britische Wissenschafterin<br />

Juliet Steyn in ihrer Arbeit über jüdische Identitäten, ihr <strong>Buch</strong> stehe „against those histories<br />

which set the Shoah as the founding moment of Jewish history and as the framing identity for<br />

the Jew in Modernity.“ Sie stellt weiter fest: „Jewish themes before the Shoah tempt us to<br />

read as predictions. As if the Final Solution were an already accomplished fact.“ 87 In<br />

Österreich hingegen ist die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit<br />

noch so dominant, dass die jüdische Gemeinde sich, zumin<strong>des</strong>t in der Öffentlichkeit, kaum<br />

abseits von der Geschichte der Verfolgung positionieren kann.<br />

85<br />

Vgl. Michael Berkowitz: The Jewish Self-Image. American and British Perspektives, 1881-1939, London<br />

2000.<br />

86<br />

Andrea Brill: Historisches Bewusstsein als ein Kriterium jüdischer Identität, in: Klaus Hödl (Hg.):<br />

Historisches Bewusstsein <strong>im</strong> jüdischen Kontext. Strategien – Aspekte – Diskurse, Innsbruck/Wien/Bozen 2004,<br />

S. 257-270, 258.<br />

87<br />

Juliet Steyn: The Jew. Assumptions of Identity, London/New York 1999, S. 2.<br />

28


3 Quellen: Vermögensanmeldungen, das Sample und die Datenbank<br />

<strong>Die</strong> Akten der Vermögensverkehrsstelle als Quelle<br />

Erste Seite einer Vermögensanmeldung.<br />

Mit der Kundmachung <strong>des</strong> Reichsstatthalters in Österreich betreffend die „Verordnung über<br />

die Anmeldung <strong>des</strong> Vermögens von Juden vom 26. April 1938“ wurde die <strong>im</strong> Deutschen<br />

Reich seit 18. Oktober 1936 geltende Verordnung in Österreich eingeführt, in der festgelegt<br />

wurde, dass alle „Juden“ und „Jüdinnen“ ihr Vermögen mit Stichtag 27. April 1938 den<br />

Behörden bekannt zu geben hatten. 88 Auf dieser Grundlage planten die Nationalsozialisten<br />

ihren Raubzug an der jüdischen Bevölkerung in der Form eines nach ihren Gesetzen legalen<br />

Vermögensentzuges.<br />

88 GBlÖ. 102/1938, RGBl. I. S. 887. <strong>Die</strong> Definition von Juden orientierte sich an § 5 der Ersten Verordnung zum<br />

Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935, RGBl. I S. 1333, siehe Kapitel 2.<br />

29


<strong>Die</strong> Vermögensanmeldungen orientierten sich in ihrem Aufbau und ihrer Funktion an anderen<br />

amtlichen Vermögensverzeichnissen, zum Beispiel an den Vermögensinventaren, die nach<br />

einem To<strong>des</strong>fall angefertigt wurden. Beiden ist gemeinsam, dass die Behörden damit<br />

Kenntnis über das Vermögen zu erlangen suchten, um darauf das weitere Vorgehen, etwa die<br />

Einhebung von Steuern, zu begründen. Im Gegensatz zu Nachlassverzeichnissen wurde das<br />

Vermögensverzeichnis nur von einem eingeschränkten Personenkreis verlangt, nach der<br />

rassischen Definition der Nationalsozialisten von „Juden“, einem Kriterium, das mit<br />

steuerlichen Belangen nichts zu tun hatte. <strong>Die</strong> betroffenen Personen konnten in der<br />

Vermögensverkehrsstelle nicht eine Verwaltungsbehörde sehen, die die Einhaltung der<br />

steuerlichen Pflichten überwachte, sondern sie nur als existentielle Bedrohung wahrnehmen.<br />

Allein, dass jemand sein Vermögen auf eine Art, wie sie sonst in To<strong>des</strong>fällen angewandt<br />

wurde, auflisten musste, konnte nur Anlass zu schl<strong>im</strong>men Vorahnungen sein. Das<br />

Zuwiderhandeln gegen die „Anmelde-, Bewertungs- und Anzeigepflicht“ war abgesehen von<br />

Geldbußen auch mit Gefängnisstrafen bedroht.<br />

Wie aussagekräftig <strong>sind</strong> die in den Vermögensanmeldungen angegebenen Werte? Wie in<br />

anderen steuerlichen Angelegenheit auch, wären die AnmelderInnen bemüht gewesen, ihr<br />

Vermögen so niedrig wie möglich zu bewerten und gewisse Vermögenswerte wie<br />

ausländische Posten womöglich zu unterschlagen. Es wird davon ausgegangen, dass die<br />

Vermögensanmeldungen nicht das gesamte Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

wiedergeben, die Falsch- bzw. Nichtmeldungen jedoch, aufgrund der hohen Strafandrohung,<br />

geringer gewesen seien als bei der „üblichen“ Steuerhinterziehung. Eine Möglichkeit,<br />

Vermögen unbemerkt niedriger zu bewerten, waren die Wechselkurse von Schilling zu<br />

Reichsmark. 89 Ferner ist zu berücksichtigen, dass viele derjenigen, die schon bald nach dem<br />

Anschluss flüchteten, keine Vermögensanmeldung abgaben. Meist waren es vermögende<br />

Menschen, die so rasch auf die politische Veränderung reagieren und das Land verlassen<br />

konnten, oder solche, die keine Familie zurücklassen mussten. Schätzungsweise 5.500<br />

Vermögensanmeldungen wurden so nicht abgegeben und das Vermögen statistisch nicht<br />

89 In der VA musste <strong>im</strong> Gegensatz zum bisherigen Wechselkurs von 1 RM=2,15 S der Wechselkurs 1 RM = 1,5<br />

S herangezogen werden. Helen Junz vermutet, dass einige wissentlich den alten Wechselkurs zugrunde legten<br />

und so niedrigere Werte angaben. Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara<br />

Holzheu, Sonja Niederacher, Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der<br />

jüdischen Bevölkerung Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der<br />

Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und<br />

Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Band 9) Wien-München, 2004, S. 15.<br />

30


erfasst. 90 Wie sehr das Gesamtergebnis dadurch beeinflusst wurde, ist nicht ganz klar,<br />

Michael Pammer, der Autor über der Studie über „jüdische“ Vermögen in Wien, vermutet<br />

durch die nicht abgegebenen VA zumin<strong>des</strong>t keine Verzerrung der Eigentumsstrukturen. 91 <strong>Die</strong><br />

Vermögensverkehrsstelle kontrollierte die eingegangenen Anmeldungen auf verschiedenen<br />

Wegen. Ab 1939 mussten „Juden“ und „Jüdinnen“, gemäß der Verordnung über den Einsatz<br />

<strong>des</strong> jüdischen Vermögens 92 , ihre Schmuckgegenstände abliefern, diese wurden auch „§ 14-<br />

Ablieferungen“ genannt. <strong>Die</strong> Beamten der Vermögensverkehrsstelle verglichen nun die<br />

Ablieferungsbestätigungen der so genannten „Ankaufsstelle“ 93 mit den<br />

Vermögensverzeichnissen, um feststellen zu können, ob das Abgegebene zuvor auch<br />

angemeldet worden war. Ebenso verglichen sie die für eine Ausreisegenehmigung<br />

unabdinglichen Reichsfluchtsteuerbescheide mit den Anmeldungen, um widersprüchlichen<br />

Angaben auf die Spur zu kommen. 94<br />

Laut der Zählung der Vermögensverkehrsstelle gaben genau 47.768 Personen eine<br />

Vermögensanmeldung ab, davon waren 43.495 Personen, das <strong>sind</strong> 93 Prozent, aus dem Gau<br />

Wien, 4.273 Anmeldungen entfielen auf die übrigen Gaue. 95 Anmeldepflichtig waren auch<br />

„nichtjüdische“ EhegattInnen, die Vermögen waren aber für jede Person getrennt anzugeben,<br />

es gab also keine Familienanmeldungen. Das bedeutet, dass der Kreis der Personen, auf die<br />

die Nürnberger Rassegesetze zutrafen, erweitert wurde und in diesem Quellenbestand und in<br />

der Folge auch <strong>im</strong> Sample Personen <strong>sind</strong>, die nicht einmal der NS-Definition von<br />

„Jüdischsein“ entsprachen. <strong>Die</strong> Formulare waren jedoch so angelegt, dass die anmeldende<br />

Person automatisch als unter die Nürnberger Rassengesetze fallend angesehen wurde. Nur bei<br />

den Angaben zu den EhepartnerInnen waren eine diesbezügliche Wahlmöglichkeit und eine<br />

90 Ulrike Felber, Peter Melichar, Markus Priller, Berthold Unfried und Fritz Weber: Ökonomie der Arisierung,<br />

Teil 1: Grundzüge, Akteure und Institutionen. (=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission.<br />

Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich.<br />

Band 10/1) Wien-München, 2004, S. 329.<br />

91 Michael Pammer: Jüdische Vermögen in Wien 1938, (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 8) Wien-München, 2003, S. 37.<br />

92 RGBl. I. S. 1709, GBlÖ 96/1939.<br />

93 Das Versatz-, Verwahrungs- und Versteigerungsamt Dorotheum war „öffentliche Ankaufsstelle“ für „§ 14-<br />

Ablieferungen“, rund 15.000 solcher Ablieferungen <strong>sind</strong> dokumentiert, siehe dazu Stefan Lütgenau, Alexander<br />

Schröck und Sonja Niederacher: Zwischen Staat und Wirtschaft. Das Dorotheum <strong>im</strong> Nationalsozialismus,<br />

Oldenbourg: Wien München, 2006, S. 152-189.<br />

94 Ulrike Felber, Peter Melichar, Markus Priller, Berthold Unfried und Fritz Weber: Ökonomie der Arisierung,<br />

Teil 1: Grundzüge, Akteure und Institutionen. (=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission.<br />

Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich.<br />

Band 10/1) Wien-München, 2004, S. 84.<br />

95 Im ÖSTA <strong>sind</strong> die Vermögensanmeldungen in 183 Kartons verwahrt. <strong>Die</strong> Akten von 1 bis 47.800, das<br />

entspricht den Kartons 1 bis 173, <strong>sind</strong> durchgehend nummeriert. In den zehn letzten Kartons befinden sich<br />

weitere Vermögensanmeldungen bis etwa zur Aktenzahl 66.600, die Nummerierung ist allerdings sehr<br />

lückenhaft, insbesondere zwischen den Aktenzahlen 50.200 und 60.999.<br />

31


Zeile für die Angabe <strong>des</strong> Religionsbekenntnisses gegeben. In der Projektdatenbank wurden<br />

diese Angaben in ein Kästchen „nicht jüdisch“ zum Ankreuzen umgewandelt. Im Sample <strong>sind</strong><br />

14 Personen, deren EhegattInnen <strong>im</strong> Sinne der Konfession nicht jüdisch waren, ob sie unter<br />

die Nürnberger Gesetze fielen, wurde in der Datenbank nicht erfasst. Über die tatsächliche<br />

Zugehörigkeit zur jüdischen Religionsgemeinschaft der AnmelderInnen selbst gibt es keine<br />

Angaben, auch die Vermögensverkehrstelle gibt hier keine differenzierten Informationen.<br />

<strong>Die</strong> Verordnung galt für In- und AusländerInnen. <strong>Die</strong> österreichischen StaatsbürgerInnen<br />

mussten ihren in- und ausländischen Besitz deklarieren, Personen mit nicht-österreichischer<br />

bzw. deutscher Staatsbürgerschaft mussten hingegen nur ihr inländisches, d. h.<br />

österreichisches und deutsches Vermögen angeben, da das Deutsche Reich auf ausländische<br />

Vermögen ohnehin keinen Zugriff hatte.<br />

Nichtanmeldepflichtig waren Personen, deren Vermögen weniger als 5.000 RM betrug,<br />

Verbindlichkeiten nicht eingerechnet. Tatsächlich aber meldeten viele trotzdem ihr Vermögen<br />

an, obwohl sie nicht unter die Kriterien für die Anmeldung fielen. Schätzungsweise <strong>sind</strong> rund<br />

6 % der Anmeldungen unter 5.000 RM. Als Gründe dafür können Unsicherheit über die<br />

eigene Anmeldepflicht, Furcht vor den angedrohten Strafen, oder weil notwendige Unterlagen<br />

fehlten zu nennen. 96 Albert Goldschmidt beispielsweise füllte nur eine VA aus, um<br />

darzulegen, dass er eigentlich wegen seines niedrigen Vermögens nicht anmeldepflichtig<br />

sei. 97<br />

Be<strong>im</strong> Ausfüllen musste den Angaben auf dem Merkblatt Folge geleistet werden. 98 <strong>Die</strong> Frist<br />

für die Abgabe der Anmeldungen war mit 30. Juni 1938 festgesetzt, bis zu diesem Zeitpunkt<br />

sollten zumin<strong>des</strong>t Schätzwerte und eine Begründung für die Verzögerungen vorliegen. Vor<br />

allem die EigentümerInnen hoher Vermögen brauchten oft mehr Zeit, um alle Bewertungen<br />

vornehmen zu können, ihre Anmeldungen langten erst spät bei der Vermögenssverkehrsstelle<br />

ein, manche gaben bis Fristende nur Teilbewertungen ab. <strong>Die</strong> Anmeldungen wurden nach<br />

Einlangen abgelegt und mit aufsteigenden Aktenzahlen versehen, so kommt es, dass eher<br />

kleine Vermögen in der Regel niedrigere Aktenzahlen aufweisen, als hohe Vermögen.<br />

Zumin<strong>des</strong>t die erste Zeit wurden die Akten auch alphabetisch nach Nachnamen geordnet, je<br />

96 Michael Pammer: Jüdische Vermögen in Wien 1938, (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 8) Wien-München, 2003, S. 37.<br />

97 ÖSTA, AdR, 06, VVSt. 19.690.<br />

98 Anleitung zur Ausfüllung <strong>des</strong> Vermögensverzeichnisses, DÖW 5177.<br />

32


später die Anmeldungen einlangten und je höher die Aktenzahlen wurden, <strong>des</strong>to mehr wurde<br />

davon abgegangen.<br />

<strong>Die</strong> Vermögensverkehrsstelle versuchte, die eingehende Menge an Informationen mit<br />

Kodierungsbögen zu verwalten. <strong>Die</strong> Daten je<strong>des</strong> Formulars wurden in Form von<br />

Schlüsselzahlen auf einem separaten Blatt zusammengefasst, diese Blätter wurden mittels<br />

Lochkarten nach dem Hollerithsystem statistisch ausgewertet. Als die<br />

Vermögensverkehrsstelle Anfang 1939 ihren Bericht über „die Entjudung der Ostmark“<br />

verfasste, waren die Zahlen bei weiten noch nicht vollständig.<br />

<strong>Die</strong> Vermögensanmeldungen waren sowohl für die Nationalsozialisten die wichtigste<br />

Informationsquelle für den Vermögensentzug als auch für die Behörden, die nach dem Krieg<br />

mit Restitutionsansprüchen befasst waren, oft finden sich in diesen Unterlagen daher<br />

Hinweise auf andere Quellen in Zusammenhang mit Restitution.<br />

Das Sample<br />

<strong>Die</strong>ser Arbeit liegt ein in der Studie der Stiftung <strong>Bruno</strong> <strong>Kreisky</strong> Archiv (Projektleitung: Helen<br />

B. Junz, Oliver Rathkolb und Theodor Venus) <strong>im</strong> Auftrag der Historikerkommission der<br />

Republik Österreich verwendetes Sample zugrunde. 99 <strong>Die</strong>se Studie hatte zwei bereits<br />

bestehende Samples verwendet, das eine war von Helen Junz für ihre Studie für das<br />

Independent Committee of Eminent Persons (ICEP), auch Volcker Committee genannt,<br />

gezogen worden und umfasste ca. 2.000 Akten. 100 Das zweite Sample mit etwa 6.500 Akten<br />

war von Michael Pammer für seine Untersuchung für die Historikerkommission erstellt<br />

worden. 101 Das „Junz-Sample“ legte einen Schwerpunkt auf Finanzvermögen, das „Pammer-<br />

Sample“ beinhaltete keine vermögensstrukturellen Schwerpunktsetzungen. Deshalb bildet<br />

letzteres in der von Junz/Rathkolb/Venus modifizierten Form die Grundlage für diese Arbeit,<br />

99 Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher,<br />

Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien-München, 2004.<br />

100 Vgl. Helen B. Junz: Where did all the money go? Bern 2002.<br />

101 Michael Pammer: Jüdische Vermögen in Wien 1938, (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 8) Wien-München, 2003.<br />

33


es wird nun schon zum dritten Mal auf unterschiedliche Fragestellungen hin untersucht. Das<br />

Sample ist folgendermaßen aufgebaut: Pammer hatte aus allen verfügbaren Akten der<br />

Vermögensanmeldungen eine Stichprobe aus jedem sechsten Fall mit einer durch sechs<br />

teilbaren Aktenzahl gezogen. Zusätzlich hatte er aus jedem Karton (Gesamtbestand ist 180<br />

Kartons) die Akten mit dem höchsten Gesamtvermögenswert gezogen (etwa 100 Fälle). Das<br />

Projektteam der Stiftung <strong>Bruno</strong> <strong>Kreisky</strong> Archiv zog aus dem 6.500 Akten umfassenden<br />

Sample Pammers eine Stichprobe mit jedem 10. Akt und ergänzte das Sample um Akten, die<br />

von Pammer nicht ausgewertet worden waren. 102 <strong>Die</strong>se Stichprobe berücksichtigte nur Namen<br />

mit Wiener Adressen und ließ die an die einzelnen Gaue abgetretenen Fälle außer Acht. Von<br />

den so gezogenen 808 Fällen wurden die Akten mit nicht auswertbaren Daten gestrichen,<br />

übrig blieben jene 788 Fälle, mit denen auch in dieser Untersuchung gearbeitet wird. Nach<br />

den beschriebenen Änderungen und restitutionsrelevanten Erweiterungen ist dieses Sample<br />

nicht ident mit jenem, das Michael Pammer seiner Studie zugrunde legte. Aufgrund der<br />

zusätzlichen 100 Akten mit hohen Vermögen ist dieses Sample keine reine Zufallsstichprobe.<br />

Was für die Vermögensanmeldungen gilt, trifft für das Sample noch in viel stärkerem Maße<br />

zu, nämlich dass hier nicht die Vermögenssituation der gesamten jüdischen Wiener<br />

Bevölkerung abgebildet wird. Abgesehen von den Einschränkungen der<br />

Vermögensverkehrsstelle kommen <strong>im</strong> Sample insbesondere die Hinzurechnung der besagten<br />

100 Akten mit den höchsten Vermögen pro Karton zum Tragen sowie der Umstand, dass die<br />

Vermögen <strong>im</strong> Bestand ungleich verteilt <strong>sind</strong>, da die hohen Vermögen tendenziell hohe<br />

Aktenzahlen aufweisen, und dies bei der Erstellung <strong>des</strong> Samples nicht einbezogen wurde.<br />

Auch die 20 wegen Nichtverwertbarkeit der Daten gestrichenen Daten <strong>sind</strong> zu<br />

berücksichtigen. Es gibt bislang keine Berechnungen über das Vermögen der jüdischen<br />

Bevölkerung für 1938, die erstens nicht auf den Vermögensanmeldungen beruhen und<br />

zweitens nicht mit einem Sample auf die Gesamtheit hochgerechnet wurden. Eine Ausnahme<br />

ist die von der Vermögensverkehrsstelle selbst angelegte Statistik und die Daten zur<br />

Ausstellung, die offensichtlich auf dieser statistischen Auswertung beruhen, die jedoch, wie<br />

gesagt, auch nicht vollständig waren. 103 Junz/Rathkolb/Venus haben besonders hohe<br />

Vermögen, als „Ausreißer“, aus der Berechnung gestrichen, um Verzerrungen zu vermeiden.<br />

Auch in dieser Arbeit werden punktuell für die Kategorie Kapitalvermögen so verfahren.<br />

102 Zu den Details der Samplebildung siehe Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar,<br />

Barbara Holzheu, Sonja Niederacher, Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen<br />

der jüdischen Bevölkerung Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der<br />

Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und<br />

Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Band 9) Wien-München, 2004, S. 19-27.<br />

103 Staatskommissar in der Privatwirtschaft: Statistik über das angemeldete Vermögen der Juden, Bibliothek der<br />

Handelskammer Wien. <strong>Die</strong>ses Exemplar ist laut Auskunft der WKO am 27.11.2006 verschollen.<br />

34


Das Subsample<br />

Da eine detaillierte Recherche für das gesamte Sample vom Aufwand her nicht zu<br />

bewerkstelligen war, wurde ein Subsample von 78 Personen gebildet, das entspricht jedem 10<br />

Namen aus der alphabetisch gereihten Namensliste. Bei Personen, die außerhalb Wiens<br />

wohnhaft waren bzw. eine andere Staatsbürgerschaft hatten oder staatenlos waren und zu<br />

denen in einer Erstrecherche keine Hinweise gefunden wurden, wurde der darauf folgende<br />

Name genommen. Von den 78 Personen <strong>sind</strong> 31 Frauen und 47 Männer. Für die Personen <strong>des</strong><br />

Subsamples wurden die Verwandtschaftsverhältnisse ihrer und der vorherigen Generation<br />

genau untersucht. Als Quellen dienten die Matriken der IKG, die Verlassenschaftsakten <strong>im</strong><br />

WStLA, die Vermögensanmeldungen von Verwandten <strong>im</strong> ÖSTA, die Einträge in den<br />

Grundbüchern und andere Quellen. <strong>Die</strong> in den folgenden Kapiteln besprochenen Einzelfälle<br />

stammen aus diesem Subsample, während die quantitative Analyse durch Auswertung <strong>des</strong><br />

Gesamtsamples aus der Datenbank erfolgt.<br />

Das Subsample bietet die Möglichkeit, die Vermögen <strong>im</strong> Detail anzusehen und statistische<br />

Verzerrungen <strong>im</strong> Einzelnen zu relativieren. Liegt be<strong>im</strong> großen Sample der Mittelwert <strong>des</strong><br />

Gesamtvermögens von Männern und Frauen bei RM 31.024,81, so ergibt eine genauere<br />

Betrachtung der einzelnen Vermögenswerte <strong>im</strong> kleinen Sample ein anderes Bild: Der Großteil<br />

der Vermögen <strong>des</strong> kleinen Samples ist äußerst niedrig und entspricht gerade der<br />

Min<strong>des</strong>tsumme der VVSt von RM 5.000 oder nicht einmal das. Das bedeutet also, dass einige<br />

große Vermögen die vielen kleinen stark kompensieren. Nicht nur be<strong>im</strong> Vermögen, auch bei<br />

allen anderen Kategorien, wie Beruf usw., liefert eine Detailanalyse zahlreiche neue Aspekte,<br />

die das statistische Profil ergänzen.<br />

35


<strong>Die</strong> Datenbank als historische Quelle<br />

Datenbank: Blatt 1 mit persönlichen Angaben.<br />

Das <strong>Kreisky</strong> Archiv Team speiste das modifizierte Sample in eine MS-Access-Datenbank ein<br />

und kombinierte es mit restitutionsrelevanten Daten, was einen bedeutenden Schritt darstellte,<br />

die wichtigste historische Quelle für die vorliegende Studie besteht nun nicht aus 183<br />

Aktenkartons mit den Vermögensanmeldungen, sondern aus 3,25 Megabites, strukturiert in 55<br />

Tabellen, fünf Karten, vier Listen sowie eine Vielzahl von Verknüpfungen. <strong>Die</strong> Datenbank ist<br />

nicht lediglich eine digitale Wiedergabe von historischem Quellenmaterial, sondern ein neue<br />

eigenständige Quelle an sich, sowohl was Inhalt, aber auch die Form betrifft. Ein<br />

entscheidender Unterschied ist die Spezifizierung <strong>des</strong> Geschlechtes der AnmelderInnen, die<br />

nur in der Datenbank, jedoch nicht in den VA vorgenommen wurde. <strong>Die</strong> Datenbank beinhaltet<br />

folgende Kategorien pro Fall: Person, Vermögen, Restitution, Entschädigung. <strong>Die</strong> ersten<br />

beiden Kategorien enthalten Daten aus den Vermögensanmeldungen (i.e. dem Sample von<br />

Pammer), die letzten zwei beinhalten Daten zu Restitution und Entschädigung aus den Akten<br />

36


der Finanzlan<strong>des</strong>direktion, <strong>des</strong> Abgeltungsfonds, der VEAV, den Grundbüchern, Unterlagen<br />

aus dem Kriegs- und Verfolgungssachschädengesetz u. a. Im Zuge der Auswertung dieser<br />

Quellen wurden auch Angaben in den ersten beiden Kategorien, die in der<br />

Vermögensanmeldung nicht enthalten waren, ergänzt. Meist handelte es sich um persönliche<br />

Angaben, wie Geburtsdaten, Adressen oder genauere Angaben zu Vermögenswerten,<br />

beispielsweise Einlagezahlen von Grundstücken, mitunter aber auch um ganze<br />

Vermögenswerte, die in der Vermögensanmeldung nicht angegeben waren. <strong>Die</strong> Herkunft der<br />

Daten wurde dokumentiert und ist aus der Datenbank nachzuvollziehen. Das Design der<br />

Datenbank folgt dem Formular der Vermögensanmeldung, die Kategorien Entschädigung und<br />

Restitution <strong>sind</strong> dem nachgeordnet. Trotzdem <strong>sind</strong> die ersten beiden Blätter nicht völlig mit<br />

den Vermögensanmeldungen ident, bereits auf der ersten Seite <strong>sind</strong> Felder für Informationen,<br />

die erst nach 1945 bekannt waren, wie z.B. „Nachkriegsadresse“ oder „überlebt“. <strong>Die</strong><br />

Formulare der Vermögensverkehrsstelle beinhalteten keine vorgefertigten Antworten zum<br />

Ankreuzen, verlangten geschriebene Antworten. <strong>Die</strong>se Form ist einer statistischen<br />

Auswertung eher hinderlich, da die Zeilen individuell ausgefüllt wurden und für verschiedene<br />

Begriffe ähnliche Bezeichnungen verwendet werden konnten oder Gleiches unterschiedlich<br />

bezeichnet werden konnte. Auch <strong>sind</strong> nicht überall Angaben vorhanden. Beispielsweise kann<br />

der Anteil an einem Grundstück mit 50 Prozent oder der Hälfte angegeben werden – wir<br />

verstehen darunter das gleiche, die Datenbank, wenn die Einträge wörtlich der Vorlage<br />

folgen, nicht. Eine Datenbank verlangt eindeutige und formalisierte Angaben, wie sie in den<br />

Akten nicht vorgefunden werden.<br />

Mithilfe von Auswahlabfragen, mit der die in Tabellen gespeicherten Daten verknüpft werden<br />

können, werden die Informationen in Excel-Tabellen übertragen und ausgewertet. In diesem<br />

Fall wird nicht auf die zahlreichen Abfragen, die zur Auswertung für das<br />

Historikerkommissions-Projekt erstellt wurden, zurückgegriffen, der Hauptgrund liegt darin,<br />

dass die Kategorie Geschlecht in den meisten Abfragen nicht inkludiert war, auch decken sich<br />

die bestehenden Abfragen meist nicht mit meinen Fragestellungen, da sie zu sehr auf die<br />

Verknüpfung von Vermögensentzug mit Restitution fokussieren.<br />

37


4 <strong>Die</strong> Untersuchungsgruppe<br />

Das Sample umfasst Personen, deren offensichtliche Gemeinsamkeit darin liegt, dass sie der<br />

nationalsozialistischen Definition von „Jüdischsein“ entsprachen und gezwungen wurden, ihr<br />

Vermögen zu deklarieren. Dennoch, nach ökonomischen Kriterien gehörten die hier<br />

untersuchten Personen der besitzenden Klasse an, jedenfalls nicht dem Proletariat, obwohl<br />

auch Personen eine Vermögensanmeldung ausfüllten, die außer einem Einkommen überhaupt<br />

keinen Besitz hatten. <strong>Die</strong> Vermögensanmeldung bildete den Rahmen für sehr unterschiedliche<br />

ökonomische und soziale Positionen. Es ist bleibt zu fragen, ob „bürgerlich“ ein adäquater<br />

Begriff zur Beschreibung dieser von Heterogenitäten gekennzeichneten Gruppe sein kann,<br />

und dies unter dem Vorzeichen, dass sich „Bürgerlichkeit“ ohnehin einer eindeutigen<br />

Definition entzieht. Vielmehr wird darunter ein Set von Merkmalen, die einer Personengruppe<br />

<strong>im</strong> 19. und frühen 20. Jahrhundert gemeinsam waren, wie Normen, Mentalitäten oder<br />

kulturelle Muster, verstanden. Leichter scheint es, Bürgerlichkeit mit einer negativen<br />

Begriffsbest<strong>im</strong>mung zu erklären, wie Jürgen Kocka, der dem Nicht-Bürgerlichen die<br />

Eigenschaften „aristokratisch, geistlich, ländlich, militärisch oder Unterschicht“ zuschreibt. 104<br />

Dass mit „Bürgertum“ und <strong>des</strong>sen viel beforschten Werthaltungen mehrheitlich die oberen<br />

Schichten identifiziert werden, wird an den Distanzierungen „nach unten“ erkennbar, wo das<br />

Kleinbürgertum der Handwerksmeister und Kleinhändler, der Angestellten und niederen<br />

Beamten angesiedelt wird. 105 Während in der Unternehmensgeschichte der „Mittelstand“<br />

Unternehmen mit bis zu 500 MitarbeiterInnen und damit die große Mehrheit der<br />

Wirtschaftstreibenden benennt, scheint in der Bürgertumsforschung der „Mittelstand“ sich<br />

viel näher an den unteren Schichten zu befinden, bei den Kleinbürgern, dem negativ besetzten<br />

unteren Rand <strong>des</strong> Bürgertums. „Bürgerlichkeit“ scheint auch als Hilfskonstrukt für die<br />

Beschreibung dieses Samples geeignet, sofern die materiellen Aspekte <strong>im</strong> Vordergrund<br />

stehen, und nicht die ideellen Werte, mit denen das Bürgertum gemeinhin beschrieben wird,<br />

da eine vermögensrelevante Untersuchung darauf keine Antworten zu geben vermag. In<br />

ökonomischen Zusammenhängen wird der Begriff der „Mittelschicht“ verwendet wird, der<br />

ideologisch weniger befrachtet ist und sich mehr auf die finanziellen Ressourcen bezieht. Eine<br />

ökonomische Definition <strong>des</strong> Bürgertums erarbeiteten beispielsweise Bruckmüller und Stekl<br />

104 Jürgen Kocka: Bürgertum und Bürgerlichkeit als Probleme der deutschen Geschichte vom späten 18. zum<br />

frühen 20. Jahrhundert, in: Jürgen Kocka (Hg.): Bürger und Bürgerlichkeit <strong>im</strong> 19. Jahrhundert, Göttingen 1987,<br />

S. 21-63, S. 42.<br />

105 Heinz-Gerhard Haupt, Geoffrey Crossick: <strong>Die</strong> Kleinbürger. Eine europäische Sozialgeschichte <strong>des</strong> 19.<br />

Jahrhunderts, München 1998.<br />

38


für 1904. Unter Heranziehung der Vorerhebungen für die Sozialversicherungsvorlage, der<br />

Einkommensstatistik, der Wohnungsstatistik und Statistiken über die Beschäftigung von<br />

häuslichem <strong>Die</strong>nstpersonal definierten sie pro Haushalt ein Jahreseinkommen von 2.400<br />

Kronen bzw. zwei familienfremde Arbeitskräfte als Untergrenze der bürgerlichen Schicht. 106<br />

Finanzielle Ressourcen ermöglichten erst einen best<strong>im</strong>mten Lebensstil und den Ausdruck<br />

einer als bürgerlich gekennzeichneten Kultur, umgekehrt beeinflussen Wertvorstellungen in<br />

Form von Verhaltensmustern und gesetzlichen Normierungen die Verteilung dieser<br />

Ressourcen in der Gesellschaft, aber auch innerhalb der eigenen Klasse, zwischen den<br />

Geschlechtern und zwischen anderen Gruppierungen, wie den Konfessionen beispielsweise.<br />

<strong>Die</strong> herrschenden Geschlechterverhältnisse wiesen allerdings die zentralen Parameter der<br />

Bürgerlichkeit, nämlich politische und mit der wirtschaftlichen Betätigung auch die soziale<br />

Statusbildung und folglich auch die Möglichkeit zur sozialen Mobilität hierarchisch dem<br />

männlichen Geschlecht zu, während Frauen ihre soziale Position stärker als Männer nach der<br />

Familie und vom Ehemann bezogen. Das bürgerliche Rollenmodell sah die Lebensgestaltung<br />

von Frauen abseits von geschäftlichen und folglich Geld vermehrenden Tätigkeiten zuhause,<br />

auch wenn dies durch die Praxis permanent in Frage gestellt wurde. 107 <strong>Die</strong> Wahrnehmung von<br />

wirtschaftlicher Produktivität von Frauen orientierte sich dabei stärker an den<br />

Sollvorstellungen als an den tatsächlichen Verhältnissen.<br />

Weitere Grenzziehungen werden zwischen Wirtschafts- und Bildungsbürgertum ausgemacht,<br />

wobei vor allem das Perforieren dieser Linien von Interesse ist. 108 Für Wien wird eine enge<br />

Verbindung von Besitz und Bildung konstatiert, eine Interaktion <strong>des</strong> gehobenen<br />

Wirtschaftsbürgertums mit anderen Klassen, da viele Schriftsteller, Philosophen und<br />

Wissenschaftler dem Wirtschaftsbürgertum entstammten. 109 In diesem Zusammenhang erfuhr<br />

das „jüdische Bürgertum“ <strong>des</strong> Fin de Siècle große Aufmerksamkeit in der Historiographie,<br />

106 Ernst Bruckmüller, Hannes Stekl: Zur Geschichte <strong>des</strong> Bürgertums in Österreich, in: Jürgen Kocka (Hg.):<br />

Bürgertum <strong>im</strong> 19. Jahrhundert. Deutschland <strong>im</strong> europäischen Vergleich, Bd. 1, München 1988, S. 160-192, S.<br />

169-170.<br />

107 Vgl. Renate Flich: Aufbrauch aus der Fremdbest<strong>im</strong>mung- <strong>Die</strong> Bürgerin auf der Suche nach ihrer Identität, in:<br />

Hannes Stekl, Peter Urbanitsch, Ernst Bruckmüller und Hans Heiss (Hg.): „Durch Arbeit, Besitz, Wissen und<br />

Gerechtigkeit. (Bürgertum in der Habsburgermonarchie 2) Wien/Köln/We<strong>im</strong>ar 1992, S. 346-352.<br />

108 <strong>Die</strong>ter Ziegler: <strong>Die</strong> wirtschaftsbürgerliche Elite <strong>im</strong> 20. Jahrhundert: eine Bilanz, in: <strong>Die</strong>ter Ziegler (Hg.):<br />

Großbürger und Unternehmer: die deutsche Wirtschaftselite <strong>im</strong> 20. Jahrhundert (Bürgertum. Beiträge zur<br />

europäischen Gesellschaftsgeschichte, Bd. 17) Göttingen 2000, S. 7-31, S. 8-9.<br />

109 Ernst Bruckmüller, Wolfgang Meixner: Wiener Wirtschaftsbürgertum um 1900, in Karl Möckl (Hg.):<br />

Wirtschaftsbürgertum in den deutschen Staaten <strong>im</strong> 19. und beginnenden 20. Jahrhundert (Deutsche<br />

Führungsschichten in der Neuzeit 21) München 1996. S. 343-374, S.371-374.<br />

39


sämtliche Autoren betonen die Bedeutung <strong>des</strong> „jüdischen“ Teils <strong>des</strong> Bürgertums, belassen es<br />

aber dabei, ohne eine weitere Differenzierung in der Betrachtung vorzunehmen oder auch<br />

mehrere soziale und religiöse Gruppierungen miteinzuschließen (siehe dazu Kapitel<br />

Konstruktionen <strong>des</strong> „Jüdischen“). <strong>Die</strong> Bedeutung wird allerdings so hoch angesetzt, dass<br />

beispielsweise Bruckmüller und Meissner das Ende <strong>des</strong> Wiener Wirtschaftsbürgertums in<br />

Bezug zur Vertreibung und Ermordung der jüdischen Wirtschaftstreibenden Jahr 1938<br />

stellen. 110 Allgemein wird in der Historiographie das Ende <strong>des</strong> bürgerlichen Zeitalters mit<br />

dem Ende <strong>des</strong> langen 19. Jahrhunderts gleich gesetzt. Hans Mommsen schreibt, dass man in<br />

den 1920er und 1930er Jahren nicht mehr uneingeschränkt vom Bürgertum sprechen könne,<br />

weil sich diese Schicht ausdifferenziert habe. Er bezieht sich dabei hauptsächlich auf soziale<br />

Organisationsformen, politische Tendenzen und die Kultur, jedoch kaum auf ökonomische<br />

Verhältnisse. 111 In diesem Sinne gehörten die <strong>im</strong> Sample zusammen gefassten Personen zu<br />

den letzten der bürgerlichen Epoche, deren ökonomische Bandbreite eine exakte Benennung<br />

ebenso unmöglich macht wie die zeitbedingte Erosion eines einheitlichen bürgerlichen<br />

Lebensstils.<br />

Neben dem Vorhandensein materieller Ressourcen spielen andere Kriterien wie Familie,<br />

Bildung, Beruf sowie die Möglichkeit der sozialen Mobilität eine Rolle, um eine<br />

Schichtzugehörigkeit zu kennzeichnen. Einige Hinweise dazu finden sich in den<br />

Vermögensanmeldungen.<br />

Geschlecht<br />

Innerhalb <strong>des</strong> Samples füllten mit 337 Frauen und 451 Männern (42,77 % zu 57,33 %) rund<br />

15 Prozent weniger Frauen als Männer eine Anmeldung ihres Vermögens aus. Das<br />

Verzeichnis der Personen, die eine Vermögensanmeldung abgaben, ist nicht<br />

geschlechtsspezifisch geordnet, es lässt sich daher nicht mit Sicherheit sagen, wie genau die<br />

Geschlechtsverteilung in diesem Sample mit jener <strong>des</strong> Gesamtbestan<strong>des</strong> an<br />

110 Ernst Bruckmüller, Wolfgang Meixner: Wiener Wirtschaftsbürgertum um 1900, in Karl Möckl (Hg.):<br />

Wirtschaftsbürgertum in den deutschen Staaten <strong>im</strong> 19. und beginnenden 20. Jahrhundert (Deutsche<br />

Führungsschichten in der Neuzeit 21) München 1996. S. 343-374, S.371-374.<br />

111 Hans Mommsen: <strong>Die</strong> Auflösung <strong>des</strong> Bürgertums seit dem späten 19. Jahrhundert, in: Jürgen Kocka (Hg.):<br />

Bürger und Bürgerlichkeit <strong>im</strong> 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 288-315.<br />

40


Vermögensanmeldungen übereinst<strong>im</strong>mt. 112 Auch die Vermögensverkehrsstelle fertigte keine<br />

geschlechtsspezifischen Listen an. Das Sample spiegelt jedenfalls nicht das Verhältnis von<br />

Frauen und Männern in der Bevölkerung wieder, das gemäß der Volkszählung von 1934 von<br />

einer Frauenmehrheit von 54,5 % zu 45,5 % gekennzeichnet war. 113 Ausschlaggebend für die,<br />

gemessen an ihrer Bevölkerungszahl, Unterrepräsentation von Frauen waren die Kriterien der<br />

Verordnung über die Anmeldung <strong>des</strong> Vermögens von Juden vom 26. April 1938, wonach nur<br />

Vermögen anmeldepflichtig war, das 5.000 RM ohne Berücksichtung der Verbindlichkeiten<br />

überstieg. 114 Es lässt sich festhalten, dass es deutlich weniger Frauen als Männer waren, die<br />

über die angegebene Min<strong>des</strong>thöhe an Vermögen verfügten.<br />

Altersverteilung<br />

Gemäß den Angaben der Vermögensverkehrsstelle überwiegt die Zahl der 40-59-Jährigen<br />

deutlich vor den 60-70-Jährigen, gefolgt von den 30-39 Jährigen. Auch die Vermögen <strong>sind</strong><br />

altersspezifisch ähnlich verteilt, am meisten Vermögen wurde von den 50-59-Jährigen<br />

angemeldet. 115 Unter-30-Jährige und Kinder <strong>sind</strong> bei den Vermögensanmeldungen schwach<br />

vertreten, da diese meist über kein Einkommen und nur in Ausnahmefällen etwa nach<br />

Erbschaften über eigenes Vermögen verfügten. 116<br />

Staatsangehörigkeit<br />

61 Personen gaben eine andere Staatszugehörigkeit als deutsch oder österreichisch an: 22<br />

Tschechoslowakei, 16 Polen, 8 Ungarn, 5 Jugoslawien, 4 Rumänien, 3 Frankreich, davon 1<br />

Syrien, 2 Türkei; eine Person gab an, staatenlos zu sein. Nicht zu eruieren <strong>sind</strong> jene, die vor<br />

112 Der Index der <strong>im</strong> ÖSTA vorhandenen Vermögensanmeldungen mit dem Titel „Recht als Unrecht beinhaltet<br />

die Namen der AnmelderInnen in alphabetischer Reihenfolge, deren Geburtsdatum und die Aktenzahl, eine<br />

geschlechtliche Kennzeichnung ist nicht vorhanden.<br />

113 Seit 1869 war der Anteil von Frauen an der Bevölkerung höher als der von Männern, mit bis 1939 steigender<br />

Tendenz. Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien. 1939-1942, Wien 1946, S. 11.<br />

114 GBlÖ 102/1938<br />

115 „<strong>Die</strong> Entjudung der Wirtschaft in der Ostmark“, Ausstellung der Vermögensverkehrsstelle <strong>im</strong> Ministerium für<br />

Wirtschaft und Arbeit. Ausstellungskatalog, o.D., S. 9.<br />

116 Zum Verhältnis zwischen Lebensalter und Vermögensakkumulation siehe die Ausführungen von Michael<br />

Pammer: Jüdische Vermögen in Wien 1938, (=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission.<br />

Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich.<br />

Band 8) Wien-München, 2003, S. 23-28.<br />

41


dem Anschluss die deutsche Staatsbürgerschaft hatten. Da aber Ausländerinnen ihr außerhalb<br />

<strong>des</strong> Deutschen Reiches befindliches Vermögen nicht angeben mussten, fielen viele nicht unter<br />

die Best<strong>im</strong>mungen für die Anmeldung jüdischen Vermögens, sofern sie kein Vermögen in<br />

Österreich besaßen. Insgesamt stammten 43.510 Anmeldungen von (zwischenzeitlichen)<br />

Staatsangehörigen <strong>des</strong> Deutschen Reiches, 4.258 von ausländischen StaatsbürgerInnen. 117<br />

Familienstand<br />

Unter den 337 Frauen waren fast 60 Prozent nicht verheiratet, 181 nannten keinen Ehepartner,<br />

sie waren also entweder ledig oder verwitwet bzw. geschieden. 141 deklarierten sich als<br />

verheiratet, zwölf bezeichneten sich dezidiert als verwitwet und drei als getrennt bzw.<br />

geschieden. 118 Anders verhält es sich mit dem Familienstand der Männer. Rund 70 Prozent<br />

der Männer dieses Samples, 318, deklarierten sich als verheiratet, 129 machten keine<br />

Angaben über eine Ehepartnerin, zwei bezeichneten sich als verwitwet und 2 als getrennt<br />

bzw. geschieden.<br />

Beruf<br />

Neben dem Familienstand war die Berufsbezeichnung in allen Bereichen, und auch in der<br />

Vermögensanmeldung, wesentlicher Konstitutionsfaktor der Identität. <strong>Die</strong> Berufsangaben in<br />

den Vermögensanmeldungen bergen sehr viele Unsicherheiten in Bezug auf ihre<br />

Aussagekraft. Mejstrik et al. stellten sich in ihrer Studie über die nationalsozialistische<br />

Neuordnung der Arbeit die Frage, „was kann (man) be<strong>im</strong> Zählen zählen“, und machten auf<br />

die Schwierigkeiten <strong>des</strong> Zählens gerade in diesem Bereich aufmerksam. 119 <strong>Die</strong> AutorInnen<br />

117 „<strong>Die</strong> Entjudung der Wirtschaft in der Ostmark“, Ausstellung der Vermögensverkehrsstelle <strong>im</strong> Ministerium für<br />

Wirtschaft und Arbeit. Ausstellungskatalog, o.D., S.9.<br />

118 Bis 1938 war die Ehe durch konfessionelles Recht geregelt. Juden und Jüdinnen war Scheidung erlaubt.<br />

KatholikInnen konnten sich zwar trennen, eine Wiederverheiratung war jedoch, außer bei Annullierung der Ehe,<br />

ausgeschlossen. Begrifflich wurde das was heute unter Trennung verstanden wird, eine Separation bei aufrechter<br />

Ehe, als Scheidung bezeichnet.<br />

119 Alexander Mejstrik, Therese Garstenauer, Peter Melichar, Alexander Prenninger, Christa Putz und Sigrid<br />

Wadauer: Berufsschädigungen in der nationalsozialistischen Neuordnung der Arbeit. Vom österreichischen<br />

Berufsleben 1934 zum völkischen Schaffen 1938-1940 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 16) Wien-München, 2004, S. 601-610.<br />

42


verweisen darauf, dass Berufsbezeichnungen „nicht Elemente eines rein logischen Systems,<br />

sondern vor allem Instrumente der Selbstpositionierung darstellen und daher je nach Kontext<br />

sehr unterschiedlich ausfallen.“ 120 <strong>Die</strong> Vermögensverkehrsstelle gab in ihrem Formular keine<br />

Struktur, keine Wahlmöglichkeiten zum Ankreuzen vor, ob berufstätig oder nicht, selbständig<br />

oder angestellt, privat oder öffentlicher <strong>Die</strong>nst usw. <strong>Die</strong> statistische Auswertung von großen<br />

Datenmengen steckte erst in ihren Anfängen. Dementsprechend vielfältig und schwer zu<br />

kategorisieren fielen die Antworten aus. Vor die Schwierigkeit, Berufstätigkeit oder auch den<br />

speziellen Beruf zu definieren, war nicht nur jede/r einzelne gestellt, sondern auch die<br />

statistischen Ämter kämpften mit einer Ausdifferenzierung der beruflichen Tätigkeiten, mit<br />

dem Resultat, dass manche Berufsarten genau definiert und einem exakten Personenkreis<br />

zugeordnet werden konnten, insbesondere wenn best<strong>im</strong>mte fachliche Voraussetzungen den<br />

Zugang dazu regelten, wie etwa bei Richtern oder Ärzten. Andere Berufe wiederum blieben<br />

unspezifisch, wie zum Beispiel „technische Angestellte“, die keiner Branche oder best<strong>im</strong>mten<br />

Tätigkeit zugewiesen werden konnten. 121 Eine wesentliche Rolle spielt auch die ungleiche<br />

Gewichtung von Frauen- und Männererwerbsarbeit in der Gesellschaft, was sich meist schon<br />

in der Erhebungspraxis der Behörden niederschlägt, in diesem Fall aber auch die<br />

Selbstbezeichnungen der AnmelderInnen erheblich beeinflusste.<br />

In der Vermögensanmeldung konnte zum Beispiel eine Frau die Rubrik Beruf freilassen, weil<br />

ihre Tätigkeit als Hausfrau nach ihrem Verständnis keinen Beruf darstellte, sie konnte sich<br />

unter Beifügung <strong>des</strong> Berufes ihres Ehemannes als Gattin, gegebenenfalls als Witwe<br />

identifizieren (z. B. Kaufmannsgattin, Professorenwitwe), sich als „Private“ bezeichnen oder<br />

sie konnte „Haushalt“ angeben. Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen<br />

