Projekt Liturgie - Moodle am Richard-Wossidlo-Gymnasium ...
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<strong>Projekt</strong> <strong>Liturgie</strong><br />
„Die eigentliche Schule der Manieren ist die <strong>Liturgie</strong>“, äußerste einst ein französischer Moralist 1 . Das<br />
<strong>Projekt</strong> <strong>Liturgie</strong> ist aus einem seit 2005 <strong>am</strong> <strong>Richard</strong>-<strong>Wossidlo</strong>-<strong>Gymnasium</strong> Ribnitz-D<strong>am</strong>garten<br />
erwachsenen <strong>Projekt</strong>kurs hervorgegangen (s. 2.). <strong>Projekt</strong>kurse gibt es an den Schulen Mecklenburg-<br />
Vorpommerns nicht mehr, dennoch sind manche <strong>Projekt</strong>e so sinnvoll, dass sich ihre Weiterführung<br />
lohnt. Das <strong>Projekt</strong> <strong>Liturgie</strong> gehört dazu.<br />
Mittwoch, 13.45 – 15.15 Uhr, Raum 210<br />
1. Pädagogische Begründung<br />
Die Diskussion um liturgische Elemente und Rituale – das liturgische Lernen - hat sich in der<br />
religionspädagogischen Fachliteratur der letzten Jahre wieder verstärkt 2 . Die über ein Jahrtausend<br />
selbstverständliche Verbindung von schulischer Bildung und <strong>Liturgie</strong> wurde in der<br />
Religionspädagogik mit dem Konzept eines hermeneutischen Religionsunterrichts in den 60er Jahren<br />
aufgelöst. Mit der „Gymnasialisierung des Schulwesens“ 3 gerieten sinnliche Wahrnehmung und<br />
ritueller Vollzug aus dem Blick.<br />
Im Blick auf die „Bedeutung von <strong>Liturgie</strong> für religiöses Lernen“ 4 nennt Christian Grethlein drei<br />
Gesichtspunkte:<br />
- Einmal ist es „die große Bedeutung rituellen Verhaltens für Menschen als eines eigenständigen<br />
Bereichs neben dem reflexiv-argumentativen und dem ethisch-orientierenden [...] . Hier finden<br />
Hoffnungen und Ängste ihren Ausdruck, ein psychohygienisch gebotener Vorgang.“ 5<br />
- „Pädagogen weisen nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Entwicklung der Mediengesellschaft<br />
auf die Bedeutung ganzheitlichen, also alle Sinne und vielfältige Ausdrucksformen umfassenden<br />
Lernens für die Persönlichkeitsentwicklung hin.“ 6<br />
- Grundlage und Ziel theologischer Reflexion ist der Gottesdienst, in dem die Theologie ihren<br />
Ursprung hat. „So legt sich religionsdidaktisch eine nicht sogleich distanzierende, sondern ein-<br />
und hinführende Beschäftigung mit liturgischen Vollzügen nahe.“ 7<br />
Im schulischen Religionsunterricht ist das Thema Gottesdienst und liturgisches Lernen bis hinein in<br />
neue Schulbücher wieder mehr in den Vordergrund gerückt 8 . Das neue Evangelische Gesangbuch (seit<br />
1994) hat sich dabei bereits als hervorragendes Begleitbuch für den Unterricht quer durch alle<br />
Klassenstufen bewährt. In anderen Religionen gehört das praktische Ausüben der Religion ganz<br />
selbstverständlich zum Religionsunterricht.<br />
Als Gründe, warum über den Zus<strong>am</strong>menhang von <strong>Liturgie</strong> und religiösem Lernen in der<br />
Religionspädagogik neu nachgedacht wird, nennen Bärbel Husmann und Thomas Klie 9 (Professor für<br />
Praktische Theologie an der Universität Rostock) folgende Gründe:<br />
1) Probehandeln. Typisches Probehandeln ist das Unterrichtsexperiment, bei dem die Schüler<br />
Wissen über die Funktionsweisen naturwissenschaftlicher Zus<strong>am</strong>menhänge erwerben. Religion ist<br />
„immer eingelagert in bestimmte Gebrauchszus<strong>am</strong>menhänge“ und „hat gestaltbare<br />
