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PDF - Handbuch Arbeitsrecht

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Michael Kittner<br />

Bertram Zwanziger (Hrsg.)<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong><br />

<strong>Handbuch</strong> für die Praxis<br />

6., überarbeitete und aktualisierte Auflage<br />

Autoren:<br />

Appel/Bachner/Bantle/Becker/<br />

Deinert/Kittner/Lakies/Litzig/<br />

Mayer/Schoof/Winkelmann/<br />

Zwanziger


Allgemeines<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 1– 6<br />

II. 19. Jahrhundert bis 1918 . . . . . . 7– 23<br />

III. Novemberrevolution 1918 und<br />

Weimarer Republik . . . . . . . . . . 24– 40<br />

IV. Nationalsozialismus . . . . . . . . . 41– 52<br />

V. Nachkriegszeit 1945 bis 1949 . . 53– 66<br />

VI. Bundesrepublik Deutschland<br />

1949 bis 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . 67–107<br />

1. Gründung und Konsolidierung<br />

.................... 67– 81<br />

2. Reformen . . . . . . . . . . . . . . . 82– 96<br />

a. Große Koalition . . . . . . . 82– 87<br />

b. Sozial-liberale Koalition 88– 96<br />

3. Konservativ-liberales<br />

Umsteuern . . . . . . . . . . . . . . 97–107<br />

I. Allgemeines 1<br />

Inhaltsübersicht<br />

Abhängige Arbeit und rechtliche Regeln für sie gibt es schon seit dem klassischen Altertum.<br />

Trotzdem spricht man von »<strong>Arbeitsrecht</strong>« erst seit dem 19. Jahrhundert. 2 Das liegt daran,<br />

dass die Arbeit erst seit dieser Zeit auf der Grundlage von nicht regulierter Gewerbe- und<br />

Vertragsfreiheit organisiert wird (Rn. 2). In den davor liegenden geschichtlichen Epochen<br />

wird sie als Teil anders gelagerter und übergreifender Lebenszusammenhänge geregelt. Im<br />

römischen Reich wurde abhängige Arbeit ganz überwiegend von Sklaven verrichtet. Sie unterlagen<br />

als Sache der Verfügungsgewalt ihres Herrn. 3 Die Arbeit Freigelassener erfolgte im<br />

Rechtsverbund der »familia«. Der praktisch sehr seltene Fall einer abhängigen Dienstleistung<br />

freier Bürger wurde rechtlich in die Kategorie eines Mietkaufs eingeordnet (»locatio<br />

conductio«). In der feudalen Gesellschaftsordnung war die Arbeit überwiegend personenrechtlich<br />

organisiert. Die landwirtschaftliche Arbeit beruhte auf dem Grundeigentum in<br />

mannigfachen Formen der Hörigkeit und Leibeigenschaft. Die Gewerbetätigkeit in den<br />

Städten, und mit ihr die Regelung der Arbeitsverhältnisse von Gesellen und Lehrlingen, beruhte<br />

auf der Zunftverfassung. Auch wenn beide Aspekte – Gewerbetätigkeit und abhängige<br />

Arbeit – durch die Zunftordnungen eingehend geregelt wurden, lag ihnen doch gleichermaßen<br />

das Prinzip freier Arbeit zugrunde (mit der Konsequenz eines überregionalen Arbeitsmarktes).<br />

4 Erste Ansätze eines selbstständigen <strong>Arbeitsrecht</strong>s außerhalb zünftisch verfasster<br />

Arbeit gibt es seit dem 17. Jahrhundert für nicht hausangehörige Arbeiter (»famuli« und<br />

»operarii« oder auch »mechanici« bzw. »laboratori«). 5 Bereits die hierfür entwickelten rechtlichen<br />

Regeln speisen sich aus der Erkenntnis der wirtschaftlichen und persönlichen Abhän-<br />

1 Es gibt keine Gesamtdarstellung der »Geschichte<br />

des <strong>Arbeitsrecht</strong>s«. Ramm hat Einzeldarstellungen<br />

zur »Arbeitsverfassung« aller<br />

relevanten Zeitabschnitte vorgelegt: Vormärz<br />

(FS Söllner, 1990, S. 423); Kaiserreich (FS Mallmann,<br />

1978, S. 191); Weimarer Republik (Gedächtnisschrift<br />

Kahn-Freund, 1980, S. 225);<br />

nach 1945 (JZ 1998, 473); Bundesrepublik<br />

Deutschland (JZ 1977, 1; zum Begriff der<br />

»Arbeitsverfassung« allgemein vgl. Ramm,<br />

ZfA 1978, 361); vgl. Zachert, RdA 2004, 1.<br />

VII. DDR und Deutsche Einheit . . . . 108–120<br />

1. DDR .................... 108–110<br />

2. Deutsche Einheit . . . . . . . . . . 111–120<br />

VIII. Bundesrepublik Deutschland<br />

seit 1998: Rot-grüne Regierung . 121–132<br />

1. Erste Legislaturperiode:<br />

Ausbau von Arbeitnehmerrechten<br />

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 121–129<br />

2. »Umbau« des Sozialstaats<br />

und »Agenda 2010« . . . . . . . 130–132<br />

IX. Große Koalition ab 2005 . . . . . . . 133<br />

X. Entwicklungslinien – Zukunft<br />

des <strong>Arbeitsrecht</strong>s . . . . . . . . . . . . 134–140<br />

2 Vgl. MünchArbR-Richardi, § 2 Rn. 2ff.; zum<br />

vorindustriellen <strong>Arbeitsrecht</strong> insgesamt<br />

Mayer-Maly, RdA 1975, 59.<br />

3 Vgl. Mayer-Maly, RdA 1967, 281.<br />

4 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 31.<br />

5 Vgl. Mayer-Maly, RdA 1975, 59; zur Nutzung<br />

der römisch-rechtlichen Figur der »locatio<br />

conductio« auch während dieser Zeit vgl.<br />

Helml, BB 1996, 2682.<br />

Kittner 1<br />

1


2<br />

3<br />

4<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

gigkeit dieses Personenkreises. 6 Im Bergbau enthielten Bergordnungen zugleich das <strong>Arbeitsrecht</strong><br />

für die Bergleute. 7 Zumindest mittelbaren Schutz boten auch Polizeiordnungen. 8<br />

Unser heutiges <strong>Arbeitsrecht</strong> mit der Aufgabenstellung »Schutz des Schwächeren« (<strong>Handbuch</strong>,<br />

§ 1 Rn. 2) wurzelt in der Beseitigung von feudalen und Zunftzwängen und der Herstellung<br />

von Gewerbefreiheit (in Deutschland zunächst in mit Fabrikprivilegien außerhalb der<br />

Zünfte ausgestatteten Unternehmen und später generalisiert mit den Stein-Hardenberg’schen<br />

Reformen in Preußen 9 ). 10 Deren konstitutives Element ist die Vertragsfreiheit (»die zivilistische<br />

Seite der Gewerbefreiheit ist die Vertragsfreiheit« 11 ). Das umfasst als Konnexinstitut<br />

auch die Arbeitsvertragsfreiheit im Sinne eines nicht regulierten Arbeitsverhältnisses (die<br />

Freiheit zum Abschluss von Arbeitsverträgen gab es ja schon früher). 12 § 6 des preußischen<br />

»Gesetzes über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe« vom 7. 11. 1811 (Gesetz-Sammlung<br />

S. 263) gab Gewerbetreibenden, auch wenn sie keiner Zunft angehörten, das Recht,<br />

»Lehrlinge und Gehülfen anzunehmen«. Und § 7 legte hierfür fest: »In diesem Falle wird die<br />

Lehrzeit oder die Dauer des Dienstes, das etwaige Lehrgeld, Lohn, Kost und Behandlung<br />

bloß durch freien Vertrag bestimmt«. Diese Vorschrift wurde zur Grundlage des nur leicht<br />

modifizierten § 134 der preußischen Gewerbeordnung vom 17.1. 1845 (Gesetz-Sammlung<br />

S. 41) des § 105 der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes vom 21.6.1869 (BGBl. NB,<br />

S. 245) bzw. anschließend der GewO des Deutschen Reichs: »Die Festsetzung der Verhältnisse<br />

zwischen den selbstständigen Gewerbetreibenden und ihren Gesellen, Gehülfen und<br />

Lehrlingen ist Gegenstand freier Übereinkunft«. Mit diesem Basistext gilt die GewO noch<br />

heute, freilich mit dem 1891 eingefügten Zusatz »vorbehaltlich der durch Reichsgesetz begründeten<br />

Beschränkungen« (für Landarbeiter existierten landesrechtliche Beschränkungen<br />

fort bis 1919, vgl. Rn. 26). Diese für beide Seiten gleiche Vertragsfreiheit veranlasste Marx zu<br />

der Metapher vom »doppelt freien Lohnarbeiter« (frei von personenbezogenen Herrschaftsverhältnissen,<br />

aber auch frei von Sicherheit der Lebensgrundlagen, insbesondere in<br />

Form von Produktionsmitteln). 13 Das wurde und ist bis heute Anlass zur kompensatorischen<br />

staatlichen Intervention mit den Instrumenten des <strong>Arbeitsrecht</strong>s und zu den deswegen entstehenden<br />

Konflikten.<br />

So wie »<strong>Arbeitsrecht</strong>« nur als Zusammenwirken von staatlichem Gesetzesrecht und autonom<br />

produzierten Normenverträgen begriffen werden kann, so handelt seine Geschichte zugleich<br />

von dem darin zum Ausdruck kommenden Dualismus von staatlichem Handeln und<br />

demjenigen der maßgeblichen gesellschaftlichen Akteure. <strong>Arbeitsrecht</strong>sgeschichte ist immer<br />

zugleich auch Geschichte der sozialen und politischen Konflikte um die Bildung von Gewerkschaften<br />

und deren Auseinandersetzungen mit den anschließend entstehenden Arbeitgeberverbänden<br />

sowie vom Einfluss der Koalitionen auf die Politik. Sie ist untrennbarer Teil<br />

der politischen wie der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. 14<br />

Die deutsche <strong>Arbeitsrecht</strong>sentwicklung wird von Anfang an dominiert durch staatliche Aktivität.<br />

Bereits lange vor dem Zustandekommen der ersten Tarifverträge existierten gesetzliche<br />

Regelungen, sei es aus konservativ-fürsorglichem Motiv, sei es präventiv oder reaktiv<br />

in Bezug auf (mögliche) Forderungen der Arbeiter. Diese intervenierende Rolle des Staates<br />

6 Vgl. Ebel, Quellen zur Geschichte des deutschen<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong>s (bis 1849), 1964.<br />

7 Vgl. Dapprich, FS Müller, 1981, S. 115.<br />

8 Vgl. Schmelzeisen, Polizeiordnungen und Privatrecht,<br />

1955.<br />

9 »Edikt, den erleichterten Besitz und den freien<br />

Gebrauch des Grundeigentums, sowie die persönlichen<br />

Verhältnisse der Landeinwohner betreffend«<br />

vom 9. 10. 1807; abgedruckt bei<br />

Rückert, Die Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen<br />

in Deutschland seit dem frühen<br />

19. Jahrhundert, in Nutzinger, Hrsg., Die Entstehung<br />

des <strong>Arbeitsrecht</strong>s in Deutschland,<br />

1998, S. 213 [217f.].<br />

10 Vgl. Becker, Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis<br />

in Deutschland, 1995, S. 43ff.<br />

11 Hedemann, Die Fortschritte des Zivilrechts im<br />

19. Jahrhundert, Erster Teil, 1910, S. 7; vgl.<br />

Münch»ArbR-Richardi, § 2 Rn. 12ff.<br />

12 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 136ff.<br />

13 Vgl. Kempen/Zachert, Grundl. Rn. 4.<br />

14 Vgl. Mestiz, Zur Wirkungsgeschichte des <strong>Arbeitsrecht</strong>s,<br />

in Steindl, Hrsg., Wege zur <strong>Arbeitsrecht</strong>sgeschichte,<br />

1984, S. 1ff.; zur<br />

»Rechtszeitgeschichte« vgl. Ramm, JuS 1998,<br />

587.<br />

2 Kittner


Allgemeines<br />

steht – ungeachtet der zwischenzeitigen Entscheidung für die Gewerbefreiheit – in einer langen<br />

kameralistischen Tradition. Sie ist aber auch eine Folge des lange Zeit erfolgreichen Bemühens<br />

der herrschenden Kräfte, einen Zusammenschluss der Arbeiter und deren kollektive<br />

Aktion zu verhindern (vgl. Rn. 19). Damit gab es niemanden anderen als den Staat<br />

selbst, um als änderungsbedürftig empfundene Missstände zu beheben. Das ist nachhaltig<br />

strukturprägend geworden. Ungeachtet aller inzwischen gesellschaftspolitisch begründeten<br />

und rechtlich abgesicherten Prärogative der Tarifvertragsparteien (<strong>Handbuch</strong>, § 8 Rn. 179), ist<br />

bis heute die quantitative und qualitative Dominanz staatlichen Rechts für die Regelung<br />

der Arbeitsbeziehungen in Deutschland unverkennbar. Dem entspricht es als ein Grundmuster<br />

gewerkschaftlicher Politik, dass für die meisten der aus dem Arbeitsleben herrührenden<br />

Probleme Forderungen an den staatlichen Gesetzgeber gerichtet werden, statt sie<br />

selbst tarifvertraglich lösen zu wollen (sogar dort, wo der Tarifvertrag sich als Werbemittel<br />

aufdrängen würde, wie etwa bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§41). Klassisches Gegenbeispiel sind die USA: Angesichts der konsequenten sozialpolitischen<br />

Abstinenz des Staates blieb für kompensatorische arbeitsrechtliche Interventionen<br />

überhaupt nichts anderes übrig als die Erzwingung von Tarifverträgen durch die Gewerkschaften<br />

(mit deren anhaltendem Niedergang nimmt sich die staatliche Arbeitsgesetzgebung<br />

zunehmend elementarer Schutzprobleme an, z. B. für werdende Mütter, schwerbehinderte<br />

Menschen oder ältere AN). 15<br />

Komplett ist eine Geschichte des <strong>Arbeitsrecht</strong>s nur durch einen gleichzeitigen Blick auf die<br />

Entwicklung des Sozialrechts. Es ist zum einen unverzichtbar, damit es überhaupt einen auf<br />

Vertragsfreiheit beruhenden Arbeitsmarkt geben kann. 16 Zum anderen gehen vom Sozialrecht<br />

handfeste Rückwirkungen auf das <strong>Arbeitsrecht</strong> aus (vgl. eingehend <strong>Handbuch</strong>, § 17<br />

Rn. 12ff.). Für das Sozialrecht gilt die Priorität der staatlichen Gestaltung geradezu kategorial.<br />

Dabei darf die deutsche Tradition nicht den Blick dafür verstellen, dass es weitestgehend<br />

eine Frage politischer Zweckmäßigkeit ist, ob ein bestimmter Komplex sozialrechtlich oder<br />

arbeitsrechtlich oder arbeitsteilig gelöst wird (z. B. die materielle Sicherung der AN im<br />

Krankheitsfalle). Auch in dieser Hinsicht zeigt ein Blick auf Länder ohne ausgebaute staatliche<br />

Sozialgesetzgebung, dass adäquate Lösungen dort auf dem Wege arbeitsrechtlicher<br />

Vereinbarungen angestrebt werden (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 17 Rn. 4).<br />

Die Entwicklung von <strong>Arbeitsrecht</strong> (und Sozialrecht) ist in ihren Details ebenso wie hinsichtlich<br />

der großen Linien ein getreues Abbild der jeweiligen geschichtlichen Epoche. Dabei<br />

fällt der Unterschied zwischen kollektivem <strong>Arbeitsrecht</strong> und Individualarbeitsrecht sowie<br />

Arbeitsschutzrecht auf. Das kollektive <strong>Arbeitsrecht</strong>, insbesondere hinsichtlich der Rechtsstellung<br />

der Gewerkschaften und des Tarifvertragssystems, ist jeweils eng mit den großen<br />

System-Umbrüchen verbunden, die die deutsche Geschichte kennzeichnen: Die November-Revolution<br />

bringt die volle Anerkennung von Gewerkschaften und Tarifvertrag (vgl.<br />

Rn. 25, 27), der Nationalsozialismus beseitigt beides (vgl. Rn. 41f.) und seine Niederlage<br />

führt zu deren erneuten Anerkennung (vgl. Rn. 53ff.). Hinsichtlich des Arbeitsschutzrechts<br />

ist dagegen – ungeachtet durchaus signifikanter parteipolitischer Unterschiede – eine bemerkenswert<br />

kontinuierliche Aufwärtsentwicklung zu beobachten, gewissermaßen als technisch<br />

unerlässliche Begleiterscheinung der sich immer dichter entwickelnden Industriegesellschaft.<br />

Eine Gegenbewegung setzte erstmals mit der Deregulierungs- und Flexibilisierungspolitik<br />

der konservativ-liberalen Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl ein.<br />

Wiederum anders sieht es hinsichtlich des hauptsächlich durch Rspr. und <strong>Arbeitsrecht</strong>swissenschaft<br />

entwickelten Arbeitsvertragsrechts aus: Diesbezüglich kommt es erst deutlich nach<br />

Gründung der Bundesrepublik zur Herausbildung eines wirklich vertragsrechtlichen Verständnisses.<br />

Davor herrschte mit bemerkenswerter Kontinuität das bereits in der Weimarer<br />

Republik vorbereitete, im Nationalsozialismus voll entfaltete und später lange konservierte<br />

15 Vgl. Reimann, Einführung in das US-amerikanische<br />

Privatrecht, 1997, S. 270ff.; zum Kündigungsschutzrecht<br />

s. Kittner/Kohler, BB 2000,<br />

Beil. 4.<br />

16 Vgl. Kittner, FS Kissel, 1994, S. 499 [500];<br />

Schmidt, AuR 1997, 461.<br />

Kittner 3<br />

5<br />

6


7<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

Bild des Arbeitsverhältnisses als einer von der Betriebsgemeinschaft her determinierten<br />

Rechtsbeziehung (vgl. Rn. 46; <strong>Handbuch</strong>, § 2 Rn. 10). Die hier sichtbare epochenübergreifende<br />

Kontinuität hat viel mit der Kontinuität der arbeitsrechtlichen Eliten nach der Vertreibung<br />

der sozialdemokratischen <strong>Arbeitsrecht</strong>ler zu tun (vgl. Rn. 46). 17 Ihr in jeder Hinsicht bemerkenswertester<br />

Exponent war Hans Carl Nipperdey, dessen berufliche Stationen für viele derartige<br />

Karrieren, nicht nur im <strong>Arbeitsrecht</strong>, stehen:<br />

– bürgerlich-liberaler Wissenschaftler schon im Kaiserreich 18 und in der Weimarer Republik<br />

(vgl. Rn. 34 Fn. 121), 19<br />

– Protagonist nationalsozialistischen <strong>Arbeitsrecht</strong>s, z. B. als Kommentator des AOG (vgl.<br />

Rn. 51 Fn. 161), 20<br />

– verfassungs- und arbeitsrechtlicher Berater des DGB nach 1945 (vgl. Rn. 60 Fn. 191;<br />

Rn. 64), 21<br />

– Gutachter der AG zum Zeitungsstreik 1952 (vgl. Rn. 79) 22 und schließlich<br />

– erster Präsident des BAG 1954 (vgl. Rn. 74).<br />

II. 19. Jahrhundert bis 1918<br />

Der erste Akt staatlicher Arbeiterschutzgesetzgebung (als Terminus des 19. Jahrhunderts für<br />

die Gesamtheit aller Regelungen zum Schutze der Beschäftigten) im 19. Jahrhundert nach<br />

der radikalen Deregulierung durch Abschaffung des Zunft-<strong>Arbeitsrecht</strong>s ist das preußische<br />

»Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken« vom 9. 3.1839 (Bayern<br />

und Baden folgten mit vergleichbaren Verordnungen im Jahre 1840, das hochindustrialisierte<br />

Sachsen wegen stärkerer Widerstände der Unternehmer erst 1861). 23 Zwar blieb<br />

Kinderarbeit als solche erlaubt, ihr wurden jedoch zusammen mit der Sicherung eines mindestens<br />

dreijährigen Schulbesuchs erstmals Grenzen gezogen:<br />

– Mindestalter für die Arbeit in Fabriken und Bergwerken (9 Jahre),<br />

– Höchstdauer (10 Stunden pro Tag),<br />

– Mindestpause von eineinhalb Stunden pro Tag,<br />

– Verbot der Nachtarbeit und der Arbeit an Sonn- und Feiertagen.<br />

Dazu kamen die Pflicht zur Führung einer Liste der jugendlichen Arbeiter und – freilich<br />

nicht sehr hohe – Strafen zur Bewehrung der Regelungen. Beim Zustandekommen des »Regulativs«<br />

zeigten sich bereits alle Argumentationsmuster, wie sie für das <strong>Arbeitsrecht</strong> insgesamt<br />

bis heute typisch geblieben sind (vgl. Rn. 126): auf Seiten der AG die Warnung vor dem<br />

Verlust der internationalen Konkurrenzfähigkeit und auf Seiten der Befürworter eine Mischung<br />

aus gesundheits- und staatspolitischer Sorge (der viel zitierte Bericht des Generals<br />

von Horn über das Nachlassen der Armeetauglichkeit von 1828 war nicht etwa die alleinige<br />

oder auch nur wichtigste Ursache, sondern lediglich ein zusätzlicher, nicht einmal besonders<br />

nachhaltiger Anstoß in der Mitte der über zwanzig Jahre dauernden Vorarbeiten der preußischen<br />

Zivilverwaltung 24). Was die praktische Wirksamkeit des »Regulativs« anging, so zeigte<br />

sich schnell, dass es an wirksamer Kontrolle seiner Einhaltung mangelte. Zeitgenössische<br />

Berichte beklagen die mangelnde Sachkunde der zuständigen Ortspolizeibehörden und deren<br />

mangelnde Unabhängigkeit von den lokalen Fabrikanten.<br />

17 Überblick bei Wahsner, KJ 1974, 369 [372ff.];<br />

gegen dabei vorgenommene Bewertungen zu<br />

Lasten der Schüler dieses Personenkreises<br />

Däubler, WSI-Mitt. 1985, 64 [67]; Preis, NJW<br />

1998, 1889 [1894].<br />

18 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 307.<br />

19 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 471.<br />

20 Zur eigenen Darstellung seiner Rolle im Nationalsozialismus<br />

vgl. Nipperdey, AuR 1959,<br />

340, gegenüber Abendroth, AuR 1959, 261 [264];<br />

vgl. auch Hanau, AuR 2001, 363 [364].<br />

21 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 546f.<br />

22 Zur veränderten Haltung Nipperdeys gegenüber<br />

den Gewerkschaften vgl. Schnorr, FS<br />

Schnorr 1988, S. XV = AuR 1997, 155.<br />

23 Vgl. Düwell, AuR 1989; 233; Kaufhold, AuR<br />

1989, 225; Schlüter, BArbBl. 11/1989, 12; Abdruck<br />

des vollständigen Textes bei Kaufhold,<br />

AuR 1989, 228, Fn. 22.<br />

24 Vgl. Quandt, Kinderarbeit und Kinderschutz<br />

in Deutschland 1783–1976, 1978, S. 45.<br />

4 Kittner


19. Jahrhundert bis 1918<br />

Die folgenlos gebliebene Paulskirchenverfassung enthielt keine ausdrücklichen sozialen<br />

Rechte, insbesondere keine Koalitionsfreiheit, 25 sondern lediglich eine dem heutigen Art. 12<br />

GG entsprechende Garantie der Berufsfreiheit (§ 158 der »Verfassung des Deutschen Reiches«).<br />

26 Allerdings formulierte der Volkswirtschaftliche Ausschuss der Versammlung den<br />

sog. Gegenentwurf einer Gewerbeordnung. 27 Mit ihm sollte Kinderarbeit beschränkt werden<br />

(etwa auf dem Niveau Preußens). Seiner Zeit weit vorgreifend sah er auch gleiche Kündigungsfristen<br />

für Fabrikinhaber und Arbeiter vor. Bemerkenswert sind die weitreichenden<br />

mitbestimmungspolitischen Vorstellungen: Es sollten Fabrikausschüsse für die Erstellung<br />

einer Fabrikordnung, zur Vermittlung von Streitigkeiten zwischen AG und AN und zur Verwaltung<br />

von Krankenunterstützungskassen eingerichtet werden. 28 Außerdem war bereits<br />

eine Art eigener Gerichtsbarkeit in Form von Fabrikschiedsgerichten vorgesehen. 29<br />

Bis zur Gründung des Deutschen Reichs 1871 war es wiederum Preußen, das den Arbeiterschutz<br />

weiterentwickelte. 30 Das betraf zum einen die Kinderarbeit: In drei Schritten wurde<br />

zwischen 1853 und 1855 das Mindestalter für Kinderarbeit auf 12 Jahre angehoben und die<br />

Höchstdauer der Arbeit gesenkt (sechs Stunden bis zum 14. Lebensjahr). In der Verordnung<br />

vom 9. 2.1849 wurden zum anderen erstmals Grenzen für Arbeitsverträge mit erwachsenen<br />

AN gezogen: durch das Truckverbot (bis 2002 in § 115 GewO, vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 30 Rn. 3) und<br />

die Aufhebung der Verpflichtung zur Arbeit an Sonn- und Feiertagen (allerdings ohne ein<br />

entsprechendes öffentlich-rechtliches Verbot). 1855 wurde im Zusammenhang mit der dritten<br />

Stufe der Verbesserungen bei der Kinderarbeit erstmals die Fabrikinspektion als selbstständige<br />

Behörde geschaffen. Sie erhielt das Recht des jederzeitigen Zutritts zu Fabriken,<br />

auch in der Nacht (allerdings auch hier mit bescheidenen praktischen Anfängen: Fabrikinspektoren<br />

nur in den Bezirken Aachen, Arnsberg und Düsseldorf). Preußen war auch führend<br />

in der Einrichtung eigener Gewerbegerichte für Arbeitsstreitigkeiten mit Beisitzern<br />

von beiden Seiten. Zunächst wurden die nach dem Vorbild des napoleonischen Frankreichs 31<br />

geschaffenen Fabrik- und Gewerbegerichte in den Rheinlanden weitergeführt und dann mit<br />

der Allgemeinen Preußischen Gewerbeordnung von 1845 für ganz Preußen eigene Gewerbegerichte<br />

geschaffen. 32<br />

Die ersten zwanzig Jahre des neu gegründeten Kaiserreichs 33 brachten wenig Neues (lediglich<br />

die Novelle vom 17.7. 1878 zur GewO mit der Einführung der obligatorischen Fabrikinspektion<br />

für das ganze Reich 34). Der Hauptgrund hierfür lag in der auf Sicherung des Status<br />

quo bedachten Politik Bismarcks als Kampf mit doppelter Zielsetzung: politische Eindämmung<br />

der Sozialdemokratie und Sicherung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit.<br />

So, wie er die Sozialdemokratie mit dem Sozialistengesetz bekämpfte, lehnte er weitere Eingriffe<br />

in die Vertragsfreiheit der Unternehmer kategorisch ab. Weitergehende Arbeiterschutzgesetze<br />

begriff er als unerträgliche Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit der<br />

deutschen Industrie auf den internationalen Märkten. Sein Konzept sah vielmehr lediglich<br />

eine flankierende Sozialversicherung bei im Übrigen unbeschränkter Unternehmerfreiheit<br />

vor, wovon er sich auch politisch eine Schwächung der sozialdemokratischen Neigungen<br />

und eine stärkere Bindung der Arbeiter an den Staat versprach. Mit beiden Zielsetzungen<br />

25 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 200.<br />

26 Zur Arbeitsverfassung im »Vormärz« vgl.<br />

Ramm, FS Söllner, 1990, S. 423.<br />

27 Abdruck bei Kühne, Die Reichsverfassung in<br />

der Paulskirche – Vorbild und Verwirklichung<br />

im späteren deutschen Rechtsleben, 1985, Anlage<br />

V C 2; vgl. Kraushaar, AuR 1990, 301.<br />

28 Vgl. Teuteberg, Geschichte der industriellen<br />

Mitbestimmung in Deutschland, 1961, S. 111;<br />

Däubler, <strong>Arbeitsrecht</strong> 1, Rn. 721.<br />

29 Vgl. Wenzel, JZ 1965, 697.<br />

30 Vgl. Anton, Geschichte der preußischen Fabrikgesetzgebung<br />

bis zu ihrer Aufnahme<br />

durch die Reichsgewerbeordnung, 1891, Neudruck<br />

1953.<br />

31 »Conseils de prud’hommes« (Räte der Gewerbesachverständigen);<br />

erste Errichtung in Lyon<br />

1806 auf Initiative der dortigen Seidenfabrikanten<br />

(vgl. Leinemann, NZA 1991, 961f.).<br />

32 Vgl. Linsenmaier, NZA 2004, 401; Stahlhacke, FS<br />

Deutscher Arbeitsgerichtsverband, 1994, S. 59.<br />

33 Vgl. Becker, Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis<br />

in Deutschland, 1995; Ramm, FS Mallmann<br />

1978, 191ff.; mit Blick auf die Betroffenheit von<br />

Frauen vgl. Hausen, Arbeiterinnenschutz,<br />

Mutterschutz und Krankenversicherung im<br />

Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in<br />

Gerhard, Hrsg., Frauen in der Geschichte des<br />

Rechts, 1997, S. 713.<br />

34 RGBl. 1878, S. 207.<br />

Kittner 5<br />

8<br />

9<br />

10


11<br />

12<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

hatte er letztlich keinen Erfolg. Vielmehr führte ausgerechnet der Streit mit dem seit 1888 regierenden<br />

Kaiser Wilhelm II. über eine Verbesserung der Arbeiterschutzpolitik zu seinem<br />

Sturz. Damit war der Weg frei für eine doppelgleisige Politik: Sozialversicherung und Arbeiterschutzpolitik<br />

mit Eingriffen in die Vertragsfreiheit der AG (Rn. 12).<br />

Die Einführung der Sozialversicherung durch Bismarck gilt zu Recht als eine der folgenreichsten<br />

Entscheidungen in der deutschen Sozialgeschichte. 35 Sie ist eine Reaktion auf<br />

das zahlenmäßige Anwachsen der Arbeiterschaft. Abhängige Arbeiter waren, losgelöst von<br />

den wenn auch kärglichen Unterhaltsmöglichkeiten auf dem Lande, beim Ausbleiben des<br />

Arbeitsverdienstes mittellos. Sie wurden damit zum schwerwiegenden Problem für die letztlich<br />

fürsorgepflichtigen Gemeinden und für die politische Stabilität des Staates (»Pauperismus«).<br />

Zwar gab es bereits Ansätze von Selbsthilfe durch die sich entwickelnden Gewerkschaften.<br />

Genau dies veranlasste aber Bismarck neben der laufenden Repression mithilfe des<br />

Sozialistengesetzes zur Schaffung staatlicher Konkurrenz-Einrichtungen, um die Loyalität<br />

der Arbeiterschaft von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften abzuziehen und auf<br />

den Staat hinzulenken. Die Kaiserliche Botschaft vom 17.11.1881 bekennt sich noch unverhohlen<br />

zu dem Doppelziel »Zuckerbrot und Peitsche«: »Die Heilung der socialen Schäden<br />

(werde) nicht ausschließlich im Wege der Repression socialdemokratischer Ausschreitungen,<br />

sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohls der Arbeiter zu<br />

suchen sein«. 36 Ausgehend hiervon wurden dann die drei grundlegenden Gesetze zur Sozialversicherung<br />

geschaffen: Krankenversicherung 1883, Unfallversicherung 1884 und Invaliditäts-<br />

und Altersversicherung 1889. 37 Hinsichtlich des Arbeitsschutzes wurde mit der<br />

Bildung der Berufsgenossenschaften der bis heute existierende Dualismus von staatlichen<br />

Gesetzen und Verordnungen und Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften<br />

gelegt; daran knüpfte sich das System der parallelen Überwachung durch Gewerbeaufsicht<br />

und Berufsgenossenschaften (vgl. § 112). Die gesetzliche Abgrenzung des versicherten Personenkreises<br />

der AN gab bereits bald nach Einführung der Sozialversicherung Anlass zur<br />

begrifflichen Abgrenzung des Arbeitsvertrags vom selbstständigen Dienstvertrag und Werkvertrag.<br />

Sie trug damit nicht unwesentlich zur dogmatischen Herausbildung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

bei (zu aktuellen Problemen des sozialrechtlichen Beschäftigtenbegriffs vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§ 3 Rn. 11ff.). 38 Alle Sozialversicherungszweige wurden 1911 in der Reichsversicherungsordnung<br />

(RVO) zusammengefasst.<br />

Unter dem Eindruck des Streiks der Ruhr-Bergarbeiter 1889, des ersten Massenstreiks in der<br />

deutschen Geschichte, kündigte Wilhelm II. in zwei Erlassen vom 4.2.1890 eine Änderung<br />

der Arbeitsschutzpolitik an, die fortan als »Neuer Kurs« bekannt geworden ist (diese Erlasse<br />

waren der unmittelbare Anlass zum Rücktritt Bismarcks). 39 Mit dem ersten gab er den Auftrag,<br />

zu einer internationalen Arbeitsschutzkonferenz einzuladen (die dann vom 15. bis<br />

29. 3.1890 stattfand). 40 Mit dem zweiten ordnete er eine Überprüfung der bestehenden<br />

Rechtslage nach der GewO an. Wilhelm II. bezeichnete es darin als Aufgabe der Staatsgewalt,<br />

»die Zeit, die Dauer und die Art der Arbeit so zu regeln, dass die Erhaltung der Gesundheit,<br />

die Gebote der Sittlichkeit, die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeiter und ihr Anspruch<br />

auf gesetzliche Gleichberechtigung gewahrt bleiben«. Dies ist die erste offizielle Anerkennung<br />

einer gleichberechtigten Stellung der AN in der Arbeitsverfassung. 41<br />

35 Vgl. Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung,<br />

3. Aufl. 1978; Tennstedt, Geschichte<br />

des Sozialrechts, in Sozialrechtshandbuch,<br />

1988, S. 66ff.; Gitter, Sozialrecht, 4. Aufl. 1996,<br />

S. 6ff.; Kaltenborn, JZ 1998, 770; Louven, SozSich<br />

2001, 191.<br />

36 Vollständiger Text bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit,<br />

Hrsg., Kollektives <strong>Arbeitsrecht</strong>,<br />

Quellentexte zur Geschichte des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

in Deutschland, Band 1, 1975, S. 77f.<br />

37 Vgl. Gamillscheg, KA Bd. 1, S. 101f.; daneben<br />

gab es bereits in einigen (wenigen) Großunternehmen<br />

eine betriebliche Altersversorgung,<br />

die als aufschiebend bedingter Lohnbestandteil<br />

bewertet wurde (vgl. RG 10.1. 1911, RGZ<br />

75, 325).<br />

38 Vgl. MünchArbR-Richardi, § 2 Rn. 30; § 6<br />

Rn. 5; eingehend Hromadka, NZA 1997, 569<br />

[572ff.].<br />

39 Vgl. Kaufhold, ZfA 1991, 277; Konzen, ZfA 1991,<br />

379; Reichold, ZfA 1990, 5.<br />

40 Wortlaut des Erlasses bei Richardi, ZfA 1991,<br />

273; vgl. Kern, ZfA 1991, 323; Diskussionsbericht<br />

der Konferenz bei Steckermeier, ZfA 1991,<br />

401.<br />

41 MünchArbR-Richardi, § 2 Rn. 23.<br />

6 Kittner


19. Jahrhundert bis 1918<br />

Der »neue Kurs« war im Wesentlichen verbunden mit der Person des Handelsministers<br />

Berlepsch. Unter seiner Federführung wurde 1891 das sog. Arbeiterschutzgesetz mit dem<br />

bescheidenen Titel »Gesetz, betreffend Abänderung der Gewerbeordnung« verabschiedet. 42<br />

Dabei wurde durch den Zusatz in § 105, wonach die vertragliche Regelung der Arbeitsbedingungen<br />

nurmehr »vorbehaltlich der durch Reichsgesetz begründeten Beschränkungen«<br />

möglich war, auch programmatisch der Grundstein für eine künftige <strong>Arbeitsrecht</strong>sgesetzgebung<br />

gelegt. Im Wesentlichen enthielt das Gesetz folgende Regelungen:<br />

– weiterer Ausbau des Jugendarbeitsschutzes,<br />

– erstmals Schutzfristen für Wöchnerinnen,<br />

– Verbot der Nachtarbeit für Arbeiterinnen (1992 vom BVerfG unter Gleichheitsgesichtspunkten<br />

aufgehoben; <strong>Handbuch</strong>, § 26 Rn. 101),<br />

– Beschäftigungsverbote für gewerbliche Arbeiter an Sonn- und Feiertagen (prinzipielle<br />

Geltung bis heute; vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 26 Rn. 152ff.) und<br />

– eine ausdrückliche Verpflichtung zum Gesundheitsschutz (die erst 1996 durch das<br />

ArbschG abgelöste Generalklausel des § 120 a; vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 93 Rn. 32). 43<br />