Selbstbezeichnungen, dass diese Personen ihren Lebensunterhalt nicht mit Erwerbsarbeit<br />

bestritten, sondern aus dem Einkommen <strong>des</strong> Gatten, einer Witwenpension, aus<br />

Kapitalerträgen u. a. Darüber hinaus versahen sie sich mit einer sozialen Zuordnung, wobei<br />

die Bezeichnungen „Private“ und „Hausfrau“, die beide eine erwerbsmäßige Arbeit<br />

ausschlossen, doch in der Darstellung auf unterschiedliche soziale Positionen auf der sozialen<br />

Leiter hinwiesen.<br />

<strong>Die</strong> Vermögensverkehrsstelle nahm für die Ausstellung „ <strong>Die</strong> Entjudung der Wirtschaft in der<br />

Ostmark“ die Angaben, wie sie da standen, ohne geschlechtsspezifische Zuschreibungen. Sie<br />

120 Ebd., S. 606.<br />

121 Siehe dazu die Überlegungen in ebd., S. 78-83.<br />

43


präsentierte den Beruf „Hausfrau“, nach „Handel“ und „Privatier“ als den in den<br />

Vermögensanmeldungen dritthäufig genannten. 122<br />

102 von 337 Frauen <strong>des</strong> Samples nannten einen Beruf, 41 machten keine diesbezüglichen<br />

Angaben, 117 waren Private, 33 gaben Haushalt an, 17 waren in Pension, also früher<br />

berufstätig gewesen, 14 erhielten Witwenrente, und 13 bezeichneten sich als „Gattin“. Das<br />

bedeutet, dass circa ein Drittel der Frauen <strong>des</strong> Samples einen Beruf ausübten (Arbeitslose und<br />

Firmengesellschafterin mitgerechnet). Bei den Männern waren es mit 327 Personen (darunter<br />

sieben Arbeitslose) 72,5 Prozent. Während 46 keine Angaben machten, 67 in Pension oder<br />

Rente waren, bezeichneten sich nur elf als Privatiers. Das heißt, dass Männer, selbst wenn sie<br />

von ihrem Vermögen leben konnten, tendenziell dennoch einen Beruf ausübten bzw. sich so<br />

darstellten. 123<br />

122 „<strong>Die</strong> Entjudung der Wirtschaft in der Ostmark“, Ausstellung der Vermögensverkehrsstelle <strong>im</strong> Ministerium für<br />

Wirtschaft und Arbeit. Ausstellungskatalog, o.D., S. 8.<br />

123 Arbeitslose werden in dieser Auswertung zu den Berufen dazugezählt, da zumin<strong>des</strong>t eine Ausbildung bzw.<br />

eine zeitweise Erwerbstätigkeit <strong>im</strong>pliziert ist. Nicht erklärt ist <strong>im</strong> Merkblatt zur Ausfüllung der<br />

Vermögensanmeldung, wie Arbeitslosigkeit definiert wird, ob man offiziell als arbeitslos registriert sein musste,<br />

oder ob ein Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung vorliegen musste.<br />

44


5 <strong>Die</strong> genderspezifische Vermögensverteilung <strong>im</strong> Jahr 1938<br />

Im Folgenden werden die einzelnen Vermögenskategorien, wie sie in der<br />

Vermögensanmeldung angelegt waren, nach ihrer genderspezifischen Struktur analysiert. <strong>Die</strong><br />

Kategorien der Vermögensanmeldung lauten:<br />

I. Land- und forstwirtschaftliches Vermögen<br />

II. Grundvermögen (Grund und Boden, Gebäude)<br />

III. Betriebsvermögen<br />

a) Gewerbebetrieb<br />

b) Gesellschaften<br />

c) Freie Berufe<br />

IV. Sonstiges Vermögen, insbesondere Kapitalvermögen<br />

a) Wertpapiere<br />

b) Kapitalforderungen<br />

c) Zahlungsmittel, Spareinlagen, Bank-, Postscheckguthaben, sonstige laufende<br />

Guthaben<br />

d) Geschäftsguthaben bei Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften<br />

e) Noch nicht fällige Ansprüche aus Lebens-, Kapital- oder<br />

Rentenversicherungen<br />

f) Anteilsrechte, Nießbrauchsrechte und sonstige Rentenrechte<br />

g) Gegenstände aus edlem Metall, Schmuck- und Luxusgegenstände,<br />

Kunstgegenstände und Sammlungen<br />

h) Edelmetalle, Edelsteine und Perlen<br />

i) Anderes, nicht unter a –h fallen<strong>des</strong> Vermögen<br />

V. Abzüge, soweit sie nicht das Betriebsvermögen betreffen<br />

Für diese Auswertung werden die Kategorien I und II unter Grundvermögen bzw. Immobilien<br />

zusammengefasst. <strong>Die</strong> Land- und Forstwirtschaft spielte in diesem Sample als<br />

Vermögenskategorie nur eine untergeordnete Rolle, nur 11 von 788 Personen besaßen ein<br />

solches Vermögen, <strong>des</strong>halb wird es nicht separat ausgewertet. Ebenso zusammengefasst<br />

werden die Punkte a-c Gewerbebetriebe, Gesellschaften und Freie Berufe zu Unternehmens-<br />

bzw. Betriebsvermögen. Aus Punkt IV werden die Unterpunkte d) Geschäftsguthaben bei<br />

Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften; f) Anteilsrechte, Nießbrauchsrechte und sonstige<br />

Rentenrechte; h) Edelmetalle, Edelsteine und Perlen, also nicht zu Schmuck verarbeitete<br />

Materialien sowie in den genannten Rubriken nicht erfasstes Vermögen, Punkt i) ausgewertet.<br />

Gesamtvermögen<br />

45


Gesamtvermögen in Prozent 124<br />

Land- und forstwirtschaftliches Eigentum 0,3<br />

Liegenschaften 42,7<br />

Betriebsvermögen 9,6<br />

Finanzkapital 38,9<br />

Versicherungen 4<br />

Sachwerte 4,5<br />

Summe 100<br />

davon<br />

„Ostmark” 96,7<br />

Außerhalb der „Ostmark” 3,3<br />

„Ostmark“<br />

Land- und forstwirtschaftliches Eigentum 0,3<br />

Liegenschaften 43,1<br />

Betriebsvermögen 9,9<br />

Finanzkapital 37,9<br />

Versicherungen 4,2<br />

Sachwerte 4,6<br />

Summe 100<br />

Außerhalb der „Ostmark“<br />

Land- und forstwirtschaftliches Eigentum 0<br />

Liegenschaften 30,4<br />

Betriebsvermögen 0<br />

Finanzkapital 1 69,6<br />

Versicherungen 0<br />

Sachwerte 0<br />

Summe 100<br />

In der Stichprobe waren 42,77 % Frauen und 57,33 % Männer vertreten. <strong>Die</strong>ses Verhältnis<br />

dient als Parameter für den Vergleich der Vermögensstrukturen zwischen den Geschlechtern.<br />

Bei der Verteilung <strong>des</strong> Gesamtvermögens entfielen auf Frauen 47,08 % und auf Männer 52,92<br />

%. Frauen hatten demnach mehr und Männer weniger Vermögen als es ihrem quantitativen<br />

124 Berechnungen nach Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja<br />

Niederacher, Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen<br />

Bevölkerung Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien-München, 2004, S. 32, Tab. 3, Zwei Ausreißer mit besonders hohen<br />

Vermögen waren in der Kategorie ausländisches Finanzkapital aus der Berechnung ausgeschlossen worden, um<br />

Verzerrungen zu vermeiden.<br />

46


Verhältnis entsprach. Im Durchschnitt besaßen die Frauen 22.589,78 RM, die Männer nur<br />

18.974,62 RM. Frauen hatten nur in zwei Vermögenskategorien höhere Medianwerte, be<strong>im</strong><br />

Grundvermögen sowie bei Schmuck und Kunst.<br />

Gesamtvermögen Gesamt Frauen Männer<br />

Anzahl Personen 788 337 451<br />

Personen in % 100 42,77 57,33<br />

Summe<br />

Nettovermögen in RM 16.170.311,14 7.612.756,24 8.557.554,90<br />

Mittelwert<br />

Nettovermögen in RM 20.520,70 22.589,78 18.974,62<br />

Nettovermögen in % 100 47,08 52,92<br />

<strong>Die</strong>ses Ergebnis ist einigermaßen überraschend, geht man doch davon aus, dass Männer, und<br />

das nicht nur <strong>im</strong> Jahr 1938, weit vermögender waren als Frauen. <strong>Die</strong>se Annahme ist dann<br />

zutreffend, wenn man die Verbindlichkeiten (in der Vermögensanmeldung Punkt V. Abzüge)<br />

unberücksichtigt lässt: Ohne Abzug der Verbindlichkeiten (be<strong>im</strong> Bruttovermögen) ergibt sich<br />

das erwartete Bild, wonach Männer durchschnittlich pro Kopf 32.937,38 RM besaßen und<br />

Frauen nur 28.637,49 RM. Männer weisen <strong>im</strong> Vergleich zu Frauen extrem hohe<br />

Verbindlichkeiten auf. Mehr als ¾ aller Schulden wurde von Männern gemacht, in Summen<br />

ausgedrückt, waren das pro Kopf 29.857,34 RM. Bei Frauen lag die Pro-Kopf-Verschuldung<br />

um fast 2/3 niedriger bei 13.279,04 RM. Mit den Schulden entscheiden sich also die<br />

Vermögensverhältnisse zwischen den Geschlechtern.<br />

Es darf nun nicht davon ausgegangen werden, dass Frauen in dieser Zeit allgemein<br />

vermögender waren als Männer, dem stehen alle statistischen Daten entgegen, die Zahlen <strong>sind</strong><br />

vielmehr so zu lesen, dass in der Gruppe derjenigen, die überhaupt Vermögen besaßen,<br />

Frauen nicht weniger zahlreich und mit weniger Vermögen ausgestattet waren als Männer.<br />

<strong>Die</strong>ses Ergebnis wird auch beeinflusst von der Quellenart, welches Vermögen darin<br />

angegeben war und wie es bewertet wurde. Diskutierenswert <strong>sind</strong> allerdings die eindeutig<br />

geschlechtsspezifischen Unterschiede <strong>im</strong> Kreditverhalten. Ich gehe davon aus, dass die Art<br />

der Vermögen die Möglichkeit, Schulden zu machen, bedingt, und dass Frauen<br />

Vermögensarten besaßen, die ihnen in dieser Hinsicht weniger Flexibilität erlaubten, als<br />

Männern. <strong>Die</strong>s zeigt sich insbesondere in der Verteilung von mobilem und <strong>im</strong>mobilem<br />

47


Vermögen, wie noch dargestellt werden wird. Es spricht einiges dafür, dass ungeachtet <strong>des</strong>sen<br />

Geschlechterrollen das Kreditverhalten ebenso stark beeinflussten, in der Form, dass<br />

ökonomisches Handeln vor allem von Männern erwartet wurde und dies in der Folge auch<br />

Verbindlichkeiten <strong>im</strong>plizierte. Eine weitere Ursache für die relativ hohen Vermögen von<br />

Frauen ist darin zu sehen, dass die in den VA abgebildeten Vermögen insgesamt nur zu einem<br />

geringen Teil aus Erwerbseinkommen stammen, sondern eher aus Erbschaften, wie weiter<br />

unten noch ausgeführt wird, und damit der Bereich mit großen geschlechterspezifischen<br />

Unterschieden unterrepräsentiert ist. Gleichzeitig ist zu fragen, ob <strong>im</strong> Bereich der<br />

selbständigen Arbeit, also <strong>des</strong> Unternehmertums die Geschlechtereffekte bei den Einkommen<br />

bzw. Gewinnen nicht zu einem gewissen Grad zu relativieren <strong>sind</strong>.<br />

Verbindlichkeiten<br />

Verbindlichkeiten Gesamt Frauen Männer<br />

Verbindlichkeiten in<br />

RM 4.678.360,32 1.035.765,20 3.642.595,12<br />

Verbindlichkeiten in % 100 22,14 77,86<br />

Mittelwert<br />

Verbindlichkeiten in<br />

RM 23.391,8 13.279,04 29.857,34<br />

Summe<br />

BruttoVermögen (ohne<br />

Abzug der<br />

Verbindlichkeiten) in<br />

RM 20.848.671,46 8.648.521,44 12.200.150,02<br />

Bruttovermögen in % 100 41,48 58,52<br />

Mittelwert<br />

Bruttovermögen in<br />

RM 31.024,81 28.637,49 32.937,38<br />

Grundvermögen<br />

Grundbesitz und Besitz aus Land- und Forstwirtschaft <strong>sind</strong> in diesem Sample mit 42,7 % die<br />

wichtigste Vermögenskategorie. Gleichzeitig war diese Kategorie auch jene, die am<br />

einfachsten und exaktesten dokumentierbar war. In dieser Kategorie verfügten Frauen über<br />

48


mehr Eigentum als Männer. <strong>Die</strong> Frauen <strong>des</strong> Samples wiesen mehr und höherwertigen<br />

Grundbesitz auf als die Männer. Ein Drittel der Frauen, 115 von 337, hatte Grundbesitz, aber<br />

nicht einmal ein Viertel der Männer, 105 von 451, besaß Grund und Boden. <strong>Die</strong> Grundanteile<br />

<strong>im</strong> Eigentum von Frauen lagen um rund 1 Million RM höher als die von Männern. Mehr<br />

Frauen als Männer besaßen Eigentum bzw. Anteile an mehr als einer Liegenschaft. <strong>Die</strong><br />

Liegenschaften als Gesamtes, die ganz oder anteilig <strong>im</strong> Eigentum von Frauen standen, waren<br />

höherwertig als die von Männern, in Summe 5.655.132,90 RM <strong>im</strong> Vergleich zu RM<br />

3.877.604 RM, das <strong>sind</strong> 1,8 Millionen RM mehr. Der Medianwert der Gesamt<strong>im</strong>mobilien<br />

(nicht der Anteile) lag bei 47.924,86 RM, während der Medianwert der <strong>im</strong> Eigentum von<br />

Männern befindlichen Immobilien nur 40.816,88 RM betrug. Franziska Löw hatte mit einem<br />

Grundstück <strong>im</strong> Wert von 301.977,50 RM das größte Grundeigentum. <strong>Die</strong> teuerste Immobilie<br />

in diesem Sample ist ein Haus in der Spiegelgasse 1 in Wien I. mit einem angegebenen Wert<br />

544.000 RM, <strong>des</strong>sen Hälfteeigentümerin Johanna Mayer-Braun war. Be<strong>im</strong> Verhältnis <strong>des</strong><br />

durchschnittlichen Immobileneigentums haben Männer 24.446,08 RM gegen 27.496,27 RM<br />

der Frauen.<br />

Grundvermögen Gesamt Frauen Männer<br />

Anzahl Immobilien 302 163 139<br />

ImmobilieneigentümerInnen 220 115 105<br />

Summe in RM 7.387.970,84 4.234.425,95 3.153.544,89<br />

Mittelwert Immobilienanteil<br />

in RM 27.496,27 24.446,08<br />

Mittelwert Immobilien<br />

Gesamt in RM 47.924,86 40.816,88<br />

Mittelwert EigentümerInnen 36.821,10 30.033,76<br />

Betriebsvermögen<br />

Unter diesem Punkt werden Gewerbebetriebe, Gesellschaftsbeteiligungen und Vermögen aus<br />

der Ausübung Freier Berufe zusammengefasst. <strong>Die</strong> Freien Berufe spielen eine sehr geringe<br />

Rolle, etwa bei einem Viertel der Unternehmen handelte es sich um Gesellschaften (43),<br />

Genossenschaften gab es 3. Im Gegensatz zum Grundbesitz ist be<strong>im</strong> Betriebsvermögen das<br />

49


Geschlechterverhältnis umgekehrt, hier überwiegen Männer, 4/5 der Unternehmen bzw.<br />

Unternehmensanteile gehören ihnen. 173 Männer <strong>des</strong> Samples haben Anteile an 175<br />

Unternehmen, aber nur 41 Frauen haben Unternehmensanteile (43 Unternehmen).<br />

Entsprechend diesem Verhältnis ist die Summe der Wertanteile, 286.434,63 RM bei den<br />

Unternehmerinnen, 1.490.992,73 RM bei den Unternehmern. Betrachtet man den Mittelwert,<br />

<strong>sind</strong> die Unterschiede weniger groß, er beträgt bei den Frauen 10.229,81, bei den Männern<br />

12.529,35. 125 Das heißt, es waren deutlich mehr Männer unternehmerisch tätig, engagierten<br />

sich Frauen in diesem Bereich, waren die Werte ungefähr gleich hoch. <strong>Die</strong> große<br />

Geschlechterdifferenz fällt insgesamt gesehen weniger ins Gewicht, da die Betriebsvermögen<br />

nicht mehr als 10 % der Gesamtvermögen ausmachten. <strong>Die</strong>se Kategorie war auch die einzige,<br />

in der die Anteilswerte abzüglich der Verbindlichkeiten angeführt werden durften.<br />

Unternehmen Gesamt Frauen Männer<br />

Anzahl Unternehmen 218 43 175<br />

Anzahl Unternehmen in % 100 19,72 80,28<br />

UnternehmensteilhaberInnen 205 41 164<br />

Summe in RM 1.777.427,36 286.434,63 1.490.992,73<br />

Mittelwert Unternehmen in<br />

RM 10.229,81 12.529,35<br />

Finanzkapital<br />

<strong>Die</strong>se Kategorie, die Wertpapiere, Kapitalforderungen, Bankguthaben, Gewinnbeteiligungen,<br />

Versicherungen und Schmuck, Kunst etc. beinhaltet, weist die meisten Posten <strong>des</strong> Samples<br />

auf, 3.196 Einträge <strong>sind</strong> dazu verzeichnet. Es handelt sich dabei um sehr verschiedene Werte,<br />

die zahlenmäßig von 3 RM bis zu Millionenbeträgen reichen. In der Gesamtbetrachtung <strong>sind</strong><br />

mit 4.045.016,36 RM bei Frauen <strong>im</strong> Vergleich zu 7.562.652,58 RM bei Männern die<br />

Unterschiede beträchtlich. Bei Berücksichtigung <strong>des</strong> Mittelwertes kommt es zu einer<br />

125 <strong>Die</strong> Zahl der Männer basiert auf 120 Fällen, 55 ohne Angabe, die der Frauen basiert auf 30 Fällen, 13 ohne<br />

Angabe.<br />

50


Angleichung bei 3.717,85 RM zu 3.970,71 RM. 126 In allen Unterkategorien, mit Ausnahme<br />

von Schmuck und Kunstgegenständen hatten Frauen weniger Vermögen als Männer,<br />

Unterschiede gibt es nur <strong>im</strong> Umfang.<br />

<strong>Die</strong> Wertpapiere <strong>sind</strong> nach dem Grundvermögen die zweithöchste Vermögenskategorie <strong>im</strong><br />

Sample, 38,9 % der Vermögen waren in Wertpapieren angelegt, und dies obwohl in den<br />

Vermögensanmeldungen viele Wertpapiere, aufgrund von Schwierigkeiten, sie zum Stichtag<br />

exakt zu bewerten, nicht mit näheren Angaben zu ihrem Wert versehen wurden. 127 Wären<br />

allen AnmelderInnen Zahlen zu ihren Wertpapieren vorgelegen, wäre der Gesamtwert um<br />

einiges höher ausgefallen, als die Datenbank hier ausweist. Weiters ist anzunehmen, dass der<br />

Spielraum bei der Bewertung relativ hoch war und eine hohe Bewertung nicht <strong>im</strong> Interesse<br />

der AnmelderInnen gewesen sein konnte. Weiter hatten viele Wertpapiere, etwa<br />

Kriegsanleihen, an Wert verloren. Von den 1.226 Wertpapierposten <strong>im</strong> Sample gehörten 800<br />

Männern und nur etwa halb so viel, 426, Frauen, in Zahlen ausgedrückt hatten die Frauen ein<br />

Drittel <strong>des</strong> Wertpapiervermögens. Andere Berechnungen ergeben jedoch, dass allgemein etwa<br />

gleich viele Frauen wie Männer Wertpapiere (ungeachtet ihrer Höhe) hatten, und dass der<br />

Anteilswert der Wertpapiere am Vermögen bei beiden Geschlechtern annähernd gleich war. 128<br />

Wertpapiere Gesamt Frauen Männer<br />

Anzahl<br />

Wertpapierposten 1.226 426 800<br />

Gesamtwert in RM 4.875.638,25 1.476.610,81 3.399.027,44<br />

Gesamtwert in % 100 30,28 69,72<br />

Bankguthaben<br />

Bei den Bankeinlagen <strong>sind</strong> die Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht besonders<br />

groß. <strong>Die</strong> Anzahl der Bankguthaben betreffend hatten Männer und Frauen entsprechend ihrer<br />

126 Bei dieser Rechnung wurde das 1.140.000 RM umfassende ausländische Wertpapiervermögen von Otto Klein<br />

nicht einbezogen, da dieses Vermögen rund ein Zehntel <strong>des</strong> Gesamtwertes ausmacht und den Mittelwert auf<br />

4.662,55 anheben würde.<br />

127 Bei 205 Einträgen ist kein Betrag genannt.<br />

128 Michael Pammer nennt ein Verhältnis von 37 % der Frauen und 40 % der Männer, die Wertpapiere besessen<br />

haben. Michael Pammer: Entwicklung und Ungleichheit. Österreich <strong>im</strong> 19. Jahrhundert (Vierteljahrschrift für<br />

Sozial- und Wirtschaftsgeschichte: Beiheft 161) Stuttgart 2002, S. 127-129.<br />

51


Verteilung <strong>im</strong> Sample annähernd gleich viele, Frauen verfügten über geringfügig mehr<br />

Bankguthaben als Männer, die Differenz ist jedoch nicht signifikant. Betrachtet man die<br />

durchschnittliche Einlagenhöhe, so hatten Frauen rund 260 RM pro Kopf weniger als Männer<br />

auf Bankkonten und Sparbüchern liegen.<br />

Bankguthaben Gesamt Frauen Männer<br />

Anzahl Bankeinlagen 493 219 272<br />

Anzahl Bankeinlagen<br />

in % 100 44,42 55,58<br />

Summe in RM 2.016.392,02 857.759,10 1.158.632,92<br />

Mittelwert<br />

Bankeinlagen in RM 4.090,04 3.916,71 4.259,68<br />

Versicherungen<br />

Große Diskrepanzen zwischen den Geschlechtern finden sich bei den Versicherungen. 210<br />

Männer hatten eine oder mehrere Versicherungen abgeschlossen, aber nur 85 Frauen besaßen<br />

Versicherungen.<br />

Versicherungen Gesamt Frauen Männer<br />

Anzahl<br />

Versicherungen 396 98 298<br />

in Prozent 100 24,75 75,25<br />

Sachwerte: Schmuck, Luxusgegenstände, Kunst<br />

<strong>Die</strong>se Unterkategorie, in der so genannte Sachwerte benannt <strong>sind</strong>, ist äußerst heterogen, sie<br />

fasst alles vom Tafelsilber bis zum Auto, von der Perlenkette bis zum Gemälde, von<br />

Teppichen zu Antiquitäten, entsprechend mannigfaltig <strong>sind</strong> die Bewertungen. <strong>Die</strong> Summen<br />

machen aber nur 4,5 % der gesamten Vermögen aus. Insgesamt wurden <strong>im</strong> Sample 750<br />

Posten an Sachwerten gezählt, davon gehörten Frauen 368 und Männern 382. <strong>Die</strong> Gruppe der<br />

52


Frauen besaß von der Gesamtsumme 100.000 RM mehr an Sachwerten als die Männer. Neben<br />

dem Grundbesitz ist dies eine weitere Kategorie, in der Frauen signifikant mehr Vermögen<br />

aufweisen als Männer, auch wenn es letztlich gegenüber den anderen Vermögenskategorien<br />

nicht besonders ins Gewicht fällt.<br />

Sachwerte Gesamt Frauen Männer<br />

Anzahl Posten 750 368 382<br />

Summe in RM 894.624,01 537.481,19 357.142,82<br />

Kapitalforderungen<br />

Das Gegenstück zu den Verbindlichkeiten, die Kapitalforderungen, waren jene<br />

Vermögenswerte, deren zukünftiger Erhalt vertraglich festgelegt war, dazu gehörten<br />

Darlehen, Miet- oder Gehaltsforderungen. Für Frauen ist zwar eine höhere Anzahl an<br />

Forderungen verzeichnet, die Höhe der Forderungen war aber weit niedriger als die der<br />

Männer. In Summe jedoch <strong>sind</strong> für Frauen die Forderungen hinter den Immobilien an zweiter<br />

Stelle zu reihen und damit nicht unwesentlich. <strong>Die</strong> Möglichkeit, dass es sich bei einigen<br />

Forderungen von Frauen um die als Darlehen an ihren Ehemann verbriefte Mitgift handelte,<br />

wie etwa die „Einlagen <strong>im</strong> Geschäft <strong>des</strong> Gatten“ oder grundbücherlich gesicherte Hypotheken<br />

auf dem Immobilienbesitz <strong>des</strong> Gatten, wird <strong>im</strong> Kapitel Wirtschaften mit der Familie<br />

diskutiert. <strong>Die</strong> hohe Zahl an Forderungen unterstützt jedenfalls die These, dass in dieser<br />

Kategorie das Heiratsgut verbrieft war. Obwohl <strong>im</strong> Anmeldeformular ausdrücklich darauf<br />

hingewiesen wurde, dass in dieser Rubrik nur Privatforderungen, nicht jedoch solche aus<br />

Geschäftstätigkeit einzutragen waren, <strong>sind</strong> etliche Forderungen eindeutig geschäftlicher<br />

Natur, wie manche Einträge zeigen.<br />

Kapitalforderungen Gesamt Frauen Männer<br />

Anzahl Forderungen 414 227 187<br />

Summe in RM 2.775.381,88 1.034.355,99 1.741.025,89<br />

53


<strong>Die</strong> Vermögensverteilung zwischen den Geschlechtern gibt Anlass zu Überlegungen zu den<br />

Ursachen für diese Konstellation. <strong>Die</strong> Berechnungen zeigen, dass Frauen <strong>im</strong> Schnitt über ein<br />

höheres Vermögen verfügten als Männer, allerdings nur, wenn die Verbindlichkeiten der<br />

Männer unberücksichtigt bleiben. Dass 40 Prozent der männlichen Vermögen <strong>im</strong> Grunde<br />

frem<strong>des</strong> Geld ist, fällt erst bei genauerer Betrachtung auf. Liegenschaften ist die<br />

Vermögenskategorie, in der der Großteil der Frauen am meisten besitzt, bei Männern stellen<br />

Wertpapiere den größten Vermögensanteil dar. <strong>Die</strong> Kategorie mit den größten Unterschieden<br />

zwischen Frauen und Männern ist das Betriebsvermögen, Männer hatten viermal so viele<br />

Unternehmensanteile wie Frauen. In der <strong>im</strong> Gesamten unbedeutenden Kategorie Schmuck<br />

und Kunstgegenstände besaßen Frauen in Summe mehr als die Männer. <strong>Die</strong>se<br />

Vermögensaufteilung scheint einem dichotomischen Muster zu folgen, die Verbindlichkeiten,<br />

die Wertpapiere und Unternehmen können als aktiv bezeichnet werden, in dem Sinne, dass<br />

hier mit Geld gearbeitet wird und in der Folge auch Geld dadurch gewonnen wird. <strong>Die</strong>se<br />

Vermögenswerte wechseln ebenso rasch den Besitzer wie ihren Wert. Dem stehen die<br />

<strong>im</strong>mobilen Liegenschaften gegenüber, eine stabile Anlageform, die allein in ihrer physischen<br />

Beschaffenheit für Dauerhaftigkeit und Passivität steht sowie die in der Zukunft liegenden<br />

Forderungen. Liegenschaften <strong>sind</strong> eng mit der Familie verknüpft, mehr noch als<br />

Unternehmen, Besitzerwechsel finden oft über Generationen innerhalb der Familie auf dem<br />

Erbweg statt. Frauen besaßen großteils Vermögenswerte, die mit ihrer Familie verbunden<br />

waren, nur wenige Liegenschaften standen <strong>im</strong> Alleineigentum, sondern gehörten mehreren<br />

Geschwistern. Außerdem waren diese Vermögenswerte gebunden, mit Ausnahme von<br />

Hypotheken stand das dort investierte Geld nicht zur kurzfristigen Verfügung. <strong>Die</strong><br />

zweitwichtigste Kategorie in den Vermögen von Frauen, die Forderungen, waren ebenfalls ein<br />

Kapital, das nicht zur Verfügung stand, sondern nur in Form eines „Versprechens“, in<br />

Zukunft etwas zu erhalten. <strong>Die</strong> Vermögensstruktur von Männern erlaubte es diesen, ihr Geld<br />

durch Investitionen gewinnbringend zu vermehren, mit dem Risiko, es auch zu verlieren. <strong>Die</strong><br />

Vermögensstruktur von Frauen hingegen war mehr auf das beständige langfristige Anlegen<br />

ausgelegt, mit mehr Aussichten auf das Weitergeben an die nächste Generation. <strong>Die</strong>s mag<br />

wohl auch ein Grund sein für die relative Unsichtbarkeit von Frauen in der Geschäftswelt und<br />

auf dem Geldmarkt – weil sie mit ihrem Vermögen nicht arbeiteten. <strong>Die</strong> daraus resultierenden<br />

Sichtbarkeiten und Vorannahmen sowie die Ursachen für diese Konstellation werden in den<br />

folgenden Kapiteln beleuchtet.<br />

54


6 Vermögensbildung am Beispiel von Liegenschaften und Unternehmen<br />

Liegenschaften<br />

220 Personen, 115 Frauen und 105 Männer, besaßen Grundvermögen, jede dritte Frau und<br />

jeder vierte Mann. Wie erwähnt hatten in diesem Bereich Frauen ein höheres<br />

Vermögensvolumen als Männer. Für beide Geschlechter waren die Liegenschaften die<br />

wichtigste Vermögenskategorie.<br />

Im Subsample von 78 Personen besaßen 26 Personen Anteile an Liegenschaftsbesitz, fünf<br />

davon Anteile an zwei oder drei Liegenschaften, sodass insgesamt 33 Liegenschaften <strong>im</strong><br />

Eigentum dieser Personen waren. Erträge aus Immobilien waren für niemanden die einzige<br />

Einnahmequelle, dies unterstützt die These, wonach die Wahrscheinlichkeit <strong>des</strong> Vorkommens<br />

von Liegenschaften <strong>im</strong> Vermögen steigt, je höher das Vermögen insgesamt ist. 129 <strong>Die</strong><br />

vorherrschende Eigentumsform war das Zinshaus (21 von 33 Liegenschaften), was bedeutet,<br />

dass die Liegenschaften nicht nur als Eigenbedarfsobjekte, sondern auch als Wertanlage<br />

dienten. Neben Zinshäusern waren eine Villa in Hietzing, zwei Zweifamilienhäuser, vier<br />

Einfamilienhäuser, ein Wochenendhaus, ein Landhaus, zwei Gartenparzellen und ein<br />

Grundstück ohne Bebauung vorhanden. <strong>Die</strong> Liegenschaften befanden sich mehrheitlich in<br />

Wien, sechs befanden sich außerhalb Wiens, drei Personen meldeten den Behörden 1938<br />

ausländischen Immobilienbesitz. Über diese und vier weitere Liegenschaften in Wien waren<br />

keine näheren Informationen zu erlangen. <strong>Die</strong> Betrachtung der restlichen 24 Liegenschaften<br />

ergibt folgen<strong>des</strong> Muster in der Erwerbsgeschichte: In der Hälfte davon war Grundbesitz keine<br />

selbst gewählte Veranlagungsform, zwölf von den 24 Liegenschaften kamen durch eine<br />

Erbschaft in das Eigentum der BesitzerInnen, die anderen zwölf wurden käuflich erworben.<br />

Nur eine Liegenschaft wurde von einer Person allein, alle anderen wurden von mehreren<br />

geerbt. <strong>Die</strong> auf dem Erbwege erworbenen Immobilien waren ausschließlich Zinshäuser, alle<br />

anderen Immobilienarten wurden käuflich erworben. Alleineigentum war bei gekauften<br />

129 Michael Pammer: Entwicklung und Ungleichheit. Österreich <strong>im</strong> 19. Jahrhundert (Vierteljahrschrift für Sozial-<br />

und Wirtschaftsgeschichte: Beiheft 161) Stuttgart 2002, S. 111. <strong>Die</strong> Diskussion zu den Thesen Pammers in<br />

Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher, Alexander<br />

Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung Österreichs. NS-<br />

Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission.<br />

Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich.<br />

Band 9) Wien-München, 2004, S. 33.<br />

55


Immobilien häufiger als bei geerbten, fünf von zwölf käuflich erworbenen Liegenschaften<br />

wurden von einer einzelnen Person gekauft und besessen. Vier Liegenschaften wurden von<br />

Ehepaaren gekauft, eine Liegenschaft wurde von drei Personen zusammen gekauft, einem<br />

Ehepaar und einem Verwandten. Nur ein Zinshaus wurde von verwandten, nicht miteinander<br />

verheirateten Personen erworben. Bei einem weiteren Zinshaus, das vier Personen gehörte,<br />

konnte das Verwandtschaftsverhältnis der EigentümerInnen nicht geklärt werden. Als<br />

Eigentümergemeinschaft stellen Geschwister und Ehepaare die zwei häufigsten<br />

Konstellationen dar. Eigentumstransfers von Liegenschaftsanteilen anlässlich einer<br />

Eheschließung <strong>sind</strong> hier nicht dokumentiert. <strong>Die</strong> Ehepaare in diesem Sample kauften ihre<br />

Liegenschaften zusammen, Geschwister kamen meist durch eine Erbschaft in die Situation,<br />

Eigentum gemeinsam zu besitzen, in diesem Fall vorwiegend Zinshäuser.<br />

Familieneigentum an Liegenschaften schuf und intensivierte Bindungen, förderte aber auch<br />

Abhängigkeiten, da sich der persönliche und finanzielle Handlungsspielraum durch die<br />

Teilhaberschaft einschränkte. <strong>Die</strong> EigentümerInnen waren gezwungen, finanzielle<br />

Angelegenheiten gemeinsam zu verhandeln und über Verwaltung und Nutzung Übereinkunft<br />

zu erzielen. Entscheidungen über Reparaturen und andere Kosten mussten gefällt werden,<br />

Faktoren, die zu einer Erhöhung <strong>des</strong> Konfliktpotentials beitrugen. Eine Rolle spielt hierbei,<br />

dass Häuser zu dieser Zeit nicht parifiziert wurden, was bedeutete, dass Anteilseigentum nur<br />

prozentuell am Gesamthaus möglich waren, dieses sich jedoch nicht auf Eigentum an<br />

einzelnen Wohnungen bezog. In den Verlassenschaftsakten finden sich mitunter solche<br />

Konfliktszenarien, wie etwa bei der Familie Fantl: Nachdem zwei Geschwister bzw. deren<br />

Erben zwei Häuser geerbt hatten, entbrannte ein Streit über die Reparaturkosten und die<br />

Funktion eines Erben als Hausverwalter, dem vorgeworfen wurde, die eingenommenen<br />

Mietzinse nicht ordnungsgemäß auszubezahlen. 130 <strong>Die</strong> wechselseitigen Abhängigkeiten<br />

verstärkten den dauerhaften Charakter von Liegenschaften noch mehr, Entscheidungen zum<br />

Verkauf einer Liegenschaft gestalteten sich schwieriger, wenn mehrere EigentümerInnen<br />

involviert waren, da alle anderen ebenso verkaufen wollen mussten. Verkaufte jemand seinen<br />

oder ihren Anteil, dann hauptsächlich an Familienmitglieder, die bereits MiteigentümerInnen<br />

waren, selten jedoch an nichtverwandte Personen. Immobilien waren also mehrheitlich in<br />

Besitz von Ehepaaren und in Besitz von Geschwistern, den nächsten Verwandten, während<br />

gemeinsames Eigentum von Eltern und deren Nachkommen nur dann vorkam, wenn ein<br />

Elternteil gestorben und das Erbe den Kindern eingeantwortet worden war.<br />

130 WStLA, BG Döbling, 9P 139/1936.<br />

56


Vererben von Liegenschaften<br />

Bei Liegenschaftsbesitz gab es keine erkennbaren Tendenzen, diese geschlechtsspezifisch zu<br />

vererben. In den meisten untersuchten Verlassenschaften gingen Immobilien gemäß der<br />

gesetzlichen Erbfolge an alle Kinder ungeachtet ihres Alters oder Geschlechtes zu gleichen<br />

Teilen. <strong>Die</strong> gleichrangige Einsetzung der Erben geschah in der Regel unabhängig davon,<br />

welche Bedeutung die Immobilie <strong>im</strong> Gesamtvolumen <strong>des</strong> Vermögens der Erblasserin oder <strong>des</strong><br />

Erblassers hatte. Dennoch waren testamentarisch Umschichtungen <strong>des</strong> Erbes, indem unter<br />

Beibehaltung der Höhe der Erbteile deren Zusammensetzung verändert wurde, nicht selten.<br />

Beispiele dafür <strong>sind</strong> die Einsetzung von Enkeln oder der Ehefrau als Erben. Max Singer<br />

vermachte die in seinem Eigentum befindlichen Liegenschaften testamentarisch seinen<br />

Enkeln, die Kinder und seine Frau wurden mit anderen Vermögensteilen bedacht.<br />

Eine geschlechtsspezifisch motivierte Modifikation bei der Vererbung seiner Liegenschaft<br />

nahm Max Juer in seinem Testament vor. Zwar bekamen alle drei Kinder, eine Tochter und<br />

zwei Söhne, je ein Drittel an der Liegenschaft, doch unterwarf er den Anteil seiner Tochter<br />

Hanna, verehelichte Wachsmann, einigen Beschränkungen, sie konnte nicht frei darüber<br />

verfügen, sondern erhielt nur einen lebenslänglichen Anspruch auf die Erträgnisse. Max Juer<br />

begründete dies in seinem Testament damit, dass die Vorausempfänge, die Hanna<br />

Wachsmann erhalten hatte, den gesetzlichen Erbteil bereits überstiegen hätten. Der Erblasser<br />

ließ diese Vorausempfänge jedoch nicht einrechnen, das heißt von ihrem Erbteil abziehen,<br />

sondern er verfügte, Hannas Drittel <strong>des</strong> Nachlasses durch ihren Bruder Markus<br />

gewinnbringend anlegen zu lassen, so dass sie eine Leibrente daraus beziehen könne. Der<br />

ebenfalls <strong>im</strong> Testament genannte Hintergrund dieser Verfügung bestand darin, dass<br />

„Schwiegersohn Oscar Wachsmann in seinen Geschäften kein Glück hatte“. 131 Der Vater traf<br />

mit dieser Leibrente also Vorkehrungen zur Versorgung seiner Tochter, da er sie durch deren<br />

Ehegatten, Oscar Wachsmann, der wie sein Schwiegervater ein Export/Importgeschäft<br />

betrieb, nicht sichergestellt sah. Gleichzeitig setzte er sie in Abhängigkeit zu ihrem Bruder<br />

und gestand seiner Tochter eine Selbstverwaltung ihres Vermögens nicht zu. <strong>Die</strong> Erträgnisse<br />

131 ÖSTA, AdR, 06, VVSt 27.600. Das Testament liegt als Auszug der Vermögensanmeldung Hanna<br />

Wachsmanns bei, die Verlassenschaftsabhandlung selbst ist verschollen.<br />

57


<strong>des</strong> Hausanteils waren 1938, sie war seit 1930 verwitwet, nebst den Zuwendungen ihrer<br />

bereits nach London ausgewanderter Tochter Risa Worliczek ihr einziger Lebensunterhalt. 132<br />

Unternehmen<br />

Von den 788 Personen <strong>des</strong> Gesamtsamples gaben <strong>im</strong> Jahr 1938 205 Personen, also etwas<br />

mehr als ein Viertel, Beteiligungen an einem oder mehreren Unternehmen an. Der Großteil,<br />

164 Personen, waren Männer, nur 43 Frauen waren Unternehmenseigentümerinnen. Beinahe<br />

jeder Mann (1,25), aber nur jede 5. Frau (4,77) war UnternehmerIn. <strong>Die</strong> durchschnittlichen<br />

Wertanteile <strong>sind</strong> ausgewogener, Männer hatten durchschnittlich rund 12.000 RM<br />

Geschäftsanteile, Frauen hatten mit durchschnittlich rund 10.000 RM ein Sechstel weniger. Es<br />

haben mehr Männer Anteil an einem Unternehmen als an einer Liegenschaft, die<br />

durchschnittlichen Wertanteile waren jedoch nur halb so hoch wie bei Liegenschaften.<br />

<strong>Die</strong> Branchenverteilung der Unternehmen entsprach der Berufsverteilung der jüdischen<br />

Bevölkerung um die Jahrhundertwende und in der Zwischenkriegszeit. Forschungen darüber<br />

zeigen ein deutlich stärkeres Engagement dieser Gruppe <strong>im</strong> Handel und eine<br />

dementsprechend niedrigere Rate be<strong>im</strong> Handwerk <strong>im</strong> Vergleich zur nicht-jüdischen<br />

Bevölkerung. 133 Ebenso dominieren <strong>im</strong> Sample eindeutig Handelsbetriebe, von 218<br />

Unternehmen waren nur 24 reine Produktionsbetriebe. Zwar gab es seit dem<br />

Staatsgrundgesetz 1867 keine Berufsverbote für Juden und Jüdinnen mehr, die Folgen der<br />

zuvor bestehenden Verbote wirkten jedoch langfristig fort. Dazu kommt, dass noch um die<br />

Jahrhundertwende ein beträchtlicher Teil der jüdischen Bevölkerung nicht in Wien geboren<br />

war und aufgrund ihres noch nicht etablierten Status schwerer Zugang zum<br />

traditionsverhafteten Handwerk finden konnte. Das Handwerk war außerdem dem starken, die<br />

Mitgliederzusammensetzung reglementierenden, Einfluss von Zünften unterworfen. Ein<br />

wesentliches Zulassungskriterium für handwerkliche Berufe war auch das Geschlecht, Zünfte<br />

bevorzugten traditionell männliche Meister für einen Betrieb, Frauen wurde nur in<br />

132 ÖSTA, AdR, 06, VVSt 27.600.<br />

133 Vgl. Michael Pammer: Umfang und Verteilung von Unternehmervermögen in Wien 1852-1913, in:<br />

Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 41. Jg. 1996/1, S. 40-64.<br />

58


est<strong>im</strong>mten Fällen, wie nach dem Tod <strong>des</strong> Ehemannes, gestattet, einen Betrieb<br />

fortzuführen. 134<br />

<strong>Die</strong> Min<strong>des</strong>tgröße der <strong>im</strong> mittleren Segment angesiedelten Unternehmen ergibt sich durch die<br />

5.000 RM Grenze für die Vermögensanmeldungen, der Grundlage <strong>des</strong> Samples. <strong>Die</strong>se Grenze<br />

wurde von KleinstbetriebsinhaberInnen, so ferne sie nicht über weiteres Vermögen verfügten,<br />

meist nicht überschritten. Beispielsweise verfügten die Inhaberin einer Hammerbrotfiliale,<br />

Irma Wollner, und Pauline Münz, die Inhaberin eines Geschäftes für Schulwaren, beide über<br />

Immobilienbesitz, der 1938 jeweils ausschlaggebend für die Verpflichtung zur Anmeldung<br />

ihres Vermögens war. Mit dem Geschäft allein hätten sie den Kriterien für eine Anmeldung<br />

nicht entsprochen.<br />

Im Subsample wurden 27 Personen identifiziert, bei denen eine Verbindung zu einem<br />

Unternehmen besteht, 12 Personen werden schließlich ausgewählt, um daran beispielhaft<br />

deren Bezug zu einem Unternehmen darzustellen. Da zu drei Personen mehr als ein<br />

Unternehmen zugeordnet wurde, ist die Unternehmensanzahl in dieser Untersuchung 15. Als<br />

Kriterium für die Auswahl dient nicht das Eigentum an Betriebsvermögen, sondern die<br />

Position innerhalb der Familie, um die Verteilung <strong>des</strong> Betriebsvermögens und <strong>des</strong> Zugangs zu<br />

ökonomischem Handeln in der familieneigenen Firma nachzuvollziehen. <strong>Die</strong>ser Zugang soll<br />

verhindern, dass ungewollt denjenigen Tradierungslinien gefolgt wird, die es eigentlich zu<br />

ergründen gilt. Von Bedeutung ist die Unterscheidung zwischen Beteiligung, d. h.<br />

Vermögensanteile an einem Geschäft zu besitzen, und Führung, das heißt, eine<br />

geschäftsführende Tätigkeit auszuüben. Es wird aufzuzeigen sein, dass Betriebsbeteiligungen<br />

und -führung nicht automatisch in Personalunion ausgeübt werden. <strong>Die</strong>se Unterscheidung<br />

dient insbesondere zur Darstellung von Geschlechterspezifika in Unternehmen. <strong>Die</strong> Auswahl<br />

der Personen und der dazugehörigen Unternehmen ist vor allem quellengeleitet, die<br />

Verlassenschaftsangelegenheiten von Personen mit wenig Vermögen haben in den Archiven<br />

oft zu wenig Spuren hinterlassen, um gefunden zu werden, nur jene, die viel zu verteilen<br />

hatten, verfassten letztwillige Verfügungen, in welcher Weise das geschehen sollte. <strong>Die</strong><br />

Bestände <strong>des</strong> Handelsgerichts mit Firmenbüchern, Ehepakten, Testamenten usw. <strong>sind</strong> eine<br />

ergiebige Quelle, die aber nur Unterlagen von protokollierten Kaufleuten beherbergen. <strong>Die</strong>s<br />

spiegelt sich in der spezifischen sozialen Schichtung der hier vorgestellten Personen und ihrer<br />

Familien. Ihre Unternehmen hatten eine Größe erlangt, ab der die Mitarbeit von<br />

134 Vgl. Josef Ehmer: Family and business among master artisans and entrepreneurs: The case of 19th-century<br />

Vienna, in: The History of the Family, 2001/6, S. 187-202, 196.<br />

59


Familienmitgliedern, wie dies etwa in Einzelhandels- und Handwerksbetrieben eine<br />

Notwendigkeit darstellte, nur auf der Führungsebene üblich war. <strong>Die</strong> Unternehmen <strong>sind</strong><br />

überwiegend Handelsbetriebe vorwiegend der Papier- und Bekleidungsbranche, aber auch<br />

<strong>des</strong> Getränkehandels. Das kleinste Unternehmen ist die S<strong>im</strong>on Wang OHG, ein Warenstand<br />

mit Fleischhandel und -hauerei in einer Großmarkthalle, das größte ist das Kaufhaus A.<br />

Gerngroß AG.<br />

Ein Merkmal dieser 15 Unternehmen ist, dass sie <strong>im</strong> Eigentum von min<strong>des</strong>tens zwei<br />

miteinander verwandten bzw. verschwägerten Personen standen. 1938 waren 4 der<br />

Unternehmen noch in der Hand ihrer Unternehmensgründer, 9 waren in zweiter Generation<br />

geführt, ein Unternehmen, das 1938 in dritter Generation war, ist nicht in dieser Gruppe. 135<br />

<strong>Die</strong> meisten Betriebe (9) wurden zwischen 1906 und 1916 gegründet, 2 <strong>im</strong> Jahre 1920 und<br />

das älteste Unternehmen eröffnete 1886. 136 Der Firmengründer war in jedem Unternehmen<br />

ein Mann. Der Geburtsort war meist nicht zu erfahren, nur in 7 Fällen liegen dazu<br />

