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nr. 33 september 2005 | 3. jahrgang<br />
ensuite<br />
k u l t u r m a g a z i n<br />
sprachlosigkeit einer kultur<br />
der 14. dalai lama in zürich<br />
hoch(wasser)stimmung<br />
design im schongang
Vielschichtig.<br />
Mit der NZZ stossen Sie auch zu den tieferen Schichten vor, also dorthin, wo’s spannend wird und Zusammenhänge<br />
erkennbar werden. Erleben Sie 5 Wochen lang kostenlos, wieviel es Ihnen bringt, wenn eine immer komplexere Welt kom-<br />
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Titelseite und rechts: Japan Now! www.japan-now.net - u.a. mit Yui & Ayako in der<br />
Dampfzentrale und in der Reitschule in Bern<br />
Vor allem...<br />
■ ...Tja, Bern ist wieder einmal zu langsam gewesen: Hochwasserstimmung<br />
(Seite 54) überall. Auch bei uns in der Redaktion wurde es feucht.<br />
Es grenzt an ein kleines Wunder, dass die Septemberausgabe termingerecht<br />
ausgeliefert werden konnte. Wenn die Berner Alarm schlagen müssen,<br />
greifen sie nicht zur Sirene, sondern - erst noch viel zu spät - zum<br />
Megaphon. Dabei hätten wir es wissen müssen: Nur Demonstranten und<br />
Chaoten greifen zu diesem Sprachverstärker. Und siehe, was haben sie<br />
angerichtet… Es ist peinlich und lässt neben Verzweifl ung und Tragödien<br />
auch die Frage offen, ob wir weiterhin mit «Bern hoch 3» werben dürfen.<br />
«Bern hoch Wasser» wäre treffender. Selten hat ein Event mehr Schaulustige<br />
angezogen, die nutzlos den wagemutigen «Aktivisten gegen das<br />
Wasser» zuguckten. Hoffentlich war die Unterhaltung wenigstens den Weg<br />
wert. Wieviele BernInnen haben sich nicht mal die Mühe gemacht, das Desaster<br />
in der eigenen Stadt wahrzunehmen, geschweige denn, betroffenen<br />
Bekannten Ihre Hilfe anzubieten? Wer das Wasser miterlebte, hat einiges<br />
von der Perversion unserer Zeit zu spüren bekommen. Es bleibt zu hoffen,<br />
dass die kommerziellen Eventveranstalter nicht gleich Hochwasserp<strong>art</strong>ies<br />
anbieten - Afterwater oder wet chilling... Aber vielleicht gehört dieses<br />
Wasser eben wirklich zu Bern – ganz normal und natürlich. Man bedenke<br />
noch einmal die vielen Wellen, die hier symbolisch gebaut wurden… war<br />
das Vorhersehung?...<br />
Wir haben in der Redaktion zumindest eingehend darüber diskutiert,<br />
ob wir «ensuite» jetzt «eausuite» nennen sollten. Eine Antwort steht noch<br />
aus…<br />
Aber ich möchte ohne jeglichen Zynissmus und mit Respekt all jenen<br />
danken, die sich mit Kraft und jedem Einsatz zur Verfügung gestellt haben<br />
und anpackten. Insbesondere danke ich den 3 Frauen, die bei uns im Keller<br />
den ganzen Tag im Dreck mitgehofen haben. Selber unbetroffen, haben sie<br />
alles stehen und liegen lassen. Wegen ihnen sind sogar die Fotoerinnerungen<br />
aus meiner Kindheit gerettet worden - und dabei wurde mir einiges<br />
klar.<br />
Lukas Vogelsang<br />
i n h a l t<br />
K U L T U R & G E S E L L S C H A F T<br />
sprachlosigkeit einer kultur 6<br />
keine ahnung von kultur 13<br />
der 14. dalai lama in zürich 17<br />
B Ü H N E<br />
festen - familie als spiegel der machtgesellschaft 8<br />
madame bissegger brätelt bombastico 11<br />
L I T E R A T U R<br />
thomas mann, jean-pierre richardot und banana yoshimoto 11<br />
letzte lustseite 32<br />
M U S I K<br />
the trouble with music 11<br />
aus berlin... 22<br />
K I N O / F I L M<br />
angry monk 18<br />
must love dogs 19<br />
das andere kino 20<br />
chinas junges, unabhängiges fi lmschaffen 22<br />
<strong>art</strong>ensuite<br />
wacht auf ihr augenmenschen 25<br />
pablo picasso und rené magritte in der fondation beyeler 27<br />
andrea loux - raumgeschichten 28<br />
heinz egger - schwarz und weiss 28<br />
franz gertsch - radikal real 29<br />
galerien in bern 30<br />
D I V E R S E S<br />
kulturnotizen 4<br />
roger federer - versuch über die poesie 10<br />
menschen: chor im ohr 15<br />
stadtläufer 15<br />
menschen & medien/ fauser c<strong>art</strong>oon 23<br />
tratschundlaber 19<br />
hoch(wasser)stimmung 54<br />
L I F E S T I L E<br />
tuchfühlung... 11<br />
design im schongang 12<br />
A G E N D A 32<br />
kulturagenda bern 33<br />
museen bern/biel/thun 57<br />
kulturagenda biel 59<br />
kulturagenda thun 62<br />
3
4<br />
K U L T U R N O T I Z E N<br />
NEUES KULTURKONZEPT<br />
■ Ein neues Kulturkonzept wird Kultursekretär<br />
Christoph Reichenau für Bern erstellen. Dies wurde<br />
konkreter und mit ziemlich unrealistischem Plan an<br />
der letzten BE-Kult-Sitzung vom 22. August vorgestellt.<br />
Konkret war aber danach nichts - höchstens<br />
die Feststellung, dass für ein neues Konzept noch<br />
nicht viel Boden vorhanden ist und das bis jetzt noch<br />
keine einzige professionelle Studie für die Berner<br />
Kultur gemacht wurde.<br />
An dem BE-Kult-Treffen, welches als Zusammenschluss<br />
von Kulturinstitutionen oder als Plattform für<br />
jene gedacht ist, trat auch Alexander Tschäppät auf<br />
und gab eine Stellungsnahme für die Berner Kultur<br />
ab. Was Tschäppät schon im Ansatz ersticken lässt,<br />
ist die Forderung nach mehr Kulturgeld. Reichenau<br />
will sich stark machen für den fi naziellen Ausbau -<br />
nach dem schon das Bundes-Kultur-Geld den Bach ab<br />
ging, ist es die letzte wirkliche Chance, die wachsenden<br />
Defi zite in den Griff zu kriegen. Doch Tschäppäts<br />
Finger, man solle erst über Effi zienz und Sparen in<br />
den eigenen Rängen nachdenken, macht sicher Sinn.<br />
Man denke dabei an eine überdimensionierte Berner<br />
Billetzentrale oder der doppelspurigen Kulturagenda.<br />
Doch der Vorschlag, eine Kulturorganisation<br />
zu schaffen, welche gesamthaft die Kulturräume<br />
auslasten und den Kulturbetrieben die Administration<br />
erleichtern soll, kann wohl gleich in den Wind<br />
geworfen werden. Die Praxis wäre desaströs.<br />
Bern solle sich als Tanzstadt positionieren - so<br />
stellt sich das Christoph Reichenau vor. Dies könnte<br />
eine Knacknuss werden, denn Bern hat - mal abgesehen<br />
von dern Berner Tanztagen - im Tanz momentan<br />
wenig zu bieten. Was gut ist, wanderte in den letzten<br />
Jahren ab, da Bern keine Ausbaumöglichkeiten zu<br />
schaffen pfl egte. Gerade das Berner Ballett wurde<br />
massiv gestutzt. In der Schweiz gilt Lausanne als<br />
Tanzstadt, Zürich ist für die Oper und die bildende<br />
Kunst fi ndet sich in Basel. Erstaunlich ist, warum<br />
Bern den Berner Rock so schändlich vernachlässigt<br />
hat. Das wäre ja unser grösstes Exportgut gewesen.<br />
Aber eben: gewesen. Dem Jazz scheint das gleiche<br />
Übel zu blühen - er wird in keiner Weise erwähnt. Und<br />
vielleicht fi ndet sich in den nun folgenden Diskussionen<br />
die Erinnerung wieder, dass die Berner Kulturszene<br />
vor ca. 35 Jahren mit der Neuerschaffung<br />
des Amtes «Kultursekretär» eigentlich im Theater<br />
aufgewachsen ist. Warum will Bern nicht Theaterstadt<br />
sein, wo wir doch so viele Bühnen und gar<br />
eine Schauspielschule unser eigen nennen können?<br />
Der Fahrplan für das neue Konzept ist auf jeden<br />
Fall zu kurz gesteckt - bis Ende September sollen<br />
die «wichtigsten» Gespräche mit den Institutionen<br />
durchgeführt sein - das kann nicht sehr gut und weit<br />
kommen. (vl)<br />
JAPAN NOW 2005<br />
■ Shibusashirazu, um es gleich vorweg zu nehmen, ist<br />
zu heiss um cool zu sein. Shibusashirazu ist Programm.<br />
Die Japaner stellen mehr als 20 Musiker auf die Bühne,<br />
mit ihnen Reisen Go Go Girls, Butho TänzerInnen,<br />
Live Painter und jede Menge Schnick-Schnack, unter<br />
anderem ein 20 Meter Heliumdrachen. Der heisse Gipfel<br />
des Fernost Jazz tritt mit einer explosiven und einzig<strong>art</strong>igen<br />
Performance an, in der traditionelle japanische<br />
Tanz Formen ebenso Platz haben, wie sensationeller<br />
Multimedia Zauber. Seit 1998 zieht das Orchester um<br />
die Welt und begeistert. Vom freien Funk, zu opulenten<br />
Wagnerklängen, japanischem Enka und PowerJazz<br />
spielt die Combo alles, was die Götter zürnt, nur noch<br />
ein bisschen Durchgeknallter.<br />
Japan Now ist bereits das dritte Festival in seiner<br />
Art. Das Festival wurde von dem Theater- und Festivaldirektor<br />
Shigeo Makabe aus Tokio und dem Berner<br />
Buthotänzer und Choreografen Imre Thormann initiiert,<br />
um die unterschiedlichsten Formen zeitgenössischer<br />
japanischer Kunst in Europa zu zeigen. Vom erfolgreichen<br />
Punksänger zum Schweizermeister in Taekwon Do<br />
folgen sieben Jahre Unterricht mit Buthomitbegründer<br />
Kazuo Ohno und lebt seither in Tokyo. Als einer der<br />
führenden Butho Autoritäten eröffnete er seine eigene<br />
Buthoschule im Herbst 2002 in Tokyo. Ihnen ist es zu<br />
verdanken, dass sie uns Langnasen mehr über Japan<br />
wissen lassen als Sushibrötchen vom Coop. Und das<br />
schaffen sie defi nitiv mit dem spannenden Programm.<br />
Nebst dem auf keinen Fall coolen Orchester im Dachstock<br />
der Reitschule, werden in der Dampfzentrale nicht<br />
minder faszinierende Abende auf uns w<strong>art</strong>en. Am ersten<br />
09. sind Yui Kawaguchi & Ayako Shimizu zu Gast. Die<br />
beiden Tänzerinnen bringen ihre neue Kreation „Wenn<br />
ein Ei kaputt geht...“ auf die Bühne, Kubikukuri Takuzou<br />
hängt sich. Natürlich als Kunstform, verwirklicht das<br />
selbstmörderische Bild des Hängenden „Kubikukuri“<br />
und drückt Konfl ikte als Atmung aus. Postmodern zeitgenössisch<br />
ist seine P<strong>art</strong>nerin Mika Kurasowa. Ihre Performance<br />
erzeugt Doppelbilder zwischen Verstand und<br />
Verrücktheit. (sf)<br />
Vorstellungen:<br />
Dampfzentrale; 01.09. Yui & Ayako um 19:30<br />
Dampfzentrale; 02.09. Kurasowa & Kubikukuri um 19.30<br />
Dachstock; 03.09. Shibusa Shirazu Orchestra um 22:00<br />
Dampfzentrale; 04.09. Yamanote Jijosha um 19:30<br />
ACHTUNG HOCHWASSER:<br />
■ Im Mattequ<strong>art</strong>ier in Bern hat das Hochwasser einige<br />
Kulturveranstalter, wie auch Restaurants und Geschäfte,<br />
vorübergehend lahmgelegt. Wir hatten keine<br />
Möglichkeit die Produktion so rasch zu korrigieren -<br />
es erschien auch nicht sinnvoll, da man ja nicht weiss,<br />
wer, wann wieder für Publikum offen stehen kann.<br />
Also: Wer an der Aare Kultur konsumieren will, wird<br />
gebeten, sich in den Tageszeitungen oder direkt bei<br />
den Veranstaltern schlau zu machen. Und nebenbei:<br />
Vielleicht brauchen diese deine Hilfe. (sf)<br />
EMOTION DANCE<br />
■ Verbindend ist einzig HipHop. Dazwischen ist eine<br />
weite Spanne unterschiedlichster künstlerischer Leistungen<br />
die Brücken bilden zwischen Ballett und Rock,<br />
Jazz und Stepptanz. Kampfkunst, audiovisuelle und<br />
technische Reize unterstützen das gut 90-minütige<br />
Tanz- und Multimediaspektakel. Emotion’s 05 will die<br />
positive Seite des HipHop zeigen und die HipHop Kultur<br />
aus ihrem agressiven Milieu herausholen. Weg von der<br />
vorherrschenden Meinung HipHop sei bloss Gewalt, Sexismus<br />
und Hochstapelei. Emotion’s 05 geht zurück an<br />
die Wurzeln, mit modernsten Einfl üssen und geschickten<br />
Verbindungen zu Technik und Kultur. Dahin wo es<br />
gehört, mit positivem Lebensgefühl und leidenschaftlicher<br />
Beziehung zu Rhythmus und Bewegung. Emotion<br />
arbeitet mit den menschlichen Regungen. Angst, Liebe,<br />
Trauer und die breite Palette der menschlichen Seele<br />
gehören zum Tanz, der Körper steht dabei im Mittelpunkt.<br />
Emotion eben. Eine Veranstaltung die sich lohnt<br />
anzuschauen. (sf)<br />
Aufführungen: Theater am Käfi gturm, Bern:<br />
15. / 16. 09. um 20:00 & 17.09. um 18:00 & 21:00
ES IST. EINFACH.<br />
■ Alle Blicke nach Westen. Dass Bern immer etwas<br />
länger braucht, darüber macht die Welt ihre Witze. Den<br />
Kolumbus hätten wir schon vor vielen Jahren brauchen<br />
können. In den Jahren nach 2000 heisst dieser Kolumbus<br />
MIGROS oder Libeskind und das neue Land nennen<br />
wir Bümpliz. Und da geht’s hin im Dokumentarfi lm von<br />
Michael Spar und seinem Team: Bümpliz – Ein Tag in der<br />
urbanen Schweiz.<br />
Keine Grossstadt ohne Ghetto. Der Berner Übermut,<br />
Grossstadt sein zu wollen, vergisst zuweilen, dass wir in<br />
Bümpliz ein immenses Multikulti-Qu<strong>art</strong>ier besitzen. Da<br />
leben Menschen aus allen Ecken der Welt – gleich neben<br />
der grossen City. Einen Tag verbringen wir im Film mit<br />
ihnen und lernen die Charaktere dieser «Westler» kennen.<br />
Michael Spahr hat es verstanden, als Insider, Bern<br />
von aussen zu betrachten. Sein Fenster beleuchtet<br />
wertfrei ein Bern, welches uns spanisch erscheint. Ein<br />
Bild von Aussichts- und Ausdruckslosigkeit, Dankbarkeit<br />
und einer Realität, die wir nicht kennen wollen. Oder<br />
doch? Sollten wir uns nicht – da die Einkaufsmeile gegen<br />
Westen führt – mit unserer Zukunft auseinandersetzen?<br />
Sind es nicht gerade Charaktereigenschaften von<br />
uns allen, sind nicht wir die ProtagonistInnen in diesem<br />
Film?<br />
Über 32‘000 Menschen wohnen in Bümpliz. Je länger<br />
wir abtauchen in den kleinen Alltagsgeschichten unserer<br />
Nachbaren, desto überraschender werden die Aus-<br />
sagen und die Statements. Erstickend eng wird es im<br />
Westen. Nüchtern scheissegal. Mach und denk was du<br />
willst. Ich kenne den Namen meiner Nachbaren nicht.<br />
Und das ist wahr. Wir glauben es, weil keiner ruft, es<br />
sei ein Witz. Und trotzdem ist Bümpliz eine Chance. Die<br />
Rapgruppe, welche zum Film gleich den Soundtrack geliefert<br />
hat, hat bei einem grossen Major Platz gefunden.<br />
Die Platzger sind eine Gemeinschaft, im Coiffeursalon<br />
ist viel los, das Binzguet kennen wir bereits selber und<br />
der Bauer hat alle Hände voller K<strong>art</strong>offeln. Und es geht<br />
ihnen gut. Sie sind. Ganz einfach.<br />
Der Film zeigt langsam und respektvoll, wovon wir<br />
vielleicht nicht träumen oder was wir vielleicht nicht<br />
sein möchten. Und trotzdem ist es nicht schlecht,<br />
Bümplizer zu sein – auch wenn dies wie ein suggestives<br />
Mantra klingt. Im Gegenteil. Die porträtierten Menschen<br />
sind echt, wirklich und unsere Nachbarn. Sie haben etwas<br />
aus ihren Leben gemacht. Es ist nicht einfach in<br />
Bümpliz – davon können wir tatsächlich nur träumen.<br />
(vl)<br />
Bümpliz – Ein Tag in der urbanen Schweiz<br />
Filmpremiere: Mittwoch, 21. September // 20.15 h<br />
Auf dem Heuboden Bienzgut in Bümpliz (Postkreisel),<br />
Bernstrasse 77<br />
K U L T U R N O T I Z E N<br />
TOP SECRET<br />
■ Information is Power. Das sagen sich auch die<br />
Geheimdienstler. Und die Wirtschaftsspione. Und<br />
die Hacker. Spätestens seit Computer und der öffentlich-zivilen<br />
Nutzung des WWW sollte jede/r ein<br />
wenig hinter die Informationsgewinnung moderner<br />
Informationstechnologie schauen und verstehen<br />
um was es hier geht. Sie haben das sicher schon gehört:<br />
Von Terroristen wird vermutet, dass sie geheime<br />
Botschaften in digitalen Bildern verstecken und<br />
sich so ungestört austauschen können. Vielleicht<br />
haben sie schon von der National Security Agency,<br />
NSA, dem grössten amerikanischen Geheimdienst<br />
gehört. Sie wurde im Auftrag von Harry Truman in<br />
den 40er Jahren gegründet und wurde über Jahre<br />
geheim gehalten. Die Aufgabe des Superdienstes<br />
ist es, „nützliche“ Daten abzufangen, darunter ausländische<br />
Nachrichtenverbindungen. Sie stehen im<br />
Verdacht, mit dem Abhörsystem Echelon weltweit Emails,<br />
Faxe und Telefongespräche abzuhören. Auch<br />
in der Schweiz, obwohl die Schweizer Dienste nicht<br />
gerne darauf angesprochen werden.<br />
Auch Windows 2000 machte von sich reden, das,<br />
wie Hacker zeigen konnten, einen vordefi nierten<br />
Generalschlüssel für asymmetrisch verschlüsselte<br />
Verbindungen besaß - und dessen Eigentümer unter<br />
der Bezeichnung «NSA» fi rmierte. Entsprechenden<br />
Gesetzesinitiativen in den USA, die den Gebrauch von<br />
Verschlüsselungsmethoden regulieren oder staatlichen<br />
Stellen eine Entschlüsselungsgarantie geben<br />
sollten, blieben schließlich erfolglos. Der Supersauger<br />
ist Arbeitgeber von sage und schreibe 16‘000 Mathematikern,<br />
darunter einige „umgedrehte“ Superhacker.<br />
Kein Wunder ist die NSA auf dem Gebiet der<br />
Verschlüsselung der Öffentlichkeit um Jahre voraus.<br />
Spionage software die sich auf ihrem Computer<br />
selber installiert weiss genau über ihr Surfverhalten<br />
Bescheid, registriert ihre Bewegungen, leuchtet ihr<br />
Surfverhalten aus, bombardiert sie mit Werbung, oder<br />
mit bös<strong>art</strong>igen Viren, oder klaut ihnen Passwörter.<br />
Der Phantasie zum Schutz vor echten und eingebildeten<br />
Bedrohungen sind keine Grenzen gesetzt: Schlüssel<br />
und Codes werden entwickelt. Wer kennt sich in<br />
diesen Kommunikationslabyrinthen noch aus? Dieser<br />
Frage geht die Führung TOP SECRET nach.<br />
Auf dem gut einstündigen Rundgang werden<br />
aber auch Geschichten aus der Vergangenheit zu<br />
hören sein. Zum Beispiel von den «Simpsons» im<br />
Museum für Kommunikation. Oder warum die Geschichte<br />
Englands wohl anders verlaufen wäre, hätte<br />
Maria Stu<strong>art</strong> die Häufi gkeitsanalyse gekannt. Exklusiv<br />
wird ausserdem eine originale Chiffriermaschine<br />
der Schweizer Armee in Betrieb genommen. Und zu<br />
guter Letzt nimmt die Führung noch den eigenen<br />
Schlüsselbund genauer unter die Lupe. Sie werden<br />
staunen, was der Bruder über sie weiss... (sf)<br />
Top Secret<br />
Museum für Kommunikation, Helvetiastrasse 16,<br />
Bern. Jeweils sonntags; 14:00. Anmeldung bis 5 Minuten<br />
vor Führungsbeginn am Museumsempfang.<br />
Die Führung ist im Eintritt inbegriffen.<br />
5
6 K U L T U R & G E S E L L S C H A F T<br />
TILL HILLBRECHT<br />
sprachlosigkeit einer kultur<br />
Wenn das Baskenland seine Kultur nicht mehr versteht<br />
■ Man stellt den Unterschied zum touristischen Teil<br />
San Sebastians sofort fest. Als ich vom belebten Teil<br />
des Gros-Qu<strong>art</strong>iers in eine schmale gepfl asterte Gasse<br />
einbiege, schielen mir Augen entgegen, die mich sofort<br />
als Zaungast entlarven. Tische und Bänke kleiner<br />
Bistros säumen das Trottoir, Einheimische sitzen und<br />
stehen entlang der Strasse, einige schlürfen Sidra. Ich<br />
fühle mich wohl hier, die Gegend passt zu mir. Die Kneipen<br />
und Lädchen erinnern mich an die heimische Lorraine,<br />
wo man in Bern heute noch dann und wann ein<br />
authentisches Qu<strong>art</strong>ier(be-)leben fi ndet. Aber ich bin in<br />
Donostia, baskisch für San Sebastian und stehe vor der<br />
Bar, in der ich verabredet bin. Es ist zu früh für die Einwohner,<br />
das Lokal ist so gut wie leer, nur Musik füllt den<br />
Raum und die übrigen Pintxos vom Mittagessen, die auf<br />
dem Tresen stehen. Daran angelehnt steht Iñaki, meine<br />
Verabredung. Er winkt mir lächelnd zu. Iñaki ist ein<br />
junger baskischer Journalist und mit der ersten kurzen<br />
Begegnung ein Freund von mir geworden. Er kennt die<br />
Missstände, die hier im Herzen des Baskenlandes herrschen,<br />
aus erster Hand. Er muss sie erleiden, mit ihnen<br />
umgehen, sie bekämpfen und er will in diesem Kampf<br />
gewinnen. Damit entspricht Inaki dem Ideal des militanten<br />
ETA-Anhängers, dem Bild, welches als Synonym für<br />
die baskische Unabhängigkeitsbewegung in den Rest<br />
der Welt übermittelt wird. Nun, militant wäre das letzte<br />
Wort, welches ich für den Beschrieb dieser unauffälligen<br />
und scheu wirkenden Person benutzen würde. Und<br />
Mitglied der ETA ist Iñaki schon gar nicht. Das einzige<br />
Mittel, welches er im Kampf um seine eigene Kultur<br />
einsetzt ist die Feder. Sein Arbeitsgeber publiziert eine<br />
ausnahmslos in Euskera verfasste Zeitung.<br />
Euskera, die Landessprache der Basken, ist die einzige<br />
Europas, die nicht indoeuropäischen Ursprungs ist<br />
und wird von Linguisten als eine der ältesten Sprachen<br />
Europas geschätzt. Drei von vier Provinzen sind bilingual,<br />
offi ziell wird in Spanisch und Euskera beschildert.<br />
Doch Euskera wird heute nur noch von rund einer halben<br />
Million Menschen gesprochen. Zwar ist das Bestreben<br />
gross, die Kastilianisierungspolitik der Ära Francos rückgängig<br />
zu machen, doch sein fast 40 Jahre andauerndes<br />
Sprachverbot hat das Kulturerbe einer ganzen Generation<br />
ausgelöscht, der Sprachraum schwindet mehr und<br />
mehr. Damit die Landsleute ihre Sprache nicht verlieren,<br />
ihre wundersame Kultur behalten können und auch für<br />
ihre Unabhängigkeit- dafür setzt sich Inaki ein. Diese<br />
Arbeit ist h<strong>art</strong> und nicht ungefährlich. Menschen, die<br />
sich in irgendeiner Form für das Baskenland engagieren<br />
stehen im Visier Spaniens, Zensur waltet willkürlich und<br />
nagt an allen Euskera-Medien. Viele sind ihr schon zum<br />
Opfer gefallen. Aus Journalisten werden schnell einmal<br />
Verschwörer, aus Kulturunterstützenden Volksmanipulanten<br />
und aus Demonstranten Terroristen.<br />
«I`m a rebel», witzelt Iñaki und belächelt diesen<br />
Umstand. Seine friedvolle Art macht die Schilderung<br />
seiner Erlebnisse im Konfl ikt mit Spanien nur noch ungläubiger.<br />