Außerdem wurden erste – allerdings dispositive – Mindestkündigungsfristen für Arbeiter<br />

und technische Angestellte eingeführt, wie sie bereits seit 1861 aufgrund des ADHGB für<br />

Handlungsgehilfen galten.<br />

Das »Arbeiterschutzgesetz« legte auch den Grundstein zur Entwicklung der betrieblichen<br />

Mitbestimmung. 44 Gemäß § 134 a GewO wurde der AG verpflichtet, eine Arbeitsordnung<br />

zu den wichtigsten arbeitsvertraglichen Inhalten zu erlassen. Vor ihrem – einseitig möglichen<br />

– Erlass hatte der AG jedoch den Arbeitern oder, wenn vorhanden, einem freiwillig gebildeten<br />

Arbeiterausschuss Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Damit war das erste<br />

Mal die Belegschaft als Kollektiv rechtlich anerkannt – eine von den AG aus grundsätzlichen<br />

Erwägungen abgelehnte Einmischung in die nur als bilateral akzeptierten Beziehungen zu<br />

den einzelnen AN. In Preußen wurden 1905 nach einem mehrwöchigen Bergarbeiterstreik<br />

Arbeiterausschüsse in Bergwerken mit mehr als 100 AN obligatorisch (in Bayern bereits<br />

1900). Im Hinblick auf die ihnen zugedachte Funktion als Befriedungsinstrument in den<br />

Händen der AG wurden sie allerdings bei den ersten Wahlen weitgehend boykottiert. 45<br />

Mit dem Gewerbegerichtsgesetz vom 29. 7.1890 (RGBl. S. 141) schuf Berlepsch eine reichseinheitliche<br />

Grundlage für die Errichtung von Gewerbegerichten. 46 Sie konnten als selbstständige<br />

Gerichte mit Beisitzern aus dem Kreis der AG und AN örtlich zur Entscheidung von<br />

Streitigkeiten zwischen AG und Arbeitern eingerichtet werden. Mit dem Kaufmannsgerichtsgesetz<br />

vom 6. 7.1904 (RGBl. S. 266) wurden Kaufmannsgehilfen einbezogen, so dass<br />

fortan von Gewerbe- und Kaufmannsgerichten die Rede war. Sie waren nur in erster Instanz<br />

tätig; Rechtsmittel mussten bei den ordentlichen Gerichten eingelegt werden. Die<br />

Gewerbe- und Kaufmannsgerichte hatten zugleich die Funktion von Einigungsämtern (als<br />

Vorläufer der späteren Schlichtungsbehörden). Insgesamt sind in Deutschland 585 Gewerbegerichte<br />

und 338 Kaufmannsgerichte errichtet worden. 47 Sie erwarben sich großes Vertrauen<br />

42 RGBl. 1891, S. 261; vgl. H.-J. von Berlepsch,<br />

»Neuer Kurs« im Kaiserreich? Die Arbeiterpolitik<br />

des Freiherrn von Berlepsch (1890–1896),<br />

1987; Gamillscheg, KA Bd. 1, S. 107; Kaufhold,<br />

ZfA 1991, 277; ders., AuR 1989, 231; Reichold,<br />

ZfA 1990, 26.<br />

43 Vgl. Hausen, Arbeiterinnenschutz, Mutterschutz<br />

und Krankenversicherung im Kaiserreich<br />

und in der Weimarer Republik, in Gerhard,<br />

Hrsg., Frauen in der Geschichte des<br />

Rechts, 1997, S. 713 [719ff.].<br />

44 Vgl. Braun/Eberwein/Tholen, Belegschaften und<br />

Unternehmer. Zur Geschichte und Soziologie<br />

der deutschen Betriebsverfassung, 1992;<br />

Milert/Tschirbs, Von den Arbeiterausschüssen<br />

zur Betriebsverfassung, 1991; Rückert/Fried-<br />

rich, Betriebliche Arbeiterausschüsse in<br />

Deutschland, Großbritannien und Frankreich<br />

im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert,<br />

1979; Teuteberg, Geschichte der industriellen<br />

Mitbestimmung in Deutschland, 1961; Eberwein,<br />

WSI-Mitt. 1992, 497; Gamillscheg, AuR<br />

1991, 272; Weber, ZfA 1993, 517.<br />

45 Vgl. Däubler 1, Rn. 724.<br />

46 Vgl. Weiss, Arbeitsgerichtsbarkeit und Arbeitsgerichtsverband<br />

im Kaiserreich und in<br />

der Weimarer Republik, 1984; Hanau, NZA<br />

1993, 338; Leinemann, NZA 1991, 961; Söllner,<br />

FS Arbeitsgerichtsverband, 1994, S. 1ff.; Weiss,<br />

FS Arbeitsgerichtsverband, 1994, S. 75ff.<br />

47 Vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des <strong>Arbeitsrecht</strong>s,<br />

Bd. 1, 3. bis 5. Aufl. 1932, S. 685.<br />

Kittner 7<br />

13<br />

14<br />

15


16<br />

17<br />

18<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

als »Urbild der sozialen Behördenorganisation unserer Zeit« 48 und wurden erst 1926 durch<br />

die Arbeitsgerichte abgelöst (vgl. Rn. 36).<br />

Bereits wenige Jahre nach seinem Start versandete der »neue Kurs« und mündete in arbeitsrechtspolitische<br />

Stagnation. Wilhelm II. war enttäuscht darüber, dass auch seine Politik nicht<br />

die erhoffte Wirkung hatte, die Arbeiter von der Sozialdemokratie abzuziehen (insofern unterlag<br />

er der gleichen Fehleinschätzung wie Bismarck). Er wandte sich zunehmend wieder<br />

konservativen Kräften aus dem Unternehmerlager zu (insbesondere dem saarländischen<br />

Großindustriellen v. Stumm-Halberg). Berlepsch konnte 1896 noch mit der Bäckereiverordnung<br />

erstmals eine Begrenzung der täglichen Höchstarbeitszeit für erwachsene Arbeiter<br />

durchsetzen (grundsätzlich 12 Stunden pro Tag und höchstens 13,5 Stunden; VO vom<br />

4. 3.1896, RGBl. S. 55). Nach seinem Rücktritt im selben Jahr ging der Ausbau des Arbeiterschutzes<br />

bis zum Beginn des Weltkrieges nur mehr in kleinen Schritten weiter. Zu erwähnen<br />

sind insbesondere die Ausdehnung des Jugendschutzes auf alle gewerblichen Betriebe einschließlich<br />

der Heimarbeit (Gesetz betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben vom<br />

30. 3.1903, RGBl. S. 113), der 10-Stunden-Tag für Arbeiterinnen (Gesetz vom 28.12. 1908,<br />

RGBl. S. 667) und der Schutz von Heimarbeitern (Hausarbeitsgesetz vom 20.12. 1911, RGBl.<br />

S. 976).<br />

Die Kodifikation des bürgerlichen Rechts im BGB (Inkrafttreten am 1. 1.1900) hat die Besonderheiten<br />

des Arbeitsverhältnisses so gut wie vollständig ignoriert. 49 Obwohl die Tatsache<br />

der Unterlegenheit und Schutzbedürftigkeit der AN bekannt und als »soziale Frage« Gegenstand<br />

intensiver Diskussion war, 50 beließ man es bei wenigen, unbedeutenden Vorschriften<br />

zur Ergänzung des vollständig dispositiven § 611 BGB. Diese Nichtberücksichtigung tatsächlicher<br />

Kräfteverhältnisse durch ein liberales Vertragsrecht setzte das BGB fundamentaler Kritik<br />

aus: im Reichstag durch die SPD und literarisch vor allem durch Menger 51 und von Gierke<br />

(»Individualismus und einseitig kapitalistische Tendenz reinsten Manchestertums«). 52 Dem<br />

hielt Planck, der federführende Autor des BGB, entgegen, dass es sinnvoller sei, »sociale<br />

Neuerungen … der Specialgesetzgebung des Reichs oder der einzelnen Bundesstaaten zu<br />

überlassen«. 53<br />

Dass diese Gelegenheit zur Zusammenfassung des bereits reichlich vorhandenen <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

im BGB nicht genutzt wurde, ist eine der wesentlichen Ursachen dafür, dass sich das<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong> fortan als Sonderprivatrecht außerhalb des BGB entwickelte. 54 Als Regelung innerhalb<br />

des BGB neben § 617 und § 618 (im Kern wortgleich mit § 120 a GewO) ist die erstmalige<br />

Festlegung nicht abdingbarer Mindestkündigungsfristen in § 621BGB hervorzuheben<br />

(ebenso wie in § 66HGB für Handelsgehilfen).<br />

Parallel zur Entwicklung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts vollzogen sich die kollektive<br />

Organisation der Arbeiter und ihr Versuch der positiven Beeinflussung der eigenen Lebenslage.<br />

In dieser Hinsicht war für den wirtschaftlichen Liberalismus der deutschen Staaten<br />

(vgl. Rn. 2) ebenso wie für Großbritannien und das revolutionäre Frankreich Freiheit zunächst<br />

nur als die von Individuen, nicht dagegen als kollektive vorstellbar. 55 Deshalb existierten<br />

in allen deutschen Staaten zunächst direkte Koalitionsverbote (z. B. §§ 181, 182 Allgemeine<br />

Preußische GewO 1845). 56 Diese Koalitionsverbote wurden 1869 durch § 152 der<br />

48 Sinzheimer, Ein Arbeitstarifgesetz, 1916, S. 169.<br />

49 Vgl. Becker, Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis<br />

in Deutschland, 1995, S. 219ff.; Weiß, Die<br />

Entwicklung des Arbeitsvertragsrechts und<br />

das BGB, 1991; Gamillscheg, KA Bd. 1, S. 100f.;<br />

Adomeit, NJW 1996, 1711.<br />

50 Zu Arbeitsvertrags-Konzeptionen um 1900<br />

vgl. Rückert, ZfA 1992, 225.<br />

51 Vgl. Menger, Das Bürgerliche Gesetzbuch und<br />

die arbeitenden Klassen, 3. Aufl., 1904.<br />

52 Vgl. v. Gierke, Der Entwurf eines Bürgerlichen<br />

Gesetzbuchs und das Deutsche Recht, 1889.<br />

53 Planck, AcP 1989, 327 [405ff.]; zum Verhältnis<br />

von Wirtschaftsliberalismus und Gesetzge-<br />

bung am Ende des 19. Jahrhunderts vgl.<br />

Benöhr, ZfA 1977, 187.<br />

54 Der mit einer Vereinheitlichung wenigstens<br />

des Rechts der Privatangestellten befaßte<br />

30. und 31. Deutsche Juristentag 1910 und<br />

1912, konnte sich zu keiner Vereinheitlichungsempfehlung<br />

durchringen (vgl. Becker,<br />

Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis in<br />

Deutschland, 1995, S. 305ff.).<br />

55 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 155ff. und 168ff.<br />

56 Abdruck bei Blanke/Erd/Mückenberger/<br />

Stascheit, Hrsg., Kollektives <strong>Arbeitsrecht</strong>,<br />

Quellentexte zur Geschichte des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

in Deutschland, Bd. 1, 1975, S. 33f.<br />

8 Kittner


19. Jahrhundert bis 1918<br />

GewO des Norddeutschen Bundes aufgehoben (1871 als GewO des Deutschen Reichs übernommen).<br />

57 Die dafür 1865 von Bismarck ins Feld geführten Argumente sind bis heute bemerkenswert:<br />

Die Koalitionsfreiheit der Arbeit sei zum einen aus Gründen der staatsbürgerlichen<br />

Gleichheit geboten. Sie werde zum anderen nicht zu zügellosen Streikaktivitäten<br />

führen, sondern die Arbeiter vielmehr zur Übernahme von Verantwortung anhalten. Und<br />

schließlich sei von dem von den Gewerkschaften ausgehenden Druck ein heilsames »Korrektiv<br />

gegen das zeitweilige, krankhafte Wachstum einzelner Industriezweige zu erwarten« 58<br />

(zur aktuellen ökonomischen Diskussion vgl. Rn. 126). Neben § 152 GewO stand aber der<br />

ebenfalls neu geschaffene § 153 GewO (abgeschafft erst 1918, vgl. Rn. 22). Diese Vorschrift ermöglichte<br />

eine Bestrafung wegen der Koalitionsbetätigung, soweit sie mit unerlaubten Mitteln<br />

verbunden war (z.B. Drohungen, Verrufserklärungen). § 152 und § 153 GewO setzten<br />

nun einen zwiespältigen, für das Kaiserreich kennzeichnenden Prozess in Gang: Während<br />

die Koalitionsbetätigung zivilrechtlich erlaubt war, wurde sie mit den Mitteln des Strafrechts<br />

schikanös behindert. Zu diesem Zweck wurden auch alle Möglichkeiten des Polizeiund<br />

Versammlungsrechts gegen die Gewerkschaften eingesetzt. In der Zeit des sog. Sozialistengesetzes<br />

59 von 1878 bis 1890 wurden sie als sozialdemokratische Vereine verfolgt und<br />

in die Illegalität gedrängt. Gleichwohl konnte ihre Entwicklung nicht aufgehalten werden.<br />

Die Gewerkschaften entwickelten sich zum einen aus lokalen Unterstützungsvereinen, zum<br />

anderen jeweils als Resultat konkreter Arbeitskämpfe. Als erste »richtige« Gewerkschaften<br />

wurden 1865 der »Deutsche Buchdruckerverein« und der »Allgemeine Deutsche Zigarrenarbeiter-Verein«<br />

gegründet. Nach dem Fall des Sozialistengesetzes entwickelten die Gewerkschaften<br />

sich als von der sozialdemokratischen Partei eigenständige Interessenvertretungen<br />

(neben den sozialdemokratisch orientierten »freien«, den deutlich kleineren »christlichen«<br />

und den – eher sozial-liberalen – »Hirsch-Duncker’schen« Gewerkschaften). 60 Sie überwanden<br />

in den eigenen Reihen Bedenken gegen die zunächst als »Harmonieduselei« verdächtigten<br />

Tarifverträge und nahmen sich dann dieses neuen Instruments erfolgreich an (allerdings<br />

kam es erst 1899 zu einem positiven Grundsatzbeschluss der freien Gewerkschaften). 61 Das<br />

wiederum veranlasste die AG – die freilich schon lange vorher als lokale und regionale<br />

Fabrikantenvereine organisiert präsent waren – seit den 70er Jahren, intensiv ab 1890 zur Bildung<br />

von Arbeitgeberverbänden, die mit Arbeitsnachweisen, »schwarzen Listen« und<br />

schließlich Flächenaussperrungen zunächst die Existenz der Gewerkschaften und danach<br />

den Abschluss von Tarifverträgen bekämpften. 62 Zwar war der Erfolg der Gewerkschaftsidee<br />

wie des Tarifvertrags offenkundig: 1913 hatten die Gewerkschaften ca. 2,3 Mio. Mitglieder;<br />

es existierten etwa 13500 Tarifverträge für 218000 Betriebe mit über 2 Mio. AN. 63 Jedoch<br />

gelang es ihnen nicht, in der Schwerindustrie und in den Zukunftsindustrien (Siemens,<br />

MAN) Fuß zu fassen und dort Tarifverträge durchzusetzen. Andererseits blieben Kaiser,<br />

Reichsregierung und konservative parlamentarische Kräfte mit ihren Versuchen zur Verschärfung<br />

des straf- und polizeirechtlichen Instrumentariums gegen Streiks (»Zuchthausvorlage«<br />

1899) erfolglos. Sie scheiterten damit jedoch durchweg im Reichstag.<br />

Das Tarifrecht der Kaiserzeit war normativ noch wenig geformt. 64 Tarifverträge waren zunächst<br />

rechtlich unverbindlich; Ansprüche aus ihnen konnten nicht vor staatlichen Gerichten<br />

eingeklagt werden. Initiativen zur Kodifizierung des Tarifvertragsrechts im Reichstag 65<br />

und des 29. Deutschen Juristentages 1908 66 blieben erfolglos. Sowohl die AG als auch die<br />

57 Zum Folgenden insgesamt Kittner, Arbeitskampf,<br />

S. 227ff.<br />

58 Vollständiger Text bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit,<br />

Hrsg., Kollektives <strong>Arbeitsrecht</strong>,<br />

Quellentexte zur Geschichte des<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong>s in Deutschland, Band 1, 1975,<br />

S. 55f.<br />

59 »Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen<br />

der Sozialdemokratie« vom<br />

21. 10.1878 (RGBl. S. 351).<br />

60 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 239ff.<br />

61 Vgl. Ullmann, Tarifverträge und Tarifpolitik in<br />

Deutschland bis 1914, 1977.<br />

62 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 318ff.<br />

63 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 370ff.<br />

64 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, 370ff.<br />

65 Vgl. Nautz, Das deutsche Tarifrecht zwischen<br />

Interventionismus und Autonomie, in Nutzinger,<br />

Hrsg., Die Entstehung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s in<br />

Deutschland, 1998, S. 71 [72f.].<br />

66 Vgl. Becker, Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis<br />

in Deutschland, 1995, S. 305ff.<br />

Kittner 9<br />

19<br />

20


21<br />

22<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

freien Gewerkschaften und die SPD lehnten die Schaffung eines Tarifvertragsgesetzes ab: die<br />

einen aus prinzipieller Gegnerschaft gegen den damit verbundenen Gewerkschaftseinfluss,<br />

die anderen aus grundsätzlicher Skepsis gegen das Tätigwerden des Gesetzgebers auf diesem<br />

Feld. 67 So blieb es bei konzeptionellen Überlegungen zur rechtlichen Bewältigung dieses<br />

neuen Vertragstyps durch die Wissenschaft, insbesondere durch Lotmar 68 und Sinzheimer 69.<br />

Die Ernte dieser Bemühungen wurde allerdings erst nach der November-Revolution mit der<br />

Tarifvertrags-VO von 1918 eingebracht (vgl. Rn. 27, 32).<br />

Bemerkenswert ist die zivilrechtliche Liberalität des Arbeitskampfrechts: 70 Die Zulässigkeit<br />

von Arbeitskämpfen wurde ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ihrer Sittenwidrigkeit<br />

i. S. des § 826 BGB überprüft. Allerdings konnten ohne Einhaltung der Kündigungsfrist<br />

durchgeführte Streiks mit fristloser Kündigung beantwortet werden. 71 Die Rechtsprechung<br />

befasste sich überwiegend mit den rechtlichen Grenzen von Boykottmaßnahmen (beider Seiten).<br />

Seit Inkrafttreten des § 152 GewO 1869 bis 1918 ist nur ein einziger (!) Streik vom RG als<br />

rechtswidrig bezeichnet worden. Diese Entscheidung vom 20. 1.1910 72 war aber der Sache<br />

nach ein großer Erfolg für die Gewerkschaften. Mit ihr wurde erstmals ein Tarifvertrag als<br />

rechtsverbindlich im Verhältnis zwischen den Tarifvertragsparteien behandelt, woraus eine<br />

(auch) die Gewerkschaft bindende Friedenspflicht abgeleitet wurde. Diese Sicht bildete die<br />

Grundlage für die spätere Etablierung einer Rechtsverbindlichkeit auch gegenüber den Tarifunterworfenen<br />

(vgl. Rn. 27, 32). Den Gewerkschaften als nützlich erwies sich ihre Verfassung<br />

als nichtrechtsfähige Vereine. Denn dadurch hafteten sie für die in ihrem Namen handelnden<br />

Funktionäre (auch Vorstandsmitglieder) nicht gemäß § 31 BGB, sondern nur gemäß<br />

§ 831 BGB mit der Möglichkeit des Entlastungsbeweises. 73<br />

Mit dem Beginn des ersten Weltkrieges endete nicht nur jede Weiterentwicklung des Arbeiterschutzrechts.<br />

Vielmehr erhielten die Behörden durch das »Gesetz über Ausnahmen von<br />

Beschäftigungsbeschränkungen« vom 4. 8.1914 (RGBl. S. 333) das Recht, Ausnahmen von einer<br />

Reihe von Arbeitsschutzbestimmungen zuzulassen.<br />

Der Krieg wurde jedoch zum Anlass für die Anerkennung der Gewerkschaften durch Staat<br />

und Wirtschaft und die Etablierung der Betriebsverfassung. AN seinem Beginn konnten die<br />

Gewerkschaften zunächst zum »Burgfrieden« gewonnen werden (vor dem Hintergrund<br />

einer Pro-Kriegs-Stimmung der ganz überwältigenden Mehrheit ihrer Mitglieder). Um sich<br />

ihrer Loyalität auch unter den schwieriger werdenden Bedingungen mit Anhalten des<br />

Krieges zu versichern, erfolgten 1916 weitreichende gesetzliche Schritte. 74 Zunächst wurden<br />

die Gewerkschaften aus dem Anwendungsbereich der vereinsrechtlichen Vorschriften über<br />

politische Vereine herausgenommen (Gesetz vom 26. 6.1916, RGBl. S. 635). Danach wurden<br />

sie aufgrund des »Gesetzes über den vaterländischen Hilfsdienst« vom 5.12. 1916 (RGBl.<br />

S. 1333) als vorschlagsberechtigte Organisationen für die aufgrund des Gesetzes neu errichteten<br />

Schlichtungsstellen anerkannt. Außerdem wurden in kriegswichtigen Betrieben<br />

mit mehr als 50 AN Arbeiter- oder Angestelltenausschüsse obligatorisch. Streitigkeiten<br />

zwischen AG und Ausschuss über Arbeitsbedingungen konnten von jeder Seite vor die<br />

Schlichtungsstelle gebracht werden. Die Praxis der Schiedsstellen bereitete den Boden für<br />

eine beidseitige Anerkennung des Tarifgedankens und das spätere »Stinnes-Legien-Abkommen«<br />

(vgl. Rn. 25). In diese Linie passte die überfällige Aufhebung des § 153 GewO durch<br />

das Gesetz vom 22. 5.1918 (RGBl. S. 94).<br />

67 Vgl. Martiny, Integration oder Konfrontation<br />

– Studien zur Geschichte der sozialdemokratischen<br />

Rechts- und Verfassungspolitik,<br />

1976, S. 72ff.; Kempen/Zachert, Grundl.<br />

Rn. 12ff.<br />

68 Lotmar, Die Tarifverträge zwischen Arbeitgeber<br />

und Arbeitnehmer, Archiv für Sozialwissenschaft<br />

und Sozialpolitik, Bd. 15, 1900,<br />

S. 1ff.<br />

69 Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormen-<br />

vertrag, 1907/08; ders., Ein Arbeitstarifgesetz,<br />

1916.<br />

70 Zum Folgenden eingehend Kittner, Arbeitskampf,<br />

S. 304ff.<br />

71 Vgl. Gamillscheg, KA Bd. 1, S. 105.<br />

72 RGZ 73, 92.<br />

73 Vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des <strong>Arbeitsrecht</strong>s,<br />

Bd. 2, 3. bis 5. Aufl. 1932, S. 673.<br />

74 Zum Folgenden eingehend Kittner, Arbeitskampfrecht,<br />

S. 380ff.<br />

10 Kittner


Novemberrevolution 1918 und Weimarer Republik<br />

Eine arbeitsrechtliche Bilanz des Kaiserreichs muss anerkennen, dass es all seinen konservativen<br />

und autokratischen Eigenschaften zum Trotz mit seinen Regelungen zum Arbeitsschutz<br />

und zur betrieblichen Beteiligung der Industriearbeiter dauerhafte Grundlagen<br />

für die Entwicklung bis heute gelegt hat. 75 Zwar ist die freie Koalitionsbetätigung nur geduldet<br />

und noch nicht als Selbsthilfe-Komponente des <strong>Arbeitsrecht</strong>s anerkannt worden,<br />

und die in der Land- und Hauswirtschaft Tätigen blieben von der Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

ausgeschlossen (was erst mit der Novemberrevolution 1918 korrigiert wurde; vgl.<br />

Rn. 26f.). Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass das Kaiserreich für seine Zeit und im Vergleich<br />

zu anderen Ländern bereits bemerkenswert moderne sozialstaatliche Strukturen<br />

besaß.<br />

III. Novemberrevolution 1918 und Weimarer Republik<br />

Bereits das erste rechtsverbindliche Dokument der aus der November-Revolution 1918 76<br />

hervorgegangenen neuen Regierung befasste sich mit arbeitsrechtlichen Themen: Der Aufruf<br />

des Rates der Volksbeauftragten (»an das Deutsche Volk«) vom 12. 11. 1918 (RGBl.<br />

S. 1303) ordnete mit Gesetzeskraft u. a. an:<br />

– Aufhebung des Gesetzes über den vaterländischen Hilfsdienst, mit Ausnahme der<br />

Schlichtungsvorschriften,<br />

– Außerkraftsetzung der Gesindeordnungen sowie der Ausnahmegesetze gegen die Landarbeiter<br />

und<br />

– Wiederinkraftsetzung der bei Beginn des Krieges aufgehobenen Arbeitsschutzbestimmungen<br />

(vgl. Rn. 19).<br />

Alle Beschränkungen des Vereins- und Versammlungsrechts wurden aufgehoben, auch für<br />

Beamte und Staatsarbeiter (zum Beamtenstreik vgl. Rn. 33). Dazu stellte der Rat der Volksbeauftragten<br />

weitere sozialpolitische Verordnungen in Aussicht, insbesondere den achtstündigen<br />

Maximalarbeitstag zum 1.1.1919 (vgl. Rn. 27).<br />

Parallel zum Umsturz im staatlichen Bereich verständigten sich Arbeitgeberverbände und<br />

Gewerkschaften am 15.11. 1918 auf ein Abkommen über die »Zentralarbeitsgemeinschaft<br />

der industriellen und gewerblichen AG und AN Deutschlands« (nach den Delegationsführern<br />

beider Seiten auch »Stinnes-Legien-Abkommen« genannt). 77 Wichtigster Punkt aus der<br />

Sicht der Gewerkschaften und Bedingung des Zustandekommens der Vereinbarung war die<br />

Anerkennung von Gewerkschaften und Tarifvertragssystemen durch die AG und deren Absage<br />

gegenüber »gelben« Werkvereinen (»Die Gewerkschaften werden als berufene Vertreter<br />

der Arbeiterschaft anerkannt.«). Die AG erklärten sich hierzu bereit, um aus ihrer Sicht<br />

Schlimmeres – eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft – zu verhindern. Das »Stinnes-Legien-Abkommen«<br />

wurde zur Grundlage der arbeitsrechtlichen Neugestaltung. Die<br />

in ihm gemachten Ankündigungen wurden binnen kurzer Zeit durch die staatlichen Organe<br />

nachvollzogen.<br />

Besonders signifikant wurde die mehr oder weniger nur ratifizierende Rolle des Staates auch<br />

bei der Verabschiedung der »Vorläufigen Landarbeitsordnung« vom 24.1. 1919 (RGBl.<br />

S. 111): Die von den Verbänden landwirtschaftlicher AG und AN im Reichs-Bauern-Landarbeiterrat<br />

abgeschlossene Vereinbarung wurde von der Reichsregierung unverändert als<br />

Verordnung im Reichsgesetzblatt übernommen. Sie wurde erst 1969 durch das Erste <strong>Arbeitsrecht</strong>sbereinigungsgesetz<br />

aufgehoben (vgl. Rn. 83).<br />

75 Vgl. Konzen, ZfA 1991, 379; Zöllner, NJW<br />

1990, 1.<br />

76 Zum Folgenden eingehend Kittner, Arbeitskampf,<br />

S. 395ff.<br />

77 Veröffentlicht durch den Rat der Volksbeauftragten<br />

im Deutschen Reichsanzeiger Nr. 273<br />

vom 18. 11.1918; vollständiger Text bei Blanke/<br />

Erd/Mückenberger/Stascheit, Hrsg., Kollektives<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong>, Quellentexte zur Geschichte des<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong>s in Deutschland, Bd. 1, 1975,<br />

S. 181f. (zur Satzung der Zentralarbeitsgemeinschaft<br />

vgl. RArbBl. 1918, 874).<br />

Kittner 11<br />

23<br />

24<br />

25<br />

26


27<br />

28<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

In nur einem Vierteljahr nach der Novemberrevolution sind praktisch in allen relevanten Bereichen<br />

die Grundstrukturen der neuen Arbeitsverfassung durch Verordnungen des Rates<br />

der Volksbeauftragten, des Demobilmachungsamtes und ab 1. 1.1919 der Reichsregierung<br />

festgelegt worden:<br />

– Verordnung über die Erwerbslosenfürsorge vom 13. 11.1918 (RGBl. S. 1305): Bereitstellung<br />

von Reichsmitteln zur Auszahlung durch die Kommunen;<br />

– Anordnung über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter vom 23. 11.1918<br />

(RGBl. S. 1334): Einführung des Acht-Stunden-Tages (für Angestellte durch VO vom<br />

18. 3.1919, RGBl. S. 315);<br />

– Anordnung über Arbeitsnachweise vom 9. 12.1918 (RGBl. S. 1421): Errichtung unparteiischer<br />

Arbeitsnachweise bei den Gemeinden mit Verwaltungsbeteiligung von AN und<br />

AG (Meldepflicht für freie Arbeitsplätze durch VO vom 17.2.1919, RGBl. S. 201);<br />

– Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung<br />

von Arbeitsstreitigkeiten vom 23.12. 1918 (RGBl. S. 1456): rechtliche Anerkennung des Tarifvertrages<br />

mit unmittelbarer und zwingender Wirkung und die Möglichkeit ihrer Allgemeinverbindlicherklärung<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 8 Rn. 260ff.), obligatorische Ausschüsse in allen<br />

Wirtschaftsbereichen, einschließlich des öffentlichen Dienstes und Einführung einer<br />

staatlichen Schlichtung für individuelle und kollektive Arbeitsstreitigkeiten (noch ohne<br />

verbindlichen Schlichterspruch);<br />

– Verordnung über die Einstellung, Entlassung und Entlohnung gewerblicher Arbeiter während<br />

der Zeit der wirtschaftlichen Demobilmachung vom 4.1. 1919 (RGBl. S. 8): Einstellungsgebote<br />

und Kündigungsverbote für Betriebe mit mindestens zwanzig AN (für Angestellte<br />

durch VO vom 24.1.1919, RGBl. S. 100);<br />

– Verordnung über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 9. 1.1919 (RGBl. S. 28): Beschäftigungspflicht<br />

für eine Mindestquote von Schwerbeschädigten (1%), Kündigungsbeschränkungen<br />

für Schwerbeschädigte und Bußgeld bei Nichterfüllung der Quote und<br />

dessen Verwendung zum Zwecke der Schwerbeschädigtenfürsorge (zum heutigen Schwerbehindertenrecht<br />

vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 110).<br />

Damit wurden entscheidende Weichen für die Arbeitsverfassung der Weimarer Republik<br />

bereits vor der Verabschiedung der Verfassung gestellt, die sich ihrerseits in Bezug auf das<br />

Arbeitsleben ebenfalls in den vom »Stinnes-Legien-Abkommen« vorgezeichneten Bahnen<br />

bewegte (Rn. 25). 78<br />

Die Weimarer Reichsverfassung wurde von der am 19. 1.1919 gewählten Nationalversammlung<br />

am 11.8.1919 verabschiedet (RGBl. S. 1383). 79 Einen herausragenden Anteil an ihrem die<br />

Arbeitsverfassung betreffenden Inhalt hatte Hugo Sinzheimer. 80 Das <strong>Arbeitsrecht</strong> wurde als<br />

eigenständiges Rechtsgebiet ausdrücklich der Reichsgesetzgebung überwiesen (Art. 7 Nr. 9<br />

WRV; vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 1 Rn. 1). Für die Arbeitsverfassung zentral ist die durch das »Stinnes-<br />

Legien-Abkommen« vorgezeichnete Garantie der Koalitionsfreiheit (Art. 159 Satz 1 WRV:<br />

»Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen<br />

ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet«). Sie war, anders als andere<br />

Grundrechte, nicht nur bloßer Programmsatz, sondern besaß Rechtsverbindlichkeit auch im<br />

Privatrechtsverkehr (Satz 2: »Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken<br />

oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig«). Daraus wurde z. B. der Ver-<br />

78 Vgl. Nörr, ZfA 1986, 403; Ramm, Gedächtnisschrift<br />

Kahn-Freund, 1980, S. 225; ders., ZfA<br />

1988, 157; umfassend Preller, Sozialpolitik in<br />

der Weimarer Republik, 1949, Nachdruck 1978.<br />

79 Vgl. Eichenhofer, Hrsg., 80 Jahre Weimarer<br />

Reichsverfassung – Was ist geblieben?, 1999;<br />

Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997;<br />

Gamillscheg, KA Bd. 1, S. 116ff.; Anschütz, Die<br />

Verfassung des Deutschen Reichs, 11. Aufl.<br />

1929; Hammer, JA 2000, 57.<br />

80 Zur Entstehungsgeschichte und insbesondere<br />

zu der Rolle Sinzheimers vgl. Albrecht, Hugo<br />

Sinzheimer in der Weimarer Nationalversammlung.<br />

Sein Beitrag zum wirtschaftlichen Rätesystem<br />

und zu den arbeits- und wirtschaftsrechtlichen<br />

Grundrechten, Diss. Frankfurt 1970;<br />

Martiny, Integration oder Konfrontation – Studien<br />

zur Geschichte der sozialdemokratischen<br />

Rechts- und Verfassungspolitik, 1976, S. 85ff.;<br />

zur Gesamtbiographie vgl. Kubo, Hugo Sinzheimer<br />

– Vater des Deutschen <strong>Arbeitsrecht</strong>s, 1995;<br />

Zachert, RdA 2001, 104.<br />

12 Kittner


Novemberrevolution 1918 und Weimarer Republik<br />

fassungsrang der Unabdingbarkeit von Tarifverträgen abgeleitet. 81 Allerdings hatte man<br />

durch die Wahl des Wortes »Vereinigungsfreiheit« anstelle des in ursprünglichen Entwürfen<br />

gebrauchten Begriffs »Koalitionsfreiheit« zum Ausdruck gebracht, dass das Grundrecht kein<br />

die arbeitsvertraglichen Pflichten suspendierendes Streikrecht (auch kein vergleichbares<br />

Recht zur Aussperrung; zum Recht der fristlosen Kündigung vgl. Rn. 33) enthalten sollte. 82<br />

Die von der WRV verfasste parlamentarisch-repräsentative Demokratie bedeutete eine klare<br />

Absage an jede Form der Räterepublik, wie sie unmittelbar nach der Revolution noch in der<br />

Luft gelegen hatte. Als Konzession wurde lediglich Art. 165 eingefügt, der ein dreistufiges<br />

Rätesystem für die Wirtschaft vorsah. Diese Vorschrift blieb jedoch praktisch folgenlos. Das<br />

Betriebsrätegesetz von 1920 hatte mit dem Rätegedanken nichts mehr zu tun, sondern<br />

knüpfte an die schon vorhandenen Arbeiter- und Angestelltenausschüsse an (vgl. Rn. 14, 22).<br />

Art. 157 WRV kündigte die Schaffung eines einheitlichen <strong>Arbeitsrecht</strong>s an.<br />

Das Individualarbeitsrecht und das Arbeitsschutzrecht sind in der Weimarer Republik weitestgehend<br />

in den von den ersten Regierungsverordnungen der Revolutionszeit vorgezeichneten<br />

Bahnen weiter entwickelt worden. Es gab aber auch Neues. Die umstrittenste Materie<br />

war das Arbeitszeitrecht. Schon bald nach Überwindung der gröbsten Nachkriegswirren<br />

nahmen die AG den Kampf gegen den Acht-Stunden-Tag auf. Als Resultat ihrer Bemühungen<br />

wurde mit der »Verordnung über die Arbeitszeit« vom 21.12. 1923 (RGBl. S. 1249) eine tarifvertragliche<br />

oder behördliche Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf zehn Stunden ermöglicht.<br />

Die Konflikte hierüber führten 1923/24 zum Ende der Zentralarbeitsgemeinschaft.<br />

Das »Gesetz zur Abänderung der Arbeitszeitverordnung«, das sog. Arbeitszeitnotgesetz,<br />

vom 14.4. 1927 (RGBl. S. 109) führte zur Eindämmung der Mehrarbeit einen Mehrarbeitszuschlag<br />

von 25 % ein. Der Kündigungsschutz wurde im Anschluss an die VO vom 4.1.1919<br />

(vgl. Rn. 27) mit zwei weiteren DemobilmachungsVO fortgeführt. 83 In der VO von 1920<br />

wurde eine Arbeitszeitverkürzung um bis zu 50 % als Voraussetzung für betriebsbedingte<br />

Entlassungen gemacht und eine erste Regelung zur sozialen Auswahl eingeführt. Im Anschluss<br />

daran wurde durch die »VO, betreffend Maßnahmen gegenüber Betriebsabbrüchen<br />

und -stillegungen« vom 8. 11.1920 (RGBl. S. 1901) die erste Regelung über anzeigepflichtige<br />

Massenentlassungen getroffen (als Vorläufer der heutigen §§ 17ff. KSchG, vgl. § 103). Die DemobilmachungsVO<br />

wurde mit der VO über Betriebsstillegung und Arbeitsstreckung vom<br />

13.10. 1923 (RGBl. I, S. 945) aufgehoben, die auch den Massenkündigungsschutz neu ordnete.<br />

