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nr. 33 september 2005 | 3. jahrgang<br />

ensuite<br />

k u l t u r m a g a z i n<br />

sprachlosigkeit einer kultur<br />

der 14. dalai lama in zürich<br />

hoch(wasser)stimmung<br />

design im schongang


Vielschichtig.<br />

Mit der NZZ stossen Sie auch zu den tieferen Schichten vor, also dorthin, wo’s spannend wird und Zusammenhänge<br />

erkennbar werden. Erleben Sie 5 Wochen lang kostenlos, wieviel es Ihnen bringt, wenn eine immer komplexere Welt kom-<br />

petent erklärt wird: Tel. 01/258 15 30 oder www.nzz.ch/probeabo-nzz<br />

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Titelseite und rechts: Japan Now! www.japan-now.net - u.a. mit Yui & Ayako in der<br />

Dampfzentrale und in der Reitschule in Bern<br />

Vor allem...<br />

■ ...Tja, Bern ist wieder einmal zu langsam gewesen: Hochwasserstimmung<br />

(Seite 54) überall. Auch bei uns in der Redaktion wurde es feucht.<br />

Es grenzt an ein kleines Wunder, dass die Septemberausgabe termingerecht<br />

ausgeliefert werden konnte. Wenn die Berner Alarm schlagen müssen,<br />

greifen sie nicht zur Sirene, sondern - erst noch viel zu spät - zum<br />

Megaphon. Dabei hätten wir es wissen müssen: Nur Demonstranten und<br />

Chaoten greifen zu diesem Sprachverstärker. Und siehe, was haben sie<br />

angerichtet… Es ist peinlich und lässt neben Verzweifl ung und Tragödien<br />

auch die Frage offen, ob wir weiterhin mit «Bern hoch 3» werben dürfen.<br />

«Bern hoch Wasser» wäre treffender. Selten hat ein Event mehr Schaulustige<br />

angezogen, die nutzlos den wagemutigen «Aktivisten gegen das<br />

Wasser» zuguckten. Hoffentlich war die Unterhaltung wenigstens den Weg<br />

wert. Wieviele BernInnen haben sich nicht mal die Mühe gemacht, das Desaster<br />

in der eigenen Stadt wahrzunehmen, geschweige denn, betroffenen<br />

Bekannten Ihre Hilfe anzubieten? Wer das Wasser miterlebte, hat einiges<br />

von der Perversion unserer Zeit zu spüren bekommen. Es bleibt zu hoffen,<br />

dass die kommerziellen Eventveranstalter nicht gleich Hochwasserp<strong>art</strong>ies<br />

anbieten - Afterwater oder wet chilling... Aber vielleicht gehört dieses<br />

Wasser eben wirklich zu Bern – ganz normal und natürlich. Man bedenke<br />

noch einmal die vielen Wellen, die hier symbolisch gebaut wurden… war<br />

das Vorhersehung?...<br />

Wir haben in der Redaktion zumindest eingehend darüber diskutiert,<br />

ob wir «ensuite» jetzt «eausuite» nennen sollten. Eine Antwort steht noch<br />

aus…<br />

Aber ich möchte ohne jeglichen Zynissmus und mit Respekt all jenen<br />

danken, die sich mit Kraft und jedem Einsatz zur Verfügung gestellt haben<br />

und anpackten. Insbesondere danke ich den 3 Frauen, die bei uns im Keller<br />

den ganzen Tag im Dreck mitgehofen haben. Selber unbetroffen, haben sie<br />

alles stehen und liegen lassen. Wegen ihnen sind sogar die Fotoerinnerungen<br />

aus meiner Kindheit gerettet worden - und dabei wurde mir einiges<br />

klar.<br />

Lukas Vogelsang<br />

i n h a l t<br />

K U L T U R & G E S E L L S C H A F T<br />

sprachlosigkeit einer kultur 6<br />

keine ahnung von kultur 13<br />

der 14. dalai lama in zürich 17<br />

B Ü H N E<br />

festen - familie als spiegel der machtgesellschaft 8<br />

madame bissegger brätelt bombastico 11<br />

L I T E R A T U R<br />

thomas mann, jean-pierre richardot und banana yoshimoto 11<br />

letzte lustseite 32<br />

M U S I K<br />

the trouble with music 11<br />

aus berlin... 22<br />

K I N O / F I L M<br />

angry monk 18<br />

must love dogs 19<br />

das andere kino 20<br />

chinas junges, unabhängiges fi lmschaffen 22<br />

<strong>art</strong>ensuite<br />

wacht auf ihr augenmenschen 25<br />

pablo picasso und rené magritte in der fondation beyeler 27<br />

andrea loux - raumgeschichten 28<br />

heinz egger - schwarz und weiss 28<br />

franz gertsch - radikal real 29<br />

galerien in bern 30<br />

D I V E R S E S<br />

kulturnotizen 4<br />

roger federer - versuch über die poesie 10<br />

menschen: chor im ohr 15<br />

stadtläufer 15<br />

menschen & medien/ fauser c<strong>art</strong>oon 23<br />

tratschundlaber 19<br />

hoch(wasser)stimmung 54<br />

L I F E S T I L E<br />

tuchfühlung... 11<br />

design im schongang 12<br />

A G E N D A 32<br />

kulturagenda bern 33<br />

museen bern/biel/thun 57<br />

kulturagenda biel 59<br />

kulturagenda thun 62<br />

3


4<br />

K U L T U R N O T I Z E N<br />

NEUES KULTURKONZEPT<br />

■ Ein neues Kulturkonzept wird Kultursekretär<br />

Christoph Reichenau für Bern erstellen. Dies wurde<br />

konkreter und mit ziemlich unrealistischem Plan an<br />

der letzten BE-Kult-Sitzung vom 22. August vorgestellt.<br />

Konkret war aber danach nichts - höchstens<br />

die Feststellung, dass für ein neues Konzept noch<br />

nicht viel Boden vorhanden ist und das bis jetzt noch<br />

keine einzige professionelle Studie für die Berner<br />

Kultur gemacht wurde.<br />

An dem BE-Kult-Treffen, welches als Zusammenschluss<br />

von Kulturinstitutionen oder als Plattform für<br />

jene gedacht ist, trat auch Alexander Tschäppät auf<br />

und gab eine Stellungsnahme für die Berner Kultur<br />

ab. Was Tschäppät schon im Ansatz ersticken lässt,<br />

ist die Forderung nach mehr Kulturgeld. Reichenau<br />

will sich stark machen für den fi naziellen Ausbau -<br />

nach dem schon das Bundes-Kultur-Geld den Bach ab<br />

ging, ist es die letzte wirkliche Chance, die wachsenden<br />

Defi zite in den Griff zu kriegen. Doch Tschäppäts<br />

Finger, man solle erst über Effi zienz und Sparen in<br />

den eigenen Rängen nachdenken, macht sicher Sinn.<br />

Man denke dabei an eine überdimensionierte Berner<br />

Billetzentrale oder der doppelspurigen Kulturagenda.<br />

Doch der Vorschlag, eine Kulturorganisation<br />

zu schaffen, welche gesamthaft die Kulturräume<br />

auslasten und den Kulturbetrieben die Administration<br />

erleichtern soll, kann wohl gleich in den Wind<br />

geworfen werden. Die Praxis wäre desaströs.<br />

Bern solle sich als Tanzstadt positionieren - so<br />

stellt sich das Christoph Reichenau vor. Dies könnte<br />

eine Knacknuss werden, denn Bern hat - mal abgesehen<br />

von dern Berner Tanztagen - im Tanz momentan<br />

wenig zu bieten. Was gut ist, wanderte in den letzten<br />

Jahren ab, da Bern keine Ausbaumöglichkeiten zu<br />

schaffen pfl egte. Gerade das Berner Ballett wurde<br />

massiv gestutzt. In der Schweiz gilt Lausanne als<br />

Tanzstadt, Zürich ist für die Oper und die bildende<br />

Kunst fi ndet sich in Basel. Erstaunlich ist, warum<br />

Bern den Berner Rock so schändlich vernachlässigt<br />

hat. Das wäre ja unser grösstes Exportgut gewesen.<br />

Aber eben: gewesen. Dem Jazz scheint das gleiche<br />

Übel zu blühen - er wird in keiner Weise erwähnt. Und<br />

vielleicht fi ndet sich in den nun folgenden Diskussionen<br />

die Erinnerung wieder, dass die Berner Kulturszene<br />

vor ca. 35 Jahren mit der Neuerschaffung<br />

des Amtes «Kultursekretär» eigentlich im Theater<br />

aufgewachsen ist. Warum will Bern nicht Theaterstadt<br />

sein, wo wir doch so viele Bühnen und gar<br />

eine Schauspielschule unser eigen nennen können?<br />

Der Fahrplan für das neue Konzept ist auf jeden<br />

Fall zu kurz gesteckt - bis Ende September sollen<br />

die «wichtigsten» Gespräche mit den Institutionen<br />

durchgeführt sein - das kann nicht sehr gut und weit<br />

kommen. (vl)<br />

JAPAN NOW 2005<br />

■ Shibusashirazu, um es gleich vorweg zu nehmen, ist<br />

zu heiss um cool zu sein. Shibusashirazu ist Programm.<br />

Die Japaner stellen mehr als 20 Musiker auf die Bühne,<br />

mit ihnen Reisen Go Go Girls, Butho TänzerInnen,<br />

Live Painter und jede Menge Schnick-Schnack, unter<br />

anderem ein 20 Meter Heliumdrachen. Der heisse Gipfel<br />

des Fernost Jazz tritt mit einer explosiven und einzig<strong>art</strong>igen<br />