Informationen vor, auffallend ist jedoch, dass von diesen kein einziger Unternehmensgründer<br />

in Wien geboren war. Sechs stammten aus anderen Ländern der ehemaligen Monarchie, aus<br />

Böhmen, Mähren, Ungarn, einer aus dem Deutschen Reich. Von den EigentümerInnen einer<br />

Generation später waren hingegen 9 in Wien und nur 2 außerhalb geboren. 137 Andrea Löther<br />

kommt in ihrer Studie zu dem Ergebnis, das Frauen nur in Ausnahmefällen an Unternehmen<br />

beteiligt waren, stellt aber eine Teilhaberschaft von Witwen an Unternehmen fest, was sie mit<br />

der Unternehmensform <strong>des</strong> Familienunternehmens in Zusammenhang bringt. Auch stellt sie<br />

einen Rückgang der Witwenteilhaberschaft nach 1850 fest. Das wird in diesem Kontext<br />

dahingehend interpretiert, dass in der Frühindustrialisierungsphase die Teilhaberschaft von<br />

Witwen üblicher war als später und zu dieser Zeit sich die Trennung der Lebensbereiche in<br />

einen privaten weiblichen und einen öffentlichen männlichen Bereich noch nicht völlig<br />

durchgesetzt hatte. 138<br />

Tradierung von Unternehmen<br />

135 Keine Angabe zu 3 Unternehmen.<br />

136 Keine Angabe zu 3 Unternehmen.<br />

137 Keine Angabe zu 1 Person.<br />

138 Andrea Löther: Familie und Unternehmer. Dargestellt ab Beispiel der Wuppertaler Textilunternehmer<br />

während der Frühindustrialisierung bis 1870, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 36. Jg., 1991, S. 217-<br />

244, S. 231-232.<br />

60


Von den 9 Unternehmen, die an die nächste Generation weiter gegeben wurden, gingen 4<br />

Firmen an die Söhne über, und die Töchter gingen in diesem Bereich leer aus, drei Firmen<br />

wurden an die Söhne übergeben, in diesem Fall waren gar keine Töchter vorhanden, in einem<br />

großen Unternehmen erhielten die Söhne die Firmenleitung und die Töchter nur Anteile. Ein<br />

einziges Unternehmen, ein Papierhandel en gros ging an eine Tochter, obwohl ein Sohn<br />

vorhanden gewesen wäre. <strong>Die</strong> Vererbungsmuster <strong>sind</strong> zwar vielfältig, aber die Tendenz,<br />

Unternehmen an Söhne und nicht an Töchter zu vererben, ist dennoch deutlich. <strong>Die</strong> Ehefrauen<br />

waren nur in drei Unternehmen beteiligt. Zwei hatten eine Beteiligung in Form eines<br />

Darlehens am Unternehmen ihres Ehegatten. Drei Unternehmen gingen nach dem Tod <strong>des</strong><br />

Firmeninhabers zuerst an die Witwe, die aber nur als Platzhalter für ihre Kinder fungierte, und<br />

dann nach einiger Zeit an die Nachkommen. Alfred Gerngroß überließ seine Villa seiner Frau<br />

Emilie, schloss sie dafür aber von jeglichen Anteilen am Unternehmen aus.<br />

An fünf Unternehmen wird exemplarisch die Firmenübergabe an die nächste Generation<br />

nachgezeichnet. Im Zentrum steht die Frage, welche Geschlechtereffekte die Vererbung von<br />

Unternehmen zeitigten. Dabei geht es insbesondere um die Verteilung und das Verhältnis von<br />

ökonomischem und symbolischem Kapital bei einer Unternehmensnachfolge. Gefragt wird<br />

auch nach dem Verhältnis von Gesetz und Praxis, in welcher Weise vom Erbrecht<br />

eingeräumte Handlungsspielräume genützt und welche Geschlechter<strong>im</strong>plikationen hier<br />

wirksam wurden. <strong>Die</strong> hier dargestellten Unternehmenstradierungen beschreiben weniger das<br />

Typische als das Mögliche, insofern Differenzen nicht allein <strong>im</strong> Sinne einer Abweichung von<br />

einer Norm verstanden werden sollen, da die Heterogenität der Untersuchungsgruppe solche<br />

Normdefinitionen von vorne herein nicht zulässt.<br />

Unternehmen Person (Sample) Alle<br />

Nachlasserben<br />

Unternehmenserben (F/B) 139<br />

Fantl & Pick. Erzg. ätherischer Felix Fantl Ehefrau Ehefrau FB<br />

Öle und Essenzen, geistige<br />

Flüssigkeiten<br />

2 Söhne 2 Söhne FB<br />

A. Gerngroß AG Robert Gerngroß Ehefrau 3 Söhne F<br />

4 Söhne 1 Sohn B<br />

4 Töchter 3 Töchter B<br />

Max Singer. Lotte Katscher Ehefrau Ehefrau B<br />

Gemischtwarenhandlung<br />

3 Töchter 1 Sohn F<br />

1 Sohn 1 Schwiegersohn F<br />

B. Geyerhahn, Paula Loeb geb. Ehefrau 3 Söhne FB<br />

Gemischtwarenhandel<br />

Geyerhahn 2 Töchter<br />

4 Söhne<br />

Friedr. Kapper. Papierhandel en Ilse Spitzer geb. Ehefrau Ehefrau FB 1<br />

gros<br />

Kapper<br />

2 Töchter<br />

1 Sohn<br />

1 Tochter FB<br />

139 Führungsnachfolge/Beteiligungsnachfolge.<br />

61


Als Ausgangspunkt ist zu nennen, dass alle fünf Unternehmen <strong>im</strong> Eigentum von Männern<br />

standen, vier davon waren Alleineigentümer, einer, Alfred Gerngroß war neben seinem<br />

Bruder Hälfteeigentümer <strong>des</strong> Unternehmens. Außer Oskar Fantl verfügten alle von ihnen in<br />

einem Testament, wie mit dem Unternehmen und dem Vermögen weiter zu verfahren sei. <strong>Die</strong><br />

Motivation, ein Testament zu verfassen, stieg mit dem Vorhandensein eines Betriebes, weil<br />

die Tendenz, ein Unternehmen gezielt best<strong>im</strong>mten Erben und nicht allen zu übergeben,<br />

besonders groß war. 140 <strong>Die</strong> Erbanfälle gehen über die Zeit von 1905 bis 1933. Vor diesem<br />

Zeithintergrund ist zu berücksichtigen, dass mit der 3. Teilnovelle <strong>des</strong> Erbrechtes von 1916<br />

das Ehegattenerbrecht eine Änderung erfuhr. Vor dieser Novelle hatte der/die überlebende<br />

EhepartnerIn ein Recht auf Fruchtgenuss an einem Viertel <strong>des</strong> Nachlasses, die Teilnovelle<br />

nun sprach dem überlebenden Teil ein Viertel <strong>des</strong> Nachlasses zur Gänze zu. 141 Angesichts der<br />

Lebenserwartungszahlen profitierten vor allem Frauen von dieser Gesetzesänderung,<br />

andererseits waren diese zum Zeitpunkt der Eheschließung meist jünger als die Bräutigame.<br />

Von 44 Ehepaaren <strong>im</strong> vorliegenden Sample, zu denen entsprechende Angaben vorliegen, war<br />

in 33 Fällen der Ehemann vor seiner Frau gestorben, nur elf Frauen verstarben vor ihren<br />

Ehemännern.<br />

Ilse Spitzer geb. Kapper war ebenso wie ihre Geschwister Gottfriede (Frieda) und Kurt noch<br />

minderjährig, als ihr Vater, Friedrich Kapper, der Inhaber <strong>des</strong> Papiergroßhandels „Friedr.<br />

Kapper“, 1905 verstarb. Kurt war das jüngste, Ilse das älteste der jeweils 2 Jahre auseinander<br />

liegenden Geschwister. Testamentarisch hatte Friedrich Kapper seine Frau Regina Kapper<br />

geb. Löwy als Universalerbin eingesetzt. Laut den Akten der Verlassenschaft wurde<br />

diskutiert, die beiden Töchter Frieda und Ilse für großjährig erklären zu lassen, damit sie das<br />

Geschäft übernehmen könnten. Während der Dauer der Verlassenschaftsabhandlung<br />

übernahm Mutter Regina zusammen mit Tochter Ilse vorübergehend die Geschäfte, danach<br />

führte sie sie allein weiter. 142 Ilse schied nach kurzer Zeit aus dem Unternehmen aus. 1915<br />

übernahm Schwester Frieda das Geschäft von ihrer Mutter, die sich offenbar zur Ruhe setzte<br />

und gleichzeitig ihre Anteile abgab. Frieda nahm Adalbert Stern hinzu, den sie 1908<br />

geheiratet hatte. Nach Adalberts Tod war sie ab 1922 allein als Inhaberin registriert. 143 Der<br />

140<br />

Der Ausbruch <strong>des</strong> Ersten Weltkrieges und der bevorstehende Militärdienst veranlassten ebenfalls viele<br />

Männer, ihre letzten Angelegenheiten zu regeln.<br />

141<br />

RGBl. 69/1916.<br />

142<br />

WStLA, HG Wien, E 169/1921.<br />

143<br />

IKG Wien, Sterbebuch 1919/1692; WStLA, HG Wien, A 238/1930.<br />

62


Name der Firma „Friedr. Kapper“ war nie geändert bzw. ergänzt worden. Frieda Stern geb.<br />

Kapper gab 1938 in ihrer Vermögensanmeldung in der Rubrik Beruf „Kaufmannswitwe“ an,<br />

was allein <strong>des</strong>halb bemerkenswert ist, weil sie das Geschäft 16 Jahre lang alleine geleitet<br />

hatte. 144<br />

Bei diesem Unternehmen fand eine weibliche Tradierung statt, trotzdem auch ein Sohn<br />

vorhanden gewesen wäre. Darüber, ob diese Tradierung aus der Not heraus gewählt wurde,<br />

weil der Sohn aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage war, eine Führungsfunktion zu<br />

übernehmen, kann nur spekuliert werden. Jedenfalls relativierte die Firmenerbin Frieda<br />

Kapper ihre Position zunächst, indem sie ihren Ehemann ins Geschäft nahm, die genauen<br />

Gründe dafür bleiben ebenfalls <strong>im</strong> Dunkeln. Auch kann die Zurücknahme ihrer selbst bei der<br />

Berufsbezeichnung als Eingeständnis gelesen werden, dass eine Frau, die alleine einen<br />

Papiergroßhandel leitete, nicht den gesellschaftlichen Vorstellungen dieser Zeit entsprach,<br />

wenn es nicht in der Position als Witwe geschah, und die Bezeichnung Kaufmannswitwe<br />

könnte als Mittel gedeutet werden, diesen unausgesprochenen Regelverstoß abzumildern.<br />

Der Vater von Paula Loeb geb. Geyerhahn, Bernhard Geyerhahn, hatte sechs Kinder, vier<br />

Söhne und zwei Töchter. Einer seiner Söhne schlug unter dem Namen Siegfried Geyer eine<br />

Schriftstellerkarriere ein. 145 <strong>Die</strong> anderen drei, Norbert, Fritz und Carl, waren <strong>im</strong> Geschäft <strong>des</strong><br />

Vaters als Kaufleute tätig. Es handelte sich zunächst um einen Gemischtwarenhandel in Wien<br />

3., Seidlgasse 32, der später die Bezeichnung Zucker-und Kolonialwarenhandel en gros<br />

erhielt. Nachdem seine Söhne die Volljährigkeit erreicht hatten, wandelte Bernhard<br />

Geyerhahn 1911 sein als Einzelfirma eingetragenes Geschäft in eine Gesellschaft um und<br />

nahm die beiden älteren Söhne Norbert und Fritz als Gesellschafter mit auf. Der jüngste Sohn<br />

Carl wurde 1922 als Prokurist eingesetzt, nachdem er zuvor schon als Beamter in der Firma<br />

tätig gewesen war. <strong>Die</strong> beiden Töchter heirateten einen Inhaber eines Speditionsgeschäftes<br />

(Paula) und einen Rechtsanwalt (Regine), beide hatten keine Verbindung zum väterlichen<br />

Unternehmen.<br />

Bernhard Geyerhahn hatte 1923, seine Söhne waren schon seit zehn Jahren <strong>im</strong> Unternehmen<br />

tätig, testamentarisch seine Frau zur Universalerbin eingesetzt, diese konnte ihr Erbe<br />

144 ÖSTA, AdR, 06, VVSt 25.791.<br />

145 Siegfried Geyer war vorzugsweise am Theater tätig, zeitweise war er Direktor der Neuen Wiener Bühne und<br />

anderer Spielstätten, er schrieb auch selbst Stücke, etwa zusammen mit Karl Farkas „Bei Kerzenlicht“.<br />

63


allerdings gar nicht antreten, da sie selbst drei Monate nach Bernhard am 23. Jänner 1931<br />

verstarb. Julie Geyerhahn geb. Pisk hatte keine letzte Verfügung hinterlassen, infolge <strong>des</strong>sen<br />

ging der gesamte Nachlass <strong>des</strong> Ehepaares, wovon der größte Posten die Verlassenschaft nach<br />

Bernhard Geyerhahn ausmachte, an die sechs Kinder zu gleichen Teilen. 146 Das<br />

Betriebsvermögen war jedoch nicht Bestandteil der Verlassenschaften, weil die Firma schon<br />

seit den späten 1920er Jahren inaktiv gewesen sei und nur auf dem Papier bestanden habe,<br />

wie die Eigentümer 1938 den Behörden mitteilten. Trotzdem wurden weiterhin Änderungen<br />

<strong>im</strong> Handelsregister vermerkt: Fritz wurde 1932 aus dem Handelsregister gelöscht, er war nach<br />

Amsterdam übersiedelt. 147 An seiner Stelle wurde 1933 der bisher als Prokurist geführte<br />

jüngste Sohn Carl eingetragen, die Firma gehörte nur den beiden Brüdern Norbert und Carl<br />

Geyerhahn. Gelöscht wurde sie allerdings erst 1938 auf Antrag der beiden Eigentümer. 148 <strong>Die</strong><br />

Veränderungen <strong>im</strong> Handelsregister erwecken nicht den Eindruck der Inaktivität, wie sie den<br />

Behörden mitteilten, als es um die Einantwortung <strong>des</strong> Nachlasses ging.<br />

Ähnlich wie Bernhard Geyerhahn verfuhr auch Lotte Katschers Großvater mütterlicherseits,<br />

Max Singer. Er war Alleininhaber der protokollierten Firma „Max Singer“ in Wien, 1.,<br />

Salzgries 4, die er 1913 als Gemischtwarenhandlung eröffnet hatte. In seinem ausführlichen<br />

Testament von 1932 vermachte er das Geschäftsvermögen seiner Gattin Emilie Singer geb.<br />

Beer, als Geschäftsführer best<strong>im</strong>mte er jedoch seinen Sohn und seinen Schwiegersohn:<br />

„Unbeschadet der Einsetzung meiner Gattin Emilie Singer als Universalerbin, wonach also<br />

mein gesamtes Geschäftsvermögen an dieselbe übergeht, soll nicht Frau Emilie Singer als<br />

Rechtsnachfolgerin <strong>im</strong> Firmenregister eingetragen werden, sondern mein Sohn Ernst Singer<br />

und mein Schwiegersohn Arpad Merkado als offene Gesellschafter mit den gleichen<br />

Vertretungsrechten. Es bleibt denselben überlassen, ob sie Einzel- oder Kollektivvertretung<br />

vereinbaren wollen. An der sonstigern rechtlichen Konstruktion <strong>im</strong> Geschäfte soll sich nichts<br />

ändern, Ernst Singer und Arpad Merkado behalten die Anteile, die sie derzeit als stille<br />

Gesellschafter haben, sowohl was die Kapitalsbeteiligung, als auch was die fixen Bezüge und<br />

die Teilung <strong>des</strong> Reinertrages betrifft, weiter, sie haben jedoch den derzeit auf mich<br />

entfallenden Reinertragsanteil künftig an Frau Emilie Singer auszufolgen und Frau Emilie<br />

Singer bleibt bis zu ihrem Lebensende Alleineigentümerin <strong>des</strong> Geschäftsvermögens.“ 149<br />

146 Julie Geyerhahn: WStLA, BG Döbling 1A 116/1931; Bernhard Geyerhahn: WStLA, BG Döbling 1A<br />

250/1930.<br />

147 WStLA, HG Wien, A 42/1920.<br />

148 WStLA, HG Wien, A 42/1920.<br />

149 WStLA, BG Leopoldstadt, 3A 510/1935.<br />

64


Dem letzten Willen Max Singers folgend wurden Ernst Singer und Arpad Merkado als<br />

Kollektivprokuristen ins Handelsregister eingetragen. 150 <strong>Die</strong> Töchter erhielten kein<br />

Geschäftsvermögen. Als Emilie Singer zwei Jahre später ohne Hinterlassung einer<br />

letztwilligen Verfügung starb, wurde ihr Nachlass unter ihren vier Kindern anteilsmäßig<br />

gleich aufgeteilt, darunter auch die Firma. Ernst Singer wurde von seiner Prokura enthoben.<br />

1939 wurde die Firma gelöscht. 151<br />

Sowohl Friedrich Kapper als auch Bernhard Geyerhahn und Max Singer hatten jeweils ihre<br />

Ehefrau als Universalerbin eingesetzt. Trotzdem den Ehefrauen das gesamte Erbe, in dem Fall<br />

das gesamte Unternehmen zugedacht war, ging das nicht einher mit einer Führungsnachfolge.<br />

<strong>Die</strong> war bei Max Singer und Bernhard Geyerhahn schon durch die Hereinnahme der Söhne<br />

und Schwiegersöhne in das Geschäft vorbereitet worden. <strong>Die</strong> Kinder von Friedrich Kapper<br />

waren noch zu jung, um an der Seite ihres Vaters in das Unternehmen integriert zu werden,<br />

wodurch der Witwe eine aktivere Rolle zufiel. In den Familien Singer und Geyerhahn<br />

hingegen fungierte die Mutter nur als provisorische Instanz, bis nach ihrem Tod das Erbe auch<br />

formal an die Kinder überging. Der Weg <strong>des</strong> Erbes der Witwe kann als Umweg der<br />

männerzentrierten Tradierung bezeichnet werden. Doch ist hier auch der pragmatische Grund<br />

der Kostenersparnis zu nennen, worauf in einer Verlassenschaft explizit hingewiesen wird.<br />

Wurde die Erbmasse geteilt, musste ein Inventar erstellt werden, auf <strong>des</strong>sen Basis die<br />

Nachweisung an die Erben erfolgte. <strong>Die</strong>ses Inventar umfasste Privat- und<br />

Geschäftsvermögen, war kostspielig, und für Unternehmen war eine außertourliche Inventur<br />

während <strong>des</strong> Jahres sehr aufwändig. <strong>Die</strong> beschriebenen Situationen, in denen die Ehefrau als<br />

Universalerbin eingesetzt wurde, zeigt, dass das Vermögensvolumen allein keine Gewähr für<br />

eine machtvollere Position – hinsichtlich der offiziellen Geschäftsführung – darstellte.<br />

Ökonomisches und symbolisches Kapital wurden mehr oder weniger separat vererbt. Der<br />

Name, die berufliche Identität, die Vertretungsbefugnis nach außen gingen an der<br />

Universalerbin vorbei an die Söhne bzw. den Schwiegersohn. Das traf aber auch auf die<br />

finanziell am Unternehmen beteiligten Töchter von Alfred Gerngroß zu.<br />

Oskar Fantl war 1933 bei seinem Ableben Alleininhaber der Firma Fantl & Pick gewesen.<br />

Der Nachlass von rund 32.000 Schilling nach Abzug aller Außenstände und Gebühren wurde<br />

150 WStLA, HG Wien, A 76/135.<br />

151 In der Verlassenschaft ist keine so genannte Nachweisung enthalten, aus der die genaue Verteilung<br />

hervorgehen würde, es bleibt daher unklar, ob nun alle Kinder Anteile an der Firma erbten.<br />

65


der Witwe Hilda Fantl geb. Siebenschein zu einem Viertel und den zwei zu dem Zeitpunkt<br />

noch minderjährigen Söhnen Felix und Walter zu je drei Achteln eingeantwortet. Oskar Fantl<br />

hatte kein Testament verfasst. Hilda Fantl führte die Geschäfte fort, gleichzeitig wurde sie<br />

Vormünderin für ihre zwei Kinder. 152 Ihr Erbe ging einher mit einer leitenden Funktion <strong>im</strong><br />

Geschäft, die sie auch nicht aufgab, als die Söhne volljährig wurden und an der Seite ihrer<br />

Mutter in die Geschäftsleitung eintraten. Verglichen mit Juli Geyerhahn und Emilie Singer<br />

beinhaltete ihr Viertelanteil mehr an Sichtbarkeit und öffentlicher Repräsentation als deren<br />

Universalerbe. <strong>Die</strong> Verlassenschaft nach Oskar Fantl wurde gemäß der gesetzlichen Erbfolge<br />

abgehandelt, sie hatte keine geschlechterspezifischen Ein- und Ausschlüsse zur Folge. Oskar<br />

Fantl war einer der wenigen Unternehmer, die die Firmenübergabe nicht testamentarisch<br />

regelten.<br />

Alfred Gerngroß war zusammen mit seinem Bruder Hugo Eigentümer <strong>des</strong> Kaufhauses<br />

Gerngroß in der Mariahilfer Straße. In seinem Testament, das er 1908 wenige Tage vor<br />

seinem Ableben aufsetzte, machte er alle seine acht Kinder zu gleichen Teilen – allerdings<br />

unter Einrechnung der Heiratsgüter für die vier Töchter – zu Beteiligungserben seines<br />

Geschäftsanteiles. <strong>Die</strong> Führungsnachfolge legte er in die Hände dreier seiner Söhne, Albert,<br />

Robert und Paul. <strong>Die</strong> Ehefrau Emma Gerngroß geb. Sichel erhielt keine Anteile, sie wurde<br />

unter anderem mit einer Villa und einer Jahresrente bedacht, was den erbrechtlichen<br />

Vorgaben zu dieser Zeit entsprach. Angesichts der Unternehmensteilung erlegte Alfred<br />

Gerngroß seinen Töchtern und Söhnen je unterschiedliche Bedingungen auf:<br />

„Da ich wünsche, dass das Gesellschaftsgeschäft auch nach meinem Ableben mit möglichst<br />

ungeschwächter Kapitalskraft fortgeführt werde, so <strong>sind</strong> meine gesamten vier Töchter<br />

verpflichtet, ihre Erbteilskapitalsbeträge gegen Entrichtung der gesetzlichen Zinsen <strong>im</strong><br />

Geschäfte zu belassen, ohne deren Sicherstellung beanspruchen zu können.“ 153<br />

„Auch mein Sohn Otto soll seinen Erbteil <strong>im</strong> Gesellschaftsgeschäfte belassen, und soll <strong>im</strong><br />

(sic) derselbe gleichfalls nach dem gesetzlichen Zinsfuße verzinst werden. Nur <strong>im</strong> Falle, als er<br />

ein selbständiges Geschäft gründen, oder sich an einem solchen beteiligen wollte, wäre ihm<br />

von seinem Erbteile die Summe von 100.000 K flüssig zu machen.“ 154<br />

152 Felix war erst kurz zuvor offiziell als männlich erklärt worden, seine/ihre Kindheit und Jugend hatte er/sie als<br />

Felicitas genannt Lizzy verbracht. IKG, Geburtenbuch 1913/1916; Verlassenschaft Pauline Wessel, BG Döbling<br />

9A 383/1936.<br />

153 HG A 11-172, Testament Alfred Gerngroß § 4.<br />

154 Testament Alfred Gerngroß § 5.<br />

66


„Dagegen <strong>sind</strong> meine Söhne berechtigt, die Legatsbeträge meiner Töchter und deren<br />

Erbteilsbeträge, wie auch den Erbteilsbetrag meines Sohnes Otto ganz oder in durch 10.000<br />

teilbaren Beträgen jederzeit zurückzuzahlen und sich hiedurch von der weiteren<br />

Verzinsungspflicht der zurückgezahlten Beträge zu befreien.“ 155<br />

<strong>Die</strong> Töchter Rosa, Minna, Lilly und Margarethe konnten ohne Zust<strong>im</strong>mung ihrer<br />

geschäftsführenden Brüder ihr Kapital nicht flüssig machen und gegebenenfalls woanders<br />

investieren. Lediglich aus Anlass der Verehelichung der beiden noch ledigen Schwestern,<br />

Lilly und Margarethe, wären die Geschäftsführer zur sofortigen Auszahlung der hierfür<br />

vorgesehenen Summe von je 250.000 K für das Heiratsgut verpflichtet gewesen. Davon<br />

abgesehen ist das Testament so formuliert, dass die Söhne dieses Kapital, ohne dass die<br />

Schwestern dies verlangten, auszahlen konnten. Unter anderen Voraussetzungen trat der<br />

ebenfalls nicht <strong>im</strong> Unternehmen tätige Sohn Otto sein Erbe an. Er war als Chemiker in Berlin<br />

tätig und konnte sich auf seinen Wunsch seinen Anteil aus dem Firmenvermögen auszahlen<br />

lassen, sofern er es für den Aufbau eines Unternehmens verwendete. Der Erblasser<br />

begründete seine Bedingungen mit seiner Sorge wegen einer drohenden Zersplitterung <strong>des</strong><br />

Firmenkapitals. <strong>Die</strong> Wahrung der Kontinuität <strong>des</strong> Familienunternehmens durch Vermeidung<br />

von Kapitalstreuung trotz mehreren potentiellen NachfolgerInnen gilt als besondere<br />

Herausforderung für ein Familienunternehmen. 156 <strong>Die</strong>ser Herausforderung begegnet Alfred<br />

Gerngroß durch eine ungleiche Erbteilung auf Grundlage <strong>des</strong> Geschlechtes, aber nicht<br />

konsequent mit einer Reduzierung der Erben generell, da <strong>im</strong>merhin gleich drei Söhne die<br />

Führungsnachfolge antraten. Nicht nur bei der Gerngroß AG herrschte die Tendenz vor,<br />

sämtliche Söhne in das Geschäft zu nehmen. Das Familienerbe schien gesichert zu sein, auch<br />

wenn es von mehreren Familienmitgliedern übernommen wurde, solange diese nur männlich<br />

waren. Einer Rangordnung nach dem Alter wurde nicht allzu große Bedeutung beigemessen,<br />

innerhalb der Gruppe der Nachkommen dominierte die Unterscheidung nach dem Geschlecht,<br />

wer als Erbe eingesetzt wurde und wer nicht.<br />

<strong>Die</strong> geschlechterspezifische Tradierung von Unternehmen hatte jedoch keine rechtlichen<br />

Ursachen. Nach österreichischem Erbrecht waren alle so genannten Abkömmlinge,<br />

ungeachtet ihres Geschlechtes, zu gleichen Teilen zu erben berechtigt. 157 Erben bewirkt eine<br />

155 Testament Alfred Gerngroß § 6.<br />

156 Andrea Colli: The History of Family Business 1850-2000, Cambridge 2003, S. 35f.<br />

157 Besondere Best<strong>im</strong>mungen galten für uneheliche Kinder usw.<br />

67


vermögensnivellierende Annäherung zwischen Männern und Frauen. Zumin<strong>des</strong>t das<br />

Nachkommenerbrecht setzte die Reproduktion sozialer Ungleichheit nicht voraus bzw. fort.<br />

<strong>Die</strong> einzelnen Vermögensarten boten unterschiedliche Ausgangsbedingungen für eine<br />

Mehrung <strong>des</strong> Vermögens, was bedeutet, dass nicht allein das Volumen <strong>des</strong> ererbten<br />

Vermögens entscheidend war, sondern auch seine Zusammensetzung. <strong>Die</strong> Erblasser schrieben<br />

in ihrem letzten Willen die von ihnen oft schon zuvor beschlossene bzw. bereits<br />

durchgeführte Zusammensetzung der Vermögen für die einzelnen Erben fest und<br />

modifizierten so die geschlechterneutrale Vorgabe <strong>des</strong> Gesetzes. War die Firmennachfolge<br />

nicht testamentarisch geregelt, zeigte sich die Erbnachweisung ausgeglichener.<br />

<strong>Die</strong> Geschlechtereffekte bei der Weitergabe an die nachfolgende Generation <strong>sind</strong> bei<br />

Unternehmen besonders hervorstechend, während sie bei anderen Vermögensarten weit<br />

weniger ausgeprägt waren. Bei den Liegenschaften etwa, <strong>sind</strong> für dieses Sample gar keine<br />

Differenzen in Bezug auf das Geschlecht der ErblasserInnen als auch der Erben zu erkennen.<br />

Ein Familienunternehmen unterscheidet sich von anderen Vermögensarten insbesondere<br />

durch das Zusammentreffen von finanziellen Ressourcen und der Erfordernis bzw. der<br />

Möglichkeit, diese durch eigenes ökonomisches Handeln zu erhalten, zu mehren und so<br />

eigenes Vermögen zu bilden. Vergleicht man die Erbschaften der Personen <strong>des</strong> Samples mit<br />

deren Vermögensstatus von 1938, fällt auf, dass die Erbschaften den größten Teil <strong>des</strong><br />

Vermögens bei allen ausmachten, Männer jedoch in der Zwischenzeit tendenziell mehr<br />

eigenes Vermögen erworben und ihre Erbschaften vermehrt hatten als Frauen. Indem<br />

weibliche Erben von der Möglichkeit zur Mehrung ihrs Vermögens durch ökonomisches<br />

Handeln aufgrund der Erbpraxis ausgeschlossen und den Töchtern also andere<br />

Startbedingungen als den Söhnen geboten wurden, um ihr Erbe zu vermehren, blieben ihnen<br />

wesentliche finanzielle Ressourcen verschlossen. Darüber blieb ihnen auch andere Werte, die<br />

mit wirtschaftlicher Tätigkeit und der damit verbundenen Repräsentation nach außen<br />

verbunden waren, verwehrt. Schließlich war das mit dem Familienunternehmen tradierte<br />

Kapital nicht allein mit seinem ökonomischen Wert zu beziffern bzw. konnte das<br />

ökonomische Kapital je nach Kontext unterschiedlichen Symbolwert besitzen. In seinem<br />

Stellenwert für die Familie kann das Unternehmen als bürgerlich-urbanes Äquivalent <strong>des</strong><br />

bäuerlichen Gehöfts in der agrarischen Gesellschaft gesehen werden, in der „der Status <strong>des</strong><br />

‚Hofherrn’ als <strong>des</strong> Trägers und Bewahrers <strong>des</strong> Namens, <strong>des</strong> guten Rufs und der<br />

Gruppeninteressen nicht nur den Rechtsanspruch auf den Besitz bedeutet, sondern auch das<br />

68


politische Recht, Autorität in der Gruppe auszuüben und vor allem die Familie in<br />

Beziehungen zu anderen Gruppen zu vertreten und in ihrem Namen Verpflichtungen<br />

einzugehen.“ 158 Im bürgerlichen Unternehmen zu Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts waren<br />

Produktionsort und Wohnort getrennt, damit einher ging auch eine Aufsplitterung <strong>des</strong> mit<br />

diesen Bereichen besetzten symbolischen Kapitals. <strong>Die</strong> finanziellen Ressourcen, die<br />

Kreditwürdigkeit, die berufliche Identitätsbildung, der Name der Familie 159 , der gute Ruf usw.<br />

lagen nun be<strong>im</strong> Unternehmen, es sicherte den genealogische Status. <strong>Die</strong> unterschiedlich<br />

gewichtete Verteilung <strong>des</strong> symbolischen Kapitals <strong>im</strong> Gesamtvermögen einer Familie bewirkte<br />

auch die unterschiedliche Verteilung <strong>des</strong> Kapitals zwischen den Geschlechtern, und dies war<br />

nur bedingt abhängig vom Gesamtvolumen <strong>des</strong> Kapitals.<br />

<strong>Die</strong> Vererbungspraktiken, in der Form, dass Väter ihre Töchter von einer<br />

Unternehmensnachfolge ausschlossen, trugen maßgeblich dazu bei, dass Frauen kaum<br />

Chancen auf Übernahme eines Unternehmens hatten. Weitere Faktoren, wie eine<br />

Schulbildung, die wenig Wert auf kaufmännische Fächer legte und vor allem die Verweisung<br />

in den privaten Bereich und das internalisierte Geschlechterrollenverhalten, verhinderten, dass<br />

Frauen selbst als Unternehmensgründerinnen auftreten konnten. Der hohe Immobilienbesitz<br />

der Gruppe der Frauen zeigt, dass Frauen nicht von Vermögen an sich ferngehalten wurden,<br />

jedoch von der Möglichkeit, dieses selbst zu mehren.<br />

158 Pierre Bourdieu: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt am Main 1987, S. 271.<br />

159 Ein Blick auf die Firmennamen <strong>im</strong> Sample zeigt, dass kaum ein Unternehmen einen anderen Namen führt als<br />

den <strong>des</strong> Eigentümers oder die der Eigentümer. Dabei waren nur kleine nicht protokollierte Gewerbetreibende<br />

verpflichtet, den eigenen Namen <strong>im</strong> Firmenwortlaut zu führen.<br />

69


7 Berufliche Identitäten und ökonomisches Handeln<br />

Der Beruf hat wie der Eigenname eine für die Selbstdarstellung tragende Bedeutung. Während<br />

der Name jedoch allein der Repräsentation dient, verweist der Beruf auf eine Eigenschaft der<br />

Bezeichneten, die – mit Einschränkung – Auskunft über die soziale Verortung einer Person,<br />

ihr Bildungsniveau und – mit noch größerer Einschränkung – ihre ungefähre<br />

Einkommenshöhe geben kann. Allein bei der Durchsicht von Geburts-, Ehe- und<br />

Sterbebüchern, den hier verwendeten Quellen, wird die Bedeutung <strong>des</strong> Berufes als<br />

Identitätsmerkmal deutlich. <strong>Die</strong> Matriken halten die elementaren Daten <strong>des</strong> menschlichen<br />

Lebenslaufes fest, die Geburt, den Tod, die Veränderung der persönlichen Rechtswirkungen<br />

durch Verehelichung – und dazu gehört auch der Beruf. Dass am Ende <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts<br />

dieses Identifikationsmerkmal aber nur für Männer als ein solches galt und bei Frauen in der<br />

Regel kein Beruf angegeben wurde, lässt die Bedeutung von Geschlecht <strong>im</strong> Erwerbsleben<br />

deutlich hervortreten. Moderne Gesellschaften besitzen ein System der Arbeitsteilung, das je<br />

nach Milieu die kulturell legit<strong>im</strong>ierte Geschlechterhierarchie in prägnanter Weise zum<br />

Ausdruck bringt, <strong>des</strong>sen zentrales Strukturmerkmal ungleiche Erwerbschancen von Männern<br />

und Frauen <strong>sind</strong>. Arbeit wird über Geschlecht definiert und Geschlecht durch Arbeit<br />

hergestellt, oder wie Karin Hausen schreibt: „Geschlecht ist wichtig für die Ordnung <strong>des</strong><br />

Arbeitens; und umgekehrt ist das geschlechtsspezifisch geordnete Arbeiten wichtig, um die<br />

Geschlechterordnung täglich vor Augen zu führen, sie mit neuen Entwicklungen in Einklang<br />

zu bringen und so in ihren Grundprinzipien auf Dauer zu stabilisieren.“ 160<br />

In diesem Kapitel wird die Geschichte der Entwicklung der Erwerbsarbeit in Österreich bzw.<br />

in Wien von der Jahrhundertwende bis 1938 nachgezeichnet. Wiewohl die berufliche<br />

Situation der Personen <strong>des</strong> Samples zum Zeitpunkt 1938 <strong>im</strong> Vordergrund steht, wird diese in<br />

der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung ab der Jahrhundertwende<br />

kontextualisiert. Im Fokus stehen die beruflichen Karrieren einzelner Personen und die<br />

Faktoren, die den beruflichen Werdegang beeinflussten. <strong>Die</strong>s wird vor allem vor dem<br />

Hintergrund ihrer familiären Situation nachgezeichnet. Von Interesse <strong>sind</strong> insbesondere das<br />

Spannungsverhältnis zwischen dem Einfluss der Familie und <strong>des</strong> sozialen Umfel<strong>des</strong> und dem<br />

Potential, davon unabhängig einen eigenen beruflichen Lebensweg einzuschlagen. Bei der<br />

160 Karin Hausen: Altbewährt und zählebig: Wirtschaften mit der Geschlechterordnung, in: Eva Labouvie und<br />

Katharina Bunzmann (Hg.): Ökonomien <strong>des</strong> Lebens. Zum Wirtschaften der Geschlechter in Geschichte und<br />

Gegenwart, Münster 2004, S. 13-32, S. 19.<br />

70


geschlechtsspezifischen Betrachtung von Erwerbsarbeit in diesem Kapitel steht die Frage<br />

nach der Sichtbarkeit <strong>im</strong> Vordergrund. Wie noch zu zeigen sein wird, unterscheiden sich die<br />

Betrachtungsweisen der Arbeit von Männern und Frauen beträchtlich. Arbeit bzw.<br />

ökonomisches Handeln von Frauen erfordert sehr viel mehr Aufmerksamkeit der<br />

Forschenden, um nicht überlesen oder falsch interpretiert zu werden. Sie wurde anders als die<br />

Berufstätigkeit von Männern in den Quellen nicht als beständig und kontinuierlich<br />

konstruiert. Interessanterweise erweist sich ein Blick in die Vermögensverhältnisse hier als<br />

große Hilfe, weil die Aufzeichnungen von Vermögensdaten nicht unterschiedlichen<br />

Darstellungsweisen unterworfen waren oder geschlechtsspezifischen Rollenbildern folgten.<br />

So lassen sich auch Arbeitsstrukturen und ihre geschlechterspezifischen Implikationen offen<br />

legen. Zwar entzieht sich die Arbeit selbst einer geschlechterspezifischen oder sonstigen<br />

Messbarkeit, doch erlauben die Art <strong>des</strong> Sprechens über und die Darstellung von Arbeit in<br />

Zusammenhang mit ihren finanziellen Einkünften Einblicke in ihre Strukturen.<br />

Geschlecht und Zuschreibungen <strong>des</strong> „Jüdischen“ in der Arbeitswelt <strong>des</strong> beginnenden 20.<br />

Jahrhunderts<br />

Neben sozialen, in der Diktion der Habsburgermonarchie nationalen und ökonomischen<br />

Ausgangsbedingungen gehörten das Geschlecht und die Konfession bzw. „rassische“<br />

Zuschreibungen <strong>des</strong> „Jüdischen“ zu den zentralen Strukturelementen <strong>des</strong> Arbeitsmarktes in<br />

Wien zu Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts, die durch ihre jeweils eigene Art von Fremd- und<br />

Eigenpositionierungen die Arbeitswelt mitgestalteten. <strong>Die</strong> Jahrhundertwende markiert eine<br />

intensive Phase der Auseinandersetzung mit Frauenerwerbsarbeit; in deren Hintergrund<br />

standen die sich rasch verändernden wirtschaftlichen Gegebenheiten der vorangegangenen<br />

Jahrzehnte nach Abschaffung der Grundherrschaft 1848, die eine Welle an verarmten<br />

Arbeitssuchenden in die Städte brachte, die in der Industrie auf Beschäftigung hofften, sowie<br />

1859 die Auflösung <strong>des</strong> Zunftwesens zugunsten der Gewerbefreiheit in einer<br />

konkurrenzorientierten Wirtschaft. 161 <strong>Die</strong> Haupt- und Residenzstadt Wien war Sitz vieler<br />

Firmenzentralen aus der gesamten Monarchie, Banken, Versicherungen und<br />

Handelsunternehmen boten Arbeitsplätze für eine <strong>im</strong> Wachsen begriffene Angestelltenschaft,<br />

161 Vgl. Erna Appelt: <strong>Die</strong> Integration von Frauen in den <strong>Die</strong>nstleistungssektor in Österreich Ende <strong>des</strong> 19.<br />

Jahrhunderts, in: David F. Good, Margarete Grandner und Mary Jo Maynes (Hg.): Frauen in Österreich. Beiträge<br />

zu ihrer Situation <strong>im</strong> 20. Jahrhundert, Wien/Köln/We<strong>im</strong>ar 1994, S. 102-119. Siehe auch: Erna Appelt: Von<br />

Ladenmädchen, Schreibfräulein und Gouvernanten 1900-1934, Wien 1985.<br />

71


die nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie dann ihre Bedeutung wieder verlor.<br />

Im Ersten Weltkrieg hatten Frauen die in den Krieg gezogenen Soldaten in der Fabrik, in den<br />

Büros und auch in Forschungseinrichtungen ersetzt. Auch danach waren Frauen <strong>im</strong>mer mehr<br />

berufstätig, bis 1934 war die Anzahl der weiblichen Berufstätigen um das Zweieinhalbfache<br />

seit 1890 angestiegen. <strong>Die</strong> ökonomische Lage erschwerte es auch den mittleren Schichten,<br />

dem Ideal der bürgerlichen Familie, in der sich die Frau allein auf ihre Rolle der Hausfrau und<br />

Mutter zu konzentrieren hatte, zu entsprechen. <strong>Die</strong> Erwerbstätigkeit wurde für einen großen<br />

Teil der Frauen <strong>des</strong> Bürgertums zur wirtschaftlichen Notwendigkeit. Viele ZeitgenossInnen<br />

mochten sie wohl auch nur als solche verstanden wissen, und nicht als Mittel zur persönlichen<br />

Identitätsbildung oder als eine dem Mann gleichwertige Tätigkeit. 162 Sie konnte sogar als<br />

soziale Degradierung empfunden werden, was dazu beitrug, dass vor allem verheiratete<br />

Frauen ihre Erwerbstätigkeit herunterspielten oder gar verhe<strong>im</strong>lichten, um die Ernährerrolle<br />

<strong>des</strong> Ehemannes nicht in Frage zu stellen. Analog zu internalisierten Rollenbildern stehen die<br />

gesetzlichen Rahmenbedingungen, die als Ausdruck der Geschlechterordnung<br />

Beschränkungen der Geschäfts- und Erwerbstätigkeit von Frauen beinhalteten. Jedoch wies<br />

Österreich zu Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts noch vor dem Ersten Weltkrieg <strong>im</strong> internationalen<br />

Vergleich hohe Raten an Frauenerwerbstätigkeit auf. Be<strong>im</strong> Beispiel der erwerbstätigen<br />

verheirateten Frauen wurde für Österreich eine Quote von 41,4 % berechnet, für Deutschland<br />

hingegen waren es nur 29,7 %. 163 Bandhauer-Schöffmann vermutet als Ursache<br />

vergleichsweise günstigere gesetzliche Rahmenbedingungen für ökonomisches Handeln von<br />

Frauen <strong>im</strong> österreichischen Recht. 164 Das Eherecht spielte hierbei eine zentrale Rolle bei der<br />

Frage nach geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Geschäftstätigkeit bzw. -<br />

fähigkeit. 165<br />

162 Karen Hagemann: Ausbildung für die „weibliche Doppelrolle“. Berufswünsche, Berufswahl und<br />

Berufschancen von Volksschülerinnen in der We<strong>im</strong>arer Republik, in: Karin Hausen (Hg.):<br />

Geschlechterhierarchie und Arbeitsteilung. Zur Geschichte ungleicher Erwerbschancen von Männern und<br />

Frauen, Göttingen 1993, S. 214-236.<br />

163 Eine Erklärung dafür findet sich hier nur bedingt in formalstatistischen Unterschieden, zu benennen <strong>sind</strong><br />

Faktoren wie die Einbeziehung <strong>des</strong> <strong>Die</strong>nstpersonals in die Berechnungen, die Bewertung von Haupt- und<br />

Nebenerwerb usw. Gertraud Wolf: Der Frauenerwerb in den Hauptkulturstaaten. Nach amtlichen statistischen<br />

Quellen, München 1916, S. 60.<br />

164 Irene Bandhauer-Schöffmann: Businesswomen in Austria, in: Robert Beachy, Béatrice Craig und Alastair<br />

Owens (Hg.): Women, Business and Finance in Nineteenth-century Europe. Rethinking Separate Spheres,<br />

Oxford/New York 2006, S. 110-125.<br />

165 In Österreich regelten <strong>im</strong> Wesentlichen das ABGB von 1811, die Gewerbeordnung von 1859 mit den<br />

Novellen von 1883, 1907 und 1934 (mit weiteren Novellen blieb die Gewerbeordnung bis 1973 in Kraft) sowie<br />

das Handelsgesetz von 1862 den Zugang zur Geschäftstätigkeit. Das Handelsgesetzbuch verlangte von<br />

verheirateten Handelsfrauen die Zust<strong>im</strong>mung <strong>des</strong> Ehemannes für ihre geschäftliche Tätigkeit, diese wurde<br />

jedoch allein dadurch als gegeben erachtet, wenn dieser keinen Einspruch erhob. Wie lange diese Einschränkung<br />

der Geschäftstätigkeit von Frauen bestand hatte, ist unklar. Das Handelsrecht blieb in dieser Form bis 1938 in<br />

Kraft, manche Juristen argumentierten aber, die Gewerbenovelle von 1883 habe diese Best<strong>im</strong>mung bereits<br />

obsolet gemacht, während andere mit dem Gleichheitsgrundsatz der Bun<strong>des</strong>verfassung von 1920 die<br />

72


<strong>Die</strong> wirtschaftliche Situation in Österreich nach Ende <strong>des</strong> Ersten Weltkrieges war katastrophal<br />

und fast nur mittels Negativa zu beschreiben, die Effekte der „Nachkriegsinflation“ (1918 bis<br />

1922), der „Stabilisierungskrise“ (1923/24), der „Rezession“ (1926) und der<br />

„Weltwirtschaftkrise“ (1929–1933), von der sich die wirtschaftliche Situation bis 1938 nur<br />

„gebremst erholte“, beeinflussten die Volkswirtschaft und die Lebenssituation vieler<br />

Menschen, die mit sozialer Unsicherheit, dem Absinken <strong>des</strong> gewohnten Lebensstandards<br />

konfrontiert und von Arbeitslosigkeit bedroht waren. 166 Von 1919 bis 1930 war die<br />

Arbeitslosenrate <strong>im</strong> Jahresdurchschnitt unter 10 % gelegen (Ausnahmen 1919: 10,6 %, 1926:<br />

11 %). Von 1930 bis 1933 war sie (in Prozent der unselbständigen ArbeitnehmerInnen) von<br />

11,1 auf 25,9 gestiegen. 167 Bis 1937 ging sie langsam auf 21,7 % zurück. Eine Reaktion auf<br />

die Arbeitslosigkeit war der Versuch, Frauen wieder aus dem Arbeitsmarkt zu verdrängen, um<br />

diesen zu entlasten, da der Anstieg der Arbeitslosigkeit direkt auch mit der Berufstätigkeit<br />

von Frauen in Verbindung gebracht wurde. 168 1933 wurde nach deutschem Vorbild ein<br />

Doppelverdienergesetz für öffentliche Bedienstete eingeführt, demgemäß mussten Frauen, die<br />

einen Mann zu ehelichen beabsichtigten, der mehr als 340 Schilling brutto verdiente, ihre<br />

Stelle aufgeben; Beamtinnen mussten in jedem Fall bei einer Verehelichung ihren <strong>Die</strong>nst<br />

quittieren. 169<br />

<strong>Die</strong> Frage, ob und welche Rolle Frauen <strong>im</strong> Arbeitsleben einnehmen sollten, hatte die<br />

politische Auseinandersetzung bereits um die Jahrhundertwende beschäftigt. Auf der einen<br />

Seite wurde von der Arbeiterbewegung der Schutz vor Ausbeutung von proletarischen Frauen<br />

in den Fabriken gefordert. Auf der anderen Seite versuchten bürgerliche Frauen, zu<br />

akademischen Berufen zugelassen zu werden. <strong>Die</strong> Erste Frauenbewegung machte neben der<br />