Mit dem Angestelltenkündigungsschutzgesetz vom 9.7. 1926 (RGBl. I, S. 399) wurden die<br />

Kündigungsfristen für ältere und langjährig beschäftigte Angestellte erhöht. Ein materieller<br />

Kündigungsschutz im Sinne der rechtlichen Überprüfbarkeit der Kündigungsgründe existierte<br />

allerdings noch nicht (zur Beteiligung des BR bei Kündigungen vgl. Rn. 31). Der Mutterschutz<br />

wurde durch das »Gesetz über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft«<br />

vom 16.7. 1927 (RGBl. I, S. 184) weiterentwickelt. Während des bereits aufgrund der GewO<br />

bestehenden Beschäftigungsverbots vor und nach der Niederkunft galt künftig ein Kündigungsverbot.<br />

Zum Schwerbeschädigtenschutz löste noch die verfassungsgebende Nationalversammlung<br />

die entsprechende VO des Demobilmachungsamtes mit dem »Gesetz über<br />

die Beschäftigung Schwerbeschädigter« vom 6.4.1920 (RGBl. S. 458) ab. Die letzte arbeitsrechtliche<br />

Neuerung der Weimarer Republik betrifft schließlich die Entgeltfortzahlung im<br />

Krankheitsfall: Zur Entlastung der Krankenversicherung wurde sie mit NotVO des Reichspräsidenten<br />

vom 1.12. 1930 (RGBl. I, S. 517) für Angestellte durch Einfügung von § 616 Satz 2<br />

BGB für die Dauer von sechs Wochen für unabdingbar erklärt.<br />

Zur Umsetzung von Art. 157 WRV wurde das Vorhaben eines Arbeitsvertragsgesetzes zwar<br />

aufgegriffen, und es kam auch zu einem Entwurf des von der Reichsregierung eingesetzten<br />

81 Vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des <strong>Arbeitsrecht</strong>s,<br />

Bd. 2, 3. bis 5. Aufl. 1932, S. 39; Kempen/<br />

Zachert, Grundl. Rn. 27; grundlegend zu Annexfunktionen<br />

der Grundrechte der WRV<br />

Nogler, AuR 1996, 206.<br />

82 Vgl. Sinzheimer, Protokoll des Achten Aus-<br />

schusses der Nationalversammlung, 1919,<br />

S. 390; vgl. Anschütz, WRV, Art. 159<br />

Anm. 5 m.w.N.<br />

83 VO vom 3.9. 1919 (RGBl. S. 1500); VO vom<br />

12. 2.1920 (RGBl. S. 218).<br />

Kittner 13<br />

29<br />

30


31<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong>sausschusses. 84 Dieser Entwurf wurde jedoch nach Auflösung des Ausschusses<br />

im Jahre 1924 nicht mehr weiter verfolgt. 85 Geplant war auch ein umfassendes Arbeitsschutzgesetz.<br />

Zwei Entwürfe des Reichsarbeitsministeriums aus den Jahren 1926 und 1928 86 scheiterten<br />

sowohl am fehlenden gesamtpolitischen Konsens als auch am Dualismus zwischen<br />

staatlichem Arbeitsschutz und Berufsgenossenschaften (zur Unfallversicherung vgl.<br />

Rn. 38). 87<br />

Mit dem Betriebsrätegesetz vom 4.2. 1920 (RGBl. S. 147) wurde die mit den Arbeiterausschüssen<br />

im Kaiserreich begonnene Entwicklung einer gesetzlichen Interessenvertretung neben<br />

den Gewerkschaften fortgesetzt. 88 Die Betriebsverfassung ist seitdem ein tragender Pfeiler<br />

der Arbeitsverfassung in Deutschland. Das Gesetz bedeutete eine Absage an die aus der<br />

Novemberrevolution geborene Idee von Räten als Macht- und Entscheidungszentrum auf<br />

der unteren Ebene. Vielmehr hatte der BR die Doppelaufgabe: »Wahrnehmung der gemeinsamen<br />

wirtschaftlichen Interessen der AN dem AG gegenüber« und »Unterstützung des AG<br />

in der Erfüllung der Betriebszwecke« (§ 1 BRG). 89 Dem entsprach die Selbständigkeit der<br />

Betriebsleitung durch den AG: »Ein Eingriff in die Betriebsleitung durch selbstständige Anordnungen<br />

steht dem BR nicht zu« (§ 69 Satz 2 BRG). Diese Konzeption des BRG ist maßgeblich<br />

durch das Ergebnis zweier Arbeitskämpfe bestimmt: Aufgrund des mitteldeutschen<br />

Bergarbeiterstreiks im März 1919 und nach einem Angestelltenstreik in der Berliner Metallindustrie<br />

im April 1919 wurden jeweils betriebsverfassungsrechtliche Bestimmungen in den<br />

Tarifvertrag aufgenommen. Sie wurden Bestandteil der Begründung der verfassunggebenden<br />

Nationalversammlung für den Art. 165 WRV 90 und bildeten auch das Modell für Einzelheiten<br />

des BRG. 91 Ein besonderes Problem bildete das Verhältnis der Betriebsräte zu den<br />

Gewerkschaften, die die Errichtung allzu selbstständiger und einflussreicher Räte nicht<br />

zu Unrecht als Konkurrenz begriffen. 92 Das BRG sicherte ihnen einen klaren Vorrang zu (§ 8<br />

BRG). 93 Betriebsräte durften dort nicht tätig werden, wo Tarifverträge existierten; sie hatten<br />

vielmehr für deren Einhaltung zu sorgen (§§ 66 Nr. 4, 78 Nr. 1 BRG). Außerdem erhielten<br />

Gewerkschaften institutionelle Rechte innerhalb der Betriebsverfassung (Teilnahme an<br />

Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen, §§ 31, 47 BRG). Das BRG führte die mit<br />

dem Hilfsdienstgesetz begonnene Aufspaltung der Interessenvertretung fort und stellte neben<br />

den BR einen Arbeiterrat und einen Angestelltenrat, denen für nur eine Gruppe betreffende<br />

Angelegenheiten die Beteiligungsrechte des BR übertragen wurden (§§ 78ff. BRG). Der<br />

BR bzw. Arbeiter- und Angestelltenrat hatte, so wie die früheren Arbeiterausschüsse, überwiegend<br />

nur Beratungsrechte. Allerdings wurde erstmals der Inhalt der »gemeinsamen<br />

Dienstvorschriften« bzw. der »Arbeitsordnung« (darunter die Verteilung der Arbeitszeit)<br />

mitbestimmungspflichtig mit verbindlicher Entscheidung durch die Schlichtungsstelle (§§ 66<br />

Nr. 5, 75, 80 BRG). Neuartig war das Beteiligungsrecht bei Kündigungen: Der gekündigte<br />

AN konnte mit einem Einspruch geltend machen, dass die Kündigung nicht den in § 84 BRG<br />

genannten Anforderungen entsprach. Wenn sich der Arbeiter- oder Angestelltenrat dieses<br />

Einspruchs annahm und ihn auch das Arbeitsgericht für berechtigt erkannte, musste der AG<br />

sich entscheiden, ob er den AN weiter beschäftigte oder ihm eine Abfindung zahlte (§ 87<br />

BRG). Gemäß § 72 BRG musste der AG dem BR eine auf den Betrieb bezogene Bilanz und Ge-<br />

84 RArbBl. 1923, 498.<br />

85 Vgl. Ramm, Entwürfe zu einem Deutschen Arbeitsvertragsgesetz,<br />

1992, S. 34ff., dort auch<br />

Abdruck des Kommissionsvorschlags, S. 125ff.<br />

86 RArbBl. 1926, Sonderheft 37; RArbBl. 1928,<br />

Sonderheft 44.<br />

87 Vgl. Pieper, Das Arbeitsschutzrecht in der<br />

deutschen und europäischen Rechtsordnung,<br />

1998, S. 77f.<br />

88 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 414ff.<br />

89 Vgl. Briegl/Matthias, Betriebsräte in der Weimarer<br />

Republik, 1978; Crusius/Schiefelbein/<br />

Wilke, Betriebsräte in der Weimarer Republik,<br />

1978.<br />

90 Vgl. Drs. 385 der verfassunggebenden Nationalversammlung<br />

Deutschlands (Reichsanzeiger<br />

Nr. 65 vom 20.3. 1919).<br />

91 Vgl. Flatow/Kahn-Freund, BRG, 13. Aufl. 1931,<br />

Einl. Ziff. 2.<br />

92 Vgl. Potthoff, Gewerkschaften und Politik<br />

zwischen Revolution und Inflation, 1979,<br />

S. 141ff.<br />

93 Vgl. Flatow/Kahn-Freund, BRG, Einl. Ziff. 4 und<br />

5; Kittner, Arbeitskampf, S. 415.<br />

14 Kittner


Novemberrevolution 1918 und Weimarer Republik<br />

winn- und Verlustrechnung vorlegen. 94 Erstmals wurden zwei Betriebsratsmitglieder in den<br />

Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften entsandt (§ 70 BRG). 95<br />

Für das Tarifrecht der Weimarer Republik ist bis zuletzt die Verordnung vom 23. 12. 1918<br />

(vgl. Rn. 27) maßgebend geblieben, obwohl sie nur als ein Provisorium konzipiert worden<br />

war. 96 Der <strong>Arbeitsrecht</strong>sausschuss der Reichsregierung legte zwar 1921 durch Sinzheimer<br />

den »Entwurf eines Arbeitstarifgesetzes« vor. 97 Das Vorhaben blieb jedoch trotz anfänglicher<br />

Zustimmung von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften stecken, vor allem wegen<br />

Differenzen über die Regelung der Tariffähigkeit. 98 Es wurde nochmals 1928 bei der Zusammenarbeit<br />

zwischen Deutschland und Österreich zur Rechtsangleichung des Tarifrechts<br />

aufgegriffen, kam aber über das Stadium eines (unveröffentlichten) gemeinsamen Referentenentwurfs<br />

nicht mehr hinaus. 99 Auch ein im <strong>Arbeitsrecht</strong>sausschuss diskutierter Entwurf<br />

Oertmanns zur Rechtsstellung der Berufsvereine wurde wegen Differenzen über die Frage<br />

ihrer Haftung kein Gesetz. 100 Die Zahl der Tarifverträge stieg in der Weimarer Republik<br />

stark an: 1922 galten sie für fast 900 000 Betriebe mit 14,3 Mio. AN. 101 Man muss allerdings<br />

sehen, dass die Wirkungskraft der Tarifverträge auf der betrieblichen Ebene nur sehr begrenzt<br />

war: Die meisten Tarifverträge ließen den AG insbesondere in Entlohnungsfragen<br />

große Spielräume (z. B. die Entscheidung zwischen Zeit- und Leistungslohn). 102 Zudem gab<br />

es hinsichtlich der konkreten Eingruppierung sowie den Leistungslohnkriterien kein den<br />

heutigen §§ 87 und 99 BetrVG entsprechendes Mitbestimmungsrecht (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 31<br />

Rn. 11ff.). 103<br />

Das zivilrechtliche Arbeitskampfrecht blieb weiterhin gesetzlich nicht geregelt. Es galten<br />

praktisch unverändert die im Kaiserreich entwickelten Regeln (vgl. Rn. 21). 104 Wegen des<br />

Fehlens eines verfassungsrechtlich garantierten Streikrechts (vgl. Rn. 28) blieben fristlose<br />

Kündigungen als Reaktion auf Streiks ohne Einhaltung der Kündigungsfrist möglich. 105 Die<br />

Beschäftigung nach Abschluss eines Arbeitskampfes hing ausschließlich von der Durchsetzung<br />

einer (meist nur schuldrechtlich wirkenden) tarifvertraglichen Wiedereinstellungsklausel<br />

ab. 106 Als neues Phänomen kam die Frage mittelbarer Arbeitskampffolgen hinzu.<br />

Das RG (ebenso wie später das RAG) überbürdete das Lohnrisiko in seinem ersten Urteil<br />

über die Arbeitseinstellung bei der Kieler Straßenbahn wegen eines Streiks der Kraftwerksarbeiter<br />

unter dem Gesichtspunkt der Betriebsgemeinschaft und aus kampftaktischen Gründen<br />

den AN (zum heutigen »Arbeitskampfrisiko« vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 136 Rn. 55ff.). 107 Das<br />

Streikrecht für Beamte wurde angesichts eines drohenden Eisenbahnerstreiks durch NotVO<br />

des Reichspräsidenten Ebert vom 1. 2. 1922 (RGBl. I, S. 187) generell verneint: »Den Beamten<br />

der Reichsbahn ist ebenso wie allen übrigen Beamten nach dem geltenden Beamtenrecht die<br />

Einstellung oder Verweigerung der ihnen obliegenden Arbeit verboten.« Mit dieser von den<br />

Gerichten später einhellig gebilligten NotVO wurde die Frage des Beamtenstreikrechts für<br />

94 Vgl. »Gesetz über die Betriebsbilanz und die<br />

Betriebsgewinn- und -verlustrechnung« vom<br />

5.2.1921 (RGBl. S. 159).<br />

95 Vgl. »Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern<br />

in den Aufsichtsrat«<br />

vom 15. 2. 1922 (RGBl. S. 209); Köstler, Mitb.<br />

1986, 429.<br />

96 Vgl. Gamillscheg, KA Bd. 1, S. 115f.<br />

97 RArbBl. 1921 AT, 491; Wiederabdruck in Sinzheimer,<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong> und Rechtssoziologie,<br />

Bd. 1, 1976, S. 182ff.<br />

98 Vgl. Bohle, Einheitliches <strong>Arbeitsrecht</strong> in der<br />

Weimarer Republik, 1990, S. 34ff.<br />

99 Vgl. Bohle, a. a. O., S. 37f.<br />

100 Vgl. Bohle, a. a. O., S. 23ff.; Abdruck des Entwurfs:<br />

Anhang, S. 145ff.; zu dieser Thematik<br />

vgl. auch 34. Deutscher Juristentag, 1926 (Gutachten<br />

Nipperdey).<br />

101 Vgl. Gamillscheg, KA Bd. 1, S. 118.<br />

102 Vgl. den Tatbestand des RAG-Urteils im so genannten<br />

Ruhreisenstreit (Rn. 34; RAG<br />

29. 1.1929, Bensheimer Sammlung 5, 167).<br />

103 Vgl. Crusius/Schiefelbein/Wilke, Die Betriebsräte<br />

in der Weimarer Republik, Bd. 2, 1978,<br />

S. 167ff.<br />

104 Vgl. eingehend Kittner, Arbeitskampf, S. 429ff.<br />

105 Damals ganz h.M., vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch<br />

des <strong>Arbeitsrecht</strong>s, Bd. 2, 3. bis 5. Aufl.<br />

1932, S. 497f.; a. A. lediglich LG Frankfurt<br />

20. 7.1923, ArbR 1924, 858; Potthoff, ArbR 1925,<br />

987.<br />

106 Vgl. Hueck/Nipperdey, a. a. O., S. 90ff. m. w. N.<br />

107 RG 6. 2.1923, RGZ 106, 272; hierzu die Ideologiekritik<br />

von Kahn-Freund, Das soziale Ideal<br />

des Reichsarbeitsgerichts, 1931, Wiederabdruck<br />

bei Ramm, <strong>Arbeitsrecht</strong> und Politik.<br />

Quellentexte 1918–1933, S. 149 [173ff.].<br />

Kittner 15<br />

32<br />

33


34<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

die Weimarer Republik abschließend entschieden; 108 auf dieser Position ruht auch die in der<br />

Bundesrepublik herrschende Rechtsansicht (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 136 Rn. 8).<br />

Zum wichtigsten rechtlichen und praktischen Teil des Tarifrechts der Weimarer Republik<br />

wurde das Schlichtungsrecht. In dieser Hinsicht wurde der Weimarer Arbeitsverfassung mit<br />

der Möglichkeit einer Zwangsschlichtung ein völlig neues, illiberales Element hinzugefügt.<br />

109 Die TarifvertragsVO vom 23.12. 1918 hatte zwar ebenso wie das Hilfsdienstgesetz die<br />

Möglichkeit der Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vorgesehen (vgl. Rn. 22, 27). Es blieb<br />

jedoch den streitenden Parteien überlassen, ob sie einen Schlichtungsspruch annahmen oder<br />

nicht. Dabei wurde kein Unterschied zwischen Rechts- und Regelungsstreitigkeiten gemacht,<br />

den Schlichtungsstellen also zugleich die Funktion der Arbeitsgerichte zugewiesen.<br />

Die Möglichkeit der Verbindlicherklärung eines Schiedsspruchs auch gegen den Willen der<br />

Parteien wurde dann jedoch durch die DemobilmachungsVO vom 3.9. 1919 (RGBl. S. 1500)<br />

eröffnet (nicht erst durch die VO von 1923, wie es fälschlicherweise immer wieder dargestellt<br />

wird). Die Reichsregierung wollte diese Materie im Hinblick auf das unkontrollierbare<br />

Streikgeschehen der Nachkriegszeit unverzüglich gesetzlich regeln und legte im Frühjahr<br />

1920 den Gesetzentwurf einer Schlichtungsordnung vor. 110 Dieser Entwurf stieß gleichermaßen<br />

auf den Widerstand von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, vor allem wegen<br />

der in ihm vorgesehenen Pflicht der Tarifvertragsparteien, vor Kampfmaßnahmen eine<br />

Urabstimmung durchzuführen und die staatliche Schlichtung anzurufen. Die Reichsregierung<br />

ließ angesichts dessen den Versuch einer gesetzlichen Regelung fallen und regelte die<br />

Materie durch zwei Verordnungen: Mit der »Verordnung des Reichspräsidenten, betreffend<br />

die Stillegung von Betrieben, welche die Bevölkerung mit Gas, Wasser und Elektrizität<br />

versorgen« vom 11. 11.1920 (RGBl. S. 1865) wurden Streiks und Aussperrungen in Versorgungsbetrieben<br />

erst drei Tage nach Abschluss eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens<br />

zugelassen. Und für die »normale« Wirtschaft wurde die »Verordnung über das Schlichtungswesen«<br />

vom 30.10. 1923 (RGBl. I, S. 1043) erlassen. 111 Sie ermöglichte ein von Amts wegen<br />

eingeleitetes Schlichtungsverfahren und einen verbindlichen Spruch mit der Folge eines<br />

Zwangstarifvertrags (einschließlich Friedenspflicht). Rechtsstreitigkeiten wurden wieder<br />

den bestehenden Gewerbe- und Kaufmannsgerichten als einer vorläufigen Arbeitsgerichtsbarkeit<br />

zugewiesen. Mit der AusführungsVO vom 29. 12. 1923 (RGBl. 1924 I, S. 9) wurde die<br />

Möglichkeit eines sog. Ein-Mann-Schlichtungsspruchs eingeführt, d. h. eine Entscheidung<br />

nur durch den Vorsitzenden allein. Das Reichsarbeitsministerium nutzte im Folgenden seinen<br />

großen Einfluss auf die Person der Schlichter und den Inhalt ihrer Tätigkeit zur staatlichen<br />

Lenkung der Arbeitsbedingungen. Die AG lehnten dieses System von Anfang an<br />

grundsätzlich ab, wenngleich sie es sich dort zunutze machten, wo es ihnen tunlich schien<br />

(insbesondere zur Durchsetzung von Arbeitszeitverlängerungen). Die Gewerkschaften dagegen,<br />

die verbal ebenfalls nicht müde wurden, den Vorrang freier Tarifverhandlungen<br />

hochzuhalten, wurden mit zunehmender Schwäche geradezu abhängig von der Zwangsschlichtung.<br />

112 1920 konnten sie mit ihrem Generalstreik noch maßgeblich zur Niederschlagung<br />

des Kapp-Putsches beitragen. 113 Mit der Inflation des Jahres 1923 sank ihre Durchsetzungsmacht<br />

jedoch rapide. Sie verloren nicht nur ihre Streikkassen, sondern auch nahezu die<br />

Hälfte ihrer Mitglieder (etwa 4 Mio. nach zuvor über 8 Mio.). Ende der zwanziger Jahre war<br />

weit über die Hälfte der Gewerkschaftsmitglieder arbeitslos oder arbeitete kurz. In dieser<br />

Hinsicht ist bemerkenswert, dass während der ganzen Dauer der Weimarer Republik in den<br />

Tarifbereichen des Bergbaus und der Schwerindustrie, in denen während des Kaiserreichs<br />

gar keine Tarifverträge zustande gekommen waren, alle wichtigen Tarifabschlüsse nur durch<br />

108 Vgl. RG 19. 10. 1922, RGSt. 56, 412; 30.10. 1922,<br />

RGSt. 56, 419; Däubler, Der Streik im öffentlichen<br />

Dienst, 1970, S. 10ff.<br />

109 Vgl. eingehend Kittner, Arbeitskampf, S. 457ff.<br />

110 Reichstagsdrucks. 1/3760.<br />

111 Vgl. Gamillscheg, KA Bd. 1, S. 1300f.; Kempen/<br />

Zachert, Grundl. Rn. 31.<br />

112 Vgl. Feldman, Streiks in Deutschland<br />

1914–1933, in Tenfelde/Volkmann, Hrsg.,<br />

Streik. Zur Geschichte des Arbeitskampfes in<br />

Deutschland während der Industrialisierung,<br />

1981, S. 271ff.<br />

113 Vgl. Erger, Der Kapp-Lüttwitz-Putsch, 1967;<br />

Kittner, Arbeitskampf, S. 421ff.<br />

16 Kittner


Novemberrevolution 1918 und Weimarer Republik<br />

die Zwangsschlichtung herbeigeführt wurden. Dieses System kam 1929 an sein Ende, nachdem<br />

das RAG in seiner Entscheidung über die Aussperrung der AG im sog. Ruhreisenstreit<br />

1928 114 die Unvereinbarkeit des Ein-Mann-Schlichterspruchs mit der SchlichtungsVO festgestellt<br />

hatte. 115 Für eine Nachfolgeregelung fand sich zunächst keine politische Mehrheit. 116<br />

Erst die Regierung Brüning führte 1931 wieder die Möglichkeit eines Schlichtungsspruchs allein<br />

mit den Stimmen der Schlichter ein – nunmehr allerdings nicht gegen tarifunwillige AG,<br />

sondern zur Lohnsenkung. 117 Um diese noch effizienter zu ermöglichen, wurde der Reichsarbeitsminister<br />

Ende 1931 ermächtigt, die Laufzeit von Schlichtungsergebnissen auch ohne<br />

Zustimmung der Tarifvertragsparteien zu verändern. 118 In diese Zeit fällt die ausdrückliche<br />

Absage der AG an den Tarifvertrag als unabdingbares Gestaltungsinstrument. Sie stellten<br />

seit 1929 den individuellen Arbeitsvertrag und die Betriebsvereinbarung programmatisch<br />

gleichrangig neben den Tarifvertrag.<br />

Bald verzichtete man ganz auf den Umweg über die Schlichtung und ging zu direkten Eingriffen<br />

in laufende Tarifverträge über: Mit der Notverordnung des Reichspräsidenten vom<br />

8.12. 1931 (RGBl. I, S. 699) wurden alle laufenden Tarifverträge zum 30. 4.1932 beendet und<br />

die tariflichen Lohn- und Gehaltssätze auf das Niveau des Jahres 1927 abgesenkt. Die »VO<br />

zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheiten« vom 5.9. 1932 (RGBl. I, S. 433) erlaubte<br />

es schließlich den AG selbst, die tariflichen Lohn- und Gehaltssätze zu unterschreiten.<br />

Und die VO vom 3. 10.1932 (RGBl. I, S. 493) verbot den Gewerkschaften, gegen solche Festlegungen<br />

zu streiken. Das war das Ende des Tarifvertragssystems.<br />

Nach Vorarbeiten seit 1921 wurden mit dem Arbeitsgerichtsgesetz vom 23.12. 1926 (RGBl. I,<br />

S. 507) die Gewerbe- und Kaufmannsgerichte (vgl. Rn. 15) durch die Arbeitsgerichte abgelöst.<br />

119 Das Gesetz war als solches heftig umstritten, weil AG, Richterschaft und Rechtsanwälte<br />

die weitere Verselbstständigung dieser Gerichtsbarkeit ablehnten. Als Kompromiss<br />

wurden nur die Arbeitsgerichte in erster Instanz eigene Einrichtungen. Die »Landesarbeitsgerichte«<br />

und das »Reichsarbeitsgericht« waren dagegen lediglich eigene Spruchkörper bei<br />

den Landgerichten bzw. dem Reichsgericht. Heftig umstritten war auch der Ausschluss der<br />

Rechtsanwälte von der Prozessvertretung in erster Instanz. Die Kombination einer neuen<br />

Gerichtsbarkeit mit einem neuen kollektiven <strong>Arbeitsrecht</strong> löste alsbald eine Diskussion über<br />

die Rolle des Richterrechts aus. Dem RAG wurde dabei der Vorwurf gemacht, ohne Rücksicht<br />

auf die Vorgaben der Reichsverfassung eine autonome Interessenvertretung der AN zu<br />

behindern und der – dann ja tatsächlich kommenden – autoritären Arbeitsverfassung den<br />

Boden zu bereiten. 120 Ein abschließendes Urteil aus heutiger Sicht fällt allerdings insofern<br />

schwer, als den Arbeitsgerichten, insbesondere dem RAG, bis zur Machtergreifung durch die<br />

Nationalsozialisten nicht genügend Zeit blieb, das neue Recht dogmatisch konsistent aufzuarbeiten.<br />

Die wichtigste sozialrechtliche Neuerung der Weimarer Republik betraf die Arbeitslosenversicherung.<br />

121 Zunächst wurde die Arbeitsvermittlung mit Verabschiedung des Arbeitsnachweisgesetzes<br />

vom 22. 7.1922 (RGBl. I, S. 657) neu geordnet. Danach wurden die AG und<br />

AN mit der »VO über die Aufbringung der Mittel für die Erwerbslosenfürsorge« vom<br />

114 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 483ff.<br />

115 Vgl. RAG 29.1. 1929, Bensheimer Sammlung 5,<br />

167 mit Anm. Nipperdey.<br />

116 Vgl. »Die Reform des Schlichtungswesens«,<br />

Bericht über die Verhandlungen der XI. Generalversammlung<br />

der Gesellschaft für soziale<br />

Reform in Mannheim am 24. und 25. 10.1929<br />

(dort Grundsatzdiskussion zwischen Sinzheimer<br />

– pro Zwangsschlichtung – und Nipperdey<br />

– contra).<br />

117 Vgl. »VO des Reichspräsidenten über die Beilegung<br />

von Schlichtungsstreitigkeiten öffentlichen<br />

Interesses« vom 9. 1. 1931 (RGBl. I, S. 1),<br />

verlängert bis zum 10. 10.1931 durch VO vom<br />

27. 9.1931 (RGBl. I, S. 513).<br />

118 Vgl. VO vom 30.9. 1931 (RGBl. I, S. 521).<br />

119 Vgl. Leinemann, NZA 1991, 964f.; Weiss, FS<br />

Arbeitsgerichtsverband, 1994, S. 75 [83ff.].<br />

120 Vgl. die berühmte Schrift Kahn-Freunds, Das<br />

soziale Ideal des Reichsarbeitsgerichts, 1931,<br />

Wiederabdruck in Ramm, <strong>Arbeitsrecht</strong> und<br />

Politik. Quellentexte 1918–1933; zur zeitgenössischen<br />

Rezeption vgl. Martiny, Integration<br />

oder Konfrontation – Studien zur Geschichte<br />

der sozialdemokratischen Rechts- und Verfassungspolitik,<br />

1976, S. 131ff.; Ramm, Gedächtnisschrift<br />

Kahn-Freund, 1980, S. 225 [240ff.].<br />

121 Vgl. Preller, Sozialpolitik in der Weimarer Republik,<br />

1949, Neudruck 1978 mit Nachwort<br />

Tennstedt, S. 363ff.<br />

Kittner 17<br />

35<br />

36<br />

37


38<br />

39<br />

40<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

13. 10.1923 (RGBl. I, S. 946) erstmals zu Beitragsleistungen neben dem Reich herangezogen.<br />

Damit war der Boden für den Wechsel von einer Fürsorgeeinrichtung zur Versicherung bereitet.<br />

Diese Arbeitslosenversicherung wurde schließlich mit dem »Gesetz über die Arbeitsvermittlung<br />

und Arbeitslosenversicherung« (AVAVG) vom 16. 7.1927 (RGBl. I, S. 187) ins<br />

Leben gerufen. Träger war die »Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung«<br />

als selbstständige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit einer Selbstverwaltung<br />

und einem Unterbau von Landesarbeitsämtern. Wegen der kurz nach ihrer Gründung einsetzenden<br />

Massenarbeitslosigkeit war der neuen Arbeitslosenversicherung kein gutes<br />

Schicksal beschieden: Von Anfang an klafften Beitragsaufkommen und Leistungsbedarf zu<br />

weit auseinander. Bezeichnenderweise stürzte die letzte parlamentarisch legitimierte Reichsregierung<br />

(Reichskanzler Müller, SPD) über den Streit um die Erhöhung von Beiträgen zur<br />

Arbeitslosenversicherung. Die Regierung Brüning baute anschließend deren Leistungen mithilfe<br />

von Notverordnungen drastisch ab (mit der Folge einer sprunghaft erhöhten Belastung<br />

der Kommunen mit Fürsorgeausgaben).<br />

Neben der Errichtung der Arbeitslosenversicherung wurden auch die übrigen Bereiche der<br />

Sozialversicherung ausgebaut, insbesondere die Unfallversicherung. 122 Als Reaktion auf<br />

wachsende Gefährdungen der AN, insbesondere in der chemischen Industrie, wurde 1925<br />

die Unfallversicherung auch auf Berufskrankheiten ausgedehnt. 123 Im selben Jahr wurden<br />

die Präventions- und Überwachungsaufgaben der Berufsgenossenschaften ausgeweitet<br />

und die Zusammenarbeit der institutionellen Träger des Arbeitsschutzes verbessert. 124<br />

In der Weimarer Republik beginnt schließlich die Einbindung Deutschlands in die internationale<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong>sordnung mit dem Beitritt zu der im Versailler Friedensvertrag von<br />

1919 gegründeten »Internationalen Arbeitsorganisation« (vgl. eingehend <strong>Handbuch</strong>, § 137<br />

Rn. 38). In der Zeit bis 1933 ratifizierte das Deutsche Reich insgesamt zwölf ILO-Übereinkommen.<br />

125<br />

Die Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s in der Weimarer Republik kann nur angemessen gewürdigt<br />

werden, wenn man sich deren kurze Dauer und unvorstellbar fragilen Rahmenbedingungen<br />

vor Augen hält. Sinzheimer sagte 1921: »Wir leben im Chaos«. 126 Erst nach Überwindung<br />

der Inflation des Jahres 1923 konnte von einer einigermaßen normalen Zeit die Rede<br />

sein (jedoch auch diese unter dem wirtschaftlichen Druck von Reparationszahlungen).<br />

Diese Zeit annähernder »Normalität« dauerte indes nur etwa fünf Jahre, bis die Weimarer<br />

Republik mit Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit auch schon wieder an<br />

ihr Ende kam. Seit 1930 wurde Deutschland von nicht mehr demokratisch legitimierten Präsidialkabinetten<br />

regiert, zu deren Markenzeichen geradezu der Abbau von arbeits- und sozialrechtlichen<br />

Standards und Strukturen gehörte (vgl. Rn. 34f.). Angesichts dessen kann<br />

sich die Bilanz der Weimarer Republik 127 hinsichtlich der Nachhaltigkeit des von ihr Geschaffenen<br />

durchaus sehen lassen. Das gilt insbesondere für die Etablierung von Tarifvertrag<br />

und Betriebsverfassung (vgl. Rn. 31f.) und die Schaffung von Arbeitsgerichtsbarkeit<br />

und Arbeitslosenversicherung (vgl. Rn. 36f.), aber auch viele Regelungen zum Arbeitsschutzrecht.<br />

122 Vgl. Pieper, Das Arbeitsschutzrecht in der<br />

deutschen und der europäischen Arbeits- und<br />

Sozialordnung, 1998, S. 83ff.; Wickenhagen, Geschichte<br />

der gewerblichen Unfallversicherung,<br />

1980, S. 185ff.<br />

123 VO über Ausdehnung der Unfallversicherung<br />

auf gewerbliche Berufskrankheiten vom<br />

12. 5. 1925 (RGBl. I, S. 69).<br />

124 Vgl. Zweites Gesetz über Änderungen in der<br />

gesetzlichen Unfallversicherung vom<br />

14. 7. 1925 (RGBl. I, S. 97).<br />

125 Vgl. Däubler/Kittner/Lörcher, IntASO, Einl. I 2<br />

zu IAO Nr. 200.<br />

126 Sinzheimer, Grundzüge des <strong>Arbeitsrecht</strong>s. Eine<br />

Einführung, 1921, S. 7.<br />

127 Vgl. insgesamt Preller, Sozialpolitik in der<br />

Weimarer Republik, 1949, Neudruck 1978; zu<br />

den verfassungsrechtlichen Grundlagen vgl.<br />

Eichenhofer, Hrsg., 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung<br />

– Was ist geblieben?, 1999.<br />

18 Kittner


Nationalsozialismus<br />

IV. Nationalsozialismus<br />

Die Arbeitsverfassung des Nationalsozialismus 128 wird durch Folgendes charakterisiert:<br />

– Beseitigung der Gewerkschaften und Ablösung des freiheitlichen Kollektivvertragssystems<br />

durch Staatsdirektiven,<br />

– Ablösung des liberalen Vertragsrechts und der Betriebsverfassung durch eine nationalsozialistische<br />

Betriebsordnung und<br />

– trotz formaler Entrechtung der AN eine ideologische Aufwertung der abhängigen Arbeit<br />

und sozialpolitisches Entgegenkommen im Rahmen einer Modernisierung der industriellen<br />

Arbeit.<br />

Die Durchsetzung dieser Arbeitsverfassung gelang nicht zuletzt dank der Tatsache, dass<br />

die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten rasch von einem Rückgang der Arbeitslosigkeit<br />

begleitet war (zunächst als Folge der wirtschaftlichen Erholung und danach der<br />

Kriegsvorbereitung). Mit zunehmender Kriegsdauer trat im Übrigen die Gestaltung durch<br />

formelles Gesetzesrecht zugunsten sich vielfach überschneidender Verordnungen des Reichsarbeitsministeriums<br />

und der Vierjahresplanbehörde zurück.<br />

Alsbald nach der Machtergreifung im Staate schalteten die Nationalsozialisten die Interessenvertretungen<br />

der AN aus. Mit dem »Gesetz über Betriebsvertretungen und über<br />

wirtschaftliche Vereinigungen« vom 4. 4. 1933 (RGBl. I, S. 161) wurde den obersten Landesbehörden<br />

das Recht eingeräumt, Betriebsratswahlen zu verschieben und Betriebsratsmitgliedern,<br />

»die in staats- oder wirtschaftsfeindlichem Sinne eingestellt sind«, das Amt zu<br />

entziehen, sowie an deren Stelle willfährige AN zu Betriebsratsmitgliedern zu ernennen.<br />

Unmittelbar danach setzten die Nationalsozialisten noch ein der Arbeitnehmerschaft gegenüber<br />

positives Zeichen: Mit Gesetz vom 10. 4. 1933 (RGBl. I, S. 191) wurde der 1. Mai<br />

zum »Feiertag der nationalen Arbeit« erklärt. Am Tage nach den Maifeiern, am 2. Mai<br />

1933, wurden die freien Gewerkschaften zerschlagen. 129 Ohne Rechtsgrundlage selbst<br />

nach nationalsozialistischem Ausnahmerecht 130 wurden die Gewerkschaftshäuser besetzt,<br />

die Gewerkschaftsführer in »Schutzhaft« genommen und das Vermögen der Gewerkschaften<br />

beschlagnahmt. Daraufhin lösten sich die christlichen und Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften<br />

auf und unterstellten sich dem »Arbeitskommitee zum Schutze der nationalen<br />

Arbeit«, das am 10. 5. 1933 zur Deutschen Arbeitsfront umgewandelt wurde (als<br />

»Organisation der schaffenden Deutschen der Stirn und Faust«). Ihre Aufgabe lag in der<br />

Rechtsberatung, Berufsbildungsförderung und vor allem der Organisation der Freizeitorganisation<br />

»Kraft durch Freude«. Mit Gesetz vom 19. 5. 1933 (RGBl. I, S. 285) wurden die<br />

»Treuhänder der Arbeit« als staatliche Einrichtung geschaffen. Sie traten an die Stelle der<br />

Tarifvertragsparteien und hatten die Aufgabe, »rechtsverbindlich für die beteiligten Personen<br />

die Bedingungen für den Abschluss von Arbeitsverträgen« zu regeln. Die Arbeitgeberverbände<br />

lösten sich – funktionslos geworden – im Dezember 1933 auf. Ihr hauptamtliches<br />

Personal wurde weitgehend in der Deutschen Arbeitsfront und als Treuhänder der Arbeit<br />

tätig. Ende 1934 wurden schließlich AG als Einzelmitglieder in die Deutsche Arbeitsfront<br />

aufgenommen.<br />

128 Vgl. Kranig, Lockerung und Zwang. Zur Arbeitsverfassung<br />

im Dritten Reich, 1983; ders.,<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong> im NS-Staat (Texte und Dokumente),<br />

