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Februar / März 2013 - Evangelische Kirchengemeinde Schönow ...

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4<br />

Foto: W.Kästner<br />

Wagner<br />

und<br />

wir<br />

„Wahn! Wahn! Überall Wahn! Wohin<br />

ich forschend blick in Stadt- und<br />

Weltchronik“ - so lautet die Diagnose,<br />

die Richard Wagner durch Hans Sachs<br />

in den Meistersingern von Nürnberg<br />

seiner, das heißt unserer Zeit stellt.<br />

Wir leben in einer Art globalem<br />

Irrenhaus in dem Sinne, dass die<br />

Verbindung, die Nabelschnur zu Gott in<br />

den letzten 300 Jahren immer löchriger<br />

wurde. Dies hat persönliche, soziale,<br />

politische Unordnungsprozesse zur<br />

Folge. Eigentlich wissen viele Menschen<br />

um diesen Defekt, leiden auch darunter,<br />

mogeln sich aber daran vorbei - wie Wagners<br />

Wotan im „Ring des Nibelungen“.<br />

Zu Beginn von „Rheingold“ schrammt<br />

die Macht des Bösen in Gestalt Alberichs<br />

in die Sphärenharmonie der Rheintöchter<br />

hinein. Allerdings entsteht das Böse<br />

hier nicht erst, es ist schon da, wirkt<br />

beispielsweise in Wotan, dem Chef des<br />

Unternehmens, und facht dämonisch<br />

Gier, Angst, Zank an und gleich auch<br />

die passenden Erlösungsspekulationen<br />

in der Welt.<br />

Richard Wagner geht es keineswegs<br />

um wiederbelebten Germanen-Götter-<br />

Spuk. Mit der Schaffung eines Mythos<br />

aus inhaltlichen wie sprachlichen Bausteinen<br />

der germanischen Götter- und<br />

Sagenwelt weicht er dem neuzeitlichen<br />

ideologischen Scherbenhaufen aus in<br />

eine sprachlich-musikalische Symbolik,<br />

mit der er jedoch gerade diese Zerfallserscheinungen<br />

gleichnishaft offenlegt.<br />

Deshalb heißt Beschäftigung mit seinen<br />

Werken in hohem Maße Umgang mit<br />

Symbolen - zu denen auch die berühmten<br />

Leitmotive gehören.<br />

Alberich, Mime und Hagen, die Riesen,<br />

Hunding, die Götter samt Siegfried<br />

und den Gibichungen repräsentieren<br />

eine Gesellschaft, welcher das Ordnungsbewusstsein<br />

abhanden gekommen<br />

ist, und weisen, eben als Symbole, über<br />

sich hinaus.<br />

Nehmen wir Wotan, den negativen<br />

Helden des „Rings“! Wagner zeigt an<br />

ihm, was unter schweren Identitätskrisen<br />

zu verstehen ist. Wotan hat sich,<br />

als er in Rheingold zum ersten Mal<br />

auftritt und majestätisch von Walhall<br />

Besitz nimmt, schon der Lügerei und<br />

des Vertragsbruchs schuldig gemacht.<br />

Als Menschentyp, der er in Wirklichkeit<br />

ist - „der kleine Gott der Welt“ -, schuf<br />

er um den Kristallisationskern Macht<br />

ein „Establishment“, einen dreisten<br />

Götterklüngel, der auf Gedeih und Verderb<br />

mit ihm verschweißt ist. Für Leute<br />

dieses Schlages ist Moral, ist Religion ein<br />

Schwindel zur Ruhigstellung des Volkes.<br />

In egozentrischer Selbstverblendung<br />

wurde für Wotan die Gold- und damit<br />

die Machtgier, die libido dominandi,<br />

zum Daseinszweck. Seine Macht ohne<br />

Gerechtigkeit - nur mit sich selbst als<br />

Verantwortungs- und Ordnungszentrum<br />

- ist jedoch sinnentleert. So gesehen, ist<br />

er Alberichs Kumpan. Als Zeichen dieser<br />

schweren Realitätsstörung dient der<br />

Ring: maßloser Wille zur Macht.<br />

Wotan stiehlt, betrügt, mordet, wie`s<br />

ihm „rätlich dünkt“. Seiner Empereur-<br />

Attitüde entspricht das wundersam pathetische<br />

Walhall-Motiv, das durch seine<br />

musikalischen Modifikationen im Verlauf<br />

des „Rings“ deutlich macht, wie es<br />

um Wotans Weltherrschaft steht. Mit der<br />

Walhall-Musik ist es übrigens so wie mit<br />

den anderen Orchester-Paradestücken,<br />

die oft von Wagner-Skeptikern wegen<br />

ihres pompösen Blechs als typisch wagnerischer<br />

Lärm verunglimpft werden.<br />

Sie übersehen dabei die Entlarvungsfunktion<br />

beispielsweise des Rheingold-<br />

Schlusses mit dem grotesk-hohlköpfigen<br />

Einzug des Götter-Geschmeißes nach<br />

Walhall oder des Walkürenritts, der<br />

mit seiner mitreißenden, bedrohlichen<br />

Klangwucht die prangende Herzlosigkeit<br />

der Walküren demonstriert.<br />

Zurück zu Wotan: Im großen Monolog<br />

vor Brünnhilde zu Beginn des 2.<br />

Aktes der Walküre - „mit mir nur rat<br />

ich, red ich zu dir“ - ist er sich seiner<br />

Lebenslüge schockierend bewusst. Er<br />

macht sich jedoch, wie sich das für einen<br />

verstockten Ideologen gehört, selbst hier<br />

noch was vor, seine kaum verbrämten<br />

Ausredereien verraten es:<br />

„Als junger Liebe Lust mir verblich,...“<br />

(der Ärmste versucht sich auf eine Art<br />

postpupertäre Krise herauszureden), „...<br />

verlangte nach Macht mein Mut ...“ (klar,<br />

so kommt`s: Macht als Liebesersatz), „...<br />

von jäher Wünsche Wüten gejagt ...“ (die<br />

Triebe sind schuld, nicht er), „... gewann<br />

ich mir die Welt ...“ (so ist sie halt, die<br />

Jugend!). Schließlich platzt er heraus: „...<br />

listig verlockte mich Loge ...“ (aha, Loge<br />

heißt die Kanaille, der Sündenbock!).

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