Sonderbest<strong>im</strong>mungen <strong>des</strong> Handelsrechts für aufgehoben sahen (Art. 6-8). Im Eherecht wurden die letzten<br />

Einschränkungen der Geschäftsfähigkeit von verheirateten Frauen erst 1978 beseitigt. BGBl. 280/1978. Vgl.<br />

Helene Herda: Der Zugang von Frauen zum Gewerbe. Eine Analyse der rechtlichen Rahmenbedingungen von<br />

1859 bis heute, in: Irene Bandhauer-Schöffmann und Regine Bendl (Hg.): Unternehmerinnen. Geschichte &<br />

Gegenwart selbständiger Erwerbstätigkeit von Frauen, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Brüssel/New York/Wien<br />

2000, S. 135-159, S. 145-146; Helene Herda: Recht und Rechtswirklichkeit für Unternehmerinnen und<br />

gewerbetreibende Frauen von 1859 bis heute, in: Irene Bandhauer-Schöffmann (Hg.): Auf dem Weg zur<br />

Beletage. Frauen in der Wirtschaft, Wien 1997, S. 111-143.<br />

166<br />

Zu den vier Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung vgl. Fritz Weber: <strong>Die</strong> wirtschaftliche Entwicklung, in:<br />

Emmerich Tálos, Herbert Dachs, Ernst Hanisch und Anton Staudinger (Hg.): Handbuch <strong>des</strong> politischen Systems<br />

Österrechs. Erste Republik 1918-1933, Wien 1995, S. 23-44, S. 28.<br />

167<br />

Heinz Fassmann: Der Wandel der Bevölkerungs- und Sozialstruktur in der Ersten Republik, in: Emmerich<br />

Tálos, Herbert Dachs, Ernst Hanisch und Anton Staudinger (Hg.): Handbuch <strong>des</strong> politischen Systems<br />

Österreichs. Erste Republik 1918-1933, Wien 1995, S. 11-22, S. 21.<br />

168<br />

Paul Pasteur: Unter dem Kruckenkreuz. Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen in Österreich 1934-1938,<br />

Innsbruck 2008, S. 163-166.<br />

169<br />

Vgl. Angela Franke: Doppelverdienergesetz und Doppelverdienerkampagne, Wien, Univ.-Dipl. 1989.<br />

73


Forderung nach politischen Rechten, insbesondere <strong>des</strong> St<strong>im</strong>mrechts, die gleichen<br />

Zugangschancen zum Bildungs- und Arbeitsmarkt zu ihrem dringlichsten Anliegen. 170 Frauen<br />

der bürgerlichen Schichten erlangten am Ende <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts Zugang zu höherer<br />

Bildung. 171 <strong>Die</strong> Studierendenzahlen und noch mehr die Zahl der Lehrenden spiegelten aber<br />

noch Jahrzehnte später den <strong>im</strong> späten Universitätszugang ausgedrückten Willen, höhere<br />

Bildung und damit einhergehende bessere Berufschancen zu Gunsten <strong>des</strong> männlichen<br />

Geschlechts zu gestalten. Insgesamt jedoch war der Anteil der weiblichen Studierenden an der<br />

Hörerschaft der Universität Wien in der Zwischenkriegszeit höher als in den 1950er Jahren.<br />

Der Anteil jüdischer Schülerinnen und Studentinnen war bis 1938 wie derjenige von<br />

jüdischen Männern in Relation zu ihrer Zahl in der Gesamtbevölkerung außergewöhnlich<br />

hoch, dies wird auf die „modernere Berufsstruktur“ der jüdischen Wiener Bevölkerung<br />

zurückgeführt, die „einen Startvorteil für den gehobenen Bildungsweg“ darstellte (siehe<br />

unten). 172 Zunehmender Antisemitismus bremste jedoch die Bildungsbestrebungen.<br />

Betrachtet man das als „jüdisch“ gekennzeichnet Werden, ebenfalls unter dem Blickwinkel<br />

seiner Funktion als Kategorie zur Ordnung <strong>des</strong> Berufsfel<strong>des</strong>, zeigt sich, dass um die<br />

Jahrhundertwende gesetzliche Barrieren nicht die Hauptrolle spielten, Diskr<strong>im</strong>inierung<br />

aufgrund von Antisemitismus aber sehr wohl. Bis zum Staatsgrundgesetz 1867, das eine<br />

völlige rechtliche Gleichstellung von Juden und Katholiken <strong>im</strong>plementierte, waren Juden aus<br />

best<strong>im</strong>mten Berufszweigen ausgeschlossen. Das Verbot, Grund zu besitzen, verhinderte etwa<br />

170 Zu nennen <strong>sind</strong> der 1866 gegründete „Wiener Frauenerwerbsverein“ oder der 1888 gegründete „Verein für<br />

erweiterte Frauenbildung“, Ziel war es, für Mädchen eine gleichwertige Ausbildung, etwa in Gymnasien, zu<br />

erreichen wie für Buben. Auch der „Bund demokratischer Frauen“ setzte sich für berufstätige Frauen ein und trat<br />

für eine Berufsausbildung für Frauen ohne Diskr<strong>im</strong>inierungen ein sowie für eine gleiche Entlohnung für gleiche<br />

Arbeit von Frauen und Männern.<br />

171 Ab 1872 konnten sie als Externistinnen die Matura an Knabengymnasien ablegen, 1892 eröffnete das erste<br />

Mädchengymnasium in der Rahlgasse in Wien, aber erst ab 1897 berechtigte die Reifeprüfung Frauen zum<br />

Hochschulstudium, zunächst an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien. Als nächste öffneten sich<br />

1900 die medizinische Fakultät, 1919 die juridische Fakultät und die technischen, montanistischen und<br />

tierärztlichen Hochschulen weiblichen Hörerinnen. <strong>Die</strong> erste in Österreich zugelassene Ärztin, die in Russland<br />

geborene Rosa Kerschbaumer-Putjata, hatte in Zürich studiert und praktizierte mit einer kaiserlichen<br />

Sondererlaubnis ab 1890 in Salzburg, sieben Jahre vor Gabriele Possaner von Ehrental, die gemeinhin als die<br />

erste Ärztin in Österreich gilt, letztere hatte ebenfalls in Zürich studiert. Sabine Veits-Falk: Rosa Kerschbaumer-<br />

Putjata (1851-1923): Erste Ärztin Österreichs und Pionierin der Augenheilkunde. Ein außergewöhnliches<br />

Frauenleben in Salzburg, Salzburg 2008. <strong>Die</strong> Evangelisch-Theologische Fakultät ließ Frauen ab 1928 zum<br />

Studium zu, die Katholisch-Theologische Fakultät als letzte 1945. <strong>Die</strong> Romanistin Elise Richter habilitierte sich<br />

1907 als erste Frau an der Universität Wien und wurde die erste Universitätsdozentin dieser Universität. Vgl.<br />

Referat Frauenförderung und Gleichstellung der Universität Wien (Hg.): Frauen Leben Wissenschaft. 110 Jahre<br />

Wissenschafterinnen an der Universität Wien, Broschüre zur gleichnamigen Ausstellung, Wien 2007. Zu<br />

Studentinnenzahlen siehe Waltraud Heindl, Marina Tichy (Hg.): „Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück...“<br />

Frauen an der Universität Wien (ab 1897) (Schriftenreihe <strong>des</strong> Universitätsarchivs Universität Wien, Bd. 5) Wien<br />

1993 2 .<br />

172 Albert Lichtblau: Integration, Vernichtungsversuch und Neubeginn – Österreichisch-jüdische Geschichte<br />

1848 bis zur Gegenwart, in: Eveline Brugger, Martha Keil, Albert Lichtblau, Christoph Lind und Barbara<br />

Staudinger: Geschichte der Juden in Österreich, (Österreichische Geschichte) Wien 2006, S. 447-566, S. 482.<br />

74


eine landwirtschaftliche Tätigkeit, jenes Berufsfeld, in dem die meisten nicht-jüdischen<br />

ÖsterreicherInnen beschäftigt waren. 173 Manche Gewerbezulassungen waren an eine<br />

christliche Konfession gebunden, dies wurde zwar bereits mit der Gewerbeordnung von 1859<br />

aufgehoben, doch wirkten Berufstraditionen, die aus der Not aufgrund der beruflichen<br />

Diskr<strong>im</strong>inierungen resultierten, weiter fort. Juden konzentrierten sich auf den Handel, was<br />

ihnen in antisemitischen Diskursen als Bereicherung ausgelegt wurde. Auch wenn ein<br />

Großteil der gesetzlich verankerten Ausschlusskriterien für Juden zu Beginn <strong>des</strong> 20.<br />

Jahrhunderts längst aufgehoben worden waren, konstituierte sich das Berufsfeld weiterhin<br />

oder zum Teil sogar zunehmend durch antisemitische Praktiken. Statistisch sichtbar waren<br />

antisemitische Beweggründe beispielsweise in der Mitarbeiterrekrutierung <strong>im</strong> öffentlichen<br />

<strong>Die</strong>nst, aber auch bei den Verkehrsbetrieben, den Bun<strong>des</strong>bahnen und den Wiener<br />

Straßenbahnen, die Juden und Jüdinnen gegenüber eine ablehnende Aufnahmepolitik<br />

verfolgten. 174 <strong>Die</strong> Universitäten sowie zahlreiche Berufsvertretungen, ein Beispiel wäre die<br />

Ärztekammer, versuchten, Juden und Jüdinnen den Zugang zu ihren Bereichen zu<br />

erschweren. 175 Gleichzeitig wurde <strong>im</strong>mer mit einer Überrepräsentation von Juden bei den<br />

medizinischen oder Anwaltsberufen argumentiert.<br />

<strong>Die</strong> jüdische Bevölkerung zu Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts wies, wie die Wiener Bevölkerung<br />

insgesamt, einen hohen Anteil an MigrantInnen aus verschiedenen Teilen der Monarchie auf,<br />

sie hatte sich <strong>im</strong> Wesentlichen seit 1848 durch Einwanderungen aus Böhmen, Mähren,<br />

Ungarn und Galizien gebildet. Unterschiede <strong>im</strong> Migrationsverhalten und <strong>im</strong><br />

Ausbildungsniveau trugen ebenfalls dazu bei, dass sich die Berufsverteilung der jüdischen<br />

Bevölkerung Wiens statistisch signifikant von derjenigen der christlichen Bevölkerung<br />

unterschied, wobei die konfessionelle Definition zunehmend von einer rassistischen<br />

Begriffsbest<strong>im</strong>mung abgelöst wurde, die nun Konvertiten und Konfessionslose mit<br />

„jüdischem Hintergrund“ gleichermaßen betraf. <strong>Die</strong> oben kurz skizzierte angespannte<br />

wirtschaftliche Situation, die einherging mit einer existentiellen Verunsicherung der<br />

Bevölkerung und einer politischen Polarisierung und Radikalisierung, lieferte auch die<br />

Argumente für den <strong>im</strong>mer stärker werdenden Antisemitismus in der Zwischenkriegszeit, der<br />

sich nicht zuletzt auf die antisemitischen Stereotype der „Juden“ als Wucherer und<br />

skrupellose Kapitalisten stützte.<br />

173 Das bezieht sich sowohl auf Cisleithanien als auch auf Österreich nach 1918.<br />

174 Leo Goldhammer: <strong>Die</strong> Juden Wiens: eine statistische Studie, Wien 1927, S. 58.<br />

175 vgl. Bruce F. Pauley: Eine Geschichte <strong>des</strong> österreichischen Antisemitismus. Von der Ausgrenzung zur<br />

Auslöschung, Wien 1993.<br />

75


<strong>Die</strong> Bevölkerungs- und Beschäftigungsstruktur in der Zwischenkriegszeit<br />

Um einen Einblick in die Struktur der Erwerbsarbeit in der Zwischenkriegszeit zu erlangen,<br />

lohnt es sich, zunächst die Bevölkerungs- und Beschäftigungsstruktur aus einer<br />

Makroperspektive zu betrachten, um danach die Situation für die hier untersuchten Gruppen<br />

detaillierter in den Blick zu nehmen. Dazu wird das soziale Schichtmodell von Emanuel<br />

Januschka aus dem Jahr 1938 herangezogen. 176 Es ist vor allem wegen seiner Abbildung der<br />

österreichischen Bevölkerung in drei große Gruppen in Ober-, Mittel- und Unterschicht von<br />

Interesse, ein Modell, das auch in der späteren Wirtschaftshistoriographie rezipiert werden<br />

sollte. 177 Emanuel Januschka stützt sich vornehmlich auf die Daten der Berufszählung von<br />

1934, zieht aber auch einzelne Daten aus 1930 heran. Das Modell bildet soziale Schichten,<br />

nicht Einkommensschichten ab, denn Einkommen waren für diesen Zeitraum nicht statistisch<br />

erfasst bzw. auswertbar. 178 <strong>Die</strong> Abbildung zeigt Januschkas Berechnungen mit und ohne<br />

Angehörige, worunter Personen zu verstehen <strong>sind</strong>, deren Arbeit der erwerbenden Person<br />

zugeordnet wird, in den Statistiken auch mithelfende Familienmitglieder genannt.<br />

176 Der Entstehungszeitraum dieser Arbeit evoziert Fragen nach den ideologischen Positionierungen <strong>des</strong> Autors.<br />

Im März 1938, unmittelbar nach dem „Anschluss“, musste Emanuel Januschka zu seinem Text über „die soziale<br />

Schichtung der Bevölkerung Österreichs“, der genau zur selben Zeit veröffentlicht werden sollte, ein eigenes<br />

Vorwort schreiben, um den neuen politischen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Darin heißt es, dieses <strong>Buch</strong><br />

sei „mit der Absicht verfasst [worden], dem Reg<strong>im</strong>e Schuschnigg die Verelendung <strong>des</strong> deutschen Volkes in<br />

Österreich eindringlich vor Augen zu führen […] <strong>Die</strong> Form der Darstellung musste freilich auf die<br />

Empfindlichkeiten der Träger <strong>des</strong> verflossenen Systems Rücksicht nehmen, sonst wäre das Erscheinen dieses<br />

Heftes ja unmöglich gewesen. Deshalb findet der Leser am Anfang und am Ende der Schrift Hinweise auf den<br />

‚berufsständischen Aufbau’ in Österreich, jenem kompliziert aufgebauten System von Gliederungen, durch<br />

welches die Entrechtung <strong>des</strong> deutschösterreichischen Volkes verewigt werden sollte.“ 176 Der Autor distanziert<br />

sich also von den ideologischen Grundlagen seines <strong>Buch</strong>es, doch es scheint, als habe er außer der Einleitung<br />

nichts geändert, so bleibt dieser Text ein Grenzwesen, <strong>des</strong>sen Verfasser mit einem Fuß <strong>im</strong> christlichsozialen<br />

„Stän<strong>des</strong>taat“ und mit dem anderen <strong>im</strong> nationalsozialistischen großdeutschen Reich stand.<br />

177 Beispielsweise: Erich Bodzenta: Änderungen der österreichischen Sozialstruktur in der Ersten und Zweiten<br />

Republik, in: Erich Zöllner (Hg.): Österreichs Sozialstruktur in historischer Sicht, Wien 1980, S. 156-170. Sich<br />

auf ersteren beziehend: Heinz Fassmann: Der Wandel der Bevölkerungs- und Sozialstruktur in der Ersten<br />

Republik, in: Emmerich Tálos, Herbert Dachs, Ernst Hanisch und Anton Staudinger (Hg.): Handbuch <strong>des</strong><br />

politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918-1933, Wien 1995, S. 11-22; J. Robert Wegs: Working<br />

Class Respectability: The Viennese Experience in: Journal of Social History, Vol. 15, Summer 1982/4, S. 621-<br />

635.<br />

178 Emanuel Januschka: <strong>Die</strong> soziale Schichtung der Bevölkerung Österreichs. Auf Grund amtlicher<br />

Veröffentlichung mit 15 graphischen Darstellungen, Wien/Leipzig, 1938, S. 31.<br />

76


I. Oberschicht<br />

Großindustrielle, Bankiers.<br />

Großgrundbesitzer, Großbauern.<br />

Hohe Beamte<br />

Hausbesitzer, Rentner, hohe Pensionisten.<br />

II. Mittelschicht<br />

Mittlere Pensionisten und Ausgedinger.<br />

Gewerblicher Mittelstand (selbständig).<br />

Mittelbauern.<br />

Mittlere Angestellte<br />

III. Unterschicht<br />

Kleinbauern.<br />

Kleingewerbler, Kleinhändler usw.<br />

Kleine Pensionsten, Sozialrentner, Verarmte<br />

Kleine Angestellte, Arbeiter, Mithelfende, Lehrlinge,<br />

niederes Hauspersonal.<br />

Vereinfachtes Schichtmodell nach Emanuel Januschka. 179<br />

Ohne Angehörige Mit Angehörigen<br />

1,7 %<br />

11,6 %<br />

86,7 %<br />

1,6 %<br />

12,5 %<br />

85,8 %<br />

<strong>Die</strong>se Tabelle veranschaulicht drastisch die sozialen Unterschiede innerhalb der<br />

österreichischen Bevölkerung der Zwischenkriegszeit, wonach der allergrößte Teil, rund 86<br />

%, der Unterschichte angehörten, rund 12 % der Mittelschicht und nicht einmal 2 % der<br />

Oberschicht. In der linken Spalte <strong>sind</strong> die Berufsträger nach den Kategorien der Selbständigen<br />

(gewerblich und landwirtschaftlich), Unselbständigen und Berufslosen geordnet. Sowohl<br />

Selbständige als auch Angestellte und Berufslose <strong>sind</strong> in allen drei Schichten in einem<br />

best<strong>im</strong>mten Verhältnis vertreten. Das verdeutlicht die Grenzen der Aussagekraft von<br />

Berufsbezeichnungen, so <strong>im</strong>pliziert die Berufsbezeichnung Kaufmann gleichermaßen den<br />

Großhändler wie den kleinen Krämer, Angehörige der Oberschicht ebenso wie die der unteren<br />

Schichten. In Volkszählungen, deren Struktur Januschka mit der Kategorisierung der<br />

mithelfenden Angehörigen folgt, wird Erwerbsarbeit nur bedingt als individuell begriffen,<br />

sondern eher als Gemeinschaftsarbeit von Familie, wobei nach individuellen Parametern vor<br />

allem männliche Erwerbsarbeit erhoben wurde, während Frauen, laut den Detailstatistiken der<br />

Volkszählungen, hauptsächlich zu den Familienangehörigen gezählt wurden. Ihre Arbeit<br />

wurde als Mithilfe bezeichnet und der männlichen sekundär nachgeordnet.<br />

<strong>Die</strong> Feingliederung (hier nicht abgebildet) <strong>des</strong> Schichtmodells zeigt: In der Oberschicht bilden<br />

die Berufslosen die größte Gruppe, in der Mittelschicht <strong>sind</strong> es die Selbständigen und in der<br />

Unterschicht die Unselbständigen. 180 <strong>Die</strong> Unterscheidung für die Berechnungen mit und ohne<br />

179 Emanuel Januschka: <strong>Die</strong> soziale Schichtung der Bevölkerung Österreichs. Auf Grund amtlicher<br />

Veröffentlichung mit 15 graphischen Darstellungen, Wien/Leipzig, 1938, S. 32.<br />

180 Januschka berechnete die Prozentzahlen für jede Kategorie, in obiger Tabelle <strong>sind</strong> nur die Gesamtzahlen pro<br />

Schicht angegeben.<br />

77


Angehörige fällt sehr gering aus, auch in der Detailauswertung der einzelnen Kategorien. Zu<br />

sehen ist, dass die höchste Zahl der mithelfenden Angehörigen in der Mittelschicht zu finden<br />

ist.<br />

Auf die Untersuchungsgruppe umgelegt, lässt sich feststellen, dass die Schichtverteilung der<br />

Personen <strong>des</strong> Samples sich nicht völlig mit derjenigen der österreichischen Bevölkerung, so<br />

wie in dem Modell skizziert, deckt. Auf die selektive Auswahl der Behörden für diese<br />

Anmeldungen durch die Vermögensuntergrenze von 5.000 RM, was eine<br />

Unterrepräsentierung der Unterschichten zur Folge hatte, und die Mittel- und Oberschicht<br />

stärker hervortreten ließ, wurde mehrfach hingewiesen. Ferner hatte Januschka die<br />

österreichische Gesamtbevölkerung untersucht, während das Sample ein best<strong>im</strong>mtes Segment<br />

der Wiener Stadtbevölkerung widerspiegelt. Der urbane Raum wies mit einem starken<br />

<strong>Die</strong>nstleistungssektor und einem schwachen Agrarsektor andere Arbeitsstrukturen auf als das<br />

flache Land. Große Teile der Bevölkerung waren nicht in Wien geboren, sondern in Ländern<br />

der ehemaligen Monarchie, und die soziale Mobilität war höher als in ländlichen Gebieten.<br />

Doch auch in der Hauptstadt gehörte die Mehrzahl der BewohnerInnen der Unterschicht an,<br />

nur ein relativ kleiner Teil zählte sich zur Mittelschicht und noch weniger zur Oberschicht.<br />

<strong>Die</strong> Volkszählung von 1910 war die einzige, die Berufsstatistiken nach Religion und<br />

Geschlecht erhoben hatte. Leo Goldhammer wertet diese Zahlen für Wien aus. 1910 waren<br />

43,23 % aller Juden und Jüdinnen <strong>im</strong> Bereich Handel und Verkehr tätig, <strong>im</strong> Vergleich dazu<br />

nur 28,01 % der Angehörigen anderer Konfessionen. <strong>Die</strong> Zahl der jüdischen ArbeiterInnen<br />

insbesondere in der Industrie betrug <strong>im</strong> Vergleich zu Nicht-Juden ein Viertel. 181 In der<br />

Kategorie öffentliche <strong>Die</strong>nste und freie Berufe stehen Anteile von 8,62 % bei den Juden und<br />

Jüdinnen 14,12 % bei den nichtjüdischen Beschäftigten gegenüber. In Anbetracht der<br />

Tatsache, dass der Staatsdienst für Juden und Jüdinnen nur sehr eingeschränkt offen stand,<br />

<strong>sind</strong> die rund 8 % den freien Berufen zuzurechnen, was einer relativ hohen Beteiligung<br />

gleichkam. 182 Mit 95,73 % übte der größte Teil als Selbständige einen freien Beruf aus, und<br />

nur ein geringer Prozentsatz stand in einem Angestelltenverhältnis. Der Anteil der<br />

Selbständigen von 73,9 % bei Nicht-Juden war deutlich niedriger. Insgesamt überwiegt bei<br />

der jüdischen Bevölkerung die Selbständigkeit in allen Kategorien gegenüber der<br />

181 Leo Goldhammer: <strong>Die</strong> Juden Wiens: eine statistische Studie, Wien 1927, S. 55-56.<br />

182 Leo Goldhammer: <strong>Die</strong> Juden Wiens: eine statistische Studie, Wien 1927, S. 54.<br />

78


nichtjüdischen Bevölkerung mit 45,09 % zu 28,55 %. 183 <strong>Die</strong>s spiegelt sich auch <strong>im</strong> Sample<br />

sehr deutlich wider.<br />

Wird die Entwicklung der Berufstätigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg betrachtet,<br />

wird eine Dynamik in der Gruppe der Selbständigen sichtbar. Mit ihrer Untersuchung der<br />

Berufe von heiratenden Männern anhand von Einträgen in den Ehematriken der Wiener IKG<br />

zwischen 1870 und 1910 stellt Marsha Rozenblit die oben genannten Zahlen in einen<br />

breiteren zeitlichen Kontext und relativiert die von zahlreichen zeitgenössischen Beobachtern<br />

aber auch von Historikern aufgestellte These, wonach die typische Berufsentwicklung der<br />

Wiener Juden zu Ende <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts von den traditionellen Handelsberufen in<br />

Richtung freier Berufe und künstlerischer Tätigkeit verlaufen sei. Rozenblits Untersuchungen<br />

ergeben eine lineare Zunahme der Handelsangestellten von 2,8 % <strong>im</strong> Jahr 1870 auf 35,2 % <strong>im</strong><br />

Jahr 1910, also eine Verschiebung von den Selbständigen zu den Unselbständigen. Letztere<br />

bildeten 1910 gleichzeitig die Kategorie mit den höchsten Zahlen, der Anteil der Kaufleute<br />

hatte sich hingegen seit 1880 von 57,0 % auf 33,3 % verringert. <strong>Die</strong> Kaufleute bildeten<br />

dennoch die zweithöchste Kategorie, und die Zahl der Freiberuflichen hatte sich in diesen 40<br />

Jahren kaum verändert. 184 <strong>Die</strong> Angestellten, Verkäufer und Manager, also die bürgerlichen<br />

Lohnabhängigen, nahmen in der Gesamtbevölkerung nicht in derselben Weise zu wie bei den<br />

Juden, diese hätten wieder eine eigene Nische gefunden und wären in diesem Sinne „Pioniere<br />

einer neuen spezifisch jüdischen Berufsstruktur“ gewesen, die auch nach einer Verschiebung<br />

ihrer Berufsfelder nach wie vor in anderen Sparten als die übrige Bevölkerung gearbeitet<br />

hätten. 185 Zu berücksichtigen ist hier jedenfalls, dass in diese Berechnungen nur die Daten<br />

von Männern einer mehr oder weniger eingeschränkten Altersklasse eingeflossen waren, der<br />

Vergleich mit anderen statistischen Quellen, auch mit den Daten der Vermögensverkehrsstelle<br />

von 1938 ist <strong>des</strong>halb wenig aussagekräftig.<br />

Bei der jüdischen Bevölkerung wurde eine höhere geschlechterspezifische Ungleichverteilung<br />

der Erwerbstätigen als bei der nicht-jüdischen Bevölkerung festgestellt: jüdische Frauen<br />

waren um ein Drittel weniger berufstätig als nicht-jüdische Frauen. 1910 waren in Wien von<br />

den jüdischen Berufstätigen 72,2 % männlich und nur 27,8 % weiblich; von den nicht-<br />

jüdischen Berufstätigen waren hingegen 56,9 % Männer und 43,1 % Frauen. Ähnliche Zahlen<br />

183 Leo Goldhammer: <strong>Die</strong> Juden Wiens: eine statistische Studie, Wien 1927, S. 55-56.<br />

184 Marsha L. Rozenblit: <strong>Die</strong> Juden Wiens: 1867-1914. Ass<strong>im</strong>ilation und Identität, (Forschungen zur Geschichte<br />

<strong>des</strong> Donauraumes, Bd. 11) Wien/Köln/Graz 1989, S. 59.<br />

185 Marsha L. Rozenblit: <strong>Die</strong> Juden Wiens: 1867-1914. Ass<strong>im</strong>ilation und Identität, (Forschungen zur Geschichte<br />

<strong>des</strong> Donauraumes, Bd. 11) Wien/Köln/Graz 1989, S. 57.<br />

79


finden sich auch in der deutschen Reichsstatistik von 1907, wonach 31 % aller Frauen, aber<br />

nur 18 % aller jüdischen Frauen erwerbstätig waren. 186 Leo Goldhammer schreibt: „Schon die<br />

früheren Untersuchungen haben ergeben, dass bei den Juden bedeutend mehr Männer als<br />

Frauen vorhanden <strong>sind</strong>. Außerdem besteht bei den Juden noch <strong>im</strong>mer die alte, allerdings<br />

infolge der wirtschaftlichen Verhältnisse heute <strong>im</strong>mer mehr abnehmende Gepflogenheit, dass<br />

die jüdische Frau, zumin<strong>des</strong>t nach ihrer Heirat, seltener einem Beruf nachgeht, als die<br />

nichtjüdische Frau.“ 187 Dem gegenüber stehen (vor allem auf Deutschland bezogene)<br />

Forschungen, wonach die Tätigkeit von Frauen <strong>im</strong> Familiengeschäft in der jüdischen<br />

Vormoderne vor allem bei den unteren Schichten selbstverständlich gewesen sei und der<br />

Rückgang der Frauenerwerbsarbeit in diesem Sinne als ein Zeichen <strong>des</strong> sozialen Aufstiegs der<br />

jüdischen Bevölkerung, aber auch der Urbanisierung und Anpassung an bürgerliche Normen<br />

und Werthaltungen gesehen werden kann. 188 Für das Wien der Jahrhundertwende scheint das<br />

Konzept der wechselseitigen Beeinflussung zutreffender zu sein. Hier wird <strong>im</strong> Gegensatz zur<br />

Ass<strong>im</strong>ilationsthese nicht davon ausgegangen, dass sich nicht die Gruppe der Nicht-Juden<br />

unabhängig von diesen als bürgerlich konstituiert hat, dem sich die Juden dann angepasst<br />

hätten, sondern, dass Verbürgerlichung ein Prozess war, der beide Gruppen betraf, wenn auch<br />

in unterschiedlicher Weise. Eine analoge Entwicklung betrifft den urbanen Raum, der sich<br />

durch Zuwanderung erst konstituierte, sodass die MigrantInnen elementarer Bestandteil <strong>des</strong><br />

Urbanisierungsprozesses waren und nicht später kommende Teilnehmende. 189 Offen bleibt<br />

aber auch hier die Frage nach der Sichtbarkeit der Arbeit von Frauen, meine Vermutung nach<br />

der Analyse <strong>des</strong> Samples ist dahingehend, dass Frauenarbeit hauptsächlich <strong>im</strong> selbständigen<br />

Bereich zu finden war. dieser ist statistisch weit durchlässiger erfasst, als eine<br />

Erwerbstätigkeit in Form eines Angestelltenverhältnisses. Da die Selbständigkeit wiederum in<br />

der jüdischen Bevölkerung ein starker Erwerbszweig war, schlug sich die Tätigkeit von<br />

jüdischen Frauen noch weniger in den Statistiken nieder. Zudem spielte die dem bürgerlichen<br />

186 Vgl. Monika Richarz: Geschlechterhierarchie und Frauenarbeit seit der Vormoderne, in: Kirsten Heinsohn,<br />

Stefanie Schüler-Springorum (Hg.): Deutsch-jüdische Geschichte als Geschlechtergeschichte. Studien zum 19.<br />

und 20. Jahrhundert (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Bd. XXVIII) Göttingen 2006, S.<br />

87-104, S. 101.<br />

187 Leo Goldhammer: <strong>Die</strong> Juden Wiens: eine statistische Studie, Wien 1927, S. 55.<br />

188 Monika Richarz: Geschlechterhierarchie und Frauenarbeit seit der Vormoderne, in: Kirsten Heinsohn,<br />

Stefanie Schüler-Springorum (Hg.): Deutsch-jüdische Geschichte als Geschlechtergeschichte. Studien zum 19.<br />

und 20. Jahrhundert (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Bd. XXVIII) Göttingen 2006, S.<br />

87-104, S. 98-101.<br />

189 Vgl. Moritz Csáky, Astrid Kury und Ulrich Tragatschnig (Hg.): Kultur – Identität – Differenz. Wien und<br />

Zentraleuropa in der Moderne (Gedächtnis – Erinnerung – Identität, Bd. 4) Innsbruck/Wien/München/Bozen<br />

2004; Klaus Hödl: Wiener Juden – Jüdische Wiener. Identität, Gedächtnis und Performanz <strong>im</strong> 19. Jahrhundert,<br />

Innsbruck/Wien/Bozen 2006.<br />

80


Rollenbild, das weibliche Berufstätigkeit als nicht erstrebenswert erachtete, geschuldete<br />

Selbstbezeichnungspraxis von Frauen eine nicht zu nicht zu hochgeschätzte Rolle.<br />

Den Überlegungen über eine relativ niedrigere Berufstätigkeit von jüdischen Frauen stehen<br />

die steigenden Zahlen jüdischer Studentinnen zu Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts entgegen. <strong>Die</strong><br />

Zahl der jüdischen Studentinnen erreichte <strong>im</strong> Jahr 1918 den höchsten, nie wieder erreichten<br />

Stand bei allen drei Fakultäten. 190 Jüdische Studentinnen tendierten besonders stark zu den<br />

Studien der Medizin, der Rechtswissenschaft und der Philosophie. Im Wintersemester<br />

1918/19 waren 52,2 % der Philosophiestudentinnen mosaischen Glaubens, 38,4 % waren<br />

katholisch. 191 Bei den Studentinnen der Medizin waren in diesem Studienjahr sogar 70,1 %<br />

jüdisch (das <strong>sind</strong> in absoluten Zahlen 370 Studentinnen), bei Jus gehörten 51,7 % der<br />

jüdischen Konfession an. Mit ein Grund für die hohen Zahlen waren die Neuankömmlinge<br />

aus Galizien und der Bukowina, die <strong>im</strong> Zuge der Besetzung durch russische Truppen <strong>im</strong><br />

Herbst 1914 nach Wien geflüchtet waren. Nach Ende der Monarchie sank die Zahl der<br />

jüdischen Studierenden kontinuierlich, beispielsweise in der Medizin von 1918 mit 70,1 %<br />

auf 48 % 1923 und auf 37,8 % 1933. 192<br />

Im Deutschen Reich setzte die nationalsozialistische Diskr<strong>im</strong>inierung von einzelnen<br />

Berufsgruppen, wie etwa den Beamten oder den freiberuflich tätigen MedizinerInnen, Juristen<br />

usw. bereits 1933 ein, während Unternehmen erst ab 1937 in ihrer Tätigkeit eingeschränkt<br />

wurden. In der Forschung wurde daher die Forderung erhoben, diesen einzelnen Situationen<br />

Rechnung zu tragen und die Darstellung vor allem dahingehend zu differenzieren, Juden und<br />

Jüdinnen nicht nur wie bisher als Opfer von Verfolgung und Arisierung zu betrachten, die<br />

nichts als reagieren konnten, sondern auch deren Handlungsspielräume auszuleuchten.<br />

„Gerade am Beispiel <strong>des</strong> jüdischen Wirtschaftsbürgertums stellt sich die Frage, inwieweit die<br />

nationalsozialistische Rassenpolitik bis zum Jahr 1938 die langfristigen sozioökonomischen<br />

Trends radikal veränderte oder einen bereits spürbaren Trend lediglich beschleunigte, so dass<br />

190 Waltraud Heindl: <strong>Die</strong> konfessionellen Verhältnisse. Jüdische und katholische Studentinnen, in: Waltraud<br />

Heindl, Marina Tichy (Hg.): „Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück...“ Frauen an der Universität Wien (ab<br />

1897) (Schriftenreihe <strong>des</strong> Universitätsarchivs Universität Wien, Bd. 5) Wien 1993 2 , S. 139-150.<br />

191 <strong>Die</strong> Angaben beruhen auf den Eigenangaben der Studentinnen und beziehen sich auf jene, die Mitglied einer<br />

Israelitischen Kulturgemeinde waren. Laut Heindl <strong>sind</strong> die Konfessionslosen zu dieser Zeit mehrheitlich vom<br />

jüdischen Glauben Ausgetretene bzw. deren Nachfahren. Waltraud Heindl: <strong>Die</strong> konfessionellen Verhältnisse.<br />

Jüdische und katholische Studentinnen, in: Waltraud Heindl, Marina Tichy (Hg.): „Durch Erkenntnis zu Freiheit<br />

und Glück...“ Frauen an der Universität Wien (ab 1897) (Schriftenreihe <strong>des</strong> Universitätsarchivs Universität<br />

Wien, Bd. 5) Wien 1993 2 , S. 139-150, S. 139.<br />

192 Waltraud Heindl: <strong>Die</strong> konfessionellen Verhältnisse. Jüdische und katholische Studentinnen, in: Waltraud<br />

Heindl, Marina Tichy (Hg.): „Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück...“ Frauen an der Universität Wien (ab<br />

1897) (Schriftenreihe <strong>des</strong> Universitätsarchivs Universität Wien, Bd. 5) Wien 1993 2 , S. 139-150, S. 147-149.<br />

81


man vielleicht von einem Pr<strong>im</strong>at der politischen gegenüber der sozioökonomischen<br />

Kausalbeziehungen sprechen muss.“ 193 Entsprechend der Situation in Deutschland wäre für<br />

Österreich nach den Bedingungen „jüdischen“ unternehmerischen Handelns unter dem<br />

christlich-autoritären stän<strong>des</strong>taatlichen Reg<strong>im</strong>e zu fragen, ob <strong>des</strong>sen protektionistische und<br />

Wirtschaftspolitik nicht in gewisser Weise Bereiche der späteren nationalsozialistischen<br />

Politik vorweggenommen hatte, in ähnlicher Weise, wie auch der vom Reg<strong>im</strong>e unterstützte<br />

Antisemitismus die Distanz zum propagierten Antisemitismus der Nationalsozialisten<br />

verringerte.<br />

Fallbeispiele<br />

Für das Subsample war es möglich, die Angaben in der VA mit solchen aus anderen<br />

offiziellen Dokumenten zu vergleichen. Dabei sticht die Inkonsequenz der Behörden, aber<br />

auch der Personen selbst, ihre berufliche Tätigkeit nachvollziehbar und durchgängig akkurat<br />

zu bezeichnen, ins Auge. Vier Personen von 78 hatten keinen Beruf in der VA angegeben,<br />

darunter Sigmund Bodansky. Es stellte sich heraus, dass er Teilinhaber eines gleichnamigen<br />

Papiergeschäftes war und in anderen Quellen als Kaufmann bezeichnet wurde. Auch seine<br />

Frau und Teilhaberin Friederike Bodansky enthielt der VVSt in der Rubrik mit den<br />

persönlichen Angaben ihre unternehmerische Tätigkeit vor und schrieb „Haushalt“ in die<br />

Berufszeile. Ebenfalls ohne Angaben zu ihrem Beruf gab Irma Wollner ihre VA ab, in der<br />

Einantwortungsurkunde ihrer verstorbenen Mutter Sophie Wollner wurde sie als Private<br />

bezeichnet, tatsächlich war sie Eigentümerin einer Bäckereifiliale. Mit Berufsbezeichnungen<br />

muss <strong>des</strong>halb, insbesondere in einer quantitativen Auswertung, vorsichtig umgegangen<br />

werden. In der Berufsauflistung der Vermögensverkehrsstelle anlässlich der Ausstellung „<strong>Die</strong><br />

Entjudung der Wirtschaft in der Ostmark“ waren die „übrigen Berufsgruppen“ die höchste<br />

Kategorie, was vermutlich nicht nur an der Vielfältigkeit der Berufe lag, sondern auch an den<br />

uneindeutigen Angaben, die in den VAs enthalten waren. 194 Zu den „übrigen“ Berufen<br />

193 Christopher Kopper: Wirtschaftliche Selbstbehauptung <strong>im</strong> sozialen Ghetto. Jüdische Wirtschaftsbürger <strong>im</strong><br />

„Dritten Reich“, in: <strong>Die</strong>ter Ziegler (Hg.): Großbürger und Unternehmer: die deutsche Wirtschaftselite <strong>im</strong> 20.<br />

Jahrhundert (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte, Bd. 17) Göttingen 2000, 204-214,<br />

S. 205.<br />

194 <strong>Die</strong> anderen Kategorien waren in der Reihenfolge der häufigsten Nennungen: Handel, Hausfrauen; Privatiers;<br />

Leitende Angestellte, Kaufmännisches Personal; Privatpensionisten, Rechtsanwälte, Gesundheitswesen. „<strong>Die</strong><br />

Entjudung der Wirtschaft in der Ostmark“, Ausstellung der Vermögensverkehrsstelle <strong>im</strong> Ministerium für<br />

Wirtschaft und Arbeit. Ausstellungskatalog, o.D., S. 8.<br />

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wurden wohl auch jene Angaben von Frauen gezählt, die sich mit dem Beruf ihres lebenden<br />

oder bereits verstorbenen Gatten bezeichneten.<br />

Demographische Untersuchungen über die Berufsstruktur der jüdischen Bevölkerung zu<br />

Anfang <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts ergaben eine hohe Rate an Selbständigkeit, auch das Sample<br />

weist diese Charakteristika auf, rund ein Viertel der Personen hatte einen Betrieb, eine<br />

Gesellschaft oder übte einen freien Beruf aus. Es überwogen Handelsbetriebe gegenüber<br />

Produktionsbetrieben und <strong>Die</strong>nstleistungen, auf eine Frau <strong>im</strong> Geschäftsleben kamen drei<br />

Männer. <strong>Die</strong> Freien Berufe <strong>sind</strong> die kleinste Gruppe in dieser Sparte: Bei den Frauen <strong>sind</strong> eine<br />

Musiklehrerin, eine Fotografin, eine Ärztin und eine Zahnärztin vertreten. Im Sample ist keine<br />

einzige Juristin vertreten, was auch an der späten Zulassung von Frauen zum Jusstudium<br />

liegen dürfte, die erste Juristin in Wien hatte erst 1921 promoviert. Unter den Männern gab es<br />

14 Rechtsanwälte, sechs Ärzte, einen Zahnarzt, einen Schriftsteller und einen Kunsthistoriker.<br />

Es handelt sich bei Letzterem um Hans Tietze, <strong>des</strong>sen Werke bis heute <strong>im</strong>mer wieder neu<br />

aufgelegt werden, darunter auch sein als Standardwerk gelten<strong>des</strong> <strong>Buch</strong> über „die Juden<br />

Wiens“. 195<br />

<strong>Die</strong> Auswahl der hier vorgestellten Personen wurde unter anderem von zwei Überlegungen<br />

geleitet. <strong>Die</strong> erste Überlegung bezieht sich auf die Dominanz der Selbstständigen, die auch in<br />

den Detailananalysen erkennbar sein sollte, die zweite bezog sich auf die Quellen und ihre<br />

Brauchbarkeit für die Fragestellung. <strong>Die</strong> eingangs erwähnte Problematik, dass die<br />

Selbstbezeichnungen die Berufstätigkeit eher verschleiern als erhellen, erforderte Personen,<br />

deren Beruf auch in mehreren zugänglichen Dokumenten zu finden war, das Handels- und das<br />

Branchenregister erwiesen sich in dieser Hinsicht als ergiebige Quellen. Deshalb und wegen<br />

den oft inakkuraten Berufsangaben diente nicht sie, sondern die Angabe von<br />

Betriebsvermögen <strong>im</strong> Alleineigentum als Kriterium für eine genaue Betrachtung mit der<br />

Frage nach der beruflichen Identität. 196 Ausgewählt wurden zwei Männer und zwei Frauen,<br />

davon waren zwei Angehörige der Freien Berufe und zwei waren KleinunternehmerInnen. In<br />

Hinblick auf die soziale Schichtverteilung ergibt diese Auswahl kein repräsentatives Bild der<br />

Situation der Mehrheitsbevölkerung, der Fokus liegt auf dem individuellen<br />

Handlungspotential vor dem Hintergrund der familiären Herkunft. Nicht nur die Auswahl der<br />

Personen, auch die Akzentuierung und die Länge der einzelnen Geschichten ist eine Folge der<br />

195<br />

Hans Tietze: <strong>Die</strong> Juden Wiens. Geschichte – Wirtschaft – Kultur, Wien 1933. Neuauflage 2008, Mandelbaum<br />

Verlag Wien.<br />

196<br />

Zu AnteilseigentümerInnen siehe Kapitel Wirtschaften mit der Familie.<br />

83


Quellensituation mit mehr oder weniger bruchstückhaften, jedenfalls sehr unterschiedlich<br />

ausfallendem Informationsgehalt über die Berufstätigkeit von einzelnen Personen. Klar wird,<br />

was auch nahe liegend ist, dass öffentlichkeitswirksame Berufe, die ein Publikum in<br />

irgendeiner Form, sei es als PatientInnen oder LeserInnen, bedienen, auch in der historischen<br />

Dokumentation präsenter <strong>sind</strong> als solche Berufe, bei denen das nicht der Fall ist.<br />

Dr. Heinrich Engländer, Rechtsanwalt<br />

Dr. Heinrich Engländer wurde 1878 in Wien als Sohn von Dr. Hermann und Marie Engländer<br />

geb. Koppelmann geboren. Er war das älteste von drei Geschwistern, sein Bruder Leo war<br />

drei und die Schwester Ottilie acht Jahre jünger als er. In der Berufswahl folgte Heinrich<br />

Engländer seinem Vater nach, der Hof- und Gerichtsadvokat gewesen war, und wurde<br />

Rechtsanwalt. 197 1921 heiratete er die um 14 Jahre jüngere Louise Lederer, die in Ober<br />

Waltersdorf geboren war. Kinder <strong>des</strong> Ehepaares <strong>sind</strong> in den Matriken nicht vermerkt. Er<br />

wohnte 1938 in der Liechtensteinstraße <strong>im</strong> 9. Bezirk und hatte seine Kanzlei in Wien 1.,<br />

Zelinkagasse. Heinrichs Geschwister stellten sich nicht in die juridische „Tradition“ <strong>des</strong><br />

Vaters und ergriffen einen anderen Beruf. Leo war als Kaufmann in Kanada tätig und Ottilie<br />

war Bankbeamtin. Sie blieb zumin<strong>des</strong>t bis 1938, solange sie in öffentlichen Registern<br />

verfolgbar ist, ledig und war bis zu deren Tod <strong>im</strong> Jahr 1923 <strong>im</strong> Haus ihrer Mutter wohnhaft.<br />

Der Vater, Hermann Engländer, war 1912 verstorben. Beide hinterließen abgesehen von<br />

Kleidung und Wäsche nichts. Auch konnte Heinrich Engländer selbst offenbar kein<br />

Vermögen aufbauen. <strong>Die</strong> Kanzlei bewertete er 1938 1.967 RM, daneben war der größte<br />

Posten eine Hypothekarforderung. Insgesamt belief sich die angegebene Summe auf 6.910<br />

RM. Jüdischen Rechtsanwälten wurde ab Ende März 1938 als erste Maßnahme <strong>des</strong> NS-<br />

Reg<strong>im</strong>es gegenüber dieser Berufsgruppe die Ausübung ihres Berufes vorläufig untersagt. 198<br />

<strong>Die</strong> gesetzlichen Best<strong>im</strong>mungen verschärften sich darauf hin Zug um Zug. 199 Es gibt zu<br />

Heinrich Engländer keine Nachkriegsüberlieferung hinsichtlich Restitution und<br />

Entschädigung. Sein weiterer Verbleib ist ungewiss, eine Deportation ist nicht vermerkt.<br />

197 1919 wurde die Berufsbezeichnung „Advokat“ in „Rechtsanwalt“ geändert. Österreich folgte hier dem<br />

deutschen Vorbild. StGBl 95/1919. siehe dazu: Ernst Jahoda: Geschichte der österreichischen Advokatur 1918-<br />

1973, Wien 1978, S. 3-27.<br />

198 Ausnahmen gab es für solche, die bereits seit 1. August 1914 eingetragene Anwälte waren, oder, wenn sie<br />

eine eigene oder familiäre Involvierung als Kämpfer <strong>im</strong> Ersten Weltkrieg nachweisen konnten. VO vom 31.<br />

März 1938, RGBl. I., S. 353.<br />

199 Ernst Jahoda: Geschichte der österreichischen Advokatur 1918-1973, Wien 1978, S. 49-58.<br />

84


Hedwig Fischer-Hofmann, Ärztin<br />

Hedwig Fischer wurde 1888 in Wien-Fünfhaus geboren. Ihre Eltern waren Edmund Hofmann,<br />

Holzhändler aus Ungarn, und die aus Wien stammende Henriette Hock, sie hatten 1881 in<br />

Wien geheiratet. 200 Ihr Vater starb 1923, ihre Mutter 1941 in Wien. 201 Edmund Hofmann war<br />

Alleininhaber der „Continentalen Holz-Zeitung“, eines Branchenblattes <strong>des</strong> Holzhandels,<br />

sowie der Firma Edm. Hofmann & Co. Das Ehepaar Hofmann hatte insgesamt neun Söhne<br />

und Töchter, Hedwig war das viertälteste Kind. <strong>Die</strong> Todfallsaufnahme ihres Vaters Edmund<br />

von 1923 ist die erste zugängliche Quelle, die Auskunft über die berufliche Situation von<br />