Iñakis Blick schweift durch die Bar, bleibt an<br />
einem Plakat heften, sein Gesichtsausdruck wird ruhig.<br />
Für einen Moment herrscht Stille und ich weiss nicht, ob<br />
ihm gleich Tränen kommen. Doch es kommt wiederum<br />
ein Lächeln und er schaut zu mir. Das Plakat zeigt einen<br />
baskischen Häftling, der in diesen Tagen das Gefängnis<br />
auf Kaution verlassen darf und nun auf seinen Prozess<br />
w<strong>art</strong>et. Er ist ein Freund Iñakis. Was er getan hat? Er<br />
hat Familien geholfen, die ihre Verwandten hinter Gittern<br />
besuchen wollen. Die Spanische Regierung sieht<br />
vor, Basken in Gefängnisse auf der anderen Seite des<br />
Landes zu bringen. Für eine Mutter bedeutet dies bis<br />
zu 800 km Reise um eine halbe Stunde mit ihrem Sohn<br />
sprechen zu dürfen. Was aber ist nun der Grund für die<br />
Verhaftung dieses Mannes? Ich schreibe es noch mal:<br />
Er unterstützt Familien, die Angehörige hinter Gittern<br />
haben…<br />
Jaizkibel, 455 m.ü.M. Wir stehen auf der Spitze des<br />
dicht und grün bewachsenen Ausläufers der Pyrenäen.<br />
Die Landschaft ist weitgehend unberührt, nur kleine<br />
Trampelpfade führen umher und sähe ich in der Ferne<br />
nicht den dunkelblauen Strich des Meeres, könnte<br />
ich mir diesen wunderschönen Fleck genauso gut in<br />
die Schweiz denken. Dornige Büsche wehen im Wind,<br />
Eidechsen huschen davon. Iñaki erklärt mir das Panorama,<br />
als ich weit hinter uns Gewehrsalven vernehme.<br />
«Das spanische Militär», sagt mir Iñaki beiläufi g. Die Armee<br />
hat inmitten dieses Naturparks einen Übungsplatz<br />
erstellt. Ein wenig irritiert wende ich meinen Blick zum<br />
nördlichen Fuss des Jaizkibel und rechne mir aus, dass<br />
dieser Küstenabschnitt bereits zu Frankreich gehören<br />
müsste. Iñaki bestätigt: «Legalerweise schon.»<br />
Photos: Patricia Vazquez<br />
Iñakis Theorie zufolge ist die zum Teil schwer erreichbare<br />
hügelige Landschaft der Grund, weshalb Invasoren<br />
über lange Zeit fern blieben. Dies würde auch<br />
erklären, weshalb die baskische Sprache ohne wesentliche<br />
Veränderungen bis heute erhalten blieb und sich<br />
innerhalb der baskischen Grenzen ein eigenes, überaus<br />
intensives Kulturleben und -streben abspielt. Kultur und<br />
Tradition geniesst namentlich in San Sebastian einen<br />
sehr hohen Stellenwert. Die Erklärung ist simpel: Wäre<br />
etwa die Schweiz seit langem in einen Unabhängigkeitskonfl<br />
ikt verzettelt und das Volk müsste um seine Souveränität<br />
zittern, entstünde ein ähnlicher Effekt. Traditionen<br />
würden aus ihrem Dornröschenschlaf aufwachen,<br />
volkstümliches Treiben erhielte einen immensen Popularitätsschub.<br />
Der Identitätslose verschafft sich so ein<br />
Gesicht, Kultur bleibt präsent, sie wirkt als Bindeglied<br />
einer Nation. Und genau dies geschieht im Baskenland:<br />
Das Volk will sich identifi zieren mit seinem Land, mit seiner<br />
Besonderheit und daraus gedeihen wertvolle Früchte.<br />
Im Unterschied zu anderen Völkern engagieren sich<br />
nämlich vor allem junge Menschen für ein Fortbestehen<br />
der Kultur – ältere Generationen haben im Diktat Francos<br />
Sprache und Tradition fast gänzlich verloren. Diese<br />
Lücke hat als traurige Folge eine Art Analphabetismus<br />
mit sich gebracht, deren Auswirkungen sich erst in diesen<br />
Jahren zeigten: Älteren Menschen, die während<br />
Francos Diktatur nicht in Euskera sondern in Spanisch<br />
unterrichtet wurden, haben oftmals ein Wortschatzdefi<br />
zit und das Manko der Schreibkenntnisse ist zu gross,<br />
um der Alltagskommunikation gerecht zu werden. Ein<br />
Teufelskreis: Anhand der geografi schen Sprachgebieten<br />
zeigt sich, dass die baskische Kultur vor allem dort verbreitet<br />
ist, wo hauptsächlich Euskera gesprochen wird.<br />
Um das Kulturleben in jenen Regionen anzukurbeln, in<br />
denen vorwiegend Spanisch gesprochen wird, muss zuerst<br />
wieder Euskera unterrichtet werden. Und das weiss<br />
die spanische Regierung mit Erfolg zu verhindern. Die<br />
Sprache bleibt der Brückenschlag zwischen Menschen<br />
und Kulturen und wo Sprache nicht ist, ist auch keine<br />
Kultur.<br />
Betritt man aber die baskischen Hochburgen – San<br />
Sebastian/Donostia etwa – lässt sich durch eine Vielzahl<br />
verschiedener Eigentümlichkeiten den Gegensatz zu benachb<strong>art</strong>en<br />
Spanischen Provinzen feststellen. Zum Bei-
spiel eine ganze Reihe typischer Sport<strong>art</strong>en, allen voran<br />
das «Pelota-Spiel». Eine atemberaubende Version des<br />
Squash, deren Anzahl fanatischer Anhänger genauso<br />
so hoch ist wie der Wett-Umsatz, der damit erzielt wird.<br />
Und jedes Jahr säumen Abertausende von Menschen<br />
das hügelige Gelände um den Hafen, um die Regatta der<br />
«Traineras», heimischen Ruderbooten, mitzuverfolgen:<br />
Einem Rudersportwettbewerb, der seinen Ursprung<br />
darin fi ndet, dass sich die Fischer in ihren «Traineras»<br />
in Schnelligkeit konkurrenzierten- um den frischesten<br />
Fisch zu verkaufen.<br />
Es ist Samstag, wir treffen uns zu zum Zipotz-Strassenfest<br />
in Gros. Sidra, eine Art Apfelwein und baskische<br />
Spezialität, wird aus mannshohen Holzfässern gegossen,<br />
dazu gibt’s Fisch, Käse und Früchte. «Tschotsch»,<br />
ruft Iñaki lautstark und von überall her «Tschotscht» es<br />
zurück, es ist die Aufforderung für ein weiteres Glas Sidra.<br />
Iñaki klärt mich über die «Bertsolari» auf, ein interessantes<br />
Stück baskischer Kultur: Das Publikum wählt ein<br />
bestimmtes Thema aus und eine handvoll «Bertsolari»<br />
singen improvisierte Texte zum ausgewählten Begriff.<br />
Fast würde ich mich zur Aussage verleiten lassen, dass<br />
ich hier die Vorreiter des Freestyle-Rap gefunden habe.<br />
Ich sehe Menschen in verschiedenen Trachten umherwirbeln,<br />
Sänger zupfen die Saiten ihrer Gitarren und erzählen<br />
baskische Geschichten, das Publikum stimmt in<br />
die Texte ein. Später spielen junge Bands, vor allem aus<br />
dem hier weitverbreiteten sozialkritischen Metal-Genre<br />
und singen von nichts anderem, was auch die Künstler<br />
der Volkstümlichen Musik zuvor nicht schon manifestierten.<br />
Auf Euskera versteht sich, soll heissen, ich verstehe<br />
nichts. Iñaki erklärt: Vieles sind Klagelieder, aber<br />
man hat Freude. Eine gesunde Melancholie macht dem<br />
positiven Geist der Veranstaltung platz. Die Vergangenheit<br />
nicht vergessen, aber mit Zuversicht in die Zukunft<br />
blicken.<br />
San Jose, Hafennähe. Ich sitze mit Iñaki am Meeresufer<br />
in einem kleinen Fischerdorf, die Sonne verschwindet<br />
hinter dem Jaizkibel, nur das Wasser dient einigen<br />
Strahlen noch als Spiegel. Eine Trainera-Equipe trainiert<br />
darauf, dann und wann rufen ihnen Anwohner unterstützende<br />
Worte zu. Ich sehe von hier aus das Gemeindehaus,<br />
baskische Parolen zieren seine Wände. Dass die<br />
Situation alles andere als bereinigt ist, merkt man auch<br />
im hintersten Ecken San Sebastians. In den Dörfern und<br />
auch in der Stadt hängen politische Plakate von den<br />
Dächern und militanter noch sind Parolen, die an die<br />
Hauswände geschmiert sind. «Gora ETA!» heisst es da<br />
zum Beispiel: Hoch lebe die ETA! Mit grossen Bildern<br />
wird den Häftlingen gedacht, man zelebriert sie als kleine<br />
baskische Guevaras. Iñaki weiss, dass niemals Gewalt<br />
das Mittel sein wird, welches den Weg in die Unabhängigkeit<br />
ebnet. Er unterstützt den militanten Kampf nicht<br />
– kann ihn aber auch nicht beenden. Es ist wie in allen<br />
anderen Konfl ikten dasselbe: Eine Brut wird tollwütig,<br />
weil sie von Gewalt anderer infi ziert wird. Die Unabhängigkeitsbewegung<br />
ist mit enormer Kraft präsent, die<br />
Angst vor dem Verlorengehen treibt sie an. Menschen<br />
wie Iñaki wollen die Unabhängigkeit nicht um jeden<br />
Preis. Aber sie wollen, dass das Baskische Volk selbst<br />
entscheiden darf, ob ihrer Kultur und ihrer Sprache eine<br />
Zukunft geschenkt werden soll oder nicht.<br />
Iñaki blickt aufs Meer zurück. Nachdenklich, aber lächelnd.<br />
7
8<br />
B Ü H N E<br />
SARAH STÄHLI<br />
familie als spiegel der machtgesellschaft<br />
«das fest» von thomas vinterberg und mogens rukov am stadttheater bern<br />
ein gespräch mit der regisseurin barbara-david brüesch<br />
■ Filme für die Bühne zu adaptieren ist zurzeit sehr beliebt.<br />
Selten eignete sich jedoch eine fi lmische Vorlage<br />
besser dafür als der Dogma-Film «Festen» («Das Fest»)<br />
des dänischen Regisseurs Thomas Vinterberg.<br />
«Festen» erzählt von einem Familienfest, das von einem<br />
Moment auf den anderen vom Feucht-fröhlichen ins tief<br />
Tragische kippt.<br />
Der Autor Vinterberg beschreibt sein Drama so: «Das<br />
Fest ist ein Stück über den Willen des Vaters und den<br />
verlorenen Sohn, über die Nähe des Todes und die Ferne<br />
der Lebenden, über die Bande des Bluts und darüber,<br />
wie es ist, seines Bruders Hüter zu sein. Ein Stück über<br />
Liebe, Eifersucht und Fremdenangst, über den kühlen<br />
Charme der Bourgeoisie und die warmen Arme der Stubenmädchen...».<br />
Das Familiendrama lässt sich mühelos in die Tradition<br />
der skandinavischen Dramatiker Ibsen und Strindberg<br />
einreihen, der Sohn erinnert nicht nur entfernt an<br />
Shakespeares Hamlet.<br />
Selten war Film näher am Theater, als mit der Dogma-Bewegung.<br />
Vinterberg hat bereits während des Drehens<br />
daran gedacht, «Festen» auf die Bühne zu bringen<br />
und der zweite Initiant des Dogma-Manifests, Lars<br />
von Trier, hat sich mit seinem letzten Film «Dogville»<br />
mehr und mehr vom Film zum Theater hin entwickelt.<br />
Andererseits ist Vinterbergs «Festen» vor allem auch<br />
fi lmisch interessant. Als erster Dogma-Film überhaupt<br />
krempelte der Film unsere Sehgewohnheiten um und<br />
vermittelte einen beinahe unerträglichen Realismus.<br />
Nach dem Grosserfolg der Theaterversion auf diversen<br />
Bühnen feiert «Das Fest» nun am Stadttheater Bern<br />
seine Schweizer Erstaufführung. Die junge Regisseurin<br />
Barbara-David Brüesch führt Regie. Brüesch, 1975 in<br />
Chur geboren, studierte Regie an der Hochschule für<br />
Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und inszenierte<br />
unter anderem am TiF (Theater in der Farbik) in Dresden,<br />
am Zürcher Neumarkttheater und am Theaterhaus<br />
Gessnerallee.<br />
Es ist sicherlich nicht einfach, zu inszenieren, wenn<br />
bereits eine vollkommene Inszenierung besteht. Barbara-David<br />
Brüesch wählt mit ihrem «Fest» einen Mittel-<br />
weg: Möglichst weit weg vom Original, gleichzeitig die<br />
Psychologie und Nähe des Filmes beibehalten und die<br />
Form des Filmes geschickt für die Bühne übersetzen. Im<br />
Gespräch, das in einer Probenpause stattfi ndet, meint<br />
sie: «Man muss auf der Bühne im Vergleich zum Film<br />
alles vergrössern. Ich fände es schade, den Film einfach<br />
nachzuinszenieren. Die Geschichte von «Festen» nochmals<br />
zu erzählen, lohnt sich jedoch auf jeden Fall; sie ist<br />
sehr theaternah.». Das Interesse an einer Auseinandersetzung<br />
mit «Das Fest» kam folglich in erster Linie der<br />
Geschichte wegen. Für Brüesch, die mit Vorliebe Stücke<br />
junger Autoren erarbeitet – unter anderem seit ihrer Arbeit<br />
am TiF, wo fast ausschlieslich Jungautoren gespielt<br />
werden – gehört Vinterbergs Text «zum Besten, was es<br />
zurzeit an neuen Stücken zu lesen gibt». Für die Berner<br />
Inszenierung wird jedoch nicht die vom Autor umgeschriebene<br />
Bühnenfassung verwendet sondern das<br />
Originaldrehbuch zu «Festen». Einiges musste jedoch<br />
umgeschrieben werden, z.B. der Szenenablauf: «dem<br />
Theater fehlt halt die Schnitttechnik des Filmes!» meint<br />
Brüesch. Die Bühnenfassung, die Vinterberg zusammen<br />
mit Mogens Rukov, dem Drehbuchmentor der dänischen<br />
Filmschule, verfasst hat, wirke stellenweise zu sehr so<br />
«wie sich ein Filmemacher Theater vorstelle». Der Stoff<br />
eigne sich ausgesprochen gut für die Bühne: «Für mich<br />
ist «Das Fest» ein klassisches Königsdrama. Es geht um<br />
Machtstrukturen im Grossbürgertum, in einer Machtgesellschaft.<br />
Die Machtablösung ist für mich Hauptthema.<br />
Macht, die Gefühlskälte, Unterdrückung zur Folge hat<br />
und schliesslich die Revolution dagegen.»<br />
Das Inzest-Thema sieht die Regisseurin eher als ein<br />
Mittel zum Zweck. «Der Missbrauch seiner Kinder ist lediglich<br />
die Form, in der der Vater seine Macht ausübt, er<br />
könnte dies genauso gut in einer andern Form tun». Das<br />
Familiendrama stehe für sehr viel mehr, für ein Gesellschaftsbild,<br />
ein Urbild «die Figuren sind sehr archaisch,<br />
es sind Prototypen, trotz dem Psychologischen und Filmischen,<br />
das sie auch besitzen» .<br />
Obwohl sich die Inszenierung vom Filmvorbild lösen<br />
will, scheint die formale Umsetzung auf der Bühne vom<br />
Film inspiriert. «Wir haben versucht den Einsatz der<br />
Handkamera im Film auf die Bühne zu übersetzen. Wie<br />
zeigt man z.B. ein Close-up? Mit dem ziemlich extremen<br />
Bühnenbild haben wir eine sehr formale Lösung gefunden».<br />
Die Familiengesellschaft sitzt hinter einer Glaswand,<br />
gespielt wird vor und hinter der Wand, so wird<br />
Nähe und Ferne suggeriert, die an Filmeinstellungen<br />
erinnert. «Ich will dieses Eingesperrte, diese klaustrophobische<br />
Stimmung einfangen». Die Stimmen der<br />
Schauspieler sind verstärkt und scheinen ganz nahe.<br />
Gesprochen werde ganz natürlich, nicht in einer «Theatersprache».<br />
Das Realistische des Filmes will die Regisseurin<br />
in der Stimme, in der Sprache beibehalten «die<br />
Gestik, das Darstellen, jedoch extrem vergrössern. Die<br />
Psychologie wie aufblasen.».<br />
Ein wichtiger Bestandteil in Brüeschs Arbeit ist der<br />
Einsatz von Musik. Die zwei Musiker der Gruppe «strøm»<br />
gehören, wie auch der Bühnenbildner und die Kostümbildnerin,<br />
zu Brüeschs festem Team. «Obwohl das Stück<br />
an unterschiedlichen Orten spielt machen wir keinen<br />
Bildwechsel. «strøm» bauen mit ihren Klangwelten die<br />
Räume.»<br />
«Das Fest» von Thomas Vinterberg<br />
und Mogens Rukov<br />
Schweizer Erstaufführung<br />
Inszenierung: Barbara-David Brüesch<br />
Bühne: Damian Hitz<br />
Kostüme: Adelheid Walter<br />
Musik: strøm<br />
Dramaturgie: Rainer Hofmann<br />
Mit: Matthias Brambeer, Heidi Maria Glössner,Grazia<br />
Pergoletti, Nils Torpus, Thomas<br />
Pösse,Ragna Guderian, Stefano Wenk,<br />
Fabienne Biever, Uwe Schönbeck u.a.<br />
Premiere: Samstag 10. September um 19:00 im<br />
Stadttheater Bern<br />
13., 21. & 28. September um 19:30<br />
letzte Vorstellung: 29. November<br />
Bild: zVg.
Ein Brocken Literatur<br />
Thomas Mann:<br />
Buddenbrocks – Verfall einer Familie. Roman.<br />
■ Das 50. Jubiläum von Thomas Manns Todestag<br />
(er verstarb am 12. August 1955 in Zürich) scheint ein<br />
guter Anlass, um den vielbesprochenen Roman «Buddenbrocks<br />
– der Verfall einer Familie» noch einmal zu<br />
besprechen. Denn was Mann mit seinem ersten grossen<br />
Erfolg gelungen ist, nämlich seine Figuren aus einer humorvollen<br />
Distanz zu zeichnen, ja, sie geradezu zu karikieren,<br />
daran vermochte er zwar später in Ansätzen<br />
wieder anzuschliessen (man denke nur an das Personal<br />
des Zauberbergs), die Leichtigkeit seines Erstlings<br />
bleibt jedoch diesem allein vorbehalten.<br />
Auch wenn hier der Verfall der Lübeckschen Kaufmannsfamilie<br />
Buddenbrocks über vier Generationen<br />
geschildert wird, wird deren Niedergang mit Humor gezeichnet.<br />
Führt der Repräsentant der dritten Generation Thomas<br />
Buddenbrocks das alteingesessene Familienunternehmen<br />
zu ungeahntem Erfolg und wird selbst sogar<br />
zum Senatoren ernannt, ist damit der Zenit erreicht<br />
und die sich zum Patriziat zählende Familie sieht sich<br />
den Mächten einer neuen Zeit unterworfen, in welcher<br />
althergebrachte Hierarchien nicht mehr so ohne weiteres<br />
als verbindlich gelten. Das Familienoberhaupt hat<br />
nicht nur mit unliebsamen Konkurrenten von neureicher<br />
Provenienz, sondern auch mit den Eskapaden seiner<br />
Schwester Antonie sowie seines Bruders Christian<br />
zu kämpfen. Findet erstere weder für sich noch für ihre<br />
Tochter das erhoffte Glück im heiligen Stand der Ehe,<br />
gibt sich letzterer lieber seinen Leiden und seiner Leidenschaft<br />
für die Schauspielerei hin.<br />
Thomas aber, der zeitlebens aufs Äusserste auf Reinlichkeit<br />
bedacht ist, hat das Unglück, in geradezu lächerlicher<br />
Weise das Zeitliche segnen zu müssen: er stirbt in<br />
seinem eigenen Schmutz an den Folgen eines vereiterten<br />
Zahnes auf der Strasse. Sein Sohn Hanno, benannt<br />
nach Johann Buddenbrock, dem Begründer der Dynastie,<br />
vermag dem auf seinen Schultern lastenden Druck<br />
nicht standzuhalten und fl üchtet sich zunächst in die<br />
Künste, später in den Tod.<br />
Nicht von ungefähr gilt Manns Roman als Meilenstein<br />
der Literaturgeschichte, lassen Sie sich nicht von der<br />
Seitenzahl abschrecken.<br />
Mann, Thomas: Buddenbrocks – Verfall einer Familie.<br />
Roman. Als Paperback beispielsweise erschienen im S.<br />
Fischer Verlag. Frankfurt am Main 1997. S. 783.<br />
Eine andere Sicht auf Vergangenes<br />
Jean-Pierre Richardot: Die andere Schweiz – Eidgenössischer<br />
Widerstand 1940-1944. Essay.<br />
■ Die Vergangenheitsbewältigung des 2. Weltkriegs<br />
setzte in der Schweiz erst relativ spät (in den 90er Jahren)<br />
und auf Druck von Aussen hin ein. Anders als in<br />
Deutschland, wo der Begriff der «Erinnerungskultur»<br />
geradezu infl ationär verwendet wird, gelang es hier, bis<br />
auf wenige Aussnahmen, nicht eine öffentliche Diskussion<br />
zu entfachen.<br />
So wurde zwar mit Bundesgeldern eine historische<br />
Aufarbeitung der Vergangenheit ermöglicht (Bergier-<br />
Kommission), diese stiess jedoch mit ihrer schonungslosen<br />
Darstellung einen Grossteil der Kriegsgeneration<br />
vor den Kopf.<br />
Dem französischen Journalisten Jean-Pierre Richardot<br />
ist nun gelungen, was den Historikern misslungen<br />
ist, nämlich nachzuweisen, dass ein schweizerischer Widerstand<br />
gegen ein totalitäres Regime durchaus bestanden<br />
hat. Ein Widerstand, der die deutsche Kultur an sich<br />
nie mit dem Nazi-Regime gleichsetzte, wie Richardot<br />
betont.<br />
Richardot, der seine Kindheit in der Schweiz verbrachte,<br />
ist in seiner Darstellung nicht immer frei von<br />
Nostalgie, ja, er wird teilweise sogar von einer «Helvetophilie»<br />
übermannt, die ihresgleichen sucht. Würdigt<br />
er einerseits die liebralen Journalisten- und Offi zierskreise,<br />
vergisst er auch das einfache Volk nicht, dessen<br />
Majorität er zuschreibt, während des gesamten Krieges<br />
auf Seiten der Allierten gestanden zu haben.<br />
Sein Essay ist ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung<br />
mit einer Vergangenheit und deren Protagonisten,<br />
die von der Nachkriegsgeneration mehrheitlich als<br />
negativ, nicht zuletzt als beschämend wahrgenommen<br />
wird, dies umso mehr als es sich hier nicht um das Werk<br />
eines Schweizers handelt.<br />
Richardot, Jean-Pierre: Die andere Schweiz – Eidgenössischer<br />
Widerstand 1940-1944. Essay. Aus dem Französischen<br />
übersetzt von Yla von Dach und Gabriela Zehnder.<br />
Aufbau-Verlag. Berlin 2005. ISBN 3-351-02584-X. S.<br />
258.<br />
In Halbwelten entführt<br />
L I T E R A T U R<br />
Banana Yoshimoto: hardboiled/ hard luck.<br />
Erzählungen.<br />
■ Die im Japanischen bereits 1988 erschienen Erzählungen<br />
hard boiled bzw. hard luck der im deutschsprachigen<br />
Raum hinlänglich bekannten Autorin Banana Yoshmito,<br />
liegen nun erstmals in englischer Übersetzung<br />
vor.<br />
Wie in ihren Romanen Kitchen oder Amiita verfl icht<br />
sich auch in diesen beiden kleinen Werken Traum und<br />
Wirklichkeit. Handelt die erste Geschichte von der Liebe<br />
zwischen zwei Frauen, deren Trennung und dem Unfalltod<br />
der einen, haftet ihr trotz der grossen Themen<br />
nichts Dramatisches an. Viel mehr erhält der Leser den<br />
Eindruck, als ob sich die Figuren ihrem Schicksal nicht<br />
entziehen könnten, wobei sie dieses ohne Widerspruch<br />
akzeptieren. Die Macht des Transzendenten scheint<br />
allgegenwärtig: so stösst die Hinterbliebene auf ihrer<br />
Wanderung auf einen Schrein, dessen seltsame Energien<br />
sie auch die nächsten Tage ihres Ausfl uges verfolgen<br />
sollen.<br />
Hard luck hingegen erzählt von einem Mädchens,<br />
dessen komatöse Schwester im Krankenhaus künstlich<br />
am Leben erhalten wird. Dort begegnet sie dem ausgefl<br />
ippten Bruder des Verlobten ihrer Schwester Kuni und<br />
eine unmögliche Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf.<br />
Als Kuni kurze Zeit darauf für hirntot erklärt wird und<br />
die lebenserhaltenden Massnahmen eingestellt werden,<br />
fehlt der Ort, an welchem sich die beiden treffen können.<br />
Nun erst beginnt die wirkliche Trauerarbeit, denn<br />
bis anhin war Kuni zumindest körperlich noch präsent.<br />
Auch in diesen kleinen Meisterwerken, deren poetischer<br />
Sprache der Leser sich kaum entziehen kann, stehen<br />