1 Erhard Domay (Hg.), Neue Gottesdienstgebete, Gütersloh 2005, 113<br />
2 Einen Überblick bietet u. a. der S<strong>am</strong>melband von Michael Wermke (Hg.), Rituale und Inszenierungen in Schule und Unterricht, Münster<br />
2 2000<br />
3 Christian Grethlein, Liturgische Elemente?, in: Ad<strong>am</strong>/Lachmann (Hg.), Methodisches Kompendium für den Religionsunterricht 1:<br />
Basisband, Göttingen 4 2002, 382<br />
4 Grethlein, ebenda, 384<br />
5 Grethlein, a. a. O.<br />
6 Grethlein, a. a. O.<br />
7 Grethlein, ebenda, 385<br />
8 s. z. B. Das Kursbuch Religion 3, Stuttgart/Frankfurt/M. 2007, 108<br />
9 Bärbel Husmann/Thomas Klie, Gestalteter Glaube. Liturgisches Lernen in Schule und Gemeinde, Göttingen 2005, 12-16<br />
1
Außenseiten“ 10 . In der probeweisen Aneignung und Gestaltung eines Gottesdienstes (Gesten,<br />
Haltungen, Wahrnehmung des Raumes) ist dieses Probehandeln auch im Religionsunterricht<br />
möglich.<br />
2) Inszenierung. Das Probehandeln wird für alle „in Szene“ gesetzt. „Religiöses Lernen muss sich<br />
also nicht nur deshalb der Religionsästhetik zuwenden, weil gut inszenierte Religion ansehnlicher<br />
ist, sondern vor allem deshalb, weil die Formgebung konstitutiv zum Evangelium dazu gehört. Es<br />
gibt die Botschaft nicht jenseits der Formen, in denen sie sich vernehmbar macht. Liturgisches<br />
Lernen ist – aus theologischen Gründen – zuerst ästhetisches Lernen. Dazu gehört, dass<br />
Schülerinnen und Schüler Sprechen, Gehen und Handlungen im gottesdienstlichen Raum in den<br />
Blick nehmen.“ 11<br />
3) Aneignung. Im Beten, Singen und Feiern des Abendmahls finden sich besondere Formen der<br />
Aneignung, die zudem im Spannungsfeld zwischen einem individuellen Vollzug und dem<br />
Handeln in der Gemeinschaft (in der Gemeinde) steht. Ein „Lernen im Gleichschritt“ wird d<strong>am</strong>it<br />
vermieden.<br />
4) Learning by Doing. Das ist nicht Aktivität als Selbstzweck, sondern das S<strong>am</strong>meln von<br />
Erfahrungen. Erfahrungen können einen Menschen verändern, wenn sie aus einer Beziehung<br />
hervorgehen, z. B. zu den liturgischen Elementen einer gelebten Religion.<br />
5) Lernen von außen nach innen. Hier geht es darum, die Formen der <strong>Liturgie</strong> zu nutzen, auch und<br />
gerade dann, wenn sie nicht gefüllt werden können. Rituale werden von den Ausführenden<br />
getragen, aber das Ritual trägt auch sie über manche „geistlichen“ Durststrecken hinweg.<br />
Rudi Lentner 12 nennt zwei „Ziele liturgischen Lernens in der Schule“. „Liturgisches Lernen in der<br />
Schule ist sinnvoll, weil es<br />
• <strong>Liturgie</strong>fähigkeit der Schülerinnen und Schüler im Sinne einer liturgischen Propädeutik [...]<br />
anbahnt.<br />
• Schülerinnen und Schüler befähigt, im kreativen Umgang mit festen und freien Formen selbst<br />
<strong>Liturgie</strong> zu gestalten.“<br />
Im Bereich der fachbezogenen Dialog- und Diskurskompetenz formuliert der „Rahmenplan<br />
Evangelische Religion – Kerncurriculum für die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe“<br />
(Mecklenburg-Vorpommern 2006): „Die Schülerinnen und Schüler [...] entwickeln durch z. B.<br />
probeweise Teilhabe an religiöser Praxis Achtung und Respekt gegenüber religiösen Ausdrucksformen<br />
und den dahinter stehenden Glaubensüberzeugungen und machen diesen Respekt im Diskurs<br />
sichtbar.“ 13 Als praktische Konsequenzen, die sich aus diesem Ansatz ergeben, nennt Christian<br />