1984; Reifner, Hrsg., Das Recht des Unrechtsstaates.<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong> und Staatswissenschaften<br />

im Faschismus, 1981; Rüthers, Die<br />

unbegrenzte Auslegung, 1968, S. 379ff.; Söllner,<br />

NS-Recht in historischer Perspektive,<br />

1981; Hachtmann, KJ 1984, 281; Mayer-Maly,<br />

RdA 1989, 233; Ramm, KJ 1968, 108; Wahsner,<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong> und Arbeitsgerichtsbarkeit im<br />

Dritten Reich, in Fangmann/Paech, Hrsg.,<br />

Recht, Justiz und Faschismus nach 1933 und<br />

heute, 1984, S. 40ff.; zur tatsächlichen Situation<br />

der AN vgl. Mason, Sozialpolitik im Dritten<br />

Reich. Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft,<br />

2. Aufl. 1978; Schneider, Arbeit unter dem<br />

Hakenkreuz, 1999; insgesamt Kittner, Arbeitskampf,<br />

S. 505ff.<br />

129 Vgl. eingehend Kittner, Arbeitskampf, S. 509ff.<br />

130 § 1 der »VO des Reichspräsidenten zum<br />

Schutz von Volk und Reich« vom 28. 2. 1933<br />

(RGBl. I, S. 83) sah lediglich eine Außerkraftsetzung<br />

der allgemeinen Vereinigungsfreiheit<br />

(Art. 124 WRV), nicht dagegen der Koalitionsfreiheit<br />

(Art. 159 WRV) vor.<br />

Kittner 19<br />

41<br />

42


43<br />

44<br />

45<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

Nachdem die 17. Vollversammlung der ILO im Sommer 1933 der »Deutschen Arbeitsfront«<br />

die Legitimation bestritten hatte, traten die Nationalsozialisten im Oktober 1933 aus der ILO<br />

aus (ebenso wie aus dem Völkerbund). 131<br />

Ihre endgültige Form erhielt die nationalsozialistische Arbeitsverfassung mit dem »Gesetz<br />

zur Ordnung der nationalen Arbeit« (AOG) vom 20.1. 1934 (RGBl. I, S. 5). 132 Dieses Gesetz<br />

etablierte die nationalsozialistische »Betriebsgemeinschaft« mit dem Unternehmer als<br />

»Führer des Betriebs«. Er hatte »für das Wohl der Gefolgschaft zu sorgen«. Diese hatte ihm<br />

»die in der Betriebsgemeinschaft begründete Treue zu halten«. Daraus wurde als selbstverständlicher<br />

Bestandteil das Verbot von Arbeitskämpfen abgeleitet. 133 Jede Arbeit wurde als<br />

»Dienst an Volk und Staat« einerseits semantisch aufgewertet, andererseits voll für die Ziele<br />

des Nationalsozialismus vereinnahmt. Eine eigene Ehrengerichtsbarkeit neben den weiter<br />

bestehenden Arbeitsgerichten wachte über die Einhaltung dieser Pflichten (mit relativ vielen<br />

Verurteilungen von AG und leitenden Angestellten). Der BR wurde abgeschafft. AN seine<br />

Stelle trat der »Vertrauensrat«, dessen Hauptaufgabe es war, »das gegenseitige Vertrauen innerhalb<br />

der Betriebsgemeinschaft zu vertiefen«. Lediglich hinsichtlich des Kündigungsschutzes<br />

blieb es bei einer dem BVG 1920 vergleichbaren Regelung (vgl. Rn. 31). Mit dem<br />

AOG wurde das Tarifvertrags- und Schlichtungssystem endgültig abgeschafft. AN die Stelle<br />

der Tarifverträge traten Betriebsordnung und Tarifordnung, und das System der Treuhänder<br />

der Arbeit wurde intensiv geregelt.<br />

Der Nationalsozialismus produzierte eine Reihe von Regelungen zum Arbeitsschutz. Sie<br />

wurden zwar überwiegend bevölkerungspolitisch und später zunehmend mit Kriegserfordernissen<br />

begründet. Es lagen ihnen aber auch durchaus konventionelle Arbeitsschutzüberlegungen<br />

im Zusammenhang mit der Modernisierung 134 der industriellen Produktion zugrunde,<br />

und sie enthielten substanzielle Verbesserungen für die AN (an deren Loyalität auch<br />

dem nationalsozialistischen Staat viel gelegen sein musste). Dazu gehört z.B. auch der Ausbau<br />

der betrieblichen Ausbildung. 135 Ein großer Teil dieser Arbeitsschutzgesetze hat später<br />

in der Bundesrepublik als vorkonstitutionelles Recht gemäß Art. 123Abs. 1 GG – bereinigt<br />

um ihre nationalsozialistische Terminologie – weiter gegolten, bis sie durch neue Regelungen<br />

abgelöst wurden. Dies waren insbesondere<br />

– Heimarbeitsgesetz vom 23. 3. 1934 (RGBl. I, S. 214), 136<br />

– die Arbeitszeitordnung vom 30. 4. 1938 (RGBl. I, S. 447), 137<br />

– das Jugendschutzgesetz vom 30. 4.1938 (RGBl. I, S. 437), 138<br />

– das Mutterschutzgesetz vom 15.7. 1942 (RGBl. I, S. 321; 139 zu weiteren arbeitsrechtlichen<br />

Vorschriften vgl. Rn. 48).<br />

Zu beachten ist, dass mit Kriegsbeginn – wie schon im ersten Weltkrieg (vgl. Rn. 22) – die Arbeitsschutzvorschriften<br />

gelockert wurden. Z.B. wurde die AZO zunächst völlig außer Kraft<br />

gesetzt 140 und danach ein Kriegsarbeitszeitrecht mit erheblich längeren Arbeitszeiten geschaffen.<br />

141<br />

131 Vgl. Däubler/Kittner/Lörcher, IntASO, Einl. I 2<br />

zu IAO Nr. 200.<br />

132 Vgl. Hueck/Nipperdey/Dietz, AOG, 4. Aufl.,<br />

1943.<br />

133 Vgl. Ehrengericht Mitteldeutschland 19. 11. 1935,<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong>s-Sammlung 26, 193 (abgedruckt<br />

bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit, Hrsg.,<br />

Kollektives <strong>Arbeitsrecht</strong>, Quellentexte zur Geschichte<br />

des <strong>Arbeitsrecht</strong>s in Deutschland,<br />

Bd. 2, S. 100f.).<br />

134 Vgl. Abelshauser, Kriegswirtschaft und Wirtschaftswunder,<br />

in Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte<br />

1999, Heft 4.<br />

135 Vgl. VO zur Änderung der Bestimmungen<br />

der GewO für das Deutsche Reich über das<br />

Lehrlingswesen vom 7. 3.1940 (RGBl. I,<br />

S. 478).<br />

136 Neufassung vom 30.10. 1939 (RGBl. I, S. 2145);<br />

vgl. Heimarbeitsgesetz vom 14. 3. 1951 (BGBl. I,<br />

S. 191).<br />

137 Vgl. BVerfG 3. 5. 1967, E 22, 1; Art. 21 Nr. 1 Arbeitszeitrechtsgesetz<br />

vom 6. 7. 1994 (BGBl. I,<br />

S. 1170).<br />

138 Vgl. § 76 Abs. 2 Nr. 1 Jugendarbeitsschutzgesetz<br />

vom 9. 8. 1960 (BGBl. I, S. 665).<br />

139 Vgl. § 26 Abs. 2 Mutterschutzgesetz vom<br />

24. 1.1952 (BGBl. I, S. 69).<br />

140 Vgl. »VO zur Abänderung und Ergänzung<br />

von Vorschriften auf dem Gebiete des <strong>Arbeitsrecht</strong>s«<br />

vom 1. 9. 1939 (RGBl. I, S. 1683).<br />

141 Vgl. »VO über den Arbeitsschutz« vom<br />

12. 12. 1939 (RGBl. I, S. 2403); Zusammenstellung<br />

der kriegsbedingten Ausnahmen vom<br />

Arbeitsschutzrecht bei Marrenbach/Hellwig,<br />

Kriegsarbeits- und Sozialrecht, 1940.<br />

20 Kittner


Nationalsozialismus<br />

Die Weiterentwicklung des im Übrigen formal nicht veränderten Individualarbeitsrechts<br />

wurde von einer <strong>Arbeitsrecht</strong>swissenschaft betrieben, die gekennzeichnet war durch die<br />

Ausschaltung aller den Sozialdemokraten und Gewerkschaften nahe stehenden <strong>Arbeitsrecht</strong>ler<br />

(insbesondere Sinzheimer, Fraenkel, Kahn-Freund), die ins Exil gingen. Die im Lande<br />

gebliebenen bürgerlich-konservativen Wissenschaftler (z. B. Nipperdey, Hueck, Nikisch und<br />

Siebert) passten sich mehr oder weniger an die nationalsozialistische Ideologie an, vor allem<br />

durch die Akzentuierung des Gedankens der Betriebsgemeinschaft, der Eingliederung in sie<br />

und die Betonung von Treueverpflichtungen. 142 Hier liegt eine der Wurzeln des später in den<br />

Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland verbreiteten Verständnisses vom Arbeitsverhältnis<br />

als »personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis« (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 2 Rn. 10). Geprägt<br />

davon waren der jeweils in der Akademie für Deutsches Recht 1938 entwickelte »Entwurf<br />

eines Gesetzes über das Arbeitsverhältnis« 143 und der »Entwurf einer Regelung der<br />

Arbeit« von 1942 als Bestandteil eines geplanten »Volksgesetzbuches«. 144 Mit nahendem<br />

Kriegsende verschwendete allerdings niemand mehr Gedanken auf deren Verwirklichung.<br />

Die Rechtsprechung, insbesondere die des RAG, gelangte in den Anfangsjahren des Nationalsozialismus<br />

noch zu völlig »normalen« Entscheidungen mit ersten richterrechtlichen<br />

Ansätzen von Vertragsschutz für AN, auf denen die Rechtsprechung in der Nachkriegszeit<br />

aufbauen konnte, z.B. zur Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung 145 oder hinsichtlich freiwilliger<br />

Arbeitgeberleistungen. 146 Auch gibt es deutliche Beispiele, in denen sich das RAG einer<br />

nationalsozialistischen Instrumentalisierung versagte. Das ging jedoch mit den Jahren<br />

zugunsten einer systemkonformen Rechtsprechung zurück. 147<br />

Darüber hinaus wurden die Grundlagen für einige arbeitsrechtliche Gesetze ohne spezifisch<br />

nationalsozialistischen Gehalt gelegt, die ebenfalls nach dem Kriegsende und in der<br />

Bundesrepublik weiter galten:<br />

– die VO zur Regelung von Arbeitnehmererfindungen vom 12. 7.1943 (RGBl. I, S. 466) 148<br />

und<br />

– die Regelungen über die Lohnzahlung an Feiertagen (zu Kündigungsbeschränkungen<br />

vgl. Rn. 44). 149<br />

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden freiwillige Arbeitgeberleistungen zur betrieblichen<br />

Altersversorgung (fast 3 Mio. begünstigte AN in über 15000 Betrieben) unter dem Einfluss<br />

des AOG nicht mehr als Entgeltbestandteile gewertet (vgl. Rn. 11 Fn. 33), sondern als<br />

Ausfluss der Fürsorgepflicht des AG. 150<br />

Prägend für das nationalsozialistische <strong>Arbeitsrecht</strong> waren die vielfältigen und zunehmenden<br />

Eingriffe in die Vertragsfreiheit zur Arbeitskräftelenkung und Lohngestaltung. Am<br />

Anfang standen Bemühungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die später in eine Reglementierung<br />

zum Zwecke der Kriegswirtschaft übergingen. Das »Gesetz zur Regelung des<br />

Arbeitseinsatzes« vom 15.5. 1934 (RGBl. I, S. 381) gab dem Präsidenten der Reichsanstalt für<br />

Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung die Befugnis, den Zuzug in Bezirke mit<br />

142 Grundlegend Siebert, Das Arbeitsverhältnis in<br />

der Ordnung der nationalen Arbeit, 1935; vgl.<br />

aber bereits Molitor, Das Wesen des Arbeitsvertrages,<br />

1925; vgl. MünchArbR-Richardi, § 8<br />

Rn. 2; Radke, AuR 1965, 305.<br />

143 Vgl. Ramm, Entwürfe zu einem deutschen Arbeitsvertragsgesetz,<br />

1992, S. 56ff. [67f.]; Abdruck<br />

des Entwurfs S. 243; vgl. auch Becker,<br />

ZfA 1990, 435.<br />

144 Abdruck bei Ramm, ZfA 1990, 407.<br />

145 Vgl. RAG 18. 12.1940, AR-Sammlung 41, 55<br />

und 259 mit Anm. Hueck.<br />

146 Vgl. RAG 11. 5. 1938, Bensheimer Sammlung<br />

33, 107; 2. 10. 1940, Bensheimer Sammlung 40,<br />

215.<br />

147 Eingehend mit Beispielen Mayer-Maly, RdA<br />

1989, 233 [238ff.].<br />

148 Vgl. BGH 23. 5. 1952, BB 1952, 663; BAG<br />

1.11.1965, AP ArbNErfindVO § 2 Nr. 4; § 46<br />

des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen<br />

vom 25. 7.1957 (BGBl. I, S. 756; vgl. § 75<br />

Rn. 12ff.).<br />

149 Es handelte sich dabei vor allem um die Anordnung<br />

zur Durchführung des Vierjahresplans<br />

vom 3. 12.1937 (Deutscher ReichsAnz.<br />

Nr. 280) und das »Gesetz über die Lohnzahlung<br />

am Nationalen Feiertag des Deutschen<br />

Volkes« 26.4. 1934 (RGBl. I, S. 337; vgl. § 3<br />

des Gesetzes zur Regelung der Lohnzahlung<br />

an Feiertagen vom 2. 8. 1951 (BGBl. I,<br />

S. 479).<br />

150 Vgl. RAG 19. 1. 1938, ARS 29, 380; zum Rechtstatsächlichen<br />

vgl. BB 1946, Heft 10, S. 15.<br />

Kittner 21<br />

46<br />

47<br />

48<br />

49


50<br />

51<br />

52<br />

53<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

hoher Arbeitslosigkeit und die Abwanderung aus der Landwirtschaft zu unterbinden.<br />

Durch VO vom 10. 8.1934 (RGBl. I, S. 786) wurde diese Befugnis dahingehend erweitert, »die<br />

Verteilung von Arbeitskräften, insbesondere ihren Austausch, zu regeln«. Schließlich wurde<br />

mit Gesetz vom 26.2. 1935 (RGBl. I, S. 311) das Arbeitsbuch wieder eingeführt, ohne dessen<br />

Vorlage kein neuer Arbeitsvertrag abgeschlossen werden durfte. Die 1935 eingeführte Verpflichtung<br />

zum Reichsarbeitsdienst 151 erlaubte die Heranziehung zur Zwangsarbeit. Mit<br />

der »VO über die Beschränkung des Arbeitsplatzwechsels« vom 1.9. 1939 (RGBl. I, S. 1686)<br />

wurden Kündigungen sowohl des AG als auch des AN von einer staatlichen Genehmigung<br />

abhängig gemacht. Diese VO wurde erst 1951 aufgehoben (vgl. Rn. 70). 152 Um der mit Rückkehr<br />

zur Vollbeschäftigung wieder stärker gewordenen Stellung der AN auf dem Arbeitsmarkt<br />

entgegen zu wirken, wurde die Freiheit der Lohnbildung beseitigt: Nachdem unter<br />

dem neuen Instrument der Tarifordnungen zunächst das Günstigkeitsprinzip weiter galt<br />

(§ 32 Abs. 2 AOG), erhielten die staatlichen Treuhänder mit der »VO über die Lohngestaltung«<br />

vom 25. 6.1938 (RGBl. I, S. 691), das Recht, Höchstlöhne festzulegen. Am 12. 10.1939<br />

verhängte schließlich der Reichsarbeitsminister einen allgemeinen Lohnstopp (der erst 1948<br />

aufgehoben wurde; vgl. Rn. 65). 153<br />

Die Entwicklung des Sozialrechts folgte dem Muster des Arbeits- und Arbeitsschutzrechts.<br />

Zunächst wurde mit dem »Gesetz über den Aufbau der Sozialversicherung« vom 5. 7.1934<br />

(RGBl. I, S. 557) die Selbstverwaltung der Sozialversicherung beseitigt. Die Träger der Kranken-<br />

und Rentenversicherung wurden zusammengelegt (unter erstmaliger Verwendung des<br />

Begriffs »Rentenversicherung« für die Invaliden-, Angestellten- und Knappschaftsversicherung).<br />

Danach wurden im Laufe der Jahre die Leistungen in allen Versicherungszweigen verbessert.<br />

154 1941 und 1942 wurde die bisherige Verwendung von Beitragsmarken durch das<br />

Lohnabzugsverfahren abgelöst. 155<br />

Den von den Nationalsozialisten aus rassischen Gründen Verfolgten wurde der Schutz durch<br />

das <strong>Arbeitsrecht</strong> gänzlich entzogen. 156 Bei Juden geschah dies durch die förmliche »VO über<br />

die Beschäftigung von Juden« vom 3.10. 1941 (RGBl. I, S. 675): »Juden, die in Arbeit eingesetzt<br />

sind, stehen in einem Beschäftigungsverhältnis eigener Art.« Für Polen, Zigeuner<br />

und osteuropäische Zwangsarbeiter wurde das gleiche Ergebnis durch Interpretation des<br />

AOG erzielt, wonach sie keine »Gefolgschaftsmitglieder« sein könnten; für sie gelte »Sonderrecht«<br />

157 (zur heutigen Rspr. über ihre Arbeitnehmereigenschaft vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 3<br />

Rn. 137a).<br />

Die Kräfte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus hatten nur rudimentäre Vorstellungen<br />

für ein neues <strong>Arbeitsrecht</strong>. 158<br />

V. Nachkriegszeit 1945 bis 1949<br />

Unmittelbar nach der Kapitulation übernahmen zunächst die Militärregierung und danach<br />

der von den alliierten Siegermächten eingerichtete Kontrollrat die staatliche Macht in<br />

Deutschland. Ihre Gesetze und Anordnungen waren verbindliche oberste Rechtsquellen.<br />

Zwar wurde sogleich mit dem Militärregierungsgesetz Nr. 1 vom Mai 1945 (ABl. MinReg.<br />

Nr. 3) die Aufhebung nationalsozialistischer Gesetze im Allgemeinen verfügt. 159 Im Bereich<br />

der Arbeitsverfassung ließ man zunächst so gut wie alles beim alten, um ein Chaos zu ver-<br />

151 Vgl. »Reichsarbeitsdienstgesetz« vom<br />

26. 6. 1935 (RGBl. I, S. 769); Neufassung<br />

9.9. 1939 (RGBl. S. 1747).<br />

152 Vgl. § 25 KSchG vom 10.8.1951 (BGBl. I,<br />

S. 499); zur Ungültigkeit bereits aufgrund<br />

Art. 12 GG vgl. AG Frankfurt 1. 9.1949, RdA<br />

1949, 479 mit Anm. Bulla.<br />

153 Vgl. VO vom 12.10. 1939 (RGBl. I, S. 2028).<br />

154 Vgl. Gitter, Sozialrecht, 4. Aufl. 1996, S. 19f.<br />

155 Vgl. Erste LohnabzugsVO vom 1. 7.1941<br />

(RGBl. I, S. 362); Zweite LohnabzugsVO vom<br />

24. 4.1942 (RGBl. I, S. 252).<br />

156 Vgl. Schminck-Gustavus, KJ 1980, 1, 184.<br />

157 Vgl. Hueck/Nipperdey/Dietz, AOG, 4. Aufl.<br />

1943, § 1 Anm. 20d und 31a.<br />

158 Vgl. Bauer, BB 1999, 2607.<br />

159 Vgl. eingehend Kittner, Arbeitskampf, S. 538ff.;<br />

mit KR-Gesetz vom 20. 9. 1945 (Abl.KR<br />

29. 10. 1945 S. 3ff.) wurden die vereinsrechtlichen<br />

NS-Vorschriften aufgehoben.<br />

22 Kittner


Nachkriegszeit 1945 bis 1949<br />

meiden. 160 Lediglich das Amt des Reichstreuhänders der Arbeit wurde sofort beim Einmarsch<br />

der Besatzungstruppen mit Gesetz Nr. 77 der Militärregierung aufgehoben. Seine<br />

Funktion wurde auf die Präsidenten der Landesarbeitsämter übertragen. 161 Der 1939 verhängte<br />

Lohnstopp wurde allerdings durch Kontrollratsdirektive Nr. 14 vom 12. 10.1945<br />

(ABl.KR 1947 S. 40) ausdrücklich bestätigt und verlängert (zur Aufhebung im Jahr 1948 vgl.<br />

Rn. 65). 162 Mit Kontrollratsdirektive Nr. 26 vom 26.1. 1946 (ABl.KR 1946 S. 115) wurde die wöchentliche<br />

Arbeitszeit auf 48 Stunden festgesetzt. 163 Im Übrigen reglementierten alle Besatzungsmächte<br />

das Arbeitsleben in den ersten zwei Jahren ausgesprochen autoritär. 164<br />

Die arbeitsrechtliche Situation in Deutschland in den ersten Nachkriegsjahren 165 lässt sich –<br />

grob gesagt – in folgende drei Etappen gliedern:<br />

(1) Weitergeltung fast des gesamten nationalsozialistischen <strong>Arbeitsrecht</strong>s bis Ende 1946 in<br />

allen Zonen;<br />

(2) Ablösung der kollektivrechtlichen Elemente des nationalsozialistischen <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

und Neuordnung der Arbeitsgerichtsbarkeit durch zentrale Kontrollratsgesetze im Laufe<br />

des Jahres 1946 bei gleichzeitiger Fortgeltung des früheren Individualarbeitsrechts und<br />

Arbeitsschutzrechts (vgl. Rn. 45); 166<br />

(3) Verselbstständigung der Entwicklung in den einzelnen Besatzungszonen im Laufe des<br />

Jahres 1946; die Besatzungsmächte nahmen fortan für sich in Anspruch, in ihren eigenen<br />

Besatzungszonen Abweichungen von zentralen Kontrollratsgesetzen zu genehmigen.<br />

Die Struktur wurde weiterhin kompliziert durch die Errichtung der Länder. <strong>Arbeitsrecht</strong>liche<br />

Gesetze wurden teils für jedes Land separat geschaffen, teils wenigstens in den verschiedenen<br />

Zonen vereinheitlicht. 167 Die Folge war eine vollständige Rechtszersplitterung,<br />

die noch die ersten Jahre der Bundesrepublik Deutschland prägte. 168<br />

Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 21 vom 30. 4.1946 Deutsches Arbeitsgerichtsgesetz (ABl.KR<br />

1946 S. 124) wurden Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichte mit AG- und Arbeitnehmerbeisitzern<br />

eingerichtet. 169 Da eine gemeinsame Oberinstanz bis zur Errichtung des BAG im<br />

Jahre 1954 fehlte, kam es zu vielen divergierenden Entscheidungen, ein besonderer Ausdruck<br />

der Rechtszersplitterung jener Zeit. Die Gewerkschaften legten hierzu bereits 1947<br />

einen Gesetzentwurf für ein »Oberstes Arbeitsgericht« des Vereinigten Wirtschaftsgebiets<br />

vor. 170<br />

Das Kontrollratsgesetz Nr. 22 vom 10. 4.1946 Betriebsrätegesetz (ABl.KR 1946 S. 133) schuf<br />

eine neue Rechtsgrundlage zur Errichtung von Betriebsräten. 171 Zugleich wurden die Bestimmungen<br />

über den Vertrauensrat im AOG aufgehoben (vgl. Rn. 44). Die Rechtsstellung<br />

der Betriebsräte nach diesem Gesetz war formal bescheiden und nur konsultativ. Das entsprach<br />

aber nicht ihrer verbreiteten faktischen Stellung; teilweise leiteten sie regelrecht die<br />

Betriebe anstelle politisch diskreditierter Betriebsleitungen. Die mangelnde Ausformung des<br />

160 Zur Fortgeltung des AOG vgl. Radke, AuR<br />

1965, 302.<br />

161 Vgl. BB 1946, Heft 1/2, S. 15.<br />

162 Abdruck BB 1946, Heft 10, S. 12.<br />

163 Vgl. BB 1946, Heft 8, S. 39.<br />

164 Zur Strafbarkeit von »Arbeitsbummelei« vgl.<br />

§ 4 der Duchführungsbestimmung zur VO<br />

Nr. 54 der brit. Militärregierung (ArbBl. der<br />

brit. Zone 1947/9, S. 302; BB 1947, 306).<br />

165 Zur Arbeitsverfassung nach 1945 vgl. Ramm,<br />

JZ 1998, 473; aus zeitgenössischer Sicht Reuscher,<br />

RdA 1948, 161; vgl. Vogel/Weisz, Akten<br />

zur Vorgeschichte der Bundesrepublik<br />

Deutschland 1945–1949, Bd. 1, 1976; BMA/<br />

Bundesarchiv, (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik<br />

in Deutschland seit 1945, Bd. I, 2001;<br />

vgl. auch Ramm, Pluralismus ohne Kodifikation<br />

– Die <strong>Arbeitsrecht</strong>swissenschaft nach<br />

1945, in Simon, Hrsg., Rechtswissenschaft in<br />

der Bonner Republik, 1994, S. 449ff.<br />

166 Zur Fortgeltung alten Rechts in der sowjetischen<br />

Besatzungszone vgl. BB 1946, Heft 9,<br />

S. 10.<br />

167 Vgl. das am 30. März 1946 verabschiedete<br />

Gesetz des »Länderrats« der US-Zone zur<br />

Arbeitsgerichtsbarkeit (BB 1946, Heft 17,<br />

S. 13f.).<br />

168 Vgl. die laufenden Gesetzgebungsübersichten<br />

»<strong>Arbeitsrecht</strong>liche Rundschau« seit RdA 1948,<br />

24; »Die Rechtseinheit im deutschen <strong>Arbeitsrecht</strong>«,<br />

Protokoll der 1. Verbandsversammlung<br />

des deutschen Arbeitsgerichtsverbandes am 7.<br />

und 8. 5. 1951(Referate Hueck, Galperin, Herschel);<br />

Hueck, RdA 1948, 81.<br />

169 Abdruck BB 1946, Heft 6, S. 8; vgl. BB 1946,<br />

Heft 1/2, S. 18.<br />

170 Vgl. Monjau, RdA 1949, 5.<br />

171 Abdruck BB 1946, Heft 6, S. 9; vgl. BB 1946,<br />

Heft 1/2, S. 17; BB 1947, 150 [219].<br />

Kittner 23<br />

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57<br />

58<br />

59<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

KRG Nr. 22 veranlasste eine Reihe von Ländern zur Entwicklung eigener Betriebsrätegesetze<br />

(nur in NRW, Niedersachsen und Hamburg gab es kein eigenes Gesetz). 172 Das hinsichtlich<br />

der Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten am weitesten gehende Gesetz von Hessen<br />

173 wurde von der amerikanischen Militärregierung nicht genehmigt. 174<br />

Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 35 vom 20. 8. 1946 betreffend das Ausgleichs- und Schlichtungsverfahren<br />

in Arbeitsstreitigkeiten (ABl.KR 1946 S. 174) wurde erneut eine staatliche<br />

Schlichtung eingeführt. 175 In bewusster Abkehr von der Zwangsschlichtung der Weimarer<br />

Republik (vgl. Rn. 34) beschränkte sie sich auf eine reine Vertragshilfe unter strikter Betonung<br />

der Freiwilligkeit für die Konfliktparteien (Verbindlicherklärung lediglich in Angelegenheiten,<br />

die die Besatzungsmächte selbst berührten). In allen Ländern der Westzonen<br />

mit Ausnahme von Bayern, Bremen, Hessen und dem Saarland ergingen Ausführungsgesetze<br />

oder -verordnungen. 176 Diese Bestimmungen gelten noch heute, haben jedoch im<br />

Hinblick auf die verbreiteten tarifvertraglichen Schlichtungsregelungen kaum praktische<br />

Bedeutung (vgl. Rn. 78). Vertreter von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften legten<br />

am 1. 4. 1949 einen gemeinsamen Gesetzentwurf vor, 177 der die Einrichtung staatlicher<br />

Schlichtungsstellen vorsah, die auf Anruf einer Partei tätig werden konnten. Jedoch war<br />

schon die Einigung auf den Vorsitzenden Voraussetzung eines Verfahrens. Ein Schlichtungsspruch<br />

musste von beiden Seiten angenommen werden. Dieser Entwurf ist nicht Gesetz<br />

geworden, hat jedoch spätere Übereinkünfte zu tariflichen Schlichtungsvereinbarungen<br />

vorgezeichnet.<br />

Schließlich wurde erst mit Kontrollratsgesetz Nr. 40 vom 30.11. 1946 Aufhebung des Gesetzes<br />

zur Ordnung der nationalen Arbeit (ABl.KR 1946 S. 229) das zentrale nationalsozialistische<br />

Arbeitsgesetz mit Wirkung vom 31.12.1946 aufgehoben. Damit wurde insbesondere<br />

wieder ein freies Tarifvertragssystem möglich. 178 Dazu fehlten allerdings vorerst alle institutionellen<br />

Voraussetzungen; außerdem bestand der »Lohnstopp« fort (vgl. Rn. 53, 65). Die bestehenden,<br />

auf der Grundlage des AOG erlassenen Tarifordnungen galten fort. 179<br />

Mit Aufhebung des AOG fielen zugleich die einzigen bis dahin bestehenden Vorschriften<br />

zum Kündigungsschutz weg (vgl. Rn. 44). Bestehen blieben lediglich die systemfremden Bestimmungen<br />

zum Arbeitsplatzwechsel (vgl. Rn. 49). 180 Der Kündigungsschutz zeichnete sich<br />

in der Folgezeit durch eine besondere Vielfalt an Nachfolgeregelungen aus: 181<br />

– britische Zone: Heranziehung der §§ 138, 242BGB; 182<br />

– amerikanische und französische Zone: eigene Kündigungsschutzgesetze 183 oder Kündigungsschutzregelungen<br />

in Betriebsrätegesetzen; 184<br />

– sowjetische Zone: Nichtigkeit jeder Kündigung ohne Zustimmung des BR. 185<br />

172 Vgl. Plumeyer, Die Betriebsrätegesetze der<br />

Länder 1947–1950, 1995; Drath, RdA 1948, 130;<br />

Fitting, RdA 1948, 89.<br />

173 »Betriebsrätegesetz für das Land Hessen« vom<br />

31. 5. 1948 (GVBl. Nr. 23 vom 1.10. 1948); auszugsweise<br />

abgedruckt bei Blanke/Erd/Mückenberger/Stascheit,<br />

Hrsg., Kollektives <strong>Arbeitsrecht</strong>,<br />

Quellentexte zur Geschichte des<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong>s in Deutschland, Bd. 2, 1975,<br />

S. 192f.; vgl. Engler, RdA 1948, 15.<br />

174 Vgl. »Erklärung der amerikanischen und britischen<br />

Militärregierung zum deutschen Betriebsräterecht«,<br />

RdA 1948, 63.<br />

175 Abdruck Löwisch, Hrsg., Schlichtungs- und<br />

Arbeitskampfrecht, 1989, Nr. 71ff. Anhang I;<br />

vgl. Lembke, RdA 2000, 223.<br />

176 Einzig das Badische Gesetz über das Schlichtungswesen<br />

bei Arbeitsstreitigkeiten vom<br />

19. 10. 1949 (GVBl. 1950, S. 60) lässt die Einleitung<br />

eines Schlichtungsverfahrens von Amts<br />

wegen und die Verbindlicherklärung eines<br />

Schlichtungsspruchs zu (zur möglichen Verfassungswidrigkeit<br />

vgl. § 155 Rn. 5).<br />

177 Abdruck RdA 1949, 177; vgl. Bührig, RdA 1949,<br />

290; Hessel, RdA 1949, 288.<br />

178 Vgl. Kempen/Zachert, Grundl. Rn. 39ff.; Bührig,<br />

RdA 1948, 11; Hessel, BB 1947, 205.<br />

179 Vgl. Sitzler, RdA 1948, 8; ders., FS Nipperdey I,<br />

1955, S. 193.<br />

180 Zur Genehmigungspraxis vgl. Stellungnahme<br />

der Konferenz der Arbeitsbehörden des Vereinigten<br />

Wirtschaftsgebiets vom 21./22.5.1948,<br />

RdA 1948, 21; BB 1948, 17; Bogs, RdA 1948,<br />

133.<br />

181 Vgl. Müller, BB 1948, 534 mit Übersicht von<br />

Hilger.<br />

182 Vgl. LAG Hamburg 10.3. 1948, RdA 1948,<br />

116.<br />

183 Z. B. Wüttemberg-Baden (vgl. Hueck, RdA<br />

1948, 169).<br />

184 Z. B. Baden (vgl. Meves, RdA 1949, 247).<br />

185 Vgl. BB 1947, 307.<br />

24 Kittner


Nachkriegszeit 1945 bis 1949<br />

Das Kündigungsschutzrecht gehörte deshalb – neben der Betriebsverfassung (vgl. Rn. 56) –<br />

zu den Materien, hinsichtlich derer man sich allseits über die Notwendigkeit baldiger Vereinheitlichung<br />

einig war. 186<br />

Die in den Jahren 1946 und 1947 entstandenen Länderverfassungen lehnten sich im Hinblick<br />

auf die Arbeitsverfassung weitgehend an Art. 159, 165 WRV an (vgl. Rn. 28). 187 Sie enthielten<br />

ganz überwiegend eine Garantie der Koalitionsfreiheit und des Streikrechts (Baden, Bayern,<br />

Berlin [nur Streikrecht und allgemeine Vereinigungsfreiheit], Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz,<br />

Saarland, Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern). 188 Einzig in Hessen<br />

verbot Art. 29 Abs. 5 der Verfassung die Aussperrung. Diese Grundrechte gelten gemäß<br />

Art. 142 GG nach Inkrafttreten des GG fort, sind freilich durch Art. 9 Abs. 3 GG funktionslos<br />

geworden (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 1 Rn. 19ff.; zum Schicksal des hessischen Aussperrungsverbots<br />

vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 136 Rn. 10).<br />

Von grundlegender Bedeutung für die spätere Montanmitbestimmung (vgl. Rn. 68) wurde<br />

die Behandlung des Kohlebergbaus und der Eisen- und Stahlindustrie in der britischen<br />

Zone. Diese Wirtschaftszweige wurden wegen der politischen Diskreditierung ihrer führenden<br />

Personen 1947 den bisherigen Eigentümern entzogen und unter Treuhänderschaft<br />

gestellt. 189 In deren Rahmen wurden die Grundlagen der paritätischen Mitbestimmung<br />

im Aufsichtsrat und die Institution des Arbeitsdirektors eingeführt (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 1<br />

Rn. 29). 190<br />

Noch unter der gemeinsamen Kontrollratsverantwortung entwickelten sich die tatsächlichen<br />

und institutionellen Bedingungen in den Westzonen und der sowjetischen Besatzungszone<br />

rasch auseinander. 191 Während im Westen die Richtung auf einen sozial gebundenen<br />

Privatkapitalismus eingeschlagen wurde (die spätere »soziale Marktwirtschaft«),<br />

baute die Sowjetunion ihre Zone mit ihren Statthaltern (»Gruppe Ulbricht«) rasch zu einer von<br />

der kommunistischen Partei beherrschten Planwirtschaft nach eigenem Vorbild aus. 192 Zentrales<br />

wirtschaftliches Ziel war die Steigerung der Arbeitsproduktivität, insbesondere um<br />

die Reparationsleistungen bewältigen zu können. 193 Dem diente auch die mit einem Abbau<br />

des bisherigen Frauenarbeitsschutzes verbundene Einführung der Lohngleichheit von<br />

Frauen und Jugendlichen. 194 Die Gründung von Gewerkschaften wurde bereits mit Befehl<br />

der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) vom 10.6. 1945 erlaubt. Von Anfang an<br />

durfte jedoch nur der unter kommunistischer Vorherrschaft stehende »Freie Deutsche Gewerkschaftsbund«<br />

tätig werden. Arbeitgeberverbände wurden dagegen nicht zugelassen,<br />

so dass Tarifverträge entweder nur mit einzelnen AG oder öffentlichen Körperschaften abgeschlossen<br />

werden konnten. 195 Außerdem wurden Befugnisse der noch demokratisch gewählten<br />

Betriebsräte nach und nach auf die politisch gelenkten Betriebsgewerkschaftsleitun-<br />