die grossen Themen Yoshimotos Liebe, Tod und die<br />
Geister der Toten, im Zentrum. Man lässt sich nur allzu<br />
gerne in ihre Halbwelten entführen.<br />
Yoshimoto, Banana: hardboiled/ hard luck. Erzählungen.<br />
Aus dem Japanischen übersetzt von Michael Emmerich.<br />
Faber and Faber. London 2005. ISBN 0-571-22782-1. S.<br />
89 bzw. S. 60.<br />
9
10<br />
K U L T U R & G E S E L L S C H A F T<br />
EVA PFIRTER<br />
versuch über die poesie<br />
■ Was hat Poesie mit Sport zu tun? Gar nichts, möchte<br />
man meinen. Und doch gibt es seit einiger Zeit ein Phänomen<br />
im Sportzirkus, das eine solche Parallele zulässt,<br />
ja sogar fordert. Das Phänomen heisst Roger Federer.<br />
Und schlägt den wichtigsten Schlag des Weissen Sport<br />
perfekt: den Aufschlag.<br />
Wimbledon im Sommer 2003: Roger Federer fällt auf<br />
die Knie, schlägt die Hände vors Gesicht und sinkt von<br />
Emotionen überwältigt auf den Heiligen Rasen. Er hat<br />
zum ersten Mal sein Idol Pete Sampras geschlagen. Und<br />
das nicht irgendwo. Wimbledon ist für die Tenniswelt das<br />
wichtigste Turnier überhaupt: Tennis auf einer schwierigen,<br />
manchmal unberechenbaren Unterlage. Unter oft<br />
widrigen Umständen wie Wind und Regen. Mitten im<br />
Tennis-Jahr zwischen ausklingender Sand-Saison in Rom<br />
und beginnender H<strong>art</strong>-Platz-Tour in den USA. Und doch<br />
stimmt einiges im sonst so zurückhaltenden England: die<br />
Fans, die tagelang vor den Mauern der Rasenplätze campieren,<br />
die lange, fast schon romantische Tradition des<br />
Turniers und natürlich das Outfi t: ganz in weiss. So wie es<br />
sich für einen Tennis-Gott gehört. Weiss auf grün.<br />
Im Moment des Triumphes über Pete Sampras, den<br />
Bild: zVg.<br />
Tennis-König der neunziger Jahre, beginnt etwas, wovon<br />
genaue Beobachterinnen schon lange etwas geahnt<br />
haben: die Poesie des Feder’schen Tennis.<br />
Doch was ist bei Roger anders als bei anderen Tennisspielern?<br />
Weshalb wirkt das Spiel eines Andy Roddick<br />
zwar athletisch, aber weitaus weniger elegant? Weshalb<br />
scheinen die mit geballter Faust erkämpften Siege eines<br />
Lleyton Hewitt viel mühsamer? Und weshalb kommt der<br />
grössere und kräftigere Russe Marat Safi n einfach nicht<br />
gegen Roger an?<br />
Jeder der oben genannten Spieler mit Ausnahme<br />
von Roger sind auf der Suche nach dem spielerischen<br />
Gleichgewicht. Marat Safi n überpowert in den wichtigsten<br />
Momenten des Spiels. Lleyton Hewitt ist viel zu aggressiv,<br />
um noch konzentriert spielen zu können. Andy<br />
Roddick scheint noch nicht ganz bei seiner ureigenen<br />
Spielweise angekommen zu sein. Und Roger? Roger<br />
scheint sich seit unzähligen Monaten in einem fast<br />
schon unheimlichen Gleichgewicht zu befi nden. Dem<br />
Gleichgewicht der Ästhetik.<br />
Die Kunst des Tennis fängt beim Aufschlag an und<br />
hört beim Aufschlag auf. Kein anderer Schlag erfordert<br />
so viel Koordination, Konzentration und Präzision. Der<br />
Aufschlag entscheidet über Sieg und Niederlage, über<br />
die Konstanz eines Spielers. In den heissesten Phasen<br />
eines Matches muss der Aufschlag sitzen- präzise und<br />
knallh<strong>art</strong>. Und er kann noch mehr: schön sein. Ästhetisch.<br />
Gar schon: Poesie.<br />
Rogers Aufschlag ist Poesie. Wir sehen ihn vor uns:<br />
ruhig und konzentriert steht er hinter der rechten Feldhälfte.<br />
Der linke Fuss ist vorne, leicht angeschrägt wie<br />
die linke Schulter zum rechten Netzpfosten schauend.<br />
Das Gewicht liegt auf diesem Bein, während das andere,<br />
das rechte, erst später zum Einsatz kommt. Der Ball<br />
springt. Ein dumpfes auf und ab. Die linke Hand scheint<br />
die gelbe Kugel an einem unsichtbaren Faden tanzen zu<br />
lassen. So lange, bis es still ist um den Platz, bis der Ball<br />
perfekt springt, bis er auf die richtige Weise in der linken<br />
Handfl äche zu liegen kommt. Dann fl iegt er nach oben.<br />
Senkrecht. Hinauf in den Himmel. Und währenddessen<br />
dehnt sich der Körper wie eine Feder nach hinten: erst<br />
der rechte Arm, der in einem Halbkreis Schwung holt,<br />
gefolgt vom Oberkörper, der durch die Drehung nach<br />
hinten dem Schlag Kraft verleiht, begleitet von einer<br />
Gewichtsverlagerung vom linken aufs rechte und wieder<br />
aufs linke Bein. Der ganze Körper scheint dem kleinen<br />
gelben Stern zu folgen; sein Schweif ist massgebend für<br />
Beschleunigung oder Verlangsamung der Bewegung.<br />
In dem Moment, in dem der Ball die perfekte Höhe erreicht<br />
hat, katapultiert das in der rechten Hand liegende<br />
Racket den aus allen Teilbewegungen summierten<br />
Schwung in einen einzigen Schlag. Das Gewicht schnellt<br />
vom rechten zurück aufs linke Bein. Der Körper spickt<br />
nach vorne. Der Schlagarm fährt weit über die Grundlinie<br />
in Richtung gegnerisches Feld. Die Augen bahnen<br />
dem Ball präzise den Weg. Man(n) schlägt, wohin man<br />
schaut: entweder auf die Mittelinie oder die Aussenlinie.<br />
Beide Platzierungen sind für den Gegner nur schwer<br />
haltbar. Vor allem, wenn das gelbe Etwas mit rund zweihundert<br />
Stundenkilometern angefl ogen kommt.<br />
Es ist weniger die körperliche Konstitution, die einen<br />
Aufschlag perfekt macht, als die mentale Stärke, die einen<br />
Spieler auszeichnet. Wer beim Aufschlag schon an den<br />
nächsten Schlag denkt, hat verloren. Wer alle Bewegungen<br />
koordinieren will, kommt durchs angestrengte Denken in<br />
ein Ungleichgewicht. Wer den Aufschlag nach dem Buche<br />
schlägt, wird nie seine perfekte Position fi nden.<br />
Roger hat sie gefunden. Auf dem Platz und in sich.<br />
Wer genau hinschaut, sieht das. Alles scheint ganz<br />
leicht. Sein Racket wirkt wie ein Teil von ihm. Es führt<br />
alle Bewegungen elegant und kraftvoll aus. Und er<br />
strahlt diese Ruhe aus, die im Weissen Sport Gold wert<br />
ist. Die Ruhe, bloss an den nächsten Punkt zu denken.<br />
Sich Schritt für Schritt ein Match zu erkämpfen. Auf sich<br />
vertrauen zu können. Auf die Koordination aller erforderlichen<br />
Teilbewegungen.<br />
Der Aufschlag ist ein Ganzes, keine Aneinanderreihung<br />
von einzelnen Bewegungen. Ich würde sogar noch<br />
weiter gehen: man hat ihn oder man hat ihn nicht. Kann<br />
man je tanzen lernen? Sicher: man kann Tanzschritte<br />
lernen. Aber das Gefühl, in welcher Sekunde welche<br />
Bewegung der Musik entspricht, von ihr getragen und<br />
liebkost wird, ist nicht lernbar. Die Verschmelzung der<br />
Bewegung mit Musik ist Poesie. Die Verschmelzung des<br />
Menschen mit dem kleinen gelben Ball ist Tennis. Und<br />
wenn Roger Federer Tennis spielt, ist Tennis Poesie.
MADAME BISSEGGER<br />
BRÄTELT BOMBASTICO.<br />
■ Jene die MINIsuisse bereits gesehen haben sprechen<br />
O-Ton. Bombastico! Am Fusse der 25 Meter hohen Felswände<br />
im Ostermundiger Steingrübli, wurde die Schweiz<br />
nach fünf Wochen Bauarbeit und 100m³ Aushubmaterial<br />
mit all ihren neuralgischen Punkten nachgebaut.<br />
Jan Messerli der Bühnenbildner hat erstaunliche Arbeit<br />
geleistet und freut sich: Da darf ich in Bergschuhen und<br />
HeliHansen hauen säbeln seilen - und das Beste: Bagger<br />
fahren! Er hat ziemlich gebaggert. Mit 15 Tonnen Teer<br />
wurden Strässchen gelegt, ein Kreisel gefertigt. Putzige<br />
Häuschen sehr gepfl egt, stehen auf der hügligen<br />
Schweiz: Zu jedem Haus gehört ein motorisiertes Auto,<br />
ein Bewohner und natürlich ein Gärtchen. Jene verraten<br />
viel über deren Hausbewohner ganz so, wie in der grösseren<br />
Version Schweiz. Schweizer sind die MINIsuisse<br />
Bewohner. Einer aus Bayern der andere, Antonio, aus<br />
Italien. Der Bayer brätelt natürlich besser, der Italiener<br />
ist selbstverständlich mehr eingewandert als der Bayer,<br />
das hört man schon an der Sprache. Und er, der Italiener<br />
eben, bringt die richtigen Schweizer auf Trab. Er weckt<br />
die Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste der Schweizer,<br />
das bring Aufregung ins Dorf und das nicht schlecht. Die<br />
drolligen Rasenmäher-Autos düsen zur «Schnell»-Tankstelle,<br />
an das kitschige Seeli und natürlich in die Einkaufsmeile<br />
namens «Jeka». Kleine Lebenslügen werden<br />
zu Lügengebäuden die, wie sollte es anders sein, unweigerlich<br />
zusammenbrechen. Ein Fiasko! In MINIsuisse<br />
spielt die Schweiz sich selber. Das Stück ändert sich von<br />
Vorstellung zu Vorstellung, die Texte sind mit Improvisation<br />
gespickt, die Laune der Schweizer scheint fl exibel.<br />
Der Umstand, dass alle immer angestrengter versuchen<br />
die Normalität und heile Welt zu bewahren, treibt die<br />
Handlung ins Absurde. Ein Umstand der uns wohl sehr<br />
vertraut ist und erst recht zum Schmunzeln verleitet.<br />
Die MINISchweizer lieben und hassen sich, vor allem<br />
die anderen, die Fremden. Madame Bisseggers neues<br />
Stück beobachtet den Durchschnittsschweizer, insbesondere<br />
seinen Begriff von Freiheit, Individualität und<br />
Unabhängigkeit. In der Tat ein Spiegel der Schweiz und<br />
Topaktuell. Erst noch wurde im Juni 2005 über Schengen<br />
/ Dublin abgestimmt. MINIsuisse wurde, zum Glück,<br />
verlängert. Zu sehen und bestaunen ist MINIsuisse noch<br />
bis am 17. September. Dank der geschützten Tribune<br />
kann das Stück bei jeder Witterung gespielt werden.<br />
Vor der Aufführung bietet die Bar ab 18:30 leckerein<br />
für den Hunger unter Bäumen oder Kerzenlicht und den<br />
Schlummertrunk mit Openend nach der Aufführung.<br />
(sf)<br />
Spieldaten: verlängert bis 17. September 2005<br />
dienstags, donnerstags, freitags und samstags um 20.30<br />
Uhr. Ort: Steingrübli Ostermundigen, Bernstrasse 184 b.<br />
THE TROUBLE WITH<br />
MUSIC. MAT CALLAHAN<br />
■ Die Musikindustrie macht viel Lärm um nichts. Viel<br />
Lärm, viele Bilder, viele schöne Menschen, viel Sex und<br />
aus der Repetition dieses Vielen letztendlich viel Kohle.<br />
Das Nichts ist der Soundtrack für das Video ist der Trailer<br />
für das Nichts. Die Majors verstopfen damit die Kanäle<br />
– unser staatlicher Sender als an-«hörliches» Beispiel.<br />
Sowenig wie Pornographie Sex ist oder MacDonalds Essen,<br />
sowenig ist dieses Nichts Musik. Callahan nennt es<br />
sogar Anti-Musik. Manager machen Hits und korrumpieren<br />
neue Stilrichtungen von revolutionärer Sprengkraft<br />
(letzthin etwa Hip-Hop) durch deren Aushöhlung bis auf<br />
den Klangkörper, den Soul dem Teufel verfranchist. The<br />
revolution will be televised. Kulturkritik im Sinne Adornos<br />
– hat die Pop(ulär)musik, die B<strong>art</strong>hes rehabilitierte,<br />
doch wenig mit dem gemeinschaftstiftenden Erlebnis<br />
von einst zu tun. Callahan verortet Musik nicht bloss irgendwo<br />
zwischen Rauschen und Lärm, sondern auch in<br />
der historischen Entwicklung. Um den wahren Wert der<br />
Dinge zu erkennen, muss man bekanntlich nach ihrem<br />
Wert fragen, bevor sie einen Preis hatten. Er holt weit<br />
aus – bis zur Mafi a, improvisiert aus der eigenen musikalischen<br />
Erfahrung, um dann das Potential von Musik<br />
präzis auf die Note zu spielen, führt in einem Staccato<br />
wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen über das<br />
Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit hinaus,<br />
ohne in bekannte Refrains zu verfallen.<br />
Die Kritik der reinen Verführung fordert, sich selber<br />
Kompetenzen anzueignen, selber aktiv nach Musik zu<br />
suchen, die bewegt. Schliesslich ist auch Musik-Journalismus<br />
bloss, nach Frank Zappa, wenn Leute, die nicht<br />
schreiben können, Leute interviewen, die nicht reden<br />
können, für Leute, die nicht lesen können. Wer seit vierzig<br />
Jahren für und durch die Musik lebt, kann hingegen<br />
gut darüber schreiben. (jlf)<br />
Callahan, Mat: The Trouble with Music.<br />
AK Press, Oakland, Edinburgh 2005.<br />
ISBN:1-904859-14-3.<br />
8. September 2005, 21.00 Uhr: WIM Bern Foyer<br />
Dampfzentrale Bern «Musik und Wort» - Mat Callahan<br />
stellt sein Werk vor (E). Anschliessend Diskussion (D/E)<br />
Dazu Musik von «kappelle freiheit» und «Nicht zu Reden<br />
vom Begehren».<br />
B Ü H N E D I V E R S E S<br />
MARTA NAWROCKA<br />
tuchfühlung...<br />
Was bitte schön haben Moonboots und Cowboystiefel<br />
gemeinsam? Ganz einfach: Beide erlebten<br />
erstens ein Revival und zweitens eine 180-Grad-<br />
Drehung in ihrer Funktionalität. Erstere waren<br />
komfortabel für eine Mondwanderung und letztere<br />
unabdingbar für einen Ausritt über die Steppen des<br />
Wilden Westens. Mittlerweile haben Lassos ausgedient<br />
und Spekulationen über die Nichtexistenz von<br />
Mondlandungen machen die Runde. Boots für Mondmänner<br />
und Kuhjungen sind trotzdem geblieben.<br />
Heute stecken in den Stiefeln nicht russische Astronauten<br />
und muskulöse, grashalmkauende Jungs,<br />
sondern High-Society-Damen (in Moonboots, oft<br />
im Modell Yeti – mehr Haare als Schuh) und fesche<br />
Mädels (in Cowboystiefeln). In den letzten Jahren<br />
erhielten Moonboots und Cowboystiefel Gesellschaft<br />
von Fellstiefelchen, deren Funktion darin besteht,<br />
Füsschen von braungebrannten Surfern nach<br />
stundenlangem im-Wasser-liegen-und-auf-die-Welle<br />
w<strong>art</strong>en zu wärmen. Jetzt zieren die so genannten<br />
Ugg-Boots z<strong>art</strong>e Mädchenfüsse, die vom Surfbrett-<br />
Kontakt weit entfernt sind. Dieses Jahr kriegen<br />
Uggs, Moons und Cowboys neue Konkurrenz. Objekt<br />
der Begierde: Gummistiefel. Einst getragen vom<br />
Kindergärtner bis hin zum Feuerwehrmann, sieht<br />
man die schicken Plastikstiefel jetzt in Begleitung<br />
von Haute-Couture. Hersteller wie Venice Beach,<br />
Paul Frank oder Alprausch schwören neuerdings auf<br />
die Plastiktreter. Statt im biederen Gelb wattet man<br />
im Blümchenstyle oder im Designer-Psychodelic-<br />
Pattern durch die Pfützen. Wie extravagant! Aber<br />
auch: wie praktisch! Endlich eine Open-Air-Saison<br />
ohne Verzicht auf die Designer-Schuhe und endlich<br />
mal trockene Füsse UND ein netter Flirt, wenn man<br />
das nächste Mal Sandsäcke schleppen muss. Da<br />
gibt’s zwischen Schlamm und Wassermassen noch<br />
ein «he, nette Schuhe» vom hübschen Nachbarn.<br />
11
12 L I F E S T I L E<br />
SANDRA LEMP<br />
design im «schongang»<br />
■ «Die Idee zum Jahreskonzept «schongang» entstand<br />
durch den Wunsch, Ende November eine breite<br />
Kollektion an der Designmesse Blickfang in Zürich zu<br />
präsentieren.» Maja Abplanalp ist frei schaffende Modedesignerin<br />
und eine der Organisatorinnen der Events<br />
im Atelier B21 in Bern. Die beiden ersten Verkaufsausstellungen<br />
fanden beim Publikum grossen Anklang. Im<br />
September fi ndet nun die dritte Ausgabe statt. Gezeigt<br />
werden Herbstoutfi ts für Frauen und Männer. Alle Kleidungsstücke<br />
sind in verschiedenen Grössen und Farben<br />
ab Stange erhältlich, oder können individuell nachbestellt<br />
werden. «Es geht uns nicht darum, eine Fülle<br />
von Kleidern anzufertigen, sondern den Kundinnen und<br />
Kunden einen regelmässigen Einblick in unser Schaffen<br />
zu gewähren. Daher auch der Name «schongang», erklärt<br />
Barbara Schleuniger das Konzept. Um das Angebot<br />
zu bereichern, wurde diesmal die deutsche Modistin<br />
Sonja Schrader, welche ihre aktuellen Kopfbedeckungen<br />
vorstellt, als Gastdesignerin eingeladen. Als weitere Organisatorin<br />
präsentiert Pascale Grünert erneut ihr Sortiment<br />
an exklusiven Stoffen aus ihrem Laden BARRé.<br />
Man will Synergien schaffen und kreative Köpfe aus verschiedenen<br />
Bereichen der Mode und der Berner Kultur<br />
zusammen führen. So werden die Modeinteressierten an<br />
diesem Samstag vom Café Alpin, sonst an der Gerechtigkeitgasse<br />
in Bern zu fi nden, bis spät abends mit edlen<br />
Tropfen verwöhnt. Zudem zeigt das Kino Lichtspiel<br />
– nicht auf dem Laufsteg, sondern auf der Leinwand<br />
– Kleider, Moden und Stoffe aus vergangenen Zeiten in<br />
Form von Kurzfi lmen aus dem eigenen Archiv.<br />
Berner Modedesign existiert also, und besticht durch<br />
innovative Eigenheit. Aber die DesignerInnen benötigen<br />
viel kreative Energie, und dies nicht nur im Entwurf,<br />
sondern vor allem auch im Vermarkten und Finanzieren<br />
ihrer Ware. Gerade die fi nanzielle Unterstützung<br />
wäre für eine nachhaltige Förderung der Nationalen<br />
Modeszene auch in Bern dringend erforderlich. Es ist<br />
sehr schwierig, Sponsoren zu fi nden, die auch den rein<br />
kommerziellen Aspekt der Branche unterstützen. Aber<br />
als angewandte Kunst muss Mode kommerziell funktionieren.<br />
Genau wie die Musik, spiegelt sie den jeweiligen<br />
Zeitgeist und das kulturelle Geschehen einer Stadt, eines<br />
Landes. «Wir möchten mit den «schongang»-Events<br />
die Öffentlichkeit auf das Thema Modedesign sensibilisieren»,<br />
betont Maja Abplanalp. Schweizer Design hat in<br />
Bern einen schweren Stand, welcher sich auch dadurch<br />
erklärt, dass keine Möglichkeit zum Studium des Berufes<br />
Modedesigner/Modedesignerin angeboten wird.<br />
So ist nachvollziehbar, weshalb man in Bern nicht gleichermassen<br />
auf das Thema reagiert wie in Basel oder<br />
Zürich. Die Hochschule für Gestaltung und Kunst in<br />
Basel, hat mit dem Studiengang Modedesign einen hohen<br />
Massstab für die Ausbildung in der Deutschschweiz<br />
gesetzt. Neu bietet die Hochschule für Gestaltung und<br />
Kunst in Zürich ausserdem den Studiengang Style & Design<br />
an. Hauptthemen sind die Analyse und Umsetzung<br />
von Trends und Stilbewegungen.<br />
Weshalb wählten die Macherinnen des «schongang»<br />
diesen oft auch schwierigen Beruf? «Meine Motivation<br />
ist die Faszination für den Körper und das Einhüllen dieser<br />
Form durch die Kleidung.» Auf Maja Abplanalp üben<br />
Textilien eine grosse Anziehungskraft aus. Ähnliches<br />
erfahre ich durch die Damen- und Herrenschneiderin<br />
Barbara Schleuniger. Die Faszination begründet sie im<br />
Spannungsfeld zwischen Inspiration, Organisation und<br />
der Herausforderung, etwas Funktionales herzustellen.<br />
«Ideen fallen mir am Leichtesten zu, wenn keine Reize<br />
von Aussen kommen, und ich in Ruhe skizzieren kann.»<br />
Die Kollektionen von Maja Abplanalp entstehen hingegen<br />
oft durch direktes Abformen an der Büste. «Dies<br />
lässt eine freiere Schnittentwicklung zu.» Man spürt<br />
bei den jungen Frauen das Bedürfnis, einen eigenen<br />
und nachhaltigen Stil zu kreieren. So werden Trendhefte<br />
nicht als Inspiration verwendet, jedenfalls nicht bewusst.<br />
Die Kleider müssen im Alltag funktionieren, und<br />
da die meisten Leute nicht gerne auffallen, muss ein<br />
Designer/eine Designerin die Ideen sehr subtil umsetzen.<br />
Das Auge ist von unüblichen Formen oder Farbzusammenstellungen<br />
schnell überfordert. Unüblich mag<br />
manchen Kundinnen und Kunden auch der Preis der exklusiven<br />
Stücke erscheinen. Wenn man jedoch die umfangreiche<br />
Arbeit der Designerin/des Designers nachvollzieht,<br />
wird schnell klar, wodurch sich der Preis der<br />
Kleider rechtfertigt. «Zeitaufwand, hohe Materialkosten<br />
und Herstellungs<strong>art</strong>. Der ganze Entwicklungsprozess,<br />
die Recherche, das Marketing und auch die nötigen<br />
Ausgaben für Fotoshootings sind im Preis gar nicht erst<br />
eingerechnet», erklärt Maja Abplanalp. Wenn man aber<br />
dann ein erstes Mal ein exklusives Einzelstück gekauft<br />
hat, liebevoll verpackt, spürt man, dass man sich gerade<br />
etwas Wertvolles und Einmaliges geleistet hat.<br />
Um neue Kollektionsideen zu vertiefen, entfl iehen die<br />
beiden Designerinnen gerne der Enge in Berns Gassen,<br />
und ziehen sich an ihre Lieblingsplätze zurück. So fi nden<br />
sie Maja Abplanalp vielleicht im Roseng<strong>art</strong>en und<br />
Barbara Schleuniger, wenn sie die vielen Treppen nicht<br />
scheuen, auf dem Münsterturm. Dies aber bestimmt<br />
erst nach dem «schongang»-Event!<br />
«schongang» im herbst – wie traubenrot<br />
und olivengrün den blättern<br />
lauschen<br />
Samstag 3. September 2005 von 17 bis 01h<br />
✮ Mode von seitensprung Barbara Schleuniger und<br />
majmaj Maja Abplanalp // Stoffe von BARRé Pascale<br />
Grünert, Gerechtigkeitsgasse 56 in Bern //<br />
Kopfbedeckungen von Sonja Schrader aus Halle/<br />
Deutschland<br />
✮ Kurzfi lme im Kino Lichtspiel ab 21h im Atelier<br />
B21, Bahnstrasse 21, 3008 Bern<br />
Vorschau: «schongang» im winter – warum nachtschwarz<br />
von schneeweiss träumt - Sonntag 6. November<br />
2005 von 11 bis 19h mit Brunch<br />
Links zum Thema Modedesign<br />
✮ HGK Basel, Studiengang Modedesign Körper &<br />
Kleid: www.fhbb.ch/modedesign<br />
✮ HGK Zürich, Studiengang Style & Design:<br />
www.hgkz.ch<br />
✮ Blickfang: www. blickfang.com<br />
✮ Modebibel «Fashion now» im Taschen Verlag:<br />
www.taschen.com<br />
Die Autorin<br />
Sandra Lemp arbeitet seit 1999 als frei schaffende<br />
Modedesignerin und Stylistin in Bern. Unter ihrem<br />
Label LEMP hat sie diverse Kollektionen und Projekte<br />
realisiert. Sie ist Co-Initiantin-, und Organisatorin<br />
der Plattform für junges Schweizer Modedesign<br />
«der letzte Schrei» welche in den Jahren 2003/04<br />
jeweils in der Cinématte in Bern stattgefunden hat.