Grethlein: „Allerdings erfährt jede(r), der/die liturgische Elemente im RU einführt und behandelt, dass<br />
dies tendenziell den Rahmen der fünfundvierzigminütigen Unterrichtsstunde sprengt. Das entspricht<br />
den Erfahrungen in anderen Schulfächern, die innerhalb des Konzeptes ‚Praktisches Lernen‘ arbeiten.<br />
Liturgische Elemente weisen zum einen in ihrem biblisch gegebenen Bezug auf den Alltag über die<br />
Schule hinaus.“ 14<br />
„In einer Zeit, die einem guten Schulabschluss große Bedeutung zumisst, sind Orte wichtig, an denen<br />
der Schule der letzte Ernst genommen und ihre Vorläufigkeit ausgedrückt wird.“ 15<br />
Grundlegend spielen außerdem weitere Gedanken in die Fortsetzung eines <strong>Projekt</strong>es <strong>Liturgie</strong> hinein.<br />
• Zum einen ist es der Versuch, den immer wieder auf Schleiermacher zurückgeführten Graben<br />
zwischen „gelehrter und gelebter Religion“ zu überwinden. Die einseitige Beschränkung im<br />
Unterricht auf vorrangig kognitive Lernformen könnte so überwunden, ein Schritt zu<br />
ganzheitlichen Lernformen getan werden.<br />
• Zum anderen ist es der von Martin Luther eingebrachte Grundsatz des „allgemeinen Priestertums<br />
aller Getauften“. Die Verwirklichung dieses Grundsatzes fordert nicht Beteiligung, sondern nach<br />
10<br />
Husmann/Klie, ebenda, 13<br />
11<br />
Husmann/Klie, ebenda, 14<br />
12<br />
Rudi Lentner, Liturgisches Lernen in der Schule, in: Ludwig Rendle (Hg.), Ganzheitliche Methoden im Religionsunterricht, München<br />
2007, 249<br />
13<br />
Kerncurriculum Evangelische Religion, hg. vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Schwerin 2006, 9<br />
14<br />
Christian Grethlein, Liturgische Elemente?, in: Ad<strong>am</strong>/Lachmann (Hg.), Methodisches Kompendium 1, 392<br />
15 Grethlein, ebenda, 390<br />
2
evangelischem Verständnis Partizipation. „Selbständiger Glaube und selbstverantwortliches<br />
Handeln sind bei Beteiligungen nicht unbedingt intendiert. Partizipation als Strukturprinzip<br />
eröffnet hingegen nicht nur die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Teilnahme und Teilgabe.<br />
Sie fördert Delegationen auf Augenhöhe und wirkt d<strong>am</strong>it ‚der Bildung von einseitigen Privilegien<br />
schon strukturell entgegen‘.“ 16 Wie sich dieser Ansatz gesellschaftlich nachhaltig ausgewirkt hat,<br />
hat Hans-Martin Barth verdeutlicht: „Mit Händen zu greifen scheinen die Verbindungen zwischen<br />
der Rede vom allgemeinen Priestertum der Glaubenden und der Entstehung der neuzeitlichen<br />
Demokratie: Der einzelne wird wahrgenommen als Träger von Rechten und Pflichten, beides hat<br />
er zu aktualisieren in Form von Partizipation oder auch von Delegation. Die Herausarbeitung der<br />
Menschenrechte gehört in diesen Zus<strong>am</strong>menhang, natürlich insbesondere in deren individueller<br />
Interpretation.“ 17 Diese „Wendung zum Subjekt“ (Kant) findet sich bereits bei Luthers Berufung<br />
auf die Freiheit des Gewissens vor dem Reichstag in Worms 1521. Daraus erwuchs dann die<br />
heutige, im Grundgesetz verankerte Gewissens-, Glaubens- und Bekenntnisfreiheit 18 . Dies macht<br />
die auch gesellschaftlich weitreichenden Dimensionen einer liturgischen Bildung deutlich.<br />
• „Dazu kommt die Beobachtung, dass Jugendliche auf jeden Fall ritualisierte Ausdrucksformen<br />
suchen, und seien es obskure, okkulte Praktiken. Deren Inhalte [...] können aber die Entwicklung<br />
der Jugendlichen empfindlich stören.“ 19<br />