Performance an, in der traditionelle japanische<br />

Tanz Formen ebenso Platz haben, wie sensationeller<br />

Multimedia Zauber. Seit 1998 zieht das Orchester um<br />

die Welt und begeistert. Vom freien Funk, zu opulenten<br />

Wagnerklängen, japanischem Enka und PowerJazz<br />

spielt die Combo alles, was die Götter zürnt, nur noch<br />

ein bisschen Durchgeknallter.<br />

Japan Now ist bereits das dritte Festival in seiner<br />

Art. Das Festival wurde von dem Theater- und Festivaldirektor<br />

Shigeo Makabe aus Tokio und dem Berner<br />

Buthotänzer und Choreografen Imre Thormann initiiert,<br />

um die unterschiedlichsten Formen zeitgenössischer<br />

japanischer Kunst in Europa zu zeigen. Vom erfolgreichen<br />

Punksänger zum Schweizermeister in Taekwon Do<br />

folgen sieben Jahre Unterricht mit Buthomitbegründer<br />

Kazuo Ohno und lebt seither in Tokyo. Als einer der<br />

führenden Butho Autoritäten eröffnete er seine eigene<br />

Buthoschule im Herbst 2002 in Tokyo. Ihnen ist es zu<br />

verdanken, dass sie uns Langnasen mehr über Japan<br />

wissen lassen als Sushibrötchen vom Coop. Und das<br />

schaffen sie defi nitiv mit dem spannenden Programm.<br />

Nebst dem auf keinen Fall coolen Orchester im Dachstock<br />

der Reitschule, werden in der Dampfzentrale nicht<br />

minder faszinierende Abende auf uns w<strong>art</strong>en. Am ersten<br />

09. sind Yui Kawaguchi & Ayako Shimizu zu Gast. Die<br />

beiden Tänzerinnen bringen ihre neue Kreation „Wenn<br />

ein Ei kaputt geht...“ auf die Bühne, Kubikukuri Takuzou<br />

hängt sich. Natürlich als Kunstform, verwirklicht das<br />

selbstmörderische Bild des Hängenden „Kubikukuri“<br />

und drückt Konfl ikte als Atmung aus. Postmodern zeitgenössisch<br />

ist seine P<strong>art</strong>nerin Mika Kurasowa. Ihre Performance<br />

erzeugt Doppelbilder zwischen Verstand und<br />

Verrücktheit. (sf)<br />

Vorstellungen:<br />

Dampfzentrale; 01.09. Yui & Ayako um 19:30<br />

Dampfzentrale; 02.09. Kurasowa & Kubikukuri um 19.30<br />

Dachstock; 03.09. Shibusa Shirazu Orchestra um 22:00<br />

Dampfzentrale; 04.09. Yamanote Jijosha um 19:30<br />

ACHTUNG HOCHWASSER:<br />

■ Im Mattequ<strong>art</strong>ier in Bern hat das Hochwasser einige<br />

Kulturveranstalter, wie auch Restaurants und Geschäfte,<br />

vorübergehend lahmgelegt. Wir hatten keine<br />

Möglichkeit die Produktion so rasch zu korrigieren -<br />

es erschien auch nicht sinnvoll, da man ja nicht weiss,<br />

wer, wann wieder für Publikum offen stehen kann.<br />

Also: Wer an der Aare Kultur konsumieren will, wird<br />

gebeten, sich in den Tageszeitungen oder direkt bei<br />

den Veranstaltern schlau zu machen. Und nebenbei:<br />

Vielleicht brauchen diese deine Hilfe. (sf)<br />

EMOTION DANCE<br />

■ Verbindend ist einzig HipHop. Dazwischen ist eine<br />

weite Spanne unterschiedlichster künstlerischer Leistungen<br />

die Brücken bilden zwischen Ballett und Rock,<br />

Jazz und Stepptanz. Kampfkunst, audiovisuelle und<br />

technische Reize unterstützen das gut 90-minütige<br />

Tanz- und Multimediaspektakel. Emotion’s 05 will die<br />

positive Seite des HipHop zeigen und die HipHop Kultur<br />

aus ihrem agressiven Milieu herausholen. Weg von der<br />

vorherrschenden Meinung HipHop sei bloss Gewalt, Sexismus<br />

und Hochstapelei. Emotion’s 05 geht zurück an<br />

die Wurzeln, mit modernsten Einfl üssen und geschickten<br />

Verbindungen zu Technik und Kultur. Dahin wo es<br />

gehört, mit positivem Lebensgefühl und leidenschaftlicher<br />

Beziehung zu Rhythmus und Bewegung. Emotion<br />

arbeitet mit den menschlichen Regungen. Angst, Liebe,<br />

Trauer und die breite Palette der menschlichen Seele<br />

gehören zum Tanz, der Körper steht dabei im Mittelpunkt.<br />

Emotion eben. Eine Veranstaltung die sich lohnt<br />

anzuschauen. (sf)<br />

Aufführungen: Theater am Käfi gturm, Bern:<br />

15. / 16. 09. um 20:00 & 17.09. um 18:00 & 21:00


ES IST. EINFACH.<br />

■ Alle Blicke nach Westen. Dass Bern immer etwas<br />

länger braucht, darüber macht die Welt ihre Witze. Den<br />

Kolumbus hätten wir schon vor vielen Jahren brauchen<br />

können. In den Jahren nach 2000 heisst dieser Kolumbus<br />

MIGROS oder Libeskind und das neue Land nennen<br />

wir Bümpliz. Und da geht’s hin im Dokumentarfi lm von<br />

Michael Spar und seinem Team: Bümpliz – Ein Tag in der<br />

urbanen Schweiz.<br />

Keine Grossstadt ohne Ghetto. Der Berner Übermut,<br />

Grossstadt sein zu wollen, vergisst zuweilen, dass wir in<br />

Bümpliz ein immenses Multikulti-Qu<strong>art</strong>ier besitzen. Da<br />

leben Menschen aus allen Ecken der Welt – gleich neben<br />

der grossen City. Einen Tag verbringen wir im Film mit<br />

ihnen und lernen die Charaktere dieser «Westler» kennen.<br />

Michael Spahr hat es verstanden, als Insider, Bern<br />

von aussen zu betrachten. Sein Fenster beleuchtet<br />

wertfrei ein Bern, welches uns spanisch erscheint. Ein<br />

Bild von Aussichts- und Ausdruckslosigkeit, Dankbarkeit<br />

und einer Realität, die wir nicht kennen wollen. Oder<br />

doch? Sollten wir uns nicht – da die Einkaufsmeile gegen<br />

Westen führt – mit unserer Zukunft auseinandersetzen?<br />

Sind es nicht gerade Charaktereigenschaften von<br />

uns allen, sind nicht wir die ProtagonistInnen in diesem<br />

Film?<br />

Über 32‘000 Menschen wohnen in Bümpliz. Je länger<br />

wir abtauchen in den kleinen Alltagsgeschichten unserer<br />

Nachbaren, desto überraschender werden die Aus-<br />

sagen und die Statements. Erstickend eng wird es im<br />

Westen. Nüchtern scheissegal. Mach und denk was du<br />

willst. Ich kenne den Namen meiner Nachbaren nicht.<br />

Und das ist wahr. Wir glauben es, weil keiner ruft, es<br />

sei ein Witz. Und trotzdem ist Bümpliz eine Chance. Die<br />

Rapgruppe, welche zum Film gleich den Soundtrack geliefert<br />

hat, hat bei einem grossen Major Platz gefunden.<br />

Die Platzger sind eine Gemeinschaft, im Coiffeursalon<br />

ist viel los, das Binzguet kennen wir bereits selber und<br />

der Bauer hat alle Hände voller K<strong>art</strong>offeln. Und es geht<br />

ihnen gut. Sie sind. Ganz einfach.<br />

Der Film zeigt langsam und respektvoll, wovon wir<br />

vielleicht nicht träumen oder was wir vielleicht nicht<br />

sein möchten. Und trotzdem ist es nicht schlecht,<br />

Bümplizer zu sein – auch wenn dies wie ein suggestives<br />

Mantra klingt. Im Gegenteil. Die porträtierten Menschen<br />

sind echt, wirklich und unsere Nachbarn. Sie haben etwas<br />

aus ihren Leben gemacht. Es ist nicht einfach in<br />

Bümpliz – davon können wir tatsächlich nur träumen.<br />

(vl)<br />

Bümpliz – Ein Tag in der urbanen Schweiz<br />

Filmpremiere: Mittwoch, 21. September // 20.15 h<br />

Auf dem Heuboden Bienzgut in Bümpliz (Postkreisel),<br />

Bernstrasse 77<br />

K U L T U R N O T I Z E N<br />

TOP SECRET<br />

■ Information is Power. Das sagen sich auch die<br />

Geheimdienstler. Und die Wirtschaftsspione. Und<br />

die Hacker. Spätestens seit Computer und der öffentlich-zivilen<br />

Nutzung des WWW sollte jede/r ein<br />

wenig hinter die Informationsgewinnung moderner<br />

Informationstechnologie schauen und verstehen<br />

um was es hier geht. Sie haben das sicher schon gehört:<br />

Von Terroristen wird vermutet, dass sie geheime<br />

Botschaften in digitalen Bildern verstecken und<br />

sich so ungestört austauschen können. Vielleicht<br />

haben sie schon von der National Security Agency,<br />

NSA, dem grössten amerikanischen Geheimdienst<br />

gehört. Sie wurde im Auftrag von Harry Truman in<br />

den 40er Jahren gegründet und wurde über Jahre<br />

geheim gehalten. Die Aufgabe des Superdienstes<br />

ist es, „nützliche“ Daten abzufangen, darunter ausländische<br />

Nachrichtenverbindungen. Sie stehen im<br />

Verdacht, mit dem Abhörsystem Echelon weltweit Emails,<br />

Faxe und Telefongespräche abzuhören. Auch<br />

in der Schweiz, obwohl die Schweizer Dienste nicht<br />

gerne darauf angesprochen werden.<br />

Auch Windows 2000 machte von sich reden, das,<br />

wie Hacker zeigen konnten, einen vordefi nierten<br />

Generalschlüssel für asymmetrisch verschlüsselte<br />

Verbindungen besaß - und dessen Eigentümer unter<br />

der Bezeichnung «NSA» fi rmierte. Entsprechenden<br />

Gesetzesinitiativen in den USA, die den Gebrauch von<br />

Verschlüsselungsmethoden regulieren oder staatlichen<br />

Stellen eine Entschlüsselungsgarantie geben<br />

sollten, blieben schließlich erfolglos. Der Supersauger<br />

ist Arbeitgeber von sage und schreibe 16‘000 Mathematikern,<br />

darunter einige „umgedrehte“ Superhacker.<br />

Kein Wunder ist die NSA auf dem Gebiet der<br />

Verschlüsselung der Öffentlichkeit um Jahre voraus.<br />

Spionage software die sich auf ihrem Computer<br />

selber installiert weiss genau über ihr Surfverhalten<br />

Bescheid, registriert ihre Bewegungen, leuchtet ihr<br />

Surfverhalten aus, bombardiert sie mit Werbung, oder<br />

mit bös<strong>art</strong>igen Viren, oder klaut ihnen Passwörter.<br />

Der Phantasie zum Schutz vor echten und eingebildeten<br />

Bedrohungen sind keine Grenzen gesetzt: Schlüssel<br />

und Codes werden entwickelt. Wer kennt sich in<br />

diesen Kommunikationslabyrinthen noch aus? Dieser<br />

Frage geht die Führung TOP SECRET nach.<br />

Auf dem gut einstündigen Rundgang werden<br />

aber auch Geschichten aus der Vergangenheit zu<br />

hören sein. Zum Beispiel von den «Simpsons» im<br />

Museum für Kommunikation. Oder warum die Geschichte<br />

Englands wohl anders verlaufen wäre, hätte<br />

Maria Stu<strong>art</strong> die Häufi gkeitsanalyse gekannt. Exklusiv<br />

wird ausserdem eine originale Chiffriermaschine<br />

der Schweizer Armee in Betrieb genommen. Und zu<br />

guter Letzt nimmt die Führung noch den eigenen<br />

Schlüsselbund genauer unter die Lupe. Sie werden<br />

staunen, was der Bruder über sie weiss... (sf)<br />

Top Secret<br />

Museum für Kommunikation, Helvetiastrasse 16,<br />

Bern. Jeweils sonntags; 14:00. Anmeldung bis 5 Minuten<br />

vor Führungsbeginn am Museumsempfang.<br />

Die Führung ist im Eintritt inbegriffen.<br />

5


6 K U L T U R & G E S E L L S C H A F T<br />

TILL HILLBRECHT<br />

sprachlosigkeit einer kultur<br />

Wenn das Baskenland seine Kultur nicht mehr versteht<br />

■ Man stellt den Unterschied zum touristischen Teil<br />

San Sebastians sofort fest. Als ich vom belebten Teil<br />

des Gros-Qu<strong>art</strong>iers in eine schmale gepfl asterte Gasse<br />

einbiege, schielen mir Augen entgegen, die mich sofort<br />

als Zaungast entlarven. Tische und Bänke kleiner<br />

Bistros säumen das Trottoir, Einheimische sitzen und<br />

stehen entlang der Strasse, einige schlürfen Sidra. Ich<br />

fühle mich wohl hier, die Gegend passt zu mir. Die Kneipen<br />

und Lädchen erinnern mich an die heimische Lorraine,<br />

wo man in Bern heute noch dann und wann ein<br />

authentisches Qu<strong>art</strong>ier(be-)leben fi ndet. Aber ich bin in<br />

Donostia, baskisch für San Sebastian und stehe vor der<br />

Bar, in der ich verabredet bin. Es ist zu früh für die Einwohner,<br />

das Lokal ist so gut wie leer, nur Musik füllt den<br />

Raum und die übrigen Pintxos vom Mittagessen, die auf<br />

dem Tresen stehen. Daran angelehnt steht Iñaki, meine<br />

Verabredung. Er winkt mir lächelnd zu. Iñaki ist ein<br />

junger baskischer Journalist und mit der ersten kurzen<br />

Begegnung ein Freund von mir geworden. Er kennt die<br />

Missstände, die hier im Herzen des Baskenlandes herrschen,<br />

aus erster Hand. Er muss sie erleiden, mit ihnen<br />

umgehen, sie bekämpfen und er will in diesem Kampf<br />

gewinnen. Damit entspricht Inaki dem Ideal des militanten<br />

ETA-Anhängers, dem Bild, welches als Synonym für<br />

die baskische Unabhängigkeitsbewegung in den Rest<br />

der Welt übermittelt wird. Nun, militant wäre das letzte<br />

Wort, welches ich für den Beschrieb dieser unauffälligen<br />

und scheu wirkenden Person benutzen würde. Und<br />

Mitglied der ETA ist Iñaki schon gar nicht. Das einzige<br />

Mittel, welches er im Kampf um seine eigene Kultur<br />

einsetzt ist die Feder. Sein Arbeitsgeber publiziert eine<br />

ausnahmslos in Euskera verfasste Zeitung.<br />

Euskera, die Landessprache der Basken, ist die einzige<br />

Europas, die nicht indoeuropäischen Ursprungs ist<br />

und wird von Linguisten als eine der ältesten Sprachen<br />

Europas geschätzt. Drei von vier Provinzen sind bilingual,<br />

offi ziell wird in Spanisch und Euskera beschildert.<br />

Doch Euskera wird heute nur noch von rund einer halben<br />

Million Menschen gesprochen. Zwar ist das Bestreben<br />

gross, die Kastilianisierungspolitik der Ära Francos rückgängig<br />

zu machen, doch sein fast 40 Jahre andauerndes<br />

Sprachverbot hat das Kulturerbe einer ganzen Generation<br />

ausgelöscht, der Sprachraum schwindet mehr und<br />

mehr. Damit die Landsleute ihre Sprache nicht verlieren,<br />

ihre wundersame Kultur behalten können und auch für<br />

ihre Unabhängigkeit- dafür setzt sich Inaki ein. Diese<br />

Arbeit ist h<strong>art</strong> und nicht ungefährlich. Menschen, die<br />

sich in irgendeiner Form für das Baskenland engagieren<br />

stehen im Visier Spaniens, Zensur waltet willkürlich und<br />

nagt an allen Euskera-Medien. Viele sind ihr schon zum<br />

Opfer gefallen. Aus Journalisten werden schnell einmal<br />

Verschwörer, aus Kulturunterstützenden Volksmanipulanten<br />

und aus Demonstranten Terroristen.<br />

«I`m a rebel», witzelt Iñaki und belächelt diesen<br />

Umstand. Seine friedvolle Art macht die Schilderung<br />

seiner Erlebnisse im Konfl ikt mit Spanien nur noch ungläubiger.<br />

Iñakis Blick schweift durch die Bar, bleibt an<br />

einem Plakat heften, sein Gesichtsausdruck wird ruhig.<br />

Für einen Moment herrscht Stille und ich weiss nicht, ob<br />

ihm gleich Tränen kommen. Doch es kommt wiederum<br />

ein Lächeln und er schaut zu mir. Das Plakat zeigt einen<br />

baskischen Häftling, der in diesen Tagen das Gefängnis<br />

auf Kaution verlassen darf und nun auf seinen Prozess<br />

w<strong>art</strong>et. Er ist ein Freund Iñakis. Was er getan hat? Er<br />

hat Familien geholfen, die ihre Verwandten hinter Gittern<br />

besuchen wollen. Die Spanische Regierung sieht<br />

vor, Basken in Gefängnisse auf der anderen Seite des<br />

Landes zu bringen. Für eine Mutter bedeutet dies bis<br />

zu 800 km Reise um eine halbe Stunde mit ihrem Sohn<br />

sprechen zu dürfen. Was aber ist nun der Grund für die<br />

Verhaftung dieses Mannes? Ich schreibe es noch mal:<br />

Er unterstützt Familien, die Angehörige hinter Gittern<br />

haben…<br />

Jaizkibel, 455 m.ü.M. Wir stehen auf der Spitze des<br />

dicht und grün bewachsenen Ausläufers der Pyrenäen.<br />

Die Landschaft ist weitgehend unberührt, nur kleine<br />

Trampelpfade führen umher und sähe ich in der Ferne<br />

nicht den dunkelblauen Strich des Meeres, könnte<br />

ich mir diesen wunderschönen Fleck genauso gut in<br />

die Schweiz denken. Dornige Büsche wehen im Wind,<br />

Eidechsen huschen davon. Iñaki erklärt mir das Panorama,<br />

als ich weit hinter uns Gewehrsalven vernehme.<br />

«Das spanische Militär», sagt mir Iñaki beiläufi g. Die Armee<br />

hat inmitten dieses Naturparks einen Übungsplatz<br />

erstellt. Ein wenig irritiert wende ich meinen Blick zum<br />

nördlichen Fuss des Jaizkibel und rechne mir aus, dass<br />

dieser Küstenabschnitt bereits zu Frankreich gehören<br />

müsste. Iñaki bestätigt: «Legalerweise schon.»<br />

Photos: Patricia Vazquez<br />

Iñakis Theorie zufolge ist die zum Teil schwer erreichbare<br />

hügelige Landschaft der Grund, weshalb Invasoren<br />

über lange Zeit fern blieben. Dies würde auch<br />

erklären, weshalb die baskische Sprache ohne wesentliche<br />

Veränderungen bis heute erhalten blieb und sich<br />

innerhalb der baskischen Grenzen ein eigenes, überaus<br />

intensives Kulturleben und -streben abspielt. Kultur und<br />

Tradition geniesst namentlich in San Sebastian einen<br />

sehr hohen Stellenwert. Die Erklärung ist simpel: Wäre<br />

etwa die Schweiz seit langem in einen Unabhängigkeitskonfl<br />

ikt verzettelt und das Volk müsste um seine Souveränität<br />

zittern, entstünde ein ähnlicher Effekt. Traditionen<br />

würden aus ihrem Dornröschenschlaf aufwachen,<br />

volkstümliches Treiben erhielte einen immensen Popularitätsschub.<br />

Der Identitätslose verschafft sich so ein<br />

Gesicht, Kultur bleibt präsent, sie wirkt als Bindeglied<br />

einer Nation. Und genau dies geschieht im Baskenland:<br />

Das Volk will sich identifi zieren mit seinem Land, mit seiner<br />

Besonderheit und daraus gedeihen wertvolle Früchte.<br />

Im Unterschied zu anderen Völkern engagieren sich<br />

nämlich vor allem junge Menschen für ein Fortbestehen<br />

der Kultur – ältere Generationen haben im Diktat Francos<br />

Sprache und Tradition fast gänzlich verloren. Diese<br />

Lücke hat als traurige Folge eine Art Analphabetismus<br />

mit sich gebracht, deren Auswirkungen sich erst in diesen<br />

Jahren zeigten: Älteren Menschen, die während<br />

Francos Diktatur nicht in Euskera sondern in Spanisch<br />

unterrichtet wurden, haben oftmals ein Wortschatzdefi<br />

zit und das Manko der Schreibkenntnisse ist zu gross,<br />

um der Alltagskommunikation gerecht zu werden. Ein<br />

Teufelskreis: Anhand der geografi schen Sprachgebieten<br />

zeigt sich, dass die baskische Kultur vor allem dort verbreitet<br />

ist, wo hauptsächlich Euskera gesprochen wird.<br />

Um das Kulturleben in jenen Regionen anzukurbeln, in<br />

denen vorwiegend Spanisch gesprochen wird, muss zuerst<br />

wieder Euskera unterrichtet werden. Und das weiss<br />

die spanische Regierung mit Erfolg zu verhindern. Die<br />

Sprache bleibt der Brückenschlag zwischen Menschen<br />

und Kulturen und wo Sprache nicht ist, ist auch keine<br />

Kultur.<br />

Betritt man aber die baskischen Hochburgen – San<br />

Sebastian/Donostia etwa – lässt sich durch eine Vielzahl<br />

verschiedener Eigentümlichkeiten den Gegensatz zu benachb<strong>art</strong>en<br />

Spanischen Provinzen feststellen. Zum Bei-


spiel eine ganze Reihe typischer Sport<strong>art</strong>en, allen voran<br />

das «Pelota-Spiel». Eine atemberaubende Version des<br />

Squash, deren Anzahl fanatischer Anhänger genauso<br />

so hoch ist wie der Wett-Umsatz, der damit erzielt wird.<br />

Und jedes Jahr säumen Abertausende von Menschen<br />

das hügelige Gelände um den Hafen, um die Regatta der<br />

«Traineras», heimischen Ruderbooten, mitzuverfolgen:<br />

Einem Rudersportwettbewerb, der seinen Ursprung<br />

darin fi ndet, dass sich die Fischer in ihren «Traineras»<br />

in Schnelligkeit konkurrenzierten- um den frischesten<br />

Fisch zu verkaufen.<br />

Es ist Samstag, wir treffen uns zu zum Zipotz-Strassenfest<br />

in Gros. Sidra, eine Art Apfelwein und baskische<br />

Spezialität, wird aus mannshohen Holzfässern gegossen,<br />

dazu gibt’s Fisch, Käse und Früchte. «Tschotsch»,<br />

ruft Iñaki lautstark und von überall her «Tschotscht» es<br />

zurück, es ist die Aufforderung für ein weiteres Glas Sidra.<br />

Iñaki klärt mich über die «Bertsolari» auf, ein interessantes<br />

Stück baskischer Kultur: Das Publikum wählt ein<br />

bestimmtes Thema aus und eine handvoll «Bertsolari»<br />

singen improvisierte Texte zum ausgewählten Begriff.<br />

Fast würde ich mich zur Aussage verleiten lassen, dass<br />

ich hier die Vorreiter des Freestyle-Rap gefunden habe.<br />

Ich sehe Menschen in verschiedenen Trachten umherwirbeln,<br />

Sänger zupfen die Saiten ihrer Gitarren und erzählen<br />

baskische Geschichten, das Publikum stimmt in<br />

die Texte ein. Später spielen junge Bands, vor allem aus<br />

dem hier weitverbreiteten sozialkritischen Metal-Genre<br />

und singen von nichts anderem, was auch die Künstler<br />

der Volkstümlichen Musik zuvor nicht schon manifestierten.<br />

Auf Euskera versteht sich, soll heissen, ich verstehe<br />

nichts. Iñaki erklärt: Vieles sind Klagelieder, aber<br />

man hat Freude. Eine gesunde Melancholie macht dem<br />

positiven Geist der Veranstaltung platz. Die Vergangenheit<br />

nicht vergessen, aber mit Zuversicht in die Zukunft<br />

blicken.<br />

San Jose, Hafennähe. Ich sitze mit Iñaki am Meeresufer<br />

in einem kleinen Fischerdorf, die Sonne verschwindet<br />

hinter dem Jaizkibel, nur das Wasser dient einigen<br />

Strahlen noch als Spiegel. Eine Trainera-Equipe trainiert<br />

darauf, dann und wann rufen ihnen Anwohner unterstützende<br />

Worte zu. Ich sehe von hier aus das Gemeindehaus,<br />

baskische Parolen zieren seine Wände. Dass die<br />

Situation alles andere als bereinigt ist, merkt man auch<br />

im hintersten Ecken San Sebastians. In den Dörfern und<br />

auch in der Stadt hängen politische Plakate von den<br />

Dächern und militanter noch sind Parolen, die an die<br />

Hauswände geschmiert sind. «Gora ETA!» heisst es da<br />

zum Beispiel: Hoch lebe die ETA! Mit grossen Bildern<br />

wird den Häftlingen gedacht, man zelebriert sie als kleine<br />

baskische Guevaras. Iñaki weiss, dass niemals Gewalt<br />

das Mittel sein wird, welches den Weg in die Unabhängigkeit<br />

ebnet. Er unterstützt den militanten Kampf nicht<br />

– kann ihn aber auch nicht beenden. Es ist wie in allen<br />

anderen Konfl ikten dasselbe: Eine Brut wird tollwütig,<br />

weil sie von Gewalt anderer infi ziert wird. Die Unabhängigkeitsbewegung<br />

ist mit enormer Kraft präsent, die<br />

Angst vor dem Verlorengehen treibt sie an. Menschen<br />

wie Iñaki wollen die Unabhängigkeit nicht um jeden<br />

Preis. Aber sie wollen, dass das Baskische Volk selbst<br />

entscheiden darf, ob ihrer Kultur und ihrer Sprache eine<br />

Zukunft geschenkt werden soll oder nicht.<br />

Iñaki blickt aufs Meer zurück. Nachdenklich, aber lächelnd.<br />

7


8<br />

B Ü H N E<br />

SARAH STÄHLI<br />

familie als spiegel der machtgesellschaft<br />

«das fest» von thomas vinterberg und mogens rukov am stadttheater bern<br />

ein gespräch mit der regisseurin barbara-david brüesch<br />

■ Filme für die Bühne zu adaptieren ist zurzeit sehr beliebt.<br />

Selten eignete sich jedoch eine fi lmische Vorlage<br />

besser dafür als der Dogma-Film «Festen» («Das Fest»)<br />

des dänischen Regisseurs Thomas Vinterberg.<br />

«Festen» erzählt von einem Familienfest, das von einem<br />

Moment auf den anderen vom Feucht-fröhlichen ins tief<br />

Tragische kippt.<br />

Der Autor Vinterberg beschreibt sein Drama so: «Das<br />

Fest ist ein Stück über den Willen des Vaters und den<br />

verlorenen Sohn, über die Nähe des Todes und die Ferne<br />

der Lebenden, über die Bande des Bluts und darüber,<br />

wie es ist, seines Bruders Hüter zu sein. Ein Stück über<br />

Liebe, Eifersucht und Fremdenangst, über den kühlen<br />

Charme der Bourgeoisie und die warmen Arme der Stubenmädchen...».<br />

Das Familiendrama lässt sich mühelos in die Tradition<br />

der skandinavischen Dramatiker Ibsen und Strindberg<br />

einreihen, der Sohn erinnert nicht nur entfernt an<br />

Shakespeares Hamlet.<br />

Selten war Film näher am Theater, als mit der Dogma-Bewegung.<br />

Vinterberg hat bereits während des Drehens<br />

daran gedacht, «Festen» auf die Bühne zu bringen<br />

und der zweite Initiant des Dogma-Manifests, Lars<br />

von Trier, hat sich mit seinem letzten Film «Dogville»<br />

mehr und mehr vom Film zum Theater hin entwickelt.<br />

Andererseits ist Vinterbergs «Festen» vor allem auch<br />

fi lmisch interessant. Als erster Dogma-Film überhaupt<br />

krempelte der Film unsere Sehgewohnheiten um und<br />

vermittelte einen beinahe unerträglichen Realismus.<br />

Nach dem Grosserfolg der Theaterversion auf diversen<br />

Bühnen feiert «Das Fest» nun am Stadttheater Bern<br />

seine Schweizer Erstaufführung. Die junge Regisseurin<br />

Barbara-David Brüesch führt Regie. Brüesch, 1975 in<br />

Chur geboren, studierte Regie an der Hochschule für<br />

Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und inszenierte<br />

unter anderem am TiF (Theater in der Farbik) in Dresden,<br />

am Zürcher Neumarkttheater und am Theaterhaus<br />

Gessnerallee.<br />

Es ist sicherlich nicht einfach, zu inszenieren, wenn<br />

bereits eine vollkommene Inszenierung besteht. Barbara-David<br />

Brüesch wählt mit ihrem «Fest» einen Mittel-<br />

weg: Möglichst weit weg vom Original, gleichzeitig die<br />

Psychologie und Nähe des Filmes beibehalten und die<br />

Form des Filmes geschickt für die Bühne übersetzen. Im<br />

Gespräch, das in einer Probenpause stattfi ndet, meint<br />

sie: «Man muss auf der Bühne im Vergleich zum Film<br />

alles vergrössern. Ich fände es schade, den Film einfach<br />

nachzuinszenieren. Die Geschichte von «Festen» nochmals<br />

zu erzählen, lohnt sich jedoch auf jeden Fall; sie ist<br />

sehr theaternah.». Das Interesse an einer Auseinandersetzung<br />

mit «Das Fest» kam folglich in erster Linie der<br />

Geschichte wegen. Für Brüesch, die mit Vorliebe Stücke<br />

junger Autoren erarbeitet – unter anderem seit ihrer Arbeit<br />

am TiF, wo fast ausschlieslich Jungautoren gespielt<br />

werden – gehört Vinterbergs Text «zum Besten, was es<br />

zurzeit an neuen Stücken zu lesen gibt». Für die Berner<br />

Inszenierung wird jedoch nicht die vom Autor umgeschriebene<br />

Bühnenfassung verwendet sondern das<br />

Originaldrehbuch zu «Festen». Einiges musste jedoch<br />

umgeschrieben werden, z.B. der Szenenablauf: «dem<br />

Theater fehlt halt die Schnitttechnik des Filmes!» meint<br />

Brüesch. Die Bühnenfassung, die Vinterberg zusammen<br />

mit Mogens Rukov, dem Drehbuchmentor der dänischen<br />

Filmschule, verfasst hat, wirke stellenweise zu sehr so<br />

«wie sich ein Filmemacher Theater vorstelle». Der Stoff<br />

eigne sich ausgesprochen gut für die Bühne: «Für mich<br />

ist «Das Fest» ein klassisches Königsdrama. Es geht um<br />

Machtstrukturen im Grossbürgertum, in einer Machtgesellschaft.<br />

Die Machtablösung ist für mich Hauptthema.<br />

Macht, die Gefühlskälte, Unterdrückung zur Folge hat<br />

und schliesslich die Revolution dagegen.»<br />

Das Inzest-Thema sieht die Regisseurin eher als ein<br />

Mittel zum Zweck. «Der Missbrauch seiner Kinder ist lediglich<br />

die Form, in der der Vater seine Macht ausübt, er<br />

könnte dies genauso gut in einer andern Form tun». Das<br />

Familiendrama stehe für sehr viel mehr, für ein Gesellschaftsbild,<br />

ein Urbild «die Figuren sind sehr archaisch,<br />

es sind Prototypen, trotz dem Psychologischen und Filmischen,<br />

das sie auch besitzen» .<br />

Obwohl sich die Inszenierung vom Filmvorbild lösen<br />

will, scheint die formale Umsetzung auf der Bühne vom<br />

Film inspiriert. «Wir haben versucht den Einsatz der<br />

Handkamera im Film auf die Bühne zu übersetzen. Wie<br />

zeigt man z.B. ein Close-up? Mit dem ziemlich extremen<br />

Bühnenbild haben wir eine sehr formale Lösung gefunden».<br />

Die Familiengesellschaft sitzt hinter einer Glaswand,<br />

gespielt wird vor und hinter der Wand, so wird<br />

Nähe und Ferne suggeriert, die an Filmeinstellungen<br />

erinnert. «Ich will dieses Eingesperrte, diese klaustrophobische<br />

Stimmung einfangen». Die Stimmen der<br />

Schauspieler sind verstärkt und scheinen ganz nahe.<br />

Gesprochen werde ganz natürlich, nicht in einer «Theatersprache».<br />

Das Realistische des Filmes will die Regisseurin<br />

in der Stimme, in der Sprache beibehalten «die<br />

Gestik, das Darstellen, jedoch extrem vergrössern. Die<br />

Psychologie wie aufblasen.».<br />

Ein wichtiger Bestandteil in Brüeschs Arbeit ist der<br />

Einsatz von Musik. Die zwei Musiker der Gruppe «strøm»<br />

gehören, wie auch der Bühnenbildner und die Kostümbildnerin,<br />

zu Brüeschs festem Team. «Obwohl das Stück<br />

an unterschiedlichen Orten spielt machen wir keinen<br />

Bildwechsel. «strøm» bauen mit ihren Klangwelten die<br />

Räume.»<br />

«Das Fest» von Thomas Vinterberg<br />

und Mogens Rukov<br />

Schweizer Erstaufführung<br />

Inszenierung: Barbara-David Brüesch<br />

Bühne: Damian Hitz<br />

Kostüme: Adelheid Walter<br />

Musik: strøm<br />

Dramaturgie: Rainer Hofmann<br />

Mit: Matthias Brambeer, Heidi Maria Glössner,Grazia<br />

Pergoletti, Nils Torpus, Thomas<br />

Pösse,Ragna Guderian, Stefano Wenk,<br />

Fabienne Biever, Uwe Schönbeck u.a.<br />

Premiere: Samstag 10. September um 19:00 im<br />

Stadttheater Bern<br />

13., 21. & 28. September um 19:30<br />

letzte Vorstellung: 29. November<br />

Bild: zVg.