BRIGITTE EBNER<br />
keine ahnung von kultur<br />
■ Auch wenn es bisher noch niemand so richtig mitbekommen<br />
hat: Die Schweiz sucht einen Kulturminister.<br />
Keinen, der Bundesrat Pascal Couchepin als Vorsteher<br />
des Bundesamtes für Kultur ersetzt, sondern einen, der<br />
ihm auf «spielerische Art» unter die Arme greift.<br />
Noch bis zum 8. September stehen auf der Internetseite<br />
kulturministerum.ch 32 Kandidaten aus allen Regionen<br />
der Schweiz zur Wahl. Bewerben durfte sich, wer<br />
in der Schweiz wohnhaft ist oder zumindest ein gültiges<br />
GA- oder Halbtax-Abonnement besitzt. Geht es nach den<br />
Projektverantwortlichen, soll der neue Kulturminister<br />
Ideen für die kulturelle Zukunft der Schweiz entwickeln,<br />
Lust an kulturpolitischen Auseinandersetzungen haben<br />
und über Erfahrung im kreativen Schaffen verfügen.<br />
So fi nden sich unter den Kandidaten denn auch<br />
hauptsächlich Kulturschaffende: Autoren, ein Regisseur,<br />
eine Kulturtheoretikerin, Künstler und Filmemacher.<br />
Und ein Querschläger, der mit dem Slogan «Keine Ahnung<br />
von Kultur» für sich wirbt und Kultur zum Alltagsgut<br />
werden lassen möchte:<br />
«Da ich keine Ahnung von Kultur habe und mich eigentlich<br />
auch nicht dafür interessiere, bin ich der ideale<br />
Vertreter des Volkes für diesen Job. Wenn mir was gefällt,<br />
dann gefällt es doch allen!»<br />
Der 32-jährige Exportmanager Christian Leu aus der<br />
Stadt Bern wurde über die Website eines Mitbewerbers<br />
auf die Kulturministerwahl aufmerksam und hat darauf<br />
spontan seine Bewerbung ausgefüllt, ohne sich der Konsequenzen<br />
bewusst zu sein. In seinem extra aufgeschalteten<br />
Wahlblog leumund.ch wird Christian Leus Linie<br />
klar:<br />
«Und für dich, lieber Wähler! Ich habe dich noch nie<br />
einen Franken gekostet. Ich bin in keinem Kulturförderungsprogramm<br />
angemeldet und weiss ja nicht mal, was<br />
mir dieses Amt als Kulturminister einbringen wird. Dazu<br />
fi ndet sich auf der Homepage kulturministerium.ch grad<br />
gar nichts!»<br />
Es ist in der Tat nicht einfach sich vorzustellen, wie<br />
der künftige Kulturminister sein Amt ausüben soll. Der<br />
oder die Gewinnerin wird auf alle Fälle kein Büro in Bundesbern<br />
beziehen, dafür über ein virtuelles Ministerium<br />
verfügen. Auf Christian Leus Anfrage erfuhr er von<br />
Projektleiter Beat Mazenauer, dass dem Wahlsieger ein<br />
«massvolles» Honorar und ein Budget für die Legislaturperiode<br />
2005-2007 zur Verfügung gestellt wird.<br />
Hinter der Idee kulturministerium.ch steht «ps-culture-netzwerk<br />
kultur» in Zusammenarbeit mit verschiedenen<br />
Kunstverbänden der Schweiz, unterstützt wird das<br />
Projekt unter anderem vom Bundesamt für Kultur und<br />
Pro Helvetia. Alle in der Schweiz wohnhaften Personen<br />
haben die Möglichkeit, über Internet ihren Kandidaten<br />
zu wählen. Anhand eines Fragebogens wurde von jedem<br />
Bewerber ein sm<strong>art</strong>vote-Profi l erstellt, das über sein<br />
kulturpolitisches Profi l informiert. Dass Christian Leu<br />
bei dieser Wahlhilfe mit seinen Ansichten ziemlich abseits<br />
steht, ist ihm bewusst. «Am meisten reizt mich an<br />
der ganzen Geschichte, dass ich hier alles auf den Kopf<br />
stellen kann. Niemand hat je von der Wahl gehört, und<br />
ich habe das Gefühl, dass die Kulturverbände das Ganze<br />
unter sich ausmachen wollen.»<br />
Effektiv scheint sich niemand gross für die Wahl zu<br />
interessieren, das Echo in den Medien ist gering. «Ich<br />
denke das hat damit zu tun, dass wir in der Schweiz<br />
bereits einen Kulturminister haben. Die Aktion ist an<br />
diesem Punkt nicht sehr durchdacht, die Position hätte<br />
anders benannt werden müssen. Dann wären die Medien<br />
vielleicht mehr auf die Wahl eingestiegen. Schade,<br />
denn der Internetauftritt ist professionell gemacht. Nur<br />
die Vermarktung der Aktion, die haben sie nicht geschafft.»<br />
Im sich selbst vermarkten ist Christian Leu ganz<br />
gross. Mit dem Wettbewerb «Pimp up the Leu» hat er<br />
kürzlich im Internet nach einem neuen Logo für seine<br />
Website «@leu, die ganze Wahrheit» gesucht. Unter<br />
über 200 Einsendungen aus der Schweiz und dem<br />
Ausland wurden von einer eigens zusammengestellten<br />
Jury und den Lesern seines Weblogs die besten Bilder<br />
auserkoren und zwei Ipod Shuffl es verschenkt. Diese<br />
Logos sind nun wichtiger Bestandteil seines Wahlblogs.<br />
Dort können wir ihn auch auf P<strong>art</strong>ybildern mit seiner<br />
Freundin im Ausgang bewundern, fi nden eigens kreierte<br />
Comicstrips zum Thema Kulturminister und weitere<br />
Gründe, wieso wir Christian Leu wählen sollten: «Ich bin<br />
der ideale Kandidat für diesen Job. Politisch und kulturell<br />
unbekannt, kann ich dafür einstehen, dass ich der<br />
wohl sauberste Kulturminister aller Zeiten werde. Darum,<br />
wählt mich jetzt!»<br />
Wie hat sein Umfeld auf seine Kandidatur reagiert?<br />
«Es ist immer dasselbe, sobald die Leute die Ironie hinter<br />
der Sache erkennen, sind sie begeistert. Die meisten<br />
fragten sich natürlich erst, was das eigentlich soll. Der<br />
Leu? Der versteht doch nichts von Kultur.»<br />
Ob er Chancen auf den Wahlsieg hat, kann er nicht<br />
einschätzen. Er versuche halt, genug Leute zu mobilisieren,<br />
das doch eher aufwändige Wahlprozedere im Internet<br />
auf sich zu nehmen und für ihn zu stimmen. Aus<br />
diesem Grund hat er auch eine Anleitung dazu auf sein<br />
Wahlblog gestellt. Zwischenergebnisse zur laufenden<br />
Wahl werden zu seinem Bedauern keine veröffentlicht.<br />
Sollte er gewinnen, hätte er anlässlich des «Forum<br />
des Artistes Bienne» eine Antrittstrede zu halten. Über<br />
deren Botschaft hat er sich bereits Gedanken gemacht.<br />
«Ich würde mich keinenfalls an ein vorgegebenes Thema<br />
halten. Das ist nicht meine Art. Ich würde die Kultur<br />
mal an den Pranger stellen, den Unsinn dieser Wahl,<br />
und hinterfragen, was die Schweiz nun davon hat.» Mit<br />
K U L T U R & G E S E L L S C H A F T<br />
13<br />
solchen Worten entspricht er kaum dem Wunschkandidaten<br />
der Projektverantwortlichen. Eine zukünftige Zusammenarbeit<br />
wäre wohl auch nicht einfach. «Ich bin<br />
kein Teamplayer, bin aber überzeugt, dass ich einiges<br />
bewegen könnte in der Funktion des Kulturministers. Ich<br />
würde auf die kleine Kultur im Alltag aufmerksam machen.<br />
Auf die Blogkultur beispielsweise, in der sich eine<br />
immer grösser werdende Gruppe von Menschen im Internet<br />
mit teilweise banalen, teilweise wichtigen Sachen<br />
befasst. Eine Gruppe die recherchiert, kleine Welten auf<br />
die Beine stellt. Menschen, die keine Unterstützung verlangen,<br />
einfach erst mal publizieren und schauen, was<br />
dann passiert.»<br />
Und was, wenn er die Wahl verliert? Kümmert er sich<br />
dann trotzdem um die Kultur in der Schweiz, macht vielleicht<br />
sogar ein eigenes Ministerium auf? «Als Erstes<br />
werde ich die Wahl komplett hinterfragen. Es herrscht<br />
keine Transparenz und es ist auch nicht ersichtlich wie<br />
gewährleistet wird, dass die Verantwortlichen nicht einen<br />
Wunschkandidaten als Wahlsieger promovieren.<br />
Mittelfristig werde ich dann in die Politik einsteigen. Es<br />
kommt also noch mehr. Aber jetzt müsst ihr mich zum<br />
Kulturminister wählen!»<br />
Dann würde er für seine Wähler eine grosse Siegerp<strong>art</strong>y<br />
organisieren, mit einem riesigen Buffet und erstklassigen<br />
DJs, allem was dazugehört. Und beim Bundesamt<br />
für Kultur ein Budget dafür beantragen.<br />
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09/05
EVA MOLLET<br />
chor im ohr<br />
■ Ben Vatter sieht jünger aus als er ist. Kürzlich fragt<br />
man den Vierunddreissigjährigen beim Kauf einer Flasche<br />
Wein nach seinem Jahrgang. Ben versprüht Optimismus,<br />
Charme und sein Lächeln ist boygroupmembertauglich.<br />
Er ist Chorleiter, Trompeter, Musiklehrer,<br />
Arrangeur und Genussmensch. «Ich bin nicht geboren,<br />
um Mass zu halten.»<br />
Ben will schon mit fünf Jahren Trompete spielen lernen.<br />
Damals sagt man, es ist zu früh. Erst müssen die<br />
zweiten Zähne wachsen. Es führt kein Weg an der Blockfl<br />
öte vorbei. Mit zehn Jahren nimmt er Trompetenunterricht.<br />
Die Louis Armstrong Kassette hört Ben immer<br />
wieder. Seine erste LP ist von Dizzy Gillespie. Er bastelt<br />
sich Gillespie Buttons.<br />
Ben wächst in einer musikalischen Familie auf. Die<br />
Mutter ist Pianistin. Alle Familienmitglieder spielen Instrumente.<br />
Daraus entsteht das Salonorchester «Belle<br />
Epoque». Ebenfalls mit Familienbeteiligung entsteht die<br />
Gugge «Mutzopotamier». Mit achtzehn übernimmt Ben<br />
die musikalische Leitung. Aus der Gugge wird eine Guggen-Bigband.<br />
Während dem «Semer» nimmt Ben klassische Trompetenstunden<br />
und spielt in verschiedenen Jazzbands.<br />
Nach der Ausbildung erteilt er erste Musiklektionen.<br />
Die obligatorische Chorlektion am Samstagmorgen ist<br />
die Schlimmste. «Kein optimaler Einstieg ins Chorleben.»<br />
Ben beginnt die Ausbildung zum klassischen Berufstrompeter.<br />
Dann kommt es zur grossen Krise. Der<br />
neue Lehrer fragt: Was willst du hier eigentlich? Spiel<br />
doch Jazz! Ben geht in den Vorkurs der Jazzschule Bern<br />
und beginnt gleichzeitig das Studium zum gymnasialen<br />
Musiklehrer an der Uni. Nach dem Vorkurs kann er die<br />
Berufsschule der Jazzschule Bern anfangen. Dies bedingt<br />
den Unterbruch des Unistudiums.<br />
Die Bigband der Jazzschule Bern hat ein hohes Niveau.<br />
Ben spielt während fünf Jahren mit. In der Ausbildung<br />
belegt Ben den Schwerpunkt «Arranging&Composing».<br />
Er entdeckt seine grosse Leidenschaft. Heute schreibt<br />
er nächtelang Arrangements für seine Projekte: Musicals,<br />
Chöre und die Guggen-Big Band. Was fasziniert<br />
Ben am Arrangieren im Vergleich zur Komposition? «Es<br />
ist ebenso kreativ, es gibt schon viele gute Songs und es<br />
läuft mir wie von selbst.»<br />
Nach dem Jazzschuldiplom nimmt Ben sein Unistudium<br />
wieder auf. Heute steht er kurz vor dem Abschluss.<br />
Alle Projekte, die Ben betreut oder mitbetreut, haben<br />
etwas gemeinsam. «Es ist für mich eine Herausforderung,<br />
aus dem bestehenden Potential von Amateuren<br />
das Maximum herauszuholen. Dieses Prinzip ist<br />
mir noch nie verleidet. Es ist faszinierend einen Chor<br />
als Instrument zu führen und eine grosse Gruppe von<br />
Leuten zu steuern. Ich bin sonst nicht so «gschpürig»,<br />
aber so viele Leute auf sich fokussiert zu wissen, das ist<br />
Energie pur.» Die Grenzen zwischen Beruf, Hobby, Alltag<br />
und Selbstverwirklichung vermischen sich bei Ben. Die<br />
Trompete ist in den Hintergrund gerückt.<br />
Das letzte Musicalprojekt an der Sekundarschule<br />
Belp heisst «Acting Sisters». Etwa hundertfünfzig Mitwirkende<br />
sind beteiligt. Das ganze Kollegium arbeitet<br />
mit. Vom Kostüm bis zum Bühnenbild wird alles selbst<br />
gemacht. «Es ist unglaublich zu sehen, was die Jugendlichen<br />
leisten können.» Die Arbeit an Grossprojekten<br />
bedeutet für Ben viel Aufwand und wenig fi nanzielle<br />
Entschädigung. « Es hat mich noch nie eine Überstunde<br />
gereut. Das Ergebnis und das Erlebnis aller Beteiligten<br />
sind das Wichtigste.»<br />
Das laufende Projekt des Chansonchors des Gymnasiums<br />
Kirchenfeld heisst «Breakin Taboos», Skandale<br />
der Popgeschichte. Es kommt im März 2006 im Bierhübeli<br />
auf die Bühne.<br />
Der Chor im Breitsch lädt mit «Rosen» in den Botanischen<br />
G<strong>art</strong>en. Im Unterschied zum letzjährigen «Hitparade<br />
85»-Projekt lässt das Thema Rosen eine stilistische<br />
Vielfalt zu. Während dem Chorwochenende setzt<br />
M E N S C H E N<br />
15<br />
Ben zum letzten Feinschliff an. Schwierige Passagen<br />
werden wiederholt und an der Dynamik wird gearbeitet.<br />
Die Texte müssen bis zum Konzert auswendig gelernt<br />
werden und das Bühnenoutfi t wird abgesprochen. «Das<br />
Outfi t erleichtert den Rollentausch und es ist eine Ehrerbietung<br />
ans Publikum. Zudem wollen wir Spass haben<br />
und unterhalten.»<br />
Das Outfi t ist Ben auch privat wichtig. Er hat sich verändert.<br />
Früher trägt er eine Langhaarfrisur mit Fransen,<br />
Batikhosen und lange Schlabberpullover. Heute zieht er<br />
auch mal einen Anzug an.<br />
Vielleicht sitzt Ben gerade im Jackett an einer Bar,<br />
trinkt einen Whisky, schmaucht eine Zigarre. Über die<br />
Zukunft macht er sich nicht viele Gedanken, neue Projekte<br />
lassen sich fi nden, dabei hat er garantiert ein bisschen<br />
Chor im Ohr.<br />
Konzerte:<br />
Chor im Breitsch,«Rosen» 16.,17. und 18.9.2005<br />
STADTLÄUFER<br />
■ nr. 12 // bauschutt. Manchmal habe ich einfach genug<br />
von dieser Stadt, die mit Bundesplatz und Roseng<strong>art</strong>en<br />
und Graffi ti-Paranoia wie die Doppelseite eines<br />
Hochglanz-Magazins daherkommt. Besuchen Sie Bern!<br />
UNESCO-Weltkulturerbe! So steht’s wahrscheinlich in<br />
den Broschüren ausländischer Agenturen. Schlimmer<br />
ist nur noch meine Heimatstadt (die ja mittlerweile bekannt<br />
sein sollte: Hat ein L an erster Stelle und viele Besucher<br />
aus Asien).<br />
Keine Angst, ich fi nde es ja auch schön, dass Bern<br />
schön ist. Aber manchmal verspüre ich dieses unerklärliche<br />
Verlangen nach Ungeschliffenem, Heruntergekommenem.<br />
Selbst die Reitschule empfi nde ich nicht als<br />
Schandfl eck, also als wirklichen Kontrast zum allgemeinen<br />
kleinstädtischen Charme. Kann Bern nicht einfach<br />
auch mal hässlich sein?<br />
Letztens habe ich versucht, dies herauszufi nden: Mit<br />
dem Velo mied ich bewusst die Edelqu<strong>art</strong>iere und begab<br />
mich über Peripheriestrassen auf Entdeckungsreise.<br />
Vom Weissenbühl über Bümpliz zur Endstation Länggasse.<br />
Vorbei an Bahngeleisen, Containern, Lastwagen,<br />
Wohnsilos, Bauschutt und der Kehrichtverbrennungsanlage.<br />
Nicht schlecht.<br />
Doch kaum war ich am Neufeld-Parkhaus (Beton pur!<br />
Mehr davon!!) vorbei, stiess ich in der Umgebung des<br />
Viererfelds auf die gewohnte ästhetische Harmonie dieser<br />
Stadt: Viel grün, viel blau, Jogger, Eltern und Kinder.<br />
Und bei der Inneren Enge schliesslich entdeckte ich den<br />
wohl besten Platz für Minigolfer und Trainspotter: Mein<br />
Blickt schweifte dem Bahnviadukt entlang bis zur grün<br />
verpackten Altstadt mit Münster, Bundeshaus und... ach,<br />
ihr wisst schon. Bern kann ungeschliffen und heruntergekommen<br />
sein. Aber nie für lange. (al)
SANDRA D. SUTTER<br />
his holiness<br />
der 14. dalai lama in zürich<br />
■ 4.8.05 Zürich – Bahnhofquai. Nichts mehr vom<br />
grau-schwarz-blau der Züri-Business-Leute. Tibetisch<br />
Rot, saffrangelb und alle Farben des Regenbogens füllen<br />
das Tram. Bahnhof Oerlikon. Noch mehr wollen hinein,<br />
die Leute drücken aneinander, wie in Indien oder am<br />
Open Air, jedoch leise und friedvoll, meditativ. Hallenstadion.<br />
Tibeter stehen in Gruppen, braune Gewänder<br />
mit blauen, roten Bändern, goldenem Musterfutter, Gebetsketten.<br />
«Haben Sie Spring-Water drinnen?» «Es soll<br />
eine Kinderkrippe geben.» «Wo bitte ist der Medieneingang?»<br />
Beim Eintreten in die große Halle, ich staune auf<br />
den Bühnentempel, klingt mir das Lied «hope for enlightenment»<br />
von Lama Gyurme entgegen. Tränen drängen<br />
hoch. Wem oder was möchte, muss, soll ich nachrennen,<br />
genügen? – Draußen im Rundgang tun manche noch<br />
wichtig, andere trinken Kaffee, telefonieren. 8000 Leute<br />
strömen von allen Seiten herein. Beutel mit Textunterlagen<br />
werden verteilt, Informationen gegeben – alles<br />
in einer beeindruckenden Ruhe. Wir, die Fotograf/Innen<br />
haben in der Gruppe zu w<strong>art</strong>en, im Medienraum außerhalb<br />
der Halle, und in der Gruppe, geführt von der Medienverantwortlichen,<br />
vor die Bühne zu gehen. Mitten im<br />
W<strong>art</strong>en, untrüglich und eindeutig – als wenn ES endlich<br />
die Erde berührte, etwa eine Art einzig großen Ausatmens<br />
– die Gewissheit, jetzt ist er gekommen, jetzt ist er<br />
da, His Holiness, und wir sind nicht dort... Später dann<br />
Verbeugungen, Niederwerfungen. Fünf Tankas, zwei<br />
Großleinwände. Seine Heiligkeit sitzt mit Schirmmütze,<br />
redet tibetisch, blättert im Gebetsbüchlein. ‚Wir leben in<br />
einer Zeit der Turbulenzen und der Ablenkungen...’ Ein<br />
Mädchen ordnet mit großer Konzentration Farbstifte in<br />
eine Schachtel. Der Dalai Lama schaut ins Publikum:<br />
«Wer von Ihnen liest Tibetisch?» Die Energie ist stark,<br />
wellt immer wieder in mich hinein – wie kann ich es beschreiben...<br />
Ich höre seine Stimme, die des Übersetzers,<br />
höre rascheln, hüsteln, Kinder, es riecht nach Mittagessen,<br />
jemand nestelt an Zellophan. Einer aus den Sitzreihen<br />
winkt in den Raum.<br />
Die Schale K<strong>art</strong>offelsalat 4.50Fr., ein Mangolassi in<br />
einem Plastikbecher mit dem Aufdruck «St.Galler Kantonalbank.»<br />
Ich bestelle tibetischen Tee. «Stellen Sie<br />
sich vor, Sie trinken Bouillon, keinen Tee, dann geht er<br />
leichter runter.»<br />
‚Glückseeligkeit und Leerheit.’ «Jetzt wissen wir alles.»,<br />
sagt eine zur anderen und wischt sich die Hände<br />
gegenseitig ab. Ich sitze auf dem Boden. Ein älterer<br />
Mönch geht an mir vorbei, Augenkontakt, ein Lächeln<br />
wächst – goldiges Lichteinrieseln. Erinnerung. – Kurzes<br />
gegenseitiges Nicken. Freude.<br />
Junge Tibeterinnen in ihren wunderbaren Kleidern,<br />
schimmernden Stoffen, hohen Absätzen, die Großmütter<br />
in fl achen Sandalen. Die Unterweisungen behandeln<br />
die Themen Mitgefühl, Liebe, altruistisches Handeln.<br />
‚Mögen alle Wesen glücklich sein, möge es ihnen gut<br />
gehen...’ Wir werden ermahnt uns in Achtsamkeit zu<br />
üben, in Selbstlosigkeit. ‚Ursache aller Probleme ist die<br />
Selbstsucht... Negatives Handeln bringt negative Früchte...<br />
Leiden entsteht aus falschem Denken. ...Entschieden<br />
und aus ganzem Herzen sich wieder eine gute Beziehung<br />
zu denen herstellt, wo man eine schlechte hat.<br />
Und denken Sie nicht, später ist auch noch Zeit...’<br />
Zürich 9.8.05 – 14.8.05 Haltestelle Bubenberg.<br />
Ein etwas zerzauster Vogel hüpft auf die Strasse, ein<br />
Auto fährt heran, der Fahrer müsste ihn sehen! oder der<br />
Vogel weichen... Das Auto fährt über ihn weg... mir zuckt<br />
es durch den Körper. Der Vogel liegt mit ausgebreiteten<br />
Flügeln und gespreizten Beinchen auf dem Asphalt,<br />
zuckt hoch. Welche Vergeblichkeit. Ich gehe, hebe das<br />
Körperchen und lege es an den Straßenrand ins Gras.<br />
Dieses Warme, Z<strong>art</strong>e, Weiche in meinen Händen... und<br />
kämpfe mit den Tränen. Dieses Bisschen, wie es sich abmüht,<br />
versucht wieder hoch zu kommen, zu fl iegen – Autos<br />
fahren, Velos, Leute hasten, schauen – dann – vorbei.<br />
Im Zug lerne ich Narina kennen, 5-jährig, sehr wach,<br />
sehr lebhaft – der Name sei aus Indien. Das Kind nimmt<br />
sich meine Zeit, meine Aufmerksamkeit. Wir sprechen,<br />
spielen, lachen. Ich schaue in ihre Augen – wie wird sie<br />
in zwanzig Jahren sein? Als sie mit der Mutter aussteigt,<br />
schickt sie mir von draußen einen Handkuss in den Zug<br />
und winkt. Zürich Hauptbahnhof. Ich schaue mir die<br />
Menschen an und denke: Alle werden sie alleine sterben<br />
– Jeder für sich. Ich auch. Ein Schiff mit Lichtergoldstücken<br />
legt ab vom Bürkliplatz.<br />
Mit dem Tram durch Zürich fahren, morgens kurz<br />
nach Sieben – von der Tagesk<strong>art</strong>e profi tieren, an schönen<br />
Schaufenstern vorbei. Bahnhofstrasse. Wenig erhellende<br />
Gesichter, Müdigkeit, Sorgenfalten. Dunkle<br />
Anzüge, leere Blicke, geschäftiger Schritt. «Finde die<br />
Liebe Deines Lebens!» über 1 Million seriöse Singles...<br />
Ihre Weltwoche. Die Einweihungsrituale, eines für den<br />
Aspekt des Mitgefühls, das andere für die gute Absicht,<br />
erinnern mich an Zeremonien in der katholischen Kirche.<br />
Gebete werden vor- und nachgesprochen, Glockengebimmel,<br />
Visualisierungen. «Bemühen Sie sich<br />
um eine gute Motivation.» Unzählige Helfer verteilen<br />
gesegnetes Wasser und Bändelchen, regenbogenfarben<br />
und glitzernd, bitte, für mich auch, «...oder besser noch,<br />
geben Sie mir zwei, eines für die Freundin, und wofür<br />
K U L T U R & G E S E L L S C H A F T<br />
17<br />
genau braucht man das?» ‚Ganz gleich was wir glauben,<br />
wichtig ist, dass wir ein gutes Herz entwickeln.’<br />
«Wieso schauen Sie mich so an?» Sanftes Stimmenherklingen,<br />
wie Wasser das vom Wind ans Land geweht<br />
wird, ein auf-ab-nah-fern. Textstreifen werden geblättert.<br />
Socken werden angezogen, Tücher zurechtgezupft.<br />
Einige schauen mit dem Fernglas. Ich schließe die Augen<br />
und schaue in mich hinein – sehen wir dasselbe?<br />
Eine Mutter wickelt ihr Frischgeborenes auf dem roten<br />
Teppich.<br />
Oerlikon-Swissôtel, die Residenz Seiner Heiligkeit in<br />
dieser Zeit. Einige Menschen stehen an den Abschrankungen<br />
des Hotel-Ein-Ausgangs. «Einmal im ganzen Leben<br />
dem Dalai Lama begegnen...» die 3 Frauen sind noch<br />
jung. Andere stehen betend, die Mala, den Seidenschal,<br />
das Handy, den Fotoapparat in den Händen. W<strong>art</strong>en. Wenige<br />
Polizisten, Bodyguards, der Chauffeur sitzt bereits<br />
im Auto, schwarzer Mercedes, Parfumwolken, «Kommt<br />
er?» «Vielleicht ist das ein Anderer... sehen doch alle<br />
gleich aus.» Köpfe werden vorgestreckt, ein Blick, ein<br />
Foto, ein «Good Morning» Seiner Heiligkeit nach allen<br />
Seiten, gefaltete Hände, ein Lächeln – dann ist er weg.<br />
Keine Sprüche mehr.<br />
Hallenstadion. Ein blonder Junge geht schüchtern<br />
zu einem Mönch, schaut ihn an, streckt ihm die Hand<br />
entgegen, lacht ihm in die Augen – sie sich gegenseitig<br />
in die Herzen – dann rennt er weg. Was für ein Geschenk,<br />
am Leben zu sein! Kinderlachen, laut und klar wie eine<br />
hell klingende Glocke – wunderbar! Letzte Unterweisungen<br />
und zum Abschluss eine Zeremonie für langes Leben.<br />
Danksagungen an die Organisatoren, die Übersetzer,<br />
die Teilnehmenden für ihre Ausdauer, «...thank you<br />
for coming and making this event a success.» Plötzlich<br />
diese Stille bei seiner Verabschiedung, diese Beklemmung<br />
in meinem Herzen. «Buon viaggio - gute Reise.»<br />
– «Mami!» Jemand stößt an die freihängende Tempelsäule<br />
auf der Bühne – letztes Winken... «Bitte gehen Sie<br />
jetzt, Sie hätten vorher fotografi eren müssen.» Vor der<br />
Halle dann, «Verkaufen Sie Bilder?» Zürich Bellevue.<br />
Ersehnter Regen, Freitagabend-Ausgehstimmung. «Leidenschaft<br />
setzt Energien für Erfolge frei!» – Ihre UBS.<br />
Und morgen geht die Streetparade los.<br />
Sandra D. Sutter ist freischaffende Fotografi n, Schreiberin,<br />
Kunstschaffende, arbeitet und wohnt in Biel und<br />
gern überall in der Welt.<br />
©Text und Fotos: Sandra D. Sutter, Biel.