Zum letzten Punkt bezieht Christoph Bizer energisch Position: „Die kirchenkritische gymnasiale<br />
Religionslehrerschaft mit ihrer theologischen Kompetenz muss den Schülern und Schülerinnen über<br />
den Religionsunterricht fürs Erste zumindest dies deutlich machen, dass sie von der christlichen<br />
Religion das Wesentliche nicht mitbekommen“ 20 , wenn sie liturgische Elemente im<br />
Religionsunterricht ausblendet. Das verdeutlicht er <strong>am</strong> Beispiel der „geistlichen Verlassenheit der<br />
Betroffenen“ 21 und ihrer Sprachlosigkeit nach Eintreten eines Todesfalls. „Es ist unschätzbar viel<br />
geleistet, wenn der Religionsunterricht zeigt, in welcher Richtung die individuelle Verarbeitung von<br />
Sterben und Tod christlich gehen kann.“ 22<br />
Als pädagogisches Ziel eines zeitgemäßen Religionsunterrichts schlägt Christian Grethlein „die<br />
Befähigung zum Christsein“ 23 vor. „Das bedeutet nicht, dass die Schülerinnen und Schüler im<br />
Religionsunterricht zu Christen werden sollen, was weder pädagogisch noch theologisch zu<br />
bewerkstelligen ist.“ 24 Vielmehr: „Religionsunterricht eröffnet den Kindern und Jugendlichen die<br />
Möglichkeit, Christsein als eine attraktive, das Leben in umfassender Weise erschließende Praxis<br />
kennen zu lernen. Dadurch werden sie zum einen befähigt, sich verantwortlich hinsichtlich ihrer<br />
Daseins- und Wertorientierung zu entscheiden, zum anderen andere Menschen zu verstehen, die ihr<br />
Leben wesentlich aus christlichen, ja im weiteren Sinne religiösen Motiven gestalten.“ 25<br />
Als zentral für den RU bezeichnet Grethlein das „Beten und Gesegnet-Werden“. „Eine genauere<br />
Analyse des zum Christsein Notwendigen, also des Betens und Gesegnet-Werdens (bzw. Segnens)<br />
zeigt, dass hierzu zumindest drei Voraussetzungen gehören:<br />
- gewisse Kenntnisse der christlichen Überlieferung, vor allem der Bibel,<br />
- die lebensfördernde Erschließung des Alltags mit seinen Problemen durch die christliche<br />
Perspektive,<br />
- die Kommunikation mit Gott als Grund und Ziel des eigenen Lebens.“ 26<br />
Daraus folgert Christian Grethlein: „Schülerorientierter Unterricht hat die wichtige Aufgabe,<br />
Heranwachsenden eine verantwortliche Partizipation an Kultur und Gesellschaft zu ermöglichen.<br />
Für die Praxis Religion heißt dies konkret, Heranwachsende dazu zu befähigen, an solchen<br />
Gottesdiensten mit Gewinn teilnehmen zu können.“ 27<br />
16<br />
Karl Foitzik, Beteiligungsgemeinde? Partizipation auf evangelisch, in: Mildenberger/Ratzmann, Beteiligung?, 27<br />
17<br />
Hans-Martin Barth, Einander Priester sein. Allgemeines Priestertum in ökumenischer Perspektive, Göttingen 1990, 17<br />
18<br />
s. dazu Hans-Werner Dannowski u. a. (Hg.), Sachwissen Ethik, Göttingen 1993, 43f.<br />
19<br />
Grethlein, Liturgische Elemente?, in: Ad<strong>am</strong>/Lachmann, Methodisches Kompendium 1, 391<br />
20<br />
Christoph Bizer, „<strong>Liturgie</strong>“ als religionsdidaktische Kategorie, in: Jörg Neijenhuis (Hg.), <strong>Liturgie</strong> lernen und lehren, Leipzig 2001, 116<br />
21<br />
Bizer, ebenda<br />
22<br />
Bizer, ebenda, 115<br />
23<br />
Christian Grethlein, Fachdidaktik Religion, Göttingen 2005, 272<br />
24<br />
Grethlein, Fachdidaktik Religion, a. a. O.<br />
25<br />
Grethlein, Fachdidaktik Religion, a. a. O.<br />
26<br />
Grethlein, Fachdidaktik Religion, ebenda, 278<br />
27<br />
Grethlein, Fachdidaktik Religion, ebenda, 276<br />