Ein Brocken Literatur<br />

Thomas Mann:<br />

Buddenbrocks – Verfall einer Familie. Roman.<br />

■ Das 50. Jubiläum von Thomas Manns Todestag<br />

(er verstarb am 12. August 1955 in Zürich) scheint ein<br />

guter Anlass, um den vielbesprochenen Roman «Buddenbrocks<br />

– der Verfall einer Familie» noch einmal zu<br />

besprechen. Denn was Mann mit seinem ersten grossen<br />

Erfolg gelungen ist, nämlich seine Figuren aus einer humorvollen<br />

Distanz zu zeichnen, ja, sie geradezu zu karikieren,<br />

daran vermochte er zwar später in Ansätzen<br />

wieder anzuschliessen (man denke nur an das Personal<br />

des Zauberbergs), die Leichtigkeit seines Erstlings<br />

bleibt jedoch diesem allein vorbehalten.<br />

Auch wenn hier der Verfall der Lübeckschen Kaufmannsfamilie<br />

Buddenbrocks über vier Generationen<br />

geschildert wird, wird deren Niedergang mit Humor gezeichnet.<br />

Führt der Repräsentant der dritten Generation Thomas<br />

Buddenbrocks das alteingesessene Familienunternehmen<br />

zu ungeahntem Erfolg und wird selbst sogar<br />

zum Senatoren ernannt, ist damit der Zenit erreicht<br />

und die sich zum Patriziat zählende Familie sieht sich<br />

den Mächten einer neuen Zeit unterworfen, in welcher<br />

althergebrachte Hierarchien nicht mehr so ohne weiteres<br />

als verbindlich gelten. Das Familienoberhaupt hat<br />

nicht nur mit unliebsamen Konkurrenten von neureicher<br />

Provenienz, sondern auch mit den Eskapaden seiner<br />

Schwester Antonie sowie seines Bruders Christian<br />

zu kämpfen. Findet erstere weder für sich noch für ihre<br />

Tochter das erhoffte Glück im heiligen Stand der Ehe,<br />

gibt sich letzterer lieber seinen Leiden und seiner Leidenschaft<br />

für die Schauspielerei hin.<br />

Thomas aber, der zeitlebens aufs Äusserste auf Reinlichkeit<br />

bedacht ist, hat das Unglück, in geradezu lächerlicher<br />

Weise das Zeitliche segnen zu müssen: er stirbt in<br />

seinem eigenen Schmutz an den Folgen eines vereiterten<br />

Zahnes auf der Strasse. Sein Sohn Hanno, benannt<br />

nach Johann Buddenbrock, dem Begründer der Dynastie,<br />

vermag dem auf seinen Schultern lastenden Druck<br />

nicht standzuhalten und fl üchtet sich zunächst in die<br />

Künste, später in den Tod.<br />

Nicht von ungefähr gilt Manns Roman als Meilenstein<br />

der Literaturgeschichte, lassen Sie sich nicht von der<br />

Seitenzahl abschrecken.<br />

Mann, Thomas: Buddenbrocks – Verfall einer Familie.<br />

Roman. Als Paperback beispielsweise erschienen im S.<br />

Fischer Verlag. Frankfurt am Main 1997. S. 783.<br />

Eine andere Sicht auf Vergangenes<br />

Jean-Pierre Richardot: Die andere Schweiz – Eidgenössischer<br />

Widerstand 1940-1944. Essay.<br />

■ Die Vergangenheitsbewältigung des 2. Weltkriegs<br />

setzte in der Schweiz erst relativ spät (in den 90er Jahren)<br />

und auf Druck von Aussen hin ein. Anders als in<br />

Deutschland, wo der Begriff der «Erinnerungskultur»<br />

geradezu infl ationär verwendet wird, gelang es hier, bis<br />

auf wenige Aussnahmen, nicht eine öffentliche Diskussion<br />

zu entfachen.<br />

So wurde zwar mit Bundesgeldern eine historische<br />

Aufarbeitung der Vergangenheit ermöglicht (Bergier-<br />

Kommission), diese stiess jedoch mit ihrer schonungslosen<br />

Darstellung einen Grossteil der Kriegsgeneration<br />

vor den Kopf.<br />

Dem französischen Journalisten Jean-Pierre Richardot<br />

ist nun gelungen, was den Historikern misslungen<br />

ist, nämlich nachzuweisen, dass ein schweizerischer Widerstand<br />

gegen ein totalitäres Regime durchaus bestanden<br />

hat. Ein Widerstand, der die deutsche Kultur an sich<br />

nie mit dem Nazi-Regime gleichsetzte, wie Richardot<br />

betont.<br />

Richardot, der seine Kindheit in der Schweiz verbrachte,<br />

ist in seiner Darstellung nicht immer frei von<br />

Nostalgie, ja, er wird teilweise sogar von einer «Helvetophilie»<br />

übermannt, die ihresgleichen sucht. Würdigt<br />

er einerseits die liebralen Journalisten- und Offi zierskreise,<br />

vergisst er auch das einfache Volk nicht, dessen<br />

Majorität er zuschreibt, während des gesamten Krieges<br />

auf Seiten der Allierten gestanden zu haben.<br />

Sein Essay ist ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung<br />

mit einer Vergangenheit und deren Protagonisten,<br />

die von der Nachkriegsgeneration mehrheitlich als<br />

negativ, nicht zuletzt als beschämend wahrgenommen<br />

wird, dies umso mehr als es sich hier nicht um das Werk<br />

eines Schweizers handelt.<br />

Richardot, Jean-Pierre: Die andere Schweiz – Eidgenössischer<br />

Widerstand 1940-1944. Essay. Aus dem Französischen<br />

übersetzt von Yla von Dach und Gabriela Zehnder.<br />

Aufbau-Verlag. Berlin 2005. ISBN 3-351-02584-X. S.<br />

258.<br />

In Halbwelten entführt<br />

L I T E R A T U R<br />

Banana Yoshimoto: hardboiled/ hard luck.<br />

Erzählungen.<br />

■ Die im Japanischen bereits 1988 erschienen Erzählungen<br />

hard boiled bzw. hard luck der im deutschsprachigen<br />

Raum hinlänglich bekannten Autorin Banana Yoshmito,<br />

liegen nun erstmals in englischer Übersetzung<br />

vor.<br />

Wie in ihren Romanen Kitchen oder Amiita verfl icht<br />

sich auch in diesen beiden kleinen Werken Traum und<br />

Wirklichkeit. Handelt die erste Geschichte von der Liebe<br />

zwischen zwei Frauen, deren Trennung und dem Unfalltod<br />

der einen, haftet ihr trotz der grossen Themen<br />

nichts Dramatisches an. Viel mehr erhält der Leser den<br />

Eindruck, als ob sich die Figuren ihrem Schicksal nicht<br />

entziehen könnten, wobei sie dieses ohne Widerspruch<br />

akzeptieren. Die Macht des Transzendenten scheint<br />

allgegenwärtig: so stösst die Hinterbliebene auf ihrer<br />

Wanderung auf einen Schrein, dessen seltsame Energien<br />

sie auch die nächsten Tage ihres Ausfl uges verfolgen<br />

sollen.<br />

Hard luck hingegen erzählt von einem Mädchens,<br />

dessen komatöse Schwester im Krankenhaus künstlich<br />

am Leben erhalten wird. Dort begegnet sie dem ausgefl<br />

ippten Bruder des Verlobten ihrer Schwester Kuni und<br />

eine unmögliche Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf.<br />

Als Kuni kurze Zeit darauf für hirntot erklärt wird und<br />

die lebenserhaltenden Massnahmen eingestellt werden,<br />

fehlt der Ort, an welchem sich die beiden treffen können.<br />

Nun erst beginnt die wirkliche Trauerarbeit, denn<br />

bis anhin war Kuni zumindest körperlich noch präsent.<br />

Auch in diesen kleinen Meisterwerken, deren poetischer<br />

Sprache der Leser sich kaum entziehen kann, stehen<br />

die grossen Themen Yoshimotos Liebe, Tod und die<br />

Geister der Toten, im Zentrum. Man lässt sich nur allzu<br />

gerne in ihre Halbwelten entführen.<br />

Yoshimoto, Banana: hardboiled/ hard luck. Erzählungen.<br />

Aus dem Japanischen übersetzt von Michael Emmerich.<br />

Faber and Faber. London 2005. ISBN 0-571-22782-1. S.<br />

89 bzw. S. 60.<br />

9


10<br />

K U L T U R & G E S E L L S C H A F T<br />

EVA PFIRTER<br />

versuch über die poesie<br />

■ Was hat Poesie mit Sport zu tun? Gar nichts, möchte<br />

man meinen. Und doch gibt es seit einiger Zeit ein Phänomen<br />

im Sportzirkus, das eine solche Parallele zulässt,<br />

ja sogar fordert. Das Phänomen heisst Roger Federer.<br />

Und schlägt den wichtigsten Schlag des Weissen Sport<br />

perfekt: den Aufschlag.<br />

Wimbledon im Sommer 2003: Roger Federer fällt auf<br />

die Knie, schlägt die Hände vors Gesicht und sinkt von<br />

Emotionen überwältigt auf den Heiligen Rasen. Er hat<br />

zum ersten Mal sein Idol Pete Sampras geschlagen. Und<br />

das nicht irgendwo. Wimbledon ist für die Tenniswelt das<br />

wichtigste Turnier überhaupt: Tennis auf einer schwierigen,<br />

manchmal unberechenbaren Unterlage. Unter oft<br />

widrigen Umständen wie Wind und Regen. Mitten im<br />

Tennis-Jahr zwischen ausklingender Sand-Saison in Rom<br />

und beginnender H<strong>art</strong>-Platz-Tour in den USA. Und doch<br />

stimmt einiges im sonst so zurückhaltenden England: die<br />

Fans, die tagelang vor den Mauern der Rasenplätze campieren,<br />

die lange, fast schon romantische Tradition des<br />

Turniers und natürlich das Outfi t: ganz in weiss. So wie es<br />

sich für einen Tennis-Gott gehört. Weiss auf grün.<br />

Im Moment des Triumphes über Pete Sampras, den<br />

Bild: zVg.<br />

Tennis-König der neunziger Jahre, beginnt etwas, wovon<br />

genaue Beobachterinnen schon lange etwas geahnt<br />

haben: die Poesie des Feder’schen Tennis.<br />

Doch was ist bei Roger anders als bei anderen Tennisspielern?<br />

Weshalb wirkt das Spiel eines Andy Roddick<br />

zwar athletisch, aber weitaus weniger elegant? Weshalb<br />

scheinen die mit geballter Faust erkämpften Siege eines<br />

Lleyton Hewitt viel mühsamer? Und weshalb kommt der<br />

grössere und kräftigere Russe Marat Safi n einfach nicht<br />

gegen Roger an?<br />

Jeder der oben genannten Spieler mit Ausnahme<br />

von Roger sind auf der Suche nach dem spielerischen<br />

Gleichgewicht. Marat Safi n überpowert in den wichtigsten<br />

Momenten des Spiels. Lleyton Hewitt ist viel zu aggressiv,<br />

um noch konzentriert spielen zu können. Andy<br />

Roddick scheint noch nicht ganz bei seiner ureigenen<br />

Spielweise angekommen zu sein. Und Roger? Roger<br />

scheint sich seit unzähligen Monaten in einem fast<br />

schon unheimlichen Gleichgewicht zu befi nden. Dem<br />

Gleichgewicht der Ästhetik.<br />

Die Kunst des Tennis fängt beim Aufschlag an und<br />

hört beim Aufschlag auf. Kein anderer Schlag erfordert<br />

so viel Koordination, Konzentration und Präzision. Der<br />

Aufschlag entscheidet über Sieg und Niederlage, über<br />

die Konstanz eines Spielers. In den heissesten Phasen<br />

eines Matches muss der Aufschlag sitzen- präzise und<br />

knallh<strong>art</strong>. Und er kann noch mehr: schön sein. Ästhetisch.<br />

Gar schon: Poesie.<br />

Rogers Aufschlag ist Poesie. Wir sehen ihn vor uns:<br />

ruhig und konzentriert steht er hinter der rechten Feldhälfte.<br />

Der linke Fuss ist vorne, leicht angeschrägt wie<br />

die linke Schulter zum rechten Netzpfosten schauend.<br />

Das Gewicht liegt auf diesem Bein, während das andere,<br />

das rechte, erst später zum Einsatz kommt. Der Ball<br />

springt. Ein dumpfes auf und ab. Die linke Hand scheint<br />

die gelbe Kugel an einem unsichtbaren Faden tanzen zu<br />

lassen. So lange, bis es still ist um den Platz, bis der Ball<br />

perfekt springt, bis er auf die richtige Weise in der linken<br />

Handfl äche zu liegen kommt. Dann fl iegt er nach oben.<br />

Senkrecht. Hinauf in den Himmel. Und währenddessen<br />

dehnt sich der Körper wie eine Feder nach hinten: erst<br />

der rechte Arm, der in einem Halbkreis Schwung holt,<br />

gefolgt vom Oberkörper, der durch die Drehung nach<br />

hinten dem Schlag Kraft verleiht, begleitet von einer<br />

Gewichtsverlagerung vom linken aufs rechte und wieder<br />

aufs linke Bein. Der ganze Körper scheint dem kleinen<br />

gelben Stern zu folgen; sein Schweif ist massgebend für<br />

Beschleunigung oder Verlangsamung der Bewegung.<br />

In dem Moment, in dem der Ball die perfekte Höhe erreicht<br />

hat, katapultiert das in der rechten Hand liegende<br />

Racket den aus allen Teilbewegungen summierten<br />

Schwung in einen einzigen Schlag. Das Gewicht schnellt<br />

vom rechten zurück aufs linke Bein. Der Körper spickt<br />

nach vorne. Der Schlagarm fährt weit über die Grundlinie<br />

in Richtung gegnerisches Feld. Die Augen bahnen<br />

dem Ball präzise den Weg. Man(n) schlägt, wohin man<br />

schaut: entweder auf die Mittelinie oder die Aussenlinie.<br />

Beide Platzierungen sind für den Gegner nur schwer<br />

haltbar. Vor allem, wenn das gelbe Etwas mit rund zweihundert<br />

Stundenkilometern angefl ogen kommt.<br />

Es ist weniger die körperliche Konstitution, die einen<br />

Aufschlag perfekt macht, als die mentale Stärke, die einen<br />

Spieler auszeichnet. Wer beim Aufschlag schon an den<br />

nächsten Schlag denkt, hat verloren. Wer alle Bewegungen<br />

koordinieren will, kommt durchs angestrengte Denken in<br />

ein Ungleichgewicht. Wer den Aufschlag nach dem Buche<br />

schlägt, wird nie seine perfekte Position fi nden.<br />

Roger hat sie gefunden. Auf dem Platz und in sich.<br />

Wer genau hinschaut, sieht das. Alles scheint ganz<br />

leicht. Sein Racket wirkt wie ein Teil von ihm. Es führt<br />

alle Bewegungen elegant und kraftvoll aus. Und er<br />

strahlt diese Ruhe aus, die im Weissen Sport Gold wert<br />

ist. Die Ruhe, bloss an den nächsten Punkt zu denken.<br />

Sich Schritt für Schritt ein Match zu erkämpfen. Auf sich<br />

vertrauen zu können. Auf die Koordination aller erforderlichen<br />

Teilbewegungen.<br />

Der Aufschlag ist ein Ganzes, keine Aneinanderreihung<br />

von einzelnen Bewegungen. Ich würde sogar noch<br />

weiter gehen: man hat ihn oder man hat ihn nicht. Kann<br />

man je tanzen lernen? Sicher: man kann Tanzschritte<br />

lernen. Aber das Gefühl, in welcher Sekunde welche<br />

Bewegung der Musik entspricht, von ihr getragen und<br />

liebkost wird, ist nicht lernbar. Die Verschmelzung der<br />

Bewegung mit Musik ist Poesie. Die Verschmelzung des<br />

Menschen mit dem kleinen gelben Ball ist Tennis. Und<br />

wenn Roger Federer Tennis spielt, ist Tennis Poesie.


MADAME BISSEGGER<br />

BRÄTELT BOMBASTICO.<br />

■ Jene die MINIsuisse bereits gesehen haben sprechen<br />

O-Ton. Bombastico! Am Fusse der 25 Meter hohen Felswände<br />

im Ostermundiger Steingrübli, wurde die Schweiz<br />

nach fünf Wochen Bauarbeit und 100m³ Aushubmaterial<br />

mit all ihren neuralgischen Punkten nachgebaut.<br />

Jan Messerli der Bühnenbildner hat erstaunliche Arbeit<br />

geleistet und freut sich: Da darf ich in Bergschuhen und<br />

HeliHansen hauen säbeln seilen - und das Beste: Bagger<br />

fahren! Er hat ziemlich gebaggert. Mit 15 Tonnen Teer<br />

wurden Strässchen gelegt, ein Kreisel gefertigt. Putzige<br />

Häuschen sehr gepfl egt, stehen auf der hügligen<br />

Schweiz: Zu jedem Haus gehört ein motorisiertes Auto,<br />

ein Bewohner und natürlich ein Gärtchen. Jene verraten<br />

viel über deren Hausbewohner ganz so, wie in der grösseren<br />

Version Schweiz. Schweizer sind die MINIsuisse<br />

Bewohner. Einer aus Bayern der andere, Antonio, aus<br />

Italien. Der Bayer brätelt natürlich besser, der Italiener<br />

ist selbstverständlich mehr eingewandert als der Bayer,<br />

das hört man schon an der Sprache. Und er, der Italiener<br />

eben, bringt die richtigen Schweizer auf Trab. Er weckt<br />

die Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste der Schweizer,<br />

das bring Aufregung ins Dorf und das nicht schlecht. Die<br />

drolligen Rasenmäher-Autos düsen zur «Schnell»-Tankstelle,<br />

an das kitschige Seeli und natürlich in die Einkaufsmeile<br />

namens «Jeka». Kleine Lebenslügen werden<br />

zu Lügengebäuden die, wie sollte es anders sein, unweigerlich<br />

zusammenbrechen. Ein Fiasko! In MINIsuisse<br />

spielt die Schweiz sich selber. Das Stück ändert sich von<br />

Vorstellung zu Vorstellung, die Texte sind mit Improvisation<br />

gespickt, die Laune der Schweizer scheint fl exibel.<br />

Der Umstand, dass alle immer angestrengter versuchen<br />

die Normalität und heile Welt zu bewahren, treibt die<br />

Handlung ins Absurde. Ein Umstand der uns wohl sehr<br />

vertraut ist und erst recht zum Schmunzeln verleitet.<br />

Die MINISchweizer lieben und hassen sich, vor allem<br />

die anderen, die Fremden. Madame Bisseggers neues<br />

Stück beobachtet den Durchschnittsschweizer, insbesondere<br />

seinen Begriff von Freiheit, Individualität und<br />

Unabhängigkeit. In der Tat ein Spiegel der Schweiz und<br />

Topaktuell. Erst noch wurde im Juni 2005 über Schengen<br />

/ Dublin abgestimmt. MINIsuisse wurde, zum Glück,<br />

verlängert. Zu sehen und bestaunen ist MINIsuisse noch<br />

bis am 17. September. Dank der geschützten Tribune<br />

kann das Stück bei jeder Witterung gespielt werden.<br />

Vor der Aufführung bietet die Bar ab 18:30 leckerein<br />

für den Hunger unter Bäumen oder Kerzenlicht und den<br />

Schlummertrunk mit Openend nach der Aufführung.<br />

(sf)<br />

Spieldaten: verlängert bis 17. September 2005<br />

dienstags, donnerstags, freitags und samstags um 20.30<br />

Uhr. Ort: Steingrübli Ostermundigen, Bernstrasse 184 b.<br />

THE TROUBLE WITH<br />

MUSIC. MAT CALLAHAN<br />

■ Die Musikindustrie macht viel Lärm um nichts. Viel<br />

Lärm, viele Bilder, viele schöne Menschen, viel Sex und<br />

aus der Repetition dieses Vielen letztendlich viel Kohle.<br />

Das Nichts ist der Soundtrack für das Video ist der Trailer<br />

für das Nichts. Die Majors verstopfen damit die Kanäle<br />

– unser staatlicher Sender als an-«hörliches» Beispiel.<br />

Sowenig wie Pornographie Sex ist oder MacDonalds Essen,<br />

sowenig ist dieses Nichts Musik. Callahan nennt es<br />

sogar Anti-Musik. Manager machen Hits und korrumpieren<br />

neue Stilrichtungen von revolutionärer Sprengkraft<br />

(letzthin etwa Hip-Hop) durch deren Aushöhlung bis auf<br />

den Klangkörper, den Soul dem Teufel verfranchist. The<br />

revolution will be televised. Kulturkritik im Sinne Adornos<br />

– hat die Pop(ulär)musik, die B<strong>art</strong>hes rehabilitierte,<br />

doch wenig mit dem gemeinschaftstiftenden Erlebnis<br />

von einst zu tun. Callahan verortet Musik nicht bloss irgendwo<br />

zwischen Rauschen und Lärm, sondern auch in<br />

der historischen Entwicklung. Um den wahren Wert der<br />

Dinge zu erkennen, muss man bekanntlich nach ihrem<br />

Wert fragen, bevor sie einen Preis hatten. Er holt weit<br />

aus – bis zur Mafi a, improvisiert aus der eigenen musikalischen<br />

Erfahrung, um dann das Potential von Musik<br />

präzis auf die Note zu spielen, führt in einem Staccato<br />

wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen über das<br />

Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit hinaus,<br />

ohne in bekannte Refrains zu verfallen.<br />

Die Kritik der reinen Verführung fordert, sich selber<br />

Kompetenzen anzueignen, selber aktiv nach Musik zu<br />

suchen, die bewegt. Schliesslich ist auch Musik-Journalismus<br />

bloss, nach Frank Zappa, wenn Leute, die nicht<br />

schreiben können, Leute interviewen, die nicht reden<br />

können, für Leute, die nicht lesen können. Wer seit vierzig<br />

Jahren für und durch die Musik lebt, kann hingegen<br />

gut darüber schreiben. (jlf)<br />

Callahan, Mat: The Trouble with Music.<br />

AK Press, Oakland, Edinburgh 2005.<br />

ISBN:1-904859-14-3.<br />

8. September 2005, 21.00 Uhr: WIM Bern Foyer<br />

Dampfzentrale Bern «Musik und Wort» - Mat Callahan<br />

stellt sein Werk vor (E). Anschliessend Diskussion (D/E)<br />

Dazu Musik von «kappelle freiheit» und «Nicht zu Reden<br />

vom Begehren».<br />

B Ü H N E D I V E R S E S<br />

MARTA NAWROCKA<br />

tuchfühlung...<br />

Was bitte schön haben Moonboots und Cowboystiefel<br />

gemeinsam? Ganz einfach: Beide erlebten<br />

erstens ein Revival und zweitens eine 180-Grad-<br />

Drehung in ihrer Funktionalität. Erstere waren<br />

komfortabel für eine Mondwanderung und letztere<br />

unabdingbar für einen Ausritt über die Steppen des<br />

Wilden Westens. Mittlerweile haben Lassos ausgedient<br />

und Spekulationen über die Nichtexistenz von<br />

Mondlandungen machen die Runde. Boots für Mondmänner<br />

und Kuhjungen sind trotzdem geblieben.<br />

Heute stecken in den Stiefeln nicht russische Astronauten<br />

und muskulöse, grashalmkauende Jungs,<br />

sondern High-Society-Damen (in Moonboots, oft<br />

im Modell Yeti – mehr Haare als Schuh) und fesche<br />

Mädels (in Cowboystiefeln). In den letzten Jahren<br />

erhielten Moonboots und Cowboystiefel Gesellschaft<br />

von Fellstiefelchen, deren Funktion darin besteht,<br />

Füsschen von braungebrannten Surfern nach<br />

stundenlangem im-Wasser-liegen-und-auf-die-Welle<br />

w<strong>art</strong>en zu wärmen. Jetzt zieren die so genannten<br />

Ugg-Boots z<strong>art</strong>e Mädchenfüsse, die vom Surfbrett-<br />

Kontakt weit entfernt sind. Dieses Jahr kriegen<br />

Uggs, Moons und Cowboys neue Konkurrenz. Objekt<br />

der Begierde: Gummistiefel. Einst getragen vom<br />

Kindergärtner bis hin zum Feuerwehrmann, sieht<br />

man die schicken Plastikstiefel jetzt in Begleitung<br />

von Haute-Couture. Hersteller wie Venice Beach,<br />

Paul Frank oder Alprausch schwören neuerdings auf<br />

die Plastiktreter. Statt im biederen Gelb wattet man<br />

im Blümchenstyle oder im Designer-Psychodelic-<br />

Pattern durch die Pfützen. Wie extravagant! Aber<br />

auch: wie praktisch! Endlich eine Open-Air-Saison<br />

ohne Verzicht auf die Designer-Schuhe und endlich<br />

mal trockene Füsse UND ein netter Flirt, wenn man<br />

das nächste Mal Sandsäcke schleppen muss. Da<br />

gibt’s zwischen Schlamm und Wassermassen noch<br />

ein «he, nette Schuhe» vom hübschen Nachbarn.<br />

11


12 L I F E S T I L E<br />

SANDRA LEMP<br />

design im «schongang»<br />

■ «Die Idee zum Jahreskonzept «schongang» entstand<br />

durch den Wunsch, Ende November eine breite<br />

Kollektion an der Designmesse Blickfang in Zürich zu<br />

präsentieren.» Maja Abplanalp ist frei schaffende Modedesignerin<br />

und eine der Organisatorinnen der Events<br />

im Atelier B21 in Bern. Die beiden ersten Verkaufsausstellungen<br />

fanden beim Publikum grossen Anklang. Im<br />

September fi ndet nun die dritte Ausgabe statt. Gezeigt<br />

werden Herbstoutfi ts für Frauen und Männer. Alle Kleidungsstücke<br />

sind in verschiedenen Grössen und Farben<br />

ab Stange erhältlich, oder können individuell nachbestellt<br />

werden. «Es geht uns nicht darum, eine Fülle<br />

von Kleidern anzufertigen, sondern den Kundinnen und<br />

Kunden einen regelmässigen Einblick in unser Schaffen<br />

zu gewähren. Daher auch der Name «schongang», erklärt<br />

Barbara Schleuniger das Konzept. Um das Angebot<br />

zu bereichern, wurde diesmal die deutsche Modistin<br />

Sonja Schrader, welche ihre aktuellen Kopfbedeckungen<br />

vorstellt, als Gastdesignerin eingeladen. Als weitere Organisatorin<br />

präsentiert Pascale Grünert erneut ihr Sortiment<br />

an exklusiven Stoffen aus ihrem Laden BARRé.<br />

Man will Synergien schaffen und kreative Köpfe aus verschiedenen<br />

Bereichen der Mode und der Berner Kultur<br />

zusammen führen. So werden die Modeinteressierten an<br />

diesem Samstag vom Café Alpin, sonst an der Gerechtigkeitgasse<br />

in Bern zu fi nden, bis spät abends mit edlen<br />

Tropfen verwöhnt. Zudem zeigt das Kino Lichtspiel<br />

– nicht auf dem Laufsteg, sondern auf der Leinwand<br />

– Kleider, Moden und Stoffe aus vergangenen Zeiten in<br />

Form von Kurzfi lmen aus dem eigenen Archiv.<br />

Berner Modedesign existiert also, und besticht durch<br />

innovative Eigenheit. Aber die DesignerInnen benötigen<br />

viel kreative Energie, und dies nicht nur im Entwurf,<br />

sondern vor allem auch im Vermarkten und Finanzieren<br />

ihrer Ware. Gerade die fi nanzielle Unterstützung<br />

wäre für eine nachhaltige Förderung der Nationalen<br />

Modeszene auch in Bern dringend erforderlich. Es ist<br />

sehr schwierig, Sponsoren zu fi nden, die auch den rein<br />

kommerziellen Aspekt der Branche unterstützen. Aber<br />

als angewandte Kunst muss Mode kommerziell funktionieren.<br />

Genau wie die Musik, spiegelt sie den jeweiligen<br />

Zeitgeist und das kulturelle Geschehen einer Stadt, eines<br />

Landes. «Wir möchten mit den «schongang»-Events<br />

die Öffentlichkeit auf das Thema Modedesign sensibilisieren»,<br />

betont Maja Abplanalp. Schweizer Design hat in<br />

Bern einen schweren Stand, welcher sich auch dadurch<br />

erklärt, dass keine Möglichkeit zum Studium des Berufes<br />

Modedesigner/Modedesignerin angeboten wird.<br />

So ist nachvollziehbar, weshalb man in Bern nicht gleichermassen<br />

auf das Thema reagiert wie in Basel oder<br />

Zürich. Die Hochschule für Gestaltung und Kunst in<br />

Basel, hat mit dem Studiengang Modedesign einen hohen<br />

Massstab für die Ausbildung in der Deutschschweiz<br />

gesetzt. Neu bietet die Hochschule für Gestaltung und<br />

Kunst in Zürich ausserdem den Studiengang Style & Design<br />

an. Hauptthemen sind die Analyse und Umsetzung<br />

von Trends und Stilbewegungen.<br />

Weshalb wählten die Macherinnen des «schongang»<br />

diesen oft auch schwierigen Beruf? «Meine Motivation<br />

ist die Faszination für den Körper und das Einhüllen dieser<br />

Form durch die Kleidung.» Auf Maja Abplanalp üben<br />

Textilien eine grosse Anziehungskraft aus. Ähnliches<br />

erfahre ich durch die Damen- und Herrenschneiderin<br />

Barbara Schleuniger. Die Faszination begründet sie im<br />

Spannungsfeld zwischen Inspiration, Organisation und<br />

der Herausforderung, etwas Funktionales herzustellen.<br />

«Ideen fallen mir am Leichtesten zu, wenn keine Reize<br />

von Aussen kommen, und ich in Ruhe skizzieren kann.»<br />

Die Kollektionen von Maja Abplanalp entstehen hingegen<br />

oft durch direktes Abformen an der Büste. «Dies<br />

lässt eine freiere Schnittentwicklung zu.» Man spürt<br />

bei den jungen Frauen das Bedürfnis, einen eigenen<br />

und nachhaltigen Stil zu kreieren. So werden Trendhefte<br />

nicht als Inspiration verwendet, jedenfalls nicht bewusst.<br />

Die Kleider müssen im Alltag funktionieren, und<br />

da die meisten Leute nicht gerne auffallen, muss ein<br />

Designer/eine Designerin die Ideen sehr subtil umsetzen.<br />

Das Auge ist von unüblichen Formen oder Farbzusammenstellungen<br />

schnell überfordert. Unüblich mag<br />

manchen Kundinnen und Kunden auch der Preis der exklusiven<br />

Stücke erscheinen. Wenn man jedoch die umfangreiche<br />

Arbeit der Designerin/des Designers nachvollzieht,<br />

wird schnell klar, wodurch sich der Preis der<br />

Kleider rechtfertigt. «Zeitaufwand, hohe Materialkosten<br />

und Herstellungs<strong>art</strong>. Der ganze Entwicklungsprozess,<br />

die Recherche, das Marketing und auch die nötigen<br />

Ausgaben für Fotoshootings sind im Preis gar nicht erst<br />

eingerechnet», erklärt Maja Abplanalp. Wenn man aber<br />

dann ein erstes Mal ein exklusives Einzelstück gekauft<br />

hat, liebevoll verpackt, spürt man, dass man sich gerade<br />

etwas Wertvolles und Einmaliges geleistet hat.<br />

Um neue Kollektionsideen zu vertiefen, entfl iehen die<br />

beiden Designerinnen gerne der Enge in Berns Gassen,<br />

und ziehen sich an ihre Lieblingsplätze zurück. So fi nden<br />

sie Maja Abplanalp vielleicht im Roseng<strong>art</strong>en und<br />

Barbara Schleuniger, wenn sie die vielen Treppen nicht<br />

scheuen, auf dem Münsterturm. Dies aber bestimmt<br />

erst nach dem «schongang»-Event!<br />

«schongang» im herbst – wie traubenrot<br />

und olivengrün den blättern<br />

lauschen<br />

Samstag 3. September 2005 von 17 bis 01h<br />

✮ Mode von seitensprung Barbara Schleuniger und<br />

majmaj Maja Abplanalp // Stoffe von BARRé Pascale<br />

Grünert, Gerechtigkeitsgasse 56 in Bern //<br />

Kopfbedeckungen von Sonja Schrader aus Halle/<br />

Deutschland<br />

✮ Kurzfi lme im Kino Lichtspiel ab 21h im Atelier<br />

B21, Bahnstrasse 21, 3008 Bern<br />

Vorschau: «schongang» im winter – warum nachtschwarz<br />

von schneeweiss träumt - Sonntag 6. November<br />

2005 von 11 bis 19h mit Brunch<br />

Links zum Thema Modedesign<br />

✮ HGK Basel, Studiengang Modedesign Körper &<br />

Kleid: www.fhbb.ch/modedesign<br />

✮ HGK Zürich, Studiengang Style & Design:<br />

www.hgkz.ch<br />

✮ Blickfang: www. blickfang.com<br />

✮ Modebibel «Fashion now» im Taschen Verlag:<br />

www.taschen.com<br />

Die Autorin<br />

Sandra Lemp arbeitet seit 1999 als frei schaffende<br />

Modedesignerin und Stylistin in Bern. Unter ihrem<br />

Label LEMP hat sie diverse Kollektionen und Projekte<br />

realisiert. Sie ist Co-Initiantin-, und Organisatorin<br />

der Plattform für junges Schweizer Modedesign<br />

«der letzte Schrei» welche in den Jahren 2003/04<br />

jeweils in der Cinématte in Bern stattgefunden hat.