18 K I N O<br />
LUKAS VOGELSANG<br />
angry monk<br />
■ Der Tibet als mystischer Ort und idealisierte heile<br />
Welt - so stellt sich der Filmemacher Luc Schaedler das<br />
geheimnisvolle Dach der Welt nicht vor. Er kennt den<br />
Tibet ziemlich gut und hat in Zürich verschiedene Filmreihen<br />
aufgebaut und Artikel zu Tibet und Buddhismus<br />
verfasst. «Bei meinen Versuchen, Tibet mit all seinen<br />
Wiederspüchen zu verstehen, bin ich immer wieder über<br />
einen Namen gestossen: Gendun Choephel - ein Mönch<br />
aus dem Alten Tibet.» Dieser Mönch ist eben dieser «angry<br />
monk», welcher sich 1934 mit seiner Neugierde und<br />
Wissensdrust auf Reise begab in die Moderne. Zu Beginn<br />
des Filmes, wir er aus seinem Tageuch zitiert: «In<br />
Europa haben sie es herausgefunden, (...) jetzt weiss es<br />
der letzte Chinese: Die Erde ist rund. Nur wir im Tibet<br />
behaupten noch, sie sei eine Scheibe..».<br />
Der Weg aus der isolierten und behüteten Welt bringt<br />
im viele Erkenntnisse - aber nicht ganz mönchenhafte<br />
Züge. Er erkennt, dass die Geschichte um den Tibet eine<br />
andere Richtung angenommen hat und versucht dieses<br />
Wissen zurück in die Berge zu bringen. Er wird dadurch<br />
gerade bei jungen Tibetern zur Identifi kationsfi gur. Das<br />
Bild der idealen Gesellschaft, gewaltfrei und voll von Magie<br />
und Spiritualität, war für ihn dringend reformbedürftig.<br />
Luc Schaedler hat eine fantastische Hand für diesen<br />
Doku-Film gezeigt. Entstanden ist ein historisches Zeitdokument<br />
von einer wichtigen Umbruchzeit des Tibets.<br />
Was wir zu sehen bekommen, ist ein Land, welches uns<br />
noch fremder ist als zuvor. Discos, Schnellstrassen in<br />
Lhasa, Stein und Stein - alles gehört zusammen. Humorvoll<br />
und zum Teil glanzvoll hat Schaedler die Puzzelteile<br />
aus verschieden Teilen zusammengestrickt. Der<br />
Film war ohne die chinesische Bewilligung und dementsprechend<br />
«heiss» gedreht worden. Dies ermöglicht uns<br />
natürlich einen noch tieferen Einblick in diese Kultur.<br />
Choephel wird zu einem späteren Zeitpunkt aus verworrenen<br />
politischen Gründen verhaftet. Die drei Jahre<br />
Gefanenschaft brechen ihn. Er wird heimatlos zu Hause<br />
und gibt auf.<br />
Es ist sein zweiter Dokumentarfi lm (der Erste war<br />
1997 - Made in Hong Kong) und Luc Schaedler hat den<br />
fi lmischen Level bereits sehr hoch. Kamera, Schnitt,<br />
Dramaturgie sind spannend in einander verwoben. Seine<br />
Recherchen sind ohne Verherrlichungen von Choepel<br />
- obwohl seine Sympathie für diesen Mönch gut spürbar<br />
ist. Einziger Wehrmutstropfen ist die fast ausschiessliche<br />
Männerpräsenz im Film. Als wären Frauen nie ein<br />
Thema gewesen: Choephel war - gemäss Aussagen - oft<br />
bei Prostituierten, er war kurz vor seiner Verhaftung<br />
auch verheiratet - und obwohl seine Frau während den<br />
Dreharbeiten noch lebte, kam sie nur kurz vor die Kamera.<br />
Das stellt natürlich auch einige Fragen. Doch das<br />
trübt den Film erst im Nachhinein - zu spannend und<br />
sehenswert ist die Doku. Und was wir lernen ist ebenso<br />
wichtig für uns und unsere eigene Entwicklung in Europa.<br />
Mal sehen, etwas hängen bleibt.<br />
Als Anmerkung sei hier noch erwähnt, dass die Vorpremière<br />
zusammen mit XENIX Filmdistribution und<br />
ensuite - kulturmagazin ein voller Erfolg und das Kino<br />
am Sonntag früh fast voll war. Der Film läuft im regulären<br />
Programm ab September in Bern.<br />
Fokus Tibet – Filme zum<br />
sanften Widerstand<br />
Das Kino in der Reitschule zeigt im Anschluss an<br />
den Züricher Besuch des Dalai Lama, Filme, welche<br />
den Alltag im heutigen Tibet wiederspiegeln, den<br />
sanftem Widerstand zum Inhalt haben und politische<br />
Strategien auf einer kleinen Ebene aufzeigen. Die<br />
FilmemacherInnen, meist ExiltibeterInnen, setzen<br />
sich in nahezu allen Filmbeiträgen kritisch mit dem<br />
exotisierenden Bild auseinander, welches viele Leute<br />
im Westen über Tibet und seine Geschichte des Widerstandes<br />
haben.<br />
Programm<br />
Do 15. Sept., 21.00 h in Anwesenheit von Luc Schädler,<br />
Filmemacher und Antonia Maino, Initiantin des<br />
Zürcher Tibet-Filmprogramms // Do 22. Sept., Fr, 23.<br />
Sept., 21.00 h<br />
Destiny‘s Children: Voice of Tomorrow‘s Tibet<br />
Pimmi Pande, India/UK 2003, 28‘ OV/e (Berner Erstaufführung)<br />
The Forbidden Team<br />
Rasmus Dinesen & Arnold Krøigaard, DK 2003, 55‘<br />
OV/e (Berner Erstaufführung)<br />
Films are Dreams That Wander in<br />
the Light of Day<br />
Sylvia Sensiper, USA 1989, 20‘ OV (Berner Erstaufführung)<br />
Fr 16. Sept., Sa 24. Sept., Do 29. Sept., 21.00 h<br />
We‘re no Monks<br />
Pema Dhondup, India 2004, 127‘ OV/e (Berner Erstaufführung)<br />
Sa, 17. Sept., Fr, 30. Sept., 21.00 h<br />
Phörba – The Cup (Spiel der Götter), Khyentse Norbu,<br />
Australien 1999, 94 Min., 35mm, OV/df
SONJA WENGER<br />
must love dogs<br />
■ Eigentlich könnte man bei seinem ersten Date mal<br />
absolut ehrlich zueinander sein! Keiner weiss etwas<br />
über sein Gegenüber, beide Seiten sind offen für Neues<br />
und wenn man sich danach nie mehr wieder sieht, muss<br />
es einem nicht peinlich sein! Eine Anregung aus «Must<br />
love dogs», die eine Überlegung wert ist.<br />
«Frau mit Hund sucht Mann mit Herz», so lautet der<br />
deutsche Titel. Im Film «Must love dogs» von Regisseur<br />
Gary David Goldberg geht es allerdings nicht um Hunde,<br />
er bietet keine wirklichen Überraschungen und die Geschichte<br />
ist an sich schnell erzählt. Frau (Diane Lane als<br />
Sarah) wird von Ehemann wegen einer Jüngeren verlassen.<br />
Sie vergräbt sich in ihrem Kummer. Familie von Frau<br />
unternimmt Notmassnahmen und Schwester von Frau<br />
(Elisabeth Perkins als Carol) setzt eine P<strong>art</strong>neranzeige<br />
ins Internet. Schnitt. Mann (John Cusack als Jake) wird<br />
von Ehefrau wegen fehlender Aufmerksamkeit verlassen.<br />
Er vergräbt sich in seinem Kummer. Bester Freund<br />
von Mann unternimmt Notmassnahmen und druckt<br />
P<strong>art</strong>neranzeigen vom Internet aus.<br />
So weit so gut. Damit die Protagonisten gleich zu<br />
Beginn ein paar gute Bonmots fallen lassen können,<br />
trifft man sich im Park mit ausgeliehen Hunden, die für<br />
den Rest der Geschichte jedoch kaum noch eine Rolle<br />
spielen. Damit sich die Auserwählten nicht allzu schnell<br />
fi nden, gibt’s ein paar Einschübe. Ein zweiter Mann (Dermot<br />
Mulroney als Bob), von Ehefrau wegen Unverbesserlichkeit<br />
verlassen, erscheint als Mr. Perfect auf der<br />
Bühne und bringt Frau in Konfl ikte. Alle gehen sie durch<br />
eine Gefühlshölle bis Frau am Schluss erkennt, wer denn<br />
der Richtige ist.<br />
Das Meiste ist vorhersehbar, aber es handelt sich<br />
hier ja auch um eine Liebeskomödie! Lassen wir die h<strong>art</strong>en<br />
Beurteilungskriterien also mal beiseite und wenden<br />
uns den schönen Dingen des Films zu. Die Dialoge sind<br />
brillant ausgefeilt und aufeinander abgestimmt, die Geschichte<br />
spricht vor allem Singles über Dreissig an und<br />
ist solide, gute Unterhaltung. Selten hat Hollywood so<br />
witzig und intelligent auf das Thema online Dating reagiert.<br />
Genau das Richtige für einen verregneten Som-<br />
mer, denn wenigsten erwärmt sich das Herz dabei.<br />
Der Film hat viele wirklich gute Momente. So wenn<br />
zum Beispiel der hoffnungslose Romantiker Jake zum xten<br />
Mal «Dr. Schiwago» schaut, weil darin die Sehnsucht<br />
und die wahre Liebe vorkommen, seine 20jährige Begleiterin<br />
aber noch nie etwas von dem Film gehört hat.<br />
Wenn Sarahs erstes Date sich als ihr eigener verwitweter<br />
Vater Bill (Christopher Plummer) herausstellt oder<br />
dessen neue Freundin Dolly (eine herausragende Stockard<br />
Channing) ihr Tipps bezüglich Selbstdarstellung auf<br />
dem Internet gibt. Und besonders erwähnenswert all die<br />
Männer, welche auf Sarahs Anzeige antworten und sich<br />
als Frösche herausstellen, die besser ungeküsst bleiben.<br />
Interessant ist auch, das Phänomen Singledasein hier<br />
von beiden Seiten zu betrachten. Mann und Frau können<br />
also durchaus etwas lernen, auch wenn es nichts<br />
Neues ist. Wenn denn Jake die weisen Worte spricht,<br />
dass er nun weiss, was Trauer sei und ein gebrochenes<br />
Herz stärker als zuvor zusammenwächst, so hilft das<br />
vielleicht beim nächsten Liebeskummer, zumindest aber<br />
bei der nächsten Hemingway Lektüre.<br />
Diane Lane («Unfaithful») vermag in ihrer Rolle als<br />
Kindergärtnerin Sarah sehr glaubwürdig und sympathisch<br />
zu überzeugen. John Cusack («High Fidelity»)<br />
hat sich nun beinahe endgültig von seinem «kleinen<br />
Jungen» Charme emanzipiert und Dermot Mulroney<br />
(«My best Friends Wedding») ist mal angenehm gegen<br />
sein Saubermann Image besetzt. Tatsache ist, dass auch<br />
der Jüngste in diese Liga von Hollywood-Veteranen bereits<br />
mehr als 20 Jahre Filmerfahrung im Rücken hat<br />
und es einfach Spass macht, diesen Profi s beim spielen<br />
zuzusehen.<br />
Weder Regie noch Kamera fallen mit besonders kreativen<br />
Ideen auf, doch der Film ist von Anfang bis Ende<br />
stimmig. Regisseur Gary David Goldberg hat sich vor allem<br />
einen Namen gemacht als Drehbuchautor und Produzent,<br />
unter anderem von «Chaos City» mit Michael J.<br />
Fox und beweist auch hier wieder sein komödiantisches<br />
Talent.<br />
«Must love dogs» ist ein Film für romantische Seelen,<br />
bringt einen zum lachen und ist blendende Unterhaltung<br />
für alle, die irgendwie an die Liebe glauben.<br />
Der Film dauert 98 Minuten und ist seit dem 25.8.2005<br />
in den Kinos.<br />
TRATSCHUNDLABER<br />
K I N O<br />
■ Beinahe wäre dies Zeit und Ort geworden, sich<br />
das erste Mal so richtig das Maul zu zerreissen über<br />
Stars und Sternchen, welche sich selber wichtiger<br />
nehmen als sie sind. Welch herrliche Gelegenheit,<br />
eine Vorschau auf die kommenden Miss Schweiz<br />
Wahlen am 17. September zu leisten. Darüber zu<br />
sinnieren, was denn all unsere Ex-Missen heute tun,<br />
wie verzweifelt sie vor den Kameras als Moderatorinnen<br />
herumturnen und ausziehen und betonen, wie<br />
wahnsinnig wichtig ihnen innere Werte sind. Darüber<br />
zu lächeln, dass es offenbar «eine Ehre sei», sich für<br />
den Playboy ausziehen zu dürfen oder zum x-ten<br />
Mal zu hören, dass Melanie doch wirklich im Moment<br />
«keine Beziehung haben möchte».<br />
Aber eben nur beinahe. Das Hochwasser mit<br />
all seinen Folgen für die Bewohner in Bern und<br />
Umgebung und dem Rest der Schweiz relativiert die<br />
Prioritäten. Vielleicht ist Klatsch und Kratsch eine<br />
durchaus legitime Abwechslung von den Zwängen<br />
und Nöten des Alltags, doch wen interessiert schon<br />
Nadine Vinzenz neues Leben in Los Angeles, wenn<br />
ganze Stadtqu<strong>art</strong>iere evakuiert werden müssen? Die<br />
beklemmenden Bilder von überfl uteten Hauptstrassen<br />
und mit Sperrholz verstopften Flüssen sollten<br />
nicht so schnell vergessen werden, wie es vermutlich<br />
geschehen wird. Vielleicht ist es situationsbedingter<br />
Galgenhumor, der Schaulustige dazu treibt, unlustige<br />
Sprüche zu reissen im Angesicht der persönlichen<br />
Katastrophe Einzelner. Die nächsten Wochen werden<br />
zeigen, wie schnell eine «Normalisierung» und<br />
Rückkehr in den Alltag möglich ist. Vielleicht wird es<br />
dann auch wieder möglich sein, sich den profaneren<br />
Dingen des Lebens zuzuwenden und über den tieferen<br />
Sinn des Wortes «Brangelina» nachzudenken..<br />
Wer sich trotz allem ein kleines bisschen der<br />
Sinnlosigkeit widmen möchte, kann versuchen, die<br />
Kandidatinnen für die diesjährige Miss Schweiz Wahl<br />
zu unterscheiden. Eine Übersicht der Klone fi ndet<br />
sich auf der Webseite www.missschweiz.ch und bietet<br />
zudem ein Gruselkabinett aller ehemaligen Gewinnerinnen.<br />
Es lohnt sich beinahe.<br />
19
20 DM AU S I AK N D E R E K I N O<br />
www.cinematte.ch / Telefon 031 312 4546 www.kellerkino.ch / Telefon 031 311 38 05 www.kinokunstmuseum.ch / Telefon 031 328 09 99<br />
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Bern, denn die Cinématte darf nicht unter Wasser<br />
bleiben... www.cinematte.ch<br />
19<br />
(Kazushi Watanabe, Japan 2002, 82’, Originalversion/d)<br />
Auf dem Heimweg wird der Student Usami ohne ersichtlichen<br />
Grund von drei jungen Männern in ihr Auto<br />
gezerrt. Sie zwingen ihn auf eine Reise, die verblüffende<br />
Ähnlichkeit mit einem Familienausfl ug hat: ein Einkaufsbummel<br />
im Supermarkt, ein Zoobesuch, Erinnerungsfotos.<br />
Die anfänglichen Versuche Usamis, seinen<br />
Entführern zu entkommen, schlagen fehl. Nach und<br />
nach entwickeln sich zwischen Usami und den einzelnen<br />
Mitgliedern der seltsamen Reisegruppe eigene, intensive<br />
Beziehungen, bis sich die Rollen zu verschieben<br />
scheinen. Als die Dreierbande während eines langen,<br />
melancholischen Strandausfl ugs ein weiteres Opfer in<br />
ihre Gewalt bringt, gerät Usami in einen eigentümlichen<br />
Zwiespalt. Soll er sich mit seinem Leidensgenossen<br />
verbünden? Oder fühlt er sich in einer merkwürdigen<br />
Umkehrung der Wirklichkeit der Gruppe seiner Entführer<br />
verpfl ichtet? Usami zaudert. Kurz darauf ist nichts<br />
mehr, wie es einmal war.<br />
Eine scheinbar sinnlose Entführung, eine Autofahrt<br />
ans Meer, die Verwirrung der Wirklichkeit bis zu ihrer<br />
Umkehrung... «19» erzählt mit lakonischem Humor und<br />
in fast beiläufi ger Radikalität von einer ebenso surrealen<br />
wie wirklichen Reise – ein Roadmovie irgendwo<br />
zwischen Jim Jarmusch und Takeshi Kitano, das mit<br />
einer ganz eigenen Ästhetik fasziniert. Basierend auf<br />
einer authentischen Begebenheit, berichtet «19» von<br />
einer Jugend, deren Rebellion sich in scheinbar sinnloser<br />
Form äußert – die die Regeln bricht und sie gleichzeitig<br />
widerspiegelt. Regisseur Kazushi Watanabe, der<br />
auch den Anführer der Entführer-Dreierbande spielt,<br />
hat für diese Erzählung eine fi lmische Form gefunden,<br />
die ebenso stringent wie unbekümmert ist; ein überraschendes<br />
Abenteuer, klug und unterhaltsam, spannend,<br />
berührend und subversiv.<br />
«Kazushi Watanabe legt mit seinem Debütfi lm einen<br />
Geniestreich vor. Ein lakonischer Kommentar zur entfremdeten<br />
Welt, mit absurdem Humor und weitem Assoziationsraum.»<br />
(Berliner Zeitung)<br />
Ab 1.9.2005<br />
Von Mao bis Techno<br />
Das Programm mit zeitgenössischen unabhängigen<br />
Filmen aus China – präsentiert in Ergänzung zur Ausstellung<br />
«Mahjong – Chinesische Gegenw<strong>art</strong>skunst aus<br />
der Sammlung Sigg» im Kunstmuseum Bern – bietet<br />
einen Einblick in das vielfältige jüngste Filmschaffen<br />
der Volksrepublik und w<strong>art</strong>et mit einer ganzen Reihe<br />
exklusiver Schweizer Premieren auf. Im September-<br />
Teil des Filmzyklus, der im Oktober weitergeführt wird,<br />
vermitteln Publikumsbegegnungen und eine Podiumsdiskussion<br />
mit Fachleuten, Regisseuren und Künstlern<br />
zusätzliches Wissen zur chinesischen Kinematographie,<br />
die immer weniger von den Zensurbehörden geprägt<br />
wird, und mehr und mehr ins Spannungsfeld von Kunst<br />
und Kommerz gerät.<br />
Sa, 3. 9.<br />
18.00 h Einführung von Natalie Bao-Götsch (Sinologin)<br />
in den Film «South of the Clouds»<br />
So, 11.9.<br />
11.00 h Podiumsdiskussion<br />
14.00 h Einführung von Liu Hao (Regisseur) in seinen<br />
Film «Chen Mo & Meiting»<br />
16.00 h Einführung von Liu Hao (Regisseur) in seinen<br />
Film «Two Great Sheep»<br />
18.30 h Experimentelle Kurzfi lme in Anwesenheit des<br />
Performance-Duos Fu Yu und Jiang Haiqing<br />
Greta Garbo zum Hundertsten<br />
Anlässlich des hundertsten Geburtstages von Greta<br />
Garbo widmet die Grosse Halle ihre diesjährige Stummfi<br />
lmveranstaltung der «schweigenden» Garbo. Im Kino<br />
Kunstmuseum wird sie in vier von ihren wichtigsten Tonfi<br />
lmrollen präsentiert: «Grand Hotel», «Anna Karenina»,<br />
«Queen Cristina» und «Ninotchka». Die letzten zwei Titel<br />
können erfreulicherweise in brandneuen Reeditionskopien<br />
gezeigt werden.