3
Dies deckt sich mit Forderungen aus der Allgemeinen Pädagogik. So formuliert Dietrich Benner zwei<br />
grundsätzliche Kompetenzen für den Religionsunterricht: die Deutungs- und die<br />
Partizipationskompetenz (letztere knüpft wieder an Luthers Vorstellung vom „allgemeinen Priestertum<br />
der Getauften“ an). Als Inhalt der Partizipationskompetenz nennt Benner: Die Schülerinnen und<br />
Schüler „sind in der Lage, sich in einem evangelischen Gottesdienst angemessen zu verhalten und zu<br />
seinem Gelingen beizutragen“ 28 .<br />
Zu liturgischem Lernen als „inszenierter Wirklichkeit“ schreiben Bärbel Husmann und Thomas Klie:<br />
„Liturgisches Lernen leitet die Lernenden dazu an, sich auf Zeit und unter den Bedingungen<br />
unterrichtlichen Experimentierens in den Vorhof einer religiösen Welt zu begeben [...]. Über das<br />
Begehen von Räumen, die durch Lob und Klage, Bitte und Bekenntnis bestimmt sind, werden die<br />
Lernenden natürlich nicht zu Christen gemacht. Auch wird ihr Christsein nicht vorausgesetzt, da die<br />
Begehungen experimentell und d<strong>am</strong>it offen angelegt sind. Wohl aber können und sollen sich die<br />
Schülerinnen und Schüler ein wenig in diesen Räumen umsehen, sie in Gebrauch nehmen, dabei ihre<br />
Phantasie spielen lassen und ihre Denkkraft bemühen. Kirchliche Religion kann und soll an einem<br />
Lern-Ort nur so begangen werden, dass diese Begehung frei gehalten wird von Intimitätsnötigungen<br />
bzw. sie in keiner Weise das Ziel verfolgt, zum Glauben zu bringen. Dazu bedarf es eines künstlich<br />
hergestellten (Lern-)Raumes, denn ein Abendmahlsgebet, ein Choral oder ein Segensgestus begegnen<br />
einem nicht so ohne weiteres im Alltag. Die Lernenden verlassen also für eine bestimmte Zeit ihre<br />
Lebenswelt, können und sollen aber auch wieder dorthin zurück – möglichst mit entsprechenden<br />
Erkenntnisgewinnen.“ 29<br />
Weil der Kirchenraum eine wesentliche Rolle bei der Ausgestaltung des Faches spielt, wird auch<br />
intensiv auf Elemente des Kirchenbaus und d<strong>am</strong>it der Kirchenpädagogik einzugehen sein (s.<br />
Literatur). Auf die Besonderheiten der Kirchenpädagogik und die Einbeziehung der Kirche als einem<br />
außerschulischen Lernort sei hier nur insges<strong>am</strong>t verwiesen.<br />
Im neu beginnenden <strong>Projekt</strong> <strong>Liturgie</strong> wird das Bemühen um eine seelsorgerliche Schulkultur eine<br />
wesentliche Rolle spielen.<br />
Da zum Fach Evangelische/Katholische Religion in Mecklenburg-Vorpommern ein Ersatzfach<br />
besteht, gehört zu einem <strong>Projekt</strong> <strong>Liturgie</strong> wesentlich die Freiwilligkeit der Teilnahme.<br />
2. Erfahrungen mit dem bisherigen <strong>Projekt</strong>kurs<br />
Der bisher gelaufene <strong>Projekt</strong>kurs <strong>Liturgie</strong> entstand auf Wunsch von Schülern, die im Sommer 2005<br />
erstmals gemeins<strong>am</strong> einen Schülergottesdienst zum Schuljahresende gestalten wollten. Dieses<br />
Anliegen wurde besonders auch von der Schulleitung gefördert. Daraus wurde ein regelmäßiger Kurs,<br />
der im ersten Schulhalbjahr und zum Schuljahresende Gottesdienste in der St. Bartholomäuskirche<br />
D<strong>am</strong>garten durchführte. Diese Kirche ist seither gewissermaßen die „Heimatkirche“ des Kurses. Hinzu<br />
k<strong>am</strong>en die „Spätschicht“ genannten Adventsandachten sowie die „Frühschicht“, eine Andacht an den<br />