BRIGITTE EBNER<br />

keine ahnung von kultur<br />

■ Auch wenn es bisher noch niemand so richtig mitbekommen<br />

hat: Die Schweiz sucht einen Kulturminister.<br />

Keinen, der Bundesrat Pascal Couchepin als Vorsteher<br />

des Bundesamtes für Kultur ersetzt, sondern einen, der<br />

ihm auf «spielerische Art» unter die Arme greift.<br />

Noch bis zum 8. September stehen auf der Internetseite<br />

kulturministerum.ch 32 Kandidaten aus allen Regionen<br />

der Schweiz zur Wahl. Bewerben durfte sich, wer<br />

in der Schweiz wohnhaft ist oder zumindest ein gültiges<br />

GA- oder Halbtax-Abonnement besitzt. Geht es nach den<br />

Projektverantwortlichen, soll der neue Kulturminister<br />

Ideen für die kulturelle Zukunft der Schweiz entwickeln,<br />

Lust an kulturpolitischen Auseinandersetzungen haben<br />

und über Erfahrung im kreativen Schaffen verfügen.<br />

So fi nden sich unter den Kandidaten denn auch<br />

hauptsächlich Kulturschaffende: Autoren, ein Regisseur,<br />

eine Kulturtheoretikerin, Künstler und Filmemacher.<br />

Und ein Querschläger, der mit dem Slogan «Keine Ahnung<br />

von Kultur» für sich wirbt und Kultur zum Alltagsgut<br />

werden lassen möchte:<br />

«Da ich keine Ahnung von Kultur habe und mich eigentlich<br />

auch nicht dafür interessiere, bin ich der ideale<br />

Vertreter des Volkes für diesen Job. Wenn mir was gefällt,<br />

dann gefällt es doch allen!»<br />

Der 32-jährige Exportmanager Christian Leu aus der<br />

Stadt Bern wurde über die Website eines Mitbewerbers<br />

auf die Kulturministerwahl aufmerksam und hat darauf<br />

spontan seine Bewerbung ausgefüllt, ohne sich der Konsequenzen<br />

bewusst zu sein. In seinem extra aufgeschalteten<br />

Wahlblog leumund.ch wird Christian Leus Linie<br />

klar:<br />

«Und für dich, lieber Wähler! Ich habe dich noch nie<br />

einen Franken gekostet. Ich bin in keinem Kulturförderungsprogramm<br />

angemeldet und weiss ja nicht mal, was<br />

mir dieses Amt als Kulturminister einbringen wird. Dazu<br />

fi ndet sich auf der Homepage kulturministerium.ch grad<br />

gar nichts!»<br />

Es ist in der Tat nicht einfach sich vorzustellen, wie<br />

der künftige Kulturminister sein Amt ausüben soll. Der<br />

oder die Gewinnerin wird auf alle Fälle kein Büro in Bundesbern<br />

beziehen, dafür über ein virtuelles Ministerium<br />

verfügen. Auf Christian Leus Anfrage erfuhr er von<br />

Projektleiter Beat Mazenauer, dass dem Wahlsieger ein<br />

«massvolles» Honorar und ein Budget für die Legislaturperiode<br />

2005-2007 zur Verfügung gestellt wird.<br />

Hinter der Idee kulturministerium.ch steht «ps-culture-netzwerk<br />

kultur» in Zusammenarbeit mit verschiedenen<br />

Kunstverbänden der Schweiz, unterstützt wird das<br />

Projekt unter anderem vom Bundesamt für Kultur und<br />

Pro Helvetia. Alle in der Schweiz wohnhaften Personen<br />

haben die Möglichkeit, über Internet ihren Kandidaten<br />

zu wählen. Anhand eines Fragebogens wurde von jedem<br />

Bewerber ein sm<strong>art</strong>vote-Profi l erstellt, das über sein<br />

kulturpolitisches Profi l informiert. Dass Christian Leu<br />

bei dieser Wahlhilfe mit seinen Ansichten ziemlich abseits<br />

steht, ist ihm bewusst. «Am meisten reizt mich an<br />

der ganzen Geschichte, dass ich hier alles auf den Kopf<br />

stellen kann. Niemand hat je von der Wahl gehört, und<br />

ich habe das Gefühl, dass die Kulturverbände das Ganze<br />

unter sich ausmachen wollen.»<br />

Effektiv scheint sich niemand gross für die Wahl zu<br />

interessieren, das Echo in den Medien ist gering. «Ich<br />

denke das hat damit zu tun, dass wir in der Schweiz<br />

bereits einen Kulturminister haben. Die Aktion ist an<br />

diesem Punkt nicht sehr durchdacht, die Position hätte<br />

anders benannt werden müssen. Dann wären die Medien<br />

vielleicht mehr auf die Wahl eingestiegen. Schade,<br />

denn der Internetauftritt ist professionell gemacht. Nur<br />

die Vermarktung der Aktion, die haben sie nicht geschafft.»<br />

Im sich selbst vermarkten ist Christian Leu ganz<br />

gross. Mit dem Wettbewerb «Pimp up the Leu» hat er<br />

kürzlich im Internet nach einem neuen Logo für seine<br />

Website «@leu, die ganze Wahrheit» gesucht. Unter<br />

über 200 Einsendungen aus der Schweiz und dem<br />

Ausland wurden von einer eigens zusammengestellten<br />

Jury und den Lesern seines Weblogs die besten Bilder<br />

auserkoren und zwei Ipod Shuffl es verschenkt. Diese<br />

Logos sind nun wichtiger Bestandteil seines Wahlblogs.<br />

Dort können wir ihn auch auf P<strong>art</strong>ybildern mit seiner<br />

Freundin im Ausgang bewundern, fi nden eigens kreierte<br />

Comicstrips zum Thema Kulturminister und weitere<br />

Gründe, wieso wir Christian Leu wählen sollten: «Ich bin<br />

der ideale Kandidat für diesen Job. Politisch und kulturell<br />

unbekannt, kann ich dafür einstehen, dass ich der<br />

wohl sauberste Kulturminister aller Zeiten werde. Darum,<br />

wählt mich jetzt!»<br />

Wie hat sein Umfeld auf seine Kandidatur reagiert?<br />

«Es ist immer dasselbe, sobald die Leute die Ironie hinter<br />

der Sache erkennen, sind sie begeistert. Die meisten<br />

fragten sich natürlich erst, was das eigentlich soll. Der<br />

Leu? Der versteht doch nichts von Kultur.»<br />

Ob er Chancen auf den Wahlsieg hat, kann er nicht<br />

einschätzen. Er versuche halt, genug Leute zu mobilisieren,<br />

das doch eher aufwändige Wahlprozedere im Internet<br />

auf sich zu nehmen und für ihn zu stimmen. Aus<br />

diesem Grund hat er auch eine Anleitung dazu auf sein<br />

Wahlblog gestellt. Zwischenergebnisse zur laufenden<br />

Wahl werden zu seinem Bedauern keine veröffentlicht.<br />

Sollte er gewinnen, hätte er anlässlich des «Forum<br />

des Artistes Bienne» eine Antrittstrede zu halten. Über<br />

deren Botschaft hat er sich bereits Gedanken gemacht.<br />

«Ich würde mich keinenfalls an ein vorgegebenes Thema<br />

halten. Das ist nicht meine Art. Ich würde die Kultur<br />

mal an den Pranger stellen, den Unsinn dieser Wahl,<br />

und hinterfragen, was die Schweiz nun davon hat.» Mit<br />

K U L T U R & G E S E L L S C H A F T<br />

13<br />

solchen Worten entspricht er kaum dem Wunschkandidaten<br />

der Projektverantwortlichen. Eine zukünftige Zusammenarbeit<br />

wäre wohl auch nicht einfach. «Ich bin<br />

kein Teamplayer, bin aber überzeugt, dass ich einiges<br />

bewegen könnte in der Funktion des Kulturministers. Ich<br />

würde auf die kleine Kultur im Alltag aufmerksam machen.<br />

Auf die Blogkultur beispielsweise, in der sich eine<br />

immer grösser werdende Gruppe von Menschen im Internet<br />

mit teilweise banalen, teilweise wichtigen Sachen<br />

befasst. Eine Gruppe die recherchiert, kleine Welten auf<br />

die Beine stellt. Menschen, die keine Unterstützung verlangen,<br />

einfach erst mal publizieren und schauen, was<br />

dann passiert.»<br />

Und was, wenn er die Wahl verliert? Kümmert er sich<br />

dann trotzdem um die Kultur in der Schweiz, macht vielleicht<br />

sogar ein eigenes Ministerium auf? «Als Erstes<br />

werde ich die Wahl komplett hinterfragen. Es herrscht<br />

keine Transparenz und es ist auch nicht ersichtlich wie<br />

gewährleistet wird, dass die Verantwortlichen nicht einen<br />

Wunschkandidaten als Wahlsieger promovieren.<br />

Mittelfristig werde ich dann in die Politik einsteigen. Es<br />

kommt also noch mehr. Aber jetzt müsst ihr mich zum<br />

Kulturminister wählen!»<br />

Dann würde er für seine Wähler eine grosse Siegerp<strong>art</strong>y<br />

organisieren, mit einem riesigen Buffet und erstklassigen<br />

DJs, allem was dazugehört. Und beim Bundesamt<br />

für Kultur ein Budget dafür beantragen.<br />

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14<br />

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09/05


EVA MOLLET<br />

chor im ohr<br />

■ Ben Vatter sieht jünger aus als er ist. Kürzlich fragt<br />

man den Vierunddreissigjährigen beim Kauf einer Flasche<br />

Wein nach seinem Jahrgang. Ben versprüht Optimismus,<br />

Charme und sein Lächeln ist boygroupmembertauglich.<br />

Er ist Chorleiter, Trompeter, Musiklehrer,<br />

Arrangeur und Genussmensch. «Ich bin nicht geboren,<br />

um Mass zu halten.»<br />

Ben will schon mit fünf Jahren Trompete spielen lernen.<br />

Damals sagt man, es ist zu früh. Erst müssen die<br />

zweiten Zähne wachsen. Es führt kein Weg an der Blockfl<br />

öte vorbei. Mit zehn Jahren nimmt er Trompetenunterricht.<br />

Die Louis Armstrong Kassette hört Ben immer<br />

wieder. Seine erste LP ist von Dizzy Gillespie. Er bastelt<br />

sich Gillespie Buttons.<br />

Ben wächst in einer musikalischen Familie auf. Die<br />

Mutter ist Pianistin. Alle Familienmitglieder spielen Instrumente.<br />

Daraus entsteht das Salonorchester «Belle<br />

Epoque». Ebenfalls mit Familienbeteiligung entsteht die<br />

Gugge «Mutzopotamier». Mit achtzehn übernimmt Ben<br />

die musikalische Leitung. Aus der Gugge wird eine Guggen-Bigband.<br />

Während dem «Semer» nimmt Ben klassische Trompetenstunden<br />

und spielt in verschiedenen Jazzbands.<br />

Nach der Ausbildung erteilt er erste Musiklektionen.<br />

Die obligatorische Chorlektion am Samstagmorgen ist<br />

die Schlimmste. «Kein optimaler Einstieg ins Chorleben.»<br />

Ben beginnt die Ausbildung zum klassischen Berufstrompeter.<br />

Dann kommt es zur grossen Krise. Der<br />

neue Lehrer fragt: Was willst du hier eigentlich? Spiel<br />

doch Jazz! Ben geht in den Vorkurs der Jazzschule Bern<br />

und beginnt gleichzeitig das Studium zum gymnasialen<br />

Musiklehrer an der Uni. Nach dem Vorkurs kann er die<br />

Berufsschule der Jazzschule Bern anfangen. Dies bedingt<br />

den Unterbruch des Unistudiums.<br />

Die Bigband der Jazzschule Bern hat ein hohes Niveau.<br />

Ben spielt während fünf Jahren mit. In der Ausbildung<br />

belegt Ben den Schwerpunkt «Arranging&Composing».<br />

Er entdeckt seine grosse Leidenschaft. Heute schreibt<br />

er nächtelang Arrangements für seine Projekte: Musicals,<br />

Chöre und die Guggen-Big Band. Was fasziniert<br />

Ben am Arrangieren im Vergleich zur Komposition? «Es<br />

ist ebenso kreativ, es gibt schon viele gute Songs und es<br />

läuft mir wie von selbst.»<br />

Nach dem Jazzschuldiplom nimmt Ben sein Unistudium<br />

wieder auf. Heute steht er kurz vor dem Abschluss.<br />

Alle Projekte, die Ben betreut oder mitbetreut, haben<br />

etwas gemeinsam. «Es ist für mich eine Herausforderung,<br />

aus dem bestehenden Potential von Amateuren<br />

das Maximum herauszuholen. Dieses Prinzip ist<br />

mir noch nie verleidet. Es ist faszinierend einen Chor<br />

als Instrument zu führen und eine grosse Gruppe von<br />

Leuten zu steuern. Ich bin sonst nicht so «gschpürig»,<br />

aber so viele Leute auf sich fokussiert zu wissen, das ist<br />

Energie pur.» Die Grenzen zwischen Beruf, Hobby, Alltag<br />

und Selbstverwirklichung vermischen sich bei Ben. Die<br />

Trompete ist in den Hintergrund gerückt.<br />

Das letzte Musicalprojekt an der Sekundarschule<br />

Belp heisst «Acting Sisters». Etwa hundertfünfzig Mitwirkende<br />

sind beteiligt. Das ganze Kollegium arbeitet<br />

mit. Vom Kostüm bis zum Bühnenbild wird alles selbst<br />

gemacht. «Es ist unglaublich zu sehen, was die Jugendlichen<br />

leisten können.» Die Arbeit an Grossprojekten<br />

bedeutet für Ben viel Aufwand und wenig fi nanzielle<br />

Entschädigung. « Es hat mich noch nie eine Überstunde<br />

gereut. Das Ergebnis und das Erlebnis aller Beteiligten<br />

sind das Wichtigste.»<br />

Das laufende Projekt des Chansonchors des Gymnasiums<br />

Kirchenfeld heisst «Breakin Taboos», Skandale<br />

der Popgeschichte. Es kommt im März 2006 im Bierhübeli<br />

auf die Bühne.<br />

Der Chor im Breitsch lädt mit «Rosen» in den Botanischen<br />

G<strong>art</strong>en. Im Unterschied zum letzjährigen «Hitparade<br />

85»-Projekt lässt das Thema Rosen eine stilistische<br />

Vielfalt zu. Während dem Chorwochenende setzt<br />

M E N S C H E N<br />

15<br />

Ben zum letzten Feinschliff an. Schwierige Passagen<br />

werden wiederholt und an der Dynamik wird gearbeitet.<br />

Die Texte müssen bis zum Konzert auswendig gelernt<br />

werden und das Bühnenoutfi t wird abgesprochen. «Das<br />

Outfi t erleichtert den Rollentausch und es ist eine Ehrerbietung<br />

ans Publikum. Zudem wollen wir Spass haben<br />

und unterhalten.»<br />

Das Outfi t ist Ben auch privat wichtig. Er hat sich verändert.<br />

Früher trägt er eine Langhaarfrisur mit Fransen,<br />

Batikhosen und lange Schlabberpullover. Heute zieht er<br />

auch mal einen Anzug an.<br />

Vielleicht sitzt Ben gerade im Jackett an einer Bar,<br />

trinkt einen Whisky, schmaucht eine Zigarre. Über die<br />

Zukunft macht er sich nicht viele Gedanken, neue Projekte<br />

lassen sich fi nden, dabei hat er garantiert ein bisschen<br />

Chor im Ohr.<br />

Konzerte:<br />

Chor im Breitsch,«Rosen» 16.,17. und 18.9.2005<br />

STADTLÄUFER<br />

■ nr. 12 // bauschutt. Manchmal habe ich einfach genug<br />

von dieser Stadt, die mit Bundesplatz und Roseng<strong>art</strong>en<br />

und Graffi ti-Paranoia wie die Doppelseite eines<br />

Hochglanz-Magazins daherkommt. Besuchen Sie Bern!<br />

UNESCO-Weltkulturerbe! So steht’s wahrscheinlich in<br />

den Broschüren ausländischer Agenturen. Schlimmer<br />

ist nur noch meine Heimatstadt (die ja mittlerweile bekannt<br />

sein sollte: Hat ein L an erster Stelle und viele Besucher<br />

aus Asien).<br />

Keine Angst, ich fi nde es ja auch schön, dass Bern<br />

schön ist. Aber manchmal verspüre ich dieses unerklärliche<br />

Verlangen nach Ungeschliffenem, Heruntergekommenem.<br />

Selbst die Reitschule empfi nde ich nicht als<br />

Schandfl eck, also als wirklichen Kontrast zum allgemeinen<br />

kleinstädtischen Charme. Kann Bern nicht einfach<br />

auch mal hässlich sein?<br />

Letztens habe ich versucht, dies herauszufi nden: Mit<br />

dem Velo mied ich bewusst die Edelqu<strong>art</strong>iere und begab<br />

mich über Peripheriestrassen auf Entdeckungsreise.<br />

Vom Weissenbühl über Bümpliz zur Endstation Länggasse.<br />

Vorbei an Bahngeleisen, Containern, Lastwagen,<br />

Wohnsilos, Bauschutt und der Kehrichtverbrennungsanlage.<br />

Nicht schlecht.<br />

Doch kaum war ich am Neufeld-Parkhaus (Beton pur!<br />

Mehr davon!!) vorbei, stiess ich in der Umgebung des<br />

Viererfelds auf die gewohnte ästhetische Harmonie dieser<br />

Stadt: Viel grün, viel blau, Jogger, Eltern und Kinder.<br />

Und bei der Inneren Enge schliesslich entdeckte ich den<br />

wohl besten Platz für Minigolfer und Trainspotter: Mein<br />

Blickt schweifte dem Bahnviadukt entlang bis zur grün<br />

verpackten Altstadt mit Münster, Bundeshaus und... ach,<br />

ihr wisst schon. Bern kann ungeschliffen und heruntergekommen<br />

sein. Aber nie für lange. (al)


SANDRA D. SUTTER<br />

his holiness<br />

der 14. dalai lama in zürich<br />

■ 4.8.05 Zürich – Bahnhofquai. Nichts mehr vom<br />

grau-schwarz-blau der Züri-Business-Leute. Tibetisch<br />

Rot, saffrangelb und alle Farben des Regenbogens füllen<br />

das Tram. Bahnhof Oerlikon. Noch mehr wollen hinein,<br />

die Leute drücken aneinander, wie in Indien oder am<br />

Open Air, jedoch leise und friedvoll, meditativ. Hallenstadion.<br />

Tibeter stehen in Gruppen, braune Gewänder<br />

mit blauen, roten Bändern, goldenem Musterfutter, Gebetsketten.<br />

«Haben Sie Spring-Water drinnen?» «Es soll<br />

eine Kinderkrippe geben.» «Wo bitte ist der Medieneingang?»<br />

Beim Eintreten in die große Halle, ich staune auf<br />

den Bühnentempel, klingt mir das Lied «hope for enlightenment»<br />

von Lama Gyurme entgegen. Tränen drängen<br />

hoch. Wem oder was möchte, muss, soll ich nachrennen,<br />

genügen? – Draußen im Rundgang tun manche noch<br />

wichtig, andere trinken Kaffee, telefonieren. 8000 Leute<br />

strömen von allen Seiten herein. Beutel mit Textunterlagen<br />

werden verteilt, Informationen gegeben – alles<br />

in einer beeindruckenden Ruhe. Wir, die Fotograf/Innen<br />

haben in der Gruppe zu w<strong>art</strong>en, im Medienraum außerhalb<br />

der Halle, und in der Gruppe, geführt von der Medienverantwortlichen,<br />

vor die Bühne zu gehen. Mitten im<br />

W<strong>art</strong>en, untrüglich und eindeutig – als wenn ES endlich<br />

die Erde berührte, etwa eine Art einzig großen Ausatmens<br />

– die Gewissheit, jetzt ist er gekommen, jetzt ist er<br />

da, His Holiness, und wir sind nicht dort... Später dann<br />

Verbeugungen, Niederwerfungen. Fünf Tankas, zwei<br />

Großleinwände. Seine Heiligkeit sitzt mit Schirmmütze,<br />

redet tibetisch, blättert im Gebetsbüchlein. ‚Wir leben in<br />

einer Zeit der Turbulenzen und der Ablenkungen...’ Ein<br />

Mädchen ordnet mit großer Konzentration Farbstifte in<br />

eine Schachtel. Der Dalai Lama schaut ins Publikum:<br />

«Wer von Ihnen liest Tibetisch?» Die Energie ist stark,<br />

wellt immer wieder in mich hinein – wie kann ich es beschreiben...<br />

Ich höre seine Stimme, die des Übersetzers,<br />

höre rascheln, hüsteln, Kinder, es riecht nach Mittagessen,<br />

jemand nestelt an Zellophan. Einer aus den Sitzreihen<br />

winkt in den Raum.<br />

Die Schale K<strong>art</strong>offelsalat 4.50Fr., ein Mangolassi in<br />

einem Plastikbecher mit dem Aufdruck «St.Galler Kantonalbank.»<br />

Ich bestelle tibetischen Tee. «Stellen Sie<br />

sich vor, Sie trinken Bouillon, keinen Tee, dann geht er<br />

leichter runter.»<br />

‚Glückseeligkeit und Leerheit.’ «Jetzt wissen wir alles.»,<br />

sagt eine zur anderen und wischt sich die Hände<br />

gegenseitig ab. Ich sitze auf dem Boden. Ein älterer<br />

Mönch geht an mir vorbei, Augenkontakt, ein Lächeln<br />

wächst – goldiges Lichteinrieseln. Erinnerung. – Kurzes<br />

gegenseitiges Nicken. Freude.<br />

Junge Tibeterinnen in ihren wunderbaren Kleidern,<br />

schimmernden Stoffen, hohen Absätzen, die Großmütter<br />

in fl achen Sandalen. Die Unterweisungen behandeln<br />

die Themen Mitgefühl, Liebe, altruistisches Handeln.<br />

‚Mögen alle Wesen glücklich sein, möge es ihnen gut<br />

gehen...’ Wir werden ermahnt uns in Achtsamkeit zu<br />

üben, in Selbstlosigkeit. ‚Ursache aller Probleme ist die<br />

Selbstsucht... Negatives Handeln bringt negative Früchte...<br />

Leiden entsteht aus falschem Denken. ...Entschieden<br />

und aus ganzem Herzen sich wieder eine gute Beziehung<br />

zu denen herstellt, wo man eine schlechte hat.<br />

Und denken Sie nicht, später ist auch noch Zeit...’<br />

Zürich 9.8.05 – 14.8.05 Haltestelle Bubenberg.<br />

Ein etwas zerzauster Vogel hüpft auf die Strasse, ein<br />

Auto fährt heran, der Fahrer müsste ihn sehen! oder der<br />

Vogel weichen... Das Auto fährt über ihn weg... mir zuckt<br />

es durch den Körper. Der Vogel liegt mit ausgebreiteten<br />

Flügeln und gespreizten Beinchen auf dem Asphalt,<br />

zuckt hoch. Welche Vergeblichkeit. Ich gehe, hebe das<br />

Körperchen und lege es an den Straßenrand ins Gras.<br />

Dieses Warme, Z<strong>art</strong>e, Weiche in meinen Händen... und<br />

kämpfe mit den Tränen. Dieses Bisschen, wie es sich abmüht,<br />

versucht wieder hoch zu kommen, zu fl iegen – Autos<br />

fahren, Velos, Leute hasten, schauen – dann – vorbei.<br />

Im Zug lerne ich Narina kennen, 5-jährig, sehr wach,<br />

sehr lebhaft – der Name sei aus Indien. Das Kind nimmt<br />

sich meine Zeit, meine Aufmerksamkeit. Wir sprechen,<br />

spielen, lachen. Ich schaue in ihre Augen – wie wird sie<br />

in zwanzig Jahren sein? Als sie mit der Mutter aussteigt,<br />

schickt sie mir von draußen einen Handkuss in den Zug<br />

und winkt. Zürich Hauptbahnhof. Ich schaue mir die<br />

Menschen an und denke: Alle werden sie alleine sterben<br />

– Jeder für sich. Ich auch. Ein Schiff mit Lichtergoldstücken<br />

legt ab vom Bürkliplatz.<br />

Mit dem Tram durch Zürich fahren, morgens kurz<br />

nach Sieben – von der Tagesk<strong>art</strong>e profi tieren, an schönen<br />

Schaufenstern vorbei. Bahnhofstrasse. Wenig erhellende<br />

Gesichter, Müdigkeit, Sorgenfalten. Dunkle<br />

Anzüge, leere Blicke, geschäftiger Schritt. «Finde die<br />

Liebe Deines Lebens!» über 1 Million seriöse Singles...<br />

Ihre Weltwoche. Die Einweihungsrituale, eines für den<br />

Aspekt des Mitgefühls, das andere für die gute Absicht,<br />

erinnern mich an Zeremonien in der katholischen Kirche.<br />

Gebete werden vor- und nachgesprochen, Glockengebimmel,<br />

Visualisierungen. «Bemühen Sie sich<br />

um eine gute Motivation.» Unzählige Helfer verteilen<br />

gesegnetes Wasser und Bändelchen, regenbogenfarben<br />

und glitzernd, bitte, für mich auch, «...oder besser noch,<br />

geben Sie mir zwei, eines für die Freundin, und wofür<br />

K U L T U R & G E S E L L S C H A F T<br />

17<br />

genau braucht man das?» ‚Ganz gleich was wir glauben,<br />

wichtig ist, dass wir ein gutes Herz entwickeln.’<br />

«Wieso schauen Sie mich so an?» Sanftes Stimmenherklingen,<br />

wie Wasser das vom Wind ans Land geweht<br />

wird, ein auf-ab-nah-fern. Textstreifen werden geblättert.<br />

Socken werden angezogen, Tücher zurechtgezupft.<br />

Einige schauen mit dem Fernglas. Ich schließe die Augen<br />

und schaue in mich hinein – sehen wir dasselbe?<br />

Eine Mutter wickelt ihr Frischgeborenes auf dem roten<br />

Teppich.<br />

Oerlikon-Swissôtel, die Residenz Seiner Heiligkeit in<br />

dieser Zeit. Einige Menschen stehen an den Abschrankungen<br />

des Hotel-Ein-Ausgangs. «Einmal im ganzen Leben<br />

dem Dalai Lama begegnen...» die 3 Frauen sind noch<br />

jung. Andere stehen betend, die Mala, den Seidenschal,<br />

das Handy, den Fotoapparat in den Händen. W<strong>art</strong>en. Wenige<br />

Polizisten, Bodyguards, der Chauffeur sitzt bereits<br />

im Auto, schwarzer Mercedes, Parfumwolken, «Kommt<br />

er?» «Vielleicht ist das ein Anderer... sehen doch alle<br />

gleich aus.» Köpfe werden vorgestreckt, ein Blick, ein<br />

Foto, ein «Good Morning» Seiner Heiligkeit nach allen<br />

Seiten, gefaltete Hände, ein Lächeln – dann ist er weg.<br />

Keine Sprüche mehr.<br />

Hallenstadion. Ein blonder Junge geht schüchtern<br />

zu einem Mönch, schaut ihn an, streckt ihm die Hand<br />

entgegen, lacht ihm in die Augen – sie sich gegenseitig<br />

in die Herzen – dann rennt er weg. Was für ein Geschenk,<br />

am Leben zu sein! Kinderlachen, laut und klar wie eine<br />

hell klingende Glocke – wunderbar! Letzte Unterweisungen<br />

und zum Abschluss eine Zeremonie für langes Leben.<br />

Danksagungen an die Organisatoren, die Übersetzer,<br />

die Teilnehmenden für ihre Ausdauer, «...thank you<br />

for coming and making this event a success.» Plötzlich<br />

diese Stille bei seiner Verabschiedung, diese Beklemmung<br />

in meinem Herzen. «Buon viaggio - gute Reise.»<br />

– «Mami!» Jemand stößt an die freihängende Tempelsäule<br />

auf der Bühne – letztes Winken... «Bitte gehen Sie<br />

jetzt, Sie hätten vorher fotografi eren müssen.» Vor der<br />

Halle dann, «Verkaufen Sie Bilder?» Zürich Bellevue.<br />

Ersehnter Regen, Freitagabend-Ausgehstimmung. «Leidenschaft<br />

setzt Energien für Erfolge frei!» – Ihre UBS.<br />

Und morgen geht die Streetparade los.<br />

Sandra D. Sutter ist freischaffende Fotografi n, Schreiberin,<br />

Kunstschaffende, arbeitet und wohnt in Biel und<br />

gern überall in der Welt.<br />

©Text und Fotos: Sandra D. Sutter, Biel.