KI O<br />
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Die Freudlose Gasse, Stummfi lm in der Grossen Halle<br />
der Reitschule<br />
Am 9. und 10.9.2005 eröffnet das Kino in der Reitschule<br />
die neue Spielsaison mit «Die Freudlose Gasse», der<br />
aufwändig restaurierten dreistündigen Fassung des<br />
Stummfi lmklassiker von Georg Wilhelm Pabst, mit Asta<br />
Nielsen und Greta Garbo. Der Film wird mit zeitgenössischer<br />
musikalischer Live-Begleitung aufgeführt, für<br />
die wiederum das Orchester Marco Dalpane, Bolgona,<br />
verantwortlich zeichnet.<br />
Pabsts Schilderung des Elends der Wiener Mittelschichten<br />
während der Infl ation, das in mehreren ineinander<br />
verfl ochtenen Geschichten um Prostitution und<br />
Verbrechen dargestellt wird, enthält stark melodramatische<br />
Züge, war aber realistisch genug, um das zeitgenössische<br />
Publikum zu schockieren. Neben den beiden<br />
Stars ist auch die beliebte Kabarettistin Valeska Gert als<br />
Bordellmutter zu sehen.<br />
Fokus Tibet – Filme zum sanften Widerstand<br />
Im Anschluss an den Zürcher Besuch des Dalai Lama<br />
sind im Kino in der Reitschule Filme zu sehen, die den<br />
Alltag im heutigen Tibet wiederspiegeln, den sanften<br />
Widerstand und politische Strategien auf einer kleinen<br />
Ebene aufzeigen, wie z.B. beim Fussballspiel. Die FilmemacherInnen,<br />
bei denen es sich meist um ExiltibeterInnen<br />
handelt, setzen sich in ihren Filmbeiträgen kritisch<br />
mit dem exotisierenden Bild auseinander, welches viele<br />
Leute im Westen über Tibet und seine Geschichte des<br />
Widerstandes haben. (15.-30.9., Do/Fr/Sa)<br />
Wiederaufnahme von Migraton<br />
Die von Paed Conca vertonte und zusammen mit Giorgio<br />
Andreoli zusammengestellte Collage Migraton<br />
setzt sich mit der Thematik Migration auseinander und<br />
ist ein Essay aus Dokumentarfi lmmaterial und Spielfi<br />
lmsequenzen. Beachtung verdient die Tatsache, dass<br />
Filmmontage und Komposition Hand in Hand liefen. Das<br />
Resultat ist also keine herkömmliche Filmvertonung. Bei<br />
Migraton ist die Musik gleich wichtig wie das Bild. Neben<br />
Paed Conca: (Bass, Klarinette, Elektronik, Komposition)<br />
sind Michael Thieke (Klarinette, Altoklarinette, Elektronik),<br />
Frank Crijns: (Gitarre, Elektronik) und Fabrizio Spera:<br />
(Schlagzeug, Elektronik) zu hören. (Mi 28.9./Sa 1.10.)<br />
Schweizerische Filmarbeitskurse 1967-69<br />
Die Schweizerischen Filmarbeitskurse von 1967-69<br />
prägten eine Generation mit, die zur Blüte des Schweizer<br />
Filmes in den Siebzigern beitrug. Betreut von Dozenten<br />
wie Kurt Früh oder Hugo Loetscher realisierten<br />
dort u.a. Markus Imhoof, Clemens Klopfenstein, Eduard<br />
Winiger oder Jacqueline Veuve ihre frühen Werke. Die<br />
Kurse fi elen in ein Umfeld, das von den Unruhen 1968<br />
und vom kalten Krieg geprägt war. Der Geist der Zeit<br />
offenb<strong>art</strong> sich in den Filmen in einem Unbehagen mit<br />
dem Status quo, in den Ausbruchsphantasien, der Lust<br />
an der Provokation und den vereinzelten Träumen von<br />
einem anderen Leben, aber auch in Kleidern, Frisuren,<br />
Musik und Gesten, die in der Zeit verhaftet scheinen.<br />
Der Filmwissenschaftler Thomas Schärer gibt Einblick<br />
in diese Experimentierphase der ersten systematischen<br />
Filmausbildung in der Schweiz. (5. und 12.9., 20h)<br />
La nébuleuse du coeur<br />
Jacqueline Veuve unternimmt in ihrem neuen Film «La<br />
nébuleuse du coeur» eine Reise ins Innere des Herzens.<br />
Anlässlich der Berner Premiere im Lichtspiel, wo sie<br />
auch zwei Szenen gedreht hat, wird sie selber anwesend<br />
sein. (14.9., 20h)<br />
Giant Monster Teenager<br />
Der amerikanische Filmsammler, Buchautor und B-<br />
Movie-Archäologe Jack Stevenson gastiert wieder im<br />
Lichtspiel und präsentiert persönlich verschiedene<br />
skurrile Kultrollen aus seiner Sammlung: Mit «Sex, Fear<br />
and Horror in the Classroom» zeigt er eine Auswahl von<br />
unterhaltsamen Aufklärungsfi lmen, die den amerikanischen<br />
Kindern in den 40er bis 80er-Jahren vorgeführt<br />
wurden und Reaktionen von beklemmender Peinlichkeit<br />
bis Paranoja hervorriefen. Mit «Terminal USA» folgt<br />
eine witzige und gleichzeitig groteske Seifenoperparodie<br />
(beide Filme 17.9. ab 20h). «Giant Monster Teenager»<br />
ist ein Zelluloidtribut an das Mysterium «Teenager» der<br />
50er und 60er-Jahre (18.9. 20h), «Plan 9 from Church»<br />
schliesslich enthüllt ein spannendes Stück Filmgeschichte:<br />
nicht nur B-Movie-Produzenten wie Ed Wood drehten<br />
Science-Fiction-Filme - auch Sekten wie die Mormonen<br />
oder Paulisten bedienten sich dieses Genres für Werbezwecke.<br />
21<br />
Johnny Depp<br />
Bekannt wurde Johnny Depp in den späten 80ern den<br />
LiebhaberInnen von TV-Serien: Die Rolle als Undercover-<br />
Polizist in «21 Jump Street» beförderte ihn nach<br />
ein paar unbedeutenden Nebenrollen in die Reihe der<br />
erfolgversprechenden Jungschauspielern. Doch als hätte<br />
er Angst vor zuviel Erfolg, bevorzugte Depp von da an<br />
Rollen als Aussenseiter: Sei es als jugendlicher Aufwiegler<br />
in «Cry-Baby» oder als einziger Mann in einer sehr<br />
schrägen Familie in «What’s Eating Gilbert Grape» – der<br />
Schauspieler scheute die strahlenden Helden zugunsten<br />
der weniger eindeutigen Figuren. Es mag deshalb auch<br />
kein Zufall sein, dass er in Tim Burton «seinen» Regisseur<br />
gefunden hat. Das FILMPODIUM- Programm zeigt<br />
eine Auswahl von Johnny Depps (mehr und weniger bekannten)<br />
Filmen in chronologischer Reihenfolge:<br />
2-5.9: «Cry-Baby» / 9-10.9: «Benny & Joon» / 11-12.9:<br />
«What’s Eating Gilbert Grape?» / 18-19.9: «Ed Wood»<br />
/ 23-24.9: «Fear and Loathing in Las Vegas» / 25-26.9:<br />
«Sleepy Hollow» / 30.9-1.10: «Chocolat» / 2-3.10: «Lost<br />
in La Mancha»<br />
On the Road ... Again<br />
(In Zusammenarbeit mit den Bieler Fototagen):<br />
3.9: «Candy Mountain»: Robert Franks Film ist eine<br />
moderne Odyssee, die Suche des jungen, erfolglosen<br />
Musikers Julius nach dem legendären Elmore Silk, den<br />
die Branche als den grössten Gitarrenbauer aller Zeiten<br />
bezeichnet und der schon seit vielen Jahren aus New<br />
York verschwunden ist. Als er sich auf die Reise begibt,<br />
hat er einen Vertrag in der Tasche, diesen eigensinnigen<br />
Künstler für einige tausend Dollar zu fi nden, der gefl ohen<br />
ist, um seine Integrität zu behalten. Mit Tom Waits,<br />
Jim Jarmusch, Bulle Ogier etc.<br />
FANTOCHE 05 – Das Internationale Festival für Animationsfi<br />
lm macht Halt in Biel:<br />
16.9: «New York, New York»: Historische und neue Kurzfi<br />
lme zeigen, wie Trickfi lmerInnen New York zum animierten<br />
Charakter erheben und dessen visuelle Kraft<br />
immer wieder für ihre Filme nutzen.<br />
17.9: «Best Of Fantoche”: Die PreisträgerInnenfi lme<br />
aus dem internationalen Wettbewerb des Festivals für<br />
Animationsfi lm FANTOCHE 05. www.fantoche.ch
22<br />
AUS BERLIN...<br />
SARAH ELENA SCHWERZMANN<br />
TASTES LIKE HAIRSPRAY<br />
■ And I’m thinking: Lights are blinding my eyes.<br />
Alle sind sie begeistert zurückgekommen. Mit<br />
glänzenden Augen. Mit schönen Erinnerungen. Und<br />
voller Erw<strong>art</strong>ung und Sehnsucht auf das nächste<br />
Mal. Ich nicht. Im Februar war ich das erste Mal<br />
dort. Und enttäuscht. Viel pompöser habe ich mir<br />
diese Stadt vorgestellt. Viel Aussagekräftiger. Und<br />
es war kalt. So kalt, dass man sich draussen kaum<br />
aufhalten konnte. Minus acht Grad. Naja du hast halt<br />
einfach noch nicht viel gesehen. Aber du kommst ja<br />
wieder. Wenn es wärmer ist. Und alle haben schon<br />
geschwärmt. Ach du Glückliche. Im Sommer soll<br />
es da ja so schön sein. Und jetzt bin ich hier. Seit<br />
einem Monat. Und doch habe ich das Gefühl, ich sei<br />
erst gestern angekommen. Aber nein, es sind vier<br />
Wochen. In Schweizer Wochen umgerechnet etwa<br />
dreihundert. Insgesamt fünf Wochen meines Lebens<br />
habe ich bisher hier verbracht. Und fühle mich hier<br />
zu Hause. Wie überall. Überall ausser in der Stadt, in<br />
der ich offi ziell zuhause bin. Fernweh bis es blutet.<br />
Und nun lecke ich meine Wunden. Ganz alleine. In<br />
einer pulsierenden Metropole. Und bin einsamer<br />
denn je. Endlich. Keine älteren Nachbarn, die beim<br />
Briefkasten anfangen zu plaudern. Keine früheren<br />
Schulkollegen, denen man irgendwo begegnet und<br />
die, aus lauter Pfl ichtbewusstsein, mit einem reden.<br />
Ich weiss auch nicht. Aber ich hatte immer das<br />
Gefühl, ich strahle ein Minimum an Ablehnung aus,<br />
das dies verhindern sollte. And I’m thinking: People<br />
pushing by. All das nicht hier. Ich steife alleine<br />
durch die Strassen. Sie sind endlos. Nicht so wie<br />
anderswo. Und genau das macht der Unterschied.<br />
Genau das macht es, dass ich hier glücklich bin<br />
und dort todunglücklich. Alles was ich brauche sind<br />
Strassen, die nicht aufhören. Meinen iPod. Und ich<br />
gehe unermüdlich. Mit meinem Soundtrack. Meinem<br />
Soundtrack zur Stadt. Berlin. Then walking off into<br />
the night.<br />
Lyrics: The Streets «Blinded by the lights»<br />
ISABELLE LÜTHY<br />
chinas junges,<br />
unabhängiges filmschaffen<br />
■ Aus Anlass der Ausstellung «Mahjong – Chinesische<br />
Gegenw<strong>art</strong>skunst aus der Sammlung Sigg», die momentan<br />
im Kunstmuseum zu sehen ist, zeigt das Kino im<br />
Kunstmuseum von September bis Oktober eine Reihe<br />
chinesischer Filme aus den letzten zwanzig Jahren.<br />
Unter dem Titel «Von Mao zu Techno» werden unter anderem<br />
Klassiker, wie die frühen Werke von Zhang Yimou<br />
(«Das rote Kornfeld») und Chen Kaige («Farewell my<br />
concubine»), die zu der ersten Generation von Filmemachern<br />
nach dem Ende der Kulturrevolution gehören, zu<br />
sehen sein. Schwerpunkt des Programms bilden jedoch<br />
Filme neueren Datums. Hier darf sich das Publikum auf<br />
einige exklusive Schweizer Kinopremieren freuen. Zum<br />
Beispiel auf «South of the Clouds» von Zhu Wen, »Oxhide”<br />
von Liu Jiayin, «The World” von Jia Zhangke, oder<br />
»Two Great Sheep” von Liu Hao. Mit den chinesischen<br />
Kurz- und Experimentalfi lmen werden zudem Werke von<br />
bedeutenden chinesischen «New Media»-Künstlern vorgestellt.<br />
Seit Mitte der Neunzigerjahre ist in China eine neue,<br />
unabhängige Szene von Filmemachern, die sogenannte<br />
«sechste Generation» der Pekinger Filmakademie,<br />
entstanden. Diese jungen Regisseure grenzen sich von<br />
ihren Vorgängern, die sich im Westen etabliert und vermehrt<br />
dem kommerziellen Film zugewandt haben, explizit<br />
ab. Zu ihnen gehören Jia Zhangke und Liu Hao. Im<br />
Kontrast zu den farbigen Epochengemälden ihrer Vorgänger<br />
richten sie ihren Blick auf das alltägliche Leben<br />
und versuchen dieses mittels handlicher Digitalvideokameras<br />
möglichst realitätsnah einzufangen. Die Grenzen<br />
zwischen Dokumentar- und Spielfi lm verschwimmen.<br />
Ein Artikel Jia Zhangkes, der 1998 in einer chinesischen<br />
Wochenzeitung publiziert wurde, ist zu einer Art Manifest<br />
des jungen chinesischen Films geworden. Darin<br />
spricht er sich für mehr «Ethik und Wahrhaftigkeit» im<br />
Film aus und betont die Bedeutung des Amateurfi lms.<br />
Gezeigt werden soll das andere, das wirkliche China.<br />
Das China, das sich in tiefgreifenden ökonomischen<br />
und sozialen Umwälzungen befi ndet. Erzählt werden<br />
die Geschichten der kleinen Leute, die sich angesichts<br />
des Umbruchs verloren und orientierungslos fühlen.<br />
Themen wie Prostitution, Kriminalität, Homosexualität,<br />
Armut auf dem Land, Landfl ucht oder das Massaker von<br />
Tiananmen, die bislang tabu waren, werden nun fi lmisch<br />
zur Sprache gebracht.<br />
Filmemacher, die sich diesen Grundsätzen verpfl ichtet<br />
fühlen, hatten bis vor kurzem keine Chance, ihre Produktionen<br />
in China zu zeigen. Um der offi ziellen Zensurbehörde<br />
zu entgehen, arbeiteten sie vorwiegend im<br />
Untergrund. Jia Zhangkes Filme «Platform», «Pickpocket»<br />
und «Unknown Pleasures» oder Liu Haos «Chen<br />
Mo & Meining» wurden ausschliesslich im Ausland ge-<br />
zeigt. Auf oft abenteuerliche Weise wurden die Filme<br />
ins Ausland geschmuggelt, dort nachbearbeitet und an<br />
den ausländischen Filmfestivals mit grossem Erfolg vorgeführt.<br />
Diesbezüglich scheint sich in den letzten zwei<br />
Jahren jedoch ein langsamer Wandel abzuzeichnen.<br />
Aufgrund der «Lockerung» der Zensur gelang es Jia<br />
Zhangke, Liu Hao und Zhu Wen die staatlichen Schranken<br />
zu passieren und ihre neusten Filme auch dem chinesischen<br />
Publikum zugänglich zu machen. Für viele<br />
junge Regisseure bleibt der Untergrund allerdings auch<br />
weiterhin die einzige Möglichkeit, ihre Ideen fi lmisch<br />
umzusetzen.<br />
Ji Zhangke wurde 1970 in der chinesischen Provinz<br />
Shaanxi geboren. Er studierte Malerei, schrieb mit 21<br />
Jahren seinen ersten Roman und gründete 1995 die<br />
erste unabhängige Film-Produktionsfi rma Chinas. «The<br />
World» (2004) ist sein vierter Spielfi lm. Er handelt von<br />
Jugendlichen aus der Provinz, die in der Stadt ihr Glück<br />
versuchen. Schauplatz der Handlung ist der Vergnügungspark<br />
«The World» in einem Vorort von Peking.<br />
Vom Schiefen Turm von Pisa, dem World Trade Center,<br />
dem Taj Mahal bis zu den ägyptischen Pyramiden sind<br />
hier die grössten Sehenswürdigkeiten der Welt nachgebaut<br />
- die Welt «en miniature». Der Park verspricht all<br />
jenen, die kein Geld für Reisen haben, die Entdeckung<br />
der Welt in nur einem Tag. Zwei Welten tun sich auf und<br />
stehen einander konfl iktträchtig gegenüber: die Welt<br />
des bäuerlichen Lebens in den Provinzen und die Welt<br />
des modernen Stadtlebens. Die Leute, die im Park arbeiten,<br />
leben irgendwo dazwischen, in einer künstlichen<br />
Welt aus Kitsch. «The World» ist aber auch die Geschichte<br />
einer tragischen Liebe zwischen der Tänzerin Tao<br />
und dem einsamen Parkwächter Taijeng. Beide sehnen<br />
sich nach einem Leben in der Stadt. Wie viele andere<br />
Menschen sind Tao und Taijeng auf der Suche nach ihrem<br />
Platz in China, so wie China seinen Platz in der Welt<br />
sucht.<br />
Spieldaten von «The World»: 10. und 13. September,<br />
jeweils um 20.30 Uhr.<br />
Podiumsdiskussion im Kunstmuseum: «Der neue<br />
chinesische Film zwischen Kunst und Kommerz.»<br />
Sonntag 11. September, 11.00 Uhr. In Anwesenheit des<br />
Regisseurs Liu Hao.<br />
Weitere Informationen sowie das gesamte September-Oktober-Programm<br />
fi nden sich unter:<br />
www.kinokunstmuseum.ch<br />
Auskünfte und Ticketreservationen: 031 328 09 99<br />
oder per Email an: kinokabine@kinokunstmuseum.ch
KLAUS BONANOMI<br />
VON MENSCHEN UND MEDIEN<br />
Was geht uns die Übernahme von Sat.1 durch Springer an?<br />
■ Der Axel Springer Verlag ist der grösste und mächtigste<br />
Zeitungsverleger Europas. Zum Springer-Imperium<br />
gehört die Boulevardzeitung «Bild» mit ihrer Auflage<br />
von 3,8 Millionen; die konservative Tageszeitung<br />
«Die Welt», verschiedene weitere Tages- und Sonntagstitel<br />
sowie mehrere Zeitschriften von «Hörzu» bis zum<br />
deutschen «Rolling Stone». Tag für Tag erreichen die<br />
Springer-Titel 35 Millionen Menschen in Deutschland<br />
– mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung.<br />
Doch das reicht Springer nicht: Nun will der Grossverleger<br />
auch noch gross ins Fernsehgeschäft einsteigen.<br />
Für gut 4 Milliarden Euro will Springer die Privatfernseh-«Familie»<br />
Sat.1-ProSieben übernehmen – neben<br />
RTL die grösste Privat-TV-Gruppe Deutschlands. «Wenn<br />
das Bundes-K<strong>art</strong>ellamt die Übernahme genehmigt,<br />
könnte ein Konzern mit konservativer Ausrichtung entstehen,<br />
wie es ihn in der Geschichte der Bundesrepublik<br />
noch nie gegeben hat», befürchtet die liberale Wochenzeitung<br />
«Die Zeit». Ein Medienverbund, der Themen setzen<br />
und Themen verschweigen, Stars heute hochjubeln<br />
und morgen niedermachen und im Zusammenspiel von<br />
Boulevardpresse, Tageszeitungen und Fernseh-Magazinen<br />
in nie gekanntem Ausmass die politische Stimmung<br />
im ganzen Land beeinfl ussen könnte.<br />
Und zwar in konservativem Sinne: Konzerngründer<br />
Axel Cäsar Springer stand zeitlebens unverrückbar im<br />
rechten Lager, liess seine Zeitungen gegen die 68er-<br />
Studentenbewegung und gegen Willy Brandts Entspannungspolitik<br />
mit der DDR anschreiben. Und heute, 20<br />
Jahre nach dem Tod des Patriarchen, zeigt sich seine<br />
Witwe Friede Springer demonstrativ gerne an der Seite<br />
von CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Bevorzugtes<br />
Opfer der «Bild»-Kampagnen sind auch heute noch<br />
rot-grüne, allenfalls auch liberale Politiker. «Das politische<br />
Sendungsbewusstsein ist 20 Jahre nach Springers<br />
Tod schwächer geworden, erloschen ist es noch nicht»,<br />
heisst es in dem «Zeit»-Text.<br />
Wer nun erw<strong>art</strong>et hätte, dass sich die deutschen<br />
PolitikerInnen – insbesondere natürlich die rot-grünen<br />
– gegen den Springer-Sat.1-Deal aufl ehnen würden, sah<br />
sich freilich getäuscht. Die «Zeit» versuchte für ihren<br />
Artikel kritische Politiker-Statements einzuholen – vergebens:<br />
Sämtliche angefragten Spitzenpolitiker hatten<br />
entweder «keine Zeit» oder (wie SPD-Bundestagspräsident<br />
Wolfgang Thierse) die Ausrede parat, «da müsste<br />
er sich zuerst einarbeiten», bevor er eine Stellungnahme<br />
abgeben würde. «Politisches Wegducken» nennt<br />
dies die «Zeit»: Schon heute ist «Bild» so mächtig, dass<br />
sich keiner dagegen aufzulehnen getraut. Insbesondere<br />
jetzt, mitten im Wahlkampf. – Und nun droht die konservative<br />
Springer-Macht auch noch aufs Privatfernsehen<br />
überzugreifen.<br />
Natürlich verbittet sich Sat.1-Chef Roger Schawinski<br />
tapfer jede politische Einfl ussnahme: Sein Sender bietet<br />
in erster Linie Unterhaltung und News; und sein einziger<br />
Erfolgs-Massstab ist die Einschaltquote: Und mit einem<br />
auf konservativen Kurs getrimmten Polit-TV würde er<br />
zumindest einen Teil seines Publikums vergraulen. Doch<br />
zu Sat.1 gehören auch der Newskanal N24 und der kleinere<br />
Sender ProSieben; da lässt sich einiges machen.<br />
Und warum sollte sich der Springer-Verlag auf das fi -<br />
nanzielle Hochrisikogeschäft Fernsehen einlassen, wo<br />
C A R T O O N 23<br />
www.fauser.ch<br />
seit Jahren ein erbitterter Kampf um die rückläufi gen<br />
Werbeeinnahmen tobt und wo es wenig zu verdienen,<br />
aber viel Geld zu verlieren gibt, wenn es ihm nicht darum<br />
ginge, politischen Einfl uss zu nehmen? Gerade jetzt,<br />
wo die politische Wende nach rechts naht. Mit Frau Merkel<br />
an der Macht und Springer-Sat.1 als publizistischem<br />
Flankenschutz könne man die konservative Linie auf<br />
Jahre hinaus zementieren.<br />
Und was geht dies alles uns hier in der Schweiz an?<br />
Auch wir haben, wenn auch in lokalerem Rahmen, unsere<br />
mächtigen Medienfürsten und K<strong>art</strong>elle. Zum Beispiel<br />
in Chur. Dort führt kein Weg am Imperium der «Südostschweiz»<br />
vorbei: Zwei deutschsprachige und eine<br />
rätoromanische Zeitung, Lokalfernsehen und Lokalradio<br />
sind in einer Hand. Das bekam auch der Leiter der<br />
Churer Theatergruppe «In Situ», Wolfram Frank, zu spüren:<br />
Wie kürzlich die Wochenzeitung WOZ berichtete,<br />
gerieten der Theatermann und der «Südostschweiz»-<br />
Chefredaktor Andrea Masüger abends in einer Kneipe<br />
aneinander, es kam zu einem heftigen Wortgefecht, mit<br />
der Folge, dass Masüger drohte, in sämtlichen ihm unterstellten<br />
Medien nie mehr ein Wort über «In Situ» zu<br />
veröffentlichen, bis sich Frank bei ihm entschuldige. Auf<br />
diese fl agrante Zensurdrohung reagierte Theatermann<br />
Frank mit einer Beschwerde an den Presserat – in dessen<br />
Stiftungsrat unter anderem auch «Südostschweiz»-<br />
Mann Masüger sitzt...<br />
Der Fall ist noch hängig, und man darf gespannt sein,<br />
ob und wie in der «Südostschweiz» über die «In Situ»-<br />
Premiere vom 8. September berichtet wird!
KLAUS BONANOMI<br />
VON MENSCHEN UND MEDIEN<br />
Was geht uns die Übernahme von Sat.1 durch Springer an?<br />
■ Der Axel Springer Verlag ist der grösste und mächtigste<br />
Zeitungsverleger Europas. Zum Springer-Imperium<br />
gehört die Boulevardzeitung «Bild» mit ihrer Auflage<br />
von 3,8 Millionen; die konservative Tageszeitung<br />
«Die Welt», verschiedene weitere Tages- und Sonntagstitel<br />
sowie mehrere Zeitschriften von «Hörzu» bis zum<br />
deutschen «Rolling Stone». Tag für Tag erreichen die<br />
Springer-Titel 35 Millionen Menschen in Deutschland<br />
– mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung.<br />
Doch das reicht Springer nicht: Nun will der Grossverleger<br />
auch noch gross ins Fernsehgeschäft einsteigen.<br />
Für gut 4 Milliarden Euro will Springer die Privatfernseh-«Familie»<br />
Sat.1-ProSieben übernehmen – neben<br />
RTL die grösste Privat-TV-Gruppe Deutschlands. «Wenn<br />
das Bundes-K<strong>art</strong>ellamt die Übernahme genehmigt,<br />
könnte ein Konzern mit konservativer Ausrichtung entstehen,<br />
wie es ihn in der Geschichte der Bundesrepublik<br />
noch nie gegeben hat», befürchtet die liberale Wochenzeitung<br />
«Die Zeit». Ein Medienverbund, der Themen setzen<br />
und Themen verschweigen, Stars heute hochjubeln<br />
und morgen niedermachen und im Zusammenspiel von<br />
Boulevardpresse, Tageszeitungen und Fernseh-Magazinen<br />
in nie gekanntem Ausmass die politische Stimmung<br />
im ganzen Land beeinfl ussen könnte.<br />
Und zwar in konservativem Sinne: Konzerngründer<br />
Axel Cäsar Springer stand zeitlebens unverrückbar im<br />
rechten Lager, liess seine Zeitungen gegen die 68er-<br />
Studentenbewegung und gegen Willy Brandts Entspannungspolitik<br />
mit der DDR anschreiben. Und heute, 20<br />
Jahre nach dem Tod des Patriarchen, zeigt sich seine<br />
Witwe Friede Springer demonstrativ gerne an der Seite<br />
von CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Bevorzugtes<br />
Opfer der «Bild»-Kampagnen sind auch heute noch<br />
rot-grüne, allenfalls auch liberale Politiker. «Das politische<br />
Sendungsbewusstsein ist 20 Jahre nach Springers<br />
Tod schwächer geworden, erloschen ist es noch nicht»,<br />
heisst es in dem «Zeit»-Text.<br />
Wer nun erw<strong>art</strong>et hätte, dass sich die deutschen<br />
PolitikerInnen – insbesondere natürlich die rot-grünen<br />
– gegen den Springer-Sat.1-Deal aufl ehnen würden, sah<br />
sich freilich getäuscht. Die «Zeit» versuchte für ihren<br />
Artikel kritische Politiker-Statements einzuholen – vergebens:<br />
Sämtliche angefragten Spitzenpolitiker hatten<br />
entweder «keine Zeit» oder (wie SPD-Bundestagspräsident<br />
Wolfgang Thierse) die Ausrede parat, «da müsste<br />
er sich zuerst einarbeiten», bevor er eine Stellungnahme<br />
abgeben würde. «Politisches Wegducken» nennt<br />
dies die «Zeit»: Schon heute ist «Bild» so mächtig, dass<br />
sich keiner dagegen aufzulehnen getraut. Insbesondere<br />
jetzt, mitten im Wahlkampf. – Und nun droht die konservative<br />
Springer-Macht auch noch aufs Privatfernsehen<br />
überzugreifen.<br />
Natürlich verbittet sich Sat.1-Chef Roger Schawinski<br />
tapfer jede politische Einfl ussnahme: Sein Sender bietet<br />
in erster Linie Unterhaltung und News; und sein einziger<br />
Erfolgs-Massstab ist die Einschaltquote: Und mit einem<br />
auf konservativen Kurs getrimmten Polit-TV würde er<br />
zumindest einen Teil seines Publikums vergraulen. Doch<br />
zu Sat.1 gehören auch der Newskanal N24 und der kleinere<br />
Sender ProSieben; da lässt sich einiges machen.<br />
Und warum sollte sich der Springer-Verlag auf das fi -<br />
nanzielle Hochrisikogeschäft Fernsehen einlassen, wo<br />
C A R T O O N 23<br />
www.fauser.ch<br />
seit Jahren ein erbitterter Kampf um die rückläufi gen<br />
Werbeeinnahmen tobt und wo es wenig zu verdienen,<br />
aber viel Geld zu verlieren gibt, wenn es ihm nicht darum<br />
ginge, politischen Einfl uss zu nehmen? Gerade jetzt,<br />
wo die politische Wende nach rechts naht. Mit Frau Merkel<br />
an der Macht und Springer-Sat.1 als publizistischem<br />
Flankenschutz könne man die konservative Linie auf<br />
Jahre hinaus zementieren.<br />
Und was geht dies alles uns hier in der Schweiz an?<br />
Auch wir haben, wenn auch in lokalerem Rahmen, unsere<br />
mächtigen Medienfürsten und K<strong>art</strong>elle. Zum Beispiel<br />
in Chur. Dort führt kein Weg am Imperium der «Südostschweiz»<br />
vorbei: Zwei deutschsprachige und eine<br />
rätoromanische Zeitung, Lokalfernsehen und Lokalradio<br />
sind in einer Hand. Das bekam auch der Leiter der<br />
Churer Theatergruppe «In Situ», Wolfram Frank, zu spüren:<br />
Wie kürzlich die Wochenzeitung WOZ berichtete,<br />
gerieten der Theatermann und der «Südostschweiz»-<br />
Chefredaktor Andrea Masüger abends in einer Kneipe<br />
aneinander, es kam zu einem heftigen Wortgefecht, mit<br />
der Folge, dass Masüger drohte, in sämtlichen ihm unterstellten<br />
Medien nie mehr ein Wort über «In Situ» zu<br />
veröffentlichen, bis sich Frank bei ihm entschuldige. Auf<br />
diese fl agrante Zensurdrohung reagierte Theatermann<br />
Frank mit einer Beschwerde an den Presserat – in dessen<br />
Stiftungsrat unter anderem auch «Südostschweiz»-<br />
Mann Masüger sitzt...<br />
Der Fall ist noch hängig, und man darf gespannt sein,<br />
ob und wie in der «Südostschweiz» über die «In Situ»-<br />
Premiere vom 8. September berichtet wird!