ersten beiden Schultagen nach den Osterferien mit anschließendem Osterfrühstück im Gemeinderaum<br />
D<strong>am</strong>garten. In zwei gesondert gestalteten Taufgottesdiensten – einmal in D<strong>am</strong>garten, einmal in<br />
Stralsund – konnten die Teilnehmer des Kurses in besonderer Weise das Gelernte präsentieren. In St.<br />
Nikolai Stralsund mussten sich die Schüler mit den räumlichen Anforderungen auseinandersetzen,<br />
eine der großen hanseatischen Backsteinkirchen gestisch und sprachlich gestaltend zu füllen. Das gute<br />
öffentliche Echo in Stralsund führte dazu, dass die Kursteilnehmer zur Mitgestaltung der Liturgischen<br />
Nacht <strong>am</strong> 8. September 2007 in St. Nikolai Stralsund eingeladen wurden. Gestalterisches Vorbild für<br />
die Schülergottesdienste war dabei die Thomasmesse 30 .<br />
Dabei war es faszinierend zu sehen, wie sehr die beteiligten Schüler im Laufe des Kurses ihre Scheu<br />
vor fremdem Publikum überwanden und immer selbstverständlicher und souveräner die Formen des<br />
28 zitiert bei Wermke (Hg.), Bildungsstandards und Religionsunterricht, Jena 2005, 65<br />
29 Husmann/Klie, Gestalteter Glaube, 23<br />
30 zu den Anfängen der Thomasmesse s. Kursbuch Religion Oberstufe, Stuttgart/Frankfurt/M. 2004, 65; Tilmann Haberer, Die<br />
Thomasmesse. Ein Gottesdienst für Ungläubige, Zweifler und andere gute Christen, München 2000<br />
4
Gottesdienstes mit Leben erfüllten. Sprachlich und gestisch haben alle Beteiligten in dieser Zeit an<br />
Reife gewonnen. Das gilt gerade auch für Schüler, die nicht religiös gebunden waren bzw. sind oder<br />
sogar nicht einmal <strong>am</strong> Religionsunterricht teilnahmen, sich aber auf diesen Kurs eingelassen haben.<br />
Nicht alle Blütenträume reiften. Aber insges<strong>am</strong>t können sich die Ergebnisse des bisherigen<br />
<strong>Projekt</strong>kurses sehen lassen.<br />
Verbunden war das liturgische Anliegen inhaltlich mit Fragen einer gelebten Spiritualität. Dazu<br />
gehörte die Beschäftigung mit der Mystik (die Analyse einer Predigt von Meister Eckart ist im<br />
normalen Unterricht nicht zu schaffen!) ebenso wie mit Formen der Meditation und kleineren rituellen<br />
Formen. Dieses Feld müsste im Sinne der Partizipation (s. o.) noch weiter ausgebaut werden. „Die<br />
inhaltliche Füllung ritueller Formen ist eben nicht beliebig, sondern wegen der über den kognitiven<br />
Bereich hinausgehenden Prägekraft genau zu bedenken.“ 31<br />
3. Kompetenzen und Inhalte (in Anlehnung an das Kerncurriculum Evangelische Religion MV),<br />
wie sie in einem <strong>Projekt</strong> <strong>Liturgie</strong> erworben werden können:<br />
1) Kirchenbaukunst<br />
Die Schülerinnen und Schüler<br />
- nehmen Kirche als soziale Größe (Kirchengemeinde) und als Gebäude wahr und thematisieren<br />
die unterschiedlichen Redeweisen von „Kirche“,<br />
- deuten den Kirchenbau als theologisches Progr<strong>am</strong>m und ordnen die einzelnen Bauteile und<br />
baukünstlerischen Elemente theologischen Aussagen zu,<br />
- stellen Bezüge her zwischen Form und Inhalt religiöser Vorstellungen in Kirchenkunst und<br />
Kirchenbau und ordnen die unterschiedlichen Gestaltungen den jeweiligen theologischen<br />
Progr<strong>am</strong>men in den Konfessionen zu,<br />
- erschließen die Bedeutung des Stundengebets und den Zus<strong>am</strong>menhang von <strong>Liturgie</strong> und<br />
Baukunst,<br />
- erfahren den Kirchenraum als Gebäude sui generis und nehmen ihn gestisch und sprachlich in<br />