18 K I N O<br />

LUKAS VOGELSANG<br />

angry monk<br />

■ Der Tibet als mystischer Ort und idealisierte heile<br />

Welt - so stellt sich der Filmemacher Luc Schaedler das<br />

geheimnisvolle Dach der Welt nicht vor. Er kennt den<br />

Tibet ziemlich gut und hat in Zürich verschiedene Filmreihen<br />

aufgebaut und Artikel zu Tibet und Buddhismus<br />

verfasst. «Bei meinen Versuchen, Tibet mit all seinen<br />

Wiederspüchen zu verstehen, bin ich immer wieder über<br />

einen Namen gestossen: Gendun Choephel - ein Mönch<br />

aus dem Alten Tibet.» Dieser Mönch ist eben dieser «angry<br />

monk», welcher sich 1934 mit seiner Neugierde und<br />

Wissensdrust auf Reise begab in die Moderne. Zu Beginn<br />

des Filmes, wir er aus seinem Tageuch zitiert: «In<br />

Europa haben sie es herausgefunden, (...) jetzt weiss es<br />

der letzte Chinese: Die Erde ist rund. Nur wir im Tibet<br />

behaupten noch, sie sei eine Scheibe..».<br />

Der Weg aus der isolierten und behüteten Welt bringt<br />

im viele Erkenntnisse - aber nicht ganz mönchenhafte<br />

Züge. Er erkennt, dass die Geschichte um den Tibet eine<br />

andere Richtung angenommen hat und versucht dieses<br />

Wissen zurück in die Berge zu bringen. Er wird dadurch<br />

gerade bei jungen Tibetern zur Identifi kationsfi gur. Das<br />

Bild der idealen Gesellschaft, gewaltfrei und voll von Magie<br />

und Spiritualität, war für ihn dringend reformbedürftig.<br />

Luc Schaedler hat eine fantastische Hand für diesen<br />

Doku-Film gezeigt. Entstanden ist ein historisches Zeitdokument<br />

von einer wichtigen Umbruchzeit des Tibets.<br />

Was wir zu sehen bekommen, ist ein Land, welches uns<br />

noch fremder ist als zuvor. Discos, Schnellstrassen in<br />

Lhasa, Stein und Stein - alles gehört zusammen. Humorvoll<br />

und zum Teil glanzvoll hat Schaedler die Puzzelteile<br />

aus verschieden Teilen zusammengestrickt. Der<br />

Film war ohne die chinesische Bewilligung und dementsprechend<br />

«heiss» gedreht worden. Dies ermöglicht uns<br />

natürlich einen noch tieferen Einblick in diese Kultur.<br />

Choephel wird zu einem späteren Zeitpunkt aus verworrenen<br />

politischen Gründen verhaftet. Die drei Jahre<br />

Gefanenschaft brechen ihn. Er wird heimatlos zu Hause<br />

und gibt auf.<br />

Es ist sein zweiter Dokumentarfi lm (der Erste war<br />

1997 - Made in Hong Kong) und Luc Schaedler hat den<br />

fi lmischen Level bereits sehr hoch. Kamera, Schnitt,<br />

Dramaturgie sind spannend in einander verwoben. Seine<br />

Recherchen sind ohne Verherrlichungen von Choepel<br />

- obwohl seine Sympathie für diesen Mönch gut spürbar<br />

ist. Einziger Wehrmutstropfen ist die fast ausschiessliche<br />

Männerpräsenz im Film. Als wären Frauen nie ein<br />

Thema gewesen: Choephel war - gemäss Aussagen - oft<br />

bei Prostituierten, er war kurz vor seiner Verhaftung<br />

auch verheiratet - und obwohl seine Frau während den<br />

Dreharbeiten noch lebte, kam sie nur kurz vor die Kamera.<br />

Das stellt natürlich auch einige Fragen. Doch das<br />

trübt den Film erst im Nachhinein - zu spannend und<br />

sehenswert ist die Doku. Und was wir lernen ist ebenso<br />

wichtig für uns und unsere eigene Entwicklung in Europa.<br />

Mal sehen, etwas hängen bleibt.<br />

Als Anmerkung sei hier noch erwähnt, dass die Vorpremière<br />

zusammen mit XENIX Filmdistribution und<br />

ensuite - kulturmagazin ein voller Erfolg und das Kino<br />

am Sonntag früh fast voll war. Der Film läuft im regulären<br />

Programm ab September in Bern.<br />

Fokus Tibet – Filme zum<br />

sanften Widerstand<br />

Das Kino in der Reitschule zeigt im Anschluss an<br />

den Züricher Besuch des Dalai Lama, Filme, welche<br />

den Alltag im heutigen Tibet wiederspiegeln, den<br />

sanftem Widerstand zum Inhalt haben und politische<br />

Strategien auf einer kleinen Ebene aufzeigen. Die<br />

FilmemacherInnen, meist ExiltibeterInnen, setzen<br />

sich in nahezu allen Filmbeiträgen kritisch mit dem<br />

exotisierenden Bild auseinander, welches viele Leute<br />

im Westen über Tibet und seine Geschichte des Widerstandes<br />

haben.<br />

Programm<br />

Do 15. Sept., 21.00 h in Anwesenheit von Luc Schädler,<br />

Filmemacher und Antonia Maino, Initiantin des<br />

Zürcher Tibet-Filmprogramms // Do 22. Sept., Fr, 23.<br />

Sept., 21.00 h<br />

Destiny‘s Children: Voice of Tomorrow‘s Tibet<br />

Pimmi Pande, India/UK 2003, 28‘ OV/e (Berner Erstaufführung)<br />

The Forbidden Team<br />

Rasmus Dinesen & Arnold Krøigaard, DK 2003, 55‘<br />

OV/e (Berner Erstaufführung)<br />

Films are Dreams That Wander in<br />

the Light of Day<br />

Sylvia Sensiper, USA 1989, 20‘ OV (Berner Erstaufführung)<br />

Fr 16. Sept., Sa 24. Sept., Do 29. Sept., 21.00 h<br />

We‘re no Monks<br />

Pema Dhondup, India 2004, 127‘ OV/e (Berner Erstaufführung)<br />

Sa, 17. Sept., Fr, 30. Sept., 21.00 h<br />

Phörba – The Cup (Spiel der Götter), Khyentse Norbu,<br />

Australien 1999, 94 Min., 35mm, OV/df


SONJA WENGER<br />

must love dogs<br />

■ Eigentlich könnte man bei seinem ersten Date mal<br />

absolut ehrlich zueinander sein! Keiner weiss etwas<br />

über sein Gegenüber, beide Seiten sind offen für Neues<br />

und wenn man sich danach nie mehr wieder sieht, muss<br />

es einem nicht peinlich sein! Eine Anregung aus «Must<br />

love dogs», die eine Überlegung wert ist.<br />

«Frau mit Hund sucht Mann mit Herz», so lautet der<br />

deutsche Titel. Im Film «Must love dogs» von Regisseur<br />

Gary David Goldberg geht es allerdings nicht um Hunde,<br />

er bietet keine wirklichen Überraschungen und die Geschichte<br />

ist an sich schnell erzählt. Frau (Diane Lane als<br />

Sarah) wird von Ehemann wegen einer Jüngeren verlassen.<br />

Sie vergräbt sich in ihrem Kummer. Familie von Frau<br />

unternimmt Notmassnahmen und Schwester von Frau<br />

(Elisabeth Perkins als Carol) setzt eine P<strong>art</strong>neranzeige<br />

ins Internet. Schnitt. Mann (John Cusack als Jake) wird<br />

von Ehefrau wegen fehlender Aufmerksamkeit verlassen.<br />

Er vergräbt sich in seinem Kummer. Bester Freund<br />

von Mann unternimmt Notmassnahmen und druckt<br />

P<strong>art</strong>neranzeigen vom Internet aus.<br />

So weit so gut. Damit die Protagonisten gleich zu<br />

Beginn ein paar gute Bonmots fallen lassen können,<br />

trifft man sich im Park mit ausgeliehen Hunden, die für<br />

den Rest der Geschichte jedoch kaum noch eine Rolle<br />

spielen. Damit sich die Auserwählten nicht allzu schnell<br />

fi nden, gibt’s ein paar Einschübe. Ein zweiter Mann (Dermot<br />

Mulroney als Bob), von Ehefrau wegen Unverbesserlichkeit<br />

verlassen, erscheint als Mr. Perfect auf der<br />

Bühne und bringt Frau in Konfl ikte. Alle gehen sie durch<br />

eine Gefühlshölle bis Frau am Schluss erkennt, wer denn<br />

der Richtige ist.<br />

Das Meiste ist vorhersehbar, aber es handelt sich<br />

hier ja auch um eine Liebeskomödie! Lassen wir die h<strong>art</strong>en<br />

Beurteilungskriterien also mal beiseite und wenden<br />

uns den schönen Dingen des Films zu. Die Dialoge sind<br />

brillant ausgefeilt und aufeinander abgestimmt, die Geschichte<br />

spricht vor allem Singles über Dreissig an und<br />

ist solide, gute Unterhaltung. Selten hat Hollywood so<br />

witzig und intelligent auf das Thema online Dating reagiert.<br />

Genau das Richtige für einen verregneten Som-<br />

mer, denn wenigsten erwärmt sich das Herz dabei.<br />

Der Film hat viele wirklich gute Momente. So wenn<br />

zum Beispiel der hoffnungslose Romantiker Jake zum xten<br />

Mal «Dr. Schiwago» schaut, weil darin die Sehnsucht<br />

und die wahre Liebe vorkommen, seine 20jährige Begleiterin<br />

aber noch nie etwas von dem Film gehört hat.<br />

Wenn Sarahs erstes Date sich als ihr eigener verwitweter<br />

Vater Bill (Christopher Plummer) herausstellt oder<br />

dessen neue Freundin Dolly (eine herausragende Stockard<br />

Channing) ihr Tipps bezüglich Selbstdarstellung auf<br />

dem Internet gibt. Und besonders erwähnenswert all die<br />

Männer, welche auf Sarahs Anzeige antworten und sich<br />

als Frösche herausstellen, die besser ungeküsst bleiben.<br />

Interessant ist auch, das Phänomen Singledasein hier<br />

von beiden Seiten zu betrachten. Mann und Frau können<br />

also durchaus etwas lernen, auch wenn es nichts<br />

Neues ist. Wenn denn Jake die weisen Worte spricht,<br />

dass er nun weiss, was Trauer sei und ein gebrochenes<br />

Herz stärker als zuvor zusammenwächst, so hilft das<br />

vielleicht beim nächsten Liebeskummer, zumindest aber<br />

bei der nächsten Hemingway Lektüre.<br />

Diane Lane («Unfaithful») vermag in ihrer Rolle als<br />

Kindergärtnerin Sarah sehr glaubwürdig und sympathisch<br />

zu überzeugen. John Cusack («High Fidelity»)<br />

hat sich nun beinahe endgültig von seinem «kleinen<br />

Jungen» Charme emanzipiert und Dermot Mulroney<br />

(«My best Friends Wedding») ist mal angenehm gegen<br />

sein Saubermann Image besetzt. Tatsache ist, dass auch<br />

der Jüngste in diese Liga von Hollywood-Veteranen bereits<br />

mehr als 20 Jahre Filmerfahrung im Rücken hat<br />

und es einfach Spass macht, diesen Profi s beim spielen<br />

zuzusehen.<br />

Weder Regie noch Kamera fallen mit besonders kreativen<br />

Ideen auf, doch der Film ist von Anfang bis Ende<br />

stimmig. Regisseur Gary David Goldberg hat sich vor allem<br />

einen Namen gemacht als Drehbuchautor und Produzent,<br />

unter anderem von «Chaos City» mit Michael J.<br />

Fox und beweist auch hier wieder sein komödiantisches<br />

Talent.<br />

«Must love dogs» ist ein Film für romantische Seelen,<br />

bringt einen zum lachen und ist blendende Unterhaltung<br />

für alle, die irgendwie an die Liebe glauben.<br />

Der Film dauert 98 Minuten und ist seit dem 25.8.2005<br />

in den Kinos.<br />

TRATSCHUNDLABER<br />

K I N O<br />

■ Beinahe wäre dies Zeit und Ort geworden, sich<br />

das erste Mal so richtig das Maul zu zerreissen über<br />

Stars und Sternchen, welche sich selber wichtiger<br />

nehmen als sie sind. Welch herrliche Gelegenheit,<br />

eine Vorschau auf die kommenden Miss Schweiz<br />

Wahlen am 17. September zu leisten. Darüber zu<br />

sinnieren, was denn all unsere Ex-Missen heute tun,<br />

wie verzweifelt sie vor den Kameras als Moderatorinnen<br />

herumturnen und ausziehen und betonen, wie<br />

wahnsinnig wichtig ihnen innere Werte sind. Darüber<br />

zu lächeln, dass es offenbar «eine Ehre sei», sich für<br />

den Playboy ausziehen zu dürfen oder zum x-ten<br />

Mal zu hören, dass Melanie doch wirklich im Moment<br />

«keine Beziehung haben möchte».<br />

Aber eben nur beinahe. Das Hochwasser mit<br />

all seinen Folgen für die Bewohner in Bern und<br />

Umgebung und dem Rest der Schweiz relativiert die<br />

Prioritäten. Vielleicht ist Klatsch und Kratsch eine<br />

durchaus legitime Abwechslung von den Zwängen<br />

und Nöten des Alltags, doch wen interessiert schon<br />

Nadine Vinzenz neues Leben in Los Angeles, wenn<br />

ganze Stadtqu<strong>art</strong>iere evakuiert werden müssen? Die<br />

beklemmenden Bilder von überfl uteten Hauptstrassen<br />

und mit Sperrholz verstopften Flüssen sollten<br />

nicht so schnell vergessen werden, wie es vermutlich<br />

geschehen wird. Vielleicht ist es situationsbedingter<br />

Galgenhumor, der Schaulustige dazu treibt, unlustige<br />

Sprüche zu reissen im Angesicht der persönlichen<br />

Katastrophe Einzelner. Die nächsten Wochen werden<br />

zeigen, wie schnell eine «Normalisierung» und<br />

Rückkehr in den Alltag möglich ist. Vielleicht wird es<br />

dann auch wieder möglich sein, sich den profaneren<br />

Dingen des Lebens zuzuwenden und über den tieferen<br />

Sinn des Wortes «Brangelina» nachzudenken..<br />

Wer sich trotz allem ein kleines bisschen der<br />

Sinnlosigkeit widmen möchte, kann versuchen, die<br />

Kandidatinnen für die diesjährige Miss Schweiz Wahl<br />

zu unterscheiden. Eine Übersicht der Klone fi ndet<br />

sich auf der Webseite www.missschweiz.ch und bietet<br />

zudem ein Gruselkabinett aller ehemaligen Gewinnerinnen.<br />

Es lohnt sich beinahe.<br />

19


20 DM AU S I AK N D E R E K I N O<br />

www.cinematte.ch / Telefon 031 312 4546 www.kellerkino.ch / Telefon 031 311 38 05 www.kinokunstmuseum.ch / Telefon 031 328 09 99<br />

HELP!<br />

WEGEN HOCHWASSER BIS AUF WEITERES GE-<br />

SCHLOSSEN. Wir hoffen auf ein spendenfreudiges<br />

Bern, denn die Cinématte darf nicht unter Wasser<br />

bleiben... www.cinematte.ch<br />

19<br />

(Kazushi Watanabe, Japan 2002, 82’, Originalversion/d)<br />

Auf dem Heimweg wird der Student Usami ohne ersichtlichen<br />

Grund von drei jungen Männern in ihr Auto<br />

gezerrt. Sie zwingen ihn auf eine Reise, die verblüffende<br />

Ähnlichkeit mit einem Familienausfl ug hat: ein Einkaufsbummel<br />

im Supermarkt, ein Zoobesuch, Erinnerungsfotos.<br />

Die anfänglichen Versuche Usamis, seinen<br />

Entführern zu entkommen, schlagen fehl. Nach und<br />

nach entwickeln sich zwischen Usami und den einzelnen<br />

Mitgliedern der seltsamen Reisegruppe eigene, intensive<br />

Beziehungen, bis sich die Rollen zu verschieben<br />

scheinen. Als die Dreierbande während eines langen,<br />

melancholischen Strandausfl ugs ein weiteres Opfer in<br />

ihre Gewalt bringt, gerät Usami in einen eigentümlichen<br />

Zwiespalt. Soll er sich mit seinem Leidensgenossen<br />

verbünden? Oder fühlt er sich in einer merkwürdigen<br />

Umkehrung der Wirklichkeit der Gruppe seiner Entführer<br />

verpfl ichtet? Usami zaudert. Kurz darauf ist nichts<br />

mehr, wie es einmal war.<br />

Eine scheinbar sinnlose Entführung, eine Autofahrt<br />

ans Meer, die Verwirrung der Wirklichkeit bis zu ihrer<br />

Umkehrung... «19» erzählt mit lakonischem Humor und<br />

in fast beiläufi ger Radikalität von einer ebenso surrealen<br />

wie wirklichen Reise – ein Roadmovie irgendwo<br />

zwischen Jim Jarmusch und Takeshi Kitano, das mit<br />

einer ganz eigenen Ästhetik fasziniert. Basierend auf<br />

einer authentischen Begebenheit, berichtet «19» von<br />

einer Jugend, deren Rebellion sich in scheinbar sinnloser<br />

Form äußert – die die Regeln bricht und sie gleichzeitig<br />

widerspiegelt. Regisseur Kazushi Watanabe, der<br />

auch den Anführer der Entführer-Dreierbande spielt,<br />

hat für diese Erzählung eine fi lmische Form gefunden,<br />

die ebenso stringent wie unbekümmert ist; ein überraschendes<br />

Abenteuer, klug und unterhaltsam, spannend,<br />

berührend und subversiv.<br />

«Kazushi Watanabe legt mit seinem Debütfi lm einen<br />

Geniestreich vor. Ein lakonischer Kommentar zur entfremdeten<br />

Welt, mit absurdem Humor und weitem Assoziationsraum.»<br />

(Berliner Zeitung)<br />

Ab 1.9.2005<br />

Von Mao bis Techno<br />

Das Programm mit zeitgenössischen unabhängigen<br />

Filmen aus China – präsentiert in Ergänzung zur Ausstellung<br />

«Mahjong – Chinesische Gegenw<strong>art</strong>skunst aus<br />

der Sammlung Sigg» im Kunstmuseum Bern – bietet<br />

einen Einblick in das vielfältige jüngste Filmschaffen<br />

der Volksrepublik und w<strong>art</strong>et mit einer ganzen Reihe<br />

exklusiver Schweizer Premieren auf. Im September-<br />

Teil des Filmzyklus, der im Oktober weitergeführt wird,<br />

vermitteln Publikumsbegegnungen und eine Podiumsdiskussion<br />

mit Fachleuten, Regisseuren und Künstlern<br />

zusätzliches Wissen zur chinesischen Kinematographie,<br />

die immer weniger von den Zensurbehörden geprägt<br />

wird, und mehr und mehr ins Spannungsfeld von Kunst<br />

und Kommerz gerät.<br />

Sa, 3. 9.<br />

18.00 h Einführung von Natalie Bao-Götsch (Sinologin)<br />

in den Film «South of the Clouds»<br />

So, 11.9.<br />

11.00 h Podiumsdiskussion<br />

14.00 h Einführung von Liu Hao (Regisseur) in seinen<br />

Film «Chen Mo & Meiting»<br />

16.00 h Einführung von Liu Hao (Regisseur) in seinen<br />

Film «Two Great Sheep»<br />

18.30 h Experimentelle Kurzfi lme in Anwesenheit des<br />

Performance-Duos Fu Yu und Jiang Haiqing<br />

Greta Garbo zum Hundertsten<br />

Anlässlich des hundertsten Geburtstages von Greta<br />

Garbo widmet die Grosse Halle ihre diesjährige Stummfi<br />

lmveranstaltung der «schweigenden» Garbo. Im Kino<br />

Kunstmuseum wird sie in vier von ihren wichtigsten Tonfi<br />

lmrollen präsentiert: «Grand Hotel», «Anna Karenina»,<br />

«Queen Cristina» und «Ninotchka». Die letzten zwei Titel<br />

können erfreulicherweise in brandneuen Reeditionskopien<br />

gezeigt werden.


KI O<br />

i n d e r R e i t s c h u l e<br />

N<br />

Für das Tagesprogramm die Tageszeitung oder das Internet W W W . B E R N E R K I N O . C H<br />

LICHTSPIEL<br />

www.reitschule.ch / Telefon 031 306 69 69 www.lichtspiel.ch / Telefon 031 381 15 05 www.pasqu<strong>art</strong>.ch / Telefon 032 322 71 01<br />

