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Lothar Thieme - presse-team.de

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136 Fahrerwelten I<br />

<strong>Lothar</strong> <strong>Thieme</strong> hat die<br />

Stationen seines<br />

Fahrerlebens fotografisch<br />

dokumentiert. Links ist er mit<br />

seinem „Tausendfüßler“ im<br />

Jahre 1967 zu sehen<br />

Trucker aus Lei<strong>de</strong>nschaft<br />

Freiheit und Abenteuer. Waghalsige Manöver im Schnee, improvisierte<br />

Pannenhilfe in <strong>de</strong>r Wüste. <strong>Lothar</strong> <strong>Thieme</strong> ist Lkw-<br />

Fahrer mit Leib und Seele. Seit <strong>de</strong>n späten 50er-Jahren ist er irgendwie<br />

immer auf Achse. Und er hatte sie fast alle: vom L 6600<br />

über <strong>de</strong>n „Tausendfüßler“ bis zum Actros neuester Bauart<br />

<strong>Lothar</strong> <strong>Thieme</strong> erinnert sich genau. An Albträume auf <strong>de</strong>r Autobahn, ö<strong>de</strong><br />

Touren im Linienverkehr und kniffelige Wüstenrouten mit waidwun<strong>de</strong>n<br />

Lastzügen. An die Fahrerhäuser und die Motoren, an die Zicken <strong>de</strong>s einen<br />

und die Stärken <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren Lkw-Mo<strong>de</strong>lls. Fast ein halbes Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

lang hat „<strong>de</strong>r <strong>Lothar</strong>“ seine Erlebnisse dokumentiert, fotografiert<br />

und ausführliche Berichte darüber verfasst. Für ihn ist das Fahren kein<br />

bloßer Beruf, son<strong>de</strong>rn Berufung. Dabei hätte alles auch ganz an<strong>de</strong>rs<br />

kommen können.<br />

„Wenn mir ein Chef komisch kam, habe ich einfach <strong>de</strong>n<br />

Arbeitgeber gewechselt“: So hat <strong>Lothar</strong> <strong>Thieme</strong> gut 15 Firmen<br />

und 35 Merceces-Benz Mo<strong>de</strong>lle kennen gelernt<br />

Im thüringischen Son<strong>de</strong>rshausen wird <strong>Lothar</strong> <strong>Thieme</strong> 1935 geboren,<br />

und er wäre vielleicht Maschinenschlosser geblieben, hätte er nicht,<br />

eben 18 gewor<strong>de</strong>n, eine Begegnung <strong>de</strong>r unangenehmen Art gehabt: Ein<br />

Werbetrupp <strong>de</strong>r Kasernierten Volkspolizei drängt ihn massiv zum Eintritt.<br />

„Die Vopos haben mir Fangfragen gestellt, die ich mit ja beantworten<br />

musste, wenn ich politisch nicht ins Fettnäpfchen treten wollte“, erzählt<br />

<strong>Thieme</strong>. „Aber Ja-Sagerei ist nie mein Ding gewesen, und unter<br />

Druck schon gar nicht.“ Er bittet ganz einfach um Be<strong>de</strong>nkzeit, packt in<strong>de</strong>s<br />

fix ein paar Sachen zusammen und verlässt die DDR bei Nacht und<br />

Nebel in Richtung Westen.<br />

Freiheit. Und Motoren. „Lastwagen faszinieren mich, seit ich <strong>de</strong>nken<br />

kann“, sagt <strong>de</strong>r Einsneunzig-Mann, <strong>de</strong>r längst rastloser Rentner ist und<br />

<strong>de</strong>n man ohne je<strong>de</strong> Schmeichelei auf zehn Jahre jünger schätzt. „Dabei<br />

hatte ich erst mal gar keinen Nerv für die Fahrschule.“ Schließlich aber


Huckepack durch die syrische Wüste:<br />

<strong>Thieme</strong> hat als Fernfahrer richtige<br />

Abenteuer erlebt<br />

mel<strong>de</strong>t sich <strong>Thieme</strong> mit 21 Jahren zur Bun<strong>de</strong>swehr – „freiwillig, wohl gemerkt!“<br />

–, <strong>de</strong>nn dort kann er problemlos <strong>de</strong>n Lkw-Führerschein machen.<br />

Seine ersten Kilometer reitet er also auf einem olivgrünen Allrad-Fünftonner<br />

herunter und bewirbt sich anschließend, zwischenzeitlich nach<br />

Stuttgart gekommen, als Fernfahrer.<br />

Das ist 1961. „Eigentlich <strong>de</strong>r totale Stress“, sagt <strong>Thieme</strong> heute. „Tagestouren<br />

vom Morgengrauen bis Mitternacht, übernachten in einer zugigen<br />

Holzbaracke und am nächsten Morgen wie<strong>de</strong>r los. Aber ich kann<br />

einen L 6600 mit Anhänger fahren, habe <strong>de</strong>n ganzen Tag über keinen<br />