Besitz („liturgische Präsenz“).<br />
2) <strong>Liturgie</strong> und Frömmigkeit<br />
Schülerinnen und Schüler<br />
- kennen Formen evangelischer Frömmigkeit sowie den Aufbau des evangelischen<br />
Gottesdienstes,<br />
- wissen um die unterschiedliche inhaltliche Füllung der Begriffe Frömmigkeit und<br />
Spiritualität,<br />
- gestalten als Probehandeln im Rahmen der Schülergottesdienste einzelne Elemente und<br />
Rituale des Gottesdienstes mit,<br />
- erkennen die Unterschiede liturgischen Handelns in den christlichen Konfessionen (auch im<br />
Blick auf die Kasualien) und ordnen sie den dahinter stehenden theologischen Aussagen zu,<br />
- vergleichen den Ablauf des jüdischen Gottesdienstes und des isl<strong>am</strong>ischen Gebets mit Blick<br />
auf die eigene Praxis,<br />
- reflektieren und bewerten das Verhältnis vom „allgemeinen Priestertum der Glaubenden“ und<br />
seiner Fortwirkung in der Geschichte.<br />
3) Mystik und Meditation<br />
Schülerinnen und Schüler<br />
- kennen den Unterschied zwischen Mystik und Meditation sowie die einzelnen Schritte einer<br />
Meditation,<br />
- setzen sich auseinander mit Lehrern der abendländischen Mystik (z. B. Meister Eckart), der<br />
mittelalterlichen Frauenmystik (z. B. Hildegard von Bingen) und der isl<strong>am</strong>ischen Mystik (z.<br />
B. Rumi),<br />
31 Grethlein, Liturgische Elemente?, in: Ad<strong>am</strong>/Lachmann, Methodisches Kompendium 1, 391<br />
5
- vergleichen Formen der Meditation und Mystik in den monotheistischen und asiatischen<br />
Religionen und beurteilen die jeweiligen Auswirkungen auf das Verhältnis Gott – Mensch –<br />
Kosmos,<br />
- probieren eigene Schritte in der Begegnung mit unterschiedlichen Formen der Meditation,<br />
- analysieren die Sprache der Psalmen als Angebot, grundlegende eigene Erfahrungen<br />
auszudrücken.<br />
4) „Das Kirchenjahr als Psychodr<strong>am</strong>a“ 32<br />
Schülerinnen und Schüler<br />
- erkennen den Zus<strong>am</strong>menhang von Kirchenjahr und Heilsgeschichte und diskutieren die<br />
verschiedenen Entwürfe der Heilsgeschichte und ihre Auswirkungen auf den Kirchenbau (z.<br />
B. Augustin),<br />
- wissen um die grundsätzlichen Konstruktionsprinzipien von Sonnenjahr, Mondjahr und<br />
Kirchenjahr,<br />
- kennen die Unterschiede von Apokalyptik und Eschatologie als Deutungen von Zeit,<br />
- nehmen Stellung zu christlichen Deutungen erfüllter Zeit.<br />
5) „Ich hör dir einfach zu“ (Seelsorge in der Schule)<br />
Schülerinnen und Schüler<br />
- erkennen, dass Menschen gerade auch aus eigenen Konflikten mit sich selbst und persönlichen<br />
Problemen lernen,<br />
- nehmen Grenzerfahrungen von Jugendlichen in den Blick, lernen, sie auszuhalten, und<br />
vergleichen sie mit in der Bibel überlieferten Grenzerfahrungen,<br />
- stärken ihre personale und kommunikative Kompetenz.<br />
4. Literatur<br />
Die nachfolgende Literaturliste stellt keine Rangfolge der einzelnen Bücher dar, sondern nennt aus der großen Fülle der Literatur die zur<br />
Verwendung kommenden Titel in alphabetischer Reihenfolge.<br />
1. Evangelisches Gottesdienstbuch, Berlin 1999<br />
2. Evangelisches Gottesdienstbuch – Ergänzungsband, Berlin 2002<br />
3. Ein evangelisches Zeremoniale, Gütersloh 2004<br />
4. Stefan Altmeyer u. a. (Hg.), Christliche Spiritualität lehren, lernen und leben, Göttingen 2006<br />
5. Jochen Arnold (Hg.), Gemeins<strong>am</strong> Gottesdienst gestalten, Bd. 1-9, Hannover 2004ff.<br />