Die Freudlose Gasse, Stummfi lm in der Grossen Halle<br />

der Reitschule<br />

Am 9. und 10.9.2005 eröffnet das Kino in der Reitschule<br />

die neue Spielsaison mit «Die Freudlose Gasse», der<br />

aufwändig restaurierten dreistündigen Fassung des<br />

Stummfi lmklassiker von Georg Wilhelm Pabst, mit Asta<br />

Nielsen und Greta Garbo. Der Film wird mit zeitgenössischer<br />

musikalischer Live-Begleitung aufgeführt, für<br />

die wiederum das Orchester Marco Dalpane, Bolgona,<br />

verantwortlich zeichnet.<br />

Pabsts Schilderung des Elends der Wiener Mittelschichten<br />

während der Infl ation, das in mehreren ineinander<br />

verfl ochtenen Geschichten um Prostitution und<br />

Verbrechen dargestellt wird, enthält stark melodramatische<br />

Züge, war aber realistisch genug, um das zeitgenössische<br />

Publikum zu schockieren. Neben den beiden<br />

Stars ist auch die beliebte Kabarettistin Valeska Gert als<br />

Bordellmutter zu sehen.<br />

Fokus Tibet – Filme zum sanften Widerstand<br />

Im Anschluss an den Zürcher Besuch des Dalai Lama<br />

sind im Kino in der Reitschule Filme zu sehen, die den<br />

Alltag im heutigen Tibet wiederspiegeln, den sanften<br />

Widerstand und politische Strategien auf einer kleinen<br />

Ebene aufzeigen, wie z.B. beim Fussballspiel. Die FilmemacherInnen,<br />

bei denen es sich meist um ExiltibeterInnen<br />

handelt, setzen sich in ihren Filmbeiträgen kritisch<br />

mit dem exotisierenden Bild auseinander, welches viele<br />

Leute im Westen über Tibet und seine Geschichte des<br />

Widerstandes haben. (15.-30.9., Do/Fr/Sa)<br />

Wiederaufnahme von Migraton<br />

Die von Paed Conca vertonte und zusammen mit Giorgio<br />

Andreoli zusammengestellte Collage Migraton<br />

setzt sich mit der Thematik Migration auseinander und<br />

ist ein Essay aus Dokumentarfi lmmaterial und Spielfi<br />

lmsequenzen. Beachtung verdient die Tatsache, dass<br />

Filmmontage und Komposition Hand in Hand liefen. Das<br />

Resultat ist also keine herkömmliche Filmvertonung. Bei<br />

Migraton ist die Musik gleich wichtig wie das Bild. Neben<br />

Paed Conca: (Bass, Klarinette, Elektronik, Komposition)<br />

sind Michael Thieke (Klarinette, Altoklarinette, Elektronik),<br />

Frank Crijns: (Gitarre, Elektronik) und Fabrizio Spera:<br />

(Schlagzeug, Elektronik) zu hören. (Mi 28.9./Sa 1.10.)<br />

Schweizerische Filmarbeitskurse 1967-69<br />

Die Schweizerischen Filmarbeitskurse von 1967-69<br />

prägten eine Generation mit, die zur Blüte des Schweizer<br />

Filmes in den Siebzigern beitrug. Betreut von Dozenten<br />

wie Kurt Früh oder Hugo Loetscher realisierten<br />

dort u.a. Markus Imhoof, Clemens Klopfenstein, Eduard<br />

Winiger oder Jacqueline Veuve ihre frühen Werke. Die<br />

Kurse fi elen in ein Umfeld, das von den Unruhen 1968<br />

und vom kalten Krieg geprägt war. Der Geist der Zeit<br />

offenb<strong>art</strong> sich in den Filmen in einem Unbehagen mit<br />

dem Status quo, in den Ausbruchsphantasien, der Lust<br />

an der Provokation und den vereinzelten Träumen von<br />

einem anderen Leben, aber auch in Kleidern, Frisuren,<br />

Musik und Gesten, die in der Zeit verhaftet scheinen.<br />

Der Filmwissenschaftler Thomas Schärer gibt Einblick<br />

in diese Experimentierphase der ersten systematischen<br />

Filmausbildung in der Schweiz. (5. und 12.9., 20h)<br />

La nébuleuse du coeur<br />

Jacqueline Veuve unternimmt in ihrem neuen Film «La<br />

nébuleuse du coeur» eine Reise ins Innere des Herzens.<br />

Anlässlich der Berner Premiere im Lichtspiel, wo sie<br />

auch zwei Szenen gedreht hat, wird sie selber anwesend<br />

sein. (14.9., 20h)<br />

Giant Monster Teenager<br />

Der amerikanische Filmsammler, Buchautor und B-<br />

Movie-Archäologe Jack Stevenson gastiert wieder im<br />

Lichtspiel und präsentiert persönlich verschiedene<br />

skurrile Kultrollen aus seiner Sammlung: Mit «Sex, Fear<br />

and Horror in the Classroom» zeigt er eine Auswahl von<br />

unterhaltsamen Aufklärungsfi lmen, die den amerikanischen<br />

Kindern in den 40er bis 80er-Jahren vorgeführt<br />

wurden und Reaktionen von beklemmender Peinlichkeit<br />

bis Paranoja hervorriefen. Mit «Terminal USA» folgt<br />

eine witzige und gleichzeitig groteske Seifenoperparodie<br />

(beide Filme 17.9. ab 20h). «Giant Monster Teenager»<br />

ist ein Zelluloidtribut an das Mysterium «Teenager» der<br />

50er und 60er-Jahre (18.9. 20h), «Plan 9 from Church»<br />

schliesslich enthüllt ein spannendes Stück Filmgeschichte:<br />

nicht nur B-Movie-Produzenten wie Ed Wood drehten<br />

Science-Fiction-Filme - auch Sekten wie die Mormonen<br />

oder Paulisten bedienten sich dieses Genres für Werbezwecke.<br />

21<br />

Johnny Depp<br />

Bekannt wurde Johnny Depp in den späten 80ern den<br />

LiebhaberInnen von TV-Serien: Die Rolle als Undercover-<br />

Polizist in «21 Jump Street» beförderte ihn nach<br />

ein paar unbedeutenden Nebenrollen in die Reihe der<br />

erfolgversprechenden Jungschauspielern. Doch als hätte<br />

er Angst vor zuviel Erfolg, bevorzugte Depp von da an<br />

Rollen als Aussenseiter: Sei es als jugendlicher Aufwiegler<br />

in «Cry-Baby» oder als einziger Mann in einer sehr<br />

schrägen Familie in «What’s Eating Gilbert Grape» – der<br />

Schauspieler scheute die strahlenden Helden zugunsten<br />

der weniger eindeutigen Figuren. Es mag deshalb auch<br />

kein Zufall sein, dass er in Tim Burton «seinen» Regisseur<br />

gefunden hat. Das FILMPODIUM- Programm zeigt<br />

eine Auswahl von Johnny Depps (mehr und weniger bekannten)<br />

Filmen in chronologischer Reihenfolge:<br />

2-5.9: «Cry-Baby» / 9-10.9: «Benny & Joon» / 11-12.9:<br />

«What’s Eating Gilbert Grape?» / 18-19.9: «Ed Wood»<br />

/ 23-24.9: «Fear and Loathing in Las Vegas» / 25-26.9:<br />

«Sleepy Hollow» / 30.9-1.10: «Chocolat» / 2-3.10: «Lost<br />

in La Mancha»<br />

On the Road ... Again<br />

(In Zusammenarbeit mit den Bieler Fototagen):<br />

3.9: «Candy Mountain»: Robert Franks Film ist eine<br />

moderne Odyssee, die Suche des jungen, erfolglosen<br />

Musikers Julius nach dem legendären Elmore Silk, den<br />

die Branche als den grössten Gitarrenbauer aller Zeiten<br />

bezeichnet und der schon seit vielen Jahren aus New<br />

York verschwunden ist. Als er sich auf die Reise begibt,<br />

hat er einen Vertrag in der Tasche, diesen eigensinnigen<br />

Künstler für einige tausend Dollar zu fi nden, der gefl ohen<br />

ist, um seine Integrität zu behalten. Mit Tom Waits,<br />

Jim Jarmusch, Bulle Ogier etc.<br />

FANTOCHE 05 – Das Internationale Festival für Animationsfi<br />

lm macht Halt in Biel:<br />

16.9: «New York, New York»: Historische und neue Kurzfi<br />

lme zeigen, wie Trickfi lmerInnen New York zum animierten<br />

Charakter erheben und dessen visuelle Kraft<br />

immer wieder für ihre Filme nutzen.<br />

17.9: «Best Of Fantoche”: Die PreisträgerInnenfi lme<br />

aus dem internationalen Wettbewerb des Festivals für<br />

Animationsfi lm FANTOCHE 05. www.fantoche.ch


22<br />

AUS BERLIN...<br />

SARAH ELENA SCHWERZMANN<br />

TASTES LIKE HAIRSPRAY<br />

■ And I’m thinking: Lights are blinding my eyes.<br />

Alle sind sie begeistert zurückgekommen. Mit<br />

glänzenden Augen. Mit schönen Erinnerungen. Und<br />

voller Erw<strong>art</strong>ung und Sehnsucht auf das nächste<br />

Mal. Ich nicht. Im Februar war ich das erste Mal<br />

dort. Und enttäuscht. Viel pompöser habe ich mir<br />

diese Stadt vorgestellt. Viel Aussagekräftiger. Und<br />

es war kalt. So kalt, dass man sich draussen kaum<br />

aufhalten konnte. Minus acht Grad. Naja du hast halt<br />

einfach noch nicht viel gesehen. Aber du kommst ja<br />

wieder. Wenn es wärmer ist. Und alle haben schon<br />

geschwärmt. Ach du Glückliche. Im Sommer soll<br />

es da ja so schön sein. Und jetzt bin ich hier. Seit<br />

einem Monat. Und doch habe ich das Gefühl, ich sei<br />

erst gestern angekommen. Aber nein, es sind vier<br />

Wochen. In Schweizer Wochen umgerechnet etwa<br />

dreihundert. Insgesamt fünf Wochen meines Lebens<br />

habe ich bisher hier verbracht. Und fühle mich hier<br />

zu Hause. Wie überall. Überall ausser in der Stadt, in<br />

der ich offi ziell zuhause bin. Fernweh bis es blutet.<br />

Und nun lecke ich meine Wunden. Ganz alleine. In<br />

einer pulsierenden Metropole. Und bin einsamer<br />

denn je. Endlich. Keine älteren Nachbarn, die beim<br />

Briefkasten anfangen zu plaudern. Keine früheren<br />

Schulkollegen, denen man irgendwo begegnet und<br />

die, aus lauter Pfl ichtbewusstsein, mit einem reden.<br />

Ich weiss auch nicht. Aber ich hatte immer das<br />

Gefühl, ich strahle ein Minimum an Ablehnung aus,<br />

das dies verhindern sollte. And I’m thinking: People<br />

pushing by. All das nicht hier. Ich steife alleine<br />

durch die Strassen. Sie sind endlos. Nicht so wie<br />

anderswo. Und genau das macht der Unterschied.<br />

Genau das macht es, dass ich hier glücklich bin<br />

und dort todunglücklich. Alles was ich brauche sind<br />

Strassen, die nicht aufhören. Meinen iPod. Und ich<br />

gehe unermüdlich. Mit meinem Soundtrack. Meinem<br />

Soundtrack zur Stadt. Berlin. Then walking off into<br />

the night.<br />

Lyrics: The Streets «Blinded by the lights»<br />

ISABELLE LÜTHY<br />

chinas junges,<br />

unabhängiges filmschaffen<br />

■ Aus Anlass der Ausstellung «Mahjong – Chinesische<br />

Gegenw<strong>art</strong>skunst aus der Sammlung Sigg», die momentan<br />

im Kunstmuseum zu sehen ist, zeigt das Kino im<br />

Kunstmuseum von September bis Oktober eine Reihe<br />

chinesischer Filme aus den letzten zwanzig Jahren.<br />

Unter dem Titel «Von Mao zu Techno» werden unter anderem<br />

Klassiker, wie die frühen Werke von Zhang Yimou<br />

(«Das rote Kornfeld») und Chen Kaige («Farewell my<br />

concubine»), die zu der ersten Generation von Filmemachern<br />

nach dem Ende der Kulturrevolution gehören, zu<br />

sehen sein. Schwerpunkt des Programms bilden jedoch<br />

Filme neueren Datums. Hier darf sich das Publikum auf<br />

einige exklusive Schweizer Kinopremieren freuen. Zum<br />

Beispiel auf «South of the Clouds» von Zhu Wen, »Oxhide”<br />

von Liu Jiayin, «The World” von Jia Zhangke, oder<br />

»Two Great Sheep” von Liu Hao. Mit den chinesischen<br />

Kurz- und Experimentalfi lmen werden zudem Werke von<br />

bedeutenden chinesischen «New Media»-Künstlern vorgestellt.<br />

Seit Mitte der Neunzigerjahre ist in China eine neue,<br />

unabhängige Szene von Filmemachern, die sogenannte<br />

«sechste Generation» der Pekinger Filmakademie,<br />

entstanden. Diese jungen Regisseure grenzen sich von<br />

ihren Vorgängern, die sich im Westen etabliert und vermehrt<br />

dem kommerziellen Film zugewandt haben, explizit<br />

ab. Zu ihnen gehören Jia Zhangke und Liu Hao. Im<br />

Kontrast zu den farbigen Epochengemälden ihrer Vorgänger<br />

richten sie ihren Blick auf das alltägliche Leben<br />

und versuchen dieses mittels handlicher Digitalvideokameras<br />

möglichst realitätsnah einzufangen. Die Grenzen<br />

zwischen Dokumentar- und Spielfi lm verschwimmen.<br />

Ein Artikel Jia Zhangkes, der 1998 in einer chinesischen<br />

Wochenzeitung publiziert wurde, ist zu einer Art Manifest<br />

des jungen chinesischen Films geworden. Darin<br />

spricht er sich für mehr «Ethik und Wahrhaftigkeit» im<br />

Film aus und betont die Bedeutung des Amateurfi lms.<br />

Gezeigt werden soll das andere, das wirkliche China.<br />

Das China, das sich in tiefgreifenden ökonomischen<br />

und sozialen Umwälzungen befi ndet. Erzählt werden<br />

die Geschichten der kleinen Leute, die sich angesichts<br />

des Umbruchs verloren und orientierungslos fühlen.<br />

Themen wie Prostitution, Kriminalität, Homosexualität,<br />

Armut auf dem Land, Landfl ucht oder das Massaker von<br />

Tiananmen, die bislang tabu waren, werden nun fi lmisch<br />

zur Sprache gebracht.<br />

Filmemacher, die sich diesen Grundsätzen verpfl ichtet<br />

fühlen, hatten bis vor kurzem keine Chance, ihre Produktionen<br />

in China zu zeigen. Um der offi ziellen Zensurbehörde<br />

zu entgehen, arbeiteten sie vorwiegend im<br />

Untergrund. Jia Zhangkes Filme «Platform», «Pickpocket»<br />

und «Unknown Pleasures» oder Liu Haos «Chen<br />

Mo & Meining» wurden ausschliesslich im Ausland ge-<br />

zeigt. Auf oft abenteuerliche Weise wurden die Filme<br />

ins Ausland geschmuggelt, dort nachbearbeitet und an<br />

den ausländischen Filmfestivals mit grossem Erfolg vorgeführt.<br />

Diesbezüglich scheint sich in den letzten zwei<br />

Jahren jedoch ein langsamer Wandel abzuzeichnen.<br />

Aufgrund der «Lockerung» der Zensur gelang es Jia<br />

Zhangke, Liu Hao und Zhu Wen die staatlichen Schranken<br />

zu passieren und ihre neusten Filme auch dem chinesischen<br />

Publikum zugänglich zu machen. Für viele<br />

junge Regisseure bleibt der Untergrund allerdings auch<br />

weiterhin die einzige Möglichkeit, ihre Ideen fi lmisch<br />

umzusetzen.<br />

Ji Zhangke wurde 1970 in der chinesischen Provinz<br />

Shaanxi geboren. Er studierte Malerei, schrieb mit 21<br />

Jahren seinen ersten Roman und gründete 1995 die<br />

erste unabhängige Film-Produktionsfi rma Chinas. «The<br />

World» (2004) ist sein vierter Spielfi lm. Er handelt von<br />

Jugendlichen aus der Provinz, die in der Stadt ihr Glück<br />

versuchen. Schauplatz der Handlung ist der Vergnügungspark<br />

«The World» in einem Vorort von Peking.<br />

Vom Schiefen Turm von Pisa, dem World Trade Center,<br />

dem Taj Mahal bis zu den ägyptischen Pyramiden sind<br />

hier die grössten Sehenswürdigkeiten der Welt nachgebaut<br />

- die Welt «en miniature». Der Park verspricht all<br />

jenen, die kein Geld für Reisen haben, die Entdeckung<br />

der Welt in nur einem Tag. Zwei Welten tun sich auf und<br />

stehen einander konfl iktträchtig gegenüber: die Welt<br />

des bäuerlichen Lebens in den Provinzen und die Welt<br />

des modernen Stadtlebens. Die Leute, die im Park arbeiten,<br />

leben irgendwo dazwischen, in einer künstlichen<br />

Welt aus Kitsch. «The World» ist aber auch die Geschichte<br />

einer tragischen Liebe zwischen der Tänzerin Tao<br />

und dem einsamen Parkwächter Taijeng. Beide sehnen<br />

sich nach einem Leben in der Stadt. Wie viele andere<br />

Menschen sind Tao und Taijeng auf der Suche nach ihrem<br />

Platz in China, so wie China seinen Platz in der Welt<br />

sucht.<br />

Spieldaten von «The World»: 10. und 13. September,<br />

jeweils um 20.30 Uhr.<br />

Podiumsdiskussion im Kunstmuseum: «Der neue<br />

chinesische Film zwischen Kunst und Kommerz.»<br />

Sonntag 11. September, 11.00 Uhr. In Anwesenheit des<br />

Regisseurs Liu Hao.<br />

Weitere Informationen sowie das gesamte September-Oktober-Programm<br />

fi nden sich unter:<br />

www.kinokunstmuseum.ch<br />

Auskünfte und Ticketreservationen: 031 328 09 99<br />

oder per Email an: kinokabine@kinokunstmuseum.ch


KLAUS BONANOMI<br />

VON MENSCHEN UND MEDIEN<br />

Was geht uns die Übernahme von Sat.1 durch Springer an?<br />

■ Der Axel Springer Verlag ist der grösste und mächtigste<br />

Zeitungsverleger Europas. Zum Springer-Imperium<br />

gehört die Boulevardzeitung «Bild» mit ihrer Auflage<br />

von 3,8 Millionen; die konservative Tageszeitung<br />

«Die Welt», verschiedene weitere Tages- und Sonntagstitel<br />

sowie mehrere Zeitschriften von «Hörzu» bis zum<br />

deutschen «Rolling Stone». Tag für Tag erreichen die<br />

Springer-Titel 35 Millionen Menschen in Deutschland<br />

– mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung.<br />

Doch das reicht Springer nicht: Nun will der Grossverleger<br />

auch noch gross ins Fernsehgeschäft einsteigen.<br />

Für gut 4 Milliarden Euro will Springer die Privatfernseh-«Familie»<br />

Sat.1-ProSieben übernehmen – neben<br />

RTL die grösste Privat-TV-Gruppe Deutschlands. «Wenn<br />

das Bundes-K<strong>art</strong>ellamt die Übernahme genehmigt,<br />

könnte ein Konzern mit konservativer Ausrichtung entstehen,<br />

wie es ihn in der Geschichte der Bundesrepublik<br />

noch nie gegeben hat», befürchtet die liberale Wochenzeitung<br />

«Die Zeit». Ein Medienverbund, der Themen setzen<br />

und Themen verschweigen, Stars heute hochjubeln<br />

und morgen niedermachen und im Zusammenspiel von<br />

Boulevardpresse, Tageszeitungen und Fernseh-Magazinen<br />

in nie gekanntem Ausmass die politische Stimmung<br />

im ganzen Land beeinfl ussen könnte.<br />

Und zwar in konservativem Sinne: Konzerngründer<br />

Axel Cäsar Springer stand zeitlebens unverrückbar im<br />

rechten Lager, liess seine Zeitungen gegen die 68er-<br />

Studentenbewegung und gegen Willy Brandts Entspannungspolitik<br />

mit der DDR anschreiben. Und heute, 20<br />

Jahre nach dem Tod des Patriarchen, zeigt sich seine<br />

Witwe Friede Springer demonstrativ gerne an der Seite<br />

von CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Bevorzugtes<br />

Opfer der «Bild»-Kampagnen sind auch heute noch<br />

rot-grüne, allenfalls auch liberale Politiker. «Das politische<br />

Sendungsbewusstsein ist 20 Jahre nach Springers<br />

Tod schwächer geworden, erloschen ist es noch nicht»,<br />

heisst es in dem «Zeit»-Text.<br />

Wer nun erw<strong>art</strong>et hätte, dass sich die deutschen<br />

PolitikerInnen – insbesondere natürlich die rot-grünen<br />

– gegen den Springer-Sat.1-Deal aufl ehnen würden, sah<br />

sich freilich getäuscht. Die «Zeit» versuchte für ihren<br />

Artikel kritische Politiker-Statements einzuholen – vergebens:<br />

Sämtliche angefragten Spitzenpolitiker hatten<br />

entweder «keine Zeit» oder (wie SPD-Bundestagspräsident<br />

Wolfgang Thierse) die Ausrede parat, «da müsste<br />

er sich zuerst einarbeiten», bevor er eine Stellungnahme<br />

abgeben würde. «Politisches Wegducken» nennt<br />

dies die «Zeit»: Schon heute ist «Bild» so mächtig, dass<br />

sich keiner dagegen aufzulehnen getraut. Insbesondere<br />

jetzt, mitten im Wahlkampf. – Und nun droht die konservative<br />

Springer-Macht auch noch aufs Privatfernsehen<br />

überzugreifen.<br />

Natürlich verbittet sich Sat.1-Chef Roger Schawinski<br />

tapfer jede politische Einfl ussnahme: Sein Sender bietet<br />

in erster Linie Unterhaltung und News; und sein einziger<br />

Erfolgs-Massstab ist die Einschaltquote: Und mit einem<br />

auf konservativen Kurs getrimmten Polit-TV würde er<br />

zumindest einen Teil seines Publikums vergraulen. Doch<br />

zu Sat.1 gehören auch der Newskanal N24 und der kleinere<br />

Sender ProSieben; da lässt sich einiges machen.<br />

Und warum sollte sich der Springer-Verlag auf das fi -<br />

nanzielle Hochrisikogeschäft Fernsehen einlassen, wo<br />

C A R T O O N 23<br />

www.fauser.ch<br />

seit Jahren ein erbitterter Kampf um die rückläufi gen<br />

Werbeeinnahmen tobt und wo es wenig zu verdienen,<br />

aber viel Geld zu verlieren gibt, wenn es ihm nicht darum<br />

ginge, politischen Einfl uss zu nehmen? Gerade jetzt,<br />

wo die politische Wende nach rechts naht. Mit Frau Merkel<br />

an der Macht und Springer-Sat.1 als publizistischem<br />

Flankenschutz könne man die konservative Linie auf<br />

Jahre hinaus zementieren.<br />

Und was geht dies alles uns hier in der Schweiz an?<br />

Auch wir haben, wenn auch in lokalerem Rahmen, unsere<br />

mächtigen Medienfürsten und K<strong>art</strong>elle. Zum Beispiel<br />

in Chur. Dort führt kein Weg am Imperium der «Südostschweiz»<br />

vorbei: Zwei deutschsprachige und eine<br />

rätoromanische Zeitung, Lokalfernsehen und Lokalradio<br />

sind in einer Hand. Das bekam auch der Leiter der<br />

Churer Theatergruppe «In Situ», Wolfram Frank, zu spüren:<br />

Wie kürzlich die Wochenzeitung WOZ berichtete,<br />

gerieten der Theatermann und der «Südostschweiz»-<br />

Chefredaktor Andrea Masüger abends in einer Kneipe<br />

aneinander, es kam zu einem heftigen Wortgefecht, mit<br />

der Folge, dass Masüger drohte, in sämtlichen ihm unterstellten<br />

Medien nie mehr ein Wort über «In Situ» zu<br />

veröffentlichen, bis sich Frank bei ihm entschuldige. Auf<br />

diese fl agrante Zensurdrohung reagierte Theatermann<br />

Frank mit einer Beschwerde an den Presserat – in dessen<br />

Stiftungsrat unter anderem auch «Südostschweiz»-<br />

Mann Masüger sitzt...<br />

Der Fall ist noch hängig, und man darf gespannt sein,<br />

ob und wie in der «Südostschweiz» über die «In Situ»-<br />

Premiere vom 8. September berichtet wird!


KLAUS BONANOMI<br />

VON MENSCHEN UND MEDIEN<br />

Was geht uns die Übernahme von Sat.1 durch Springer an?<br />

■ Der Axel Springer Verlag ist der grösste und mächtigste<br />

Zeitungsverleger Europas. Zum Springer-Imperium<br />

gehört die Boulevardzeitung «Bild» mit ihrer Auflage<br />

von 3,8 Millionen; die konservative Tageszeitung<br />

«Die Welt», verschiedene weitere Tages- und Sonntagstitel<br />

sowie mehrere Zeitschriften von «Hörzu» bis zum<br />

deutschen «Rolling Stone». Tag für Tag erreichen die<br />

Springer-Titel 35 Millionen Menschen in Deutschland<br />

– mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung.<br />

Doch das reicht Springer nicht: Nun will der Grossverleger<br />

auch noch gross ins Fernsehgeschäft einsteigen.<br />

Für gut 4 Milliarden Euro will Springer die Privatfernseh-«Familie»<br />

Sat.1-ProSieben übernehmen – neben<br />

RTL die grösste Privat-TV-Gruppe Deutschlands. «Wenn<br />

das Bundes-K<strong>art</strong>ellamt die Übernahme genehmigt,<br />

könnte ein Konzern mit konservativer Ausrichtung entstehen,<br />

wie es ihn in der Geschichte der Bundesrepublik<br />

noch nie gegeben hat», befürchtet die liberale Wochenzeitung<br />

«Die Zeit». Ein Medienverbund, der Themen setzen<br />

und Themen verschweigen, Stars heute hochjubeln<br />

und morgen niedermachen und im Zusammenspiel von<br />

Boulevardpresse, Tageszeitungen und Fernseh-Magazinen<br />

in nie gekanntem Ausmass die politische Stimmung<br />

im ganzen Land beeinfl ussen könnte.<br />

Und zwar in konservativem Sinne: Konzerngründer<br />

Axel Cäsar Springer stand zeitlebens unverrückbar im<br />

rechten Lager, liess seine Zeitungen gegen die 68er-<br />

Studentenbewegung und gegen Willy Brandts Entspannungspolitik<br />

mit der DDR anschreiben. Und heute, 20<br />

Jahre nach dem Tod des Patriarchen, zeigt sich seine<br />

Witwe Friede Springer demonstrativ gerne an der Seite<br />

von CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Bevorzugtes<br />

Opfer der «Bild»-Kampagnen sind auch heute noch<br />

rot-grüne, allenfalls auch liberale Politiker. «Das politische<br />

Sendungsbewusstsein ist 20 Jahre nach Springers<br />

Tod schwächer geworden, erloschen ist es noch nicht»,<br />

heisst es in dem «Zeit»-Text.<br />

Wer nun erw<strong>art</strong>et hätte, dass sich die deutschen<br />

PolitikerInnen – insbesondere natürlich die rot-grünen<br />

– gegen den Springer-Sat.1-Deal aufl ehnen würden, sah<br />

sich freilich getäuscht. Die «Zeit» versuchte für ihren<br />

Artikel kritische Politiker-Statements einzuholen – vergebens:<br />

Sämtliche angefragten Spitzenpolitiker hatten<br />

entweder «keine Zeit» oder (wie SPD-Bundestagspräsident<br />

Wolfgang Thierse) die Ausrede parat, «da müsste<br />

er sich zuerst einarbeiten», bevor er eine Stellungnahme<br />

abgeben würde. «Politisches Wegducken» nennt<br />

dies die «Zeit»: Schon heute ist «Bild» so mächtig, dass<br />

sich keiner dagegen aufzulehnen getraut. Insbesondere<br />

jetzt, mitten im Wahlkampf. – Und nun droht die konservative<br />

Springer-Macht auch noch aufs Privatfernsehen<br />

überzugreifen.<br />

Natürlich verbittet sich Sat.1-Chef Roger Schawinski<br />

tapfer jede politische Einfl ussnahme: Sein Sender bietet<br />

in erster Linie Unterhaltung und News; und sein einziger<br />

Erfolgs-Massstab ist die Einschaltquote: Und mit einem<br />

auf konservativen Kurs getrimmten Polit-TV würde er<br />

zumindest einen Teil seines Publikums vergraulen. Doch<br />

zu Sat.1 gehören auch der Newskanal N24 und der kleinere<br />

Sender ProSieben; da lässt sich einiges machen.<br />

Und warum sollte sich der Springer-Verlag auf das fi -<br />

nanzielle Hochrisikogeschäft Fernsehen einlassen, wo<br />

C A R T O O N 23<br />

www.fauser.ch<br />

seit Jahren ein erbitterter Kampf um die rückläufi gen<br />

Werbeeinnahmen tobt und wo es wenig zu verdienen,<br />

aber viel Geld zu verlieren gibt, wenn es ihm nicht darum<br />

ginge, politischen Einfl uss zu nehmen? Gerade jetzt,<br />

wo die politische Wende nach rechts naht. Mit Frau Merkel<br />

an der Macht und Springer-Sat.1 als publizistischem<br />

Flankenschutz könne man die konservative Linie auf<br />

Jahre hinaus zementieren.<br />

Und was geht dies alles uns hier in der Schweiz an?<br />

Auch wir haben, wenn auch in lokalerem Rahmen, unsere<br />

mächtigen Medienfürsten und K<strong>art</strong>elle. Zum Beispiel<br />

in Chur. Dort führt kein Weg am Imperium der «Südostschweiz»<br />

vorbei: Zwei deutschsprachige und eine<br />

rätoromanische Zeitung, Lokalfernsehen und Lokalradio<br />

sind in einer Hand. Das bekam auch der Leiter der<br />

Churer Theatergruppe «In Situ», Wolfram Frank, zu spüren:<br />

Wie kürzlich die Wochenzeitung WOZ berichtete,<br />

gerieten der Theatermann und der «Südostschweiz»-<br />

Chefredaktor Andrea Masüger abends in einer Kneipe<br />

aneinander, es kam zu einem heftigen Wortgefecht, mit<br />

der Folge, dass Masüger drohte, in sämtlichen ihm unterstellten<br />

Medien nie mehr ein Wort über «In Situ» zu<br />

veröffentlichen, bis sich Frank bei ihm entschuldige. Auf<br />

diese fl agrante Zensurdrohung reagierte Theatermann<br />

Frank mit einer Beschwerde an den Presserat – in dessen<br />

Stiftungsrat unter anderem auch «Südostschweiz»-<br />

Mann Masüger sitzt...<br />

Der Fall ist noch hängig, und man darf gespannt sein,<br />

ob und wie in der «Südostschweiz» über die «In Situ»-<br />

Premiere vom 8. September berichtet wird!