Hedwig und ihrer Familie gibt. 202<br />

Name Beruf Geboren Wohnadresse<br />

Fritz (Friedrich) Hofmann Prokurist 1882 Wien 3., Neulinggasse 19<br />

Adele Klauber geb. Hofmann Private 1883 Wien 3., Dapontegasse 13<br />

Wilma Wokulat geb. Hofmann Private 1887 Wien 3., Dapontegasse 13<br />

Dr. Hedwig Fischer-Hofmann Ärztin 1888 Wien 3., Dapontegasse 13<br />

Robert Hofmann 1889 Wien 3., Dapontegasse 13<br />

Käthe (Katharina) Galitzenstein<br />

geb. Hofmann<br />

1892 Wien 7., Pfeilgasse 34<br />

Dr. Elsa Hofmann 1893 Wien 3., Dapontegasse 13<br />

Dr. Martha Hofmann 1895 Wien 3., Dapontegasse 13<br />

Ing. Ernst Hofmann 1897 Wien 3., Dapontegasse 13<br />

Hedwig Hofmann hatte Medizin studiert und arbeitete als praktische Ärztin. Sie hatte ihr<br />

Medizinstudium vermutlich um das Jahr 1906 begonnen und gehörte somit nach der Öffnung<br />

der medizinischen Fakultät 1900 zur zweiten Generation von Frauen, die diesen Bildungs-<br />

und in der Folge Berufsweg einschlagen konnten. Hedwig Hofmann hatte ihre erste<br />

Arztpraxis in ihrem Wohnhaus in der Dapontegasse, noch bevor sie 1922 Alois Fischer<br />

heiratete. 203 Es war für diese Zeit nicht unüblich, dass sich Ordination und Wohnung an<br />

derselben Adresse befanden. Mit ihrem Ehemann zog sie dann in die Ungargasse 47, der<br />

Umzug steht allerdings nicht in zeitlichem Zusammenhang mit der Eheschließung. Dort<br />

200 IKG, Ehematriken, Stadt, 1881/1201.<br />

201 Als To<strong>des</strong>ursache wurde Altersschwäche angegeben.<br />

202 WStLA, BG Landstraße A 46/1923.<br />

203 IKG, Ehematriken, Stadt, 1922/556.<br />

85


lieben sie, er bis zu seinem Tod 1933 und sie bis zu ihrer Emigration 1938. Alois war 1881<br />

geboren, also neun Jahre älter als Hedwig. Anders als seine Frau hatte er, der in Göding in<br />

Südmähren geboren war, nicht studiert, sondern arbeitete als <strong>Buch</strong>halter. Das Paar hatte keine<br />

Kinder. Alois Fischer hatte 1931, zwei Jahre vor seinem Tod, ein Testament aufgesetzt, in<br />

dem er seine Gattin als Alleinerbin seines gesamten Vermögens einsetzte, das jedoch nicht<br />

besonders umfangreich war. 204<br />

Bemerkenswert ist die Schreibweise Fischer-Hofmann, Hedwig wurde <strong>im</strong> gesamten Konvolut<br />

der Verlassenschaft ihres Vaters mit diesem Doppelnamen benannt, ihre zwei anderen<br />

ebenfalls verheirateten Schwestern hießen nach dem Namen ihres Ehemannes mit dem Zusatz<br />

„geb. Hofmann“. <strong>Die</strong>se Schreibweise, die auch <strong>im</strong> Lehmann Adressverzeichnis zu finden ist,<br />

hängt offenkundig mit ihrer Berufstätigkeit als Ärztin zusammen, die sie bereits vor ihrer<br />

Verehelichung ausgeübt hatte. § 92 ABGB sah zwar vor, dass die Gattin den Namen <strong>des</strong><br />

Mannes erhielt, jedoch war es möglich, bei den Behörden die Weiterführung <strong>des</strong> eigenen<br />

Namens zu beantragen, wenn triftige Gründe genannt wurden, etwa die Wahrung der<br />

beruflichen Kontinuität, wenn sich jemand schon einen Namen gemacht hatte, wie dies bei<br />

Hedwig Hofmann der Fall war, oder die Fortführung <strong>des</strong> Firmennamens bei weiblichen<br />

Erben. 205 Als die Möglichkeit zur Führung eines Doppelnamens für Frauen in den 1970er<br />

Jahren diskutiert wurde, diente dann auch die voreheliche Berufstätigkeit von Frauen,<br />

namentlich von Ärztinnen und Rechtsanwältinnen, als Argument für die Einführung dieser<br />

Wahlmöglichkeit, die von jeder, jedoch ohne Gründe anführen zu müssen, genützt werden<br />

konnte. 206 „Bei Übernahme bzw. Weiterbenützung <strong>des</strong> Namens handelt es sich keineswegs<br />

nur um eine unbedeutende Etikette, sondern vielmehr um einen wesentlichen Aspekt der<br />

persönlichen Identität und Identifikation“, bemerkte dazu rückblickend der Rechtshistoriker<br />

Oskar Lehner. 207 Ihr Beruf als Ärztin sicherte Dr. Fischer-Hofmann nicht nur ein finanzielles<br />

Auskommen, ihr Name war auch symbolisches Kapital, mit dem sie sich über ihren Beruf<br />

definierte – mehr als über ihren Ehestatus.<br />

Hedwig war das erste der Geschwister Hofmann, das ein Studium abgeschlossen hatte, ihrem<br />

Beispiel folgten die drei bzw. fünf Jahre jüngeren Schwestern Elsa und Martha. Ihre zwei<br />

204 WStLA, BG Landstraße A 227/1933.<br />

205 Für Hinweise zum Namensrecht danke ich Karin Neuwirth.<br />

206 BGBl. 412/1975, § 93. Vgl. Oskar Lehner: Familie-Recht-Politik: die Entwicklung <strong>des</strong> österreichischen<br />

Familienrechts <strong>im</strong> 19. und 20. Jahrhundert (Linzer Universitätsschriften: Monographien, Bd. 13) Wien/New<br />

York, 1987, S. 372.<br />

207 Oskar Lehner: Familie-Recht-Politik: die Entwicklung <strong>des</strong> österreichischen Familienrechts <strong>im</strong> 19. und 20.<br />

Jahrhundert (Linzer Universitätsschriften: Monographien, Bd. 13) Wien/New York, 1987, S. 371<br />

86


Brüder hatten nicht studiert. Abgesehen von Käthe und Fritz wohnten 1923 noch alle<br />

Geschwister <strong>im</strong> selben Haus in der Dapontegasse 13, wo auch der Wohnsitz der Eltern war,<br />

das aber nicht <strong>im</strong> Eigentum der Familie Hofmann stand. Hedwig zog später in die Ungargasse<br />

47, die praktisch ums Eck lag. Martha zog in den 9. Bezirk und wohnte an einer Adresse, die<br />

mit jedem Reg<strong>im</strong>ewechsel ihren Namen änderte. 208 Else und Robert blieben bis min<strong>des</strong>tens<br />

1937 in der Dapontegasse. Robert Hofmann, von dem allerdings nirgends ein<br />

Universitätsabschluss aufscheint, bezeichnete sich als „akademischer Maler“, Dr. Elsa<br />

Hofmann war laut Adressbuch auf „Innendekoration“ spezialisiert. 209 Martha war<br />

Gymnasiallehrerin am Chajes-Realgymnasium 210 . In ihrem Tagebuch notierte sie <strong>im</strong> April<br />

1938, ihr Gehalt wäre auf 50 Prozent reduziert worden, und sie hätte alle ihre Privatstunden<br />

verloren, was ebenfalls eine große Einbuße darstellte. 211 Ihr <strong>Die</strong>nstverhältnis wurde kurz<br />

darauf am 1. Juli 1938 mit völligem Anspruchsverzicht aufgelöst, nachdem sie in dieser<br />

Schule 18 Jahren gearbeitet hatte. 212 Sie engagierte sich intensiv bei der zionistischen<br />

Bewegung, insbesondere bei der Frauenarbeit für den Aufbau Palästinas <strong>im</strong> Rahmen der<br />

Women’s International Zionist Organisation (WIZO), die ihren Sitz in London hatte.<br />

Anlässlich <strong>des</strong> zehnjährigen Bestehens dieser Organisation gab Martha Hofmann 1930 eine<br />

Festschrift heraus. Dafür hatte auch ihre Schwester Else einen Artikel über das „jüdische<br />

208 Am Freiheitsplatz; er wurde 1934 in Dollfuß-Platz umbenannt, von 1938-1945 hieß er Hermann-Göring-<br />

Platz, dann wurde er Rooseveltplatz genannt, wie er auch heute noch heißt.<br />

209 Lehmann Straßenverzeichnis 1938.<br />

210 Das als „Jüdisches Privatrealgymnasium“ 1919 eröffnete Gymnasium wurde von der jüdischen Gemeinde<br />

unterhalten. Seinen Namen Chajesrealgymnasium erhielt es 1927 nach dem Tod <strong>des</strong> Schulgründers Zwi Perez<br />

Chajes. <strong>Die</strong> Schule wechselte mehrmals ihren Standort. Zu den SchülerInnen zählten hauptsächlich galizische<br />

Juden und Jüdinnen, die nach 1918 zu AusländerInnen wurden und <strong>des</strong>halb nicht an öffentlichen Schulen lernen<br />

konnten. Koedukation gehörte ebenso wie eine zionistische Ausrichtung zu den Grundsätzen der Schule. <strong>Die</strong><br />

Schule genoss einen sehr guten Ruf. (Vgl. Eleonore Lappin: Der Jude 1916-1928. Jüdische Moderne zwischen<br />

Universalismus und Partikularismus (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen <strong>des</strong> Leo Baeck Instituts,<br />

62) Tübingen 2000, S. 399) Nach dem Anschluss wurden jüdische SchülerInnen von anderen Gymnasien<br />

aufgenommen, denen dort der Schulbesuch untersagt worden war. Darunter war auch Walter Kohn, der spätere<br />

Chemie-Nobelpreisträger (1998), der vom Akademie-Gymnasium kommend, von den Chemielehrern der<br />

Chajesschule nachhaltig geprägt worden war: (Siehe dazu ein Portrait von Walter Kohn in: Peter Weinberger:<br />

Funktion der Dichte, <strong>Die</strong> Presse, 24. Juni 2006/Spectrum.) <strong>Die</strong> Schule wurde 1939 von den Nationalsozialisten<br />

geschlossen, der Volks- und Hauptschulbetrieb sowie ein Vorbereitungskurs zur Auswanderung jüdischer<br />

schulpflichtiger Kinder wurden noch bis 1941 weiter geführt. (Vgl. Hedwig Millian: Jüdische Schüler an den<br />

Wiener Pflichtschulen vom März 1938 bis 1942, in: David. : http://david.juden.at/kulturzeitschrift/70-75/73millian.htm,<br />

(29. Jänner 2008)) Danach diente das Gebäude der Schule in 2., Castelletzgasse 35 als Sammellager<br />

für den Transport von Juden und Jüdinnen in die Konzentrationslager. 1984 wurde die erste AHS-Klasse nach<br />

einem Umbau in der Castelletzgasse wieder eröffnet, 1980 war bereits die Volkschule, in 1., Seitenstettengasse<br />

4, eröffnet worden. 1992 wurde die erste Matura abgehalten. (http://www.zpc.at/schule/geschichte.html, (29.<br />

Jänner 2008.))<br />

211 Tagebuch Martha Hofmann, ONB, Handschriftensammlung. Cod. SN. n. 24.283, S. 49. Das Tagebuch hatte<br />

sie von ihrer Schwester Else anlässlich ihrer ersten von drei Reisen nach Palästina, 1927, als Geschenk erhalten.<br />

Sie führte es sporadisch bis 1940, notierte vor allem bei großen Ereignissen ihre Gedanken.<br />

212 ÖSTA/AdR/06/VVSt. 15.778.<br />

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Kunstgewerbe <strong>im</strong> Reiche der jüdischen Frau“ verfasst. 213 <strong>Die</strong> Einkünfte aus ihrer<br />

Lehrerinnentätigkeit waren ausschlaggebend für ihre Anmeldung <strong>des</strong> Vermögens. Sie nannte<br />

einen jährlichen Betrag von 2.520 RM, kapitalisiert 37.800 RM. Martha Hofmann emigrierte<br />

1938 nach Großbritannien, reiste dann weiter nach Palästina und kam schließlich in die<br />

Schweiz, bevor sie sich 1949 wieder in Österreich niederließ, wo sie wieder regen Anteil am<br />

Literaturbetrieb hatte. Sie starb 1975 in Wien und hinterließ ein mehrere, vor allem<br />

Gedichtbände umfassen<strong>des</strong> Werk, deren Erscheinungsorte in Jerusalem, London und Wien<br />

ihre Emigrationsgeschichte widerspiegeln, während derer sie ihre Publikationstätigkeit nie<br />

unterbrochen hatte. 214<br />

Der älteste Bruder, Friedrich, war Prokurist. Er ist in seiner Berufswahl dem Vater Edmund<br />

Hofmann gefolgt, der ihn in seinem Testament aus dem Jahre 1919 auch als alleinigen<br />

Nachfolger einsetzte. Für den Fall, dass die Miterben, alle neun Kinder, dem nicht<br />

zust<strong>im</strong>mten, verfügte er, dass das Zeitungsunternehmen „vorläufig“ von der Gattin und den<br />

drei Söhnen einvernehmlich fortgeführt werde. Wie der Erblasser in einem Nachtrag zum<br />

Testament vom August 1921 anmerkte, hatte sich sein Sohn Friedrich wiederholt am<br />

Zeitungsunternehmen uninteressiert gezeigt, weshalb er seinen ursprünglichen Wunsch<br />

wieder rückgängig machte. Schließlich zeigte der Testamentsausweis, in dem die Erfüllung<br />

der Bedingungen <strong>des</strong> Testaments vom Gericht festgehalten wurde, eine gänzlich andere<br />

Regelung. <strong>Die</strong> Witwe Henriette Hofmann und ihre Tochter Adele wurden <strong>im</strong> Verhältnis 70:30<br />

alleinige Eigentümerinnen der Zeitung. Dem ist hinzuzufügen, dass Adele früher bereits <strong>im</strong><br />

Unternehmen tätig gewesen war und ihr Vater in seinem Testament ihre Weiterbeschäftigung<br />

festgelegt und unterstrichen hatte, dass diese nicht auf ihr Erbteil angerechnet werden dürfe:<br />

„Anlässlich der Verehelichung meiner Tochter Adele Klauber habe ich als Eigentümer der<br />

‚Continentalen Holz-Zeitung’ mit ihr eine Vereinbarung über ihre Tätigkeit und Entlohnung<br />

<strong>im</strong> <strong>Die</strong>nste <strong>des</strong> Unternehmens getroffen. Alle Rechte, welche ihr auf Grund dieser<br />

Vereinbarung zustehen, bleiben nach meinem Tode, insolange Adele Klauber auch den ihr<br />

obliegenden Verpflichtungen nachkommt, <strong>im</strong> vollen Umfange ohne Anrechnung auf ihren<br />

Erbteil aufrecht und <strong>sind</strong> für sie <strong>im</strong> Falle der Veräußerung der ‚Continentalen Holz-Zeitung’<br />

durch entsprechende Vereinbarung mit dem Erwerber sicherzustellen.“ 215 Das Hofmann’sche<br />

Unternehmen ist das einzige hier untersuchte, indem in den Unterlagen explizit auf die<br />

213 Dr. Martha Hofmann (Hg.): Zehn Jahre WIZO. Festschrift anlässlich <strong>des</strong> zehnjährigen Bestan<strong>des</strong> der<br />

Weltorganisation zionistischer Frauen (Women’s International Zionist Organisation) Zentrale: London, Wien<br />

1930. Der Text von Else Hofmann: S. 82-87.<br />

214 Martha Hofmann schrieb teilweise unter dem Pseudonym Melitta Holl.<br />

215 Testament Edmund Hofmann, WStLA, HG A 46/1923.<br />

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erufliche Tätigkeit einer Tochter <strong>im</strong> väterlichen Unternehmen hingewiesen wird. <strong>Die</strong><br />

Leitung <strong>des</strong> Unternehmens nach dem Ableben <strong>des</strong> Eigentümers vertraute dieser ihr allerdings<br />

nicht von vornherein an, sondern er bestellte zunächst seine Söhne zu Nachfolgern, erst als<br />

diese ausfielen, kam sie als Unternehmerin zum Zug. <strong>Die</strong>se Lösung der weiblichen<br />

Unternehmensnachfolge kam ausgesprochen als Folge der Absage der potentiellen<br />

männlichen Nachfolger zustande, hängt aber vielleicht auch mit Adeles Krankheit zusammen,<br />

von der <strong>im</strong> Testament noch die Rede war. „Da meine Tochter Ada derzeit krank ist und nicht<br />

vorausgesehen werden kann, ob sie je wieder erwerbsfähig wird, richte ich an alle meine<br />

Erben die Aufforderung, nach ihrem eigenen Ermessen für sie besonders zu sorgen.“ 216<br />

Davon scheint sie aber bis zum Ableben ihres Vaters wieder genesen zu sein, da eine<br />

Krankheit nicht mehr weiter erwähnt wird. <strong>Die</strong> 1911 geschlossene Ehe von Adele mit<br />

Ferdinand Klauber war bereits um 1918 herum geschieden worden, Adele war also zum<br />

Zeitpunkt der Geschäftsübernahme wieder „unbelastet“ von ehelichen Pflichten, die sie<br />

womöglich von einem beruflichen Engagement fernhalten hätten können. 217 Adele band sich<br />

durch ihre Arbeit <strong>im</strong> Unternehmen wieder verstärkt an ihre Herkunftsfamilie an, die sie<br />

kurzzeitig, aber auch nur teilweise, da sie ja noch <strong>im</strong> väterlichen Unternehmen beschäftigt<br />

war, durch ihre Verehelichung verlassen hatte.<br />

Edmund hatte in seinem Testament auch Vorausempfänge seiner Töchter erwähnt. Demnach<br />

hatten die zu diesem Zeitpunkt verheirateten Töchter Adele und Wilma 16.200 K bzw. 15.000<br />

K erhalten. <strong>Die</strong> damals noch ledigen vier Hedwig, Katharina, Elsa und Martha hatten aber<br />

ebenfalls Geld bekommen, jedoch nur 6.000 K bzw. 5.000 K. 218 <strong>Die</strong>ses Geld konnten sie,<br />

anders als die verheirateten Schwestern, deren Geld als Mitgift in die Verfügungsgewalt ihrer<br />

Ehemänner überging, selbst verwalten und ausgeben. 219<br />

1938 gab Hedwig Fischer-Hofmann der Vermögensverkehrsstelle den Wert ihrer Arztpraxis<br />

an ihrem Wohnort mit 595 RM an, FreiberuflerInnen hatten, so scheint es, mehr Spielraum<br />

bei der Bewertung ihres Betriebskapitals, alle <strong>im</strong> Sample setzten ihr Betriebskapital möglichst<br />

niedrig an. 220<br />

216 Testament Edmund Hofmann, WStLA, HG A 46/1923.<br />

217 IKG, Ehematriken Josefstadt 1911/58.<br />

218 Testament Edmund Hofmann, WStLA, HG A 46/1923.<br />

219 Vgl. die Ausführungen über das Heiratsgut <strong>im</strong> Kapitel Wirtschaften mit der Familie.<br />

220 Der höchste Wert in dieser Kategorie fiel auf den Rechtsanwalt Ernst Katscher, der den Wert seiner Kanzlei<br />

mit rund 9.700 RM bezifferte, ÄrztInnen gaben noch niedrigere Bewertungen für ihre Praxen ab, rund 4.500 RM<br />

war die <strong>im</strong> Sample höchst bewertete Ordination von Max<strong>im</strong>ilian Pick, Otto Tezner bezifferte seine<br />

89


Hedwig Fischer-Hofmanns weiteres Vermögen in der VA bestand aus Bankguthaben in der<br />

Höhe von 711 RM und zwei Versicherungspolizzen <strong>im</strong> Gesamtwert von 2.425 RM, die sie<br />

gleichzeitig wieder mit 1.340 RM belehnt hatte. <strong>Die</strong> Behörden schätzten ihr Jahreseinkommen<br />

auf 8.769 RM, daneben waren 674,52 RM jährlich an Witwenpension von ihrem 1933<br />

verstorbenen Ehemann angemerkt. Nach Ende <strong>des</strong> NS-Reg<strong>im</strong>es in Österreich forderte Hedwig<br />

Fischer-Hofmann erfolgreich ihre Versicherungspolizzen zurück. 221 Sie war in die USA<br />

emigriert und arbeitete in New York als Dermatologin.<br />

Richard Jelletz, Handelsagent<br />

Richard Jelletz wurde 1872 <strong>im</strong> Mähren geboren. Sein Vater Markus Jelletz starb 1907 <strong>im</strong><br />

Alter von 72 Jahren, er war Schneider von Beruf gewesen. Seine Mutter Cäcilie geb.<br />

Neumann verstarb 1913 mit 83 Jahren, seine Eltern haben ihren Kindern offenbar nichts<br />

hinterlassen. Richard war das jüngste von fünf Geschwistern, deren Angaben 1907 lauteten:<br />

Emma verh. Loew, Bahnbeamtensgattin, Karl Jelletz, beschäftigt bei der Lan<strong>des</strong>regierung für<br />

Bosnien und Herzogowina in Sarajevo, Alfred Jelletz, Reisender, wohnhaft in Prerau, sowie<br />

Dr. Leopold Jelletz, praktischer Arzt, und Richard Jelletz, Reisender. Während vier der<br />

Kinder sich sozial nicht viel weiter aus ihrem Herkunftsbereich wegbewegten, die Söhne<br />

durch ihre Berufswahl, die Tochter durch ihre Heirat, wodurch der Beruf <strong>des</strong> Ehegatten ihren<br />

Status markierte, schlug Leopold mit einem Medizinstudium als einziger eine akademische<br />

Laufbahn ein, was zweifelsohne einen sozialen Aufstieg darstellte.<br />

Richard heiratete 1906 die in Wien gebürtige und nach Pressburg zuständige, um zwölf Jahre<br />

jüngere Katharina Kohn. Zu diesem Zeitpunkt bezeichnete er sich als Reisender. 222 Zwanzig<br />

Jahre später übte er <strong>im</strong>mer noch denselben Beruf aus, 1938 bezeichnete er sich als<br />

Handelsagent. 223 <strong>Die</strong> Änderung der Berufsbezeichnung könnte sich auf einen Wechsel vom<br />

unselbständigen Reisenden zum selbständigen Handelsagenten beziehen. Selbständige<br />

Handelsagenten standen laut Gewerbeordnung nicht nur <strong>im</strong> <strong>Die</strong>nste eines Auftraggebers,<br />

sondern nahmen Bestellungen für mehrere Handelsleute oder Fabrikanten auf und bahnten<br />

Kinderarztpraxis mit 160 RM, der niedrigste Wert <strong>im</strong> Sample. Im Vergleich dazu steht etwa Pauline Münz mit<br />

ihrem Schuhwarenhandel, den sie mit rund 48.000 RM deklarierte.<br />

221 ÖSTA/AdR/06/VVSt. 1.020.<br />

222 IKG, Ehematriken, Landstraße, 1906/43,<br />

223 ÖSTA/AdR/06/VSSt 9.420.<br />

90


Geschäfte an. Ein unselbständiger Handlungsreisender arbeitete hingegen nur <strong>im</strong> Auftrag<br />

seines Arbeitgebers. 224 Sein Geschäft, und damit sein einziges Vermögen, bezifferte Richard<br />

Jelletz mit 50 RM. Es war der einzige Wert, den er <strong>im</strong> Formular ausfüllte. <strong>Die</strong> Behörden<br />

hatten allerdings ein Einkommen 7.800 RM jährlich ermittelt. 225 Seine Geschichte bricht in<br />

den Quellen mit dem Jahr 1938 ab.<br />

Irma Wollner, Inhaberin einer Bäckereifiliale<br />

Irma Wollner wurde 1886 als Tochter von Sophie und Lazar Wollner geboren. Über Lazar<br />

Wollner ist nichts weiter bekannt, als dass er vor seiner Frau, also vor dem Jahr 1935,<br />

gestorben war. Sophie Wollner hinterließ ein Haus in der Schönburgstraße 14 in Wien-<br />

Wieden. <strong>Die</strong> Erben waren ihre vier Kinder Max Wollner, Elsa, verh. Barth, Viktor und als<br />

zweitältestes Kind Irma. 226 Irma Wollner führte in Wien-Meidling eine Hammerbrot-<br />

Verkaufsstelle, bezeichnete sich selber aber in ihrer Vermögensanmeldung als „Private“. 227<br />

Ihre Schwester Elsa, verh. Barth, hatte eine Lebensmittelhandlung in Wien 4., Favoritenstraße<br />

33, die sie mit 7.000 RM bewertete. 228 Sie benannte sich in der Vermögensanmeldung mit<br />

einem Doppelnamen Barth-Wollner. Wie bei Hedwig Fischer-Hofmann hängt die<br />

Namenswahl wahrscheinlich mit ihrer Geschäftstätigkeit zusammen, die sie <strong>im</strong><br />

Anmeldeformular jedoch nicht als ihren Beruf bezeichnete, obwohl ihr der Laden alleine zu<br />

gehören schien, da sie keine Anteile anführte. 1935 wurde sie in der Einantwortungsurkunde<br />

<strong>des</strong> von der Mutter geerbten Hauses als „Kaufmannsgattin“ bezeichnet. 229 Elsa Wollner<br />

wohnte bereits zur Zeit ihrer Eheschließung <strong>im</strong> Jahr 1921, sie war zu diesem Zeitpunkt 29<br />

Jahre alt, in der Wohnung in Wien 4., Starhemberggasse 27, die später ihre gemeinsame<br />

224 Ende der 1920er Jahre häuften sich die Klagen über die Zunahme von sogenannten Scheinselbständigen unter<br />

den Handelsagenten, die zwar nur für ein Unternehmen tätig waren, jedoch nicht in den Genuss der Vorteile<br />

eines <strong>Die</strong>nstverhältnisses kamen, indem sich die Unternehmer die Abgaben für die Krankenkasse und<br />

Altersversicherungen sparten. Sigrid Wadauer, Christa Putz: Reisende – Mobilität und Erwerb <strong>im</strong> Österreich der<br />

1920er und 1930er Jahre (LBIHS-Projektberichte, 14), Wien 2003, S. 29-33.<br />

225 ÖSTA/AdR/06/VSSt 9.420. Wert f <strong>im</strong> Kodierblatt, einer Beilage, die von den Behörden selbst ausgefüllt<br />

wurde und deren Werte nicht in das Formular übernommen wurden.<br />

226 WStLA, BG Wieden, 2 A 506/35.<br />

227 Hammerbrot war 1909 <strong>im</strong> Rahmen einer sozialdemokratischen Konsumgenossenschaft gegründet worden<br />

und galt als Symbol der angestrebten Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von kommerziellen Großbäckereien.<br />

1923 verfügten die Hammerbrotwerke über 30 Verkaufsstellen in Wien. Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

fusionierten die inzwischen von der Schoeller-Gruppe übernommenen Hammerbrotwerke mit der Anker<br />

Brotfabrik. Siehe: Helge Zoitl: Gegen den Brotwucher! <strong>Die</strong> Gründung der Wiener Hammerbrotwerke, in:<br />

Zeitgeschichte, 16. Jg. 1988/3, S. 79-103.<br />

228 ÖSTA/AdR/06/VVSt 121.<br />

229 BG Meidling US 20731/35.<br />

91


eheliche Wohnung werden sollte. <strong>Die</strong> Wohnung lag um’s Eck von ihrem Lebensmittelladen.<br />

Der älteste Bruder, Dr. Max Wollner, hatte promoviert und war 1935 Direktor der Zweigstelle<br />

der Assicurazioni Generali in Prag. Als seine Schwester Elsa 1921 heiratete, hatte er in Triest,<br />

wo sich auch der Hauptsitz der Generali befand, gewohnt. Viktor Wollner, der jüngste, war<br />

kaufmännischer Angestellter, er war ledig und wohnte zusammen mit seiner ebenfalls<br />

unverheirateten Schwester Irma <strong>im</strong> elterlichen Haus in der Schönburgstraße. 230 Er ging <strong>im</strong><br />

Oktober 1938 nach Prag, weiteres ist nicht bekannt.<br />

<strong>Die</strong> Bäckereiverkaufsstelle bewertete Irma Wollner 1938 mit 11.000 RM. Insgesamt gab sie<br />

ihr Vermögen mit 15.850 RM an. 231 <strong>Die</strong> Bäckereifiliale wurde „arisiert“, das Haus jedoch von<br />

den Nationalsozialisten nicht entzogen. Irma Wollner überlebte das NS-Reg<strong>im</strong>e und forderte<br />

nach dem Krieg ihr Geschäft zurück, sie erhielt dafür 3.000 S vom zwischenzeitlichen<br />

Inhaber, Eduard Seiler, das Geschäft selbst wurde nicht zurück gestellt. 232<br />

Resümierende Betrachtungen<br />

Soziale Mobilität<br />

Betrachtet man die Herkunft der einzelnen Familien und die Berufswege der jeweiligen<br />

Geschwister, ergibt sich ein Bild von relativ hoher sozialer Mobilität, wenn auch nur für<br />

einzelne unter den Geschwistern. Auch in Familien, in denen der Vater selbst nicht<br />

Akademiker und nicht einmal vermögend war, wie bei den Jelletz’, deren Vater Schneider<br />

von Beruf war, konnte zumin<strong>des</strong>t ein Sohn studieren und auf der sozialen Leiter aufsteigen.<br />

Im Vergleich dazu ging von der Familie Engländer auch nur ein Sohn den akademischen<br />

Bildungsweg, und nicht etwa alle, obwohl der Vater Jurist war. Der Beruf <strong>des</strong> Lazar Wollner<br />

ist zwar nicht bekannt, doch auch hier hatte nur eines von drei Kindern studiert und in der<br />

Folge einen höheren Posten bei einer Versicherung inne. In allen drei Familien schlugen die<br />

nicht studierenden Geschwister eine sozial vermutlich niedriger stehende Berufslaufbahn als<br />

230 ÖSTA/AdR/06/VVSt 3.783.<br />

231 Neben dem Geschäft gab sie ihr Vierteleigentum an der Schönburggasse 14 mit 8.000 RM an, das allerdings<br />

mit einer Hypothek belastet war, sowie Spareinlagen in der Höhe von 2.000 RM. ÖSTA/AdR/06/VVSt. 3.780.<br />

232 WStLA, VEAV 50 RK 45/51.<br />

92


Beamtin oder Kaufmann ein. 233 Soziale Grenzen scheinen hier mitten durch die Familie zu<br />

laufen, wobei hier nur Männer unter den Aufsteigenden zu finden waren. In der vermögenden<br />

Familie Hofmann hatten die Töchter offenbar freie Wahl bei ihrer beruflichen Laufbahn, sie<br />

führten den Status ihrer Eltern aber eher weiter, als dass sie sich darüber hinwegsetzten. Für<br />

ihre Berufstätigkeit erhielten sie eine finanzielle Unterstützung in Form einer Vorauszahlung<br />

aus dem elterlichen Erbteil, die ihre Brüder nicht in dieser Form erhielten. Nicht nur die<br />

Entscheidung zugunsten einer Ausbildung und einer Berufstätigkeit, auch die Entscheidung,<br />

zu heiraten oder nicht, wurde ihnen wohl selbst überlassen, eine Freiheit, die eine ausreichend<br />

finanzielle Absicherung voraussetzte.<br />

<strong>Die</strong> Flexibilität in der sozialen Laufbahn zwischen und innerhalb der Generationen, die<br />

Möglichkeit, sich mit der eigenen Lebensgestaltung von Herkunftsfamilie und -milieu zu<br />

lösen, war in dieser Form nur in einem urbanen Umfeld möglich. <strong>Die</strong> hier dargestellten<br />

Geschwistergruppen <strong>sind</strong> zwischen den 1870ern und den 1890ern geboren und haben ihre<br />

Sozialisation und ihre berufliche Prägung noch vor Ende der Monarchie erhalten. Ob diese<br />

Berufswege auch unter den wirtschaftlich und politisch instabilen Bedingungen der<br />

Zwischenkriegszeit in dieser Form verlaufen wären, ist fraglich. Von den jüngeren Personen,<br />

deren Berufsbeginn in diese Zeit fiel, <strong>sind</strong> nur 10 Personen, diejenigen die nach 1900 geboren<br />

waren, <strong>im</strong> Sample vertreten, die Quellen zu ihnen <strong>sind</strong> zu rud<strong>im</strong>entär, um die zwei<br />

Generationen vergleichen zu können, aber ihre geringe Zahl deutet auch auf die schwierigeren<br />

Startbedingungen hin. 234 Unverrückbar ist jedoch, dass mit 1938 alle durch die<br />

Nationalsozialisten bald jegliche Möglichkeit zur Berufausübung verlor.<br />

Ehestatus<br />

Zwischen dem Verheiratetsein und einer Berufsausübung besteht ein enger Zusammenhang,<br />

wie allein die divergierenden Zahlen von Verheirateten in den Erwerbsstatistiken belegen, die<br />

je nach Branche Unterschiede bis zu 50 Prozent zeigen. <strong>Die</strong> Zahl der Verheirateten war in<br />

jenen Branchen höher, in denen selbständige Arbeit vorherrschte, <strong>im</strong> Handel und Verkehr und<br />

233<br />

Vermutlich <strong>des</strong>halb, weil aus der Berufsangabe allein nicht automatisch auf das Einkommen und den sozialen<br />

Status geschlossen werden kann.<br />

234<br />

Zu berücksichtigen ist aber auch die allein aufgrund <strong>des</strong> niedrigeren Alters kurze Möglichkeit, Vermögen<br />

aufzubauen.<br />

93


in der Landwirtschaft. 235 Viel stärker als bei Männern war die Berufstätigkeit von Frauen an<br />

ihren Ehestatus gebunden. In den häuslichen und industriellen Berufen war die Zahl der<br />

ledigen Frauen besonders hoch, und diese verließen den Beruf tendenziell nach einer<br />

Eheschließung. Im Sektor Handel und Verkehr war die Abnahme der Berufstätigkeit mit der<br />

Heirat weit geringer und noch weniger war in der Landwirtschaft zu verzeichnen. 236 <strong>Die</strong><br />

Verteilung <strong>im</strong> Sample bestätigt Tendenzen der Jahrhundertwende auch für 1938. 41 % der<br />

Frauen <strong>des</strong> Samples waren verheiratet, von jenen Frauen aber, die über Beteiligungen an<br />

einem Unternehmen verfügten bzw. einen freien Beruf ausübten, waren 67,4 %, mehr als die<br />

Hälfte, verheiratet. Darüber hinaus bewirkte eine Eheschließung keine Abnahme von<br />

Berufstätigkeit bzw. Unternehmensbesitz, sondern <strong>im</strong> Gegenteil, von den selbständig<br />

Berufstätigen waren mehr verheiratet als von der weiblichen Durchschnittsbevölkerung. Das<br />

Bild der Frau, die nach der Eheschließung ihre Erwerbstätigkeit aufgibt, ist zumin<strong>des</strong>t für<br />

diese Schicht der Selbständigen nicht allgemein zutreffend. <strong>Die</strong> Mehrheit der<br />

Unternehmerinnen besaß das Unternehmen nicht mit dem Ehemann gemeinsam, sondern war,<br />

wenn es ihnen nicht allein gehörte, mit ihrer Herkunftsfamilie verbunden. Hierbei ist jedoch<br />

auch zu berücksichtigen, dass eine Unternehmensbeteiligung nicht automatisch mit einer in<br />

den Quellen, etwa <strong>im</strong> Handelsregister, sichtbaren Mitarbeit korrespondierte bzw. sich eine<br />

Mitarbeit nicht in offiziellen Dokumenten niederschlagen musste. Von Gesetzes wegen waren<br />

Ehefrauen verpflichtet, unentgeltlich am Erwerb <strong>des</strong> Ehegatten mitzuwirken. Er gewann<br />

dadurch eine kostenlose, durch das Naheverhältnis und ihr Eigenunteresse hoch motivierte<br />

Arbeitskraft, die die Größe und das Expansionsvermögen von kleinen Unternehmen<br />

entscheidend beeinflussen bzw. sogar die Existenz eines Unternehmens sicherstellen konnte.<br />

Insofern hatte also auch die Eheschließung für einen Mann unmittelbaren Einfluss auf seinen<br />

beruflichen Werdegang. Mit Zahlen belegt werden kann diese These freilich nicht.<br />

Sichtbarkeit<br />

Irma Wollners Schwester, Elsa, gab ihre Lebensmittelhandlung auch nach ihrer<br />

Eheschließung nicht auf, jedoch änderte sie ihre Berufsbezeichnung in Kaufmannsgattin und<br />

deklarierte sich damit als nicht erwerbstätig. <strong>Die</strong> Zurückhaltung in der Angabe der<br />

235<br />

Gertraud Wolf: Der Frauenerwerb in den Hauptkulturstaaten. Nach amtlichen statistischen Quellen, München<br />

1916, S. 58.<br />

236<br />

Gertraud Wolf: Der Frauenerwerb in den Hauptkulturstaaten. Nach amtlichen statistischen Quellen, München<br />

1916, S. 252.<br />

94


Berufstätigkeit ist ein Phänomen, das auf sehr viele Frauen dieses Samples in ihrer offiziellen<br />

Selbstdarstellung zutrifft. Eine Frau, die ihre Geschäftstätigkeit in ihrem Lebenslauf in den<br />

Vordergrund gestellt hätte, scheint in den Quellen nicht auf, sichtbar wird jedoch das diskrete<br />

Verschweigen oder Herunterspielen von unternehmerischen Aktivitäten. <strong>Die</strong>s ist nicht nur bei<br />

verheirateten Frauen wie Elsa Wollner der Fall, sondern auch bei ihrer Schwester Irma<br />

Wollner, die ledig war und ein Geschäft hatte. Es kann dies als Versuch gesehen werden, das<br />

gesellschaftliche Rollenbild mittels verschleiernder Bezeichnungen intakt zu halten, auch<br />

wenn es nicht mit der Realität übereinst<strong>im</strong>mte. Ob das <strong>im</strong> Segment der Kleinunternehmen<br />

eher vorkam als bei Angehörige der freien Berufe oder solchen, die ein größeres<br />

Unternehmen leiteten, und wie sich die Situation in den Unterschichten darstellte, bedarf noch<br />

näheren Untersuchungen. <strong>Die</strong> Tendenz zu unklaren Angaben in den Vermögensanmeldungen<br />

und den Dokumenten der Verlassenschaftsabhandlungen, die die Bedeutung der<br />

Berufstätigkeit allein aufgrund der so entstehenden Widersprüchlichkeiten in Frage stellte, ist<br />

in dieser Form bei Männern nicht zu bemerken. Im Gegenteil werden männliche<br />

Berufslaufbahnen in den Quellenunterlagen auffallend linear konstruiert. Auch ein wenig<br />

Umsatz erwirtschaften<strong>des</strong> Geschäft genügte zur Repräsentation der männlichen<br />

Berufstätigkeit und zur Definition der eigenen Identität. Der Handelsagent Richard Jelletz<br />

stellte sich in offiziellen Dokumenten auch mit einem nur mit 50 RM bewerteten Geschäft als<br />

durch seine Arbeit definiert dar, während Irma Wollner sich mit der Bezeichnung Private<br />

völlig aus der Unternehmenswelt zurück nahm, gleichwohl sie ein viel größeres Geschäft<br />

führte.<br />

Arbeit ist kein geschlechtsfreier Ort, diese bereits in zahlreichen Studien dokumentierte<br />

Grundannahme spiegelt sich in obiger Darstellung der sozioökonomischen Zusammenhänge<br />

zu Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts in Wien und auch in der Auswertung <strong>des</strong> Samples. In den<br />

geschlechtsspezifischen Zugangsbedingungen zur Arbeitswelt <strong>sind</strong> letztlich die ersten<br />

Ursachen für unterschiedliche Vermögensverteilung zwischen den Geschlechtern zu suchen.<br />

<strong>Die</strong>se Erkenntnis bestätigt sich durch Untersuchungen über die Beschäftigtenzahlen auf ihr<br />

Geschlechterverhältnis hin sowie die Zugangsbedingungen zu Bildungseinrichtungen und<br />

Arbeitsverhältnissen. <strong>Die</strong> selbständige Erwerbstätigkeit jedoch bleibt ein schwer zu<br />

konturierender Graubereich, weil die Arbeit von Frauen nicht dieselbe Sichtbarkeit wie die<br />

von Männern erfährt, diese jedoch den Maßstab für die Bewertung von Arbeit bildet. <strong>Die</strong><br />

Regelung <strong>des</strong> ABGB, wonach der Erwerb <strong>im</strong> Zweifelsfalle vom Mann herrührte, verstärkte<br />

die ungleiche Bewertung von selbständiger Arbeit zwischen den Geschlechtern noch<br />

95


weiter. 237 Bei allen hier untersuchten Personen schlug sich ihre Erwerbs- und<br />

Geschäftstätigkeit nur in geringer Weise auf ihr Vermögen nieder. <strong>Die</strong> Auswirkungen von<br />

Erwerbsarbeit auf die Möglichkeit, Vermögen zu bilden, lässt sich erst retrospektiv oder an<br />

der darauf folgenden Generation abschätzen, was für diese Untersuchungsgruppe jedoch<br />

außerhalb der Möglichkeiten steht, da ihr Vermögen von den Nationalsozialisten geraubt und<br />

ihre bisher erworbenen Erwerbschancen zunichte gemacht wurden.<br />

237 ABGB § 1237. Geändert <strong>im</strong> Zuge der Familienrechtsreform 1978, BGBl. 280/1978.<br />

96


8 Wirtschaften mit der Familie<br />

In Anlehnung an Karin Hausens Aufsatz „Wirtschaften mit der Geschlechterordnung“ wird<br />

hier Wirtschaften in den Plural gesetzt, „um außer der Marktwirtschaft auch das in privaten<br />

Haushalten angesiedelte, weder marktorientierte noch marktvermittelte Arbeiten, Produzieren<br />

und Konsumieren von Gütern und <strong>Die</strong>nsten <strong>im</strong> Denken gleichrangig als Wirtschaft zu<br />

berücksichtigen.“ 238 Hausen verweist weiter auf „wirtschaften“ als Verb und plädiert für einen<br />

weitgefassten Begriff <strong>des</strong> Wirtschaftens, der das Wirtschaften nicht allein als Ergebnis<br />

rationaler Entscheidungen sieht, „denn solche Entscheidungen trifft in der Regel nicht ein aus<br />

allen sozialen Verbindungen herausgelöstes Individuum, sondern vielmehr eine sozial<br />

integrierte Person, die nachhaltig verwickelt ist in vielseitige Verbindlichkeiten,<br />

Rücksichtnahmen, Belastungen und stets angehalten ist, verschiedenste und häufig<br />

gegensätzliche Interessen abzuwägen und abzugleichen.“ 239<br />

Der sozio-ökonomische Hintergrund eines Menschen lässt sich allein mit der individuellen<br />

Vermögenssituation nur schwer beschreiben, weshalb die Familie in den Vordergrund gerückt<br />

wird. <strong>Die</strong> Berücksichtigung der familiären Verflechtungen und verwandtschaftlichen<br />

Beziehungen lässt die Herkunft und Verwendung von Eigentum in ihren jeweiligen Kontexten<br />

genauer darstellen. Dabei <strong>sind</strong> Verwandtschaftsbeziehungen als soziale Kategorie zu<br />

betrachten, die ebenso wie andere soziale Kategorien und zum Teil in Verbindung mit ihnen<br />

Differenzen setzen und Ungleichheiten produzieren.<br />

Unternehmensgeschichte versus Geschlechtergeschichte?<br />

Der historischen Forschung diente das Konstrukt <strong>des</strong> Gegensatzes zwischen der privaten und<br />

der öffentlichen Sphäre dazu, die Geschlechterordnung <strong>des</strong> Bürgertums <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts<br />

in einer Weise zu beschreiben, die Frauen in der Familie, <strong>im</strong> häuslichen Bereich verortete und<br />

Männern den aktiven Part <strong>des</strong> Handelns in der Öffentlichkeit und der Repräsentation<br />

238 Karin Hausen: Altbewährt und zählebig: Wirtschaften mit der Geschlechterordnung, in: Eva Labouvie und<br />

Katharina Bunzmann (Hg.): Ökonomien <strong>des</strong> Lebens. Zum Wirtschaften der Geschlechter in Geschichte und<br />

Gegenwart, Münster 2004, S. 13-32, S. 16.<br />

239 Karin Hausen: Altbewährt und zählebig: Wirtschaften mit der Geschlechterordnung, in: Eva Labouvie und<br />

Katharina Bunzmann (Hg.): Ökonomien <strong>des</strong> Lebens. Zum Wirtschaften der Geschlechter in Geschichte und<br />

Gegenwart, Münster 2004, S. 13-32, S. 17.<br />

97


zusprach. Teilt man dieser Logik folgend die Familie der weiblichen Sphäre zu und die<br />

Wirtschaft der männlichen Sphäre, müsste in einer einfachen Rechnung ein<br />

Familienunternehmen die scheinbaren Gegenpole in sich vereinen. Während die Familie als<br />

Aushandlungsort von Machtstrukturen, die in extremer Weise geschlechterspezifisch wirken,<br />

umfassend analysiert wurde, hinkt die Forschung in der Beschäftigung von<br />

geschlechtsspezifischen Machtstrukturen in (Familien-)Unternehmen hinterher, wie von<br />

WirtschaftsforscherInnen mehrfach festgestellt wurde. Der Begriff der Familie wird in der<br />

Forschungsliteratur in Zusammenhang mit Unternehmen geschlechtsneutral verwendet, das<br />

Individuum <strong>des</strong> Unternehmers hingegen ist konsequent männlich besetzt. <strong>Die</strong>se Diskrepanz<br />

liegt mehr in ihrer Unsichtbarkeit begründet als <strong>im</strong> Ausschluss von Frauen aus Unternehmen,<br />

da sie, wie Untersuchungen zeigen, hinter den Kulissen sehr viel stärker präsent <strong>sind</strong>, als in<br />

der Öffentlichkeit transportiert wird. Wie am Beispiel von bekannten deutschen Unternehmen<br />

zu sehen ist, liegt es mehr an der Darstellung, z.B. in Festschriften und<br />

Unternehmenschroniken, die Frauen unsichtbar macht, als an ihrer tatsächlichen<br />

Nichtexistenz. 240 Fallbeispiele zeigen auch, dass das Vermögen von Frauen zentral für deren<br />

Position <strong>im</strong> Unternehmen war, ihre Rolle in der Repräsentation und Wahrnehmung jedoch<br />

hinter der <strong>des</strong> Mannes zurück steht.<br />

Bei der Betrachtung von Unternehmensgeschichte und Geschlechter- bzw. vorher<br />

Frauengeschichtsschreibung lassen sich zwei gegensätzliche Tendenzen ausmachen. Während<br />

sich in der Unternehmensgeschichte allgemeines Interesse an Entwicklungsprozessen großer<br />

Unternehmen in Richtung Standardisierung und Bürokratisierung in nationalen und globalen<br />

Zusammenhängen feststellen lässt, legte die Frauengeschichtsschreibung ihr Hauptaugenmerk<br />

auf die Branchen, in denen Frauen am stärksten vertreten waren, das Kleingewerbe, wie die<br />

Kunstblumenerzeugung, Wäschekonfektion, Kleiderreinigung, Erzeugung von Stickerei etc.<br />

und vor allem selbständige häusliche <strong>Die</strong>nste. 241 Daneben erfuhren herausragende<br />