186 Vgl. Gröninger, RdA 1949, 213; Hueck,<br />

BlStSoz»ArbR 1949, 118 [131].<br />

187 Vgl. den von Nipperdey für den Bundesvorstand<br />

des DGB verfaßten Entwurf »Zur Verfassungsfrage.<br />

Grundsätzliche Forderungen der<br />

Gewerkschaften zum Abschnitt »Arbeit und<br />

Wirtschaft« in den neuen Landesverfassungen«,<br />

in Weber/Mielke, Quellen zur Geschichte<br />

der deutschen Gewerkschaftsbewegung im<br />

20. Jahrhundert, Bd. 7, 1991, S. 851ff.<br />

188 Vgl. eingehend Däubler, Der Streik im öffentlichen<br />

Dienst, 1970, S. 13ff.; Dittmar, BB 1948,<br />

515.<br />

189 Förmliche gesetzliche Bestätigung durch Gesetz<br />

Nr. 75 der Militärregierung vom<br />

11.12.1948 »Umgestaltung des deutschen<br />

Kohlebergbaus und der deutschen Eisen- und<br />

Stahlindustrie« (VOBl. Brit. Zone S. 367).<br />

190 Vgl. Judith u. a., 25 Jahre Montanmitbestimmung,<br />

Schriftenreihe der IG Metall Nr. 68,<br />

S. 172ff.; Köstler/Kittner/Zachert, Aufsichtsrats-<br />

praxis, 6. Aufl. 1999, Rn. 32; Peters, Montanindustrie<br />

– Dokumente ihrer Entstehung,<br />

1980; Potthoff, Zur Geschichte der Mitbestimmung,<br />

in Potthoff/Blume/Duvernell, Zwischenbilanz<br />

der Mitbestimmung, 1962,<br />

S. 1ff.<br />

191 Vgl. Ramm, JZ 1998, 473.<br />

192 Vgl. eingehend Kittner, Arbeitskampf, S. 569ff.<br />

193 Vgl. SMAD-Befehl Nr. 234 vom 9.10. 1947<br />

»über Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität<br />

und zur weiteren Verbesserung<br />

der materiellen Lage der Arbeiter und<br />

Angestellten in der Industrie und im Verkehrswesen«;<br />

hierauf gestützt erließ der Präsident<br />

der Deutschen Verwaltung für Arbeit und<br />

Sozialfürsorge mit Genehmigung der SMAD<br />

am 13.10. 1947 eine Arbeitsordnung (Ramm,<br />

JZ 1998, 476 Fn. 23).<br />

194 SMAD-Befehl Nr. 253 vom 17. 8. 1946 (Ramm,<br />

JZ 1998, 476).<br />

195 Vgl. BB 1946, Heft 11, S. 10; 1947, 217.<br />

Kittner 25<br />

60<br />

61<br />

62


63<br />

64<br />

65<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

gen übertragen. 196 Die Sozialversicherung wurde – zwar noch auf Beitragsgrundlage – zu<br />

einer zentralen Staatseinrichtung umgestaltet (zur Weiterentwicklung in der DDR vgl.<br />

Rn. 108ff.). 197<br />

Mitte 1947 wurden die Zuständigkeiten der amerikanischen und britischen Zone im Bereich<br />

der Wirtschaft im Vereinigten Wirtschaftsgebiet (»Bizone«) zusammengeführt. 198 Sein<br />

»Wirtschaftsrat« erließ Gesetze mit Wirkung für beide Zonen, auch für den Bereich »Arbeit«.<br />

199 Das »Vereinigte Wirtschaftsgebiet« stellte eine Art Aufbau-Organisation für die<br />

Bundesrepublik Deutschland dar. Sein Recht wurde für die in ihm gelegenen Länder im<br />

Rahmen der Art. 124 und 125 GG Bundesrecht; für die Länder Baden, Groß-Berlin, Rheinland-Pfalz<br />

und Württemberg-Hohenzollern konnte es gemäß Art. 127 GG durch VO der<br />

Bundesregierung mit Zustimmung der betroffenen Länder in Kraft gesetzt werden. 200 Eine<br />

der bedeutendsten Entscheidungen während des Bestehens des Vereinigten Wirtschaftsgebiets<br />

war die Währungsreform. Sie wurde allerdings nicht durch den Wirtschaftsrat,<br />

sondern durch die Militärregierungen aller drei Westmächte in parallelen, inhaltsgleichen<br />

Gesetzen vom 20. und 27. 6. 1948 vollzogen. 201 Die Gewerkschaften, die die damit verbundene<br />

Bevorzugung der Sachwertinhaber abgelehnt hatten, protestierten gegen die sozialen<br />

Folgen der Währungsreform mit einem Generalstreik, an dem sich über 9 Mio. AN<br />

beteiligten. 202 § 27 des Umstellungsgesetzes räumte für bestehende Arbeitsverträge ein<br />

Sonderkündigungsrecht ein. 203 Ein vom Wirtschaftsrat noch am 20. 7. 1949 beschlossenes<br />

Kündigungsschutzgesetz (»Frankfurter Gesetz«) wurde von den Militärregierungen nicht<br />

mehr genehmigt; die Materie sollte unmittelbar durch die Bundesgesetzgebung geregelt<br />

werden (vgl. Rn. 70). 204 Ebenso wenig führte ein gemeinsamer Entwurf von AG und Gewerkschaften<br />

zu einem Schlichtungsgesetz 205 noch zu einem Gesetz des Vereinigten Wirtschaftsgebietes<br />

(zur späteren Entscheidung zugunsten tarifvertraglicher Regelungen vgl.<br />

Rn. 78).<br />

Das für die Arbeitsverfassung wichtigste Gesetz des Wirtschaftsrats war das Tarifvertragsgesetz<br />

vom 9.4. 1949 (WiGBl. S. 55). 206 Es baute auf der TarifvertragsVO von 1918 auf und entwickelte<br />

das damals geschaffene Recht unter Ausräumung dogmatischer Zweifel weiter<br />

(zu den Grundzügen des nach dem TVG geltenden Tarifrechts vgl. § 10). 207 Grundlage der<br />

Diskussion bildete u.a. ein von Nipperdey für die Gewerkschaften der britischen Zone verfasster<br />

TVG-Entwurf. 208 Das TVG ist eines der kürzesten arbeitsrechtlichen Gesetze. Sein Verfasser,<br />

der damals beim Direktor für Arbeit tätige Wilhelm Herschel, sprach von einem »Minimum<br />

an Worten« und einem »Höchstmaß von Verständlichkeit«. 209<br />

Die Wiederherstellung des Tarifvertragssystems lief nur zögerlich an. Zunächst fehlten die<br />

Akteure. Erst ein Jahr nach der Sowjetunion im Osten (vgl. Rn. 62) gestattete die gemeinsame<br />

Kontrollrats-Direktive Nr. 31 vom 3.6. 1946 den einzelnen Zonenbefehlshabern die Zulas-<br />

196 Vgl. Rösch, BB 1948, 387.<br />

197 Vgl. Heimerich, BB 1946, Heft 1/2, S. 21.<br />

198 Vgl. Gesetz über den vorläufigen Aufbau der<br />

Wirtschaftsverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets<br />

(amerikanisches und britisches<br />

Besatzungsgebiet in Deutschland) vom<br />

9.8. 1947 (GVBl. des Zweizonen-Wirtschaftsrats,<br />

S. 1).<br />

199 Vgl. Oppler, RdA 1948, 18.<br />

200 Gesamtübersicht BGBl. I, 1950, S. 332.<br />

201 Währungsgesetz, Emmissionsgesetz und Umstellungsgesetz<br />

(vgl. VOBl. brit. Zone 1948,<br />

S. 139, 147 und 149).<br />

202 Vgl. Beier, Der Demonstrations- und Generalstreik<br />

vom 12. November 1948, 1975; Weber/<br />

Mielke, Quellen zur Geschichte der deutschen<br />

Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert,<br />

Bd. 7, 1991, S. 45ff.<br />

203 Vgl. Poelmann, RdA 1948, 22; zur Problematik<br />

von Lohnvorauszahlungen und ausstehenden<br />

Lohnforderungen vgl. Merkblatt des »Büros<br />

für Währungsfragen«, RdA 1948, 136; Erdmann,<br />

RdA 1948, 172.<br />

204 Vgl. Hueck, RdA 1949, 331.<br />

205 »Entwurf eines Gesetzes betreffend Schlichtung<br />

von Arbeitsstreitigkeiten« vom 1. 4. 1949,<br />

RdA 1949, 177.<br />

206 Vgl. Koselke, BB 1949, 83; Nipperdey, RdA 1949,<br />

81; Storch, BB 1949, 233.<br />

207 Materialien zur Entstehung des TVG, ZfA<br />

1973, 129; hierzu Herschel, ZfA 1973, 183; vgl.<br />

Dreschers, Die Entwicklung des Rechts des Tarifvertrags<br />

in Deutschland, 1994; Nautz, Die<br />

Durchsetzung der Tarifautonomie in Westdeutschland,<br />

1985; Kempen/Zachert, TVG,<br />

Grundl. Rn. 43ff.<br />

208 Vgl. Weber/Mielke, Quellen zur Geschichte der<br />

deutschen Gewerkschaftsbewegung im<br />

20. Jahrhundert, Bd. 7, 1991, S. 571f.<br />

209 Herschel, ZfA 1973, 183 [189].<br />

26 Kittner


Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1998<br />

sung von Gewerkschaften 210 und deren auf die jeweilige Zone beschränkten »zwischengewerkschaftlichen«<br />

Zusammenschluss. 211 Besorgt um ihre Kontrolle über die weitere Entwicklung,<br />

stimmten die Westmächte dem Wiederaufbau der Gewerkschaften auch danach<br />

nur zögerlich zu. 212 Immerhin betrug die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder Ende 1948 bereits<br />

2,8 Mio. in der britischen, 1,48 Mio. in der amerikanischen und 335000 in der französischen<br />

Zone. In bewusster Abkehr von der Zersplitterung in der Weimarer Republik wurden<br />

die Gewerkschaften als Einheitsgewerkschaften nach dem Industrieverbands-Prinzip gegründet<br />

(»Ein Betrieb, eine Gewerkschaft«). 213 Der Deutsche Gewerkschaftsbund als gemeinsamer<br />

Dachverband (unter Ausschluss lediglich der DAG und von Resten der christlichen<br />

Gewerkschaften) wurde erst im Oktober 1949 gegründet (erster Vorsitzender Hans Böckler).<br />

Die Arbeitgeberverbände 214 wurden noch später zugelassen, teils aus politischem Misstrauen<br />

der Besatzungsmächte, teils, weil ihre Organisationsprinzipien in den eigenen Reihen<br />

noch unklar waren. 215 Dafür lagen sie mit ihrer Dachverbandsgründung vor den Gewerkschaften.<br />

Aus der am 28. 1.1949 gegründeten »Sozialpolitischen Arbeitsgemeinschaft der AG<br />

des Vereinigten Wirtschaftsgebietes« ging im Mai 1949 die »Bundesvereinigung der Deutschen<br />

Arbeitgeberverbände« hervor. 216 Jedenfalls fehlte es lange Zeit an handlungsfähigen<br />

Tarifvertragsparteien. 217 Außerdem wurde der in der Kriegszeit verhängte »Lohnstopp« erst<br />

am 3. 11.1948 aufgehoben, 218 bis zu welchem Zeitpunkt es praktisch nichts tariflich zu regeln<br />

gab. 219 Eine wirklich funktionierende Tarifautonomie setzte praktisch erst mit Beginn der<br />

Bundesrepublik Deutschland ein.<br />

Die Sozialversicherung stand organisatorisch wegen der in dieser Hinsicht offenkundigen<br />

Teilung Deutschlands (vgl. Rn. 110) und finanziell vor schwierigen Wiederaufbau- und<br />

Umbauproblemen. Ein Vorstoß der süddeutschen Länder zur Zusammenfassung der Materie<br />

in einer neuen »Sozialversicherungsordnung« versandete im Kontrollrat zum einen<br />

wegen der dort nicht mehr herzustellenden Einigkeit. Zum anderen bestand insbesondere<br />

auch bei den Gewerkschaften Uneinigkeit über den weiteren diesbezüglich einzuschlagenden<br />

Weg. 220<br />

VI. Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1998<br />

1. Gründung und Konsolidierung<br />

Die Grundlagen für eine staatliche Zentralinstanz in den Westzonen wurden durch das<br />

»Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland« vom 23. 5.1949 (BGBl. S. 1) gelegt (zur<br />

Entwicklung im Osten vgl. Rn. 108ff.). Seiner Verabschiedung gingen nach entsprechender<br />

Aufforderung durch die Londoner Sechs-Mächte-Konferenz von 1948 Vorarbeiten im »Verfassungskonvent«<br />

(Herrenchiemsee) und danach in dem von den Landtagen der Länder be-<br />

210 Vgl. Bernecker, Die Neugründung der Gewerkschaften<br />

in den Westzonen 1945–1949, in Becker/Stammen/Waldmann,<br />

Hrsg., Vorgeschichte<br />

der Bundesrepublik Deutschland,<br />

1979, S. 261ff.; Huster u. a., Determinanten der<br />

westdeutschen Restauration 1945–1949, 1972;<br />

Schmidt, Die verhinderte Neuordnung<br />

1949–1952, 2. Aufl., 1971.<br />

211 Zum so genannten Drei-Phasen-Plan für die<br />

britische Zone vgl. Blanke/Erd/Mückenberger/<br />

Stascheit, Hrsg., Kollektives <strong>Arbeitsrecht</strong>,<br />

Quellentexte zur Geschichte des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

in Deutschland, Bd. 2, 1975, S. 164f.<br />

212 Vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des <strong>Arbeitsrecht</strong>s,<br />

Bd. II 1, 7. Aufl. 1967, S. 121.<br />

213 Zum Aufbau der Gewerkschaften vgl. den Sekretär<br />

des Gewerkschaftsrates und späteren<br />

DGB-Vorsitzenden Rosenberg, RdA 1948, 123.<br />

214 Vgl. Erdmann, Die deutschen Arbeitgeberverbände<br />

im sozialgeschichtlichen Wandel der<br />

Zeit, 1966.<br />

215 Vgl. BB 1947, 245.<br />

216 Vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des <strong>Arbeitsrecht</strong>s,<br />

Bd. II 1, 7. Aufl. 1967, S. 122.<br />

217 Vgl. BB 1947, 321; zur Nachkriegsgeschichte<br />

vgl. Himmelreich, AG 12–1999, 22.<br />

218 »Gesetz zur Aufhebung des Lohnstopps« vom<br />

3.11.1948 (WiGBl. S. 117); vgl. Herschel, RdA<br />

1948, 121.<br />

219 Zur Lohnpolitik der Nachkriegszeit vgl. Pentzlin,<br />

RdA 1948, 166; Stenzel, RdA 1949, 1.<br />

220 Vgl. Weber/Mielke, Quellen zur Geschichte der<br />

deutschen Gewerkschaftsbewegung im<br />

20. Jahrhundert, Bd. 7, 1991, S. 69ff.; Schiekel,<br />

RdA 1949, 129.<br />

Kittner 27<br />

66<br />

67


68<br />

69<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

setzten »Parlamentarischen Rat« (Bonn) voraus. 221 Trotz entsprechender Forderungen der<br />

Gewerkschaften 222 verzichtete man übereinstimmend auf Einzelheiten zur Arbeits- und<br />

Wirtschaftsverfassung. Das hatte seinen Grund insbesondere auch darin, dass die SPD darauf<br />

setzte, die entsprechenden Regelungen mit der künftigen – als sicher erwarteten – einfachen<br />

Gesetzgebungsmehrheit zu treffen. Verfassungsrechtliche Grundlagen der künftigen<br />

Arbeitsverfassung wurden damit die Grundrechte und das neue Element des Sozialstaatsprinzips<br />

als verbindliches Staatsziel (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 1 Rn. 10). Für die Koalitionsfreiheit<br />

übernahm Art. 9Abs. 3 GG weitgehend wortgleich Art. 159 WRV. Ein Vorschlag der Gewerkschaften<br />

zur Regelung des Streikrechts (Satz 3 und 4: »Das Streikrecht der Gewerkschaften<br />

ist gewährleistet. Wer sich an einem gewerkschaftlichen, nicht tarifwidrigen Streik beteiligt,<br />

handelt nicht rechtswidrig.«) wurde nicht aufgegriffen. Grund war nicht die Ablehnung<br />

eines Streikrechts für den Normalfall, vielmehr Abgrenzungsstreitigkeiten hinsichtlich des<br />

Beamtenstreiks und des politischen Streiks. 223 Mit Art. 23 und 24 GG wurde die Bundesrepublik<br />

in die internationale Rechtsordnung eingebunden. Damit war der Weg zur europäischen<br />

Integration vorgezeichnet (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 138).<br />

Die entscheidende Weichenstellung für die Arbeitsverfassung der Bundesrepublik Deutschland<br />

224 erfolgte mit der ersten Bundestagswahl, aus der die von Konrad Adenauer geführte<br />

Koalition von CDU/CSU, FDP und DP als Sieger hervorging. Damit war zugleich der fundamentale<br />

Richtungsstreit über die Zukunft von Wirtschaft und Arbeit entschieden. Die Gewerkschaften<br />

und die SPD kamen mit ihren auf umfassende gleichberechtigte Mitbestimmung<br />

angelegten Vorstellungen zur Neuordnung der deutschen Wirtschaft nicht zum<br />

Zuge. 225 1951 entschied sich Adenauer zwar unter dem Druck einer Streikdrohung im Bergbau<br />

und in der Stahlindustrie für die gesetzliche Regelung der Montanmitbestimmung, um<br />

freie Hand für seine deutschland- und außenpolitischen Pläne zu gewinnen. 226 Aber schon<br />

ein Jahr später lehnte seine Regierungsmehrheit das Prinzip gleichberechtigter Mitbestimmung<br />

für die ganze Wirtschaft ab: Das BetrVG 1952 brachte nur eine Drittelbeteiligung<br />

der AN im Aufsichtsrat und blieb auch hinsichtlich der betrieblichen Mitbestimmung hinter<br />

den meisten der bereits existierenden Ländergesetze zurück. Die gewerkschaftliche<br />

Gegenaktion – ein mehrtägiger Proteststreik bei Tageszeitungen – blieb erfolglos. Außerdem<br />

wurde dieser Streik zum Anlass für die Durchsetzung eines neuen Arbeitskampfrechts (vgl.<br />

Rn. 79). 227<br />

Die Entwicklung hinsichtlich des Individualarbeitsrechts und Arbeitsschutzrechts verlief<br />

weniger spektakulär. Zunächst galten für alle wichtigen Bereiche die entsprechenden Regelungen<br />

aus der Zeit des Nationalsozialismus fort (vgl. Rn. 45). Sie wurden nach und nach<br />

durch neue, eigene Regelungen der Bundesrepublik Deutschland ersetzt (1951–1953: HAG,<br />

FeiertagsLFZG, MuSchG, SchwBeschG; 1957: ArbNErfG; 1960: JArbSchG; vgl. Übersicht.<br />

nach Rn. 140). Hinzu traten aber neue Materien. Die bedeutendsten betrafen den Kündigungsschutz<br />

(vgl. Rn. 70) und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle (vgl. Rn. 71) – Themen,<br />

die bis heute zu den »Evergreens« der arbeitsrechtspolitischen Auseinandersetzung<br />

221 Zur Entstehungsgeschichte vgl. Sörgel, Konsensus<br />

und Interessen. Eine Studie zur Entstehung<br />

des Grundgesetzes für die Bundesrepublik<br />

Deutschland, 2. Aufl. 1985; Wagner, Der<br />

Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und<br />

Protokolle, 1975; Jahrbuch für öffentliches<br />

Recht 1951, 116ff.<br />

222 Vgl. »Forderungen des Verfassungsausschusses<br />

des Gewerkschaftsrates an den parlamentarischen<br />

Rat« vom 22. 11.1948 in Weber/Mielke,<br />

Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung<br />

im 20. Jahrhundert,<br />

Bd. 7, 1991, S. 871ff. (unter maßgeblicher Beteiligung<br />

Nipperdeys als Mitglied des gewerkschaftlichen<br />

Verfassungsausschusses).<br />

223 Vgl. AK-GG-Kittner/Schiek, Art. 9 Abs. 3 Rn. 18;<br />

dort auch zur Behandlung der Aussperrung;<br />

vgl. auch Kittner, Arbeitskampf, S. 565ff.<br />

224 Vgl. Ramm, JZ 1977, 1.<br />

225 Vgl. »Vorschläge des Deutschen Gewerkschaftsbundes<br />

zur Neuordnung der deutschen<br />

Wirtschaft« vom 14. 5. 1950 (RdA 1950, 183;<br />

DGB-Gesetzentwurf vom 22. 5. 1950, RdA<br />

1950, 227; Gesetzentwurf der SPD-Fraktion,<br />

BT-Drs. I/1229).<br />

226 Vgl. Müller-List, Montanmitbestimmung,<br />

1984; Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie<br />

– Der Mythos vom Sieg der Gewerkschaften,<br />

1984; Köstler/Kittner/Zachert, Aufsichtsratspraxis,<br />

6. Aufl. 1999, Rn. 32.<br />

227 Vgl. Schmidt, Die verhinderte Neuordnung<br />

1945–1952, 1970, S. 193ff.<br />

28 Kittner


Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1998<br />

gehören. Als Folge der Wiederaufrüstung wurde der arbeitsrechtliche Schutz der Wehrpflichtigen<br />

mit dem Arbeitsplatzschutzgesetz vom 30. 3.1957 (BGBl. I, S. 293; vgl. § 129) geregelt.<br />

Das bis dahin in Ländergesetzen und Tarifverträgen geregelte Urlaubsrecht 228 wurde<br />

mit dem Bundesurlaubsgesetz vom 8.1.1963 (BGBl. I, S. 2) vereinheitlicht (vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§49). 229 Hinsichtlich des Arbeitsschutzes kann man von einer Phase der Stagnation sprechen,<br />

da für alle Beteiligten die drängenden Probleme des Wiederaufbaus im Vordergrund<br />

standen. 230<br />

Mit dem Kündigungsschutz konnte für lange Zeit zum letzen Mal eine arbeitsrechtliche Materie<br />

auf dem Konsens der Tarifvertragsparteien aufbauen: Ausgehend vom zwischen ihnen<br />

vereinbarten »Hattenheimer Entwurf« vom 13. 1.1950, 231 wurde das Kündigungsschutzgesetz<br />

vom 10. 8.1951 (BGBl. I, S. 499) beschlossen. 232 Mit ihm wurde erstmals die Rechtswirksamkeit<br />

einer ordentlichen Kündigung vom Vorliegen eines gerichtlich überprüfbaren Grundes<br />

abhängig gemacht. Seine Grundkonzeption gilt noch heute (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 72 Rn. 1).<br />

Erst mit dem KSchG wurde die ArbeitsplatzwechselVO aus dem Jahre 1939 aufgehoben (vgl.<br />

Rn. 49).<br />

Heftig umstritten war von Anfang an die sechswöchige Lohnfortzahlung für Arbeiter, deren<br />

Gleichstellung mit den Angestellten die Gewerkschaften forderten. 233 Nach Ablehnung eines<br />

entsprechenden Antrags der SPD im Bundestag im Jahre 1956 streikte die IG Metall vom<br />

24.10. 1956 bis 14.2. 1957 für eine tarifvertragliche Regelung in Schleswig-Holstein. 234 Anschließend<br />

griff der Gesetzgeber die Materie auf. Das »Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen<br />

Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle« vom 26. 6.1956 (BGBl. I, S. 649)<br />

führte einen Zuschuss des AG zum Krankengeld bis zur Höhe von 90% des Nettoverdienstes<br />

mit zwei Karenztagen ein. 235 Mit Gesetz vom 12.7. 1961 (BGBl. I, S. 913) wurde der Zuschuss<br />

auf 100% erhöht und der zweite Karenztag gestrichen (zur Einführung der vollen Lohnfortzahlung<br />

vgl. Rn. 82).<br />

Ende 1959 kam es zu einer überraschenden Initiative zur Vereinheitlichung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s.<br />

Auf Antrag der FDP beauftragte der Bundestag die Bundesregierung am 2. 12.1959<br />

einstimmig, Vorarbeiten zur Schaffung eines »Deutschen Arbeitsgesetzbuches« zu beginnen.<br />

236 Obwohl hierzu seitens des Bundesarbeitsministeriums umfangreiche gutachtliche<br />

Vorarbeiten veranlasst wurden, wurde aus dem Vorhaben nichts (zum »Ersten <strong>Arbeitsrecht</strong>lichen<br />

Bereinigungsgesetz« vgl. Rn. 83). 237<br />

Die sog. Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand war von ihren Erfindern als Gegengewicht<br />

zu einer umverteilungsorientierten Tarifpolitik (»aktive Tarifpolitik«), insbesondere<br />

der IG Metall (Vorsitzender: Otto Brenner), 238 konzipiert worden. Das 1. Vermögensbildungsgesetz<br />

vom 12. 7.1961 (BGBl. I, S. 909) brachte eine steuerliche und sozialversicherungsrechtliche<br />

Begünstigung vermögenswirksamer Leistungen bis zu 312 DM (ca. 156 Euro) pro<br />

Jahr. 239 Dieses Gesetz war ein Fehlschlag, weil es nur Leistungen aus freiwilligen Vereinbarungen<br />

unter Ausschluss von Tarifverträgen förderte. Erst nachdem als Reaktion auf die »Investivlohn«-Vorstellungen<br />

des Baugewerkschaftsvorsitzenden Georg Leber (»Leberplan«<br />

1964) mit dem 2. Vermögensbildungsgesetz vom 1. 7.1965 (BGBl. I, S. 585) auch tarifliche<br />

Leistungen einbezogen wurden, kam es zu einer breiteren Anwendung. Die bei den Gewerkschaften<br />

umstrittenen Vorstellungen einer Beteiligung der AN am Produktivvermögen<br />

228 Übersicht RdA 1960, 17.<br />

229 Vgl. Dersch, RdA 1960, 51; Neumann, RdA<br />

1963, 41.<br />

230 Vgl. Pieper, Das Arbeitsschutzrecht in der<br />

deutschen und europäischen Arbeits- und Sozialordnung,<br />

1998, S. 109ff.; zur zeitgenössischen<br />

Bestandsaufnahme Herschel, BArbBl.<br />

1955, 571.<br />

231 Abgedruckt RdA 1950, 63 mit Anm. Hueck.<br />

232 Vgl. Hueck, RdA 1951, 282; Richardi, RdA 2000,<br />

13.<br />

233 Vgl. Gesetzentwurf des DGB, RdA 1955, 291<br />

mit Anm. Hueck.<br />

234 Text des angenommenen Einigungsvorschlags<br />

vom 9.2.1957, RdA 1957, 96.<br />

235 Vgl. Schelp, RdA 1957, 245.<br />

236 BT-Drs. 3/1401; vgl. Schelp, RdA 1960, 127;<br />

skeptisch Herschel, DB 1959, 1440.<br />

237 Vgl. Ramm, Entwürfe zu einem Deutschen Arbeitsvertragsgesetz,<br />

1992, S. 81f.; Schelp, RdA<br />

1962, 89.<br />

238 Vgl. Kalbitz, Die Ära Otto Brenner in der IG<br />

Metall, 2001.<br />

239 Vgl. Halbach, RdA 1961, 309.<br />

Kittner 29<br />

70<br />

71<br />

72<br />

73


74<br />

75<br />

76<br />

77<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

konnten auf diesem Wege naturgemäß weder qualitativ noch quantitativ realisiert werden. 240<br />

Die Förderung wurde später mit dem 3. Vermögensbildungsgesetz auf das heute geltende<br />

Zulagensystem umgestellt (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 42).<br />

Mit dem Arbeitsgerichtsgesetz vom 3.9. 1953 (BGBl. I, S. 1267) wurde die Arbeitsgerichtsbarkeit<br />

endgültig als eigenständige Gerichtsbarkeit konstituiert (zur Sozialgerichtsbarkeit<br />

vgl. Rn. 80). 241 Für eine einheitliche Rechtsanwendung unerlässlich war dabei, dass 1954 mit<br />

dem Bundesarbeitsgericht in Kassel endlich ein zentrales oberstes Gericht geschaffen<br />

wurde. Sein erster Präsident wurde Nipperdey. Wegen der verhältnismäßig geringen gesetzlichen<br />

Regelungsdichte im <strong>Arbeitsrecht</strong> musste das BAG alsbald viele gesetzlich nicht oder<br />

nur in Generalklauseln geregelte Fragen entscheiden (besonders auffällig im Arbeitskampfrecht,<br />

vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 136 Rn. 3). Daraus erwuchs seine – durchaus nicht unumstrittene –<br />

Rolle als »Ersatzgesetzgeber« und die Feststellung von Gamillscheg, wonach der Richter »der<br />

eigentliche Herr des <strong>Arbeitsrecht</strong>s« sei (zum »Richterrecht« als Rechtsquelle vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§ 7 Rn. 71). 242<br />

Die Inhalte des nunmehr bundeseinheitlichen Betriebsverfassungsgesetzes vom 11. 10.1952<br />

(BGBl. I, S. 581) bewegten sich (abgesehen vom Fundamentalkonflikt um die Neuordnung<br />

der Wirtschaft insgesamt, vgl. Rn. 68) in den vom BRG 1920 vorgezeichneten Bahnen. 243 Hinsichtlich<br />

des damals und im Folgenden viel kritisierten Gebots der »vertrauensvollen Zusammenarbeit«<br />

unterschied es sich nur sprachlich von den entsprechenden Passagen des<br />

BRG 1920. Das »Herzstück« des BetrVG 1952, die Beteiligung in sozialen Angelegenheiten<br />

gemäß § 56, brachte eine deutliche Erweiterung der Mitbestimmungstatbestände dieses Gesetzes.<br />

Außerdem wurde die heute noch gültige Grundkonzeption der Beteiligung in individuellen<br />

personellen Angelegenheiten eingeführt. Neu war auch die Einrichtung des Wirtschaftsausschusses.<br />

Das BetrVG galt nicht für den öffentlichen Dienst. Für ihn wurde mit dem Bundespersonalvertretungsgesetz<br />

vom 5. 8.1955 (BGBl. I, S. 477) eine eigenständige Betriebsverfassung<br />

geschaffen (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 10 Rn. 364). 244 In der Zwischenzeit galten die jeweiligen Landesbetriebsrätegesetze<br />

für den öffentlichen Dienst fort, bis sie durch Landespersonalvertretungsgesetze<br />

abgelöst wurden.<br />

Das Tarifrecht beruht seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland bis heute auf dem<br />

noch vom Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets geschaffenen TVG (vgl. Rn. 64).<br />

Es wurde auf die Länder der früheren französischen Zone durch Gesetz vom 23.4.1953<br />

(BGBl. I, S. 156) erstreckt. 245 Zunächst war man sich nicht sicher, wie erfolgreich ein neues Tarifvertragssystem<br />

werden könnte. Deshalb wurden mit dem »Gesetz über die Festsetzung<br />

von Mindestarbeitsbedingungen« vom 11. 1.1952 (BGBl. I, S. 17) Vorkehrungen für den Fall<br />

getroffen, dass die Tarifvertragsparteien zu schwach bleiben würden (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 9). 246<br />

Das Gesetz ist jedoch in der Folgezeit bis heute nicht angewandt worden. Dies ist ein eindrucksvoller<br />

Beweis für den Erfolg des sich alsbald etablierenden Tarifvertragssystems. Auf<br />

der Grundlage eines hohen Organisationsgrades auf beiden Seiten (AG: ca. 90%; Gewerkschaften:<br />

über 30%) 247 entwickelte sich das die Bundesrepublik fortan prägende System der<br />

Flächentarifverträge (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 8 Rn. 16). Von zentraler Bedeutung war dabei das arbeitsteilige<br />

Zusammenwirken mit der Betriebsverfassung, das den Tarifvertragsparteien eine<br />

Konzentration auf zentrale, betriebsübergreifende Probleme erlaubte. In dieser Hinsicht<br />

konnten sich die Gewerkschaften stets darauf stützen, dass die Betriebsratsmitglieder ganz<br />

240 Vgl. Pitz, Hrsg., Das Nein zur Vermögenspolitik,<br />

1975.<br />

241 Fitting, BArbBl. 1953, 572; Müller, RdA 1953,<br />

241.<br />

242 Vgl. Gamillscheg, AcP 1964, 385 [388]; vgl. die<br />

aufsehenerregende Kritik Ramms am BAG und<br />

seinem Präsidenten Nipperdey, JZ 1964, 494,<br />

546 und 582; hiergegen vehement Müller und<br />

Galperin, JZ 1964, 711; Gamillscheg, JZ 1965, 47;<br />

»Schlußwort« Ramm, JZ 1966, 214.<br />

243 Vgl. Fitting, DB 1952, 627; Herschel, NJW 1952,<br />

624; Sabel, RdA 1952, 293.<br />

244 Vgl. Fitting, BB 1955, 741; Molitor, RdA 1955,<br />

404; Rewolle, AuR 1955, 269; Sabel, RdA 1955,<br />

328.<br />

245 Vgl. Scheerer, AuR 1953, 144; Schelp, BArbBl.<br />

1953, 333.<br />

246 Vgl. Fitting, RdA 1952, 5.<br />

247 Vgl. Schneider, Die Interessenverbände, 4. Aufl.<br />

1975; Simon, WSI-Mitt. 1976, 38.<br />

30 Kittner


Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1998<br />

überwiegend ihre betrieblichen Funktionäre sind (zu aktuellen Problemen vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§ 10 Rn. 172ff.). Anders als in der Weimarer Republik (vgl. Rn. 34) erlaubte dieser Unterbau<br />

einen besseren Einfluss auf die betriebliche Umsetzung von Tarifverträgen, insbesondere<br />

hinsichtlich Eingruppierung und Entlohnungsbedingungen. Der grundlegende Unterschied<br />

bestand allerdings darin, dass sich die AG nach 1945 dem Tarifvertragsgedanken erheblich<br />

vorbehaltloser und nachhaltiger öffneten als während der Weimarer Republik (vgl. Rn. 34;<br />

zur neuesten Entwicklung vgl. Rn. 136).<br />

Das Schlichtungsrecht wurde weiterhin vom Gedanken der Freiwilligkeit geprägt. Die von<br />

den Ländern bereitgestellten Schlichtungsstellen (vgl. Rn. 57) traten gegenüber den in den<br />

großen Wirtschaftsbereichen nahezu flächendeckend vereinbarten tariflichen Schlichtungsvereinbarungen<br />

zurück. 248 Hierzu verständigten sich die BDA und der DGB zunächst im<br />

Januar 1950 auf eine gemeinsame Empfehlung (»Hattenheimer Übereinkommen«) 249 und danach<br />

am 7.9. 1954 auf eine Mustervereinbarung (»Margarethenhof-Abkommen«). 250 Gleichwohl<br />

brachte die FDP 1957 und 1960 Gesetzentwürfe ein, mit denen ein Schlichtungsverfahren<br />

vor jedem Arbeitskampf obligatorisch werden sollte. 251 Der letzte dieser Anträge wurde<br />

1961 vom Bundestag abgelehnt, der zugleich in einer Entschließung an die Tarifvertragsparteien<br />

appellierte, das freiwillige Schlichtungswesen auszubauen und den Arbeitskampf nur<br />

als letztes Mittel in Betracht zu ziehen. 252 Die tarifvertraglichen Schlichtungsvereinbarungen<br />

sahen typischerweise einen Einlassungszwang sowie die Verlängerung der Friedenspflicht<br />

bis zum ergebnislosen Ende eines Schlichtungsverfahrens vor. Weil das BAG bereits die<br />

Durchführung einer Urabstimmung als Kampfmaßnahme noch während der Friedenspflicht<br />

wertete, verurteilte es die IG Metall wegen des Streiks in Schleswig-Holstein (vgl.<br />

Rn. 71) dem Grunde nach zu einem Schadensersatz in Höhe von nahezu 40 Mio. DM (ca.<br />

20 Mio. Euro). 253 Die Zahlung dieses Betrags konnte von der IG Metall gegen das Einverständnis<br />

zu einem für sie noch unvorteilhafteren Schlichtungsabkommen abgewendet werden.<br />

254 Das Urteil hatte jedoch eine noch nachhaltigere darüber hinausgehende Wirkung insofern,<br />

als die Gewerkschaften für die Zukunft noch stärker auf die aus der Verletzung der<br />

arbeitskampfrechtlichen Spielregeln resultierenden Risiken achteten (zur aktuellen arbeitskampfrechtlichen<br />

Bewertung der Urabstimmung vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 136 Rn. 20).<br />

Das eigentliche Arbeitskampfrecht wurde bald nach Gründung der Bundesrepublik durch<br />

die Rechtsprechung völlig neu gestaltet. 255 Den ersten Anlass boten die Schadensersatzklagen<br />

der Zeitungsunternehmer gegen die Gewerkschaften wegen des gegen das BetrVG 1952<br />

gerichteten sog. Zeitungsstreiks (vgl. Rn. 68). Die meisten der in letzter Instanz entscheidenden<br />

Landesarbeitsgerichte sahen diesen Streik als rechtswidrig an. 256 Sie schlossen sich der<br />

von Nipperdey in einem Gutachten für die AG neu entwickelten Konzeption an, mit der er<br />

seine früheren eigenen Positionen aufgab. 257 Die Rechtmäßigkeit eines Streiks sei nicht mehr<br />

nach § 826BGB, sondern als Eingriff in den »eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb«<br />

nach § 823BGB zu beurteilen. Rechtmäßig sei nur ein »sozialadäquater« Streik. Als solcher<br />