Eine Kunst-Sonderbeilage<br />

im ensuite - kulturmagazin, Bern:<br />

<strong>art</strong>ensuite<br />

M U S I K<br />

JEFF WALL - DOORPUSHER 1984<br />

Transparency in lightbox<br />

249 x 122 cm / (c) Jeff Wall<br />

2527<br />

<strong>art</strong>ensuite


26<br />

<strong>art</strong>ensuite<br />

Jeff Wall - Photographs 1978-2004<br />

Schaulager Münchenstein/Basel<br />

Die Ausstellung ist noch bis 25. September 2005 zu<br />

sehen. Geöffnet Dienstag bis Freitag 12.00 - 18.00<br />

Uhr, Donnerstag 12.00 - 19.00 Uhr und Samstag<br />

und Sonntag 10.00 - 17.00 Uhr. Weitere Informationen<br />

unter www.schaulager.org. Das Schaulager ist<br />

vom Bahnhoff SBB mit der Tram Nr. 11 in wenigen<br />

Minuten zu erreichen. Katalog zur Ausstellung Jeff<br />

Wall - Catalogue Raisonné 1978-2004, hrsg. vom<br />

Schaulager und dem Steidl-Verlag, Göttingen. 489<br />

S., Fr. 62.-.<br />

wacht auf ihr augenmenschen<br />

Es ist viel los im Kunstbetrieb Schweiz<br />

■ Man braucht nicht extra nach Venedig<br />

zu fahren, um einen Augenschaus<br />

zu sehen. In verschiedenen Schweizer<br />

Städten werden gleich mehrere hoch-<br />

von Dominik Imhof<br />

karätige Ausstellungen präsentiert.<br />

Also stehen Sie auf, gehen Sie hin.<br />

Diesmal führt uns die Kunst nach Basel.<br />

Natürlich ist Basel auch ohne Kunst<br />

eine Augenweide. Aber diese Tage ist<br />

man fast gezwungen in die verschiedenen<br />

White Cubes einzudringen. Gleich<br />

drei grosse Namen sind in Basel zu besichtigen:<br />

Jeff Wall im Schaulager und<br />

Pablo Picasso sowie René Magritte in<br />

der Fondation Beyeler.<br />

The Storyteller - Jeff Wall im Schaulager<br />

Von aussen wirkt es ja doch etwas<br />

abweisend, das Schaulager in Münchenstein/Basel,<br />

mit seinem Wachhäuschen<br />

und der monumentalen<br />

Fassade. Sobald man jedoch das Gebäude<br />

betritt, wird man für seinen Mut<br />

belohnt. Im Innenraum ist zwar auch<br />

Monumentalität angesagt - durch den<br />

enormen Raum, der sich bis an die<br />

Decke öffnet - aber die Architektur ist<br />

hier durch die Étagen und die Vielzahl<br />

der Neonröhren fein gegliedert. Das<br />

Konzept des Schaulagers ist auch drei<br />

Jahre nach der Eröffnung in seiner<br />

Neu<strong>art</strong>igkeit und Nützlichkeit immer<br />

noch erwähnenswert: Die Werke der<br />

Emanuel Hoffmann-Stiftung - ca. 650<br />

Werke - sind in den oberen Geschossen<br />

in Koien aufbewahrt, und zwar<br />

unverpackt und installiert sowie nach<br />

konservatorischen Aspekten geordnet.<br />

Für das Fachpublikum werden diese<br />

Koien geöffnet und die Werke für die<br />

Forschung zugänglich gemacht. Neben<br />

dieser Tätigkeit ist das Schaulager jeweils<br />

während der Sommermonate für<br />

eine Wechselausstellung geöffnet.<br />

Vom Kassenbereich kann man die<br />

ersten Werke der dritten Ausstellung,<br />

die im Schaulager präsentiert wird,<br />

bereits sehen - und die Aussicht ist<br />

vielversprechend. Nach Dieter Roth<br />

und Herzog & de Meuron - den Architekten<br />

des Hauses - ist es nun Jeff<br />

Wall, einer der wichtigsten Fotografen<br />

unserer Zeit, dem das Schaulager eine<br />

retrospektive Ausstellung widmet. Die<br />

Emanuel Hoffmann-Stiftung hat bereits<br />

1982 ein erstes Werk von Jeff Wall<br />

angekauft, danach folgten weitere aus<br />

allen Schaffensphasen des Künstlers.<br />

Nach einem Besuch des Künstlers im<br />

Schaulager war dieser auch sofort bereit<br />

hier eine Ausstellung zu machen.<br />

Und Jeff Wall hat natürlich recht: nur<br />

in wenigen anderen Museen würden<br />

seine Fotografien eine so hervorragende<br />

Wirkung entfalten. Eine ganz spezielle<br />

Präsentationsform hat Wall für<br />

einen Grossteil seiner Fotografien ausgewählt:<br />

grossformatige Diapositive in<br />

Alukästen, die von hinten beleuchtet<br />

werden, ganz wie Werbeleuchtkästen.<br />

So können die Werke eine enorme<br />

Präsenz erreichen. Neben diesen Fotografien<br />

sind aber auch Arbeiten in<br />

Schwarz-Weiss, die seit 1996 entstanden,<br />

ausgestellt.<br />

Jeff Wall wurde 1946 in Vancouver<br />

geboren. Er studierte Kunstgeschichte,<br />

was man an einigen Werken erkennen<br />

kann, und war als Doktorand in London<br />

tätig. Seit 1974 bis 1999 war Wall<br />

Dozent in Halifax und Vancouver.<br />

Seine künstlerische Laufbahn begann<br />

in den 60er Jahren mit monochromen<br />

Arbeiten und Installationen bis<br />

er 1977 zur Fotografie überging. 1978<br />

konnte Wall sein erstes Grossbilddia,<br />

The Destroyed Room (1978), in einer<br />

kleinen Galerie in Vancouver zeigen.<br />

Seither sind ca. 120 Fotografien entstanden,<br />

keine grosse Zahl für ein<br />

25jähriges Schaffen. Von diesen sind<br />

72 im Schaulager ausgestellt.<br />

Am Anfang seines Schaffens in<br />

Form von Diapositiven steht die Serie<br />

der Young Workers (1978/1983). Hier<br />

verbindet Wall Dokumentarisches<br />

- das Abbilden von ungeschminkten,<br />

jungen Arbeitern - mit dem Inzenierten<br />

- alle Porträts zeigen die Personen<br />

leicht von unten in nach links gerichteter<br />

Dreiviertelansicht. Die beiden Elemente<br />

ziehen sich wie ein roter Faden<br />

durch das ganze Werk von Jeff Wall.<br />

Er steht der Street Photography nahe,<br />

macht aber keine schnellen Schnappschüsse,<br />

sondern verwendet Stativ und<br />

Grossbildkamera. Dokumentarisch<br />

sind vor allem Fotografien, zu denen<br />

er zwar akribisch den Standort, Licht<br />

und Wetterverhältnis bestimmt und<br />

abw<strong>art</strong>et, jedoch nichts verändert und<br />

nachträglich digital bearbeitet. Dies<br />

zeigt sich vorwiegend in seinen Landschaftsfotografien,<br />

zum Beispiel in<br />

The Old Prison (1987).<br />

Inszeniert sind Fotografien, bei denen<br />

Wall einen Ort und/oder eine Szene<br />

nachstellt, teils mit Schauspielern,<br />

oft aber auch mit Personen, die Tatsächlich<br />

diese Tätigkeiten ausüben. Er<br />

nennt diese Art seiner Fotografie cinematografisch.<br />

Dabei ist Wall oft inspiriert<br />

von Szenen, die er selbst gesehen<br />

hat, von Kunstwerken - Manet spielt<br />

eine zentrale Rolle - oder von Literatur.<br />

In Milk (1984) sehen wir einen Mann,<br />

der Milch in einer Papiertüte hält. In<br />

Hemd, Schuhen ohne Schnürsenkel<br />

und angespannter Haltung kauert der<br />

Mann vor einer Backsteinmauer. Alles<br />

ist still, bewegungslos, nur die ausgeschüttete<br />

Milch, die wie eingefroren in<br />

der Luft schwebt, weist auf eine Bewegung<br />

hin. So inszeniert Wall äusserst<br />

subtile Bilder, in denen der Betrachter<br />

immer eine Geschichte zu erkennen<br />

glaubt oder diese sucht.<br />

Ganz typisch für diese cinematografischen<br />

Arbeiten ist ihr Detailreichtum.<br />

In After «Invisible Man»<br />

by Ralph Ellison, the Prologue (1999-<br />

2000) stellte Wall eine Szene aus dem<br />

Roman Invisible Man von Ellison<br />

nach. Nicht nur sind die 1369 Glühbirnen,<br />

die im Roman vorkommen, aufgehängt,<br />

sondern Wall hat jedes Detail<br />

der 40er Jahre wiederaufleben lassen.<br />

In The Flooded Grave (1998-2000)<br />

benutzt Jeff Wall die digitale Technologie,<br />

um die Fotografie zu bearbeiten.<br />

Das Endresultat ist aus mehreren verschieden<br />

Fotografien zusammengesetzt:<br />

eine mit dem mit Seesternen und<br />

-igeln gefüllten Wasser im Grab, eine<br />

mit dem frisch aufgeschütteten Grab<br />

und schliesslich eine Fotografie eines<br />

Friedhofs. Das ganze wird zu einem<br />

bedrückenden Bildnis.<br />

Wie Manet von Charles Baudelaire<br />

als «peintre de la vie moderne» bezeichnet<br />

wurde, so ist dies auch Jeff<br />

Wall im Medium der Fotografie. Nicht<br />

nur seine dokumentarischen Arbeiten<br />

weisen auf das moderne Stadtleben,<br />

sondern auch gerade die cinematografischen<br />

Fotografien, die in ihrer Inszenierung<br />

sichtbar machen, pointiert<br />

hervorheben was sonst im Trubel der<br />

modernen Welt untergeht.


■ Das andere künstlerische Ereignis<br />

in der Umgebung von Basel - auch<br />

diesmal nicht im Zentrum! - ist in<br />

Riehen zu finden. Es ist immer wieder<br />

spannend, den Weg nach Riehen zur<br />

Fondation Beyeler zu machen: Ganz<br />

langsam verlässt man die Stadt Basel<br />

und gelangt Schritt für Schritt in die<br />

ländliche Gegend nahe der Grenze zu<br />

Deutschland.<br />

Die Fondation Beyeler, von Renzo<br />

Piano konzipiert, ist gerade im Vergleich<br />

mit dem Zentrum Paul Klee<br />

noch immer eine der schönsten und<br />

funktionalsten Museumsarchitekturen,<br />

die ich kenne. Form und Inhalt<br />

stimmen überein, die Räume lenken<br />

nie von den Werken ab. Bekannt ist die<br />

Fondation Beyeler aber nicht nur wegen<br />

seiner Architektur, sondern wegen<br />

den sehr populären Ausstellungen, die<br />

immer mit erstklassigen Leihgaben aus<br />

den bekanntesten Museen und Sammlungen<br />

aufw<strong>art</strong>en können. Hier zeigen<br />

sich die Kontakte, die Ernst Beyeler<br />

und der Direktor Chirstoph Vitali in<br />

ihrer Karriere geknüpft haben.<br />

Zurzeit zeigt die Fondation gleich<br />

zwei Grössen der Kunstgeschichte:<br />

Pablo Picasso und René Magritte. Picasso<br />

sieht man ja des Öfteren, er ist<br />

weniger für Überraschungen zu haben,<br />

aber dennoch ist sein Werk vielfältig<br />

wie kein anderes und immer sehenswert.<br />

Magritte kennt man ebenfalls,<br />

doch sehen kann man seine Werke<br />

dann doch eher selten, in der Schweiz<br />

konnte man 1987 in der Fondation de<br />

LʻHermitage in Lausanne die letzte<br />

grosse Ausstellung sehen. Surrealistische<br />

Werke von gleich zwei grossen<br />

Künstlern kann man in der Fondation<br />

Beyeler auf engstem Raum betrachten.<br />

Und unterschiedlicher könnten sie<br />

trotzdem kaum sein. (di)<br />

Pablo Picasso - Deformation des<br />

Körpers<br />

■ Picasso (1881 - 1973) hat sich in<br />

seiner langen Künstlerkarriere in den<br />

verschiedensten Stilen versucht. Nach<br />

seinen verschiedenfarbigen Perioden,<br />

nach dem Kubismus und einer klassizistischen<br />

Phase ist es zwischen 1924<br />

und 1934 der Surrealismus, der sich in<br />

Paris um André Breton entwickelte.<br />

Wie weit Picasso tatsächlich Surrealist<br />

ist, war schon immer fragwürdig und<br />

er selbst äusserte sich eher zwiespältig<br />

pablo picasso und rené magritte<br />

in der fondation beyeler<br />

dazu. Gerade während der Hauptphase<br />

des Surrealismus hielt sich Picasso<br />

eher auf Distanz zur surrealistischen<br />

Gruppe, seine Wirkung auf diese ist<br />

jedoch unbestritten.<br />

«Mir geht es um eine Ähnlichkeit,<br />

um eine tiefere Ähnlichkeit, die realer<br />

ist als die Realität und so das surreale<br />

erreicht.» Ausgehend von der Natur<br />

sucht Picasso diese mit Hilfe von<br />

Zeichen in Malerei zu übersetzen.<br />

Vorwiegend Porträts und Stillleben<br />

- mit ihren deformierten und dekonstruierten<br />

Gestalten - sind die zentralen<br />

Motive in der zweiten Hälfte der<br />

1920er Jahre, aber auch eine Serie von<br />

Badenden. Menschliche Formen sind<br />

nur noch Erinnerungen an die Realität,<br />

sie haben etwas Befremdliches und<br />

Abschreckendes - sogar Monströses.<br />

Geometrisch sind alle diese Gestalten,<br />

teils ganz durch farbige Fläche bestimmt,<br />

teils - wie bei den Badenden<br />

- als dreidimensionale Skulpturen auf<br />

die Fläche gemalt.<br />

Diese zentralen Werke werden ergänzt<br />

durch frühere Werke, die bereits Aspekte<br />

des Surrealismus zeigen, und<br />

durch Hauptwerke der Jahre zwischen<br />

1935 und 1939. (di)<br />

René Magritte - Der Mann mit der<br />

Melone<br />

■ Picasso ist nicht nur als Künstler<br />

weltbekannt, es ist auch alles um ihn<br />

herum, seine Liebschaften, die Anekdoten<br />

und Legenden aus seinem langen<br />

Leben. Bei René Magritte (1898<br />

- 1967) ist gerade das Gegenteilige<br />

der Fall: Kaum etwas ist aus seinem<br />

Leben bis in unsere Zeit durchgedrungen,<br />

höchstens dass der Selbstmord<br />

seiner Mutter 1912 ihm zum Trauma<br />

wurde. Und so lassen sich die Werke<br />

auch spärlich von der Biographie her<br />

interpretieren.<br />

«Die berühmte Pfeife...Man hat sie<br />

mir zur Genüge vorgehalten! Und<br />

trotzdem ... Können Sie sie stopfen,<br />

meine Pfeife? Nein, nicht wahr, sie ist<br />

nur eine Darstellung. Hätte ich also<br />

unter mein Bild >Dies ist eine Pfeife<<br />

geschrieben, so hätte ich gelogen!» So<br />

erzählt Magritte 1966 in einem Interview<br />

zu seinem Gemälde La trahison<br />

des images (1928/29). Sprachbilder,<br />

die Beziehung zwischen den Wörtern<br />

und den Dingen, Bild und Sprache,<br />

beides greift Magritte auf und zeigt<br />

deren Grenzen, zeigt den Abbildcharakter<br />

von Malerei. Der abgebildete<br />

Gegenstand wird vom Betrachter als<br />

Pfeife wahrgenommen - gerade durch<br />

Magrittes realistische Malweise - auch<br />

wenn dieser weiss: Ceci nʻest pas une<br />

pipe. So spielt Magritte mit Seh- und<br />

Wahrnehmungsgewohnheiten und<br />

acht sie sichtbar. Michel Foucault widmete<br />

1968 diesem Werk einen ganzen<br />

Aufsatz.<br />

Magritte wird als Surrealist bezeichnet,<br />

hat sich auch während seiner<br />

Zeit in Paris zwischen 1927 und 1930<br />

im Kreis der Pariser Surrealisten um<br />

André Breton aufgehalten. Doch gerade<br />

die Bedeutung von Träumen, das<br />

Aufnehmen von Unbewusstem und<br />

Automatismen fehlen bei ihm weitgehend.<br />

Veränderungen stehen im Zentrum,<br />

und gerade im Frühwerk sind es<br />

vor allem Verschiebungen und Verrückungen.<br />

Alltäglichem - simplen,<br />

unbedeutenden Objekten - wird durch<br />

ihre Isolation und ihrer scheinbar - oder<br />

eben doch nicht scheinbar! - zufälligen<br />

Zusammenstellung mit anderen, ebenfalls<br />

alltäglichen Objekten eine rätselhafte<br />

Bedeutung zugeschoben: Riesenhafte<br />

Rosenblüten und Äpfel füllen<br />

ganze Innenräume aus, Nacht und Tag<br />

erscheinen gleichzeitig und Männer<br />

in Melonen verbergen ihr Gesicht. «...<br />

das Sichtbare dieser Welt so miteinander<br />

zu verbinden, dass das Mysterium<br />

des Sichtbaren und des Unsichtbaren<br />

beschworen wird» ist Magrittes auferlegtes<br />

Ziel. Dabei steht Magritte Giorgio<br />

de Chirico weitaus näher als vielen<br />

Surrealisten. Auch dieser hat in seiner<br />

Pittura metafisica unterschiedlichste<br />

Objekte in einem nüchtern gemalten<br />

und spärlich besiedelten Bildraum<br />

zusammengeführt. Und auch Henri<br />

Rousseau, der berühmteste Zöllner,<br />

steht Magritte gerade in seiner einfachen<br />

Malweise sehr nahe.<br />

Die 95 Werke der Retrospektive in<br />

der Fondation Beyeler ziehen den Betrachter<br />

schnell einmal in ihren Bann.<br />

Magritte fasziniert und überrascht:<br />

Er bricht mit Sehgewohnheiten und<br />

thematisiert diese, besonders deutlich<br />

im Motiv des Bildes im Bild; aber es<br />

ist auch seine mysteriöse Dingwelt -<br />

aus Schellen, Holzkegeln und Äpfeln,<br />

durch die Magritte die Fragwürdigkeit<br />

und Bedrohung der Welt aufs Empfindlichste<br />

spürbar macht. (di)<br />

Weitere Informationen unter www.beyeler.com. Die Fondation<br />

Beyeler ist mit der Tram Nr. 6 ab Messeplatz erreichbar.<br />

Zu beiden Ausstellungen ist ein Katalog erschienen, je<br />

Fr. 49.-.<br />

PICASSO surreal / René Magritte<br />

Der Schlüssel der Träume<br />

Fondation Beyeler Riehen<br />

Geöffnet täglich von 10.00 - 18.00 Uhr, Mittwoch bis 20.00<br />

Uhr. Die Ausstellung Picasso surreal ist noch bis 12. September<br />

geöffnet, René Magritte - Der Schlüssel der Träume<br />

bis 27. November.<br />

27 27<br />

<strong>art</strong>ensuite


28<br />

<strong>art</strong>ensuite<br />

Andrea Loux, Andrea Crosa und Laurent Schmid: Galerie Bernhard Bischoff<br />

und P<strong>art</strong>ner AG, Speichergasse 8. Geöffnet von Mitwoch bis Freitag<br />

14.00 - 18.00 Uhr und Samstag 11.00 - 16.00Uhr oder nach Absprache. Bis<br />

24. September.<br />

Andrea Loux - Geschlossene Gesellschaft: Stadtgalerie, Hodlerstrasse 22.<br />

Progr_Zentrum für Kulturproduktion, Waisenhausplatz 30. Beide Ausstellungen<br />

sind von Mittwoch bis Sonntag 14.00 - 17.00 Uhr. Bis 11. September.<br />

Heinz Egger. Zustände. Kunstraum Oktogon, Aarstrasse 96. Geöffnet<br />

Freitag 16.00 - 19.00 Uhr und Samstag 11.00 - 15.00 Uhr. Bis 24. September.<br />

Andrea Loux - Raumgeschichten<br />

und Tischgesellschaften<br />

■ In den Einpassungen verkroch sich<br />

die in Berlin lebende Berner Künstlerin<br />

Andrea Loux (geboren 1969) in<br />

Bücherregale, Schränke, Schubladen,<br />

Möbel und andere Hohlräume. Später<br />

liess sie nicht mehr sich selbst, son-<br />

von Dominik Imhof<br />

dern andere Menschen und Körper<br />

verschwinden und mit den Räumen, in<br />

die sie eindrangen, verschmelzen. In<br />

Das Missgeschick - einer neuen Video-<br />

Ton-Installation, die in der Stadtgalerie<br />

gezeigt wir, nimmt Loux diesen<br />

Aspekt ihres Schaffens wieder auf und<br />

führt ihn weiter.<br />

In einer Doppelprojektion zeigt<br />

sie ein Wohnzimmer aus zwei Perspektiven,<br />

so dass der ganze Raum<br />

überblickbar wird. Ganz alltägliches<br />

geschieht: das Kind spielt, der Vater<br />

liest Zeitung, die Mutter bietet Süsses<br />

an. Aber alles ist aufgeladen, nicht<br />

zuletzt erotisch, besonders wenn die<br />

Farbe Rot in Form eines Gummibootes<br />

oder von Süssigkeiten auftaucht. In<br />

all diesen Momenten scheint die Situation<br />

der Explosion nahe. Doch alles<br />

Geschehene wird von den Protagonisten<br />

wieder aufgehoben, so dass man<br />

die Wiederholung dieses Loops kaum<br />

bemerkt. Deutlich zeigen sich in dieser<br />

geschlossenen Gesellschaft familiäre<br />

Rituale und Gewohnheiten, die durch<br />

die Inszenierung - auch auf der Tonebene<br />

- befremdlich und bedrückend<br />

wirken. Das alltägliche Heim wird zu<br />

einem unheimlichen Heim: zu einer<br />

Box, in die man sich verkrochen hat.<br />

Im Progr_Zentrum für Kulturproduktion<br />

ist der zweite Teil der Ausstellung<br />

Geschlossene Gesellschaft zu sehen.<br />

Jean-Paul S<strong>art</strong>res Huis Clos steht<br />

Pate, worin die Protagonisten einander<br />

zur Hölle wurden. Bei der Eröffnung<br />

zeigte Andrea Loux im Progr Roulette<br />

III, eine performative Installation.<br />

Wieder sind es Rollen und Rituale die<br />

zelebriert werden. Zusätzlich werden<br />

im Progr frühere Arbeiten gezeigt, wie<br />

Closed Circuit oder Tischgesellschaft.<br />

In der Galerie Bernhard Bischoff und<br />

P<strong>art</strong>ner AG sind ebenfalls Werke von<br />

Andrea Loux zu sehen. Die Galerie<br />

arbeitet mit Loux schon seit ihren Anfängen<br />

zusammen. Gezeigt werden<br />

Zeichnungen und Collagen in einer<br />

Gruppenausstellung gemeinsam mit<br />

Werken von Andrea Crosa (Genua)<br />

und Laurent Schmid (Bern/Genf)<br />

unter dem Titel Jumping Reality. Die<br />

Verschiebung der Realität und deren<br />

Wahrnehmung verbinden die Werke<br />

der drei KünstlerInnen. Loux arbeitet<br />

in der Serie Schatten des Alltags mit<br />

Abbildungen aus Schöner Wohnen-<br />

Katalogen der 70er, die sie in Collagen<br />

in mehrfacher Überarbeitung mit Malerei<br />

und Zeichnung verbindet. Auch<br />

hier fokussiert sie den Blick auf Räume<br />

und die darin lebenden Menschen<br />

- ganz ähnlich den Videoarbeiten.<br />

Heinz Egger - Schwarz und<br />

Weiss<br />

■ Seit knapp einem halben Jahr ist<br />

der Kunstraum Oktogon im Marzili-<br />

Qu<strong>art</strong>ier eröffnet. Zwei Liebhaber sind<br />

hier am Werk: Ferdinand Oberholzer,<br />

der Gynäkologe und Kunstsammler,<br />

und sein Sohn Simon, angehender<br />

Kunsthistoriker und Liebhaber von<br />

Druckgraphik, haben hier ihr kleines<br />

Reich aufgebaut. Einerseits soll über<br />

diesen Kunstraum die eigene Sammlung<br />

durch Verkäufe in Bewegung gehalten<br />

werden, andererseits sollen aber<br />

auch ausgewählte Künstler ausgestellt<br />

werden. Nicht der Kunsthandel steht<br />

im Mittelpunkt, denn nur die Unkosten<br />

will man mit Verkäufen decken,<br />

sondern die Liebe zur Kunst.<br />

In der aktuellen Ausstellung präsentieren<br />

sie Werke des Burgdorfer<br />

Künstlers Heinz Egger (geboren 1937).<br />

Vor allem dessen Gemälde sind bereits<br />

bekannt und Teile seines malerischen<br />

Schaffens waren in der Kunsthalle<br />

Bern im letzten Jahr in der Ausstellung<br />

Schichtarbeit zu sehen. Egger arbeitete<br />

mehrfach mit dem Schriftsteller Klaus<br />

Merz zusammen, machte aber auch<br />

Bühnenbilder für das Casino-Theater<br />

in Burgdorf und für das Stadttheater<br />

Bern. Im Oktogon sind es nun<br />

Druckgraphiken - ganz der Vorliebe<br />

von Simon Oberholzer entsprechend.<br />

Und dies ist erfreulich. Druckgraphik<br />

führt, auch wenn sie es nicht verdient<br />

hat, in der aktuellen Kunstszene doch<br />

weitgehend ein Schattendasein - oder<br />

haben Sie Druckgraphiken in der letzten<br />

Berner Weihnachtsausstellung gesehen?<br />

Wie in den Gemälden der Kunsthalle-Ausstellung,<br />

ist es auch hier die<br />

Reduktion auf Schwarz und Weiss sowie<br />

Linie und Fläche. Egger trägt mit<br />

dem Pinsel Säure zur Ätzung direkt<br />

für kurze Zeit auf die Druckplatte auf.<br />

Nach einem Druck wird die Platte in<br />

gleicher Weise weiter überarbeitet. So<br />

entstehen ganze Serien, in denen auch<br />

immer der Arbeitsprozess sichtbar<br />

wird. Die Graphiken sind nun noch<br />

mehr zu einem >Erinnerungsdepot<<br />

gworden, wie der Künstler seine kleinformatigen<br />

Gemälde nannte. Jeder<br />

Zustand birgt den vorhergenden in<br />

sich, enthält somit Vergangenheit und<br />

Erinnerungen, aber ebenso Neuheit<br />

und Veränderung. Vor allem die ersten<br />

Zustände überzeugen in ihrer Schlichtheit:<br />

nur wenige Linien und Flächen<br />

dominieren die Blätter, erreichen aber<br />

eine maximale Poesie. Zudem sind die<br />

kleinen Werke in der schlichten Hängung<br />

optimal präsentiert. Ergänzt werden<br />

die Graphiken durch zwei grossformatige<br />

Gemälde.