Unternehmerinnen als Ausnahmen in der männlich dominierten Unternehmerwelt die<br />

Aufmerksamkeit von ForscherInnen. 242 Beide Herangehensweisen affirmierten die<br />

Konnotation von Unternehmen mit Männlichkeit eher, als dass sie sie dekonstruierten. Joan<br />

240 Christiane Eifert: Wann werden Frauen Unternehmenserbinnen? Nachfolgeregelungen in deutschen<br />

Familienunternehmen in der zweiten Hälfte <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts, in: Feministische Studien, 25. Jg. 2007/2, S.<br />

243-257.<br />

241 Daten der Wiener Volkszählungsergebnisse von 1910 siehe Irene Bandhauer-Schöffmann: Wiener<br />

Geschäftsfrauen um die Jahrhundertwende, in: Irene Bandhauer-Schöffmann (Hg.): Auf dem Weg zur Beletage.<br />

Frauen in der Wirtschaft, Wien 1997, S. 145-178, S. 159.<br />

242 Vgl. Maria Louisa Marinelli: <strong>Die</strong> andere Hälfte <strong>des</strong> Kapitals. Europäische Unternehmerinnen in der Zeit vom<br />

6. bis zum 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1997.<br />

98


W. Scott verweist auf das Narrativ der Unternehmensgeschichtsschreibung von einer<br />

Linearität von kleinen zu großen Unternehmen und dem Gegensatz zwischen traditionell<br />

(kleine Unternehmen) und modern (große Unternehmen), an <strong>des</strong>sen Linien sich auch die<br />

Geschlechterverhältnisse bewegten. Sie argumentiert mit Bezug auf Philip Scranton, dass<br />

kleine Betriebe mit großen Unternehmen ko-existierten und deren Wachsen und Flexibilität<br />

erst möglich machten, ein Ansatz, der auch die in die Unternehmenshistoriographie<br />

eingeschriebene Geschlechterdichotomie aufzubrechen vermag. 243 Sich mit Geschlecht und<br />

ökonomischem Handeln zu beschäftigten bedeute, „adding another nail to the coffin of<br />

‚seperate spheres’“. 244 Wie Wendy Gamber für die US-amerikanische Geschichtsschreibung<br />

ausführt, trafen sich bei Geschlecht und Unternehmen drei Subdisziplinen:<br />

Arbeitergeschichte, Frauengeschichte und Wirtschaftsgeschichte, wobei sie an den<br />

Verbindungslinien blinde Flecken ausmacht, was ihrer Meinung nach auch an der<br />

Inkompatibilität zwischen der traditionellen und eher rechts stehenden Wirtschaftsgeschichte<br />

und der aus der zweiten Frauenbewegung heraus entstammenden, in diesem Sinne radikalen<br />

und eher linken Frauengeschichte liegen könnte. Es hätte zwar eine women’s labor history,<br />

jedoch keine women’s business history gegeben, konstatiert sie. 245<br />

Für letzteres setzte 1985 die Zeitschrift für Unternehmensgeschichte erste Schritte mit dem<br />

Thema, „<strong>Die</strong> Frau in der Wirtschaft“. Den Ansätzen der Frauengeschichte folgend, wurde hier<br />

versucht, Frauen dort sichtbar zu machen, wo sie in den Narrativen fehlten, und die<br />

Leerstellen zu benennen. 246 Eine solche Leerstelle konstatiert Elke Hlawatschek in ihrem Text<br />

über „die Unternehmerin“. In Jubiläumsschriften großer Unternehmen und Autobiographien<br />

von UnternehmerInnen versuchte sie, unter anderem etwas über die Motive und das<br />

Selbstverständnis der UnternehmerInnen zu herauszufinden sowie Anlässe für Beginn und<br />

Beendigung unternehmerischer Tätigkeit zu analysieren, und sie erfuhr sehr viel mehr über<br />

Unternehmer als über Unternehmerinnen. 247 <strong>Die</strong> Erzählweise der von ihr analysierten Texte<br />

243 Joan W. Scott: Comment: Conceptualizing Gender in American Business History, in: Business History<br />

Review, 1998/72, S. 242-249, S. 243; Philip Scranton: Diversity in Diversity: Flexible Production and American<br />

Industrialization, 1880-1930, in: Business History Review, 1991/65, S. 27-90.<br />

244 Joan W. Scott: Comment: Conceptualizing Gender in American Business History, in: Business History<br />

Review, 1998/72, S. 242-249, 243. Mit dem Begriff der separate spheres bezieht sie sich auf Linda K. Kerber:<br />

Separate Spheres, Female Worlds, Women’s Place: The Rhetoric of Women’s History, in: Journal of American<br />

History Juni 1988/76, 9-39.<br />

245 Wendy Gamber: A Gendered Enterprise: Placing Nineteenth-Century Businesswomen in History, in:<br />

Business History Review, 1998/72, S. 188-218. Für Österreich siehe beispielsweise Erna Appelt: Von<br />

Ladenmädchen, Schreibfräulein und Gouvernanten 1900-1934, Wien 1985.<br />

246 Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 1985 Beiheft 35.<br />

247 Elke Hlawatschek: <strong>Die</strong> Unternehmerin (1800-1945), in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 1985<br />

Beiheft 35, S. 127-146.<br />

99


wies Frauen und Männern diskursiv unterschiedliche Plätze zu, was zu einer massiven<br />

Überrepräsentation von Männern führte, die nicht allein von ihrer zahlenmäßigen Mehrheit<br />

herrührte. Abgesehen von diesem gender gap, vermag die Analyse der Selbstverortung in<br />

biographischen Aufzeichnungen Aspekte zu Tage zu fördern, die bei einer<br />

vermögenszentrierten Studie weitgehend verborgen bleiben. Allerdings können mit dieser<br />

Herangehensweise nur sehr große Unternehmen in den Blick genommen werden, die solche<br />

Quellen überhaupt produzieren. 248<br />

Bei einem Fokus auf geschlechtsspezifische Unterschiede in Unternehmensbeteiligungen und<br />

Kapitaleinsätzen, der die persönlichen Umstände außer Acht lässt, <strong>sind</strong> die<br />

Herausforderungen andere, es gilt nicht, einen Text auf geschlechtliche Codierungen etc. zu<br />

untersuchen, sondern die Geschlechterverhältnisse in Zahlen auszudrücken und <strong>im</strong> jeweiligen<br />

sozialen und wirtschaftlichen Kontext darzustellen, wie sich die Geschlechterordnung <strong>im</strong><br />

unternehmerischen Handeln von Männern und Frauen niederschlägt. Der Auflösung von<br />

geschlechtlichen Zuordnungen in der Geschichtsschreibung über ökonomisches Handeln und<br />

der Verbindung der geschlechtsspezifischen Analyse von wirtschaftlichem Handeln und<br />

historischen Veränderungen marktwirtschaftlicher Strukturen folgt die Einbeziehung von<br />

anderen Faktoren wie sozialer Schicht, Konfession usw., um ökonomische Machtstrukturen<br />

und darin konstruierte Genderhierarchien analysieren zu können. 249 Für diese Arbeit bedeutet<br />

das, den „jüdischen“ Hintergrund, die Migrationsgeschichte und die innerfamiliale<br />

Berufsentwicklung der zu untersuchenden Personen nicht außer Acht zu lassen. Um wieder<br />

mit Karin Hausen zu sprechen: Das wirtschaftlich handelnde Subjekt ist nicht als rational<br />

handeln<strong>des</strong> auf Gewinnmax<strong>im</strong>ierung ausgerichtetes Individuum zu betrachten, wie es die<br />

neoliberale Wirtschaftslehre vorgibt, sondern mit seinen sozialen Verankerungen,<br />

Verbindlichkeiten und widersprüchlichen, schwer nach Priorität zu ordnenden Interessen zu<br />

sehen, was Geschlecht und anderen Kategorien erst einen Platz gibt. 250<br />

248 Auf der anderen Seite erlaubt dieser Rahmen aber auch den Blick auf größere globale Zusammenhänge, wie<br />

beispielsweise James Harold in seiner Arbeit über drei große Familienunternehmen in Deutschland, Italien und<br />

Frankreich vor dem Hintergrund von weltpolitischen und wirtschaftlichen Veränderungen aufzeigt, James<br />

Harold: Familienunternehmen in Europa: Haniel, Wendel und Falck, München 2005.<br />

249 Joan W. Scott: Comment: Conceptualizing Gender in American Business History, in: Business History<br />

Review, 1998/72, S. 242-249, S. 248; Wendy Gamber: A Gendered Enterprise: Placing Nineteenth-Century<br />

Businesswomen in History, in: Business History Review, 1998/72, S. 188-218, S. 194.<br />

250 Karin Hausen: Altbewährt und zählebig: Wirtschaften mit der Geschlechterordnung, in: Eva Labouvie und<br />

Katharina Bunzmann (Hg.): Ökonomien <strong>des</strong> Lebens. Zum Wirtschaften der Geschlechter in Geschichte und<br />

Gegenwart, Münster 2004, S. 13-32, S. 17.<br />

100


Unternehmerische Stabilität und Prosperität durch Eheverbindungen<br />

Verwandtschaften und Unternehmensnetzwerke<br />

Wie Hans Medick und David Sabean in der von ihnen kompilierten Anthologie über das<br />

Verhältnis von Gefühl und materiellen Interessen ausführten, wird dieses häufig als ein von<br />

Gegensätzlichkeit gekennzeichnetes Feld beschrieben, mit zwei Komponenten, die einander<br />

ausschlössen. 251 <strong>Die</strong>ses Verhältnis würde daher als ein Konkurrenzfeld gedacht, indem eine<br />

der beiden Komponenten siegreich über die andere bleibe. Der Gegensatz zwischen Liebes-<br />

und Geldheirat wurde zu einem Topos der romantischen Populärliteratur, in der meist<br />

Geldheiraten als negativ dargestellt werden, weil sie von den Eltern eingefädelt wurden, die<br />

ohne Rücksicht auf die Gefühle ihrer Kinder strategische Interessen gesellschaftlicher<br />

und/oder finanzieller Natur verfolgten. Auf der anderen Seite steht die reine – weil nicht von<br />

niederen Interessen wie Geldgier korrumpierte – Liebe von rechtschaffenen jungen Leuten.<br />

Medick und Sabean verorten in diesem Feld einerseits eine romantische Sent<strong>im</strong>entalisierung<br />

von Familienbeziehungen, die Besitzinteressen gänzlich außer Acht lassen und auf der<br />

anderen Seite Beziehungen, die unter völligem Ausschluss von Gefühlen geschlossen werden,<br />

rein aus materiellen Interessen. „Bäuerliche“ Familiengründungen würden vor allem unter<br />

dem Paradigma materieller Interessen gesehen, während bürgerliche Beziehungen mehr unter<br />

dem Blickwinkel der Emotionen betrachtet würden. Den besitzlosen Unterschichten wird<br />

hingegen wieder mehr Platz für Emotionen zugestanden, die jedoch fragiler Natur seien. 252<br />

Auch wenn diese Betrachtungsweise sehr pointiert erscheint, lässt sich ihr dennoch einiges<br />

abgewinnen. Während Angehörige <strong>des</strong> gebildeten Bürgertums zahlreiche Textdokumente zu<br />

ihren Gefühlen verfassen konnten, wie zum Beispiel Tagebücher, Briefe, Memoiren etc., die<br />

einen reichen Quellenfundus für HistorikerInnen darstellen, gibt es zu Angehörigen zwar<br />

besitzender, aber nicht gebildeter Schichten nur wenige diesbezügliche Quellen. Das<br />

Forschungsinteresse und die daraus resultierenden Schwerpunkte <strong>sind</strong> also stark von den zur<br />

Verfügung stehenden Quellen abhängig.<br />

251 Hans Medick, David Sabean: Emotionen und materielle Interessen in Familie und Verwandtschaft, in: ds.<br />

(Hg.): Emotionen und materielle Interessen. Sozialanthropologische und historische Beiträge zur<br />

Familienforschung, (Vandenhoeck & Rupprecht) Göttingen 1984, S. 27-54, S. 29.<br />

252 Hans Medick, David Sabean: Emotionen und materielle Interessen in Familie und Verwandtschaft, in: ds.<br />

(Hg.): Emotionen und materielle Interessen. Sozialanthropologische und historische Beiträge zur<br />

Familienforschung, (Vandenhoeck & Rupprecht) Göttingen 1984, S. 27-54, S. 29.<br />

101


Für die Unternehmerschicht ist zu fragen, inwiefern Verwandtschaftsbindungen mit<br />

unternehmerischen Interessen zusammen fallen, dazu gehört die Aquirierung von Finanz- und<br />

von sozialem Kapital mittels einer Eheschließung 253 . Studien wie die von Andrea Löther über<br />

Wuppertaler Textilunternehmer <strong>im</strong> 19. Jahrhundert zeigen eine deutliche Endogamie in<br />

sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht. Demnach heirateten 77,5 Prozent der Wuppertaler<br />

Textilfabrikanten aus dem Wirtschaftsbürgertum stammende Frauen, und über 50 Prozent der<br />

Textilfabrikanten hatten ebensolche als Schwiegerväter. 254 Aufgrund der zeitlichen,<br />

regionalen und branchenspezifischen Eingrenzung <strong>sind</strong> diese <strong>Ergebnisse</strong> nicht ohne weiteres<br />

auf das Wiener Wirtschaftsbürgertum zu Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts umzulegen, aber eine<br />

gewisse soziale Endogamie ist wohl auch hier zu finden. Im Sample lässt sich eine<br />

diesbezügliche Antwort nicht finden, da die Informationen über den Beruf der Väter und<br />

Schwiegerväter zu rud<strong>im</strong>entär <strong>sind</strong>, um ein erkennbares Muster zu erzeugen. Hier wären<br />

weiterführende Untersuchungen erforderlich. In ihrer Längsschnitt-Untersuchung über das<br />

Heiratsverhalten <strong>des</strong> Wiener nobilitierten Bürgertums, einer sehr kleinen Gruppe, kommt<br />

Marie-Therese Arnbom zum Schluss, dass die untersuchten Familien über die Generationen<br />

hinweg relativ heterogen heirateten, sich einzelne Berufsbilder langfristig nicht für die<br />

gesamte Familie durchsetzten. 255<br />

Heiraten zwischen Angehörigen der Unternehmerschicht und <strong>des</strong> Bildungsbürgertums, wenn<br />

man hier überhaupt von zwei differenten Schichten sprechen kann, was für Wien angezweifelt<br />

wird, 256 zeugen von einer Max<strong>im</strong>ierung verschiedener Kapitalsorten. Nach Pierre Bourdieu<br />

für ist eine Heirat nicht als selbständige Einheit zu betrachten, sondern als ein Teil von<br />

mehreren Tauschvorgängen zu sehen, deren Ziel die Max<strong>im</strong>ierung von ökonomischen und<br />

symbolischen Profiten ist. 257 Von einem einheitlichen sozialen Milieu mit homogenen<br />

Verhaltensmustern in Bezug auf die Konsolidierung der eigenen Klasse kann be<strong>im</strong> Sample<br />

253 Vgl. Alexander Pinwinkler: Heiratsallianzen <strong>im</strong> deutschen und österreichischen Bürgertum <strong>des</strong> 19.<br />

Jahrhunderts. <strong>Die</strong> Bildung von sozialen Netzwerken als Teil bürgerlicher Strategien zur gesellschaftlichen<br />

Positionierung, Univ.-Dipl., Salzburg 1998, S. 54-57.<br />

254 Andrea Löther: Familie und Unternehmer. Dargestellt ab Beispiel der Wuppertaler Textilunternehmer<br />

während der Frühindustrialisierung bis 1870, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 36. Jg., 1991, S. 217-<br />

244, S. 226.<br />

255 Marie-Therese Arnbom: Heiratsverhalten <strong>des</strong> nobilitierten Wiener Bürgertums, in: Robert Hoffmann (Hg.):<br />

Bürger zwischen Tradition und Modernität (Bürgertum in der Habsburgermonarchie 6), Wien/Köln/We<strong>im</strong>ar<br />

1997, S. 143-162, S. 159.<br />

256 Ernst Bruckmüller, Wolfgang Meixner: Wiener Wirtschaftsbürgertum um 1900, in Karl Möckl (Hg.):<br />

Wirtschaftsbürgertum in den deutschen Staaten <strong>im</strong> 19. und beginnenden 20. Jahrhundert (Deutsche<br />

Führungsschichten in der Neuzeit 21) München 1996. S. 343-374.<br />

257 Pierre Bourdieu: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt am Main 1987, S. 265, 281.<br />

102


nicht ausgegangen werden. Heiratsverbindungen und allenfalls dahinter stehende Praktiken<br />

der Allianzenbildung können nur in ihrem jeweiligen Kontext erklärt werden. Obwohl<br />

Heiratsstrategien vor allem zur bürgerlichen Schicht erforscht werden, <strong>sind</strong> Heiratsallianzen<br />

in allen Schichten in verschiedenem Ausmaß und zu verschiedenen Zeitpunkten festzustellen,<br />

sowohl bei der bürgerlichen urbanen Schicht wie auch in ländlichen agrarischen<br />

Gesellschaften. 258<br />

In drei von zwölf Unternehmen mit Familienbezug <strong>im</strong> Subsample steht der Firmenname in<br />

Zusammenhang mit einer Eheverbindung. Das <strong>sind</strong> die Firmen Klein & Brandl, Fantl & Pick<br />

sowie Neuron & Steiner. Der Doppelname der Firma Deutsch & Beinhacker bezieht sich<br />

hingegen nicht auf eine verwandtschaftliche Beziehung, ebenso wenig der Name der Firma<br />

Wilhelm Loeb & Benedikt Schwarz Nfg. Bei den Unternehmen Klein & Brandl sowie Fantl<br />

& Pick setzt sich der Firmenname aus den zwei Namen <strong>des</strong> Ehepaares zusammen, <strong>des</strong>sen<br />

männlicher Teil Alleininhaber der Firma war, während die Ehefrau bzw. ihre Familie nicht als<br />

GesellschafterInnen bzw. ProkuristInnen registriert waren. Leider <strong>sind</strong> die<br />

Rechercheergebnisse in dieser Hinsicht eher unbefriedigend ausgefallen, da die näheren<br />

Umstände nicht erhellt werden konnten, <strong>des</strong>halb kann hier nur das vom Handelsgericht<br />

Dokumentierte beschrieben werden. Franz Josef Klein war bis zu seinem Tod 1913<br />

Alleininhaber der Firma Klein & Brandl, die 1923 in eine AG umgewandelt wurde. Franz<br />

Josef Klein und Louise Brandl, die Eltern von Otto Klein, heirateten am 6. Mai 1883, 1885<br />

wurden die Ehepakte bei der Firma geschlossen. Weder Louise Brandl noch ein anderes<br />

Mitglied ihrer Familie war am Unternehmen beteiligt, einzig ihr Name deutet auf eine<br />

Verbindung hin. Genau so verhält es sich mit der Firma Fantl & Pick, die 1906 mit Friedrich<br />

Pick als Alleininhaber ins Firmenbuch eingetragen wurde. Er war verheiratet mit Pauline, geb.<br />

Pick.<br />

Friedrich Steiner betrieb zusammen mit Adolf Neuron einen Schuhgroßhandel namens<br />

Neuron & Steiner. 259 Friedrich Steiner und Adolf Neuron waren je zur Hälfte Eigentümer <strong>des</strong><br />

Unternehmens. <strong>Die</strong> beiden Firmengesellschafter waren nicht miteinander verwandt, jedoch<br />

verschwägert. <strong>Die</strong> Schwester Friedrich Steiners, Emma, war mit Adolf Neuron verheiratet.<br />

258 Vgl. David W. Sabean: Property, Production, and Family in Neckarhausen, 1700-1870, Cambridge u.a. 1990.<br />

259 <strong>Die</strong> Schuhindustrie wurde während <strong>des</strong> Ersten Weltkrieges stark ausgebaut, sie stellte den wichtigsten Zweig<br />

der Lederwarenindustrie dar. Nach Kriegsende geriet sie aufgrund der sinkenden Nachfrage und ausländischer<br />

Konkurrenz in Schwierigkeiten, viele Betriebe der einst 8.000 Beschäftigte umfassenden Branche mussten<br />

geschlossen werden. Fritz Weber: <strong>Die</strong> wirtschaftliche Entwicklung, in: Emmerich Talos, Herbert Dachs, Ernst<br />

Hanisch und Anton Staudinger (Hg.): Handbuch <strong>des</strong> politischen Systems Österrechs. Erste Republik 1918-1933,<br />

Wien 1995, S. 23-44, S. 30.<br />

103


Das Unternehmen war zunächst von Adolf Neuron allein <strong>im</strong> Jahre 1912 gegründet worden,<br />

die Eintragung in das Handelsregister erfolgte zwei Tage vor der Ausstellung <strong>des</strong> Trauscheins<br />

seiner Vermählung mit Frau Emma Steiner. 260 Ein Zusammenhang der Firmengründung mit<br />

der Heirat erscheint hier offensichtlich. Vier Jahre später aber erst erhielt Emma Neuron die<br />

Prokura. <strong>Die</strong>se wurde 1920 wieder gelöscht, als ihr Bruder als Gesellschafter in das<br />

Unternehmen eintrat und die Firma in eine OHG umgewandelt wurde und den Namen Neuron<br />

& Steiner erhielt. Friedrich Steiner löste seine Schwester Emma Neuron in der Firma<br />

praktisch ab, sie tauchte <strong>im</strong> Handelsregister nicht mehr auf, er erreichte als Gesellschafter eine<br />

höhere Position als seine Schwester zuvor innehatte. 261 Das Ehepaar Neuron lebte in der<br />

Kandlgasse 23 in dem Haus, das seit 1890 in Besitz der Familie Steiner stand und das Emma<br />

und Friedrich zu je einem Viertel gehörte. 262 <strong>Die</strong> beiden anderen Viertel gehörten den anderen<br />

Geschwistern Oskar und Erwin Steiner. Marianne,, verehel. Baumgarten, hatte ihren Anteil<br />

gegen eine Sicherstellung in Form einer Hypothek ihren vier Geschwistern überschrieben. 263<br />

Friedrich Steiner selbst war in 19., Lannerstraße 20 wohnhaft. Was auch <strong>im</strong>mer die Gründe<br />

für die Wohnungswahl gewesen sein mögen, an fehlenden Alternativen hatte es theoretisch<br />

jedenfalls nicht gemangelt. Adolf Neuron hatte 1913 von seinem Vater drei Liegenschaften,<br />

darunter zwei Wohnhäuser <strong>im</strong> Alleineigentum und ein Baugrundstück zu einem Drittel<br />

geerbt, das war allerdings erst ein Jahr nach der Hochzeit und vermutlich dem Einzug in die<br />

Kandlgasse. 264 <strong>Die</strong> Wohnung <strong>im</strong> Steiner’schen Haus in der Kandlgasse zu nehmen, wo auch<br />

Oskar Steiner wohnhaft war, bedeutete für Adolf Neuron zumin<strong>des</strong>t eine <strong>im</strong> Wortsinn<br />

sichtbare Annäherung an die Familie seiner Gattin und seines Compagnons.<br />

Friedrich Steiner wiederum heiratete mit Käthe Wortmann die Tochter eines Bankiers, <strong>des</strong><br />

Josef Wortmann, Gesellschafter von Nagel & Wortmann. <strong>Die</strong> Mutter von Käthe Wortmann<br />

hieß ledig Theresia Nagel und war die Tochter von Moriz Nagel. Hier ist also in derselben<br />

Familie zwe<strong>im</strong>al das gleiche Muster anzutreffen: Ein bestehen<strong>des</strong> Unternehmen wurde durch<br />

nachträgliche Familienbindungen zu einem erweiterten Familienunternehmen. Offenbar<br />

wurde hier in der Verbindlichkeit der Verwandtschaft ein stark stabilisieren<strong>des</strong> Moment zur<br />

Kapitalsicherung gesehen. <strong>Die</strong> Reziprozität mit Doppelehen zwischen zwei Familien ist eine<br />

260 HG Wien, A 76/81.<br />

261 HG Wien, A 76/81.<br />

262 ÖSTA, AdR, 06, VVSt 35.943; 37.740.<br />

263 KG Neubau, EZ 444.<br />

264 ÖSTA, AdR, 06, VVSt 35.942.<br />

104


über Jahrhunderte hinweg in Europa nachzuweisende Praxis in jeweils unterschiedlichen<br />

Ausformungen, die auf dem Prinzip <strong>des</strong> Tausches zwischen Familien beruhte. 265<br />

Andrea Löther, die auch Selbstzeugnisse in ihre Untersuchung einbezog, macht darauf<br />

aufmerksam, wie unsicher Aussagen über Heiratsstrategien letztlich bleiben: „Heirat in<br />

Unternehmerfamilien bot ökonomisch nutzbare Vorteile, wie soziale und geschäftliche<br />

Beziehungen mit der angeheirateten Familie, Verhinderung von Erbschaftsteilungen und<br />

Kapitalvermehrungen durch Mitgift und Erbschaften der Frau. Trotzdem fanden sich für eine<br />

bewusste Einkalkulation dieser Vorteile in die Heiratsentscheidung keine Belege.<br />

Insbesondere fehlen Hinweise auf ein direktes Eingreifen oder Planen der Eltern, obwohl<br />

natürlich die Zust<strong>im</strong>mung der Eltern, insbesondere der Brauteltern notwendig war.“ 266 Ob es<br />

sich bei den hier betrachteten Eheverbindungen tatsächlich um <strong>Ergebnisse</strong> von<br />

Heiratsstrategien mit wirtschaftlichen Zielen handelte, muss ebenfalls dahingestellt bleiben,<br />

sagen lässt sich jedoch mit mehr Sicherheit, dass sich gewisse Heiratsverbindungen günstig<br />

für das Unternehmen auswirkten. Zudem gehört die Wahl <strong>des</strong>/der Ehepartners/partnerin zu<br />

der Sorte von Strategien, die niemals offen als eine solche bezeichnet werden würden. Von<br />

Strategien lässt sich hier am ehesten <strong>im</strong> Sinne Pierre Bourdieus sprechen, <strong>des</strong>sen Verwendung<br />

dieses Begriffes über den <strong>des</strong> kalkulierten Handelns in Hinblick auf einen zukünftigen<br />

Gewinn hinausgeht und den Einfluss <strong>des</strong> Habitus und von in der Vergangenheit erworbenen<br />

Möglichkeiten anführt. Dadurch würden gewisse Handlungen zwar wie rational und<br />

strategisch kalkuliert aussehen, aber tatsächlich der Position und <strong>des</strong> Habitus eines<br />

Individuums geschuldet und keineswegs bewusst berechnet sein. Darüber hinaus bilden<br />

Gewohnheiten und institutionalisierte Vorschriften, wie z. B. das Erbrecht, Leitlinien für in<br />

diesem Sinne strategische Handlungen. 267 Für die Zeit zwischen 1880 und 1920 war eine<br />

stetig wachsende Zahl an Eheschließungen zwischen Cousins und Cousinen bis zum ersten<br />

Grad festzustellen. 268 Für dieses Sample konnte die Existenz solcher Verbindungen nicht<br />

eruiert werden.<br />

265 Vgl. Gérard Delille: Position und Rolle von Frauen <strong>im</strong> europäischen System der Heiratsallianzen, in<br />

Margareth Lanzinger, Edith Saurer (Hg.): Politiken der Verwandtschaft. Beziehungsnetze, Geschlecht und<br />

Recht, Göttingen 2007, 227-254.<br />

266 Andrea Löther: Familie und Unternehmer. Dargestellt ab Beispiel der Wuppertaler Textilunternehmer<br />

während der Frühindustrialisierung bis 1870, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 36. Jg., 1991, S. 217-<br />

244, S. 228.<br />

267 Pierre Bourdieu: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt am Main 1987, S. 116. Vgl.<br />

Werner Fuchs-Heinritz, Alexandra König: Pierre Bourdieu. Eine Einführung, Konstanz 2005, S. 172.<br />

268 David W. Sabean: <strong>Die</strong> Ästhetik der Heiratsallianzen. Klassenco<strong>des</strong> und endogame Eheschließung <strong>im</strong><br />

Bürgertum <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts, in: Josef Ehmer (Hg.): Historische Familienforschung: <strong>Ergebnisse</strong> und<br />

Kontroversen (Michael Mitterauer zum 60. Geburtstag), Frankfurt am Main/New York 1997, S. 157-170, S. 158.<br />

105


Das Heiratsgut: Altersvorsorge und Kapitalspritze<br />

Als Heiratsgut, auch Mitgift genannt, wird der Vermögenstransfer anlässlich einer<br />

Eheschließung bezeichnet. Das Heiratsgut wird von der Braut dem Bräutigam bei der<br />

Eheschließung übergeben. Der Ehemann erhält das volle Eigentumsrecht bei Bargeld,<br />

Schuldverschreibungen und zu verbrauchenden Gütern; bei unbeweglichen Gütern, Rechten<br />

usw. bleibt die Ehefrau Eigentümerin, dem Mann fällt die Verfügungsgewalt und das<br />

Fruchtgenussrecht zu. Es handelt sich aber ausdrücklich nicht um eine Schenkung. Bei<br />

Ableben <strong>des</strong> Ehemanns wird das Heiratsgut aus der Erbmasse ausgeschieden und an die<br />

Witwe übergeben, unabhängig davon, ob das Heiratsgut von ihr selbst, ihren Eltern oder einer<br />

dritten Person eingebracht worden war. <strong>Die</strong>ser Anfall muss von der Witwe nicht extra<br />

bedungen werden, sondern tritt kraft <strong>des</strong> Gesetzes ein. Stirbt die Ehefrau vor dem Ehemann,<br />

erben ihre Nachkommen. In Österreich <strong>sind</strong> die Best<strong>im</strong>mungen über das Heiratsgut seit 1811<br />

<strong>im</strong> ABGB festgelegt und bis heute in Kraft. 269 <strong>Die</strong> Mitgift war bis zum 1. Weltkrieg vor allem<br />

für bürgerliche Schichten von großer Bedeutung, war auch noch in der Zwischenkriegszeit<br />

üblich, nach dem Zweiten Weltkrieg spielte sie nur noch eine sehr geringe Rolle. Das<br />

Heiratsgut war Gegenstand eines Vertrages zwischen den Eheleuten. <strong>Die</strong>ser Vertrag bedurfte<br />

einer notariellen Beglaubigung, aber auch eine Übergabe ohne Vertrag war gültig. Ebenso wie<br />

das Erbrecht beeinflusste das Heiratsgut in hohem Maße die persönlichen Beziehungen und<br />

das Familienleben.<br />

Töchter hatten einen gesetzlichen Anspruch auf ein Heiratsgut, die Eltern waren verpflichtet,<br />

ihren Töchtern „ein ihrem Stande und Vermögen angemessenes Heiratsgut zu geben, oder<br />

dazu verhältnismäßig beizutragen.“ 270 <strong>Die</strong>s aber nur, sofern die Töchter kein eigenes<br />

Vermögen besaßen, die Dotationspflicht der Eltern war subsidiär. War die von den Eltern zu<br />

erwartende Mitgift zu niedrig, konnte sie durch eigene Arbeit der Braut erhöht werden, um<br />

die Chancen auf einen adäquaten Bräutigam zu erhöhen. <strong>Die</strong> Mitgift und vor allem ihr Fehlen<br />

war wiederkehren<strong>des</strong> Thema in der populären Ratgeberliteratur der Jahrhundertwende 271 :<br />

„Schwer, sehr schwer ist es nur für die Töchter <strong>des</strong> gebildeten Mittelstan<strong>des</strong>, sich<br />

‚stan<strong>des</strong>gemäß’ zu verheiraten. Ihr Bildungsgrad und ihre Ansprüche weisen sie in die Höhe –<br />

269 ABGB §§1218-1229, 1237-1239.<br />

270 ABGB §1220.<br />

271 Siehe dazu ausführlich Michaela Hafner: Mitgift und Frauenbildung, "Mannweiber" und "Einzelexistenzen".<br />

Ehelose bürgerliche Frauen in der zweiten Hälfte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts in Wien, Univ.-Dipl. Wien 2005.<br />

106


ihre Mittellosigkeit weist sie nach unten.“ 272 Um finanzschwache Frauen mit einer Mitgift zu<br />

versorgen, wurden sogar Versicherungen eingerichtet. 273 Eine hohe Mitgift konnte den Status<br />

einer Heiratskandidatin und später den einer Ehepartnerin heben, da ihr Kapital die<br />

Existenzgrundlage <strong>des</strong> Ehepaares sichern konnte. „Schenken heißt nicht verlieren“,<br />

überschreibt Angiolina Arru ihren Artikel darüber, wie Frauen <strong>im</strong> Rom <strong>des</strong> 18. und 19.<br />

Jahrhunderts, die nach dem Tod ihres Ehemannes über die Mitgift verfügen konnten, sich<br />

durch Schenkungen und Kredite langfristig finanzielle Vorteile sicherten, auch wenn sie sich<br />

dadurch in Abhängigkeit von Verwandten begaben. Sie weist in diesem Zusammenhang auf<br />

die Wichtigkeit hin, die Wechselfälle einer Mitgift über den ganzen Lebensverlauf hinweg zu<br />

betrachten. 274<br />

Der Zweck eines Heiratsgutes lag in einer finanziellen Grundlage für den neuen Haushalt,<br />

insbesondere <strong>des</strong> beruflichen Aufstieges <strong>des</strong> Ehemannes, als Startkapital für ein Unternehmen<br />

oder als ein Zusatzeinkommen aus dem Fruchtgenuss. <strong>Die</strong> Frau hatte zwar Anspruch auf ihr<br />

Vermögen bzw. stand es noch in ihrem Eigentum, jedoch konnte sie nicht darüber verfügen,<br />

es selbständig vermehren, für ein eigenes Unternehmen einsetzen oder sonst in ihrem Sinne<br />

anlegen. Das Heiratsgut besaß vielmehr den Charakter einer Versorgungsreserve, für den Fall<br />

der Auflösung der Ehe durch Trennung oder Tod <strong>des</strong> Ehegatten. Sie war also für die Ehefrau<br />

eine Rücklage, wenn auch eine unverzinste, in Bezug auf deren sinnvolle Verwendung sie<br />

ihrem Ehemann vertrauen musste.<br />

Laut zu Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts gültiger Rechtslage diente das Heiratsgut „dem Manne<br />

zur Erleichterung <strong>des</strong> mit der ehelichen Gesellschaft verbundenen Aufwan<strong>des</strong>“. 275 Es war für<br />

ihn so etwas wie ein zinsenfreier Kredit mit – präsumtiver – langer Laufzeit. Da angenommen<br />

wurde, dass der Ehemann, ungeachtet der tatsächlichen Situation, allein für das Einkommen<br />

der Familie aufkam, war er verpflichtet, den Lebensstandard seiner Frau und gegebenenfalls<br />

der Kinder sicher zu stellen. 276 Das Heiratsgut war eine Investition in diese seine Fähigkeit,<br />

für den stan<strong>des</strong>gemäßen Unterhalt seiner Gattin sorgen zu können, auf der Basis<br />

uneingeschränkten Vertrauens und um den Preis der völligen Abhängigkeit vom finanziellen<br />

272<br />

Th. Korten: Wie bekommt man ohne Mitgift einen Mann? Ein kleines <strong>Buch</strong> für junge Damen, Wien 1916, S.<br />

3.<br />

273<br />

Z. B. der Gisela-Verein zur Ausstattung heiratsfähiger Mädchen“, siehe eine Polemik von Franz Eberhart-<br />

Perin: <strong>Die</strong> Wahrheit über den Verein zur Ausstattung heiratsfähiger Mädchen „Gisela“, Wien 1888.<br />

274<br />

Angiolina Arru: „Schenken heißt nicht verlieren“. Kredite, Schenkungen und die Vorteile der Gegenseitigkeit<br />

in Rom <strong>im</strong> 18. und 19. Jahrhundert, in: L’Homme, 9. Jg., 1998/2, S. 232-251, S. 235.<br />

275<br />

ABGB §1218<br />

276<br />

Er konnte allerdings von ihr eine Mithilfe verlangen. <strong>Die</strong> Unterhaltspflicht <strong>des</strong> Mannes bestand ungeachtet<br />

der Tatsache, ob ein Heiratsgut übergeben worden war oder nicht.<br />

107


Geschick <strong>des</strong> Mannes, dieses Heiratsgut auch gewinnbringend verwenden zu können, da der<br />

Mitgiftgeberin gesetzlich keinerlei Mitspracherecht bei der Verwendung <strong>des</strong> Heiratsgutes<br />

zustand.<br />

<strong>Die</strong> Beschränkung <strong>des</strong> ökonomischen Handlungsspielraumes der Ehefrau war eine doppelte,<br />

zunächst das Abgeben der Verfügungsgewalt über das Heiratsgut und schließlich eine<br />

mögliche Reduktion <strong>des</strong> elterlichen Erbes. Wurde das Heiratsgut in die Erbmasse<br />

eingerechnet, das heißt abgezogen, verminderte sich der Erbteil, über den die Erbin (<strong>im</strong><br />

Gegensatz zum Heiratsgut) frei verfügen konnte. Der geschlechterdemokratische Effekt <strong>des</strong><br />

Erbrechtes wurde dadurch unterlaufen. Das Heiratsgut galt als Vorauszahlung <strong>des</strong> Erbes, doch<br />

es blieb dem Erblasser, testamentarisch zu verfügen, ob das Heiratsgut vom Erbe abgezogen<br />

werden sollte oder nicht. Als Bernhard Geyerhahn 1923 sein Testament aufsetzte, waren seine<br />

beiden Töchter Paula (verehelichte Loeb) und Regina bereits seit 13 bzw. neun Jahren mit<br />

einer Mitgift ausgestattet, verheiratet. Er best<strong>im</strong>mte ausdrücklich, dass diese Vorausempfänge<br />

nicht einzurechnen seien, und auf die Töchter entfiel wie auf die Söhne derselbe Anteil ohne<br />

Abzüge. Auf dieser Seite war die freie Verfügung über Kapital ebenfalls eine doppelte, durch<br />

Erbe und Heirat.<br />

Es besteht die Möglichkeit, von Seiten <strong>des</strong> Bräutigams oder eines Dritten, mit einer<br />

„Widerlage“ das Heiratsgut zu vermehren. 277 Dabei handelt es sich um eine Zuzahlung zum<br />

Heiratsgut, an der die Ehegattin während der Ehe zwar ebenfalls keinen Fruchtgenuss hat, die<br />

jedoch nach dem Tode <strong>des</strong> Mannes automatisch, wie das Heiratsgut, in ihr Eigentum<br />

übergeht. Gedacht ist die Widerlage als Kompensation für den entgehenden Fruchtgenuss am<br />

Heiratsgut und für die Versorgung der Witwe, zusammen mit der Mitgift soll sie den<br />

angemessenen Lebensunterhalt, so wie bisher, ermöglichen. 278 Bei den untersuchten Fällen<br />

kam die Widerlage nur in zwei Fällen vor, bei den Eltern von Richard Deutsch und jenen von<br />

Otto Klein. Nach dem Tod von Franz Josef Klein, dem Vater von Otto Klein, wurden in der<br />

Verlassenschaft die Heiratsgutforderung seiner Witwe Louise Klein, geb. Brandl, in der Höhe<br />

von 8.000 K und die Widerlagsforderung von 6.000 K aus der Erbmasse ausgeschieden. <strong>Die</strong><br />

Widerlage fand offenbar weit weniger Verbreitung als das Heiratsgut, sie blieb eher die<br />

Ausnahme. Heinrich Deutsch, der Vater von Richard Deutsch, verdoppelte das Heiratsgut<br />

seiner Frau Regine, geb. Deutsch, von 5.000 Gulden (=10.000 Kronen). Auf eine<br />

277 ABGB §1230.<br />

278 Ursula Floßmann: Österreichische Privatrechtsgeschichte, Wien/New York 2008 (6., aktualisierte Auflage),<br />

S. 98.<br />

108


Morgengabe, wie sie ebenfalls <strong>im</strong> ABGB erwähnt ist, findet sich in keinem der hier<br />

analysierten Ehepakte ein Hinweis. <strong>Die</strong> Morgengabe ist „das Geschenk, welches der Mann<br />

seiner Gattin am ersten Morgen zu geben verspricht“. 279<br />

<strong>Die</strong> Verpfändung der Mitgift in Form eines Darlehens an ein Unternehmen oder auch einer<br />

Hypothek auf einer Liegenschaft ist eine Form der Sicherstellung zur Festigung der<br />

Rechtsansprüche der Ehefrau und zur leichteren Realisierung. <strong>Die</strong> Ehefrau kann eine solche<br />

Sicherstellung bereits bei der Übergabe <strong>des</strong> Heiratsgutes verlangen oder wenn der Ehemann<br />

bzw. sein Unternehmen in Konkurs zu gehen droht. In den zwölf Fallbeispielen von<br />

Unternehmen finden sich drei Personen, Paula Loeb, Julie Klein und Käthe Steiner, die in<br />

ihrer Vermögensanmeldung eine Darlehensforderung an die Firma <strong>des</strong> Ehegatten deklarierten.<br />

Paula Geyerhahn verehelichte Loeb gab in ihrer Vermögensanmeldung ihre Mitgift als<br />

Forderung von 6.605 RM gegenüber der Firma ihres Mannes, der Speditionsgesellschaft<br />

Wilhelm Loeb & Benedikt Schwarz Nfg., an. Interessant ist hier, dass Paula Loeb ihre<br />

Forderung nicht bei ihrem Ehemann, sondern be<strong>im</strong> Unternehmen geltend zu machen hatte, die<br />

Forderung blieb also selbst bei einem Besitzerwechsel aufrecht. So wie es sich in der VA<br />

darstellt, ist die Mitgiftforderung das bedeutendste Vermögen, das Paula Loeb besaß, daneben<br />

gab sie Teppiche, Silberwaren und Schmuck <strong>im</strong> Wert von rund 5.600 RM an.. Ihr Ehemann<br />

war Alleininhaber der Firma, sie selbst hatte keine anderen Anteile. 280 Für das Unternehmen<br />

stellte diese Forderung nur einen geringen Wert dar, sie wurde per 27. April 1938 mit 130.964<br />

RM bewertet. 281 Für Paula Geyerhahn wirkte sich die Investition ihrer Mitgift in die Spedition<br />

ihres Mannes ungünstig aus, die Firma wurde von den Nationalsozialisten arisiert. Tatsächlich<br />

wurde diese Forderung bei der Arisierung <strong>des</strong> Unternehmens mit 1.500 RM verglichen, „weil<br />

sie [Paula Loeb] nicht beweisen konnte, ob es sich bei diesem Betrag nicht um einen unter<br />

ihrem Namen laufenden, in Wirklichkeit aber ihrem Manne (dem Komm.Rat. Loeb)<br />

zustehenden Kapitalsbetrag handelt, der ohnehin <strong>im</strong> Wege der Gesamtregelung anlässlich der<br />

Übernahme <strong>des</strong> Betriebes bereinigt wurde.“ 282<br />

Otto Klein besaß gemäß seiner Vermögensanmeldung als Aktionär der Klein & Brandl AG<br />

Wertpapiere in der Höhe von 400.000 RM. 283 Seine Gattin Juli, geb. Müller, gab in ihrer<br />

279 ABGB §1232.<br />

280 ÖSTA/AdR/06 VVSt 11.280.<br />

281 ÖSTA/AdR/06 VVSt 11.279.<br />

282 ÖSTA/AdR/06 VVSt 11.279, internes Schreiben vom 16. Dezember 1938.<br />

283 ÖSTA, AdR, 06, VVSt 20.040.<br />

109


Vermögensanmeldung ein Darlehen von 91.657,93 RM an dieses Unternehmen an. Ob es sich<br />

dabei tatsächlich um ihre Mitgift handelt, kann aber nur vermutet werden, da eindeutige<br />

Belege dafür fehlen. Zwar verfügte sie mit Schmuck und Kunstgegenständen <strong>im</strong> Wert von<br />

150.000 RM über weiteres Vermögen, doch die Forderung macht <strong>im</strong>merhin mehr als ein<br />

Drittel ihrer angegebenen Vermögenswerte aus.<br />

<strong>Die</strong> Ehefrau von Friedrich Steiner, Käthe Steiner, geb. Wortmann, hatte ein verzinsliches<br />

Darlehen in der Höhe von 6.366,60 bei der Firma ihres Mannes, Neuron & Steiner,<br />

Schuhgroßhandel, deren Hälfteeigentümer und Gesellschafter er war. 284 <strong>Die</strong> Kapitaleinlage<br />

Friedrich Steiners betrug 10.251 RM. 285 <strong>Die</strong> Forderung der Ehefrau an die Firma, von der nur<br />

angenommen werden kann, dass es die Mitgift ist, ist als mehr als halb so hoch wie der<br />

Gesellschafteranteil ihres Gatten und stellt in diesem Verhältnis einen wichtigen Kapitalanteil<br />

<strong>des</strong> Unternehmens dar. Käthe Steiner verfügte mit Wertpapieren <strong>im</strong> Wert von ca. 5.000 RM<br />

und Schmuck und anderen Kunstgegenständen in etwa derselben Höhe über weiteres eigenes<br />

Vermögen.<br />

<strong>Die</strong> Höhe und die Bedingungen für die Übergabe <strong>des</strong> Heiratsgutes und seine weitere<br />

Verwendung wurden in Eheverträgen festgelegt, die Übergabe war aber auch ohne<br />

Notariatsakt gültig. <strong>Die</strong>se Eheverträge wurden <strong>im</strong> Handelsregister hinterlegt. So einen<br />

Ehevertrag schlossen 1912 Hilda Siebenschein, Private, und Oskar Fantl, öffentlicher<br />

Gesellschafter der Firma Fantl & Pick, Erzeugung ätherischer Öle und Essenzen, und<br />

gebrannter geistiger Flüssigkeiten und Essenzen in Wien 18., Kreuzgasse 10. Hilda<br />

Siebenschein übergab anlässlich ihrer Verehelichung dem Bräutigam „aus ihrem Vermögen<br />

als Heiratsgut einen baren Betrag per 90.000 Kronen“. Der Ehevertrag enthält keinen<br />

Hinweis, wie Hilda Siebenschein in den Besitz dieses Gel<strong>des</strong> kam, andere Personen als die<br />

beiden Eheleute werden nicht erwähnt. Hilda Siebenschein war zu diesem Zeitpunkt erst 19<br />

Jahre alt, war zuvor vom Bezirksgericht Kremsier per Dekret für großjährig und<br />

eigenberechtigt erklärt worden. Wäre das nicht geschehen, hätte ihr Vater oder ein Vormund<br />

an ihrer Stelle den Ehevertrag abschließen müssen. 286 Neben dem erwähnten Heiratsgut<br />

brachte Fräulein Siebenschein eine komplette Wohnungs- und Kücheneinrichtung und<br />

sonstige Fahrnisse mit in die Ehe, ihr ausschließliches Eigentum an diesen Gegenständen wird<br />

von Herrn Fantl ausdrücklich bestätigt. In allen untersuchten Verlassenschaften war die<br />

284 ÖSTA, AdR, 06, VVSt 37.741.<br />

285 ÖSTA, AdR, 06, VVSt 37.740.<br />

286 ABGB § 1219.<br />

110


Wohnungseinrichtung der Ehefrau gehörig und war Bestandteil <strong>des</strong> Standardinventars bei der<br />

Eheschließung. In dem Ehevertrag wird weiters vermerkt, dass die künftige Gattin Hilda<br />

Siebenschein berechtigt ist, jederzeit, auch wenn über das Vermögen ihres Gatten Oskar Fantl<br />

Konkurs eröffnet würde, „eine angemessene Sicherstellung <strong>des</strong> Heiratsgutes zu fordern und in<br />