Chef am Hals und bin stolz wie ein Spanier.“<br />

Dann ein Umzug, <strong>de</strong>r Liebe wegen. „Da hatte ich ein Mädchen kennen<br />

gelernt, das mir nicht mehr aus <strong>de</strong>m Kopf wollte.“ Also schmeißt er in<br />

Stuttgart hin, zieht zu ihr nach Münster und heiratet. Das wenigstens<br />

hat bis heute gehalten. Seinen Arbeitgebern ist <strong>Thieme</strong> weniger treu.<br />

Es geht auch ohne<br />

Windschutzscheibe:<br />

LP 2223 unter Palmen<br />

„Damals gab’s ja noch reichlich Arbeit. Also wechselte ich ganz einfach<br />

<strong>de</strong>n Chef, wenn mir einer komisch kam.“ Vor allem aber, wenn ihm sein<br />

Arbeitsgerät nicht gut genug ist.<br />

Seine Schwerlast-Begegnungen hat er genau dokumentiert: in Fotoalben,<br />

Fahrzeugbeschreibungen und <strong>de</strong>n Erlebnisberichten, die er heute<br />

zuweilen in Oldtimermagazinen veröffentlicht. Gut 15 Arbeitgeber und<br />

allein 35 Merce<strong>de</strong>s-Benz Mo<strong>de</strong>lle – legendäre, aber längst verschwun<strong>de</strong>ne<br />

Marken wie Büssing o<strong>de</strong>r Krupp gar nicht erst mitgezählt – hat er<br />

auf seiner Liste. Die reicht von Klassikern wie <strong>de</strong>m Sechs-Sechser, <strong>de</strong>m<br />

LK 315, LPS 334 o<strong>de</strong>r LP 312 mit Pullman-Fahrerhaus bis zum mo<strong>de</strong>rnen<br />

Actros, als Kipper, Tiefla<strong>de</strong>r und Hängerzug.<br />

Im Januar 1967 prägt erneut eine Begegnung sein Leben: Es ist ein in<br />

die Jahre gekommener grüner LP 333, <strong>de</strong>r berühmte „Tausendfüßler“,<br />

von <strong>de</strong>m er bis heute schwärmt. „Wenn es so etwas gibt wie Liebe zu<br />

Fahrerwelten I<br />

„In einem<br />

ausgetrockneten<br />

Flussbett suchten wir<br />

eine geeignete Stelle<br />

und schaufelten eine<br />

Rampe in <strong>de</strong>n Sand …“<br />

Gewusst wie!<br />

einem Auto“, sagt <strong>Lothar</strong> <strong>Thieme</strong>, „dann zu dieser merkwürdigen Konstruktion<br />

mit zwei gelenkten Vor<strong>de</strong>rachsen. Es war mir immer eine helle<br />

Freu<strong>de</strong>, beim Rangieren aus <strong>de</strong>m Fenster zu gucken, wie die Vor<strong>de</strong>rrä<strong>de</strong>r<br />

mitgehen.“<br />

Die ungewöhnliche Bauweise ist <strong>de</strong>m „Seebohm-Gesetz“ <strong>de</strong>s damaligen<br />

Verkehrsministers Hans-Christoph Seebohm geschul<strong>de</strong>t. Der will<br />

mit allen Mitteln mehr Güter auf die Schiene bringen und reduziert ab<br />

März 1956 das zulässige Gesamtgewicht für Zweiachser auf magere<br />

zwölf Tonnen. Also modifiziert Merce<strong>de</strong>s-Benz die aktuelle Frontlenker-<br />

Baureihe und fertigt <strong>de</strong>n Dreiachser LP 333 – mit einer zweiten gelenkten<br />

Vor<strong>de</strong>rachse. Dadurch erhöht sich das Gesamtgewicht <strong>de</strong>s Solofahrzeugs<br />

auf immerhin 16 Tonnen, das <strong>de</strong>s gesamten Zuges auf das<br />

Doppelte. „Die Bauweise bringt einige Traktionsprobleme, vor allem bei<br />

Leerfahrten bei Schnee und Regen drehen die Antriebsrä<strong>de</strong>r leicht<br />

139


140 Fahrerwelten I<br />

durch“, erinnert sich <strong>Thieme</strong>. „Aber ansonsten läuft er gera<strong>de</strong>aus und in Kurven<br />

wie auf Schienen.“<br />

Manchmal rettet das Leben. „Neuschnee auf <strong>de</strong>r Autobahn, langgezogene<br />