adikal real<br />

■ Zusammenkunft zweier Künstlergiganten:<br />

Porträts von Franz Gertsch<br />

und Chuck Close sind zurzeit in der<br />

Galerie im Park in Burgdorf zu bestaunen.<br />

Ersterer gilt als wichtigster<br />

Helen Lagger<br />

Vertreter des Fotorealismus in Europa,<br />

während der zehn Jahre jüngere<br />

Chuck Close in Amerika als Pionier<br />

derselben Stilrichtung in Amerika gilt.<br />

Trotz der Gemeinsamkeiten haben beide<br />

Künstler unterschiedliche Ansätze.<br />

Chuck Close findet seine Models vor<br />

allem im privaten Umfeld, während<br />

Franz Gertsch auch schon Stars wie<br />

Patty Smith verewigte. Chuck Close<br />

geht es in seinen Porträts weder um<br />

das Psychologisieren noch um das Herausarbeiten<br />

spezifisch menschlicher<br />

Eigenschaften, er will vielmehr die<br />

Bildfläche zerlegen und dabei wird jedes<br />

kleinste Detail minutiös gestaltet<br />

und dadurch zu einem Kunstwerk für<br />

sich. Die frühen Werke sind in Burgdorf<br />

nicht präsent, die ältesten Bilder<br />

stammen aus den Achtzigerjahren. Es<br />

handelt sich um zwei Porträts, die aus<br />

Fingerabdrücken bestehen, schlicht<br />

«Georgia» und «Leslie» genannt. Die<br />

Wahrnehmung des Betrachters wird<br />

strapaziert: Steht man zu nahe, sieht<br />

man nur noch Pixel, ähnlich einem<br />

flimmerndem Fernsehbild. Erst aus<br />

einer gewissen Distanz betrachtet, erkennt<br />

man das radikal reale Bildnis<br />

einer für den Betrachter anonym bleibenden<br />

Frau. Wir erfahren von Leslie<br />

nicht mehr, als wenn wir uns ein beliebiges<br />

Passbild ansehen würden. Anders<br />

bei Gertsch, dessen fotorealistischen<br />

Porträts den Charakter der Dargestellten<br />

offenbaren. Eine Lithografie,<br />

aus den frühen Achtzigerjahren, trägt<br />

den Titel «Tabea». Ein schönes, trotziges<br />

Gesicht geschminkt und frisiert<br />

wie es sich für diese Zeit gehörte. Ein<br />

Zeitzeugnis, das durch seine geheimnisvolle<br />

Aura besticht. Der internationale<br />

Durchbruch war Gertsch 1972 an<br />

der Documenta in Kassel gelungen. In<br />

den wilden Siebzigerjahren wurde er<br />

zu einem Chronisten der antibürgerlichen<br />

Jugendbewegung. Aus dieser<br />

Zeit stammen Porträts von Künstlern,<br />

androgynen Rockstars oder anonymen<br />

Paradiesvögeln. Nach den Momentaufnahen<br />

dieser Selbstdarsteller folgte<br />

das zeitlose Portät der unscheinbaren<br />

Silvia. Das natürliche Mädchengesicht<br />

ist keine Ikone ihrer Zeit, es spielt vielmehr<br />

überhaupt keine Rolle wann und<br />

wo das Bild aufgenommen und gestaltet<br />

wurde. Geschaffen nicht als Zeitzeuge<br />

sondern für die Ewigkeit.<br />

Franz Gertsch, der dieses Jahr 75<br />

Jahre alt geworden ist, ist seit Mitte der<br />

Achtzigerjahre in eine neue Werkphase<br />

eingetreten und hat dabei seinen Fotorealismus<br />

zum konzeptuellen Realismus<br />

weiterentwickelt. Es entstanden<br />

dabei die innovativen Holzdrucke im<br />

japanischen Stil, die Bildserie «Gräser<br />

I-IV» und das Porträt «Silvia». Wie es<br />

sich eben für einen Jahrhundertkünstler<br />

gehört, ist das Werk von Franz<br />

Gertsch zwar in verschiedene Phasen<br />

aufteilbar, ohne dass dabei aber qualitative<br />

Höhen und Tiefen festzumachen<br />

wären. Vielmehr lässt sich eine kon-<br />

tinuierliche Auseinandersetzung mit<br />

der Abbildung der Realität feststellen.<br />

Die Konfrontation mit übersteigerter<br />

Realität erlebt der Betrachter sowohl<br />

bei Franz Gertsch wie auch bei Chuck<br />

Close. Schliesslich war der Fotorealismus<br />

eine Gegenreaktion zur Minimal-<br />

und Konzeptkunst, der es vor allem<br />

darum ging, die Realität mit so wenig<br />

Form, Farbe und Linie wie möglich<br />

darzustellen. Im Gegensatz dazu ging<br />

es den Fotorealisten darum, die Fakten<br />

möglichst neutral wiederzugeben<br />

ohne dabei das Dargestellte subjektiv<br />

zu interpretieren. Das Bild soll nicht<br />

als gemalt erkannt werden, sondern<br />

in fotografischer Sehschärfe auf den<br />

Betrachter wirken. Ein nach wie vor<br />

faszinierender Ansatz, denn letztlich<br />

ist Kunst immer auch Synonym von<br />

Illusion.<br />

Chuck Close – Franz Gertsch<br />

Galerie im Park in Burgdorf<br />

Bis am 23 Oktober 2005<br />

29<br />

<strong>art</strong>ensuite


30<br />

<strong>art</strong>ensuite<br />

GALERIEN IN BERN<br />

Altes Schlachthaus<br />

Metzgergasse 15, 3400 Burgdorf // Tel: 034 422 97 86<br />

annex14 - Galerie für zeitgenössische Kunst<br />

Junkerngasse 14 3011 Bern // Tel 031 311 97 04<br />

Mi - Fr 13:00-18:30 / Sa 11:00-16:00 h<br />

Jun Yang<br />

10.09.05 - 22.10.05<br />

Artdirekt<br />

Herrengasse 4 // Tel 031 312 05 67<br />

Di - Fr 14:00-18:30 / Sa 11:00-16:00 h<br />

Christina Priska Oldani 13.08.05 bis 17.09.05<br />

Art + Vision<br />

Junkerngasse 34 3011 Bern // Tel 031 311 31 91<br />

Di - Fr 14:00-19:00 / Do 14:00-21:00 / Sa 11:00-16:00 h<br />

Werner Otto Leuenberger<br />

24.09.05 - 29.10.05<br />

Artraktion<br />

Hodlerstrasse 16 3011 Bern // Tel 031 311 63 30<br />

Do - Fr 15:00-18:00 / Sa 10:00-16:00 h<br />

Heidi-Mathys Keller 27.08.05 bis 23.09.05<br />

Bernhard Bischoff & P<strong>art</strong>ner<br />

Speichergasse 8 3011 Bern // 031 312 066 66<br />

18:00-20:00<br />

Andrea Crosa, Andrea Loux, Laurent Schmid:<br />

«Jumping Reality»<br />

19.08.05 - 24.09.05<br />

FRI-ART<br />

Petites-rames 22, 1701 Fribourg<br />

Galerie 25<br />

2577 Siselen, Bern // Tel: 032 396 20 71<br />

Fr, Sa & So 14-19h<br />

Alles nur Menschen<br />

Objekte & Bilder<br />

28.08.05 - 09.10.05<br />

Galerie 849 MüM<br />

Gurten-Park im Grünen 3084 Wabern // Tel 076 386 3012<br />

Betriebsöffnungszeiten<br />

Galerie Bis Heute<br />

Amthausgasse 22 3011 Bern // Tel 031 311 7877<br />

Do-Fr 14-18:30h & Sa 11-16h<br />

David de Tscharner<br />

27.08.05 - 24.09.05<br />

Galerie Tom Blaess<br />

Uferweg 10 3018 Bern // Tel 079 222 46 61<br />

Jeden Sonntag 12:00-17:00 h<br />

Galerie Christine Brügger<br />

Kramgasse 31 3011 Bern // Tel 031 311 90 21<br />

Di - Fr 14:00-18:30 / Sa 11:00-16:00 h<br />

Adi Mattli<br />

12.08.05 - 03.09.05<br />

Galerie Beatrice Brunner<br />

Nydeggstalden 26 3011 Bern // Tel. 031 312 40 12<br />

Mi und Fr 14:00-18:00 / Do 14:00-20:00 / Sa 11:00-16:00 h<br />

Galerie g26.ch<br />

Brunngasse 26 3011 Bern // Tel 031 311 84 17<br />

Besichtigung nach Vereinbarung<br />

Khalil El Ghrib (Gharib)<br />

Galerie Margit Haldeman<br />

Brunngasse 14 3011 Bern // Tel 031 311 56 56<br />

Mi 11:30-18:30 / Do - Fr 14:30-18:30 / Sa 11:00-16:00 h<br />

Gertrud Guyer Wyrsch & Jörg Mollet<br />

25.08.05 - 24.09.05<br />

Galerie Henze & Ketterer<br />

Kirchstrasse 26 3114 Wichtrach // Tel 031 781 06 01<br />

Di - Fr 10:00-18:00 / Sa 10:00-16:00 h<br />

Eduard Bargeheer, Katharina Büche, Max Peiffer Watenphul<br />

20.08.05 bis 12.11.05<br />

Neue Wilde<br />

20.08.05 - 12.11.05<br />

Vom 18. - 26.09.05 ist die Galerie geschlossen<br />

ESPACE Indigo<br />

Stauffacher Buchhandlung 3011 Bern // Tel 0844 88 00 40<br />

Ladenöffnungszeiten<br />

Kunstraum Kabinett<br />

Gerechtigkeitsgasse 72/74 3011 Bern // Tel 031 312 35 01<br />

Do - Fr 14:00-19:00 / Sa 11:00-16:00 h<br />

Inga Häusermann & Chantal Michel<br />

bis 20.02.06<br />

Käfigturm Bern<br />

Bärenplatz 3011 Bern<br />

Mo - Fr 08:00-18:00 / Sa 10:00-16:00 h<br />

Swiss Press Photo<br />

04 26.08.05 bis 1.10.05<br />

Galerie Kornfeld<br />

Laupenstrasse 41 3001 Bern // Tel 031 381 46 73<br />

Mo - Fr 14:00-17:00 / Sa 10:00-12:00 h<br />

Galerie im Park<br />

Technikumstr. 2, 3400 Burgdorf<br />

Do-Fr 14-19h & Sa-So 12-17h<br />

Chuck Close - Franz Gertsch<br />

19.08.05 - 23.10.05<br />

Galerie Roseng<strong>art</strong>en<br />

Bälliz 64, 3600 Thun // Tel: 033 223 12 42<br />

Kornhausforum - Forum für Medien und Gestaltung<br />

Kornhausplatz 18 3011 Bern // Tel 031 312 91 10<br />

Mannsbilder. 27.08.05 bis 02.09.05<br />

Michel Bührer. 08.09.05 - 24.09.05<br />

Die Kunst von Licht & Architektur. 28.09.05 - 09.10.05


Marks Blond Project r.f.z.k.<br />

Ecke Freiestrasse/Muesmattstrasse 3008 Bern<br />

Fr - Di Mittag<br />

Young-en Huh 01.09-06.09<br />

Pamela Rosenkranz 08-09-13.09<br />

Galerie M<strong>art</strong>in Krebs<br />

Münstergasse 43 3011 Bern // Tel 031 311 73 70<br />

Di - Fr 14:30-18:30 / Sa 10:00-14:00 h<br />

Urs Brunner (Titelseite Agenda in diesem Heft)<br />

mare mediterraneum<br />

25.08.05 - 15.10.05<br />

Galerie Spontan<strong>art</strong><br />

Marktgasse 19, 3177 Laupen<br />

Kunstkeller Bern<br />

Gerechtigkeitsgasse 40 3011 Bern // Tel 031 311 86 30<br />

Mo - Fr 15:00-18.30 / Do 15:00-19:00 / Sa 14:00-17:00 h<br />

Regula Gahler, Johanna Huguenin, Lekou Meyr.<br />

20.08.05 bis 17.09.05<br />

ONO Bühne Galerie Bar<br />

Gerechtigkeitsgasse 31 3011 Bern // Tel 031 312 73 10<br />

Fr und Sa 13:00-17:00 h - Nachtgalerie: Mi - Sa ab 22:00 h<br />

Wojtek Klakla<br />

01.09.05 - 30.09.05<br />

Galerie Francesca Pia<br />

Münstergasse 6 3011 Bern // Tel 031 311 73 02<br />

Mi - Fr 14:30-18:00 / Sa 10:00-14:00 h<br />

Galerie Ramseyer & Kaelin<br />

Junkerngasse 1 3011 Bern // Tel 031 311 41 72<br />

Mi - Fr 16:00-19:00 / Sa 13:00-16:00 h<br />

Dieter Leuenberger<br />

30.08.05 - 24.09.05<br />

Kunstreich<br />

Gerechtigkeitsgasse 76 3011 Bern // Tel 031 311 48 49<br />

Mo - Fr 09:00-18:30 / Do 09:00-20:00 / Sa 09:00-16:00 h<br />

Walter Divernois<br />

11.08.05 bis 03.09.05<br />

Manu Wurch<br />

08.09.05 - 22.10.05<br />

Kunstraum Oktogon<br />

Aarstrasse 96, 3005 Bern<br />

Heinz Egger<br />

bis 31.08.05<br />

PROGR - Showroom<br />

Andrea Loux<br />

bis 11.09.05<br />

R A U M<br />

Militärstrasse 60, Bern<br />

Mi-Fr 16-19h & Sa 12-16h<br />

Italien zu Gast im raum!<br />

26.08.05 - 16.09.05<br />

Galerie Rigassi<br />

Münstergasse 62 3011 Bern // Tel 031 311 69 64<br />

Di - Fr 14:30-18:30 / Sa 10:30-14:30 h<br />

Teres Wydler<br />

Einstein & Da Vinci, 10 Bilder zur Wissenschaftsgeschichte<br />

25.08.05 - 03.09.05<br />

Stadtgalerie<br />

Hodlerstr. 22 + 24A 3011 Bern // Tel 031 311 43 35<br />

Mi+Fr 16:00-18:30 / Do 16:00-20:00 / Sa+So 13:00-16:00 h<br />

Andrea Loux 13.08.05 bis 09.09.05<br />

c/o Suti Galerie<br />

Lorrainestrasse 21 3011 Bern // Tel 031 331 24 51<br />

Do - Fr 14:00-18:00 / Sa + So 13:00-16:00 h<br />

Treppenhausgalerie Loeb<br />

Spitalgasse 47-51 3011 Bern / Tel 031 320 71 11<br />

Ladenöffnungszeiten<br />

Galerie UFO<br />

Brunngasse 60 3011 Bern<br />

Galerie Vita<br />

Taubenstrasse 32 3011 Bern // Tel 031 312 03 08<br />

Mi - So 13:00-18:00 h und nach Vereinbarung<br />

20 Jahre Galeria Vita 14.08.05 bis 25.09.05<br />

Künstlerhaus Vögeli W. & M.<br />

Postgasse 20, 3006 Bern<br />

Walter Vögeli<br />

Bilder 1950 bis Heute<br />

Vernissage: 22.09.05 ab 18h<br />

Offen: Fr 22.09 & Sa 24.9.05 16-19h<br />

Schmuckgalerie Zebra<br />

Junkerngasse 32 3011 Bern<br />

Fr 13:00-17:00 / Sa 12:00-17:00 h<br />

Galerie 67<br />

Belpstrasse 67 3007 Bern // Tel 031 371 95 71<br />

Mo 13:30-18:30 / Di - Fr 09:00-18.30 / Sa 09:00-12:00 h<br />

W<strong>art</strong>saal 3<br />

Helvetiaplatz 3 Bern<br />

Verein Berner Galerien im PROGR_:<br />

Christina Priska Oldani 13.08.05 bis 17.09.05<br />

31<br />

<strong>art</strong>ensuite


32<br />

L E T Z T E L U S T S E I T E Hinweis: Die Texte auf der letzten Lustseite sind nicht<br />

ganz jugendfrei. Wir bitten die LeserInnen unter 18 Jahren,<br />

diese Texte aufzubewahren und erst bei bei voller<br />

Reife zu lesen.<br />

■ was freunde zum thema «welches sexerlebnis ist dir<br />

am stärksten in erinnerung geblieben?» meinen:<br />

_bei diesem einen unglaublichen orgasmus fand ich<br />

mich plötzlich in japan wieder. es regnete kirschblüten<br />

und im nebel konnte man einen tempel ahnen. die sonne<br />

ging auf, ein gong ertönte und die wildgänse japans<br />

fl ogen hoh am himmel vorbei. ich fühlte mich gelöst wie<br />

noch nie und die gänse waren gänse der freiheit (l. weiblich).<br />

_ich konnte nicht mehr an mich halten und so habe<br />

ich sie von hinten gepackt. sie war am abwaschen. ich<br />

habe ihr kleid hochgeschoben und ihren slip runtergezogen.<br />

ich dachte nicht an schreiende kinder und auch<br />

sonst dachte ich nichts. ich habe sie über das spülbecken<br />

gebeugt und sie genommen. es war der geilste<br />

fi ck, den wir je hatten (b. männlich).<br />

_wir lagen im hohen gras und der sommer war schon<br />

fast vorbei. die wenigen leute, die da durchliefen, die<br />

konnten uns nicht sehen. mein kleid war kornblau und<br />

aus seide und der wind strich durch das gras. wir hätten<br />

uns gerne geliebt, aber wir waren viel zu jung (m. weiblich).<br />

_schon seit seit der ersten begegnung reizte sie<br />

mich. sie war schwierig, ja schon fast mühsam und doch<br />

irgendwie sinnlich und anziehend. nach einer seltsamen<br />

verabschiedung an einem bahnhof wussten wir beide,<br />

dass noch eine fortsetzung kommen würde. monate<br />

später dann hat sie die initivative ergriffen: sie nahm<br />

mich während einem fest an der hand und führte mich<br />

in ihre wohnung. wir duschten und dann lagen wir beisammen.<br />

sie nahm mich vorsichtig und zärtlich in den<br />

mund. wir fi elen ins sexraumzeitloch. sie schluckte alles<br />

ohne ekel runter, lachte mich an und zusammen gingen<br />

■ interwerk gmbh<br />

kulturconsulting kulturmanagement kulturvermittlung.<br />

www.interwerk.ch<br />

sandrainstrasse 3 3007 bern +41 (0)31 318 6050<br />

wir wieder an das fest. danach hatte ich nie mehr näheren<br />

kontakt mit ihr, heute grüssen wir uns, wenn wir uns<br />

sehen (o. männlich).<br />

_am morgen, vor der arbeit, schlief ich mit j. es war<br />

göttlich, einer dieser wunderorgasmen, die einem weiche<br />

züge ins gesicht zeichnen und den hüftschwung locker<br />

machen. dann, in der mittagspause traf ich g.: wir<br />

schauten uns pornografi sche comics an und spielten<br />

eines davon nach. wir benutzten alle möglichen gegenstände<br />

in seiner wohnung als spielzeug, wir penetrierten<br />

jede öffnung und wir schwitzten und stöhnten und<br />

hatten tolle orgasmen. danach traf ich a. er leckte mich<br />

und dieser orgasmus war der schönste meines lebens.<br />

vielleicht weil ich schon so erfüllt war, oder noch nass<br />

vom letzten mann, ich weiss es nicht (f. weiblich).<br />

_ich hatte schon tausendmal von ihr geträumt, bei<br />

tag und bei nacht. ich hatte sie mir vorgestellt und immer<br />

gewusst, sie würde nie was von einem wie mir wollen.<br />

an einem späten abend mit viel wein blieb sie bei<br />

mir, in meinem bett. ich lag wach und tat nichts. ich bewachte<br />

ihren schlaf, ich lauschte ihrem atem, ich schaute<br />

sie an und ich deckte sie zu, wenn mir schien sie habe<br />

kalt. der mond schien in mein zimmer und ich liebte sie<br />

so sehr, dass es schmerzte. sie ist am morgen gegangen<br />

und aus meinem leben verschwunden. manchmal meine<br />

ich, sie mitten in einer menschenmenge zu sehen. aber<br />

bisher war es noch nie wirklich sie (h. männlich)<br />

_dann hat er mich noch näher an den baumstrunk<br />

gedrückt und ich spürte die härte der rinde. mein rock<br />

war hochgeschoben und unsere körper rieben sich aneinander.<br />

seine hände spielten mit meinen brüsten und<br />

sein geruch und sein atem umhüllte mich wie eine weiche<br />

decke. wir mussten auf spaziergänger, jogger und<br />

hundebesitzer achten. ich spürte ihn so sehr in diesem<br />

moment! jedes mal, wenn ich es mir selber mache, stelle<br />

ich mir vor er wäre dort im wald in mich gekommen.<br />

mit den fi ngern, mit seinem schwanz, mit seiner zunge,<br />

immer und immer wieder (a weiblich).<br />

_wir lagen in diesem viel zu grossem bett, in einer<br />

fremden wohnung an einem fremden ort. ich hatte noch<br />

nie eine frau gestreichelt und ich war total nervös. ich<br />

wollte sie unbedingt berühren. ich kam mit dem bh nicht<br />

zurecht, mit dem jeansreissverschluss auch nicht und<br />

meine fi nger zitterten und ein speichelfaden lief mir aus<br />

dem mundwinkel. und dann war es noch viel unglaublicher<br />

als ich es mir vorgestellt hatte: ihre weichheit, ihre<br />

nässe, ihre hitze (h. männlich).<br />

_wir haben uns nie berührt, aber die luft zwischen<br />

uns war so dicht, so aufgeladen, so heiss, dass wir dies<br />

auch nicht wollten. weisst du, manchmal reicht dieses<br />

besondere gefühl, dass der andere dich anschaut und<br />

jede deiner berührungen wie an sich selber spürt, um<br />

einen kokon der sexualität um dich zu spannen. manchmal<br />

reicht ein blick um dich sofort feucht zu machen.<br />

er? bei ihm ist es wohl genau gleich – er sieht mich, er<br />

erkennt mich und er wird steif. das geht seit jahren so.<br />

und es ist aufregender, als wenn wir es je ausleben würden!<br />

(e. weiblich)<br />

_der beste sex? mein gott, wen oder was soll ich da<br />

nennen? wenn ich frei habe, solo bin und an einer bar<br />

rumhänge, dann treffe ich immer eine frau die auch<br />

will. ich vögle oder lecke sie und manchmal leckt auch<br />

sie mich und jedesmal ist es geil. alle riechen anders<br />

und das spiel ist immer neu und aufregend. jede dieser<br />

nächte ist einmalig und bleibt mir als beste aller möglichen<br />

nächte in erinnerung! (k. männlich). (vonfrau)<br />

impressum<br />

ensuite – kulturmagazin erscheint monatlich als Gratis- und Abonnentzeitung.<br />

Aufl age: 10‘000 / davon 1‘300 Aboversand Adresse: ensuite<br />

– kulturmagazin; Sandrainstrasse 3; 3007 Bern; Telefon 031 318 6050;<br />

AUGUSTl: redaktion@ensuite.ch Herausgeber: Verein WE ARE, Bern Redaktion:<br />

Lukas Vogelsang (vl); Stephan Fuchs (sf); Anna Vershinova (av)/<br />

Klaus Bonanomi, Jean-Luc Froidevaux (jlf), Helen Lagger, Isabelle<br />

Lüthy, Till Hillbrecht (th), Andy Limacher (al), M<strong>art</strong>a Nawrocka (mn),<br />

Eva Mollet, Eva Pfi rter, Sarah Stähli (ss), Simone Wahli (sw), Sarah Elena<br />

Schwerzmann (ses); Sandra D. Suter, Sonja Wenger (sjw), Vonfrau (Redaktion)<br />

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bewegungsmelder, Bern, allevents, Biel; ensuite - kulturmagazin<br />

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Bern Druck: Fischer AG für Data und Print Vertrieb: Gratisaufl age an<br />

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Redaktionelle Themenhinweise (nicht Agendaeinträge!) erwünscht<br />

bis zum 11. des Vormonates. Über die Publikation entscheidet<br />

die Redaktion. Bildmaterial digital oder im Original beilegen.<br />

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Redaktionsschluss der Ausgabe ist jeweils am 20. des Vormonates.<br />

(siehe auch www.ensuite.ch - menü: veranstalter)<br />

Die Redaktion ensuite - kulturmagazin ist politisch, wirtschaftlich<br />

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