6. Ksenija Auksutat, Gastgeberin Kirche. Kirche schmücken – Altar gestalten – Räume erleben, Gütersloh 2 2005<br />
7. Ingo Baldermann, Wer hört mein Weinen? Kinder entdecken sich selbst in den Psalmen, Neukirchen-Vluyn 4 1993<br />
8. Hans-Martin Barth, Einander Priester sein. Allgemeines Priestertum in ökumenischer Perspektive, Göttingen 1990<br />
9. Katja Baur/Krischan Johannsen, „Ich hör dir einfach zu“. Am Beispiel der Telefonseelsorge seelsorgerliche personale Kompetenz<br />
fördern, Stuttgart 2009<br />
10. Anton Bucher, Wurzeln und Flügel. Wie spirituelle Erziehung für das Leben stärkt, Düsseldorf 2007<br />
11. Andrea Elisabeth Diederich, Evangelische Exerzitien. Anleitung – Bausteine – Materialien, Göttingen 2009<br />
12. Margarete Luise Goecke-Seischab/Jörg Ohlemacher, Kirchen erkunden – Kirchen erschießen, Lahr/Kevelaer 1998<br />
13. Christian Grethlein/Günter Ruddat (Hg.), Liturgisches Kompendium, Göttingen 2003<br />
14. Tilmann Haberer, Die Thomasmesse. Ein Gottesdienst für Ungläubige, Zweifler und andere gute Christen, München 2000<br />
15. Benedikta Hintersberger/Theodor Hausmann, Mit Jugendlichen meditieren. Übungen und Anleitungen für Schule und Jugendarbeit,<br />
München 2005<br />
16. Barbara Husmann/Thomas Klie (Hg.), Gestalteter Glaube. Liturgisches Lernen in Schule und Gemeinde, Göttingen 2005<br />
17. Institut für Spiritualität Münster (Hg.), Öffne deine Augen, neige dein Ohr, löse deine Zunge und erschließe dein Herz (Grundkurs<br />
Spiritualität), Stuttgart 2000<br />
18. Karin Johne, Geistlicher Übungsweg für den Alltag. Ein Kursangebot, Berlin 1986<br />
19. Thomas Kabel, Handbuch Liturgische Präsenz, Bd. 1, Gütersloh 2 2003<br />
20. Thomas Kabel, Handbuch Liturgische Präsenz, Bd. 2, Gütersloh 2007<br />
21. Ralf Koerrenz/Michael Wermke (Hg.), Schulseelsorge – Ein Handbuch, Göttingen 2008<br />
22. Marion Küstenmacher/Hildegard Louis, Mystik für Kinder, München 2004<br />
23. Timm H. Lohse, Das Kurzgespräch in Seelsorge und Beratung. Eine methodische Anleitung, Göttingen 2 2006<br />
24. Timm H. Lohse, Das Trainingsbuch zum Kurzgespräch. Ein Werkbuch für die seelsorgerliche Praxis, Göttingen 2006<br />
25. Michael Meyer-Blanck, Inszenierung des Evangeliums. Ein kurzer Gang durch den Sonntagsgottesdienst nach der Erneuerten Agende,<br />
Göttingen 1997<br />
26. Irene Mildenberger/Wolfgang Ratzmann (Hg.), Jenseits der Agende. Reflexion und Dokumentation alternativer Gottesdienste, Leipzig<br />
2003<br />
27. Irene Mildenberger/Wolfgang Ratzmann (Hg.) Beteiligung? Der Gottesdienst als Sache der Gemeinde, Leipzig 2006<br />
28. Jörg Neijenhuis (Hg.), <strong>Liturgie</strong> lernen und lehren. Aufsätze zur <strong>Liturgie</strong>didaktik, Leipzig 2001<br />
29. Reiner Andreas Neuschäfer, Das brennt mir auf der Seele. Anregungen für eine seelsorgerliche Schulkultur, Göttingen 2007<br />
32 so bei Michael Meyer-Blanck, Inszenierung des Evangeliums, 9 (Kapitelüberschrift)<br />
6
30. Ludwig Rendle (Hg.), Ganzheitliche Methoden im Religionsunterricht (Neuausgabe), München 2007<br />
31. Hartmut Rupp (Hg.), Handbuch der Kirchenpädagogik. Kirchenräume wahrnehmen, deuten und erschließen, Stuttgart 2006<br />
32. Dietrich Stollberg, Liturgische Praxis. Kleines evangelisches Zeremoniale, Göttingen 1993<br />
33. Michael Wermke (Hg.), Rituale und Inszenierungen in Schule und Unterricht, Münster 2 2000<br />
34. Michael Wermke (Hg.), Bildungsstandards und Religionsunterricht. Perspektiven aus Thüringen, Jena 2005<br />
7