Ausführung zu bringen.“ Wobei eine Sicherstellung nicht Rückgabe bedeutete, es sollten<br />

damit vor allem Ansprüche gegenüber anderen Gläubigern geltend gemacht werden. 287 <strong>Die</strong>s<br />

entspricht den gesetzlichen Richtlinien laut § 1245. Es wurden weiters Abmachungen für den<br />

Fall der Trennung oder Scheidung getroffen. 288 Oskar Fantl verpflichtete sich, bei Anstreben<br />

einer Scheidung oder Trennung, aus welchen Gründen auch <strong>im</strong>mer, sofort aus der<br />

gemeinsamen Wohnung auszuziehen und bis zu einer rechtskräftigen Scheidung oder<br />

Trennung der Ehe an Hilda Fantl eine provisorische monatliche Al<strong>im</strong>entation von 400 K zu<br />

überweisen. Bei Scheidung oder Trennung der Ehe verpflichtete sich der Ehegatte, ungeachtet<br />

wer von beiden die Schuld trug, das Heiratsgut bar und unverkürzt an Hilda Fantl zurück zu<br />

stellen. <strong>Die</strong>s war eine für Hilda Fantl vorteilhaftere Regelung, als es das Gesetz vorsah.<br />

Oskar Fantl baute mit der Mitgift von 90.000 K die Firma Fantl & Pick zwar nicht neu auf, sie<br />

bestand schon seit 1880, doch verwendete er den Geldbetrag „größtenteils <strong>im</strong> Interesse <strong>des</strong><br />

Geschäfts“, wie in seiner Verlassenschaftabhandlung konstatiert wurde. Als er am 23. August<br />

1933 starb, war er der alleinige Inhaber <strong>des</strong> Unternehmens. Das Heiratsgut wurde mit 45.000<br />

Schilling beziffert, was gegenüber den 90.000 Kronen eine leichte Aufwertung bedeutete, die<br />

eben <strong>des</strong>halb vorgenommen wurde, weil, so stellte das Bezirksgericht Döbling fest, das<br />

Heiratsgut in das Geschäft geflossen war. Es bleibt zu fragen, was die Beweggründe <strong>des</strong><br />

Gerichtes waren, die Verwendung <strong>des</strong> Heiratsgutes die Berechnung beeinflussen zu lassen. Es<br />

ist zunächst zu vermuten, dass die Witwe Hilda Fantl, als nunmehrige Gesellschafterin und<br />

Geschäftsführerin, die 45.000 Schilling <strong>im</strong> Unternehmen zu belassen gedachte und eine<br />

solche Stärkung <strong>des</strong> Unternehmens durchaus <strong>im</strong> Interesse der Obrigkeit <strong>im</strong> Sinne einer<br />

positiven Wirtschaftsentwicklung lag. Eine Entnahme <strong>des</strong> Heiratsgutes hätte den Kapitalwert<br />

der Firma drastisch dez<strong>im</strong>iert. Oskar Fantls Nachlassinventar von 1933 bezifferte den Wert<br />

<strong>des</strong> Unternehmens mit 72.000 Schilling. <strong>Die</strong> Forderung Hilda Fantls an das Unternehmen in<br />

Form <strong>des</strong> Heiratsgutes machte zu diesem Zeitpunkt über 60 Prozent <strong>des</strong> Gesamtwertes der<br />

Firma aus. Hilda Fantl hatte mit dem Heiratsgut nicht nur ihr eigenes Kapital gesichert,<br />

287 ABGB § 1260.<br />

288 Unter Ehetrennung wird die Auflösung einer gültigen Ehe „dem Bande nach“ verstanden, also das was nach<br />

heutigem Rechtsverständnis eine Scheidung ist. Eine Scheidung hingegen bedeutete nach ABGB § 103 lediglich<br />

die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft von Tisch und Bett.<br />

111


sondern auch die Prosperität der Firma ihres Mannes gewährleistet. Durch ihr vermutlich <strong>im</strong><br />

Unternehmen gebliebenes Heiratsgut und den ihr gesetzlich zustehenden Erbanteil von einem<br />

Viertel wäre sie eigentlich Mehrheitseigentümerin gewesen, in ihrer Vermögensanmeldung<br />

von 1938 ist aber nur der Anteil von einem Viertel angegeben. 289 Allerdings hielt Frau Fantl<br />

bei der Budapester Firma „Fantl és Pick“ einen ¼-Anteil, den sie <strong>im</strong> April 1938 mit 2.500,00<br />

Pengö bezifferte, und den sie in einem Schreiben vom Dezember 1938 als zwischenzeitlich<br />

wertlos bezeichnete. Weiter nannte sie eine Forderung an diese Firma von 1.516,66 RM.<br />

Waren diese Anteile bzw. Forderungen das Heiratsgut? Da die Budapester Firma in der<br />

Verlassenschaft nach Oskar Fantl nicht genannt wurde, ist diese Frage nicht zu beantworten.<br />

Das österreichische Unternehmen wurde verkauft, Hilda Fantls Erlös betrug 1.125,50 RM,<br />

dass sie darüber verfügen konnte, ist unwahrscheinlich, da „Juden“ und „Jüdinnen“ bald der<br />

Zugriff auf ihre Konten verwehrt war und nur kleine Beträge für den alltäglichen Bedarf<br />

abgehoben werden durften.<br />

Sie wurde nach dem Tod ihres Mannes Geschäftsführerin <strong>des</strong> Unternehmens, ihre zwei<br />

Söhne, Felix und Walter, waren 1933 noch minderjährig, hatten aber Anteile am<br />

Unternehmen von ihrem Vater geerbt. Auch als die Söhne volljährig waren, leitet Hilda Fantl<br />

weiterhin die Firma, bis sie 1938 enteignet wurde. Hilda Fantl behielt ihre Führungsfunktion<br />

als „Handelsfrau“, obwohl ihr Sohn Felix Fantl bereits einige Jahre <strong>im</strong> Unternehmen tätig<br />

gewesen war. 290 Sie war somit keine Platzhalterin für ihre minderjährigen Kinder und<br />

entsprach hiermit nicht dem gängigen Muster.<br />

<strong>Die</strong> Aussage Marion Kaplans, dass das Heiratsgut den wichtigsten Faktor der<br />

Vermögensbildung von Ehefrauen darstellte, kann für Paula Loeb und Hilda Fantl bestätigt<br />

werden. 291 Paula Loeb hatte 2.627,79 S in Form von Bankguthaben geerbt, ihre Forderung an<br />

die Firma ihres Mannes war wie erwähnt der höchste Posten in der Vermögensanmeldung.<br />

Der Einfluss von Heiratsgütern auf den Vermögensstatus von Frauen in Form einer Forderung<br />

ist jedoch nur in Einzelfällen nachweisbar. Im Falle Hilda Siebenschein, verehel. Fantl, ist<br />

hinzuzufügen, dass ihr Heiratsgut auch für das Vermögen und die Unternehmensentwicklung<br />

ihres Gatten Oskar Fantl eine fundamentale Bedeutung hatte, die weit über ein Startkapital<br />

hinausging. Dasselbe trifft für die Heiratsgüter von Juli Müller, verehel. Klein, und Käthe<br />

289 ÖSTA, AdR, 06, VVSt. 36.661.<br />

290 BG Döbling, 9 A 383/1936.<br />

291 Marion A. Kaplan: Introduction, in: Marion A. Kaplan (Hg.): The Marriage Bargain: Women and Dowries in<br />

European History, (Women & History 10), New York 1985, S. 2.<br />

112


Wortmann, verehel. Steiner, zu, die Mitgiftzahlungen an ihre Ehemänner brachten<br />

beträchtliches Kapital in die Unternehmen. Neben der Frage nach der Bedeutung für die<br />

persönliche Vermögensbildung ist auch, und viel stärker, die Frage nach der Bedeutung von<br />

Heiratsgütern für die Prosperität von Unternehmen zu stellen.<br />

Ehepaar und Compagnie<br />

Abgesehen von der Bedeutung <strong>des</strong> Heiratsgutes für die Prosperität der Unternehmen ihrer<br />

Ehemänner deutet nichts darauf hin, dass Paula Loeb und Hilda Fantl in denselben eine<br />

offizielle Funktion wie die einer Gesellschafterin oder Prokuristin bekleideten. Eine<br />

(unbezahlte) Mitarbeit <strong>im</strong> Unternehmen geht aus den mir zur Verfügung stehenden Quellen<br />

nicht hervor. Nur bei zwei der hier vorgestellten Unternehmen <strong>sind</strong> dezidiert Ehepaare die<br />

gemeinsamen Eigentümer, eine für diese Zeit seltene Formation, wie ein Blick in die<br />

Registerbände <strong>des</strong> Handelsgerichts bestätigt.<br />

<strong>Die</strong> Firma Sigmund Bodansky Papier en gros und Export stand 1938 je zur Hälfte <strong>im</strong><br />

Eigentum der Eheleute Sigmund und Friederike Bodansky, geb. Weissenstein. <strong>Die</strong> Firma<br />

bestand seit 1901, und bis min<strong>des</strong>tens 1915 war Sigmund Bodansky alleiniger Inhaber <strong>des</strong><br />

damals noch nicht protokollierten Geschäftes. Sigmund und Friederike Bodansky hatten <strong>im</strong><br />

Jahr 1904 geheiratet, es bestand also kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der<br />

Eheschließung und ihrem Eintritt in die Firma. <strong>Die</strong> Bodanskys erwarben zusammen 1927 eine<br />

Liegenschaft in der Schottenfeldgasse. 292 Friederike Bodanskys Vater, Gustav Weissenstein,<br />

verstarb 1930, ohne ein Vermögen zu hinterlassen, ihre Mutter, Bertha Weißenstein, geb.<br />

Winterstein, starb erst nach 1938, sie hatte der Firma ihrer Tochter ein Darlehen gegeben. 293<br />

Das bedeutet, Friederike Bodansky hatte ihr Kapital nicht aus einer Erbschaft; woher es<br />

stammte und welche Bedeutung das Darlehen ihrer Mutter hatte, bleibt unklar.<br />

Gertrude Wang, geb. Igel, gab in ihrer Vermögensanmeldung einen nicht näher spezifizierten<br />

Anteil an der S<strong>im</strong>on Wang OHG an. Zu ihrem Gatten Emil Wang gibt es keine<br />

Vermögensanmeldung, er wurde nach <strong>Buch</strong>enwald deportiert, wo er <strong>im</strong> Jänner 1939<br />

292 EZ 932, KG Neubau.<br />

293 ÖSTA, AdR, 06, VVSt. 37.390.<br />

113


verstarb. 294 Gertrude Wang emigrierte nach 1938 nach Südamerika. 295 <strong>Die</strong> S<strong>im</strong>on Wang<br />

OHG, ein Fleischkommissionshandel mit Fleischhauerei in der Großmarkthalle in Wien<br />

Landstraße, war 1920 von S<strong>im</strong>on Wang, dem Schwiegervater Gertrude Wangs, eröffnet<br />

worden. 296 Drei Jahre später traten die beiden Söhne Siegfried und Emil, der spätere Ehemann<br />

von Gertrude Igel, als Prokuristen in die Firma ein. Siegfried war laut Firmenbuchakten<br />

Bankbeamter und Emil war Kaufmann von Beruf. Ersterer schied 1924 bereits wieder aus<br />

dem Unternehmen aus. <strong>Die</strong> Firma musste 1926 den Ausgleich anmelden und wurde <strong>im</strong> Jahr<br />

darauf unter demselben Namen wieder ins Handelsregister eingetragen, diesmal als Offene<br />

Handelsgesellschaft, und Emil Wang wurde neben seinem Vater S<strong>im</strong>on Wang Gesellschafter.<br />

<strong>Die</strong>ser starb am 21. Februar 1933. Emil Wang trat als Alleinerbe <strong>des</strong> Unternehmens auf,<br />

Ansprüche seiner Schwester Viktoria Frost und seines Bruders Siegfried <strong>sind</strong> <strong>im</strong><br />

Schriftverkehr <strong>des</strong> Handelsgerichts nicht vermerkt. Das Ableben S<strong>im</strong>on Wangs hatte eine<br />

Neustrukturierung <strong>des</strong> Unternehmens zur Folge, zu dem verbleibenden Emil Wang traten<br />

seine Frau Gertrude Wang und der Fleischhauer Johann Fach als GesellschafterInnen zu je<br />

gleichen Teilen in das Unternehmen ein. Mit Johann Fach wurde die durch den Tod S<strong>im</strong>on<br />

Wangs weg gefallene Fleischhauerbefähigung ersetzt. Gleichzeitig wurde der<br />

Betriebsgegenstand <strong>des</strong> Fleischkommissionshandels durch den der Fleischhauerei ergänzt,<br />

eine Formalität, da S<strong>im</strong>on Wang dieses Gewerbe schon früher angemeldet und ausgeübt hatte,<br />

diese Anmeldung jedoch, laut Aussage der drei GesellschafterInnen, aufgrund der<br />

Eintragungsänderungen der vergangenen Jahre nicht <strong>im</strong> Handelsregister aufgeschienen war.<br />

Der Name S<strong>im</strong>on Wang OHG wurde weitergeführt. <strong>Die</strong> Person, um die es hier vor allem geht,<br />

Gertrude Wang, wurde also erst 1934 Gesellschafterin. Ihre Übernahme der Funktion als<br />

Gesellschafterin ist mit dem Tod <strong>des</strong> Firmengründers und Teilhabers verbunden, nicht mit<br />

ihrer Rolle in der Familie Wang, offenbar haben weder ihr Heiratsgut noch ein Erbteil von<br />

ihrer Seite (ihre Eltern waren 1934 noch am Leben) diesen Schritt beeinflusst. <strong>Die</strong> Quellen<br />

geben keine Auskunft darüber, ob Gertrude Wang schon vor ihrem Eintritt als<br />

Gesellschafterin <strong>im</strong> Unternehmen tätig war, ihre Berufsbezeichnung <strong>im</strong> Eintragungsakt <strong>des</strong><br />

Handelsregisters, als Handelsfrau, legt allerdings den Schluss nahe. Ihre Position mag nicht<br />

unbedeutend gewesen sein, ersetzte sie doch den Firmengründer in kaufmännischen<br />

Belangen, während der Fleischhauer den handwerklichen Part übernahm. Dass sie tatsächlich<br />

294 DÖW, Shoah-Opfer, 57.757.<br />

295 ÖSTA, AdR, 06, VVSt. 29.880.<br />

296 HG Wien, A 52/211.<br />

114


<strong>im</strong> Betrieb in leitender Funktion arbeitete, geht aus der Korrespondenz ihrer<br />

Vermögensanmeldung hervor. 297 <strong>Die</strong> Firma wurde am 24. Mai 1938 gelöscht.<br />

Auch wenn wir nicht wissen, was genau die Bodanskys und Wangs bewog, die<br />

Geschäftsführung als Ehegemeinschaft zu übernehmen bzw. was die Alleineigentümer dazu<br />

brachte, ihre Ehefrauen am Unternehmen zu beteiligen, so kann doch geschlossen werden,<br />

dass finanzielle Gründe dahinter standen. Transferzahlungen werden in der Regel nicht<br />

offiziell vermerkt und <strong>sind</strong> <strong>des</strong>halb nicht festzustellen.<br />

297 ÖSTA, AdR, 06, VVSt. 29.880.<br />

115


9 NS-Entzug und Restitution<br />

„Am Firmament der Wirtschaft leuchten dieselben Sterne wie an dem <strong>des</strong> politischen<br />

Lebens, <strong>des</strong> sozialen Geschehens und <strong>des</strong> kulturellen Wirkens.“ 298 Vermögensentzug als<br />

Bestandteil der NS-Ideologie<br />

Nach dem 12. März 1938 setzten die Nationalsozialisten in Österreich ihre Pläne zur<br />

Vertreibung der „Juden“ aus dem gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben<br />

mit einer Geschwindigkeit in die Tat um, die <strong>im</strong> „Altreich“ nicht erreicht worden war. Wien,<br />

mit der drittgrößten jüdischen Gemeinde in Europa und wo die meisten der österreichischen<br />

„Juden“ wohnhaft waren, avancierte zum Vorbild für das gesamte Dritte Reich. 299 Es ist<br />

kennzeichnend, für die „Modellstadt“ Wien, dass sich die Ausgrenzung und Enteignung der<br />

„Juden“ und „Jüdinnen“ nicht <strong>im</strong> Verborgenen, sondern öffentlich, unter Teilhabe der<br />

Bevölkerung abspielte. Fotos, auf denen Männer und Frauen, umringt von Schaulustigen, auf<br />

Knien be<strong>im</strong> Wegputzen von Parolen auf dem Gehsteig zu sehen <strong>sind</strong>, <strong>sind</strong> ins visuelle<br />

Gedächtnis eingegangen. Solche und ähnliche Bilder zeigen, dass die Enteignungen,<br />

beginnend mit der Kennzeichnung „Jud“ am Geschäftseingang, mit öffentlichen<br />

demütigenden Handlungen einhergingen, ganz zu schweigen von den tatsächlichen<br />

Enteignungen. 300<br />

In der Anfangszeit nach dem Anschluss kam es zu so genannten „wilden Arisierungen“, bei<br />

denen Parteistellen oder Gestapobeamte in Eigenregie auf Raubzug gingen und<br />

Privatpersonen sich die Besitztümer ihrer „jüdischen“ Nachbarn aneigneten, auch politisch<br />

missliebige Personen und Vereine wurden ausgeplündert. Mit den gestohlenen Möbeln und<br />

ähnlichem wurden Parteihe<strong>im</strong>e eingerichtet; Pretiosen und Kunstgegenstände gingen als<br />

298 Walter Rafelsberger u.a.: Wirtschaftsbetreuung in der Ostmark, Berlin/Wien 1939, S. 12.<br />

299 Hans Safrian: Beschleunigung der Beraubung und Vertreibung. Zur Bedeutung <strong>des</strong> „Wiener Modells“ für die<br />

antijüdische Politik <strong>des</strong> „Dritten Reiches“ <strong>im</strong> Jahr 1938, in: Constantin Goschler and Jürgen Lillteicher (Hg.):<br />

„Arisierung“ und Restitution. <strong>Die</strong> Rückerstattung jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich nach 1945<br />

und 1989, Göttingen 2002, S. 61-89. Auch Saul Friedländer spricht von einem „Modell Österreich“, wenn auch<br />

mit Fragezeichen: Saul Friedländer: Das Dritte Reich und die Juden. <strong>Die</strong> Jahre der Verfolgung 1933-1939,<br />

München 1998, S. 262-290.<br />

300 Vgl. Evan Burr Bukey: Hitlers Österreich. „Eine Bewegung und ein Volk“, Hamburg/Wien 2001, S. 195-198;<br />

siehe auch Hans Safrian, Hans Witek: Und keiner war dabei. Dokumente <strong>des</strong> alltäglichen Antisemitismus in<br />

Wien 1938, (Erw. Neuauflage) Wien 2008.<br />

116


selbst zugewiesene „Wiedergutmachung“ für die erlittene Unbill während der „Verbotszeit“<br />

an vormals illegale Nationalsozialisten. <strong>Die</strong> Behörden setzten aber alles daran, diese Praktiken<br />

zu unterbinden, da Eigentumsübergänge ohne obrigkeitliche Kontrolle nicht in ihrem<br />

Interesse lagen. „Arisierungen“ von kleinen und großen Vermögenswerten sollten unter<br />

behördlicher Aufsicht und verbunden mit steuerlichen Abgaben vonstatten gehen, zu diesem<br />

Zweck wurde die Enteignung auf gesetzliche Grundlagen gestellt und in Wien eigens die<br />

Vermögensverkehrsstelle eingerichtet. <strong>Die</strong> „wilden Arisierungen“ wurden jedoch <strong>im</strong><br />

Nachhinein noch legalisiert. 301 Der oft verwendete Begriff “Vermögensraub” vermag zwar<br />

das moralische Unrecht besser auszudrücken, in jüngerer Zeit wird jedoch die Bezeichnung<br />

Vermögensentzug bevorzugt, um deutlich zu machen, dass es sich <strong>im</strong> rechtlichen Sinne nicht<br />

um <strong>Die</strong>bstahl, also um einen Straftatbestand, handelt, sondern, dass diese Vorgänge durchaus<br />

auf einer Gesetzgebung basierten, dass Unrecht zum Recht wurde. Große Teile der<br />

Bevölkerung beteiligten sich an diesem legalisierten Raub, „Ariseure“ mussten nicht erst<br />

gesucht werden. Abgesehen von den behördlichen Auflagen und anderer Zahlungen, waren<br />

die Kaufpreise, je nach Kategorie, wahre Schnäppchen. 302 <strong>Die</strong> Firma Sigmund Bodansky,<br />

Papierwarenhandlung, beispielsweise war von den InhaberInnen Sigmund und Friederike<br />

Bodansky mit 87.800 RM bewertet worden. <strong>Die</strong> Vermögensverkehrsstelle setzte hingegen<br />

den Kaufpreis, den die beiden „arischen Übernehmer“ Ernst Köhler und Gertrude Musil zu<br />

entrichten hatten, mit 11.508 RM auf einen Bruchteil der ursprünglichen Schätzung fest. Der<br />

Kaufpreis kam nicht in die Verfügungsgewalt der „Verkäufer “, sondern wurde direkt an die<br />

Steuerbehörden, zur Bezahlung der Reichsfluchtsteuer und anderer Abgaben, abgeführt. 303<br />

<strong>Die</strong> „Ariseure“ Ernst Köhler und Gertrude Musil machten sich durch diese Erwerbung, indem<br />

sie mit dem politischen System konform agierten, zu KomplizInnen <strong>des</strong> Reg<strong>im</strong>es. 304 <strong>Die</strong><br />

Behörden erzielten mit den kontrollierten „Arisierungen“ neben den Einnahmen auch den<br />

erwünschten Nebeneffekt, die politisch und „rassisch“ akzeptierte Bevölkerung an sich zu<br />

binden, und in letzter Konsequenz wurde die Verantwortung so mit der Bevölkerung geteilt.<br />

301 VO über den Einsatz <strong>des</strong> jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938.<br />

302 Inwieweit die so genannten „Arisierungsauflagen“ die niedrigen Kaufpreise nicht wieder aufhoben, muss<br />

dahingestellt bleiben. Wie an einem regionalen Beispiel <strong>im</strong> „Altreich“ dargestellt wird, waren in manchen Fällen<br />

die abzuführenden Abgaben an den Staat, Bestechungsgelder usw. so hoch, dass die „Arisierung“ vor allem von<br />

kleinen Betrieben letztlich eher ein Verlustgeschäft war. Dirk van Laak: <strong>Die</strong> Mitwirkenden bei der „Arisierung“.<br />

Dargestellt am Beispiel der rheinisch-westfälischen Industrieregion 1933-1940, in: Ursula Büttner (Hg.): <strong>Die</strong><br />

Deutschen und die Judenverfolgung <strong>im</strong> Dritten Reich, Hamburg 1992, S. 231-257, S. 248.<br />

303 ÖSTA, AdR, 06, VVSt 31.440.<br />

304 Vgl. Dirk van Laak: <strong>Die</strong> Mitwirkenden bei der „Arisierung“. Dargestellt am Beispiel der rheinischwestfälischen<br />

Industrieregion 1933-1940, in: Ursula Büttner (Hg.): <strong>Die</strong> Deutschen und die Judenverfolgung <strong>im</strong><br />

Dritten Reich, Hamburg 1992, S. 231-257, S. 249.<br />

117


<strong>Die</strong> „Arisierungen“ waren von staatswirtschaftlichen Erfordernissen geleitet, vor allem der<br />

Entzug von Unternehmen war Teil einer wirtschaftlichen Neustrukturierung, und in der Folge<br />

auch der Ausrichtung auf die Kriegswirtschaft. <strong>Die</strong> „Arisierung“ der Unternehmen hatte, nicht<br />

zuletzt wegen Engpässen in den Reichsfinanzen, gleich nach dem „Anschluss“ oberste<br />

Priorität. Der Vermögensentzug ist aber nicht allein als „haushaltärische Notmaßnahme“ 305<br />

von Seiten <strong>des</strong> Staates zur Lukrierung von Kapital zu sehen, er <strong>im</strong>plizierte auch die<br />

Zerstörung der bürgerlichen Identität, zu deren Fundament unter anderem die Rechtssicherheit<br />

in Bezug auf Eigentum gehörte, von den als „Juden“ Stigmatisierten. <strong>Die</strong> Unternehmen, allen<br />

voran die Handelsbetriebe, waren in der öffentlichen Wahrnehmung sehr präsent, deren<br />

Enteignung war ein sichtbarer Akt <strong>im</strong> nicht erst von der nationalsozialistischen Propaganda<br />

ausgerufenen Kampf gegen die hochgespielte „jüdische“ Dominanz <strong>im</strong> Wirtschaftsleben. Von<br />

Beginn an hatten die Nationalsozialisten die Warenhäuser als „sichtbare Repräsentation <strong>des</strong><br />

‚anonymen Kapitals’“ <strong>im</strong> Visier, weniger aus wirtschaftlichen Gründen, als um die St<strong>im</strong>men<br />

<strong>des</strong> Mittelstan<strong>des</strong> zu gewinnen. 306 Dabei griffen sie auf Kritikpunkte aus der<br />

Jahrhundertwende zurück, als die relativ neue Institution <strong>des</strong> Kaufhauses die<br />

Einkaufsgewohnheiten verändert hatte und zu einer Konkurrenz der kleinen Händler<br />

aufgestiegen war. Sowohl die große Anzahl der weiblichen Angestellten, die den Weg zu<br />

einem neuen weiblichen Berufsbild ebneten, als auch die vermeintliche Anonymisierung der<br />

Verkäufer-Kunden-Beziehung wie auch der Vorwurf, Massenware zu verkaufen, hatten<br />

Anstoß erregt. Kapitalismuskritik traf sich hier mit Antisemitismus, Vorurteile, die die<br />

Nationalsozialisten zwanzig Jahre später zu verwenden wussten. 307 <strong>Die</strong> Schließung der<br />

jüdischen Warenhäuser gehörte zum frühen Programm der NSDAP. Doch es kam anders,<br />

unter den kriegswirtschaftlichen Verhältnissen nützten die Nationalsozialisten die effiziente<br />

Struktur zur Lebensmittelverteilung für die Versorgung der Bevölkerung und der kämpfenden<br />

Truppen. 308 Das größte österreichische Warenhaus, die Gerngroß AG in der Mariahilfer<br />

Straße, wurde ebenfalls nicht geschlossen, sondern an eine deutsche Gruppe verkauft. 309 <strong>Die</strong><br />

Liegenschaften bargen zwar hohe Vermögen, waren ideologisch jedoch weniger befrachtet,<br />

305<br />

Zum Reichswirtschaftlichen Kontext der Arisierungen siehe Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg<br />

und nationaler Sozialismus, Frankfurt a. Main 2005, S. 210.<br />

306<br />

Heinrich Uhlig: <strong>Die</strong> Warenhäuser <strong>im</strong> Dritten Reich, Köln/Opladen 1956, S. 21.<br />

307<br />

Ebd.<br />

308<br />

Ebd. S. 183.<br />

309<br />

Zur „Arisierung“ der Gerngroß AG siehe Markus Priller in: Ulrike Felber, Peter Melichar, Markus Priller,<br />

Berthold Unfried und Fritz Weber: Ökonomie der Arisierung, Teil 2: Wirtschaftssektoren, Branchen,<br />

Falldarstellungen. (Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während<br />

der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich, Band 10/2) Wien/München,<br />

2004, S. 84-92.<br />

118


das Interesse der Nationalsozialisten an ihnen äußerte sich nicht weniger, aber etwas später. 310<br />

Der Vermögensentzug betraf prinzipiell alle Vermögenskategorien, die an dieser Stelle jedoch<br />

nicht näher ausgeführt werden können, dazu sei an die Arbeiten der Historikerkommission<br />

verwiesen.<br />

Neben den „Arisierungen“, bei denen Vermögenswerte in der Regel durch Kauf den/die<br />

BesitzerIn wechselten, gab es noch die Praxis der Liquidierungen, insbesondere bei<br />

Unternehmen, und die der behördlichen Entziehung. Bei letzterer kommt unter anderem die<br />

11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz zum Tragen, mit der das Deutsche Reich ab 1941<br />

Vermögenswerte einzog. 311 Mit dieser VO gingen alle „Juden“ und „Jüdinnen“, die sich <strong>im</strong><br />

Ausland befanden, ihrer deutschen Staatsangehörigkeit verlustig, ferner wurde ihr gesamtes<br />

Vermögen als dem Reich verfallen erklärt. 312 Rund 25% aller Liegenschaftsanteile in Wien<br />

wurden aufgrund dieser Verordnung eingezogen, betroffen waren eher weniger wertvolle<br />

Immobilien, tendenziell waren wertvolle Immobilien bereits früher per Kaufvertrag „arisiert“<br />

worden, ein Hinweis darauf, dass das NS-Reg<strong>im</strong>e höherwertige Liegenschaften bei der<br />

Entziehung prioritär behandelte und erst relativ spät auf kleinere Vermögenswerte zugriff. 313<br />

Das zwischen 1938 und 1945 entzogene Vermögen in Österreich ist, ebenso wie das damals<br />

vorhandene Vermögen der „jüdischen“ Bevölkerung, nicht bezifferbar. Je nach den zugrunde<br />

gelegten Zahlen bewegen sich Schätzungen seit den 1940er Jahren bis heute zwischen 2 und 3<br />

Mrd. RM. 314 Auch für die einzelnen Vermögenskategorien existieren bis dato keine<br />

310 In der Historiographie wiederholte sich diese Reihenfolge, die ersten historischen Arbeiten stützten sich<br />

ebenfalls vor allem auf Unternehmen, erst später mit der Historikerkommission wurden Vermögensentzug und<br />

Rückstellung für andere Vermögensbereiche umfassend aufgearbeitet. Gerhard Melinz, Gerhard Hödl:<br />

„Jüdisches“ Liegenschaftseigentum in Wien zwischen Arisierungsstrategien und Rückstellungsverfahren<br />

(=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit<br />

sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Band 13) Wien-München, 2004, S. 18-19.<br />

311 Auf andere Entziehungsarten wie Zwangsversteigerungen, der Entziehung als volks- und staatsfeindlichem<br />

Vermögen, der 4. VO <strong>des</strong> Reichprotektorates Böhmen und Mähren etc. wird hier nicht näher eingegangen.<br />

312 11. VO zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941.<br />

313 Gerhard Melinz, Gerhard Hödl: „Jüdisches“ Liegenschaftseigentum in Wien zwischen Arisierungsstrategien<br />

und Rückstellungsverfahren (=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission.<br />

Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich.<br />

Band 13) Wien-München, 2004, S. 64; Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich.<br />

(=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit<br />

sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Band 1) Wien/München 2004, S. 109.<br />

314 Das von Nehemiah Robinson 1944 für den Jüdischen Weltkongress berechnete Vermögen von 747 Mrd. RM<br />

(hier wurde von einer gleichen Vermögensverteilung zwischen „jüdischer“ und „nichtjüdischer“ Bevölkerung<br />

ausgegangen, bei einem „jüdischen“ Anteil von 2,8 %) wird heute als weit zu niedrig angesetzt betrachtet.<br />

Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 1) Wien/München 2004, S. 92-94.<br />

119


gesicherten Zahlen, weder für Unternehmen 315 noch für Liegenschaften oder Wertpapiere.<br />

Noch viel schwieriger als monetäre Werte zu berechnen, ist es, den <strong>im</strong>materiellen Wert für<br />

den jeweiligen Besitzer oder die Besitzerin zu ermessen oder die Konsequenzen <strong>des</strong><br />

materiellen Verlustes zu beschreiben, der gleichzeitig verlorene Handlungsspielräume,<br />

Verletzungen <strong>des</strong> Selbstwertgefühls und Infragestellen der persönlichen Identität bedeutete. 316<br />

<strong>Die</strong> Perspektive der Betroffenen<br />

Während in der jüngeren Forschung der Rolle von (nicht-jüdischen) UnternehmerInnen<br />

während <strong>des</strong> Nationalsozialismus <strong>im</strong> Spannungsfeld von wirtschaftlichen Interessen <strong>im</strong><br />

Gegensatz bzw. <strong>im</strong> Einklang mit politischer Hörigkeit in großem Umfang nachgegangen<br />

wird, 317 <strong>sind</strong> „Juden“ in der Wirtschaftshistoriographie selten als handelnde AkteurInnen zu<br />

finden. Der unter anderem von Ingo Loose aufgestellten Forderung, „die Geschichte der<br />

Juden nicht in erster Linie als Verfolgungsgeschichte und damit die Juden als Objekte der<br />

Geschichte wahrzunehmen, sondern als handelnde Subjekte“, ist vollinhaltlich<br />

zuzust<strong>im</strong>men. 318 <strong>Die</strong> Darstellung aus der Perspektive der „Juden“ und „Jüdinnen“ ist wichtig,<br />

um nicht in die Perspektive der Täter zu fallen, was stets die Gefahr der Identifikation mit den<br />

„Falschen“ birgt. Erschwert wird dieser kritische Zugang allein durch die Quellenlage,<br />

sämtliche Quellen zum Vermögensentzug stammen aus den Büros der NS-Behörden,<br />

vermögensrechtliche Angelegenheiten fanden nur selten Eingang in Egodokumente, das<br />

macht es schwer bis unmöglich, Handlungsspielräume von „Juden“ und „Jüdinnen“<br />

gegenüber dem NS-Verfolgungsapparat und der ihnen feindlich gesinnten Anhängerschaft in<br />

der Bevölkerung auszuloten.<br />

315 Zu den Schätzungswerten der Jahre 1938-1940 über die liquidierten und „arisierten“ Betriebe siehe:<br />

Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 1) Wien/München 2004, S. 98.<br />

316 Harald Welzer: Vorhanden/Nicht-Vorhanden. Über die Latenz der Dinge, in: Irmtrud Wojak, Peter Hayes<br />

(Hg.): „Arisierung“ <strong>im</strong> Nationalsozialismus. Volksgemeinschaft, Raub und Gedächtnis, (<strong>im</strong> Auftrag <strong>des</strong> Fritz<br />

Bauer Instituts), Frankfurt/NewYork 2000, 287-308, S. 287.<br />

317 Vgl. Lothar Gall, Manfred Pohl (Hg.): Unternehmen <strong>im</strong> Nationalsozialismus (Schriftenreihe zur Zeitschrift<br />

für Unternehmensgeschichte, Bd. 1) München 1998; Gerald D. Feldman: Historische<br />

Vergangenheitsbearbeitung. Wirtschaft und Wissenschaft <strong>im</strong> Vergleich (Forschungsprogramm „Geschichte der<br />

Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft <strong>im</strong> Nationalsozialismus; <strong>Ergebnisse</strong> 13) Berlin 2003.<br />

318 Ingo Loose: Das Bild ‚<strong>des</strong> Juden’ in der Historiographie zur NS-Wirtschaft <strong>im</strong> deutsch-polnischen Vergleich,<br />

in: Klaus Hödl (Hg.): Der ‚virtuelle Jude’. Konstruktionen <strong>des</strong> Jüdischen, Innsbruck/Wien/Bozen 2005, S. 23-40,<br />

S. 35.<br />

120


<strong>Die</strong> nationalsozialistische Ausgrenzungspolitik l<strong>im</strong>itierte das soziale Netzwerk der „Juden“<br />

und „Jüdinnen“ auf solche, die ebenfalls als solche kategorisiert wurden, sie waren auf sich<br />

gestellt. <strong>Die</strong>se Tendenz, „unter sich“ zu bleiben, war allerdings schon für viele zuvor durch<br />

den starken Antisemitismus forciert worden, mit dem Anschluss wurde dann die Ausgrenzung<br />

schlagartig verschärft. In dieser Situation waren Familien und die weitere Verwandtschaft,<br />

aber auch befreundete Familien, die sich in der gleichen Situation befanden, wichtig wie nie<br />

zuvor <strong>im</strong> Umgang mit den täglich stärker werdenden Repressalien, aber auch, wenn es darum<br />

ging, das Vermögen nicht ganz zu verlieren oder die Emigration zu ermöglichen. In den<br />

Unterlagen der VVSt finden sich auch ab und an Hinweise auf Unterstützungsleistungen<br />

zwischen Verwandten, etwa, indem darauf verwiesen wird, Zahlungen für die Ausreise von<br />

Angehörigen getätigt zu haben. <strong>Die</strong> gegenseitige finanzielle Unterstützung endete aber nicht<br />

mit der Emigration. <strong>Die</strong> Einwanderungsbest<strong>im</strong>mungen der USA, dem wichtigsten<br />

Aufnahmeland für „jüdische“ EmigrantInnen aus Österreich, verlangten finanzielle<br />

Sicherstellungen für die Einreisewilligen. <strong>Die</strong> Korrespondenzen bezüglich Affidavits,<br />

Schiffspassagen und Hilfspaketen in den Nachlässen <strong>im</strong> Leo Baeck Institute in New York<br />

zeugen von den Bemühungen von EmigrantInnen, ihre noch in Österreich bzw. Europa<br />

verbliebenen Verwandten herauszuholen und materiell zu unterstützen. 319 <strong>Die</strong> sozio-<br />

ökonomischen Interaktionen zwischen „Juden“ und „Nicht-Juden“, auch wenn die<br />

Handlungsspielräume der Ersteren noch so klein waren, <strong>sind</strong> ein noch kaum bearbeitetes Feld.<br />

Ob Familienunternehmen angesichts der Verfolgungen durch die Nationalsozialisten anderen<br />

Bedingungen gegenüberstanden als Einzelunternehmen ohne verwandtschaftliche<br />

Beteiligungen, stellt ebenfalls eine <strong>im</strong> Detail noch zu klärende Thematik dar, dies ist<br />

insbesondere von Interesse, wenn „arische“ Verwandte am Unternehmen beteiligt waren.<br />

Gleiches trifft auch auf Liegenschaftsanteile zu. Rund 1,6 % der Liegenschaftsanteile wurden<br />

durch Schenkungen oder Übergabe an „nicht-jüdische“ Verwandte übertragen, um sie so vor<br />

der Entziehung zu schützen. <strong>Die</strong> Frage ist, inwieweit diesen Vermögensübertragungen, vor<br />

allem, wenn dabei erbberechtigte „jüdische“ Verwandte übergangen wurden, nicht ebenfalls<br />

der Charakter einer Entziehung innewohnte. <strong>Die</strong> Restitutionsstellen erkannten in manchen<br />

Fällen die Übergaben durchaus als unter Druck zustande gekommene Entziehungen an. 320 <strong>Die</strong><br />

Situation von so genannten „Mischlingen“ war zwar in Bezug auf Entziehungen vorteilhafter<br />

gegenüber den „Juden“ und „Jüdinnen“, genaue Zahlen scheitern aber oft an der<br />

319 Leo Baeck Institute, New York, Austrian Heritage Collection.<br />

320 Gerhard Melinz, Gerhard Hödl: „Jüdisches“ Liegenschaftseigentum in Wien zwischen Arisierungsstrategien<br />

und Rückstellungsverfahren (=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission.<br />

Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich.<br />

Band 13) Wien-München, 2004, S. 64.<br />

121


Verfügbarkeit von Quellenangaben zum „Mischlingsstatus“, oft liefen die Erhebungen, wer<br />

als solcher galt, parallel zum bereits eingeleiteten Entziehungsverfahren, die<br />

Kategorisierungen blieben meist uneindeutig und <strong>sind</strong> <strong>im</strong> Nachhinein kaum zu<br />

rekonstruieren. 321<br />

Geschlechtsspezifische Unterschiede stellten Melinz und Hödl in ihrer Studie be<strong>im</strong> Zugriff<br />

der Nationalsozialisten auf die Liegenschaften von „arischen“ EhepartnerInnen fest. In ihrem<br />

Sample befanden sich 17 Frauen, die mit „jüdischen“ Männern verheiratet waren, selbst<br />

jedoch nicht als „jüdisch“ kategorisiert waren. Dreien davon wurde ihr Liegenschaftseigentum<br />

entzogen, eine Liegenschaft wurde beschlagnahmt, in zwei Fällen wurde später ein<br />

Rückstellungsverfahren eingeleitet. Keinem der 8 „nicht-jüdischen“ Ehemänner hingegen<br />

wurde das Vermögen entzogen. 322 Angesichts der mit 25 sehr geringen Anzahl der Fälle ist<br />

allerdings fraglich, ob die Behörden hier tatsächlich Unterschiede nach dem Geschlecht<br />

machten oder ob es sich nicht vielmehr um einen Zufall handelt. In dem in der vorliegenden<br />

Arbeit verwendeten Sample <strong>sind</strong> „arische“ EhepartnerInnen nicht ausgewiesen, eine<br />

Gegenüberstellung bzw. ein Vergleich der <strong>Ergebnisse</strong> ist daher nicht möglich. Es bedürfte<br />

aber jedenfalls weiterer Untersuchungen, um den Verdacht von Melinz und Hödl auf<br />

diesbezügliche Geschlechtereffekte zu bestätigen.<br />

Dennoch muss von geschlechterspezifischen Implikationen der Enteignungspolitik<br />

ausgegangen werden: die Alltagsbelastung durch die Repressalien, die Wohnungssituation,<br />

die Aufrechterhaltung der Versorgung, das Kümmern um die Familie betraf Frauen und<br />

Männer in unterschiedlicher Weise. Waren Frauen und Männer auch nicht in gleichem Maße<br />

an einem Geschäft beteiligt, die meisten Unternehmen waren in männlicher Hand, so konnte<br />

die Entziehung dennoch direkte Folgen auch für sie haben, wenn sie nämlich als Ehefrauen<br />

oder Töchter von den Erträgnissen eines Geschäftes für ihren Lebensunterhalt abhängig<br />

waren. Auch wenn sie nicht direkte EigentümerInnen waren, stellte das Unternehmen<br />

dennoch ihren Unterhalt sicher.<br />

321 Vgl. Gerhard Melinz, Gerhard Hödl: „Jüdisches“ Liegenschaftseigentum in Wien zwischen<br />

Arisierungsstrategien und Rückstellungsverfahren (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 13) Wien-München, 2004, S. 39.<br />

322 Gerhard Melinz, Gerhard Hödl: „Jüdisches“ Liegenschaftseigentum in Wien zwischen Arisierungsstrategien<br />

und Rückstellungsverfahren (=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission.<br />

Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich.<br />

Band 13) Wien-München, 2004, S. 35-36.<br />

122


Ein Beispiel ist Lily Deutsch, geb. Klinger, die Ehefrau von Richard Deutsch, Gesellschafter<br />

mit einer Einlage von rund 17.000 RM der Firma „Deutsch & Beinhacker“, einem<br />

Textilhandel. Sie hatte keinen Anteil am Geschäft, in ihrer Vermögensanmeldung gab sie nur<br />

Schmuck <strong>im</strong> Wert von rund 2.000 RM und Bankguthaben in der Höhe von 1.550 RM an, war<br />

aber, ebenso wie ihr Mann, auf seine Erträgnisse angewiesen. 323 Das Geschäft wurde unter<br />

kommissarische Verwaltung gestellt, und Richard Deutsch hatte weder Einblick in die<br />

Geschäftsgebarung noch weitere Einkünfte daraus. Beiliegend zur Vermögensanmeldung von<br />

Lily Deutsch befindet sich ein Brief ihres Vaters, Norbert Klinger, der in Bezug auf seine<br />

eigenen Vermögensverhältnisse Ausgaben für seine mittellose Tochter anzeigte: „Da meine<br />

Tochter Lily verehelichte Deutsch infolge Liquidierung <strong>des</strong> Geschäftes ihres Ehegatten und<br />

durch vollständigen Mangel jeden Einkommens unterhaltsbedürftig geworden und dann<br />

gezwungen war, zwecks Begründung einer neuen Erwerbsmöglichkeit und Lebensstellung<br />

nach U.S.A auszuwandern, habe ich ihr für Unterhalt und Ausstattung aus meinem Vermögen<br />

den Betrag von 2.000 gegeben.“ 324 Das Ehepaar Deutsch war einen Monat zuvor, am 13. Juli<br />

1939, in die Vereinigten Staaten emigriert. Das Unternehmen wurde nicht wieder reaktiviert<br />

bzw. restituiert.<br />

Manche taten unter dem Druck der Verhältnisse von sich aus den Schritt und beendeten ihre<br />

Geschäftstätigkeit. <strong>Die</strong> Inhaberin der Firma Max Singer, Emilie Singer, war <strong>im</strong> Oktober 1937<br />

gestorben, und die darauf folgende Verlassenschaftsabhandlung fiel schon in die Zeit nach<br />

dem Anschluss. Anstatt das Unternehmen zu übernehmen, beantragten die gesetzlichen Erben<br />

die Löschung der Firma. Zuvor hatten schon ihr Sohn und Schwiegersohn die Prokura<br />

nacheinander zurückgelegt. 325 <strong>Die</strong> Behörden spielten hier keine sichtbare Rolle, jedoch kann<br />

zu dem Zeitpunkt der Löschung von normalen Verhältnissen keine Rede mehr sein, und die<br />

Freiwilligkeit bei der Auflassung der Firma ist angesichts der politischen Situation kaum<br />

anzunehmen.<br />

Restitution<br />

323 ÖSTA, AdR, 06, VVSt. 5.619.<br />

324 ÖSTA, AdR, 06, VVSt. 5.619, Brief vom 8. August 1939.<br />

325 BG Leopoldstadt, 3A 510/1935; HG Wien, A 27/135.<br />

123


Gesetzliche Grundlagen<br />

Bei der Restitution ist zwischen den verschiedenen Arten zu unterscheiden, den<br />

Rückstellungen in natura, also der Rückgabe der Sache selbst, der Restitution in Form von<br />

Geldzahlungen anstatt der tatsächlichen Rückgabe sowie den Kompensationszahlungen für<br />

einen Verlust. Letzteres war vor allem dann der Fall, wenn der Vermögenswert nicht mehr<br />

existent war, wie bei Wertpapieren oder Versicherungen. Solche Kompensationszahlungen<br />

wurden vor allem vom Abgeltungsfonds getätigt. Das Abgeltungsfondsgesetz war 1961<br />

erlassen worden. Anspruchsberechtigte waren vom Nationalsozialismus Verfolgte für erlittene<br />

Vermögensverluste an Bankkonten, Versicherungen, Wertpapieren, Bargeld, auch bezahlte so<br />

genannte diskr<strong>im</strong>inierende Steuern, wie die Reichsfluchtsteuer oder die<br />

Judenvermögensabgabe wurden entschädigt. Kleinere Vermögensverluste bis 47.250 S<br />

wurden zur Gänze entschädigt, über diesen Betrag hinausgehende Summen wurden mit 48,5<br />

Prozent abgegolten. 326<br />

Rückstellungen fielen hauptsächlich in den Bereich <strong>des</strong> 1.-3. Rückstellungsgesetzes. Das<br />

Erste Rückstellungsgesetz bezog sich auf vom Deutschen Reich entzogenes Vermögen, das<br />

danach von der Republik Österreich unter der Obhut der Finanzlan<strong>des</strong>direktionen verwaltet<br />

wurde. 327 Das Zweite Rückstellungsgesetz betraf die Rückstellung entzogener Vermögen, die<br />

sich <strong>im</strong> Eigentum der Republik Österreich befanden. 328 Das Dritte Rückstellungsgesetz<br />

umfasste generell die Rückgabe von entzogenem Vermögen, auch private Kaufverträge<br />

(„Arisierungen“) fielen darunter. 329 Mussten bei einer Rückstellung in natura Aufwändungen<br />

<strong>des</strong> zwischenzeitlichen Besitzers, etwa ein Erweiterungsbau oder Ähnliches abgegolten<br />

werden, spricht man von Abschlagszahlungen. <strong>Die</strong> aufgelaufenen Erträgnisse einer<br />