Eine Kunst-Sonderbeilage<br />
im ensuite - kulturmagazin, Bern:<br />
<strong>art</strong>ensuite<br />
M U S I K<br />
JEFF WALL - DOORPUSHER 1984<br />
Transparency in lightbox<br />
249 x 122 cm / (c) Jeff Wall<br />
2527<br />
<strong>art</strong>ensuite
26<br />
<strong>art</strong>ensuite<br />
Jeff Wall - Photographs 1978-2004<br />
Schaulager Münchenstein/Basel<br />
Die Ausstellung ist noch bis 25. September 2005 zu<br />
sehen. Geöffnet Dienstag bis Freitag 12.00 - 18.00<br />
Uhr, Donnerstag 12.00 - 19.00 Uhr und Samstag<br />
und Sonntag 10.00 - 17.00 Uhr. Weitere Informationen<br />
unter www.schaulager.org. Das Schaulager ist<br />
vom Bahnhoff SBB mit der Tram Nr. 11 in wenigen<br />
Minuten zu erreichen. Katalog zur Ausstellung Jeff<br />
Wall - Catalogue Raisonné 1978-2004, hrsg. vom<br />
Schaulager und dem Steidl-Verlag, Göttingen. 489<br />
S., Fr. 62.-.<br />
wacht auf ihr augenmenschen<br />
Es ist viel los im Kunstbetrieb Schweiz<br />
■ Man braucht nicht extra nach Venedig<br />
zu fahren, um einen Augenschaus<br />
zu sehen. In verschiedenen Schweizer<br />
Städten werden gleich mehrere hoch-<br />
von Dominik Imhof<br />
karätige Ausstellungen präsentiert.<br />
Also stehen Sie auf, gehen Sie hin.<br />
Diesmal führt uns die Kunst nach Basel.<br />
Natürlich ist Basel auch ohne Kunst<br />
eine Augenweide. Aber diese Tage ist<br />
man fast gezwungen in die verschiedenen<br />
White Cubes einzudringen. Gleich<br />
drei grosse Namen sind in Basel zu besichtigen:<br />
Jeff Wall im Schaulager und<br />
Pablo Picasso sowie René Magritte in<br />
der Fondation Beyeler.<br />
The Storyteller - Jeff Wall im Schaulager<br />
Von aussen wirkt es ja doch etwas<br />
abweisend, das Schaulager in Münchenstein/Basel,<br />
mit seinem Wachhäuschen<br />
und der monumentalen<br />
Fassade. Sobald man jedoch das Gebäude<br />
betritt, wird man für seinen Mut<br />
belohnt. Im Innenraum ist zwar auch<br />
Monumentalität angesagt - durch den<br />
enormen Raum, der sich bis an die<br />
Decke öffnet - aber die Architektur ist<br />
hier durch die Étagen und die Vielzahl<br />
der Neonröhren fein gegliedert. Das<br />
Konzept des Schaulagers ist auch drei<br />
Jahre nach der Eröffnung in seiner<br />
Neu<strong>art</strong>igkeit und Nützlichkeit immer<br />
noch erwähnenswert: Die Werke der<br />
Emanuel Hoffmann-Stiftung - ca. 650<br />
Werke - sind in den oberen Geschossen<br />
in Koien aufbewahrt, und zwar<br />
unverpackt und installiert sowie nach<br />
konservatorischen Aspekten geordnet.<br />
Für das Fachpublikum werden diese<br />
Koien geöffnet und die Werke für die<br />
Forschung zugänglich gemacht. Neben<br />
dieser Tätigkeit ist das Schaulager jeweils<br />
während der Sommermonate für<br />
eine Wechselausstellung geöffnet.<br />
Vom Kassenbereich kann man die<br />
ersten Werke der dritten Ausstellung,<br />
die im Schaulager präsentiert wird,<br />
bereits sehen - und die Aussicht ist<br />
vielversprechend. Nach Dieter Roth<br />
und Herzog & de Meuron - den Architekten<br />
des Hauses - ist es nun Jeff<br />
Wall, einer der wichtigsten Fotografen<br />
unserer Zeit, dem das Schaulager eine<br />
retrospektive Ausstellung widmet. Die<br />
Emanuel Hoffmann-Stiftung hat bereits<br />
1982 ein erstes Werk von Jeff Wall<br />
angekauft, danach folgten weitere aus<br />
allen Schaffensphasen des Künstlers.<br />
Nach einem Besuch des Künstlers im<br />
Schaulager war dieser auch sofort bereit<br />
hier eine Ausstellung zu machen.<br />
Und Jeff Wall hat natürlich recht: nur<br />
in wenigen anderen Museen würden<br />
seine Fotografien eine so hervorragende<br />
Wirkung entfalten. Eine ganz spezielle<br />
Präsentationsform hat Wall für<br />
einen Grossteil seiner Fotografien ausgewählt:<br />
grossformatige Diapositive in<br />
Alukästen, die von hinten beleuchtet<br />
werden, ganz wie Werbeleuchtkästen.<br />
So können die Werke eine enorme<br />
Präsenz erreichen. Neben diesen Fotografien<br />
sind aber auch Arbeiten in<br />
Schwarz-Weiss, die seit 1996 entstanden,<br />
ausgestellt.<br />
Jeff Wall wurde 1946 in Vancouver<br />
geboren. Er studierte Kunstgeschichte,<br />
was man an einigen Werken erkennen<br />
kann, und war als Doktorand in London<br />
tätig. Seit 1974 bis 1999 war Wall<br />
Dozent in Halifax und Vancouver.<br />
Seine künstlerische Laufbahn begann<br />
in den 60er Jahren mit monochromen<br />
Arbeiten und Installationen bis<br />
er 1977 zur Fotografie überging. 1978<br />
konnte Wall sein erstes Grossbilddia,<br />
The Destroyed Room (1978), in einer<br />
kleinen Galerie in Vancouver zeigen.<br />
Seither sind ca. 120 Fotografien entstanden,<br />
keine grosse Zahl für ein<br />
25jähriges Schaffen. Von diesen sind<br />
72 im Schaulager ausgestellt.<br />
Am Anfang seines Schaffens in<br />
Form von Diapositiven steht die Serie<br />
der Young Workers (1978/1983). Hier<br />
verbindet Wall Dokumentarisches<br />
- das Abbilden von ungeschminkten,<br />
jungen Arbeitern - mit dem Inzenierten<br />
- alle Porträts zeigen die Personen<br />
leicht von unten in nach links gerichteter<br />
Dreiviertelansicht. Die beiden Elemente<br />
ziehen sich wie ein roter Faden<br />
durch das ganze Werk von Jeff Wall.<br />
Er steht der Street Photography nahe,<br />
macht aber keine schnellen Schnappschüsse,<br />
sondern verwendet Stativ und<br />
Grossbildkamera. Dokumentarisch<br />
sind vor allem Fotografien, zu denen<br />
er zwar akribisch den Standort, Licht<br />
und Wetterverhältnis bestimmt und<br />
abw<strong>art</strong>et, jedoch nichts verändert und<br />
nachträglich digital bearbeitet. Dies<br />
zeigt sich vorwiegend in seinen Landschaftsfotografien,<br />
zum Beispiel in<br />
The Old Prison (1987).<br />
Inszeniert sind Fotografien, bei denen<br />
Wall einen Ort und/oder eine Szene<br />
nachstellt, teils mit Schauspielern,<br />
oft aber auch mit Personen, die Tatsächlich<br />
diese Tätigkeiten ausüben. Er<br />
nennt diese Art seiner Fotografie cinematografisch.<br />
Dabei ist Wall oft inspiriert<br />
von Szenen, die er selbst gesehen<br />
hat, von Kunstwerken - Manet spielt<br />
eine zentrale Rolle - oder von Literatur.<br />
In Milk (1984) sehen wir einen Mann,<br />
der Milch in einer Papiertüte hält. In<br />
Hemd, Schuhen ohne Schnürsenkel<br />
und angespannter Haltung kauert der<br />
Mann vor einer Backsteinmauer. Alles<br />
ist still, bewegungslos, nur die ausgeschüttete<br />
Milch, die wie eingefroren in<br />
der Luft schwebt, weist auf eine Bewegung<br />
hin. So inszeniert Wall äusserst<br />
subtile Bilder, in denen der Betrachter<br />
immer eine Geschichte zu erkennen<br />
glaubt oder diese sucht.<br />
Ganz typisch für diese cinematografischen<br />
Arbeiten ist ihr Detailreichtum.<br />
In After «Invisible Man»<br />
by Ralph Ellison, the Prologue (1999-<br />
2000) stellte Wall eine Szene aus dem<br />
Roman Invisible Man von Ellison<br />
nach. Nicht nur sind die 1369 Glühbirnen,<br />
die im Roman vorkommen, aufgehängt,<br />
sondern Wall hat jedes Detail<br />
der 40er Jahre wiederaufleben lassen.<br />
In The Flooded Grave (1998-2000)<br />
benutzt Jeff Wall die digitale Technologie,<br />
um die Fotografie zu bearbeiten.<br />
Das Endresultat ist aus mehreren verschieden<br />
Fotografien zusammengesetzt:<br />
eine mit dem mit Seesternen und<br />
-igeln gefüllten Wasser im Grab, eine<br />
mit dem frisch aufgeschütteten Grab<br />
und schliesslich eine Fotografie eines<br />
Friedhofs. Das ganze wird zu einem<br />
bedrückenden Bildnis.<br />
Wie Manet von Charles Baudelaire<br />
als «peintre de la vie moderne» bezeichnet<br />
wurde, so ist dies auch Jeff<br />
Wall im Medium der Fotografie. Nicht<br />
nur seine dokumentarischen Arbeiten<br />
weisen auf das moderne Stadtleben,<br />
sondern auch gerade die cinematografischen<br />
Fotografien, die in ihrer Inszenierung<br />
sichtbar machen, pointiert<br />
hervorheben was sonst im Trubel der<br />
modernen Welt untergeht.
■ Das andere künstlerische Ereignis<br />
in der Umgebung von Basel - auch<br />
diesmal nicht im Zentrum! - ist in<br />
Riehen zu finden. Es ist immer wieder<br />
spannend, den Weg nach Riehen zur<br />
Fondation Beyeler zu machen: Ganz<br />
langsam verlässt man die Stadt Basel<br />
und gelangt Schritt für Schritt in die<br />
ländliche Gegend nahe der Grenze zu<br />
Deutschland.<br />
Die Fondation Beyeler, von Renzo<br />
Piano konzipiert, ist gerade im Vergleich<br />
mit dem Zentrum Paul Klee<br />
noch immer eine der schönsten und<br />
funktionalsten Museumsarchitekturen,<br />
die ich kenne. Form und Inhalt<br />
stimmen überein, die Räume lenken<br />
nie von den Werken ab. Bekannt ist die<br />
Fondation Beyeler aber nicht nur wegen<br />
seiner Architektur, sondern wegen<br />
den sehr populären Ausstellungen, die<br />
immer mit erstklassigen Leihgaben aus<br />
den bekanntesten Museen und Sammlungen<br />
aufw<strong>art</strong>en können. Hier zeigen<br />
sich die Kontakte, die Ernst Beyeler<br />
und der Direktor Chirstoph Vitali in<br />
ihrer Karriere geknüpft haben.<br />
Zurzeit zeigt die Fondation gleich<br />
zwei Grössen der Kunstgeschichte:<br />
Pablo Picasso und René Magritte. Picasso<br />
sieht man ja des Öfteren, er ist<br />
weniger für Überraschungen zu haben,<br />
aber dennoch ist sein Werk vielfältig<br />
wie kein anderes und immer sehenswert.<br />
Magritte kennt man ebenfalls,<br />
doch sehen kann man seine Werke<br />
dann doch eher selten, in der Schweiz<br />
konnte man 1987 in der Fondation de<br />
LʻHermitage in Lausanne die letzte<br />
grosse Ausstellung sehen. Surrealistische<br />
Werke von gleich zwei grossen<br />
Künstlern kann man in der Fondation<br />
Beyeler auf engstem Raum betrachten.<br />
Und unterschiedlicher könnten sie<br />
trotzdem kaum sein. (di)<br />
Pablo Picasso - Deformation des<br />
Körpers<br />
■ Picasso (1881 - 1973) hat sich in<br />
seiner langen Künstlerkarriere in den<br />
verschiedensten Stilen versucht. Nach<br />
seinen verschiedenfarbigen Perioden,<br />
nach dem Kubismus und einer klassizistischen<br />
Phase ist es zwischen 1924<br />
und 1934 der Surrealismus, der sich in<br />
Paris um André Breton entwickelte.<br />
Wie weit Picasso tatsächlich Surrealist<br />
ist, war schon immer fragwürdig und<br />
er selbst äusserte sich eher zwiespältig<br />
pablo picasso und rené magritte<br />
in der fondation beyeler<br />
dazu. Gerade während der Hauptphase<br />
des Surrealismus hielt sich Picasso<br />
eher auf Distanz zur surrealistischen<br />
Gruppe, seine Wirkung auf diese ist<br />
jedoch unbestritten.<br />
«Mir geht es um eine Ähnlichkeit,<br />
um eine tiefere Ähnlichkeit, die realer<br />
ist als die Realität und so das surreale<br />
erreicht.» Ausgehend von der Natur<br />
sucht Picasso diese mit Hilfe von<br />
Zeichen in Malerei zu übersetzen.<br />
Vorwiegend Porträts und Stillleben<br />
- mit ihren deformierten und dekonstruierten<br />
Gestalten - sind die zentralen<br />
Motive in der zweiten Hälfte der<br />
1920er Jahre, aber auch eine Serie von<br />
Badenden. Menschliche Formen sind<br />
nur noch Erinnerungen an die Realität,<br />
sie haben etwas Befremdliches und<br />
Abschreckendes - sogar Monströses.<br />
Geometrisch sind alle diese Gestalten,<br />
teils ganz durch farbige Fläche bestimmt,<br />
teils - wie bei den Badenden<br />
- als dreidimensionale Skulpturen auf<br />
die Fläche gemalt.<br />
Diese zentralen Werke werden ergänzt<br />
durch frühere Werke, die bereits Aspekte<br />
des Surrealismus zeigen, und<br />
durch Hauptwerke der Jahre zwischen<br />
1935 und 1939. (di)<br />
René Magritte - Der Mann mit der<br />
Melone<br />
■ Picasso ist nicht nur als Künstler<br />
weltbekannt, es ist auch alles um ihn<br />
herum, seine Liebschaften, die Anekdoten<br />
und Legenden aus seinem langen<br />
Leben. Bei René Magritte (1898<br />
- 1967) ist gerade das Gegenteilige<br />
der Fall: Kaum etwas ist aus seinem<br />
Leben bis in unsere Zeit durchgedrungen,<br />
höchstens dass der Selbstmord<br />
seiner Mutter 1912 ihm zum Trauma<br />
wurde. Und so lassen sich die Werke<br />
auch spärlich von der Biographie her<br />
interpretieren.<br />
«Die berühmte Pfeife...Man hat sie<br />
mir zur Genüge vorgehalten! Und<br />
trotzdem ... Können Sie sie stopfen,<br />
meine Pfeife? Nein, nicht wahr, sie ist<br />
nur eine Darstellung. Hätte ich also<br />
unter mein Bild >Dies ist eine Pfeife<<br />
geschrieben, so hätte ich gelogen!» So<br />
erzählt Magritte 1966 in einem Interview<br />
zu seinem Gemälde La trahison<br />
des images (1928/29). Sprachbilder,<br />
die Beziehung zwischen den Wörtern<br />
und den Dingen, Bild und Sprache,<br />
beides greift Magritte auf und zeigt<br />
deren Grenzen, zeigt den Abbildcharakter<br />
von Malerei. Der abgebildete<br />
Gegenstand wird vom Betrachter als<br />
Pfeife wahrgenommen - gerade durch<br />
Magrittes realistische Malweise - auch<br />
wenn dieser weiss: Ceci nʻest pas une<br />
pipe. So spielt Magritte mit Seh- und<br />
Wahrnehmungsgewohnheiten und<br />
acht sie sichtbar. Michel Foucault widmete<br />
1968 diesem Werk einen ganzen<br />
Aufsatz.<br />
Magritte wird als Surrealist bezeichnet,<br />
hat sich auch während seiner<br />
Zeit in Paris zwischen 1927 und 1930<br />
im Kreis der Pariser Surrealisten um<br />
André Breton aufgehalten. Doch gerade<br />
die Bedeutung von Träumen, das<br />
Aufnehmen von Unbewusstem und<br />
Automatismen fehlen bei ihm weitgehend.<br />
Veränderungen stehen im Zentrum,<br />
und gerade im Frühwerk sind es<br />
vor allem Verschiebungen und Verrückungen.<br />
Alltäglichem - simplen,<br />
unbedeutenden Objekten - wird durch<br />
ihre Isolation und ihrer scheinbar - oder<br />
eben doch nicht scheinbar! - zufälligen<br />
Zusammenstellung mit anderen, ebenfalls<br />
alltäglichen Objekten eine rätselhafte<br />
Bedeutung zugeschoben: Riesenhafte<br />
Rosenblüten und Äpfel füllen<br />
ganze Innenräume aus, Nacht und Tag<br />
erscheinen gleichzeitig und Männer<br />
in Melonen verbergen ihr Gesicht. «...<br />
das Sichtbare dieser Welt so miteinander<br />
zu verbinden, dass das Mysterium<br />
des Sichtbaren und des Unsichtbaren<br />
beschworen wird» ist Magrittes auferlegtes<br />
Ziel. Dabei steht Magritte Giorgio<br />
de Chirico weitaus näher als vielen<br />
Surrealisten. Auch dieser hat in seiner<br />
Pittura metafisica unterschiedlichste<br />
Objekte in einem nüchtern gemalten<br />
und spärlich besiedelten Bildraum<br />
zusammengeführt. Und auch Henri<br />
Rousseau, der berühmteste Zöllner,<br />
steht Magritte gerade in seiner einfachen<br />
Malweise sehr nahe.<br />
Die 95 Werke der Retrospektive in<br />
der Fondation Beyeler ziehen den Betrachter<br />
schnell einmal in ihren Bann.<br />
Magritte fasziniert und überrascht:<br />
Er bricht mit Sehgewohnheiten und<br />
thematisiert diese, besonders deutlich<br />
im Motiv des Bildes im Bild; aber es<br />
ist auch seine mysteriöse Dingwelt -<br />
aus Schellen, Holzkegeln und Äpfeln,<br />
durch die Magritte die Fragwürdigkeit<br />
und Bedrohung der Welt aufs Empfindlichste<br />
spürbar macht. (di)<br />
Weitere Informationen unter www.beyeler.com. Die Fondation<br />
Beyeler ist mit der Tram Nr. 6 ab Messeplatz erreichbar.<br />
Zu beiden Ausstellungen ist ein Katalog erschienen, je<br />
Fr. 49.-.<br />
PICASSO surreal / René Magritte<br />
Der Schlüssel der Träume<br />
Fondation Beyeler Riehen<br />
Geöffnet täglich von 10.00 - 18.00 Uhr, Mittwoch bis 20.00<br />
Uhr. Die Ausstellung Picasso surreal ist noch bis 12. September<br />
geöffnet, René Magritte - Der Schlüssel der Träume<br />
bis 27. November.<br />
27 27<br />
<strong>art</strong>ensuite
28<br />
<strong>art</strong>ensuite<br />
Andrea Loux, Andrea Crosa und Laurent Schmid: Galerie Bernhard Bischoff<br />
und P<strong>art</strong>ner AG, Speichergasse 8. Geöffnet von Mitwoch bis Freitag<br />
14.00 - 18.00 Uhr und Samstag 11.00 - 16.00Uhr oder nach Absprache. Bis<br />
24. September.<br />
Andrea Loux - Geschlossene Gesellschaft: Stadtgalerie, Hodlerstrasse 22.<br />
Progr_Zentrum für Kulturproduktion, Waisenhausplatz 30. Beide Ausstellungen<br />
sind von Mittwoch bis Sonntag 14.00 - 17.00 Uhr. Bis 11. September.<br />
Heinz Egger. Zustände. Kunstraum Oktogon, Aarstrasse 96. Geöffnet<br />
Freitag 16.00 - 19.00 Uhr und Samstag 11.00 - 15.00 Uhr. Bis 24. September.<br />
Andrea Loux - Raumgeschichten<br />
und Tischgesellschaften<br />
■ In den Einpassungen verkroch sich<br />
die in Berlin lebende Berner Künstlerin<br />
Andrea Loux (geboren 1969) in<br />
Bücherregale, Schränke, Schubladen,<br />
Möbel und andere Hohlräume. Später<br />
liess sie nicht mehr sich selbst, son-<br />
von Dominik Imhof<br />
dern andere Menschen und Körper<br />
verschwinden und mit den Räumen, in<br />
die sie eindrangen, verschmelzen. In<br />
Das Missgeschick - einer neuen Video-<br />
Ton-Installation, die in der Stadtgalerie<br />
gezeigt wir, nimmt Loux diesen<br />
Aspekt ihres Schaffens wieder auf und<br />
führt ihn weiter.<br />
In einer Doppelprojektion zeigt<br />
sie ein Wohnzimmer aus zwei Perspektiven,<br />
so dass der ganze Raum<br />
überblickbar wird. Ganz alltägliches<br />
geschieht: das Kind spielt, der Vater<br />
liest Zeitung, die Mutter bietet Süsses<br />
an. Aber alles ist aufgeladen, nicht<br />
zuletzt erotisch, besonders wenn die<br />
Farbe Rot in Form eines Gummibootes<br />
oder von Süssigkeiten auftaucht. In<br />
all diesen Momenten scheint die Situation<br />
der Explosion nahe. Doch alles<br />
Geschehene wird von den Protagonisten<br />
wieder aufgehoben, so dass man<br />
die Wiederholung dieses Loops kaum<br />
bemerkt. Deutlich zeigen sich in dieser<br />
geschlossenen Gesellschaft familiäre<br />
Rituale und Gewohnheiten, die durch<br />
die Inszenierung - auch auf der Tonebene<br />
- befremdlich und bedrückend<br />
wirken. Das alltägliche Heim wird zu<br />
einem unheimlichen Heim: zu einer<br />
Box, in die man sich verkrochen hat.<br />
Im Progr_Zentrum für Kulturproduktion<br />
ist der zweite Teil der Ausstellung<br />
Geschlossene Gesellschaft zu sehen.<br />
Jean-Paul S<strong>art</strong>res Huis Clos steht<br />
Pate, worin die Protagonisten einander<br />
zur Hölle wurden. Bei der Eröffnung<br />
zeigte Andrea Loux im Progr Roulette<br />
III, eine performative Installation.<br />
Wieder sind es Rollen und Rituale die<br />
zelebriert werden. Zusätzlich werden<br />
im Progr frühere Arbeiten gezeigt, wie<br />
Closed Circuit oder Tischgesellschaft.<br />
In der Galerie Bernhard Bischoff und<br />
P<strong>art</strong>ner AG sind ebenfalls Werke von<br />
Andrea Loux zu sehen. Die Galerie<br />
arbeitet mit Loux schon seit ihren Anfängen<br />
zusammen. Gezeigt werden<br />
Zeichnungen und Collagen in einer<br />
Gruppenausstellung gemeinsam mit<br />
Werken von Andrea Crosa (Genua)<br />
und Laurent Schmid (Bern/Genf)<br />
unter dem Titel Jumping Reality. Die<br />
Verschiebung der Realität und deren<br />
Wahrnehmung verbinden die Werke<br />
der drei KünstlerInnen. Loux arbeitet<br />
in der Serie Schatten des Alltags mit<br />
Abbildungen aus Schöner Wohnen-<br />
Katalogen der 70er, die sie in Collagen<br />
in mehrfacher Überarbeitung mit Malerei<br />
und Zeichnung verbindet. Auch<br />
hier fokussiert sie den Blick auf Räume<br />
und die darin lebenden Menschen<br />
- ganz ähnlich den Videoarbeiten.<br />
Heinz Egger - Schwarz und<br />
Weiss<br />
■ Seit knapp einem halben Jahr ist<br />
der Kunstraum Oktogon im Marzili-<br />
Qu<strong>art</strong>ier eröffnet. Zwei Liebhaber sind<br />
hier am Werk: Ferdinand Oberholzer,<br />
der Gynäkologe und Kunstsammler,<br />
und sein Sohn Simon, angehender<br />
Kunsthistoriker und Liebhaber von<br />
Druckgraphik, haben hier ihr kleines<br />
Reich aufgebaut. Einerseits soll über<br />
diesen Kunstraum die eigene Sammlung<br />
durch Verkäufe in Bewegung gehalten<br />
werden, andererseits sollen aber<br />
auch ausgewählte Künstler ausgestellt<br />
werden. Nicht der Kunsthandel steht<br />
im Mittelpunkt, denn nur die Unkosten<br />
will man mit Verkäufen decken,<br />
sondern die Liebe zur Kunst.<br />
In der aktuellen Ausstellung präsentieren<br />
sie Werke des Burgdorfer<br />
Künstlers Heinz Egger (geboren 1937).<br />
Vor allem dessen Gemälde sind bereits<br />
bekannt und Teile seines malerischen<br />
Schaffens waren in der Kunsthalle<br />
Bern im letzten Jahr in der Ausstellung<br />
Schichtarbeit zu sehen. Egger arbeitete<br />
mehrfach mit dem Schriftsteller Klaus<br />
Merz zusammen, machte aber auch<br />
Bühnenbilder für das Casino-Theater<br />
in Burgdorf und für das Stadttheater<br />
Bern. Im Oktogon sind es nun<br />
Druckgraphiken - ganz der Vorliebe<br />
von Simon Oberholzer entsprechend.<br />
Und dies ist erfreulich. Druckgraphik<br />
führt, auch wenn sie es nicht verdient<br />
hat, in der aktuellen Kunstszene doch<br />
weitgehend ein Schattendasein - oder<br />
haben Sie Druckgraphiken in der letzten<br />
Berner Weihnachtsausstellung gesehen?<br />
Wie in den Gemälden der Kunsthalle-Ausstellung,<br />
ist es auch hier die<br />
Reduktion auf Schwarz und Weiss sowie<br />
Linie und Fläche. Egger trägt mit<br />
dem Pinsel Säure zur Ätzung direkt<br />
für kurze Zeit auf die Druckplatte auf.<br />
Nach einem Druck wird die Platte in<br />
gleicher Weise weiter überarbeitet. So<br />
entstehen ganze Serien, in denen auch<br />
immer der Arbeitsprozess sichtbar<br />
wird. Die Graphiken sind nun noch<br />
mehr zu einem >Erinnerungsdepot<<br />
gworden, wie der Künstler seine kleinformatigen<br />
Gemälde nannte. Jeder<br />
Zustand birgt den vorhergenden in<br />
sich, enthält somit Vergangenheit und<br />
Erinnerungen, aber ebenso Neuheit<br />
und Veränderung. Vor allem die ersten<br />
Zustände überzeugen in ihrer Schlichtheit:<br />
nur wenige Linien und Flächen<br />
dominieren die Blätter, erreichen aber<br />
eine maximale Poesie. Zudem sind die<br />
kleinen Werke in der schlichten Hängung<br />
optimal präsentiert. Ergänzt werden<br />
die Graphiken durch zwei grossformatige<br />
Gemälde.