248 Vgl. eingehend Kittner, Arbeitskampf, S. 630ff.<br />

249 Abdruck in RdA 1050, 63.<br />

250 Abdruck RdA 1954, 383; vgl. Erdmann, RdA<br />

1955, 25.<br />

251 BT-Drs. 2/8 = RdA 1957, 421; BT-Drs. 3/1563 =<br />

RdA 1960, 110.<br />

252 Vgl. RdA 1961, 117.<br />

253 Vgl. BAG 31.10. 1958, TVG § 1 Friedenspflicht<br />

Nr. 2; hierzu Ramm, Kampfmaßnahme und<br />

Friedenspflicht, 1962; zur Schadensersatzhöhe<br />

Kirchner, RdA 1980, 127 [133].<br />

254 Abdruck RdA 1964, 216.<br />

255 Vgl. eingehend Kittner, Arbeitskampf, S. 603ff.<br />

256 Vgl. LAG Frankfurt 20.2. 1953, RdA 1953, 195;<br />

29. 4.1953, RdA 1953, 354; LAG München<br />

17. 4.1953, RdA 1953, 278; LAG Freiburg<br />

13. 4.1953, RdA 1953, 360; LAG Düsseldorf<br />

15. 6.1954, RdA 1954, 117; 13. 5. 1954, RdA<br />

1954, 118; a. A. lediglich LAG Berlin 17.8. 1953,<br />

RdA 1954, 76.<br />

257 Vgl. Nipperdey, Die Ersatzansprüche für die<br />

Schäden, die durch den von den Gewerkschaften<br />

gegen das geplante Betriebsverfassungsgesetz<br />

geführten Zeitungsstreik vom 27. – 29. Mai<br />

1952 entstanden sind (Zeitungsstreikgutachten),<br />

Schriftenreihe der BDA, Heft 9, 1953;<br />

ebenso Forsthoff/Hueck, Die politischen Streikaktionen<br />

des Deutschen Gewerkschaftsbundes<br />

anlässlich der parlamentarischen Beratung<br />

des BetrVG in ihrer verfassungs- und<br />

zivilrechtlichen Bedeutung, Schriftenreihe der<br />

BDA, Heft 6, 1952; zu Nipperdeys früherer Ansicht<br />

vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des <strong>Arbeitsrecht</strong>s,<br />

Bd. 2, 3. bis 5. Aufl. 1932, S. 663ff.<br />

Kittner 31<br />

78<br />

79


80<br />

81<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

wurde allerdings – im Gegensatz zur Tradition der Weimarer Republik – nur ein gewerkschaftlicher<br />

Streik für tarifvertraglich regelbare Ziele angesehen. Damit waren »politische«<br />

und »wilde« Streiks automatisch rechtswidrig. Positiver Ertrag für den Normalfall des gewerkschaftlichen<br />

Streiks war dessen Rechtmäßigkeit auch gegenüber den arbeitsvertraglichen<br />

Pflichten des AN. Folgerichtig verließ der Große Senat des BAG in seiner ersten<br />

Grundsatzentscheidung vom 28. 1. 1955 258 das individualrechtlich ausgestaltete Arbeitskampfrecht<br />

der Weimarer Republik. Eine Streikteilnahme wurde nicht mehr als Arbeitsvertragsbruch<br />

gewertet, sondern dem AG lediglich das kollektive Mittel der lösenden Aussperrung<br />

zugebilligt – allerdings nur gekoppelt mit einer Wiedereinstellungspflicht nach<br />

Kampfende. Diese Rspr. wurde schließlich in der zweiten Entscheidung des Großen Senats<br />

vom 21. 4. 1971 259 zur heute geltenden Doktrin einer nurmehr suspendierenden Wirkung aller<br />

Arbeitskampfmittel ausgebaut (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 136 Rn. 26f.). Streik und Aussperrung<br />

wurden dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterworfen, jedoch nach wie vor unter dem Gesichtspunkt<br />

einer »formellen Parität« (zur späteren Rspr. unter dem Gesichtspunkt einer materiellen<br />

Parität vgl. Rn. 96; <strong>Handbuch</strong>, § 136 Rn. 10). Beide Entscheidungen des Großen Senats<br />

zum Arbeitskampfrecht (bis heute die einzigen) resultierten aus gänzlich unrepräsentativen<br />

Einzelkonflikten (1955: Aussperrung von Netzflickern bei der Deutschen Hochseefischerei<br />

AG; 1971: Aussperrung von Croupiers der Spielbank Bad Neuenahr). Das Arbeitskampfgeschehen<br />

in den ersten Jahren der Bundesrepublik war im Übrigen nicht dazu angetan, die<br />

rechtliche Diskussion zu beflügeln. Zunächst hatten die Gewerkschaften alle Mühe, unter<br />

den Bedingungen der Massenarbeitslosigkeit überhaupt erfolgreiche Streiks zu organisieren.<br />

260 Und danach gab der rasche Wirtschaftsaufschwung keinen Anlass dazu. Erst 1963<br />

kam es in der Metallindustrie zum ersten ernsthaften Lohnkonflikt mit Streik und Aussperrung<br />

im Tarifgebiet Nordwürttemberg-Nordbaden.<br />

Die Sozialversicherung wurde nach der Zersplitterung der Nachkriegszeit wieder bundeseinheitlich<br />

geregelt. Mit dem »Gesetz über die Selbstverwaltung und über Änderungen von<br />

Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung« vom 22.2.1951 (BGBl. I, S. 124) wurde<br />

als erstes die Selbstverwaltung wiederhergestellt. Auch die Arbeitsverwaltung wurde mit der<br />

Errichtung der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wieder<br />

bundeseinheitlich organisiert. 261 Parallel zur Arbeitsgerichtsbarkeit wurde durch das Sozialgerichtsgesetz<br />

vom 3.9.1952 (RGBl. I, S. 1239) eine eigene Sozialgerichtsbarkeit eingerichtet.<br />

Materiell ist die folgende Zeit durch eine Ausweitung des Versichertenkreises und der Leistungen<br />

der Sozialversicherung geprägt. 262 1957 wurde in Übereinstimmung aller großen Parteien<br />

die sog. Rentenreform verabschiedet. Mit ihr wurde erstmals eine »Rentenformel« entwickelt,<br />

die eine Ankoppelung der Renten an die allgemeine Lohnentwicklung vorsieht.<br />

Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland brachte auch die Wiederanknüpfung an<br />

das internationale <strong>Arbeitsrecht</strong>. 1951 wurde die Bundesrepublik in die ILO aufgenommen<br />

und erklärte sich an die vom Deutschen Reich bis 1933 ratifizierten Verpflichtungen gebunden<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 137). 263 1951 wurde sie auch Vollmitglied des Europarats, dessen bedeutendste<br />

Konventionen (Sozialcharta, Menschenrechtskonvention und Datenschutzkonvention)<br />

auch für das deutsche <strong>Arbeitsrecht</strong> von Bedeutung sind (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 137<br />

Rn. 87ff.). 264 Die wichtigste Entscheidung war aber zweifelsohne die Beteiligung an der<br />

»Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft« mit den römischen Verträgen vom 25.3. 1957. 265<br />

258 BAG-GS 28. 1. 1955, AP GG Art. 9 Abs. 3 Arbeitskampf<br />

Nr. 1.<br />

259 BAG-GS 21. 4. 1971, AP GG Art. 9 Abs. 3 Arbeitskampf<br />

Nr. 43.<br />

260 Zum praktisch zusammengebrochenen Streik<br />

in der Metallindustrie in Bayern 1954, an dessen<br />

Ende etwa 1200 Streikende im Zusammenhang<br />

mit tätlichen Auseinandersetzungen mit<br />

Streikbrechern gekündigt wurden vgl.<br />

Schmidt, Der Streik in der bayerischen Metallindustrie<br />

von 1954, 1995.<br />

261 Gesetz über die Errichtung einer Bundesanstalt<br />

für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung<br />

vom 10. 3. 1953 (BGBl. I,<br />

S. 123).<br />

262 Vgl. Gitter, Sozialrecht, 4. Aufl. 1996, S. 21ff.<br />

263 Vgl. Däubler/Kittner/Lörcher, IntASO, Einl. V 1<br />

zu Nr. 200.<br />

264 Vgl. Däubler/Kittner/Lörcher, a. a. O., Einl. I zu<br />

Nr. 300.<br />

265 Vgl. Däubler/Kittner/Lörcher, a. a. O., Einl. I zu<br />

Nr. 400.<br />

32 Kittner


Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1998<br />

Aus dieser erwuchs die heutige EG bzw. EU (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 138). Die dort erzeugten<br />

Rechtsquellen prägen in zunehmendem Maße die nationalen Arbeitsverfassungen ihrer Mitgliedstaaten<br />

(für die spätere Entwicklung in Deutschland vgl. Rn. 90).<br />

2. Reformen<br />

a. Große Koalition<br />

Die von weiten Kreisen mit Misstrauen betrachtete »Große Koalition« aus CDU/CSU und<br />

SPD dauerte lediglich drei Jahre (1966–1969). In dieser kurzen Zeit hat sie jedoch arbeits- und<br />

sozialrechtlich Beachtliches geleistet. Herausragend sind die Beendigung des Dauerkonflikts<br />

um die Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten durch das Lohnfortzahlungsgesetz<br />

vom 27. 7.1969 (BGBl. I, S. 946) 266 und die erstmalige Regelung der beruflichen Bildung durch<br />

das Berufsbildungsgesetz267 vom 10. 8.1969 (BGBl. I, S. 1112).<br />

Unter der Großen Koalition wurde auch – ausgehend vom Arbeitsgesetzbuchauftrag von<br />

1959 (vgl. Rn. 72) – die arbeitsrechtliche Rechtsvereinheitlichung weiter betrieben. 268 Es<br />

reichte freilich nur zum »Ersten <strong>Arbeitsrecht</strong>sbereinigungsgesetz« vom 14. 8.1969 (BGBl. I,<br />

S. 1106), mit dem vor allem kündigungsrechtliche Vorschriften außerhalb des KSchG vereinheitlicht<br />

wurden. 269 Für ein Zweites <strong>Arbeitsrecht</strong>sbereinigungsgesetz, das eine Regelung<br />

zum Arbeitsentgelt und zu § 616BGB, zur Vertragsstrafe und Wettbewerbsabrede vorsah, lag<br />

bereits ein Referentenentwurf vor. Er wurde jedoch nach dem Regierungswechsel zur sozial-liberalen<br />

Koalition im Hinblick auf deren Pläne für ein Arbeitsgesetzbuch nicht weiter<br />

verfolgt. 270<br />

Die Große Koalition nahm sich auch der Mitbestimmung an. Hinsichtlich der Betriebsverfassung<br />

legten die Koalitionspartner Ende 1967 bzw. Ende 1968 jeweils eigene Gesetzentwürfe<br />

vor (und danach auch die FDP). 271 Zur Unternehmensmitbestimmung brachte allerdings<br />

nur die SPD einen Gesetzentwurf ein. 272 Zur Vorbereitung einer entsprechenden<br />

Gesetzgebung setzte die Bundesregierung dafür die sog. Mitbestimmungskommission unter<br />

Vorsitz von Kurt Biedenkopf ein. 273 Betriebsverfassung und Unternehmensmitbestimmung<br />

wurden anschließend von der sozial-liberalen Koalition wieder aufgegriffen (vgl. Rn. 88ff.).<br />

Neue Wege beschritt die Große Koalition hinsichtlich des Arbeitsschutzes: Mit dem »Gesetz<br />

über technische Arbeitsmittel« (damals auch »Maschinenschutzgesetz« genannt) vom<br />

24.6. 1968 (BGBl. I, S. 717) wurde erstmals ein vorgelagerter produktbezogener Arbeitsschutz<br />

eingeführt, indem bereits das In-den-Verkehr-Bringen von Arbeitsmitteln an sicherheitsbezogene<br />

Mindeststandards gebunden wurde. Das eröffnete die später mit dem ASiG und dem<br />

ArbSchG vollends durchgesetzte präventive Dimension des Arbeitsschutzes (vgl. § 112). 274<br />

Das Gesetz erhielt daher 1979 seinen heutigen Namen »Gerätesicherheitsgesetz«. 275<br />

Die wichtigsten Vorhaben der Großen Koalition, die schon wegen der erforderlichen verfassungsändernden<br />

Mehrheit einer solchen Konstellation bedurften, betrafen die Notstandsverfassung<br />

und die Etablierung der Instrumente zur wirtschaftlichen Globalsteuerung.<br />

Beide hatten auch zentrale Bedeutung für die Arbeitsverfassung. Die insbesondere von<br />

den Gewerkschaften zunächst nachhaltig bekämpfte Notstandsgesetzgebung wurde von<br />

ihnen schließlich akzeptiert, nachdem Arbeitskämpfe durch Einfügung von Satz 3 in Art. 9<br />

266 Vgl. Trieschmann, AuR 1969, 354 [355ff.].<br />

267 Vgl. Fredebeul, BB 1969, 1145; Haase, BArbBl.<br />

1969, 564; Sahmer, BArbBl. 1969, 568.<br />

268 Vgl. Fitting, DB 1969, 1459; Herbst, BArbBl.<br />

1969, 491.<br />

269 Vgl. Trieschmann, AuR 1969, 354 [361ff.].<br />

270 Vgl. Dieterich, RdA 1978, 329 [333]; Wlotzke,<br />

AuR 1974, 1 [2 Fn. 4].<br />

271 CDU/CSU: BT-Drs. V/2234 = RdA 1967, 460;<br />

SPD: BT-Drs. V/3658 (dazu Entwurf zur Personalvertretung,<br />

BT-Drs. V/3643) = RdA 1969,<br />

35; FDP: BT-Drs. V/4011 = RdA 1969, 176.<br />

272 Entwurf eines Gesetzes über die Unternehmensverfassung<br />

in Großunternehmen und<br />

Konzernen, BT-Drs. V/3657.<br />

273 Vgl. RdA 1968, 21; der den Mitbestimmungsgedanken<br />

als solchen bejahende Bericht<br />

wurde 1970 vorgelegt (vgl. BT-Drs. IV/334).<br />

274 Vgl. Lukes, RdA 1969, 230 mit Hinweis auf<br />

vergleichbare Überlegungen im Entwurf<br />

eines Arbeitsschutzgesetzes von 1929 (vgl.<br />

Rn. 30).<br />

275 Gesetz vom 13. 8. 1979 (BGBl. I, S. 1432).<br />

Kittner 33<br />

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Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

Abs. 3 GG »notstandsfest« gemacht wurden. 276 Durch Änderung von Art. 109 GG und mit<br />

dem »Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft« vom 8.6.1967<br />

(BGBl. I, S. 582) wurde das »gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht« zur politischen und<br />

mindestens auch justiziablen Richtgröße gemacht. Gemäß § 3 dieses Gesetzes hatte die Bundesregierung<br />

bei Gefährdung dieses Gleichgewichts den Gebietskörperschaften, aber auch<br />

Gewerkschaften und Unternehmensverbänden Orientierungsdaten für ein »gleichzeitiges<br />

abgestimmtes Verhalten (konzertierte Aktion)« zur Verfügung zu stellen. Der Begriff der<br />

Konzertierten Aktion wurde alsbald für das physische Ereignis der regelmäßigen Treffen<br />

der Beteiligten verwendet. Abgesehen von ständigen, von Misstrauen gespeisten Auseinandersetzungen<br />

innerhalb der Gewerkschaften über die Zweckmäßigkeit der Teilnahme,<br />

führte dieses Gesetz alsbald zu einer Diskussion darum, ob die Orientierungsdaten der Regierung<br />

nicht der gewerkschaftlichen Streikfreiheit unter dem Gesichtspunkt des »Gemeinwohls«<br />

entsprechende Schranken auferlegten. 277<br />

Bestandteil der auf Modernisierung und gesamtwirtschaftliche Steuerung angelegten Politik<br />

der Großen Koalition war auch das Arbeitsförderungsgesetz vom 25.6. 1969 (BGBl. I, S. 582).<br />

Mit ihm wurden das AVAVG abgelöst und die »Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und<br />

Arbeitslosenversicherung« (vgl. Rn. 80) zur »Bundesanstalt für Arbeit« weiterentwickelt. 278<br />

Mit dem AFG sollten ausdrücklich präventive Impulse zur Verbesserung der Beschäftigungsstruktur<br />

im Rahmen der Sozial- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gegeben<br />

werden (§ 1 AFG). Dazu wurden insbesondere Möglichkeiten zur Förderung der beruflichen<br />

Qualifikation und damit der Mobilität der AN geschaffen (§§ 33ff. AFG). Das Gesetz wurde<br />

optimistisch noch in Zeiten der Vollbeschäftigung geschaffen. Es erwies sich jedoch bald als<br />

»Schönwettergesetz«: Mit Einsetzen einer größeren Arbeitslosigkeit und damit einhergehenden<br />

Haushaltsproblemen des Bundes machten sich alle politischen Mehrheiten daran, die<br />

Leistungen aufgrund des AFG zu kürzen (und zwar insbesondere die präventive Berufsbildungsförderung).<br />

b. Sozial-liberale Koalition<br />

Die 1969 gebildete sozial-liberale Koalition bezog ihren Zusammenhalt vor allem aus der<br />

neuen Ostpolitik und einem allgemein-politischen Erneuerungsimpuls (Willy Brandt: »Mehr<br />

Demokratie wagen«). Im Bereich der Arbeitsverfassung waren die sozialdemokratisch-gewerkschaftliche<br />

und wirtschaftsliberale Position nur unter größeren Schwierigkeiten zusammenzubringen.<br />

Umso bemerkenswerter ist das Erreichte unter dem gemeinsamen Nenner<br />

der »Modernisierung« von Produktions- und Organisationsstrukturen, gerade auch<br />

hinsichtlich des »Humankapitals«. Unverkennbar sind jedoch bei allen wichtigen Gesetzen<br />

die Kompromisslinien, z. B. an den Unterschieden zwischen Entwürfen aus dem Hause des<br />

sozialdemokratischen Arbeitsministers Walter Arendt und dem jeweils später beschlossenen<br />

Gesetz. 279 Es blieb allerdings nicht aus, dass mit zunehmender Dauer der Koalition der Vorrat<br />

an Gemeinsamkeiten auf diesem Feld immer geringer wurde und weitere arbeitsrechtliche<br />

Reformen ausblieben (vgl. Übersicht nach Rn. 140). Der nicht mehr überbrückbare Dissens in<br />

der Arbeits- und Sozialpolitik war schließlich ein Hauptgrund für den Wechsel der FDP in<br />

die Koalition mit der CDU/CSU. 280<br />

276 Vgl. Glückert, Die Arbeitskampfschutzklausel<br />

des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 Grundgesetz, 1973;<br />

Schmidt, Arbeitskampf und Notstand aus der<br />

Sicht des Art. 9 Abs. 3 Satz 3, 1972; Rüthers, DB<br />

1968, 1948.<br />

277 Vgl. Biedenkopf, BB 1968, 1008; früher schon<br />

Bulla, FS Nipperdey I, 1955, S. 1030; dagegen<br />

Reuß, AuR 1975, 289; vgl. auch Löwisch, RdA<br />

1969, 129: Bindung nur bei ausdrücklicher<br />

vorheriger Selbstverpflichtung der Gewerkschaften.<br />

278 Vgl. Krebs, RdA 1970, 33.<br />

279 Zum BetrVG vgl. AuR 1970, 371; RdA 1970,<br />

370.<br />

280 Zu dem als »Wende-Papier« apostrophierten<br />

Memorandum von Graf Lambsdorff »Konzept<br />

für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche<br />

und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit«<br />

vom September 1982 vgl. Kuda,<br />

in Kittner, Hrsg., Gewerkschaftsjahrbuch 1984,<br />

S. 125 [160ff.]; dort auch zu vergleichbaren<br />

Positionen der CDU-Politiker Albrecht und<br />

George sowie der BDA.<br />

34 Kittner


Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1998<br />

Der Beitrag der sozial-liberalen Koalition zur Arbeitsverfassung bestand – so wie für die geschichtliche<br />

Entwicklung bisher typisch – zum großen Teil darin, vorhandene Arbeitnehmerrechte<br />

auf der Grundlage vorhandener Gesetze weiter zu entwickeln, teils in veränderten<br />

Strukturen. Es wurden aber auch völlig neuartige Regelungen geschaffen, wie z.B. § 613a<br />

BGB im Zusammenhang mit dem neuen BetrVG (vgl. Rn. 92; <strong>Handbuch</strong>, § 98). Hinsichtlich<br />

der Vermögensbildung wurde mit dem 3. Vermögensbildungsgesetz vom 27. 6.1970<br />

(BGBl. I, S. 925) das seither geltende Zulagensystem eingeführt (vgl. § 59). Mit dem Schwerbehindertengesetz<br />

vom 24.4. 1974 (BGBl. I, S. 981) wurde das bisherige kausale System<br />

(Kriegsbeschädigung) auf ein neues finales System umgestellt (Schutz bei Behinderung unabhängig<br />

von deren Ursache). Neue Gesetze waren das Bundesdatenschutzgesetz vom<br />

21.1. 1977 (BGBl. I, S. 201), allerdings ohne spezielle Behandlung des Arbeitnehmerdatenschutzes<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 94), und das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vom 7. 8.1972<br />

(BGBl. I, S. 393). Letzteres wurde veranlasst durch eine Entscheidung des BVerfG, mit der die<br />

Erstreckung des Arbeitsvermittlungsmonopols der Arbeitsämter auf die Arbeitnehmerüberlassung<br />

als verfassungswidrig bezeichnet worden war (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 112). Das »Gesetz<br />

zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung« knüpfte an die Rechtsprechung des<br />

BAG zur Unverfallbarkeit von Betriebsrenten an und brachte deren Konkurssicherung über<br />

den »Pensions-Sicherungs-Verein« (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 67 Rn. 41ff.). Im gleichen Jahr wurde mit<br />

dem Konkursausfallgeld eine – allerdings sozialrechtlich konzipierte – Pensionssicherung<br />

für laufendes Arbeitsentgelt eingeführt (Gesetz über Konkursausfallgeld vom 17.7. 1974,<br />

BGBl. I, S. 1481; zum heutigen Insolvenzgeld vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 104).<br />

Mit den 1980 eingefügten §§ 611 a, 612 a BGB zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern<br />

wurden erstmals europarechtliche Vorgaben in das deutsche <strong>Arbeitsrecht</strong> umgesetzt<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 138). Diese Vorschriften knüpften einerseits an eine bereits vorhandene<br />

Rspr. zur Lohngleichheit an, wurden aber darüber hinausgehend zur Grundlage für eine<br />

neue Welle von Entscheidungen insbesondere zum Konzept der mittelbaren Diskriminierung<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 138 Rn. 71ff.), zur Diskriminierung bei der Einstellung (vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§ 92 Rn. 46ff.) sowie generell zur Frauenförderung (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 92 Rn. 51). Auf diesem<br />

Feld kam es danach zu einem intensiven Wechselspiel zwischen der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit<br />

und dem EuGH (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 138 Rn. 175). Der EuGH veranlasste schließlich<br />

1997 eine Neufassung der mit den europäischen Vorgaben unvereinbaren Schadensersatzregelung<br />

des § 611a BGB (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 92 Rn. 57).<br />

Die sozial-liberale Koalition machte das Vorhaben eines Arbeitsgesetzbuches zum Gegenstand<br />

ihrer Regierungserklärung und berief am 3.11.1970 eine Kommission unter dem Vorsitz<br />

von Wilhelm Herschel ein. Diese Arbeitsgesetzbuchkommission legte 1977 als ersten Teil<br />

eines umfassenden Arbeitsgesetzbuchs den Entwurf eines »Allgemeinen Arbeitsvertragsrechts«<br />

vor. 281 Kurz zuvor hatte der DGB einen in weiten Teilen hieraus übernommenen eigenen<br />

Entwurf vorgelegt. 282 Der Kommissionsentwurf wurde jedoch von der Politik nicht<br />

aufgegriffen. Dazu trug auch nicht der 52. Deutsche Juristentag 1978 mit seinem Thema<br />

»Neuregelung der Begründung und der Beendigung von Arbeitsverhältnissen unter arbeitsmarktpolitischen<br />

Aspekten« bei (Gutachten: Zöllner; Referat: Simitis). Der Bundesarbeitsminister<br />

Ehrenberg löste die Arbeitsgesetzbuchkommission im Sommer 1981 auf. 283<br />

Typisch für die politischen Differenzen, aber letztlich auch den Einigungswillen der sozialliberalen<br />

Koalition war die Behandlung der Mitbestimmung. Das Betriebsverfassungsgesetz<br />

vom 15.1. 1972 (BGBl. I, S. 13) kam nur nach langwierigen und zähen Verhandlungen<br />

über viele Detailfragen zustande. Aufs Ganze brachte es eine Verbesserung der organisatorischen<br />

Betriebsratsrechte, der Gewerkschaftsbeteiligung in der Betriebsverfassung und eine<br />

Erweiterung der Mitbestimmungsrechte gegenüber dem BetrVG 1952. Die AG lehnten das<br />

281 Abdruck Ramm, Entwürfe zu einem Deutschen<br />

Arbeitsvertragsgesetz, 1992, S. 401ff.;<br />

hierzu Dieterich, RdA 1978, 329; Hanau, ZRP<br />

1978, 215; Mayer, DuR 1978, 203; Schwerdtner,<br />

ZfA 1979, 1.<br />

282 Abdruck RdA 1977, 166.<br />

283 Hierzu Rüthers, Das stille Begräbnis einer<br />

Kommission, in ders., Grauzone <strong>Arbeitsrecht</strong>spolitik,<br />

1986, 28.<br />

Kittner 35<br />

89<br />

90<br />

91<br />

92


93<br />

94<br />

95<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

BetrVG – flankiert durch die Behauptung seiner Verfassungswidrigkeit 284 – ursprünglich<br />

ab, 285 fanden sich aber zunehmend mit ihm und der daraus erwachsenden Praxis ab.<br />

Noch umstrittener war die Regelung der Unternehmensmitbestimmung. Vor dem Hintergrund<br />

unzähliger »Mitbestimmungs-Modelle« von vielen Seiten 286 setzte die FDP nach der<br />

ersten Koalitionsvereinbarung zunächst im Regierungsentwurf und danach in einer zweiten<br />

Koalitionsvereinbarung jeweils eine Verstärkung des Anteilseignereinflusses durch. 287 Letztendlich<br />

bedeutete das Mitbestimmungsgesetz vom 4. 5.1976 (BGBl. I, S. 1153) eine erhebliche<br />

Erweiterung des Arbeitnehmereinflusses im Aufsichtsrat, jedoch keine paritätische Mitbestimmung<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 1 Rn. 29). Dieses Gesetz hatte ein zwiespältiges Echo: Während<br />

die Gewerkschaften beklagten, dass damit das Ziel einer wirklich paritätischen Mitbestimmung<br />

entsprechend dem Montan-Modell verfehlt worden sei, griffen es die AG beim BVerfG<br />

an (zu dessen Entscheidung vgl. § 2 Rn. 27). Dieser Schritt veranlasste die Gewerkschaften<br />

zum Verlassen der »Konzertierten Aktion«, die seither nicht mehr getagt hat. 288<br />

Neue Wege ging die sozial-liberale Koalition beim Arbeitsschutz. Ziel war die ganzheitliche<br />

Betrachtung aller Arbeitsprozesse im Hinblick auf einen umfassenden Schutz der Menschen.<br />

Dazu wurde zum einen der mit dem »Maschinenschutzgesetz« beschrittene Weg einer produktbezogenen<br />

Prävention fortgesetzt und die Verbindung zum Umweltschutz hergestellt.<br />

289 In diesen Zusammenhang gehören<br />

– die ArbeitsstoffVO vom 17. 9.1971 (BGBl. I, S. 1609),<br />

– das Bundesimmissionsschutzgesetz vom 15. 3.1974 (BGBl. I, S. 721) und<br />

– das Chemikaliengesetz vom 16. 9.1980 (BGBl. I, S. 1718) als Rechtsgrundlage für die spätere<br />

GefahrstoffVO, mit der die ArbeitsstoffVO abgelöst wurde (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 93 Rn. 142).<br />

Zum anderen wurde bereits in der ersten Regierungserklärung Willy Brandts die Absicht einer<br />

»Humanisierung der Arbeit« verkündet. Diesem Thema wurde 1974 ein breites Forschungsprogramm<br />

der Bundesregierung gewidmet (seit 1989 »Arbeit und Technik«). 290 Gesetzgeberisch<br />

schlug sich dies in den §§ 90, 91 BetrVG und dem Arbeitssicherheitsgesetz<br />

vom 12. 12. 1973 (BGBl. I, S. 1885), dem »Grundgesetz der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation«,<br />

nieder (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 93 Rn. 32ff.). Hinzu kam die ArbeitsstättenVO vom<br />

20. 3.1975 (BGBl. I, S. 729; vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 93 Rn. 111ff.).<br />

Im Sozialrecht wurde das kodifikatorische Vorhaben eines Sozialgesetzbuchs aufgegriffen.<br />

Der erste Vorschlag hierzu war schon im Jahre 1955 mit der sog. Rothenfelser Denkschrift führender<br />

Sozialrechtler und -politiker gemacht 291 und 1959 von der SPD in das »Godesberger<br />

Programm« aufgenommen worden. 1969 machte es Willy Brandt zum Gegenstand seiner Regierungserklärung,<br />

und nach dem Bericht einer Sachverständigenkommission wurde ein<br />

darauf fußender Gesetzentwurf noch gegen Ende der 6. Legislaturperiode auf den Weg gebracht.<br />

292 Verabschiedet wurden dann verhältnismäßig schnell hintereinander das SGB I<br />

(1975), das SGB IV (1976) und das SGB X (1980), also seine »vor die Klammer« gezogenen Teile<br />

(vgl. § 24 Rn. 12ff.). 293 Über den eigentlichen Leistungsgesetzen schwebte dagegen schon der<br />

Schatten der sich im Gefolge der Massenarbeitslosigkeit leerenden öffentlichen Kassen (sowohl<br />

des Staates als auch der Sozialversicherungsträger). Das galt insbesondere für die Arbeitsförderung.<br />

Die sozial-liberale Koalition verabschiedete bereits 1975 das »Haushaltsstrukturgesetz«<br />

vom 18.12.1975 (BGBl. I, S. 3113) zur Erhöhung von Beiträgen und Senkung von<br />

284 Vgl. Galperin, Der Regierungsentwurf eines<br />

neuen Betriebsverfassungsgesetzes, 1971;<br />

ders., DB 1971, 1305; Krüger, Der Regierungsentwurf<br />

eines Betriebsverfassungsgesetzes<br />

vom 29. Januar 1971 und das Grundgesetz,<br />

1971; hierzu Hoffmann, AuR 1971, 271.<br />

285 Vgl. BDA, Betriebsverfassung: Ein Gesetzentwurf,<br />

AG 1971, 179; Wisskirschen, BArbBl.<br />

1972, 288; zur gewerkschaftlichen Position vgl.<br />

»Erklärung des DGB zur Betriebsverfassung«,<br />

AuR 1971, 49; Schneider, BArbBl. 1972, 292.<br />

286 Vollständiger Überblick bei Biener, RdA 1971,<br />

174.<br />

287 Vgl. Köstler/Kittner/Zachert, Aufsichtsratspraxis,<br />

6. Aufl. 1999, Rn. 54ff.; Kaßler, Mitbestimmungsgespräch<br />

1976, 3.<br />

288 Vgl. Sieling-Wendeling, Mitbestimmungsgespräch<br />

1978, 83.<br />

289 Vgl. Pieper, Das Arbeitsschutzrecht in der<br />

deutschen und europäischen Rechtsordnung,<br />

1998, S. 119.<br />

290 Vgl. Pieper, a.a. O., S. 116ff.<br />

291 Vgl. Achinger/Höffner/Muthesius/Neudörfer,<br />

Neuordnung der sozialen Leistungen, 1955.<br />

292 Vgl. BR-Drs. 305/72.<br />

293 Vgl. Kittner/Reinhard, SGB I, IV und X, 1997.<br />

36 Kittner


Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1998<br />

Leistungen. Ein Jahr vor ihrem Auseinanderbrechen diente das »Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz«<br />

vom 22.12.1981 (BGBl. I, S. 1497) dem selben Zweck. Diese Art von Gesetzgebung<br />

sollte für die Zukunft der Arbeitsförderung typisch werden (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 16 Rn. 1).<br />

In der Zeit der sozial-liberalen Koalition hat sich sowohl das Arbeitskampfgeschehen intensiviert<br />

als auch das Arbeitskampfrecht weiterentwickelt. 294 Dabei war eine Doppelwirkung<br />

von verschärften Verteilungskonflikten und 68er-Zeitgeist zu beobachten. Das zeitigte zum<br />

einen das neue Phänomen breiter spontaner Arbeitsniederlegungen 1969 (»Septemberstreiks«)<br />

295 und 1973 und zum anderen eine zunehmende Bereitschaft der Gewerkschaften<br />

(vor allem der IG Metall und IG Druck und Papier) und Arbeitgeberverbände, Tarifverhandlungen<br />

in reguläre Arbeitskämpfe münden zu lassen. 296 In dieser Situation eröffneten die Gewerkschaften<br />

erstmals in ihrer Geschichte eine breit angelegte politische Kampagne zur Veränderung<br />

des Arbeitskampfrechts. 297 Insbesondere erhoben sie die Forderung nach einem<br />

Verbot der Aussperrung. 298 Die Arbeitskämpfe in der Metall- und Druckindustrie 1978 führten<br />

folgerichtig zum ersten Mal zu Gerichtsverfahren, in denen das bislang eher am »grünen<br />

Tisch« geschaffene Arbeitskampfrecht des Großen Senats des BAG auf repräsentative Großkonflikte<br />

angewandt wurde. So kam es zu den Entscheidungen des BAG im Jahre 1980 zur<br />

quotenmäßigen Beschränkung der Aussperrung (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 136 Rn. 11). Mit diesen<br />

Entscheidungen wurde auch die »Sozialadäquanz« als Rechtfertigung von Arbeitskampfmaßnahmen<br />

zugunsten einer Ableitung aus Art. 9 Abs. 3 GG verlassen (vgl. Rn. 79). In der<br />

gleichen Zeit machten zunächst die IG Metall und ihr folgend andere Gewerkschaften offiziell<br />

ausgerufene Warnstreiks unter dem Begriff einer »neuen Beweglichkeit« zum Bestandteil<br />

ihrer Kampfstrategie. 299 Dazu war allerdings eine Änderung der Friedenspflichtregelung<br />

in den tariflichen Schlichtungsabkommen erforderlich (zur Billigung durch das BAG vgl.<br />

<strong>Handbuch</strong>, § 136 Rn. 18). 300 Die zunehmende Arbeitsteilung in der Wirtschaft ließ in dieser<br />

Zeit auch die Frage mittelbarer Wirkungen von Arbeitskämpfen strategischen Rang gewinnen.<br />

301 Die seit der Weimarer Republik umstrittene Frage, wer das Betriebsrisiko zu tragen<br />

habe (vgl. Rn. 33), wurde vom BAG 1980 nach den neu entwickelten Kriterien des »Arbeitskampfrisikos«<br />

beantwortet (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 136 Rn. 55ff.). Hinsichtlich der sozialrechtlichen<br />

Absicherung von mittelbar beschäftigungslos gewordenen AN wurde der einschlägige § 116<br />

AFG vom Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit mit der sog. Neutralitätsanordnung<br />

vom 22.3.1973 (ANBA 365) konkretisiert. 302 Das BSG bestätigte die damit vorgenommene<br />

enge Auslegung in seiner Entscheidung über den im Metall-Arbeitskampf 1971 getroffenen<br />

»Stingl-Erlass« des damaligen Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit (zur späteren Änderung<br />

im Jahre 1986 vgl. Rn. 103). 303<br />

3. Konservativ-liberales Umsteuern<br />

Die 1982 nach einem konstruktiven Misstrauen gebildete Koalition von CDU/CSU und FDP<br />

unter Bundeskanzler Helmut Kohl trat in Bezug auf die Arbeitsverfassung mit der Grundvorstellung<br />

an: »Weniger arbeitsrechtlicher Schutz schafft mehr Arbeitsplätze«. 304 Damit war ein<br />

294 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 624ff.<br />

295 Vgl. Schumann u. a., Am Beispiel der Septemberstreiks,<br />

1971; Däubler 1, Rn. 559, 639.<br />

296 Arbeitskämpfe der IG Metall 1970 bis 1980:<br />

1971 Nordwürttemberg-Nordbaden; 1973<br />

Nordwürttemberg-Nordbaden; 1974: Unterwesergebiet;<br />

1977/78: Stahlindustrie NRW;<br />

1978: Nordwürttemberg-Nordbaden.<br />

297 Vgl. Kittner, Hrsg., Streik und Aussperrung.<br />

Protokoll der wissenschaftlichen Veranstaltung<br />

der IG Metall vom 13. bis 15. 9.1973 in<br />

München, 1974.<br />

298 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 698ff.; ders., Verbot<br />

der Aussperrung. 7 Fragen und 70 Antworten,<br />

1979.<br />

299 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 695ff.; Lang,<br />

WSI-Mitt. 1982, 543.<br />

300 Zur veränderten »Schlichtungs- und Schiedsvereinbarung<br />

für die Metallindustrie« vom<br />

1.1.1980, RdA 1980, 165; Schiedsspruch vom<br />

3.4.1989, NZA 1989, 791; hierzu Kirchner, RdA<br />

1980, 129.<br />

301 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 703ff.<br />

302 Vgl. Kittner, ASO, Einl. II 4 zu SGB III.<br />

303 Vgl. BSG 9. 9. 1975, AP AFG § 116 Nr. 1.<br />

304 Zu einer arbeitsrechtlichen Bilanz der Regierung<br />

Kohl vgl. Kehrmann, AuR 1999, 5; Engelen-<br />

Kefer, AuR 1999, 369.<br />

Kittner 37<br />

96<br />

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101<br />

102<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

nahezu permanenter Konflikt dieser Koalition mit den Gewerkschaften programmiert. Das<br />