Liegenschaft wurden ebenfalls restituiert, jedoch separat von der Restitutionssumme<br />

verrechnet. <strong>Die</strong> meisten Rückstellungsverfahren fielen unter das 3. Rückstellungsgesetz. Es<br />

gab noch vier weitere Rückstellungsgesetze: das Vierte Rückstellungsgesetz bezog sich auf<br />

die unter nationalsozialistischem Zwang geänderten und gelöschten Firmennamen. 330 Das<br />

Fünfte Rückstellungsgesetz betraf die Vermögen von juristischen Personen,<br />

326 Vgl. Almerie Spannocchi: Verhandeln über Geschichte. <strong>Die</strong> österreichische Entschädigung jüdischer Opfer<br />

<strong>des</strong> Holocaust mit einem Vergleich von Abgeltungsfonds und Entschädigungsfonds, Univ.-Dipl. Wien 2005.<br />

327 BGBl. 1946/156. Zur Rückstellungsgesetzgebung siehe: Brigitte Bailer-Galanda: die Entstehung der<br />

Rückstellungs- und Entschädigungsgesetzgebung. <strong>Die</strong> Republik Österreich und das in der NS-Zeit entzogene<br />

Vermögen (=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der<br />

NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Band 3) Wien-München, 2004.<br />

328 BGBl. 1947/53.<br />

329 BGBl. 1947/54.<br />

330 BGBl. 1947/143.<br />

124


Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung<br />

und andere Unternehmensformen. 331 Das Sechste Rückstellungsgesetz regelte die<br />

Rückstellung gewerblicher Schutzrechte, worunter neben dem Marken- und Musterrechten<br />

auch Patentrechte fielen. 332 Das Siebente Rückstellungsgesetz befasste sich mit Ansprüchen<br />

aus privaten <strong>Die</strong>nstverhältnissen.<br />

Vermögen, die niemand mehr beanspruchen konnte, weil weder die EigentümerInnen noch<br />

deren Nachfahren noch am Leben waren, wurden in den so genannten Sammelstellen für<br />

erbloses Vermögen (Sammelstelle A: erbloses jüdisches Vermögen, Sammelstelle B: erbloses<br />

nichtjüdisches Vermögen) vereinigt. Insgesamt wurden so rund 180 Millionen Schilling<br />

erfasst. <strong>Die</strong>ser Betrag wurde u. a. an gemeinnützige Organisationen, die sich um Opfer <strong>des</strong><br />

Nationalsozialismus kümmerten, ausbezahlt. 333<br />

Auswertung der Datenbank<br />

Ziel <strong>des</strong> Projektes der Historikerkommission von Junz et al. war es, das Verhältnis zwischen<br />

den vor dem Anschluss vorhandenen Vermögen und der Nachkriegsrestitution zu erklären.<br />

Deshalb wurde das Hauptaugenmerk auf jene Fälle gelegt, zu denen eine<br />

Nachkriegsgeschichte in Form von Restitutionsbemühungen vorhanden war. 334 Für die<br />

Bewertung der Restitution aufgrund der Zahlen der Datenbank wurden die Personen geteilt,<br />

um Restitutionsfälle von solchen, in denen es keine Restitutionsanstrengungen gab, zu<br />

trennen. <strong>Die</strong> Vorgehensweise folgt derjenigen der Historikerkommission, die aus dem Sample<br />

von 788 Personen jene 646 Personen ausgewählt hatte, zu denen es in den Indices der<br />

Aktenbestände der FLD und <strong>des</strong> Abgeltungsfonds Hinweise gab, die auf<br />

Restitutionsbemühungen hindeuten konnten. 335 Letztlich waren bei genau der Hälfte dieser<br />

Personen, nämlich 323, Restitutionsergebnisse nachweisbar. Von diesen 323<br />

331<br />

BGBl. 1949/164.<br />

332<br />

BGBl. 1949/199.<br />

333<br />

Margot Werner, Michael Wladika: <strong>Die</strong> Tätigkeit der Sammelstellen (=Veröffentlichungen der<br />

Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und<br />

Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Band 28) Wien-München, 2004.<br />

334<br />

Im Folgenden werden die Begriffe Restitution, restituiert etc. für alle Formen von Rückstellung und<br />

Entschädigung verwendet.<br />

335<br />

Im Bestand der FLD <strong>sind</strong> auch Akten vorhanden, die sich nicht auf die Restitution sondern den Entzug<br />

bezogen, beispielsweise die so genannten Transport-Akten, Formulare, auf denen die Betroffenen vor ihrer<br />

Deportation, die Abgabe ihrer letzten Vermögenswerte bestätigten.<br />

125


Restitutionsfällen waren 165 als erfolgreich und 158 als erfolglos zu bezeichnen. 336 Von<br />

Erfolg wird gesprochen, wenn es zu Restitution oder Entschädigung in irgendeiner Form kam,<br />

ungeachtet <strong>des</strong> Umfanges der ausbezahlten bzw. rückgestellten Werte, selbst <strong>im</strong> Verhältnis<br />

zur beantragten Summe geringfügige Restitutionswerte werden hier als Erfolg <strong>im</strong> Sinne eines<br />

mit einer Auszahlung bzw. einer Rückstellung beendeten Restitutionsverfahrens gewertet. 337<br />

Der Erfolg einer Restitution war auch davon abhängig, inwieweit das Eigentum an den<br />

entzogenen Vermögenswerten bewiesen werden konnte. Bei Liegenschaften war das am<br />

leichtesten zu bewerkstelligen, da <strong>im</strong> Grundbuch alle Eigentumsübergänge vermerkt waren<br />

und zu deren Wertbest<strong>im</strong>mung mehr Orientierungszahlen zur Verfügung standen als bei<br />

anderen Werten. Komplizierter war das bei Unternehmen, der Großteil war einfach liquidiert<br />

worden, oder der Wert <strong>des</strong> Unternehmens war durch die neue Führung, oftmals unerfahrene<br />

Leute, die Kriegsumstände und ähnliches gesunken oder auch unter Umständen gestiegen, um<br />

nur einige Punkte zu nennen. Gegebenenfalls mussten auch geleistete Investitionen<br />

eingerechnet werden.<br />

<strong>Die</strong> Rückstellungsgesetzgebung erstreckte sich nur auf Werte, die zum Zeitpunkt der<br />

Entziehung innerhalb Österreichs gelegen waren und die auch danach nicht ins „Altreich“<br />

verbracht wurden, was für Wertpapiere, Versicherungen etc, also für das<br />

Finanzkapitalvermögen nicht problemlos nachzuweisen war. Für transferierte Vermögen<br />

musste ein Restitutionsansuchen in der BRD gestellt werden, da sich die österreichischen<br />

Behörden hierfür nicht zuständig erklärten. <strong>Die</strong> über Deutschland abgewickelten<br />

Restitutionsverfahren bleiben hier ausgeblendet, es muss daher berücksichtigt werden, dass<br />

die tatsächlich restituierte Summe höher war, als die über die Bestände der FLD und <strong>des</strong><br />

Abgeltungsfonds berechnete, auch wenn die meisten Verfahren, wie die Untersuchung der<br />

336 <strong>Die</strong>se Zahlen unterscheiden sich von denen <strong>im</strong> Projektendbericht genannten Zahlen, der von 148<br />

erfolgreichen und 175 erfolglosen Fällen spricht. Der Grund liegt in zusätzlichen Informationen über<br />

Restitutionsbemühungen aus anderen Aktenbeständen, wie der VEAV, Informationen aus dem Grundbuch und<br />

den Akten der Rückstellungskommissionen, die be<strong>im</strong> Verfassen <strong>des</strong> Endberichtes nicht zur Verfügung gestanden<br />

<strong>sind</strong>. Deshalb <strong>sind</strong> die hier genannten Erfolgszahlen höher. Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus,<br />

Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher, Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth:<br />

Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945<br />

(=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit<br />

sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Band 9) Wien-München, 2004, S. 22, 28-<br />

30.<br />

337 Zu den Ausführungen über den Zusammenhang zwischen der Vermögenshöhe und dem Restitutionserfolg<br />

siehe: Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher,<br />

Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien-München, 2004, 29-34.<br />

126


Historikerkommission zeigt, abgewiesen wurden. 338 Außerdem kam es zu Restitutionen in<br />

Österreich außerhalb dieser Verfahren, die ebenfalls nicht erfasst <strong>sind</strong>. 339 Für die Anmeldung<br />

<strong>des</strong> Vermögens 1938 war die Angabe <strong>des</strong> Auslandsvermögens obligatorisch gewesen, obwohl<br />

die Behörden vorerst keine Möglichkeiten gehabt hatten, darauf zuzugreifen. Nach 1945<br />

waren diese Vermögen auch nicht Gegenstand von Restitutionsmaßnahmen. <strong>Die</strong> außerhalb<br />

Österreichs liegenden Vermögensteile betrugen ohne Abzug der Schulden nur 3,3 % <strong>des</strong><br />

Gesamtsamples. Zwei Drittel waren Finanzkapital, der überwiegende Rest waren<br />

Liegenschaften. 340 18 von den 323 Personen, die Restitutionsanträge stellten, hatten<br />

Vermögen auch <strong>im</strong> Ausland, wovon das Vermögen von einer einzigen Person restituiert<br />

wurde: <strong>Die</strong> deutschen Wiedergutmachungsbehörden restituierten ein Grundstück in München<br />

an die Antragstellerin. <strong>Die</strong> Auslandsvermögen haben also kaum Einfluss auf die<br />

Vermögensstruktur, für die Berechnungen der Restitutionserfolge <strong>im</strong> Detail werden daher<br />

allein die Zahlen für die in der „Ostmark“ gelegenen Vermögen herangezogen.<br />

Restitutionsergebnisse nach AntragstellerInnen<br />

Von den 323 Restitutionsfällen waren 189 Männer und 134 Frauen, das <strong>sind</strong> 58,51 % zu<br />

41,49 %. <strong>Die</strong>ses Verhältnis entspricht ziemlich genau dem <strong>des</strong> Gesamtsamples, bei dem 57,33<br />

% Männer 42,77 % Frauen gegen überstehen. Das bedeutet, dass Frauen und Männer bzw.<br />

deren Erben sich in gleichem Maße um Restitution bemühten. Unter den 165 erfolgreichen<br />

Restitutionen waren 94 Männer und 71 Frauen, das <strong>sind</strong> 56,97 % zu 43,03 %. Von den 158<br />

erfolglosen waren 95 Männer und 63 Frauen, was 60,13 % zu 39,87 % entspricht. Nach der<br />

Zahl der EigentümerInnen gerechnet, ist die Restitution als nicht geschlechtsspezifisch<br />

strukturiert zu betrachten, die Abweichungen <strong>sind</strong> <strong>im</strong> unteren Prozentbereich und weisen auch<br />

338 Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher,<br />

Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien/München, 2004, S. 41.<br />

339 Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher,<br />

Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien/München, 2004, S. 31.<br />

340 Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher,<br />

Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien/München, 2004, S. 32.<br />

127


nicht konsequent in eine Richtung, sondern geben einmal Frauen einen höheren Anteil einmal<br />

Männern. <strong>Die</strong>jenigen, die den Holocaust überlebt hatten, hatten eine eindeutig höhere<br />

Erfolgschance bei der Restitution. 82 % der Restitutionsanträge von Überlebenden waren<br />

erfolgreich, dagegen war die Erfolgsquote in der Gruppe aller AntragstellerInnen nur bei 46<br />

%. <strong>Die</strong>ser Befund ist nicht überraschend, da angenommen werden kann, dass Überlebende als<br />

direkt Beteiligte den Vermögensentzug besser dokumentieren und nachweisen konnten. 341<br />

Restitutionsergebnisse nach Vermögen und Vermögensarten<br />

<strong>Die</strong> Historikerkommission wies mit diesem und <strong>im</strong> Vergleich mit einem anderen Sample, das<br />

höhere Vermögen beinhaltete, nach, dass die Vermögenshöhe einen bedeutsamen Einfluss auf<br />

den Restitutionserfolg hatte, in der Weise, dass Personen mit höheren Vermögen höhere<br />

Restitutionsraten hatten als solche mit niedrigem Vermögen – je höher das Vermögen, umso<br />

mehr wurde zurückgegeben. Als Gründe dafür wurde u. a. genannt, dass wohlhabende<br />

Personen über bessere Verbindungen verfügten, sich Anwälte leisten konnten, die das<br />

Verfahren vorantrieben, und allgemein mehr Energie und Aufwand in die Sache investieren<br />

konnten. 342 Ebenso kam die Studie zum Schluss, dass es sich lohnte, die frühen Bescheide der<br />

Restitutionsstellen nicht zu akzeptieren, sondern weiter zu beantragen und spätere Entscheide<br />

abzuwarten, was wiederum Durchhaltevermögen erforderte. 343 <strong>Die</strong> Korrelation zwischen<br />

Vermögenshöhe und Restitutionserfolg wird besonders deutlich bei einem Vergleich der<br />

Vermögenshöhe zwischen den Restitutionsfällen und denen, die nicht restituiert wurden. <strong>Die</strong><br />

323 Personen, die ein Restitutionsverfahren angestrengt hatten, wiesen zusammen <strong>im</strong> Jahr<br />

1938 ein Vermögen von 11.036.073,61 RM auf, die 323 Personen ohne Restitutionsverfahren<br />

verfügten gesamt nur um weniger als die Hälfte, nämlich 5.250.572,16 RM. <strong>Die</strong> <strong>Ergebnisse</strong><br />

341 Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher,<br />

Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien/München, 2004, S. 35-36.<br />

342 Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher,<br />

Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien/München, 2004, S. 28-34.<br />

343 Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher,<br />

Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien/München, 2004, S. 69.<br />

128


der Historikerkommission legen nahe, dass höhere Vermögen komplexere<br />

Vermögensstrukturen bedingten und der Anteil <strong>des</strong> Finanzkapitals anstieg, ebenso wie auch<br />

die Wahrscheinlichkeit von Liegenschaftseigentum höher war, je mehr Gesamtvermögen<br />

vorhanden war. 344<br />

Waren nach AntragstellerInnen gerechnet Restitutionsbemühungen und -erfolg keinen<br />

geschlechtsspezifischen Unterschieden unterworfen, ergibt sich eine diesbezüglich eindeutige<br />

Tendenz be<strong>im</strong> in Zahlen gemessenen Restitutionserfolg. Bei der restituierten Summe<br />

bekamen Männer um rund ein Drittel mehr zurück als Frauen (4.456.015,45 Schilling oder<br />

63,50 % <strong>im</strong> Vergleich zu 2.560.870,03 Schilling oder 36,50 %). Ferner <strong>sind</strong> die Summen und<br />

ihr Verhältnis zu einander zwischen Restitution und Entschädigung ungleich verteilt. Von den<br />

restituierten Werten gingen 60,85 % an Männer, von den Entschädigungen 71,93%. Männer<br />

erhielten also rund 10 % mehr restituiert als Frauen, und sie wurden um fast 20 % <strong>im</strong><br />

Vergleich zur Vermögenshöhe mehr entschädigt als Frauen. <strong>Die</strong> Abschlagszahlungen wurden<br />

hingegen nur um 5 % mehr von Männern geleistet (58,67 % der Summe der<br />

Abschlagszahlungen). Der Mittelwert der Gesamtrestitutionsrate (Restitution und<br />

Entschädigung) lag gesamt bei 21.724,10 Schilling pro Kopf, bei Männern 23.576,80<br />

Schilling, bei Frauen 19.110,97 Schilling pro Kopf. Der Befund ist eindeutig: Anders als bei<br />

der Zahl der AntragstellerInnen gibt es bei den restituierten Summen ein deutliches Gefälle<br />

zwischen den Geschlechtern, Männer erhielten über 60 % der von ihnen angegebenen<br />

Vermögen zurück, Frauen nur rund 30 %. Dass Restitution und Entschädigung nicht an die<br />

vormaligen EigentümerInnen, sondern an Verwandte erfolgen und sich hier sich das<br />

Geschlechterverhältnis ändern konnte, wird hier nicht behandelt, da dem die Vermutung<br />

zugrunde läge, die Personen selbst und nicht die Zusammensetzung ihres Vermögens und<br />

andere damit zusammenhängende Faktoren best<strong>im</strong>mten den Ausgang der<br />

Restitutionsverfahren. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden, es bleibt nur zu<br />

vermuten, dass die unterschiedlichen Vermögensstrukturen zwischen den Geschlechtern sich<br />

auch auf die Restitution auswirkten und je nach Zusammensetzung und Höhe <strong>des</strong> Vermögens<br />

unterschiedliche und in der Folge geschlechterspezifische Restitutionsraten zur Folge hatten.<br />

Der große Unterschied zwischen den Geschlechtern bei der Restitution ist insofern<br />

bemerkenswert, als die höchsten Restitutionsquoten bei den Liegenschaften erzielt wurden,<br />

344 Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher,<br />

Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien/München, 2004, S. 33.<br />

129


während Unternehmen sehr viel weniger restituiert wurden (siehe unten). Frauen hatten viel<br />

mehr Liegenschaftseigentum, Männer wiesen mehr Unternehmensvermögen auf, folglich<br />

müsste die Restitutionsrate zugunsten der Frauen ausfallen – in Summen gerechnet, ist jedoch<br />

das Gegenteil der Fall. <strong>Die</strong> Personen mit Restitutionsverfahren hatten 1938 <strong>im</strong> Durchschnitt<br />

34.167,41 RM Vermögen, der Medianwert für die 189 Männer betrug 31.315,33 RM, der für<br />

die Frauen lag um rund 7.000 RM höher bei 38.197,58 RM, auch die Vermögenswerte für das<br />

Gesamtsample lagen <strong>im</strong> Durchschnitt für Frauen höher als bei Männern. <strong>Die</strong><br />

Restitutionszahlen <strong>im</strong> Verhältnis zum entzogenen Vermögen zeigen jedoch für Männer eine<br />

höhere Rate aus als für Frauen. Wenn die geschlechterspezifische Vermögensstruktur bei<br />

Liegenschaften und Unternehmen also nicht ausschlaggebend für die Geschlechtereffekte bei<br />

der Restitution sein konnte, bleibt nur, dass die Restitution bzw. Entschädigung von<br />

Finanzkapital und hier insbesondere von Wertpapieren das Ergebnis geschlechterspezifisch<br />

beeinflusste. Dafür sprechen einerseits die hohen Entschädigungsraten für Männer be<strong>im</strong><br />

Abgeltungsfonds und andererseits die durchschnittlich doppelt so hohe Restitutionsrate von<br />

Finanzkapital <strong>im</strong> Vergleich zu Liegenschaften (66.695 S zu 31.798 S) 345 , wobei das<br />

Finanzkapital zu rund 70 % in männlicher Hand war. Da es hier zu keinen Rückstellungen,<br />

sondern nur zu Kompensationen kam, ist die Restitution <strong>des</strong> Finanzkapitals nur mit großer<br />

Einschränkung mit Liegenschafts- und auch Unternehmensrestitutionen zu vergleichen bzw.<br />

überhaupt zu anderen Kategorien in Bezug zu setzen.<br />

<strong>Die</strong> Restitutionsquote von Liegenschaften war die höchste aller Vermögenskategorien, die<br />

Ursachen <strong>sind</strong> die Vermögensart und die exakte Dokumentation alle Eigentumsübergänge,<br />

auch der Entziehung, <strong>im</strong> Grundbuch. 40 Liegenschaften (14 %) aus dem Sample waren<br />

außerhalb Wiens, wozu keine Erhebungen gemacht wurden, dennoch konnten zu 14<br />

Liegenschaften aus dieser Gruppe erfolgreiche Restitutionen aus den Akten der FLD und <strong>des</strong><br />

Abgeltungsfonds nachgewiesen werden. Von den 323 Personen, zu denen sich<br />

restitutionsrelevante Hinweise fanden, hatten 152 inländisches Grundeigentum, das ist fast die<br />

Hälfte aller Personen mit einem positiven Restitutionsergebnis. Nur zu 36 Personen mit<br />

Grundeigentum in Österreich waren keine Restitutionsanstrengungen dokumentierbar. 145<br />

Personen hatten insgesamt einen positiven Restitutionsausgang, darunter waren 113 Personen,<br />

die Grund- und Liegenschaftseigentum restituiert bekamen. 17 Personen hatten<br />

345 Wert aus dem OAZ-Subsample. Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara<br />

Holzheu, Sonja Niederacher, Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der<br />

jüdischen Bevölkerung Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der<br />

Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und<br />

Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Band 9) Wien/München, 2004, S. 55.<br />

130


Liegenschaften, die grundbücherlich nicht entzogen worden waren. Junz et al. kamen zum<br />

Schluss, dass die Restitutionsbemühungen jener Personen erfolgreicher waren, die 1938 über<br />

überdurchschnittlich viel Grundvermögen verfügten. <strong>Die</strong> Restitutionsquote betrug in der<br />

höchsten Vermögensklasse 84 %, in der niedrigen Vermögensklasse lediglich 54 %. 346<br />

Für die Berechnung der Naturalrestitution wurde in die Datenbank der Restitutionswert als<br />

gleich dem VA-Wert von 1938 eingetragen. Mehr als 90 Prozent wurden in natura zurück<br />

gestellt, nur ein kleiner Teil wurde mit Geldzahlungen restituiert.<br />

<strong>Die</strong> Quellensituation erlaubt es nicht, für die Unternehmen ähnlich genaue Aussagen zur<br />

Restitution zu treffen wie für andere Bereiche, etwa den Liegenschaften. Zentrale<br />

Quellenbestände, darunter die Akten der Rückstellungskommissionen in Wien, waren für die<br />

Jahre 1947-1955 skartiert worden. Ungeachtet der Quellenlage kann geschlossen werden, dass<br />

die Restitutionsrate bei Unternehmen niedriger war als bei anderen Vermögenskategorien,<br />

Junz et al. sprechen vorsichtig von annähernd 20 %, tatsächlich dokumentiert werden konnte<br />

eine Resitutionsrate von nur 9,4 %. 347 Viele, vor allem kleinere Unternehmen wurden <strong>im</strong><br />

Zuge einer Strukturbereinigung der Nationalsozialisten liquidiert, was die zu restitutierende<br />

Masse stark verringert. Wie aus dem Bericht der VVSt hervorgeht, wurden weit mehr<br />

Betriebe stillgelegt als „arisiert“, mit Unterschieden je nach Branche. In Handel und<br />

Handwerk waren weit mehr Liquidierungen als Arisierungen zu verzeichnen, in der Industrie<br />

war die Arisierungsrate 1939 höher als die Stilllegungsrate. 348<br />

Meist wurden Restitutionen für Betriebsvermögen erst ab 5.000 RM durchgeführt und bei<br />

kleineren Betrieben <strong>sind</strong> gar keine Nachweise dafür zu finden. Andererseits wurden für hohe<br />

Betriebsvermögen hohe Abschlagszahlungen vereinbart, mittlere Unternehmen hingegen<br />

346 Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher,<br />

Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien/München, 2004, 109-113.<br />

347 Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher,<br />

Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien/München, 2004, S. 155.<br />

348 „<strong>Die</strong> Entjudung der Wirtschaft in der Ostmark“, Ausstellung der Vermögensverkehrsstelle <strong>im</strong> Ministerium für<br />

Wirtschaft und Arbeit. Ausstellungskatalog, o.D. S. 14. Siehe auch die von Fritz Weber für die<br />

Historikerkommission zusammengestellten Tabellen über „Arisierung“ und Liquidierung von Unternehmen auf<br />

Basis von Zahlen aus der NS-Zeit in Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich.<br />

(=Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit<br />

sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Band 1) Wien/München 2004, S. 98-99.<br />

131


wurden öfter in natura und ohne Abschlagszahlungen restituiert, die Restitutionsverluste<br />

waren in dieser Gruppe geringer. 349<br />

Eine Detailauswertung für eine Stichprobe von 15 Unternehmen ergibt folgen<strong>des</strong> Ergebnis: 2<br />

wurden unter kommissarische Verwaltung gestellt, wovon eines liquidiert und eines<br />

weitergeführt wurde, 5 weitere Firmen wurden geschlossen, 4 wurden arisiert. 350 Von den<br />

arisierten Firmen wurden zwei restituiert, zwei wurden nicht restituiert. Eine Firma, die unter<br />

kommissarischer Verwaltung stand, wurde restituiert, und die Liquidierung von einem<br />

Unternehmen wurde 1945 wieder rückgängig gemacht. Insgesamt konnten vier von 15<br />

Unternehmen nach 1945 ihre Geschäfte wieder unter ihren vormaligen InhaberInnen<br />

aufnehmen. Allein diese 15 Betriebe liefern einen Querschnitt der möglichen<br />

Verfahrensweisen, deren Bandbreite sich noch vergrößert, wirft man einen Blick auf die<br />

einzelnen Fälle. Verfolgt man die Geschichte der einzelnen Personen über die Zeit nach 1938<br />

hinaus weiter, so lässt sich sagen, dass es keinen sichtbaren Zusammenhang gibt zwischen<br />

dem Verbleib der EigentümerInnen und einem positiven Restitutionserfolg. Ob ein Betrieb<br />

zurückgestellt bzw. wieder aktiviert wurde, hing nicht davon ob, ob die EigentümerInnen sich<br />

selbst darum bemühten oder ob die Nachkommen die Firma zurückforderten, weil die<br />

EigentümerInnen selbst von den Nationalsozialisten ermordet worden waren.<br />

Vom Symbolwert <strong>des</strong> Eigentumsverlustes<br />

„Das Haus, in dem er irgendwann in der Zukunft wohnen wollte, war nicht jenes heruntergekommene Gebäude<br />

aus den zwanziger Jahren, als <strong>des</strong>sen Besitzer er sich fühlte, sondern ein Kindheitstraum, gespeist aus der<br />

lebenslangen Sehnsucht seiner Mutter nach einem endgültigen Nachhausekommen.“ 351<br />

Verglichen mit der Ermordung und Vertreibung scheinen Raub und Enteignung <strong>des</strong><br />

Eigentums von geringerer Relevanz zu sein, was sich auch in einem geringen Niederschlag<br />

dieser Thematik in Selbstzeugnissen und literarischen Verarbeitungen äußert. Doch stößt man<br />

auch dort auf Spuren <strong>des</strong> materiellen Verlustes, die Bedeutung von geraubten Gegenständen<br />

349 Helen B. Junz, Oliver Rathkolb, Theodor Venus, Vitali Bodnar, Barbara Holzheu, Sonja Niederacher,<br />

Alexander Schröck, Almerie Spannocchi und Maria Wirth: Das Vermögen der jüdischen Bevölkerung<br />

Österreichs. NS-Raub und Restitution nach 1945 (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 9) Wien/München, 2004, S. 156-158.<br />

350 Ein Unternehmen, Wachsmann & Co., war bereits 1929 gelöscht worden.<br />

351 Anna Mitgutsch: Haus der Kindheit. Roman. München 2005 3 , S. 8.<br />

132


lässt sich etwa an detaillierten Beschreibungen von Wohnungseinrichtungen erahnen. 352 In der<br />

literarischen Aufarbeitung symbolisieren die verloren gegangenen Gegenstände oft die<br />

verlorene Identität und He<strong>im</strong>at, die Erinnerung an verlorenes Eigentum steht für Gedanken an<br />

die verlorene Zeit. Gleichzeitig dienen die Gegenstände als Folie für Zukunftsprojektionen,<br />

wie das einleitende Zitat aus einem Roman von Anna Mitgutsch illustriert.<br />

Dem Eigentum wohnt ein generationenübergreifen<strong>des</strong> Moment inne, es kann an die nächste<br />

Generation weitergegeben werden und verbindet so die Vergangenheit mit der Zukunft. Mit<br />

dem Raub <strong>des</strong> Eigentums wird die Erwartung an die Zukunft zerstört. Erinnerungen an das<br />

verlorene Eigentum beinhalten folglich auch traumatische Erlebnisse <strong>des</strong> Verlusts der<br />

Beziehung zwischen EigentümerIn und Objekt. 353 Dabei ist es nicht unerheblich, um welche<br />

Art <strong>des</strong> Eigentums es sich handelt, materielles Vermögen, das gesehen, angefasst oder<br />

betreten werden kann, kann Erinnerungen speichern. Bei Liegenschaften und Unternehmen<br />

blieb das Eigentum, wo es war, nur die BesitzerInnen wurden vertrieben, aus ihrer<br />

identitätsstiftenden Wohn- und Arbeitsumgebung. <strong>Die</strong> Enteignung fand vor aller Augen statt,<br />

die Demütigung, die Entrechtung war eine mehr oder weniger öffentliche, und ist keinesfalls<br />

nur als bürokratischer Vorgang zu sehen, wie der neutrale Begriff suggeriert. Eine andere<br />

Symbolkraft haben Gegenstände, die auch unter der Hand den oder die BesitzerIn wechseln<br />

konnten und die Beweislast bei der beraubten Person ließen. Dass die verlorenen Objekte nun<br />

<strong>im</strong> Besitz der „Ariseure“ waren, verkomplizierte nach dem Krieg die Möglichkeit einer<br />

Rückkehr der RemigrantInnen zu ihren früheren Identitäten. Silverman postuliert, dass die<br />

Wiedererlangung der kulturellen Identität in gewissem Sinne einfacher gewesen wäre, als die<br />

Wiedererlangung der Eigentümeridentität, da die Eigentümeridentität viel traumatischer<br />

gewesen sei. 354 Auch wenn dieser These nicht uneingeschränkt zugest<strong>im</strong>mt werden kann, da<br />

Restitutionen kaum Thema in Selbstzeugnissen waren, vor allem, wenn es nicht um die<br />

Objekte selbst ging, sondern um eine finanzielle Abgeltung, so soll doch die emotionale<br />

Bedeutung von materiellem Eigentum für die eigene Identität betont werden. 355 Im Weiteren<br />

352<br />

Lisa Silverman: Repossessing the Past? Property, Memory and Austrian Jewish Narrative Histories, in:<br />

Austrian Studies, Vol. 11, 2003, S. 138-154.<br />

353<br />

Lisa Silverman: Repossessing the Past? Property, Memory and Austrian Jewish Narrative Histories, in:<br />

Austrian Studies, Vol. 11, 2003, S. 138-154, S. 142-143. Silverman bezieht sich hier auf Jeremy Benthams<br />

Theory of Legislation.<br />

354<br />

Lisa Silverman: Repossessing the Past? Property, Memory and Austrian Jewish Narrative Histories, in:<br />

Austrian Studies, Vol. 11, 2003, S. 138-154, S. 147, 151.<br />

355<br />

Silverman führt Karl Farkas als Beispiel für die Fortsetzung einer erfolgreichen Künstlerkarriere nach 1945 in<br />

Österreich an. Entgegen Silvermans Vermutung konzentrierte sich Farkas nicht nur auf die Wiedererlangung<br />

seiner kulturellen Identität unter Verzicht auf Rückforderung seines Hab und Gutes, tatsächlich bemühte er sich<br />

erfolgreich um Entschädigung für seine materiellen Verluste, belegt ist etwa die Kompensation für seine<br />

Reichsfluchtsteuer durch den Abgeltungsfonds, siehe <strong>Die</strong>ter Stiefel: National Socialist Theft: The Problem of<br />

133


ist zu fragen, welche Bedeutung die „angeeigneten“ Objekte für die Identitätsbildung der<br />

Nutznießer spielten, sowohl <strong>im</strong> individuellen Bereich als auch <strong>im</strong> nationalen Gedächtnis. 356<br />

Vermögensentzug bleibt nicht auf die individuelle persönliche Erinnerung beschränkt,<br />

sondern ist Bestandteil <strong>des</strong> heutigen nationalen kollektiven Gedächtnisses in Österreich. Eine<br />

besondere Rolle kommt hier der Kunst als Trägerin der nationalen Identität zu, man denke<br />

etwa an Bilder von Gustav Kl<strong>im</strong>t und Egon Schiele, die stellvertretend für das Kulturschaffen<br />

in Österreich zu Beginn <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts stehen. 357 Debatten über Kunstrestitution werden<br />

daher nicht ohne Grund zu emotionalen Auseinandersetzungen, die <strong>im</strong> Kern nicht von<br />

Vermögenswerten handeln, sondern von Objekten mit symbolischem Wert, der stellvertretend<br />

für Raub und Schuldauseinandersetzungen steht. 358<br />

Life-insurance policies, in: Oliver Rathkolb (Hg.): Revisting the National Socialist Legacy. Coming to Terms<br />

with Forced Labor, Expropriation, Compensation, and Restitution, (<strong>Bruno</strong> <strong>Kreisky</strong> International Studies, Bd. 3)<br />

Wien/Insbruck/München/Bozen 2002, S. 173-177.<br />

356 Harald Welzer: Vorhanden/Nicht-Vorhanden. Über die Latenz der Dinge, in: Irmtrud Wojak, Peter Hayes<br />

(Hg.): „Arisierung“ <strong>im</strong> Nationalsozialismus. Volksgemeinschaft, Raub und Gedächtnis, (<strong>im</strong> Auftrag <strong>des</strong> Fritz<br />

Bauer Instituts), Frankfurt/NewYork 2000, 287-308, S. 287.<br />

357 Vgl. das mediale Echo bei der Restitition von Gustav Kl<strong>im</strong>ts „Adele“ aus der Österreichischen Galerie <strong>im</strong><br />

Belvedere an die Erben nach Adele Bloch-Bauer <strong>im</strong> Jahr 2006. Diskussionspunkt war weniger das Eigentum an<br />

sich, als die Dislozierung <strong>des</strong> Gemäl<strong>des</strong>, nämlich die Verbringung nach den Vereinigten Staaten, wo es dann<br />

versteigert wurde.<br />

358 Siehe beispielsweise die jüngesten Zeitungsmeldungen: „Kunstrestitution: Eklat bei <strong>Buch</strong>präsentation mit<br />

Ministerin“, in: <strong>Die</strong> Presse (Online-Ausgabe) 8. Mai 2008.<br />

134


10 Conclusio<br />

<strong>Die</strong> Untersuchung der Vermögensverteilung zwischen den Geschlechtern bewegt sich in<br />

einem Spannungsverhältnis zwischen individuellem Vermögenserwerb und<br />

Vermögensweitergabe innerhalb von Familien. Es handelt sich hier um grundverschiedene<br />

Arten der Vermögensbildung, die sich aber gegenseitig bedingen und nicht abgelöst<br />

voneinander betrachtet werden können. 359 In der Untersuchungsgruppe wiesen Frauen etwas<br />

mehr Vermögen auf als Männer, was keineswegs als repräsentativ für die gesamte<br />

Bevölkerung anzusehen ist, vielmehr ist zu formulieren, wenn prinzipiell ein best<strong>im</strong>mtes<br />

Vermögen (hier RM 5.000 als Untergrenze) vorhanden war, waren die Unterschiede zwischen<br />

den Geschlechtern erstens nicht sehr groß und zweitens nicht vorteilig für Männer. Ein Grund<br />

für diese Ausgeglichenheit liegt vor allem darin, dass die meisten Vermögen geerbt waren.<br />

<strong>Die</strong> Analyse <strong>des</strong> Subsamples ergibt hier einen eindeutigen Befund: der Großteil <strong>des</strong> 1938<br />

angemeldeten Vermögens war durch Vermögensübergänge innerhalb der Familie in die<br />

Hände der AnmelderInnen gelangt, zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Erbschaften in<br />

dieser vom Alter her verhältnismäßig homogenen Gruppe, in den meisten Fällen nicht sehr<br />

weit zurück lagen. 360 Das österreichische Erbrecht kannte keine geschlechterspezifischen<br />

Unterschiede, sondern behandelte alle Erbberechtigten innerhalb einer Linie gleich, für die<br />

erste Linie hieß das in der Sprache <strong>des</strong> Gesetzgebers: „Wenn der Erblasser eheliche Kinder<br />

<strong>des</strong> ersten Gra<strong>des</strong> hat, so fällt ihnen die ganze Erbschaft zu; sie mögen männlichen oder<br />

weiblichen Geschlechtes; sie mögen bei Lebzeiten oder nach seinem Tode geboren sein.“ 361<br />

Vom Ehegattenerbrecht, das ein Viertel <strong>des</strong> Nachlasses dem überlebenden Ehegatten<br />

zusprach, konnten aufgrund <strong>des</strong> niedrigeren Heiratsalters bei gleichzeitig höherer<br />

Lebenserwartung vor allem Frauen profitieren.<br />

Einerseits waren also die für die individuelle Vermögensbildung wichtigsten<br />

Vermögensübergänge gesetzlich geschlechtsneutral geregelt, andererseits aber konnten die<br />

ErblasserInnen durch Vorausempfänge und letztwillige Verfügungen korrigierend eingreifen.<br />

359 Eine weitere relevante Kategorie wäre neben der Familie der gemeinsame Haushalt, vgl. Michael Pammer:<br />

Entwicklung und Ungleichheit. Österreich <strong>im</strong> 19. Jahrhundert (Vierteljahrschrift für Sozial- und<br />

Wirtschaftsgeschichte: Beiheft 161) Stuttgart 2002.<br />

360 <strong>Die</strong>ses Ergebnis basiert auf einem Vergleich der Vermögensarten, wie eine Liegenschaft,<br />

Unternehmensanteile u. ä., aus den Einantwortungsurkunden der Verlassenschaftsverhandlungen mit den<br />

Vermögensanmeldungen. Aufgrund der verschiedenen Zeitpunkte der Transfers und der daraus resultierenden<br />

Wertveränderungen durch Inflation und Währungsumstellungen usw. lassen sich keine vergleichbaren Zahlen<br />

errechnen.<br />

361 ABGB § 732.<br />

135


Wie am Beispiel von Unternehmen und Liegenschaften aufgezeigt wurde, machten sie davon<br />

regen Gebrauch. Während bei Liegenschaften die gesetzliche Erbfolge selten modifiziert<br />

wurde, wurden Unternehmen gezielt an einzelne Nachkommen vererbt, und hier ganz deutlich<br />

zugunsten der männlichen Kinder.<br />

<strong>Die</strong> Praxis <strong>des</strong> Heiratsgutes konnte sich positiv und negativ auf die Vermögensbildung von<br />

Frauen auswirken. Prinzipiell stand das Heiratsgut der Empfängerin, <strong>im</strong> Unterschied zu ihrem<br />

Erbe, nicht zu ihrer freien Verfügung, sie war nicht Nutznießerin <strong>des</strong> Fruchtgenusses, sondern<br />

ihr Ehemann. Erst nach seinem Tod kam es wieder – unverzinst – zu ihr zurück. Ein Teil <strong>des</strong><br />

als Erbe zu erwarten<strong>des</strong> elterlichen Vermögens wurde so gebunden. Zum Vorteil gereichte es<br />

aber, wenn der Vater der Braut das Heiratsgut, nicht als Vorausempfang vom Erbe abzog, und<br />

die Tochter gleich wie die Brüder berücksichtigt wurde. Der Bräutigam erhielt mit der Mitgift<br />

eine Basis zum ökonomischen Handeln.<br />

Der Zugang zur Arbeitswelt war geschlechtsspezifisch strukturiert, angefangen bei den<br />

Bildungschancen bis zu als geschlechterrollenspezifisch definierten Berufsbildern und der auf<br />

Geschlechterunterschieden basierenden Entlohnung. Ökonomisches Handeln, aber auch<br />

Erwerbsarbeit in abhängigen Verhältnissen zum Zweck der Vermögensbildung (nicht nur <strong>des</strong><br />

Zuverdienstes) war ein männlicher Ort. <strong>Die</strong> Anwesenheit von Frauen dort war für diese<br />

weniger lukrativ und einerseits geringer, andererseits weniger sichtbar. Frauen<br />

„verschwanden“ einfach in den Statistiken und offiziellen Dokumenten, wodurch auch<br />

retrospektive Quelleninterpretationen stark erschwert werden.<br />

Zur Vermögensbildung gehört unweigerlich auch der Vermögensverlust, wovon insbesondere<br />

in der Zwischenkriegszeit in Österreich durch die wirtschaftlichen Krisen und der<br />

galoppierenden Inflation weite Teile der Bevölkerung bedroht waren. Angesichts der großen<br />

Unterschiede <strong>im</strong> Kreditverhalten von Männern und Frauen scheint eine Untersuchung dieser<br />

Thematik aus Genderperspektive äußerst lohnend, muss aber weiteren Forschungsarbeiten<br />

vorbehalten bleiben.<br />

In dieser Arbeit wurde auf den Vermögensraub durch die Nationalsozialisten eingegangen.<br />

Geschlechterspezifika fanden sich hier vor allem durch die Struktur <strong>des</strong> Vermögens bedingt,<br />

was sich bis in die Restitution weiterzog. Weiterführende Fragestellungen wären in diesem<br />

Zusammenhang die so genannten „Mischehen“, die NS-Politik gegenüber dem Vermögen der<br />

136


EhepartnerInnen von „Juden“ und „Jüdinnen“ und die Handlungsspielräume, die sich für<br />

letztere durch eine solche Verbindung ergaben.<br />

137


Bibliographie<br />

A<br />

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Ulrike Felber, Peter Melichar, Markus Priller, Berthold Unfried und Fritz Weber: Ökonomie der Arisierung, Teil<br />

2: Wirtschaftssektoren, Branchen, Falldarstellungen. (Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

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Waltraud Heindl, Marina Tichy (Hg.): „Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück...“ Frauen an der Universität<br />

Wien (ab 1897) (Schriftenreihe <strong>des</strong> Universitätsarchivs Universität Wien, Bd. 5) Wien 1993 2<br />

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Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich.<br />

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Margareth Lanzinger, Edith Saurer (Hg.): Politiken der Verwandtschaft. Beziehungsnetze, Geschlecht und<br />

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Ingo Loose: Das Bild ‚<strong>des</strong> Juden’ in der Historiographie zur NS-Wirtschaft <strong>im</strong> deutsch-polnischen Vergleich, in:<br />

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M<br />

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Sandra Markus: Bilanzieren und Sinn stiften. Erinnerungen von Unternehmern <strong>im</strong> 20. Jahrhundert, Stuttgart<br />

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(Vandenhoeck & Rupprecht) Göttingen 1984, S. 27-54<br />

Hans Medick, David Sabean (Hg.): Emotionen und materielle Interessen. Sozialanthropologische und historische<br />

Beiträge zur Familienforschung, (Vandenhoeck & Rupprecht) Göttingen 1984.<br />

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Wadauer: Berufsschädigungen in der nationalsozialistischen Neuordnung der Arbeit. Vom österreichischen<br />

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Gerhard Melinz, Gerhard Hödl: „Jüdisches“ Liegenschaftseigentum in Wien zwischen Arisierungsstrategien und<br />

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während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Band 13) Wien-<br />

München, 2004.<br />

Hedwig Millian: Jüdische Schüler an den Wiener Pflichtschulen vom März 1938 bis 1942, in: David. :<br />

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Anna Staudacher: Jüdisch-Protestantische Konvertiten in Wien 1782-1914, Frankfurt am Main/Wien 2004.<br />

Dana Stefanová: Erbschaftspraxis, Besitztransfer und Handlungsspielräume der Untertanen der Gutsherrschaft.<br />

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Vera Maria Streller: „Verschwender und Geizkrägen“. Eine strukturelle Untersuchung <strong>des</strong><br />

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T<br />

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U<br />

Heidemarie Uhl, ‚Das „erste Opfer“. Der österreichische Opfermythos und seine Transformationen in der<br />

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Heinrich Uhlig: <strong>Die</strong> Warenhäuser <strong>im</strong> Dritten Reich, Köln/Opladen 1956<br />

V<br />

Sabine Veits-Falk: Rosa Kerschbaumer-Putjata (1851-1923): Erste Ärztin Österreichs und Pionierin der<br />

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W<br />

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Fritz Weber: <strong>Die</strong> wirtschaftliche Entwicklung, in: Emmerich Tálos, Herbert Dachs, Ernst Hanisch und Anton<br />

Staudinger (Hg.): Handbuch <strong>des</strong> politischen Systems Österrechs. Erste Republik 1918-1933, Wien 1995, S. 23-<br />

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J. Robert Wegs: Working Class Respectability: The Viennese Experience, in: Journal of Social History, Vol. 15,<br />

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Harald Welzer: Vorhanden/Nicht-Vorhanden. Über die Latenz der Dinge, in: Irmtrud Wojak, Peter Hayes (Hg.):<br />

„Arisierung“ <strong>im</strong> Nationalsozialismus. Volksgemeinschaft, Raub und Gedächtnis, (<strong>im</strong> Auftrag <strong>des</strong> Fritz Bauer<br />

Instituts), Frankfurt/NewYork 2000, 287-308.<br />

Margot Werner, Michael Wladika: <strong>Die</strong> Tätigkeit der Sammelstellen (=Veröffentlichungen der Österreichischen<br />

Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit<br />

1945 in Österreich. Band 28) Wien/München 2004.<br />

Robert S. Wistrich: <strong>Die</strong> Juden Wiens <strong>im</strong> Zeitalter Kaiser Franz Josephs, Wien/Köln/We<strong>im</strong>ar 1999 (Robert S.<br />

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Ruth Wodak, Rudolf de Cillia, Martin Reisigl, Karin Liebhart, Klaus Hofstätter und Maria Kargl: Zur<br />

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Irmtrud Wojak, Peter Hayes (Hg.): „Arisierung“ <strong>im</strong> Nationalsozialismus. Volksgemeinschaft, Raub und<br />

Gedächtnis, (<strong>im</strong> Auftrag <strong>des</strong> Fritz Bauer Instituts), Frankfurt/NewYork 2000.<br />

Gertraud Wolf: Der Frauenerwerb in den Hauptkulturstaaten. Nach amtlichen statistischen Quellen, München<br />

1916.<br />

Z<br />

Gerhard Zeitel: <strong>Die</strong> Familienunternehmen in der Bun<strong>des</strong>republik Deutschland, in: Zeitschrift für<br />

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<strong>Die</strong>ter Ziegler (Hg.): Großbürger und Unternehmer: <strong>Die</strong> deutsche Wirtschaftselite <strong>im</strong> 20. Jahrhundert, Göttingen<br />

2000.<br />

<strong>Die</strong>ter Ziegler: <strong>Die</strong> wirtschaftsbürgerliche Elite <strong>im</strong> 20. Jahrhundert: eine Bilanz, in: <strong>Die</strong>ter Ziegler (Hg.):<br />

Großbürger und Unternehmer: die deutsche Wirtschaftselite <strong>im</strong> 20. Jahrhundert (Bürgertum. Beiträge zur<br />

europäischen Gesellschaftsgeschichte, Bd. 17) Göttingen 2000, S. 7-31.<br />

Susan Z<strong>im</strong>mermann: Frauenarbeit, soziale Politiken und die Umgestaltung von Geschlechterverhältnissen <strong>im</strong><br />

Wien der Habsburgermonarchie, in: Lisa Fischer, Emil Brix (Österreichische Forschungsgemeinschaft Hg.): <strong>Die</strong><br />

Frauen der Wiener Moderne, München 1997, S. 34-52.<br />

Helge Zoitl: Gegen den Brotwucher! <strong>Die</strong> Gründung der Wiener Hammerbrotwerke, in: Zeitgeschichte, 16. Jg.<br />

1988/3, S. 79-103.<br />

Erich Zöllner (Hg.): Österreichs Sozialstruktur in historischer Sicht, Wien 1980.<br />

Stefan Zweig: <strong>Die</strong> Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers, Frankfurt am Main 2002.<br />

149


Abkürzungsverzeichnis<br />

AdR Archiv der Republik (<strong>im</strong> Österreichischen Staatsarchiv)<br />

BG Bezirksgericht<br />

EZ Einlagezahl (Grundbuch)<br />

FLD Finanzlan<strong>des</strong>direktion<br />

HG Handelsgericht<br />

IKG Israelitische Kultusgemeinde (hier Wien)<br />

KG Katastralgemeinde<br />

LG Lan<strong>des</strong>gericht<br />

ÖSTA Österreichisches Staatsarchiv<br />

VO Verordnung<br />

VVSt Vermögensverkehrsstelle<br />

WStLA Wiener Stadt- und Lan<strong>des</strong>archiv<br />

150

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