adikal real<br />
■ Zusammenkunft zweier Künstlergiganten:<br />
Porträts von Franz Gertsch<br />
und Chuck Close sind zurzeit in der<br />
Galerie im Park in Burgdorf zu bestaunen.<br />
Ersterer gilt als wichtigster<br />
Helen Lagger<br />
Vertreter des Fotorealismus in Europa,<br />
während der zehn Jahre jüngere<br />
Chuck Close in Amerika als Pionier<br />
derselben Stilrichtung in Amerika gilt.<br />
Trotz der Gemeinsamkeiten haben beide<br />
Künstler unterschiedliche Ansätze.<br />
Chuck Close findet seine Models vor<br />
allem im privaten Umfeld, während<br />
Franz Gertsch auch schon Stars wie<br />
Patty Smith verewigte. Chuck Close<br />
geht es in seinen Porträts weder um<br />
das Psychologisieren noch um das Herausarbeiten<br />
spezifisch menschlicher<br />
Eigenschaften, er will vielmehr die<br />
Bildfläche zerlegen und dabei wird jedes<br />
kleinste Detail minutiös gestaltet<br />
und dadurch zu einem Kunstwerk für<br />
sich. Die frühen Werke sind in Burgdorf<br />
nicht präsent, die ältesten Bilder<br />
stammen aus den Achtzigerjahren. Es<br />
handelt sich um zwei Porträts, die aus<br />
Fingerabdrücken bestehen, schlicht<br />
«Georgia» und «Leslie» genannt. Die<br />
Wahrnehmung des Betrachters wird<br />
strapaziert: Steht man zu nahe, sieht<br />
man nur noch Pixel, ähnlich einem<br />
flimmerndem Fernsehbild. Erst aus<br />
einer gewissen Distanz betrachtet, erkennt<br />
man das radikal reale Bildnis<br />
einer für den Betrachter anonym bleibenden<br />
Frau. Wir erfahren von Leslie<br />
nicht mehr, als wenn wir uns ein beliebiges<br />
Passbild ansehen würden. Anders<br />
bei Gertsch, dessen fotorealistischen<br />
Porträts den Charakter der Dargestellten<br />
offenbaren. Eine Lithografie,<br />
aus den frühen Achtzigerjahren, trägt<br />
den Titel «Tabea». Ein schönes, trotziges<br />
Gesicht geschminkt und frisiert<br />
wie es sich für diese Zeit gehörte. Ein<br />
Zeitzeugnis, das durch seine geheimnisvolle<br />
Aura besticht. Der internationale<br />
Durchbruch war Gertsch 1972 an<br />
der Documenta in Kassel gelungen. In<br />
den wilden Siebzigerjahren wurde er<br />
zu einem Chronisten der antibürgerlichen<br />
Jugendbewegung. Aus dieser<br />
Zeit stammen Porträts von Künstlern,<br />
androgynen Rockstars oder anonymen<br />
Paradiesvögeln. Nach den Momentaufnahen<br />
dieser Selbstdarsteller folgte<br />
das zeitlose Portät der unscheinbaren<br />
Silvia. Das natürliche Mädchengesicht<br />
ist keine Ikone ihrer Zeit, es spielt vielmehr<br />
überhaupt keine Rolle wann und<br />
wo das Bild aufgenommen und gestaltet<br />
wurde. Geschaffen nicht als Zeitzeuge<br />
sondern für die Ewigkeit.<br />
Franz Gertsch, der dieses Jahr 75<br />
Jahre alt geworden ist, ist seit Mitte der<br />
Achtzigerjahre in eine neue Werkphase<br />
eingetreten und hat dabei seinen Fotorealismus<br />
zum konzeptuellen Realismus<br />
weiterentwickelt. Es entstanden<br />
dabei die innovativen Holzdrucke im<br />
japanischen Stil, die Bildserie «Gräser<br />
I-IV» und das Porträt «Silvia». Wie es<br />
sich eben für einen Jahrhundertkünstler<br />
gehört, ist das Werk von Franz<br />
Gertsch zwar in verschiedene Phasen<br />
aufteilbar, ohne dass dabei aber qualitative<br />
Höhen und Tiefen festzumachen<br />
wären. Vielmehr lässt sich eine kon-<br />
tinuierliche Auseinandersetzung mit<br />
der Abbildung der Realität feststellen.<br />
Die Konfrontation mit übersteigerter<br />
Realität erlebt der Betrachter sowohl<br />
bei Franz Gertsch wie auch bei Chuck<br />
Close. Schliesslich war der Fotorealismus<br />
eine Gegenreaktion zur Minimal-<br />
und Konzeptkunst, der es vor allem<br />
darum ging, die Realität mit so wenig<br />
Form, Farbe und Linie wie möglich<br />
darzustellen. Im Gegensatz dazu ging<br />
es den Fotorealisten darum, die Fakten<br />
möglichst neutral wiederzugeben<br />
ohne dabei das Dargestellte subjektiv<br />
zu interpretieren. Das Bild soll nicht<br />
als gemalt erkannt werden, sondern<br />
in fotografischer Sehschärfe auf den<br />
Betrachter wirken. Ein nach wie vor<br />
faszinierender Ansatz, denn letztlich<br />
ist Kunst immer auch Synonym von<br />
Illusion.<br />
Chuck Close – Franz Gertsch<br />
Galerie im Park in Burgdorf<br />
Bis am 23 Oktober 2005<br />
29<br />
<strong>art</strong>ensuite
30<br />
<strong>art</strong>ensuite<br />
GALERIEN IN BERN<br />
Altes Schlachthaus<br />
Metzgergasse 15, 3400 Burgdorf // Tel: 034 422 97 86<br />
annex14 - Galerie für zeitgenössische Kunst<br />
Junkerngasse 14 3011 Bern // Tel 031 311 97 04<br />
Mi - Fr 13:00-18:30 / Sa 11:00-16:00 h<br />
Jun Yang<br />
10.09.05 - 22.10.05<br />
Artdirekt<br />
Herrengasse 4 // Tel 031 312 05 67<br />
Di - Fr 14:00-18:30 / Sa 11:00-16:00 h<br />
Christina Priska Oldani 13.08.05 bis 17.09.05<br />
Art + Vision<br />
Junkerngasse 34 3011 Bern // Tel 031 311 31 91<br />
Di - Fr 14:00-19:00 / Do 14:00-21:00 / Sa 11:00-16:00 h<br />
Werner Otto Leuenberger<br />
24.09.05 - 29.10.05<br />
Artraktion<br />
Hodlerstrasse 16 3011 Bern // Tel 031 311 63 30<br />
Do - Fr 15:00-18:00 / Sa 10:00-16:00 h<br />
Heidi-Mathys Keller 27.08.05 bis 23.09.05<br />
Bernhard Bischoff & P<strong>art</strong>ner<br />
Speichergasse 8 3011 Bern // 031 312 066 66<br />
18:00-20:00<br />
Andrea Crosa, Andrea Loux, Laurent Schmid:<br />
«Jumping Reality»<br />
19.08.05 - 24.09.05<br />
FRI-ART<br />
Petites-rames 22, 1701 Fribourg<br />
Galerie 25<br />
2577 Siselen, Bern // Tel: 032 396 20 71<br />
Fr, Sa & So 14-19h<br />
Alles nur Menschen<br />
Objekte & Bilder<br />
28.08.05 - 09.10.05<br />
Galerie 849 MüM<br />
Gurten-Park im Grünen 3084 Wabern // Tel 076 386 3012<br />
Betriebsöffnungszeiten<br />
Galerie Bis Heute<br />
Amthausgasse 22 3011 Bern // Tel 031 311 7877<br />
Do-Fr 14-18:30h & Sa 11-16h<br />
David de Tscharner<br />
27.08.05 - 24.09.05<br />
Galerie Tom Blaess<br />
Uferweg 10 3018 Bern // Tel 079 222 46 61<br />
Jeden Sonntag 12:00-17:00 h<br />
Galerie Christine Brügger<br />
Kramgasse 31 3011 Bern // Tel 031 311 90 21<br />
Di - Fr 14:00-18:30 / Sa 11:00-16:00 h<br />
Adi Mattli<br />
12.08.05 - 03.09.05<br />
Galerie Beatrice Brunner<br />
Nydeggstalden 26 3011 Bern // Tel. 031 312 40 12<br />
Mi und Fr 14:00-18:00 / Do 14:00-20:00 / Sa 11:00-16:00 h<br />
Galerie g26.ch<br />
Brunngasse 26 3011 Bern // Tel 031 311 84 17<br />
Besichtigung nach Vereinbarung<br />
Khalil El Ghrib (Gharib)<br />
Galerie Margit Haldeman<br />
Brunngasse 14 3011 Bern // Tel 031 311 56 56<br />
Mi 11:30-18:30 / Do - Fr 14:30-18:30 / Sa 11:00-16:00 h<br />
Gertrud Guyer Wyrsch & Jörg Mollet<br />
25.08.05 - 24.09.05<br />
Galerie Henze & Ketterer<br />
Kirchstrasse 26 3114 Wichtrach // Tel 031 781 06 01<br />
Di - Fr 10:00-18:00 / Sa 10:00-16:00 h<br />
Eduard Bargeheer, Katharina Büche, Max Peiffer Watenphul<br />
20.08.05 bis 12.11.05<br />
Neue Wilde<br />
20.08.05 - 12.11.05<br />
Vom 18. - 26.09.05 ist die Galerie geschlossen<br />
ESPACE Indigo<br />
Stauffacher Buchhandlung 3011 Bern // Tel 0844 88 00 40<br />
Ladenöffnungszeiten<br />
Kunstraum Kabinett<br />
Gerechtigkeitsgasse 72/74 3011 Bern // Tel 031 312 35 01<br />
Do - Fr 14:00-19:00 / Sa 11:00-16:00 h<br />
Inga Häusermann & Chantal Michel<br />
bis 20.02.06<br />
Käfigturm Bern<br />
Bärenplatz 3011 Bern<br />
Mo - Fr 08:00-18:00 / Sa 10:00-16:00 h<br />
Swiss Press Photo<br />
04 26.08.05 bis 1.10.05<br />
Galerie Kornfeld<br />
Laupenstrasse 41 3001 Bern // Tel 031 381 46 73<br />
Mo - Fr 14:00-17:00 / Sa 10:00-12:00 h<br />
Galerie im Park<br />
Technikumstr. 2, 3400 Burgdorf<br />
Do-Fr 14-19h & Sa-So 12-17h<br />
Chuck Close - Franz Gertsch<br />
19.08.05 - 23.10.05<br />
Galerie Roseng<strong>art</strong>en<br />
Bälliz 64, 3600 Thun // Tel: 033 223 12 42<br />
Kornhausforum - Forum für Medien und Gestaltung<br />
Kornhausplatz 18 3011 Bern // Tel 031 312 91 10<br />
Mannsbilder. 27.08.05 bis 02.09.05<br />
Michel Bührer. 08.09.05 - 24.09.05<br />
Die Kunst von Licht & Architektur. 28.09.05 - 09.10.05
Marks Blond Project r.f.z.k.<br />
Ecke Freiestrasse/Muesmattstrasse 3008 Bern<br />
Fr - Di Mittag<br />
Young-en Huh 01.09-06.09<br />
Pamela Rosenkranz 08-09-13.09<br />
Galerie M<strong>art</strong>in Krebs<br />
Münstergasse 43 3011 Bern // Tel 031 311 73 70<br />
Di - Fr 14:30-18:30 / Sa 10:00-14:00 h<br />
Urs Brunner (Titelseite Agenda in diesem Heft)<br />
mare mediterraneum<br />
25.08.05 - 15.10.05<br />
Galerie Spontan<strong>art</strong><br />
Marktgasse 19, 3177 Laupen<br />
Kunstkeller Bern<br />
Gerechtigkeitsgasse 40 3011 Bern // Tel 031 311 86 30<br />
Mo - Fr 15:00-18.30 / Do 15:00-19:00 / Sa 14:00-17:00 h<br />
Regula Gahler, Johanna Huguenin, Lekou Meyr.<br />
20.08.05 bis 17.09.05<br />
ONO Bühne Galerie Bar<br />
Gerechtigkeitsgasse 31 3011 Bern // Tel 031 312 73 10<br />
Fr und Sa 13:00-17:00 h - Nachtgalerie: Mi - Sa ab 22:00 h<br />
Wojtek Klakla<br />
01.09.05 - 30.09.05<br />
Galerie Francesca Pia<br />
Münstergasse 6 3011 Bern // Tel 031 311 73 02<br />
Mi - Fr 14:30-18:00 / Sa 10:00-14:00 h<br />
Galerie Ramseyer & Kaelin<br />
Junkerngasse 1 3011 Bern // Tel 031 311 41 72<br />
Mi - Fr 16:00-19:00 / Sa 13:00-16:00 h<br />
Dieter Leuenberger<br />
30.08.05 - 24.09.05<br />
Kunstreich<br />
Gerechtigkeitsgasse 76 3011 Bern // Tel 031 311 48 49<br />
Mo - Fr 09:00-18:30 / Do 09:00-20:00 / Sa 09:00-16:00 h<br />
Walter Divernois<br />
11.08.05 bis 03.09.05<br />
Manu Wurch<br />
08.09.05 - 22.10.05<br />
Kunstraum Oktogon<br />
Aarstrasse 96, 3005 Bern<br />
Heinz Egger<br />
bis 31.08.05<br />
PROGR - Showroom<br />
Andrea Loux<br />
bis 11.09.05<br />
R A U M<br />
Militärstrasse 60, Bern<br />
Mi-Fr 16-19h & Sa 12-16h<br />
Italien zu Gast im raum!<br />
26.08.05 - 16.09.05<br />
Galerie Rigassi<br />
Münstergasse 62 3011 Bern // Tel 031 311 69 64<br />
Di - Fr 14:30-18:30 / Sa 10:30-14:30 h<br />
Teres Wydler<br />
Einstein & Da Vinci, 10 Bilder zur Wissenschaftsgeschichte<br />
25.08.05 - 03.09.05<br />
Stadtgalerie<br />
Hodlerstr. 22 + 24A 3011 Bern // Tel 031 311 43 35<br />
Mi+Fr 16:00-18:30 / Do 16:00-20:00 / Sa+So 13:00-16:00 h<br />
Andrea Loux 13.08.05 bis 09.09.05<br />
c/o Suti Galerie<br />
Lorrainestrasse 21 3011 Bern // Tel 031 331 24 51<br />
Do - Fr 14:00-18:00 / Sa + So 13:00-16:00 h<br />
Treppenhausgalerie Loeb<br />
Spitalgasse 47-51 3011 Bern / Tel 031 320 71 11<br />
Ladenöffnungszeiten<br />
Galerie UFO<br />
Brunngasse 60 3011 Bern<br />
Galerie Vita<br />
Taubenstrasse 32 3011 Bern // Tel 031 312 03 08<br />
Mi - So 13:00-18:00 h und nach Vereinbarung<br />
20 Jahre Galeria Vita 14.08.05 bis 25.09.05<br />
Künstlerhaus Vögeli W. & M.<br />
Postgasse 20, 3006 Bern<br />
Walter Vögeli<br />
Bilder 1950 bis Heute<br />
Vernissage: 22.09.05 ab 18h<br />
Offen: Fr 22.09 & Sa 24.9.05 16-19h<br />
Schmuckgalerie Zebra<br />
Junkerngasse 32 3011 Bern<br />
Fr 13:00-17:00 / Sa 12:00-17:00 h<br />
Galerie 67<br />
Belpstrasse 67 3007 Bern // Tel 031 371 95 71<br />
Mo 13:30-18:30 / Di - Fr 09:00-18.30 / Sa 09:00-12:00 h<br />
W<strong>art</strong>saal 3<br />
Helvetiaplatz 3 Bern<br />
Verein Berner Galerien im PROGR_:<br />
Christina Priska Oldani 13.08.05 bis 17.09.05<br />
31<br />
<strong>art</strong>ensuite
32<br />
L E T Z T E L U S T S E I T E Hinweis: Die Texte auf der letzten Lustseite sind nicht<br />
ganz jugendfrei. Wir bitten die LeserInnen unter 18 Jahren,<br />
diese Texte aufzubewahren und erst bei bei voller<br />
Reife zu lesen.<br />
■ was freunde zum thema «welches sexerlebnis ist dir<br />
am stärksten in erinnerung geblieben?» meinen:<br />
_bei diesem einen unglaublichen orgasmus fand ich<br />
mich plötzlich in japan wieder. es regnete kirschblüten<br />
und im nebel konnte man einen tempel ahnen. die sonne<br />
ging auf, ein gong ertönte und die wildgänse japans<br />
fl ogen hoh am himmel vorbei. ich fühlte mich gelöst wie<br />
noch nie und die gänse waren gänse der freiheit (l. weiblich).<br />
_ich konnte nicht mehr an mich halten und so habe<br />
ich sie von hinten gepackt. sie war am abwaschen. ich<br />
habe ihr kleid hochgeschoben und ihren slip runtergezogen.<br />
ich dachte nicht an schreiende kinder und auch<br />
sonst dachte ich nichts. ich habe sie über das spülbecken<br />
gebeugt und sie genommen. es war der geilste<br />
fi ck, den wir je hatten (b. männlich).<br />
_wir lagen im hohen gras und der sommer war schon<br />
fast vorbei. die wenigen leute, die da durchliefen, die<br />
konnten uns nicht sehen. mein kleid war kornblau und<br />
aus seide und der wind strich durch das gras. wir hätten<br />
uns gerne geliebt, aber wir waren viel zu jung (m. weiblich).<br />
_schon seit seit der ersten begegnung reizte sie<br />
mich. sie war schwierig, ja schon fast mühsam und doch<br />
irgendwie sinnlich und anziehend. nach einer seltsamen<br />
verabschiedung an einem bahnhof wussten wir beide,<br />
dass noch eine fortsetzung kommen würde. monate<br />
später dann hat sie die initivative ergriffen: sie nahm<br />
mich während einem fest an der hand und führte mich<br />
in ihre wohnung. wir duschten und dann lagen wir beisammen.<br />
sie nahm mich vorsichtig und zärtlich in den<br />
mund. wir fi elen ins sexraumzeitloch. sie schluckte alles<br />
ohne ekel runter, lachte mich an und zusammen gingen<br />
■ interwerk gmbh<br />
kulturconsulting kulturmanagement kulturvermittlung.<br />
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wir wieder an das fest. danach hatte ich nie mehr näheren<br />
kontakt mit ihr, heute grüssen wir uns, wenn wir uns<br />
sehen (o. männlich).<br />
_am morgen, vor der arbeit, schlief ich mit j. es war<br />
göttlich, einer dieser wunderorgasmen, die einem weiche<br />
züge ins gesicht zeichnen und den hüftschwung locker<br />
machen. dann, in der mittagspause traf ich g.: wir<br />
schauten uns pornografi sche comics an und spielten<br />
eines davon nach. wir benutzten alle möglichen gegenstände<br />
in seiner wohnung als spielzeug, wir penetrierten<br />
jede öffnung und wir schwitzten und stöhnten und<br />
hatten tolle orgasmen. danach traf ich a. er leckte mich<br />
und dieser orgasmus war der schönste meines lebens.<br />
vielleicht weil ich schon so erfüllt war, oder noch nass<br />
vom letzten mann, ich weiss es nicht (f. weiblich).<br />
_ich hatte schon tausendmal von ihr geträumt, bei<br />
tag und bei nacht. ich hatte sie mir vorgestellt und immer<br />
gewusst, sie würde nie was von einem wie mir wollen.<br />
an einem späten abend mit viel wein blieb sie bei<br />
mir, in meinem bett. ich lag wach und tat nichts. ich bewachte<br />
ihren schlaf, ich lauschte ihrem atem, ich schaute<br />
sie an und ich deckte sie zu, wenn mir schien sie habe<br />
kalt. der mond schien in mein zimmer und ich liebte sie<br />
so sehr, dass es schmerzte. sie ist am morgen gegangen<br />
und aus meinem leben verschwunden. manchmal meine<br />
ich, sie mitten in einer menschenmenge zu sehen. aber<br />
bisher war es noch nie wirklich sie (h. männlich)<br />
_dann hat er mich noch näher an den baumstrunk<br />
gedrückt und ich spürte die härte der rinde. mein rock<br />
war hochgeschoben und unsere körper rieben sich aneinander.<br />
seine hände spielten mit meinen brüsten und<br />
sein geruch und sein atem umhüllte mich wie eine weiche<br />
decke. wir mussten auf spaziergänger, jogger und<br />
hundebesitzer achten. ich spürte ihn so sehr in diesem<br />
moment! jedes mal, wenn ich es mir selber mache, stelle<br />
ich mir vor er wäre dort im wald in mich gekommen.<br />
mit den fi ngern, mit seinem schwanz, mit seiner zunge,<br />
immer und immer wieder (a weiblich).<br />
_wir lagen in diesem viel zu grossem bett, in einer<br />
fremden wohnung an einem fremden ort. ich hatte noch<br />
nie eine frau gestreichelt und ich war total nervös. ich<br />
wollte sie unbedingt berühren. ich kam mit dem bh nicht<br />
zurecht, mit dem jeansreissverschluss auch nicht und<br />
meine fi nger zitterten und ein speichelfaden lief mir aus<br />
dem mundwinkel. und dann war es noch viel unglaublicher<br />
als ich es mir vorgestellt hatte: ihre weichheit, ihre<br />
nässe, ihre hitze (h. männlich).<br />
_wir haben uns nie berührt, aber die luft zwischen<br />
uns war so dicht, so aufgeladen, so heiss, dass wir dies<br />
auch nicht wollten. weisst du, manchmal reicht dieses<br />
besondere gefühl, dass der andere dich anschaut und<br />
jede deiner berührungen wie an sich selber spürt, um<br />
einen kokon der sexualität um dich zu spannen. manchmal<br />
reicht ein blick um dich sofort feucht zu machen.<br />
er? bei ihm ist es wohl genau gleich – er sieht mich, er<br />
erkennt mich und er wird steif. das geht seit jahren so.<br />
und es ist aufregender, als wenn wir es je ausleben würden!<br />
(e. weiblich)<br />
_der beste sex? mein gott, wen oder was soll ich da<br />
nennen? wenn ich frei habe, solo bin und an einer bar<br />
rumhänge, dann treffe ich immer eine frau die auch<br />
will. ich vögle oder lecke sie und manchmal leckt auch<br />
sie mich und jedesmal ist es geil. alle riechen anders<br />
und das spiel ist immer neu und aufregend. jede dieser<br />
nächte ist einmalig und bleibt mir als beste aller möglichen<br />
nächte in erinnerung! (k. männlich). (vonfrau)<br />
impressum<br />
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