Grundbekenntnis zur »Deregulierung« und »Flexibilisierung« (vgl. Rn. 126) leitete bereits<br />

die ersten einschlägigen gesetzgeberischen Entscheidungen dieser Koalition: Unter der Losung<br />

»Abbau beschäftigungshemmender Vorschriften« wurde zunächst das JArbSchG<br />

(Gesetz vom 15. 10. 1984, BGBl. I, S. 1277) und danach das SchwbG (Gesetz vom 24.7. 1986,<br />

BGBl. I, S. 1110) geändert. 305 Vom gleichen Geist war das Beschäftigungsförderungsgesetz<br />

1985 vom 26.4.1985 (BGBl. I, S. 710). Mit ihm wurde – neben Vorschriften zur Teilzeitarbeit<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 121) – die Befristung von Arbeitsverhältnissen in den ersten zwei Jahren unabhängig<br />

vom Vorliegen eines »sachlichen Grundes« erlaubt (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 114 Rn. 5ff.).<br />

Wilhelm Herschel erblickte darin (wenige Monate vor seinem Tode) eine »Gefährdung der<br />

Rechtskultur«. 306 Außerdem wurden geringfügig Beschäftigte aus der Berechnung für die<br />

für das KSchG relevante Betriebsgröße herausgenommen. Ausdruck der familienpolitischen<br />

Grundhaltung der neuen Koalition war schließlich das Bundeserziehungsgeldgesetz vom<br />

6. 12.1985 (BGBl. I, S. 2154; vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 51).<br />

Nach einer mehrjährigen Pause wurde die Regierungskoalition Mitte der 1990er Jahre gesetzgeberisch<br />

sehr aktiv. Dabei kann man vier verschiedene Typen von Gesetzen unterscheiden:<br />

(1) Gesetze zur Umsetzung eigener arbeitsmarktpolitischer Konzepte: Dazu gehört das Altersteilzeitgesetz<br />

vom 23. 7.1996 (BGBl. I, S. 1078; vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 111) und vor allem das<br />

»<strong>Arbeitsrecht</strong>liche Beschäftigungsförderungsgesetz 1996« vom 25. 9.1996 (BGBl. I,<br />

S. 1476). Mit diesem Gesetz wurde sowohl die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf<br />

80% abgesenkt als auch der Kündigungsschutz abgebaut (Erhöhung der Kleinbetriebsklausel<br />

auf 10 AN und Erleichterung betriebsbedingter Kündigungen). 307 Insbesondere<br />

diese Gesetze wurden zentraler Gegenstand des Bundestagswahlkampfes 1998 (zur<br />

Rücknahme durch die Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen vgl. Rn. 121).<br />

(2) Gesetze aufgrund EG-rechtlicher Vorgaben: Es ist offenkundig, dass sich die Gesetze<br />

häuften, die nicht kraft autonomer politischer Entscheidung auf nationaler Ebene zustande<br />

kamen, deren Verabschiedung vielmehr durch EG-Richtlinien erzwungen wurde<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 138). Das schloss natürlich nicht aus, dass die Koalition, dort, wo sie nationalen<br />

Entscheidungsspielraum hatte, diesen im Rahmen ihrer arbeitsmarktpolitischen<br />

Zielsetzungen nutzte. Das galt insbesondere für das 1994 verabschiedete Arbeitszeitgesetz<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 25 Rn. 14). Weniger eigene Akzente konnte sie dagegen 1995 beim<br />

Nachweisgesetz (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 20 Rn. 10ff.) und 1996 beim Arbeitsschutzgesetz (einschließlich<br />

einer Reihe von VO; vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 93 Rn. 32ff., 108ff.), dem Gesetz über Eurobetriebsräte<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 138 Rn. 159) und dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (vgl.<br />

<strong>Handbuch</strong>, § 124 Rn. 126ff.) setzen. Wo jedoch ein Umsetzungszwang nicht existiert, wie<br />

in Bezug auf ILO-Übereinkommen, verhielt sich die Regierungskoalition ausgesprochen<br />

zurückhaltend. 308<br />

(3) Gesetze zum Nachvollzug verfassungsrechtlicher Vorgaben seitens des BVerfG: Dabei<br />

ging es im Wesentlichen um die seit der Entscheidung des BVerfG vom 3. 5.1990 unerlässliche<br />

Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 105 Rn. 4)<br />

bei den Kündigungsfristen (Kündigungsfristengesetz vom 7. 10.1993, BGBl. I, S. 1668;<br />

vgl. § 87) und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle (Entgeltfortzahlungsgesetz vom<br />

26. 5.1994, BGBl. I, S. 1014; vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 39).<br />

(4) Wirtschaftsrechtliche Gesetze mit arbeitsrechtlichen Aspekten: Die beiden wichtigsten<br />

waren die 1994 verabschiedete Insolvenzordung (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 100) und das Umwandlungsgesetz<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 95 Rn. 39ff.).<br />

305 Vgl. Kittner, ASO, Einl. I zu JArbSchG und<br />

SchwbG.<br />

306 Vgl. Herschel, AuR 1985, 265.<br />

307 Vgl. Bader, NZA 1996, 1125; Buschmann, AuR<br />

1996, 285; Däubler, BetrR 1997, 1; Düwell, AiB<br />

1996, 393; Hinrichs, AiB 1996, 589; v. Hoynin-<br />

gen-Huene/Linck, DB 1997, 41; Kittner, AuR<br />

1087, 182; Lorenz, DB 1996, 1973; Löwisch, NZA<br />

1996, 1125; Preis, NJW 1996, 3369; Schwedes, BB<br />

1996, Beil. 17; Wlotzke, BB 1997, 414.<br />

308 Übersicht nicht ratifizierter ILO-Übereinkommen<br />

bei Lörcher, AuR 1999, 11.<br />

38 Kittner


Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1998<br />

Den wohl größten arbeitsrechtspolitischen Konflikt in der Geschichte Deutschlands löste die<br />

Regierungskoalition mit Arbeitsminister Norbert Blüm als Protagonisten durch die Änderung<br />

des § 116 AFG aus. Vorausgegangen war die Verweigerung von Kurzarbeitergeld für<br />

mittelbar vom Arbeitskampf Betroffene in dem 1984 um die 35-Stunden-Woche geführten<br />

Arbeitskampf in der Metallindustrie Nordwürttemberg-Nordbaden und Hessen durch den<br />

Präsidenten der Bundesanstalt (»Franke-Erlass«). Auf den sich in dieser Hinsicht abzeichnenden<br />

Konflikt hatte der Arbeitsminister bereits im Vorfeld reagiert, indem er – in jeder<br />

Hinsicht erfolglos – mit dem Vorruhestandsgesetz vom 13.4. 1984 (BGBl. I, S. 601) eine Alternative<br />

zur 35-Stunden-Woche ins Spiel brachte. 309 Der dann tatsächlich geführte Arbeitskampf<br />

war geprägt von der inzwischen hochgradigen Arbeitsteilung und wechselseitigen<br />

Abhängigkeit der Unternehmen in der Automobilindustrie. Bereits ein Streik verhältnismäßig<br />

weniger AN führte zur bundesweiten Beschäftigungslosigkeit mehrerer hunderttausend<br />

AN. Nachdem alle damit befassten Gerichte den »Franke-Erlass« als rechtswidrig bezeichnet<br />

hatten, 310 betrieb die Bundesregierung eine Änderung des § 116 AFG mit dem Ziel, dass für<br />

den Normalfall eines Arbeitskampfes in der Metallindustrie kein Kurzarbeitergeld an mittelbar<br />

Betroffene zu zahlen ist. 311 Trotz anhaltender und intensiver Proteste der Gewerkschaften<br />

wurde das »Gesetz zur Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit in Arbeitskämpfen«<br />

vom 15. 5.1986 (BGBl. I, S. 740) verabschiedet. 312 Das BVerfG bezeichnete es als<br />

»noch verfassungsgemäß« (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 136 Rn. 65). 313<br />

Die darauf folgende Dekade war generell geprägt von Konflikten um und Angriffen auf das<br />

herkömmliche Tarifvertragssystem. Zum Teil hatte dies seine Ursache in politischen Aktivitäten<br />

der Regierungskoalition bzw. von Teilen von ihr mit zwei Stoßrichtungen:<br />

– gesetzlicher Eingriff in laufende Tarifverträge (zum Hochschulfristengesetz und zu ABM-<br />

Zuschüssen vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 8 Rn. 181) und<br />

– Diskussion um gesetzliche Öffnungsklauseln in Tarifverträgen bzw. Änderung des Tarifvorbehalts<br />

gemäß § 77Abs. 3 BetrVG (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 10 Rn. 86ff.).<br />

Zum anderen entwickelten sich in diesen Jahren zentrifugale Kräfte innerhalb des Tarifvertragssystems,<br />

die bis heute anhaltend die Frage nach einer »Krise des Flächentarifvertrags«<br />

ausgelöst haben (vgl. Rn. 136). Eine wichtige Rolle spielte dabei die Ungleichzeitigkeit des<br />

Entwicklungsstandes von neuen und alten Bundesländern nach der Wiedervereinigung (vgl.<br />

Rn. 111ff.). Bemerkenswerterweise betraf die erste außerordentliche Kündigung eines Tarifvertrages<br />

wegen veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen durch einen Arbeitgeberverband<br />

einen Tarifvertrag in der Metallindustrie Ostdeutschlands. Im Gefolge dessen<br />

kam es 1993 zum ersten gewerkschaftlichen Streik in den neuen Bundesländern. 314 Die bis<br />

dahin nur akademisch behandelte Frage, ob ein Streik gegen eine außerordentliche Tarifvertragskündigung<br />

rechtmäßig ist (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 136 Rn. 9), war für alle Beteiligten ebenso juristisches<br />

Neuland wie die Rechtmäßigkeit einer solchen Kündigung selbst (vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§ 8 Rn. 310). 315 Sie wurde gerichtlich nicht ausgetragen, sondern ebenso wie die Berechtigung<br />

der Tarifvertragskündigung im konkreten Fall mit der den Streik abschließenden Vereinbarung<br />

(die unter den Bedingungen des gekündigten Vertrags lag) für erledigt erklärt. Immerhin<br />

erklärten in diesem Zusammenhang die Metallarbeitgeber, dass die außerordentliche<br />

Kündigung von Tarifverträgen grundsätzlich kein geeignetes Mittel zur Lösung von Tarifkonflikten<br />

sei. Als Ergebnis dieses Tarifkonflikts wurde die erste »Härteklausel« in einem<br />

Flächentarifvertrag vereinbart (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 8 Rn. 89).<br />

309 Vgl. Engelen-Kefer, SozSich 1984, 55; Höfler,<br />

BArbBl. 7–8/1984, 5.<br />

310 Vgl. HessLSG 22.6. 1984, NZA 1984, 100; LSG<br />

Bremen 22. 6. 1984, NZA 1984, 132; bestätigt<br />

durch BSG 5. 6. 1991, AP AFG § 116 Nr. 2.<br />

311 Umfassende Dokumentation im Protokoll der<br />

Sachverständigenanhörung durch den Bundestagsausschuss<br />

für Arbeit, 91./92./93. Sitzung<br />

1986.<br />

312 Vgl. Apitzsch/Klebe/Schumann, Hrsg., § 116<br />

AFG – Kampf um das Streikrecht.<br />

313 Vgl. BVerfG 4. 7. 1995, NZA 1995, 754.<br />

314 Zu Verlauf und Ergebnis vgl. Bispinck, WSI-<br />

Mitt. 1993, 469.<br />

315 Für die Rechtmäßigkeit ArbG Stralsund<br />

13. 5.1993, AuR 1993, 219 mit Anm. Zachert;<br />

vgl. Belling, NZA 1996, 906; Walker, NZA 1993,<br />

769; einzige bis dahin vorhandene literarische<br />

Quelle Hueck/Nipperdey II, § 49 B II 9.<br />

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Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

In Bezug auf die Mitbestimmung wurde die konservativ-liberale Koalition zweimal tätig.<br />

Mit dem BeschFG 1985 wurden engere Grenzen für die Aufstellung von Sozialplänen gezogen<br />

(§§ 112 Abs. 5 und 112a BetrVG). Das »Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes,<br />

über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten und zur Sicherung der Montanmitbestimmung«<br />

vom 20.12. 1988 (BGBl. I, S. 2312) zielte gleich auf drei verschiedene Felder.<br />

Es wurden<br />

– Minderheits- und Gruppenrechte in der Betriebsverfassung gestärkt,<br />

– Sprecherausschüsse für leitende Angestellte gesetzlich geregelt und<br />

– die Montanmitbestimmung vor einem Auslaufen geschützt.<br />

Mit Letzterem sollte bei den Gewerkschaften ein positives Gegengewicht gegen die anderen,<br />

von ihnen heftig kritisierten Gesetzesinhalte gesetzt und eine gewisse Akzeptanz für das Gesetz<br />

insgesamt bewirkt werden. 316<br />

Hinsichtlich der Arbeitsgerichtsbarkeit wurde 1990 ein erster kleiner Schritt rückwärts getan,<br />

der in seiner Tragweite vielfach unterschätzt wurde: Aufgrund des Arbeitsgerichtsänderungsgesetzes<br />

vom 26.6. 1990 (BGBl. I, S. 1206) wurde die Möglichkeit eröffnet, die Arbeitsgerichtsbarkeit<br />

beim Justizministerium zu ressortieren. 317 Das eröffnet die Möglichkeit des<br />

Austausches von Richtern zwischen den Gerichtsbarkeiten mit der Folge, dass der Arbeitsgerichtsbarkeit<br />

nicht mehr in dem notwendigen Umfang spezialisierte und mit dem Arbeitsleben<br />

vertraute Richter zur Verfügung stehen (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 142).<br />

Im Sozialrecht wurde das SGB weiter vervollständigt. Es wurden alle klassischen Sozialversicherungsbereiche<br />

eingebracht: Krankenversicherung (SGB V: 1988), Rentenversicherung<br />

(SGB VI: 1989), Unfallversicherung (SGB VII: 1996) und Arbeitsförderung (SGB III: 1997; dazu<br />

die Kinder- und Jugendhilfe im SGB VIII: 1990). Als neuer Versicherungszweig kam nach großem<br />

persönlichem Einsatz von Norbert Blüm die Pflegeversicherung hinzu (zu den einzelnen<br />

Büchern des SGB vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 15 Rn. 64ff.). 318 Dieser eindrucksvollen kodifikatorischen<br />

Bilanz stand jedoch eine nicht mehr abreißende Krise der Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung<br />

gegenüber. Alle diese Bereiche waren aus finanziellen Gründen aufgrund<br />

von Arbeitslosigkeit und demographischen Strukturen ständigen Gesetzesänderungen ausgesetzt<br />

– typischerweise mit dem Ziel eines als »Umbau« deklarierten Leistungsabbaus. Insbesondere<br />

bei der Arbeitsförderung verabschiedete sich die Regierungskoalition von der<br />

noch mit dem AFG verfolgten Vorstellung einer aktiven Beeinflussbarkeit des Arbeitsmarktes<br />

durch den Staat. Früher stand die staatliche Beeinflussung des Arbeitsmarktes in der optimistischen<br />

Einschätzung globaler Steuerungsmöglichkeiten im Vordergrund, und es wurde demgemäß<br />

als Aufgabe der gesetzlichen Arbeitsförderung bezeichnet, »dass ein hoher Beschäftigungsstand<br />

erzielt und aufrechterhalten wird« (§ 1 AFG). Demgegenüber wird nun die<br />

Verantwortung der Beteiligten zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit betont. Das SGB III distanziert<br />

sich von einer »staatlichen Primärverantwortung für den Arbeitsmarkt«, 319 etwa in<br />

dem Sinne, dass die Arbeitsförderung die Aufgabe habe, Arbeitsplätze bereitzustellen. Diese<br />

Sicht wurde von der nachfolgenden rot-grünen Mehrheit wieder aufgegeben (vgl. Rn. 139).<br />

VII. DDR und Deutsche Einheit<br />

1. DDR<br />

Nach Gründung der DDR im Jahre 1949 wurde der in der sowjetischen Besatzungszone eingeschlagene<br />

Weg konsequent weiter beschritten (vgl. Rn. 62). Das <strong>Arbeitsrecht</strong> stand ganz im<br />

Zeichen der Unterwerfung der AN unter die Anforderungen der sozialistischen Planwirtschaft.<br />

320 Bezeichnend ist in dieser Hinsicht der Titel des ersten arbeitsrechtlichen Rahmen-<br />

316 Vgl. Breit, Mitbest. 1988, 297; Schneider, Mitbest.<br />

1988, 17.<br />

317 Vgl. Schwab, NZA 1991, 657.<br />

318 Vgl. Schulin, NZS 1994, 433.<br />

319 Vgl. Schulin/Igl, Rn. 745.<br />

320 Vgl. Mampel, Arbeitsverfassung und <strong>Arbeitsrecht</strong><br />

in Mitteldeutschland, 1966.<br />

40 Kittner


DDR und Deutsche Einheit<br />

gesetzes: »Gesetz der Arbeit zur Förderung und Pflege der Arbeitskräfte, zur Steigerung der<br />

Arbeitsproduktivität und zur weiteren Verbesserung der materiellen und kulturellen Lage<br />

der Arbeiter und Angestellten« vom 9.4. 1950 (GBl. S. 377). 321 Zu diesem Zeitpunkt gab es<br />

allerdings noch ein Verständnis des in der ersten Verfassung der DDR verankerten »Rechts<br />

auf Arbeit«, dass ein Bürger vom Staat verlangen könne, dass ihm ein seinen Kenntnissen<br />

und Fähigkeiten entsprechender Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt wird. 322 Diese Position<br />

wurde mit dem Gesetzbuch der Arbeit vom 12. 4.1961 (GBl. I, S. 349) verlassen: Arbeit<br />

wurde zur »moralischen Pflicht« jedes arbeitsfähigen Bürgers erklärt und sowohl Zwangsversetzungen<br />

als auch Arbeitseinweisungen ermöglicht. 323 Auf der selben Linie lag schließlich<br />

das Arbeitsgesetzbuch vom 16.6. 1977 (GBl. S. 185). 324 Es war »auf die Entwicklung und<br />

rationelle Nutzung des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens, auf die Entfaltung von Schöpfertum<br />

und Initiative sowie solche Arbeitsbedingungen gerichtet, die die Arbeitsfreude und<br />

Einsatzbereitschaft der Werktätigen fördern und ihnen hohe Leistungen ermöglichen«. 325<br />

Die Gewerkschaften waren im System der DDR nicht Interessenvertretungen der AN. Ihnen<br />

fiel die Rolle als produktivitätssteigernde »Transmissionsriemen« der kommunistischen Partei<br />

zu. 326 Außerdem waren sie Träger von Sozial- und Freizeiteinrichtungen. Art. 14 der ersten<br />

Verfassung der DDR vom 7.10. 1949 garantierte zwar noch das Streikrecht, und es wurde<br />

auch noch in der Satzung des FDGB von 1947 als »stärkste Waffe der Gewerkschaftsbewegung«<br />

erwähnt. Jedoch wurde der Streik alsbald als nicht systemkonform wegdefiniert: »Wir<br />

brauchen in unserem Arbeitsgesetzbuch keinen Passus über Streik, weil die Arbeiterklasse<br />

keinen Gegner hat, gegen den sie den Streik in Anwendung bringen müsste«. 327 Konsequenterweise<br />

enthielt die Verfassung vom 6. 4. 1968 (GBl. I, S. 199) das Streikrecht nicht mehr. 328<br />

Die soziale Sicherung in der DDR war zum einen von der früh installierten staatlichen und<br />

gewerkschaftlichen Einheitsversicherung geprägt (ohne Arbeitslosenversicherung, da es offiziell<br />

keine Arbeitslosigkeit gab). 329 Ihre Leistungen waren weitgehend von Beiträgen abgekoppelt<br />

und stattdessen in hohem Maße staatlich subventioniert. Zum anderen übernahmen<br />

die Betriebe selbst eine Reihe sozialer Leistungen (z.B. Kindergarten). Letztere förderten<br />

zum einen den hohen Stand der Frauenerwerbsarbeit, sicherten jedoch gleichzeitig von frühester<br />

Kindheit eine familienferne, ideologisch geprägte Erziehung.<br />

2. Deutsche Einheit<br />

Nach dem Erfolg der friedlichen Revolution und dem Zusammenbruch des SED-Regimes im<br />

Jahre 1989 schlossen die DDR – nunmehr nach freien Wahlen demokratisch regiert – und die<br />

Bundesrepublik Deutschland den Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts-<br />

und Sozialunion vom 18. 5.1990 (BGBl. II, S. 518). 330 Hinsichtlich der Arbeitsverfassung<br />

in beiden Staaten bestimmte Art. 1 Abs. 4:<br />

»Die Sozialunion bildet mit der Währungs- und Wirtschaftsunion eine Einheit. Sie wird insbesondere<br />

bestimmt durch eine der Sozialen Marktwirtschaft entsprechende <strong>Arbeitsrecht</strong>sordnung und ein auf<br />

den Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit und des sozialen Ausgleichs beruhendes umfassendes System<br />

der sozialen Sicherung.«<br />

Als unmittelbare Konsequenz hieraus für die notwendige Umgestaltung der DDR-Rechtsordnung<br />

bestimmte Art. 17:<br />

»In der Deutschen Demokratischen Republik gelten Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie, Arbeitskampfrecht,<br />

Betriebsverfassung und Unternehmensmitbestimmung und Kündigungsschutz entsprechend<br />

dem Recht der Bundesrepublik Deutschland.«<br />

321 Vgl. Böhm, RdA 1961, 102.<br />

322 Vgl. Kunz, Das Recht auf Arbeit, 1955.<br />

323 Vgl. Böhm, RdA 1961, 102 [104].<br />

324 Vgl. Lohmann, RdA 1978, 365; Mampel, NJW<br />

1978, 520; Pleyer, RdA 1978, 351.<br />

325 Kunz, Des Menschen Recht auf Arbeit, 1989,<br />

S. 92.<br />

326 Zum Folgenden vgl. Kittner, Arbeitskampf,<br />

S. 572ff.<br />

327 FDGB, Tribüne 28.11. 1960.<br />

328 Vgl. Hacker, SBZ-Archiv 1968, 54; Kunz, in<br />

FDGB, Hrsg., Die Arbeit 1968 Nr. 2 S. 7.<br />

329 Vgl. v. Leszczynski, SozFort 1999, 293.<br />

330 Vgl. Lorenz, DB 1990, 3037; Wank, RdA 1991, 1;<br />

Wlotzke/Lorenz, BB 1990, Beil. 25.<br />

Kittner 41<br />

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119<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

In Erfüllung dieser staatsvertraglichen Verpflichtungen änderte die DDR im darauf folgenden<br />

Monat ihr Rechtssystem fundamental. Mit dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung<br />

der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 17. 6.1990 (GBl. I, S. 299) wurden<br />

Verfassungsgrundsätze aufgestellt. Mit ihnen wurden alle Rechtsvorschriften aufgehoben,<br />

»die den einzelnen oder Organe der staatlichen Gewalt auf die sozialistische Staats- und Rechtsordnung,<br />

auf das Prinzip des demokratischen Zentralismus, auf die sozialistische Gesetzlichkeit, das sozialistische<br />

Rechtsbewußtsein oder die Anschauungen einzelner Bevölkerungsgruppen oder Parteien<br />

verpflichtet (Art. 1 Abs. 2 Satz 2).«<br />

Hinsichtlich der Koalitionsfreiheit bestimmte Art. 4 des Staatsvertrages: 331<br />

»Tarifvertragsparteien<br />

(1) Jedermann hat das Recht, zur Wahrung und Förderung, insbesondere zur Regelung der Arbeitsund<br />

Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ihnen beizutreten, aus solchen Vereinigungen<br />

auszutreten oder ihnen fernzubleiben.<br />

(2) Tariffähige Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände müssen frei gebildet, auf überbetrieblicher<br />

Grundlage organisiert und unabhängig sein sowie das Arbeitskampfrecht und das geltende Tarifrecht<br />

als verbindlich anerkennen.«<br />

Mit dem »Gesetz über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik<br />

Deutschland in der DDR« vom 21.6. 1990 (GBl. S. 357) übernahm die DDR das TVG, das<br />

BetrVG, die vier Gesetze zur Unternehmensmitbestimmung sowie das KSchG. Außerdem<br />

wurde das Arbeitsgesetzbuch mit Gesetz vom 22. 6.1990 (GBl. S. 371) geändert, das u.a. über<br />

die vom BAG entwickelte Begrenzung der Arbeitnehmerhaftung hinausging (vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§ 62 Rn. 23ff.). 332<br />

Diese Übergangsphase währte indes nur wenige Monate. Am 23. 8.1990 erklärte die Volkskammer<br />

den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland. Damit wurden die »Neuen Bundesländer«<br />

Länder der Bundesrepublik Deutschland. Die Modalitäten des Beitritts wurden im<br />

»Staatsvertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands« (Einigungsvertrag) vom<br />

31. 8.1990 (BGBl. II, S. I 889) geregelt. Für das Arbeits- und Sozialrecht bedeutete dies – wie<br />

für alle übrigen Rechtsbereiche – die Überleitung nahezu des gesamten bundesdeutschen<br />

Rechts mit wenigen Ausnahmen und Übergangsvorschriften, die inzwischen weitestgehend<br />

ausgelaufen sind. 333 Auf diesem Umweg erhielten allerdings erstmals die bis dahin richterrechtlichen<br />

Grundsätze über die Gewerkschaftseigenschaft mit dem nun auch im Westen geltenden<br />

Art. 4 VerfassungsgrundsätzeG (vgl. Rn. 114) eine gesetzliche Grundlage (vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§ 8 Rn. 7).<br />

Für Mitarbeiter des früheren Ministeriums für Staatssicherheit (»Stasi«) sah der Einigungsvertrag<br />

die Möglichkeit der fristlosen Kündigung vor, wenn »ein Festhalten am Arbeitsverhältnis<br />

unzumutbar erscheint«. Dies ist in der Rechtsprechung im Sinne der Notwendigkeit<br />

einer strikten Einzelfallprüfung interpretiert worden.<br />

Die Regelungen des Einigungsvertrages über den Personalabbau im öffentlichen Dienst<br />

(»Warteschleife«) wurden vom BVerfG nur mit der Einschränkung als verfassungskonform<br />

erklärt, dass Frauen mit Mutterschutz Kündigungsschutz genießen und die Lage von Alleinerziehenden,<br />

Älteren und Schwerbehinderten besonders berücksichtigt werden müsse. 334<br />

Der Einigungsvertrag hat dem gesamtdeutschen Gesetzgeber mehrere Kodifikationsaufträge<br />

gegeben (Art. 30 Abs. 1): Zu vereinheitlichen sind das Arbeitsvertragsrecht, das öffentlich-rechtliche<br />

Arbeitszeitrecht, der besondere Frauenarbeitsschutz und der öffentlich-rechtliche<br />

Arbeitsschutz. Hierzu können das ArbZG (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 25 Rn. 14f.) und das<br />

ArbSchG (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 93 Rn. 32ff.) als Teilregelungen angesehen werden. Nach wie vor<br />

steht ein Arbeitsvertragsgesetz aus. Diesbezüglich wurde auf die Möglichkeit einer raschen<br />

331 Vgl. Kempen/Zachert, Grundl. Rn. 48.<br />

332 Abgedruckt in Ramm, Entwürfe zu einem<br />

Deutschen Arbeitsvertragsgesetz, 1992,<br />

S. 479ff.; vgl. Richardi, DB-Sonderausgabe<br />

DDR-Report 1990.<br />

333 Vgl. Däubler, AiB 1990, 364; Dörner/Widlak,<br />

NZA 1991, Beil. 1; Lorenz, DB 1990, 3118; Wank,<br />

RdA 1991, 1; Wlotzke, RdA 1994, 73.<br />

334 BVerfG 24.4. 1991, E 84, 133; vgl. Fenski/Linck,<br />

NZA 1992, 337; Künzl, AuR 1992, 204.<br />

42 Kittner


Bundesrepublik Deutschland seit 1998: Rot-grüne Regierung<br />

Angleichung verzichtet, obwohl die frei gewählte Volkskammer im Sommer 1990 ein von<br />

kommunistischen Inhalten freies Arbeitsgesetzbuch verabschiedet hatte (vgl. Rn. 115). Stattdessen<br />

haben später die beiden neuen Bundesländer Sachsen und Brandenburg demonstrativ<br />

Gesetzesvorschläge im Bundesrat eingebracht, diese jedoch ebenso wenig ernsthaft weiterverfolgt<br />

wie die entsprechenden Parteien auf Bundesebene. 335<br />

Als Folge der deutschen Einheit wurde 1992 beschlossen, den Sitz des BAG nach Erfurt zu<br />

verlegen. Dazu wurde zunächst die Möglichkeit von Sitzungen des BAG in Erfurt gesetzlich<br />

geregelt. 336 Mit Gesetz vom 11.3. 1996 (BGBl. I, S. 454) wurde sein Sitz endgültig nach Erfurt<br />

verlegt mit der Möglichkeit, bis zum Umzug Sitzungen in Kassel abzuhalten (§ 40Abs. 1, 1a<br />

ArbGG; vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 144 Rn. 3). Das BAG hat seine Arbeit in Erfurt am 22.11. 1999 aufgenommen.<br />

337<br />

VIII. Bundesrepublik Deutschland seit 1998: Rot-grüne Regierung<br />

1. Erste Legislaturperiode: Ausbau von Arbeitnehmerrechten<br />

Nach der Bundestagswahl 1998 kam es zum Regierungswechsel nach 16 Jahren der Regierung<br />

Kohl. Die neue rot-grüne Regierungskoalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder 338<br />

verabschiedete als allererste Maßnahme das »Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung<br />

und zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten« vom 19.12. 1998 (BGBl. I, S. 3843). Mit<br />

ihm wurden die Änderungen bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle (vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§39) und beim Kündigungsschutz (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 72 Rn. 13) zurückgenommen und außerdem<br />

eine Vermutungsregel zur Bekämpfung der sog. Scheinselbstständigkeit eingeführt<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 3 Rn. 15). Mit Gesetz vom 24. 3.1999 (BGBl. I, S. 388) wurden geringfügige<br />

Beschäftigungsverhältnisse (damals »630-Mark-Jobs«) der teilweisen Sozialversicherungspflicht<br />

unterworfen (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 121 Rn. 92). In diesem Zusammenhang steht auch das<br />

Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse vom 21.12. 2000 (BGBl. I,<br />

S. 1426). Mit ihm wurde ein Rechtsanspruch auf Reduzierung der persönlichen Arbeitszeit<br />

geschaffen (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 121) und das BeschFG 1985 unter Kodifizierung der bisherigen<br />

Rechtsprechung zum »sachlichen Grund« für eine Befristung dauerhaft verlängert (vgl.<br />

<strong>Handbuch</strong>, § 114). Eine Verstärkung des Kündigungsschutzes brachte das im Arbeitsgerichtsbeschleunigungsgesetz<br />

(Rn. 123f.) enthaltene Schriftformgebot für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen<br />

(§ 623 BGB, vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 11 Rn. 44).<br />

Weitere Gesetze mit Bezug zum Arbeitsleben betrafen<br />

– die Ablösung der bisherigen Rente wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit durch eine<br />

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit Gesetz vom 20. 12.2000 (BGBl. I, S. 1827;<br />

vgl. eingehend <strong>Handbuch</strong>, § 15 Rn. 131ff.),<br />

– die Reform des Schwerbehindertenrechts zunächst durch das Gesetz zur Bekämpfung<br />

der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter vom 29. 9.2000 (BGBl. I, S. 1394) mit einer Neukonzeption<br />

der Schwerbehindertenabgabe und danach dessen Überführung zusammen mit<br />

dem reformierten Rehabilitationsrecht in das neu geschaffene SGB IX durch Gesetz vom<br />

19. 6.2001 (BGBl. I, S. 1046; vgl. eingehend <strong>Handbuch</strong>, § 110),<br />

– die Neuregelung des Erziehungsurlaubs durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes<br />

vom 12.10. 2000 (BGBl. I, S. 1425) mit der Möglichkeit der Tei-<br />

335 Sachsen: BR/Drs. 293/95; hierzu vgl. Neumann,<br />

DB 1995, 2013; Brandenburg: BR-Drs.<br />

671/96; hierzu vgl. Griese, NZA 1996, 803; vgl.<br />

den Professoren-Entwurf des »Arbeitskreises<br />

Deutsche Rechtseinheit im <strong>Arbeitsrecht</strong>« zum<br />

59. Deutschen Juristentag 1992; hierzu Däubler,<br />

AuR 1992, 129; Hromadka, NJW 1992, 1985;<br />

Richardi, NZA 1992, 769; Steinmeyer/Jürging,<br />

NZA 1992, 777; Wank, DB 1992, 1826.<br />

336 Vgl. Gesetz vom 14. 9. 1994 (BGBl. I, S. 2323);<br />

zur vorherigen Terminierung in den neuen<br />

Bundesländern noch ohne gesetzliche Grundlage<br />

vgl. BAG 4. 2. 1993, BB 1993, 444;<br />

10. 3.1993, 731; hierzu Däubler und Jost, BB<br />

1993, 660.<br />

337 Vgl. VO vom 8. 10.1999 (BGBl. I, S. 1954).<br />

338 Zu ihrer arbeitsrechtspolitischen Planung vgl.<br />

Bundesarbeitsminister Riester, AuR 1999, 1.<br />

Kittner 43<br />

120<br />

121<br />

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123<br />

124<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

lung des nunmehr »Elternzeit« genannten Erziehungsurlaubs (hierzu ein eigenes Gesetz<br />

nur zur Änderung des Begriffs »Erziehungsurlaub« vom 30.11.2000, BGBl. I, S. 1638; vgl.<br />

eingehend <strong>Handbuch</strong>, § 51),<br />

– Änderung des Seemannsarbeitsrechts durch das Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes<br />

und anderer Gesetze vom 23. 3. 2002 (BGBl. I, S. 1163; hierzu eingehend <strong>Handbuch</strong>,<br />

§ 133) und als dessen Art. 4,<br />

– die europarechtlich veranlasste Schaffung einer Informationspflicht des AG beim Betriebsübergang<br />

(vgl. eingehend <strong>Handbuch</strong>, § 96 Rn. 29ff.);<br />

– die gesetzliche Klarstellung allgemeiner arbeitsrechtlicher Grundsätze für alle AN mit<br />

dem 3. Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung vom 24. 8. 2002 (BGBl. I, S. 3412; vgl.<br />

auch Rn. 126).<br />

Ein herausragendes rechtspolitisches Vorhaben war die durch europarechtliche Vorgaben im<br />

Verbraucherschutzrecht ausgelöste Schuldrechtsmodernisierung aufgrund des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes<br />

vom 26.11.2001 (BGBl. I, S. 3138). 339 Ziel des Gesetzes waren vor<br />

allem das Zivilrecht betreffende Änderungen hinsichtlich Leistungsstörungen, Verjährung<br />

und Re-Kodifizierung des Verbraucherschutzrechts in das BGB. Das <strong>Arbeitsrecht</strong>, dessen Besonderheiten<br />

beim Leistungsstörungsrecht ausdrücklich anerkannt werden sollten (§§ 615<br />

Satz 3 und 619a BGB; vgl. §§ 77, 78), wäre nach dem Regierungsentwurf im Wesentlichen nur<br />

durch die Neuregelung des Verjährungsrechts (mit-)betroffen gewesen (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 13).<br />

Jedoch wurde im Gesetzgebungsverfahren 340 aufgrund einer entsprechenden Anregung des<br />

Bundesrates die Bereichsausnahme des § 23 AGBG für eine AGB-Kontrolle von Formulararbeitsverträgen<br />

aufgehoben. Sie findet nunmehr – wenn auch unter Berücksichtigung von »Besonderheiten<br />

des <strong>Arbeitsrecht</strong>s« – gemäß §§ 305–310 BGB statt mit dem ausdrücklichen<br />

Wunsch des Gesetzgebers, dass das Schutzniveau im <strong>Arbeitsrecht</strong> nicht hinter dem allgemeinen<br />

zivilrechtlichen Niveau zurückbleiben dürfe (vgl. eingehend <strong>Handbuch</strong>, § 11 Rn. 164ff.).<br />

Im kollektiven <strong>Arbeitsrecht</strong> stand die Novellierung des BetrVG durch das Betriebsverfassungs-Reformgesetz<br />

vom 23. 7.2001 (BGBl. I, S. 1852) im Mittelpunkt. Mit diesem Gesetz<br />

wollte die rot-grüne Regierungsmehrheit ihrer Gewerkschaftsklientel ganz offenkundig die<br />

bittere Pille der Rentenreform (vgl. Rn. 126) »versüßen«. Ausgangspunkt waren stetige Gewerkschaftsforderungen<br />

nach einem Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung, 1998 in<br />

»Novellierungsvorschlägen zum Betriebsverfassungsgesetz 1972« konkretisiert und 1999 in<br />

einer »Bonner Erklärung für eine moderne Betriebsverfassung« aktualisiert. 341 Nach einer<br />

Ankündigung in der Regierungserklärung 1998 legt das Arbeitsministerium im Dezember<br />

2000 einen Referentenentwurf vor, der von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften erwartungsgemäß<br />

kontrovers diskutiert wurde. 342 Unter Abschwächung einiger Vorschläge<br />

zum Ausbau der Mitbestimmung wurde Anfang 2001 der Regierungsentwurf 343 vorgelegt<br />

und das Gesetz Mitte 2001 verabschiedet. 344 Die mit ihm vorgenommenen Änderungen 345 betreffen<br />

vor allem organisatorische Fragen, z. B.<br />

339 Vgl. Gotthardt, <strong>Arbeitsrecht</strong> nach der Schuldrechtsreform,<br />

2001; Annuß, BB 2002, 458; Berger-Delhey,<br />

ZTR 2002, 66; Däubler, NZA 2001,<br />

1229; Gotthardt, ZIP 2002, 277; Lindemann, AuR<br />

2002, 81 [85ff.]; Lingemann, NZA 2002, 181;<br />

Reinecke, DB 2002, 582.<br />

340 Regierungsentwurf: BT-Drs. 14/6040; Stellungnahme<br />

des Bundesrates mit Gegenäußerung<br />

der Bundesregierung: BT-Drs. 14/6857;<br />

Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestagsrechtsausschusses:<br />

BT-Drs. 14/7052.<br />

341 Text der »Bonner Erklärung«: AiB 2000, 62;<br />

hierzu Benz-Overhage/Klebe, AiB 2000, 24; insgesamt<br />

Bolt/Gosch, AiB 1999, 380; Fischer, NZA<br />

2000, 17; Plander, DB 2000, 2014; Richardi, NZA<br />

2000, 161.<br />

342 Text des Referentenentwurfs: AiB 2001, 87 mit<br />

Anm. Riester, AiB 2001, 83; vgl. Däubler, AuR<br />

2001, 1; für die Gewerkschaften DGB, NZA<br />

2001, 135; für die AG Schiefer/Korte, NZA 2001,<br />

71.<br />

343 BT-Drs. 14/5741 mit Erläuterungen durch Engels<br />

u. a., DB 2001, 352; vgl. Buchner, NZA 2001,<br />

633; Hanau, RdA 2001, 65; Konzen, RdA 2001,<br />

76; Richardi/Annuß, DB 2001, 41.<br />

344 Zum Gesetzgebungsverfahren Däubler, WSI-<br />

Mitt. 2001, 63.<br />

345 Zu einer Synopse vgl. Reichold, NZA 2001,<br />

Heft 16, Sonderbeilage »Das Betriebsverfassungs-Reformgesetz«;<br />

insgesamt zum Gesetz<br />

Däubler, AuR 2001, 285; Hanau, NJW 2001,<br />

2513; Löwisch, BB 2001, 1734 und 1790; Nielebock,<br />

AiB 2001, 441; Schaub, ZTR 2001, 437.<br />

44 Kittner


Bundesrepublik Deutschland seit 1998: Rot-grüne Regierung<br />

– vereinfachtes Wahlverfahren für Kleinbetriebe, 346<br />

– Abschaffung des Gruppenprinzips (auch im Aufsichtsrat, vgl. Rn. 126), jedoch Zwang zur<br />

repräsentativen Vertretung der Geschlechter im BR,<br />

– Möglichkeit der Delegation von Betriebsratsaufgaben auf Arbeitsgruppen (vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§ 5 Rn. 27),<br />

– Erstreckung der Zuständigkeit von Gesamt- und Konzernbetriebsrat auf betriebsratslose<br />

Betriebe,<br />

– ausdrückliche Anerkennung eines Gemeinschaftsbetriebs (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 5 Rn. 49).<br />

Mitbestimmungsrechte sind nur unwesentlich erweitert worden (zur Gruppenarbeit vgl.<br />

<strong>Handbuch</strong>, § 5 Rn. 23a; zur Weiterbildung vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 115 Rn. 212).<br />

Die Rechtsvorschriften über die Beteiligung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat<br />

sind, so wie das Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht im Allgemeinen, einem von der Internationalisierung<br />

des Wirtschaftsgeschehens, insbesondere auf den Finanzmärkten, ausgelösten<br />

Anpassungsdruck ausgesetzt. Das hat sich vor allem in zwei nationalen Gesetzen und<br />

der Regelung über die Europäische Aktiengesellschaft niedergeschlagen:<br />

– Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) vom 20.12. 2001 (BGBl. I,<br />

S. 3822) hat neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten für den Aufsichtsrat gebracht. 347<br />

Dieses Gesetz ist als nationale Regelung verabschiedet worden, nachdem der Vorschlag einer<br />

13. Richtlinie über Übernahmeangebote 348 im Jahre 2001 vom Europäischen Parlament<br />

abgelehnt worden war. Zweck des Gesetzes ist ein geordnetes und faires Verfahren bei der<br />

Übernahme einer Aktiengesellschaft oder KGaA (der sog. Zielgesellschaft) mit Sitz in<br />

Deutschland und Börsennotierung an einem organisierten Markt im Europäischen Wirtschaftsraum<br />

durch einen sog. Bieter. In diesem Zusammenhang wird einerseits eine Pflicht<br />

von Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zum Handeln in deren Interesse formuliert,<br />

andererseits werden sie in Bezug auf das Übernahmeangebot einer sog. Neutralitätspflicht<br />

unterworfen. Falls die Bietergesellschaft einen Aufsichtsrat hat, erfolgt dessen<br />

Beteiligung hinsichtlich Information bzw. etwaiger Zustimmung nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen<br />

Kriterien.<br />

– Mit dem Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG) vom 19. 7.2002 (BGBl. I, S. 2681)<br />

sollen Unternehmenskontrolle und -publizität intensiviert werden. Dieses Gesetz geht zurück<br />

auf Vorschläge der von der Bundesregierung im Mai 2000 eingesetzten Regierungskommission<br />

»Corporate Governance – Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle –<br />

Modernisierung des Aktienrechts«. Deren Vorschläge im Abschlussbericht vom Juli 2001<br />

waren zweigeteilt: Zum einen wurde die Einsetzung einer »Kommission Deutscher Corporate<br />

Governance Kodex« empfohlen, die Verhaltensregeln zur Unternehmensführung<br />

und -kontrolle erarbeiten sollten. Zum anderen wurden gesetzliche Neuregelungen empfohlen.<br />

349 Die sog. Kodex-Kommission hat ihre Empfehlungen am 26.2. 2002 vorgelegt.<br />

Das TransPuG verpflichtet börsennotierte Aktiengesellschaften durch den neuen § 161<br />

AktG dazu, eine sog. Entsprechenserklärung in Bezug auf diese Empfehlungen abzugeben.<br />

Der Aufsichtsrat als Ganzes erhält erweiterte Kontrollmöglichkeiten und -pflichten,<br />

was eine Aufwertung der Arbeitnehmerbeteiligung bedeutet. Als Pendant hierzu werden<br />

allerdings die Aufsichtsratsmitglieder einer verschärften Verschwiegenheitspflicht unterworfen,<br />

was durchaus zu Kommunikationsproblemen im Verhältnis zu den Belegschaften<br />

führen kann.<br />

– Nach langen, schier aussichtslos erscheinenden Vorarbeiten ist es Ende 2001 endlich zu<br />

einer Regelung in Bezug auf die Europäische Aktiengesellschaft (SE) gekommen. Mit ihr<br />

soll eine europäische Rechtsform unter Wahrung der Mitbestimmungsinteressen der AN<br />

zur Verfügung gestellt werden.<br />

346 Hierzu eine neue Wahlordnung durch VO<br />

vom 11.12. 2001 (BGBl. I, S. 3494).<br />

347 Vgl. Krause, NJW 2002, 705.<br />

348 Abgedruckt in Die AG 1996, 217; hierzu vgl.<br />

Krause, Die AG 1996, 209; Peltzer, Die AG 1997,<br />

145.<br />

349 Vgl. Köstler/Müller, Die Mitbestimmung<br />

9/2001, 52.<br />

Kittner 45<br />

125


126<br />

127<br />

128<br />

129<br />

130<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

Ausdruck einer fortschreitenden Modernisierung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s ist die weitere Beseitigung<br />

der Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten durch Aufhebung des Gruppenprinzips<br />

in den Mitbestimmungsgesetzen (vgl. Rn. 124) und Erstreckung der arbeitsrechtlichen<br />

Vorschriften der GewO auf alle AN (vgl. Rn. 122). Damit bleiben entsprechende<br />

Regelungen in Tarifverträgen die einzigen Überbleibsel materieller Ungleichbehandlung. In<br />

dieser Hinsicht haben sich die Tarifvertragsparteien im bedeutendsten industriellen Bereich,<br />

der Metallindustrie, 2002 auf die Grundlagen eines gemeinsamen Entgelttarifvertrags (ERA)<br />

für Arbeiter und Angestellte verständigt (wie schon Jahre zuvor in der Chemischen Industrie).<br />

Eine solche tarifpolitische Entwicklung in der Breite wird ganz sicher auch unterstützt<br />

durch das Aufgehen der »Deutschen Angestelltengewerkschaft« in der neuen Dienstleistungsgewerkschaft<br />

ver.di.<br />

Hinsichtlich des arbeitsgerichtlichen Verfahrens ist die Regierungsmehrheit zunächst mit<br />

dem Arbeitsgerichtsbeschleunigungsgesetz vom 30. 3.2000 (BGBl. I, S. 333) tätig geworden.<br />

Mit ihm sind vor allem die Stellung des Vorsitzenden gestärkt und das Güteverfahren ausgebaut<br />

sowie die Berufungsmöglichkeiten reduziert worden. 350 Mit dem Gesetz zur Reform<br />

des Zivilprozesses vom 27. 7.2001 (BGBl. I, S. 1887) ist das arbeitsgerichtliche Verfahren in<br />

vielfältiger Hinsicht verändert worden. Gemeinsames Ziel ist die Straffung der Verfahren<br />

und eine Stärkung der Tatsachengerichte (vgl. eingehend Teil 6). 351<br />

Den Anfang dieses Paradigmenwechsels machte die rot-grüne Regierung bereits in ihrer ersten<br />

Legislaturperiode mit dem Rentenrecht. Nach der Verschärfung der Anforderungen für<br />

den Bezug von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (vgl. Rn. 122) wurde – entgegen<br />

den Versprechungen vor der Wahl – das Niveau für alle Renten abgesenkt und als Ergänzung<br />

für die dadurch entstehenden Versorgungslücken eine staatlich geförderte private Versorgungsmöglichkeit<br />

geschaffen (»Riester-Rente«, vgl. eingehend <strong>Handbuch</strong>, § 15 Rn. 147a). 352<br />

Epochal ist diese Veränderung deshalb, weil erstmals seit Schaffung der Rentenversicherung<br />

durch Bismarck (vgl. Rn. 11) de facto mit dem Prinzip der hälftigen Finanzierung der Altersrente<br />

durch AG und AN gebrochen wurde.<br />

Die Entwicklung des Arbeitsförderungsrechts stand weiterhin unter dem Druck der hohen<br />

Arbeitslosigkeit (weiterhin um 4 Millionen). Das Hauptaugenmerk wurde dabei auf die Verbesserung<br />

der Arbeitslosenvermittlung gelegt. Die Verbesserung der entsprechenden institutionellen<br />

Voraussetzungen ist der Kern des Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen<br />

Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) vom 10.12. 2001 (BGBl. I, S. 3443). 353 Mit diesem<br />

Gesetz bekennt sich der Gesetzgeber wieder zu seiner zuvor gegenüber dem früheren AFG<br />

aufgegebenen (vgl. Rn. 107) gesamtwirtschaftlichen Verpflichtung, zu einem ausgeglichenen<br />

Arbeitsmarkt beizutragen. Die neu entdeckte »aktive Arbeitsmarktpolitik« bezieht sich insbesondere<br />

auf prozedurale präventive Vorkehrungen der Arbeitsvermittlung, Erleichterungen<br />

bei der Arbeitnehmerüberlassung (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 112) und neue Eingliederungshilfen<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 16 Rn. 33a). Nachdem Anfang 2002 aufgrund von Feststellungen des Bundesrechnungshofes<br />

erhebliche Defizite der Vermittlungstätigkeit der Arbeitsämter festgestellt<br />

worden waren, wurde mit einem eilends verabschiedeten Gesetz neben dem Umbau<br />

der Verwaltung der Bundesanstalt vor allem die private Arbeitsvermittlung gestärkt (vgl.<br />

<strong>Handbuch</strong>, § 16 Rn. 37ff.).<br />

2. »Umbau« des Sozialstaats und »Agenda 2010«<br />

Unmittelbar nach der Bundestagswahl 2002 machte die rot-grüne Bundesregierung eine vollständige<br />

Kehrtwende. Sie machte sich entgegen ihren Wahlversprechen in der Substanz die<br />

Politikziele der von ihr abgelösten konservativ-liberalen Regierung Kohl zu Eigen. Ihr Ziel ist<br />

350 Vgl. Düwell, AiB 2000, 243; Germelmann, NZA<br />

2000, 1017; Lakies, BB 2000, 667; Schaub, NZA<br />

2000, 344.<br />

351 Vgl. Hartmann, NJW 2001, 2577; Schmidt/<br />

Schwab/Wildschütz, NZA 2001, 1161 und 1216.<br />

352 Vgl. eingehend Unterhinninghofen, KJ 2002,<br />

213.<br />

353 Vgl. Körner, NZA 2002, 241.<br />

46 Kittner


Große Koalition ab 2005<br />

seither im Gewande eines »Umbaus des Sozialstaats« der Abbau von Leistungen bzw. eine<br />

höhere Belastung der Versicherten in der Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung<br />

sowie eine Reduzierung des Kündigungsschutzes. In der Arbeitslosenversicherung stützte<br />

sie sich vor allem auf Empfehlungen einer Sachverständigenkommission unter Vorsitz des<br />

VW-Arbeitsdirektors Peter Hartz. Als zusammengefasste Programmatik dieser neuen Politik<br />

verkündete Bundeskanzler Gerhard Schröder im Frühjahr 2003 die sog. Agenda 2010. In<br />

der Arbeitsmarktpolitik mündete die neue Politik im »Gesetz über Reformen am Arbeitsmarkt«<br />

und in vier »Gesetzen über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« jeweils<br />

Ende 2003.<br />

Das »Gesetz über Reformen am Arbeitsmarkt« vom 24.12. 2003 (BGBl. I S. 2003) enthielt<br />

zwei Schwerpunkte:<br />

Bestandsschutz: Es wurden die wichtigsten Bestandteile des zunächst selbst rückgängig gemachten<br />

(Rn. 121) »Beschäftigungsförderungsgesetzes 1996« wieder zum Gesetz, vor allem:<br />

– Begrenzung der Sozialauswahl,<br />

– Verstärkung der »betrieblichen Interessen« und<br />

– »Namensliste« (<strong>Handbuch</strong>, § 73 Rn. 31ff.).<br />

Dazu wurden die Möglichkeit eines Abfindungsangebots gem. § 1 a und eine einheitliche<br />

Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts gegen die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses geschaffen.<br />

Neueingestellte werden bis 10 AN nicht mehr auf die Betriebsgröße angerechnet<br />

(<strong>Handbuch</strong>, § 72 Rn. 18ff.).<br />

Arbeitnehmerüberlassung: Die Konzeption wurde vollständig verändert: Die Arbeitnehmerüberlassung<br />

ist zeitlich ungegrenzt möglich. Dafür ist der AG, falls ein Tarifvertrag<br />

nichts anderes vorsieht, zur Zahlung des gleichen Entgelts wie für ständig beschäftigte AN<br />

des entleihenden Betriebs verpflichtet (<strong>Handbuch</strong>, § 112 Rn. 40ff.).<br />

Die vier »Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitmarkt« enthalten im Wesentlichen<br />

Folgendes:<br />

(1) Gesetz vom 23. 12.2002 (BGBl. I S. 4607): vor allem Verschärfung der Anforderungen für<br />

Arbeitslose zur Arbeitsaufnahme und Umbau der Arbeitsverwaltung (<strong>Handbuch</strong>, § 16<br />

Rn. 37ff.).<br />

(2) Gesetz vom 23. 12.2002 (BGBl. I S. 4621): Förderung von Existenzgründungen (»Ich-AG«,<br />

§ 26 Rn. 51) und Ausweitung geringfügiger Beschäftigung i. S. des SGB IV (<strong>Handbuch</strong>,<br />

§ 121 Rn. 85ff.).<br />

(3) Gesetz vom 23.12. 2003 (BGBl. I S. 2848): Reform der Organisation (»Agentur für Arbeit«<br />

statt »Arbeitsamt«) und Neuordnung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Transferleistungen<br />

(<strong>Handbuch</strong>, § 16).<br />

(4) Gesetz vom 24. 12. 2003 (BGBl. I S. 2954): Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und<br />

Sozialhilfe für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger auf Sozialhilfeniveau mit Zumutbarkeit<br />

jeder Arbeit (<strong>Handbuch</strong>, § 16 Rn. 59ff.). Dieses Gesetz wird umgangssprachlich nur<br />

»Hartz IV« genannt (nach dem früheren VW-Arbeitsdirektor als Vorsitzenden einer Regierungskommission<br />

auf die vor allem die vier Gesetze für moderne Dienstleistungen am<br />

Arbeitsmarkt zurückgehen.<br />

IX. Große Koalition ab 2005<br />

Mit der Bundestagswahl 2005 wurde die rot-grüne Regierung abgewählt und es kam mangels<br />

rechnerischer und politischer Alternativen zur zweiten Großen Koalition zwischen<br />

CDU/CSU und SPD unter der Bundeskanzlerin Merkel (nach 1969, vgl. Rn. 82ff.). Im Hinblick<br />

auf die nahezu unüberbrückbaren Gegensätze zu Fragen des <strong>Arbeitsrecht</strong>s zwischen den Koalitionspartnern<br />

ist es in diesem Bereich nur zu wenigen Neuerungen gekommen. Die wichtigste,<br />

das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist vom EU-Recht erzwungen worden<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 92 Rn. 41). Die wechselseitige Blockade der Koalitionsparteien hat sich<br />

auch im Bereich der Mindestlohngesetzgebung gezeigt, wo es nur zu punktuellen Kompromissen<br />

statt einer Gesetzgebung aus einem Guss gekommen ist (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 9). Zum<br />

Kittner 47<br />

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Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

Kündigungsschutz haben die Koalitionäre eine zunächst vereinbarte Änderung (Aufgabe<br />

der zweckfreien Befristung von Arbeitsverhältnissen zugunsten einer Verlängerung der<br />

Wartezeit auf zwei Jahre) wieder fallen gelassen. Verhältnismäßig viele und dauernde Änderungen<br />

gab es im Sozialrecht (davon mit Ausstrahlung auf das <strong>Arbeitsrecht</strong> vor allem die<br />

Insolvenzsicherung von Arbeitszeitkonten).<br />

X. Entwicklungslinien – Zukunft des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

Wie für alle Wissens- und Rechtsgebiete ist es schwierig, ja auf längere Sicht unmöglich, Verlässliches<br />

über die Zukunft des <strong>Arbeitsrecht</strong>s zu sagen. 354 Dabei dürfte allerdings bei allem<br />

Reden über eine »Krise des <strong>Arbeitsrecht</strong>s« eines feststehen: Es wird kein »Ende der Arbeit«<br />

355 und damit kein Ende des <strong>Arbeitsrecht</strong>s geben. 356 Bei allem Strukturwandel bleibt für<br />

Deutschland wie für alle industriellen Gesellschaften abhängige Arbeit systemprägend: In<br />

Deutschland sind im langen Trend stabil knapp 90 % aller Erwerbstätigen AN, in den USA<br />

gar 93 %. 357 Das heißt: Das <strong>Arbeitsrecht</strong> bleibt als solches unverzichtbar, die Frage ist lediglich,<br />

ob seine bisherigen Inhalte den Veränderungen der Arbeitswelt angemessen sind oder<br />

nicht. <strong>Arbeitsrecht</strong> bleibt »werdendes Recht«. 358<br />

Ausgangspunkt jeder Betrachtung kann nur das <strong>Arbeitsrecht</strong> sein, wie wir es kennen, und<br />

der Versuch, die äußeren Bedingungen gerade dieser Gestaltung zu erkennen. Leitbild des<br />

sog. Normalarbeitsverhältnisses 359 ist die (arbeits-)lebenslange Beschäftigung im erlernten<br />

Beruf in einer Vollzeittätigkeit, die ein laufendes Einkommen ermöglicht, das neben dem eigenen<br />

Lebensunterhalt auch noch den der Familie sichert und zu einer ausreichenden Altersrente<br />

führt. Die Arbeit ist überwiegend arbeitsteilige Produktionstätigkeit und wird typischerweise<br />

in organisatorisch fest gefügten Betrieben (bzw. Dienststellen) innerhalb vorab<br />

festgelegter Arbeitszeit im Rahmen einer hierarchischen Führungsstruktur erledigt. Eine arbeitswillige<br />

und -fähige Erwerbsperson findet auf dem Arbeitsmarkt nach angemessener<br />

Zeit immer eine passende Beschäftigung, d.h. die Möglichkeit des Abschlusses eines »Normarbeitsvertrages«.<br />

Eine ausreichende Zahl von AN ist in Gewerkschaften organisiert, die zusammen<br />

mit Arbeitgeberverbänden mit noch höherem Organisationsgrad ein vollständig<br />

flächendeckendes Tarifvertragssystem schaffen (sei es über originäre Tarifbindung, sei es<br />

über arbeitsvertragliche Bezugnahme, vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 8 Rn. 218ff., 330ff.). Als »Unterbau«<br />

existieren in den meisten Betrieben Betriebsräte, die innerhalb tariflicher Vorgaben dezentrale<br />

Interessenvertretung betreiben. Im Bedarfsfall greift der (nationale) Staat größere Probleme<br />

auf und regelt sie gesetzlich.<br />

Diese »Normalsituation« galt schon immer nur für einen – freilich großen – Kern der Beschäftigten.<br />

Heute aber erleben wir eine substantielle Änderung der Verhältnisse, insbesondere<br />

in folgender Hinsicht:<br />

– Die Unternehmen sind substantieller Konkurrenz aus dem Ausland ausgesetzt und können<br />

selbst – jedenfalls teilweise – im Ausland produzieren (Globalisierung). Auch die<br />

grenzüberschreitende Mobilität der AN nimmt zu. Daraus erwächst Druck auf inländische<br />

Mindestarbeitsbedingungen (zur Tarifunterschreitung vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 8 Rn. 84).<br />

– Die vor allem auf der Nutzung der EDV beruhenden Organisationstechniken ermöglichen<br />

die Auflösung der bisherigen betrieblichen Bindungen. Eine Konsequenz sind sinkende<br />

Betriebsgrößen und zunehmende Möglichkeiten ortsungebundener Arbeit. Begleitende<br />

354 Vgl. Gast, <strong>Arbeitsrecht</strong> 2000, 1995; Matthies<br />

u. a., Arbeit 2000, 1996; Sonderheft »Arbeit<br />

2000«, KJ 1996; Däubler, DB 1993, 781; Dieterich,<br />

AuR 1997, 1; Hanau, DB 1998, 69; Hromadka,<br />

NZA 1998, 1; Oppolzer, AuR 1998, 45; Pfarr,<br />

GMH 1995, 633; Preis, RdA 1995, 333; Rüthers,<br />

Die Arbeitsgesellschaft im Umbruch, 2000;<br />

Zöllner, ZfA 1994, 423; eingehend Zachert, FS<br />

Dieterich, S. 699 m.w.N.<br />

355 Vgl. Rifkin, Das Ende der Arbeit, 4. Aufl. 1996.<br />

356 Vgl. Herzog, Zur Zukunft der Arbeit, FS Dieterich,<br />

S. 1; Zachert, a. a. O., S. 699 [700ff.].<br />

357 OECD-Zahlen, SozFort 1999, 253.<br />

358 Vgl. Potthoff, <strong>Arbeitsrecht</strong>. Das Ringen um<br />

werden des Recht, 2. Aufl. 1931; hierzu Gast,<br />

<strong>Arbeitsrecht</strong> 2000, 1995, S. 107ff.; Zachert, FS<br />

Dieterich, S. 699 [702f.].<br />

359 Zum Begriff vgl. Däubler, AuR 1988, 302.<br />

48 Kittner


Entwicklungslinien – Zukunft des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

Phänomene sind Flexibilisierung des Arbeitseinsatzes hinsichtlich der Arbeitszeit (vgl.<br />

<strong>Handbuch</strong>, §§ 26, 27), Outsourcing (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 4 Rn. 65ff.), Telearbeit (vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§118) und »neue Selbständigkeit« (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 3 Rn. 105).<br />

– Die Arbeitsproduktivität steigt, ohne dass sich eine Veränderung der Entwicklung abzeichnet.<br />

Eine Rückkehr zur Vollbeschäftigung ist unwahrscheinlich; jede Annäherung an<br />

eine Arbeitslosenzahl von 3 Mio. in Deutschland gilt als großer Erfolg.<br />

– Die Beschäftigungssegmente verschieben sich weg von Industriearbeit zu Dienstleistungen<br />

und Angestelltenarbeit. Die Nachfrage nach weniger qualifizierten Tätigkeiten sinkt.<br />

Der Anteil von Teilzeitarbeit steigt (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 121).<br />

– Der Organisationsgrad bei Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden sinkt. Die einen<br />

verlieren an Zustimmung bei jugendlichen Berufsanfängern, die anderen gewinnen kaum<br />

neu gegründete Betriebe als normale Mitglieder (zur sog. OT-Mitgliedschaft vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§ 8 Rn. 5). Ein verstärkt individualistisches Lebensgefühl, das nicht zuletzt von größeren<br />

individuellen Entfaltungsmöglichkeiten in der Arbeit gespeist wird, führt zur Abstinenz<br />

gegenüber Großorganisationen.<br />

– Der Grad der Tarifbindung nimmt ab, in Ostdeutschland stärker als im Westen.<br />

– Die Nichteinhaltung von Tarifverträgen nimmt zu, durchaus auch im Zusammenwirken<br />

von AG und BR (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 10 Rn. 172ff.).<br />

Dazu kommt die Krise der aus arbeitsabhängigen Beiträgen gespeisten sozialen Sicherungssysteme<br />

(vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 15 Rn. 7). Sie geraten sowohl wegen der anhaltenden Arbeitslosigkeit<br />

als auch aus demographischen Gründen an ihre Beitrags- und damit Leistungsgrenzen.<br />

Eine radikale Konsequenz daraus, dass das »alte« <strong>Arbeitsrecht</strong> mit der neuen Realität nicht<br />

mehr so recht zusammenzupassen scheint, lautet nicht selten: Anpassung durch Abbau. »Betriebliche<br />

Bündnisse für Arbeit« und eine Neudefinition des Günstigkeitsprinzips legen<br />

nahe, auf den Schutz des <strong>Arbeitsrecht</strong>s zu verzichten, wenn dies der Beschäftigungssicherung<br />

dient (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 8 Rn. 67). Die theoretische Flankierung liefert die Forderung<br />

nach »Deregulierung«. Deren zentrales Credo, das z. B. den arbeitsrechtlichen Konzepten<br />

der konservativ-liberalen Koalition zugrunde lag, lautet: »Weniger arbeitsrechtlicher Schutz<br />

erhöht die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen« (vgl. Rn. 97). 360 Als Fundamentalthese<br />

speist sich das »Deregulierungs«-Verlangen aus der auch im <strong>Arbeitsrecht</strong> bisweilen vertretenen<br />

These, das <strong>Arbeitsrecht</strong> sei eigentlich »marktwirtschaftskonträr«. 361 Diese Sicht ist jedoch<br />

falsch. Eine Marktwirtschaft kann nur funktionieren bzw. funktioniert umso besser, je<br />

»freier« sie in dem Sinne ist, dass alle Beteiligten sich mit (tendenziell) gleicher Marktmacht<br />

austauschen. In der Sprache der Ökonomie heißt das: Die Transaktionskosten aller Beteiligten<br />

müssen gleich und so niedrig wie möglich sein. Wo dies nicht der Fall ist, greift das Recht<br />

korrigierend ein, um die Rahmenbedingungen eines »vollkommenen Vertrages« herbeizuführen.<br />

Das heißt: Intervention zur Kompensation ungleicher Marktmacht ist marktwirtschaftskonform.<br />

Es zeigt sich vielmehr, dass die Schutzpflicht-Konzeption des BVerfG zum<br />

»Ausgleich gestörter Verhandlungsparität« (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 1 Rn. 14) den ökonomischen<br />

Anforderungen an eine staatliche Intervention zur Ermöglichung einer für alle Beteiligten<br />

freien – und damit sozialen – Marktwirtschaft entspricht. 362 »Deregulierung« aus Prinzip<br />

verbietet sich sowohl aus ökonomischen als auch aus verfassungsrechtlichen Gründen. Die<br />

aus beiden Richtungen zutreffende Frage kann allein der in der gegebenen Situation richtigen<br />

Regulierung gelten. Das zielt ökonomisch gesehen auf Effizienz und verfassungsrechtlich<br />

auf die Verhältnismäßigkeit des jeweiligen Eingriffs (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 7 Rn. 19).<br />

Das <strong>Arbeitsrecht</strong> der Zukunft kann nicht am Reißbrett skizziert werden. Wenn die genannten<br />

Entwicklungen und Trends ernst genommen werden und verhindert werden soll, dass die<br />

360 Ausgangspunkt: Kronberger Kreis, Mehr<br />

Mut zum Markt, 1983; vgl. Deregulierungskommission,<br />

Marktöffnung und Wettbewerb,<br />

1991.<br />

361 Vgl. Zöllner, ZfA 1994, 324; hierzu Kittner, AuR<br />

1995, 385.<br />

362 Vgl. eingehend Kittner, FS Dieterich,<br />

S. 279 m. w.N.; vgl. auch Pfarr, WSI-Mitt. 2003,<br />

313; Hanau, Deregulierung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

–Ansatzpunkte und verfassungsrechtliche<br />

Grenzen, 1997; Blanke, FS Gnade, S. 25;<br />

Linnenkohl, JbArbR 1992, 127.<br />

Kittner 49<br />

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138


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140<br />

Geschichte und Entwicklung des <strong>Arbeitsrecht</strong>s<br />

vorhandenen arbeitsrechtlichen Schutzinstrumente zerbrochen werden, ist »geschützte Flexibiltät«<br />

vonnöten (»Flexicurity«). 363 Das bedeutet: Den Anforderungen an flexiblere, individuellere<br />

Arbeitsformen muss Rechnung getragen werden, ohne den – auch verfassungsrechtlich<br />

gebotenen – Schutz der AN aufzugeben. 364 Verlangt ist Umbau statt Abbau. Eine zentrale Gestaltungsaufgabe<br />

im Verhältnis der verschiedenen Rechtsquellen zueinander (vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§6) wird es dabei sein, die jeweils zentralere Rechtsquelle mehr als Rahmenvorschrift zu begreifen,<br />

die für dezentrale Rechtsquellen Handlungsspielraum im Sinne »geregelter Optionen«<br />

belässt. Das gilt sowohl im Verhältnis zwischen Gesetz und Tarifvertrag (vgl. <strong>Handbuch</strong>,<br />

§8) als auch zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 10 Rn. 83ff.).<br />

Flexible Arbeitsformen wie Teilzeitarbeit (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 121) oder auch Leiharbeit (vgl.<br />

<strong>Handbuch</strong>, § 112) müssen von möglicherweise anderem, jedoch adäquatem Schutz begleitet<br />

werden. Wichtig ist es auch, jedenfalls die Chance zur Errichtung von Betriebsräten auch bei<br />

zunehmender »Virtualisierung« der betrieblichen Zusammenarbeit zu erhöhen.<br />

Die Rechnung wird freilich nicht ohne das Engagement der Menschen für ihre eigenen Angelegenheiten<br />

aufgehen. Denn dass die AN allen rechtstechnischen Erleichterungen zum<br />

Trotz immer noch selbst Betriebsräte wählen und sich in diese wählen lassen müssen, kann<br />

ihnen niemand abnehmen, ebenso wenig wie das Engagement in Gewerkschaften als Fundament<br />

einer auch künftig breiten Tarifbindung. Wenn sich diesbezüglich an den sichtbaren<br />

Trends nichts Entscheidendes ändert, muss mit der verstärkten Herausbildung einer Praxis<br />

richterlicher Vertragskorrekturen gerechnet werden. Das wird aber jedenfalls die Notwendigkeit<br />

einer Homogenisierung der Korrekturmaßstäbe im Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht<br />

verstärken (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 6 Rn. 6). Interessanterweise ist eines der hierfür zunehmend<br />

bedeutenderen Instrumente auch die Berufung auf Gleichheitsgesichtspunkte – eine<br />

dem Trend zur Individualisierung eigentlich gegenläufige Entwicklung (vgl. <strong>Handbuch</strong>, § 92<br />

Rn. 1ff.).<br />

Der Internationalisierung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt muss und wird eine Internationalisierung<br />

der Schutzmechanismen folgen. Das gilt vorrangig innerhalb Europas (vgl.<br />

<strong>Handbuch</strong>, § 138 Rn. 1ff.).<br />

Anhang<br />

Entstehungsjahr neuer arbeitsrechtlicher Gesetze in der Bundesrepublik Deutschland*<br />

Jahr Gesetze Jahr Gesetze<br />

1949 TVG 1977 –<br />

1950 – 1978 –<br />

1951 KSchG, MontanMbG, HAG, FeiertagsLFZG 1979 –<br />

1952 BetrVG 1952, MuSchG, MindestarbeitsbedG 1980 611a BGB<br />

1953 ArbGG, SchwBeschG 1981 –<br />

1954 – 1982 –<br />

1955 – 1983 –<br />

1956 MitbestErgG 1984 VorruhestandsG<br />

1957 ArbKrankG, ArbNErfG, ArbPlSchG, AVAVG 1985 BeschFG 85, BErzGG<br />

* Kursiv gedruckte Gesetze knüpfen zwar an ein Vorläufergesetz an, sind aber konzeptionell als neu anzusehen.<br />

Fett gedruckte Gesetze: Umsetzung von EG-Vorgaben und Vorgaben des BVerfG.<br />

363 Zum folgenden eingehend Zachert, FS Dieterich,<br />

S. 699 [711ff.]; zum Konzept der »Flexicurity«<br />

vgl. Keller/Seifert, MittAB 2002, 90; Pfarr,<br />

WSI-Mitt. 2000, 279; Zachert, WSI-Mitt. 2000,<br />

283.<br />

364 Vgl. 63. Deutscher Juristentag, 2000, »Welche<br />

arbeits- und ergänzenden sozialrechtlichen<br />

Regelungen empfehlen sich zur Bekämpfung<br />

der Arbeitslosigkeit?« (Gutachten: Hanau,<br />

Kleinhenz; Referate: Däubler, Heinze).<br />

50 Kittner


Anhang<br />

Jahr Gesetze Jahr Gesetze<br />

1958 – 1986 –<br />

1959 – 1987 –<br />

1960 JArbSchG 1988 SprAuG<br />

1961 1. VermbG 1989 –<br />

1962 – 1990 –<br />

1963 BUrlG 1991 –<br />

1964 – 1992 –<br />

1965 – 1993 KündFristG<br />

1966 – 1994 ArbZG, InsO, UmwG, EFZG<br />

1967 – 1995 NachweisG<br />

1968 GeräteSichG 1996 ATZG, ArbSchG, EBRG, ANEntsG,<br />

1969 BBiG, LFZG, AFG, 1. ArbBerG ArbRBeschFG 1996<br />

1970 3. VermbG 1997 –<br />

1971 – 1998 SicherungANRechteG<br />

1972 AÜG, BetrVG 72, 613a BGB 1999 –<br />

1973 ASiG 2000 623 BGB, TzBfG<br />

1974 BetrAVG, SchwbG, 141a AFG 2002 1. Gesetz über moderne Dienstleistungen<br />

am Arbeitsmarkt<br />

1975 – 2003 Reformen-am-ArbeitsmarktG<br />

1976 BDSG, MitbestG 2006 AGG<br />

Regierungsmehrheiten: CDU/CSU, FDP u. a. (Adenauer, Erhard) 1949–1966<br />

CDU/CSU, SPD (Kiesinger) 1966–1969<br />

SPD, FDP (Brandt, Schmidt) 1969–1982<br />

CDU/CSU, FDP (Kohl) 1982–1998<br />

SPD, Grüne (Schröder) 1998–2005<br />

CDU/CSU, SPD (Merkel) 2005–<br />

Kittner 51

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