Linkskurve und Gefälle – da sehe ich vor mir einen Lastzug und zwei Pkw in die<br />

mittlere Leitplanke verkeilt. Der Anblick fährt mir gewaltig in die Knochen! Nur<br />

zwei Fahrspuren, an<strong>de</strong>rthalb davon dicht, keine Standspur – jetzt bloß nicht<br />

bremsen, keine hektischen Lenkbewegungen und <strong>de</strong>n Tausendfüßler bolzengera<strong>de</strong><br />

seine Spur ziehen lassen. Plötzlich springt einer <strong>de</strong>r Pkw-Menschen in<br />

meine Fahrrinne und will mich durch wil<strong>de</strong>s Armeschwenken zum Anhalten bewegen.<br />

Ein Albtraum! Ich steige aufs Horn, lasse <strong>de</strong>n Zug einfach weiterlaufen,<br />

komme näher und näher und näher. Dieser Irre bleibt einfach stehen und<br />

schwenkt! Da hetzt <strong>de</strong>r gestran<strong>de</strong>te Lkw-Fahrer heran und reißt <strong>de</strong>n Armeschwenker<br />

aus meiner Schusslinie – buchstäblich in letzter Sekun<strong>de</strong>. Haarscharf zieht<br />

<strong>de</strong>r Tausendfüßler seine Spur an <strong>de</strong>r Engstelle vorbei, und mir schlackern die<br />

Knie wie Gummibän<strong>de</strong>r.“<br />

Abenteuer. Die spielen sich für <strong>Lothar</strong> <strong>Thieme</strong> lange Jahre auf <strong>de</strong>r Orient-Route<br />

ab: „Afghanistan und Pakistan, Iran und Irak, Syrien, Jordanien, Saudi-Arabien –<br />

es gibt kaum eine staubige Wüstenstraße zwischen Istanbul und Lahore, die ich<br />

nicht mit meinem LPS 1632 Sattelzug und <strong>de</strong>m LP 2232 Anhängerzug befahren<br />

Trucker-Romantik <strong>de</strong>r 70er-Jahre auf <strong>de</strong>r Orient-Route – als Afghanistan,<br />

Iran und Irak noch sichere Transitlän<strong>de</strong>r waren


„… aber gut war es doch<br />

immer!“ Auch mit diesem<br />

SK 3344 anno 2002<br />

habe.“ Doch das ist in <strong>de</strong>n Siebzigern. „In <strong>de</strong>r heutigen, politisch so<br />

unsicheren Zeit sind das lei<strong>de</strong>r echte Selbstmordstrecken.“<br />

Meist hat <strong>Thieme</strong> Merce<strong>de</strong>s-Benz Ersatzteile für Bagdad gela<strong>de</strong>n,<br />

manchmal geht es im Konvoi weiter bis nach Pakistan. „Die Pakistan-<br />

Tour dauerte über zwei Monate, oft fuhren wir leer zurück.“ Und oft<br />

genug wird handwerkliche Selbsthilfe überlebenswichtig. Einmal<br />

bricht durch das ständige Rütteln auf <strong>de</strong>n Wüstenpisten das Gaspedal.<br />

Und <strong>Thieme</strong> befestigt kurzerhand eine stabile Drahtschlaufe an<br />

<strong>de</strong>r Einspritzpumpe und fährt „etliche Tausend Kilometer mit Handgas<br />

bis nach Hause“.<br />

Dann wie<strong>de</strong>r ist an Reparatur gar nicht zu <strong>de</strong>nken. 1975 macht sich<br />

ein Konvoi, zwei Lastzüge und ein Sattelzug, von Bagdad aus leer auf<br />

<strong>de</strong>m Heimweg. Da löst sich bei <strong>Thieme</strong>s Lkw die Gummidämpfung am<br />

Zwischenlager <strong>de</strong>r Kardanwelle – und reißt schließlich aus. „Mitten in<br />

<strong>de</strong>r syrischen Wüste beginnt die Welle höllisch zu schlagen, bei je<strong>de</strong>m<br />

Schalten bäumt sich <strong>de</strong>r Wagen auf. Klar, so geht es nicht weiter.“<br />

Doch eine Reparatur ist hier nicht möglich. Was also tun?<br />

Die Männer entschließen sich, <strong>Thieme</strong>s fahruntüchtigen Zug einfach<br />

huckepack zu nehmen! „In einem Wadi, einem ausgetrockneten<br />

Flussbett, suchten wir eine geeignete Stelle und schaufelten mit<br />

Stecklatten und Nageleisen eine Rampe in <strong>de</strong>n Sand.“ Die Pritsche<br />

Kontrastprogramm neuer<br />

Actros: Da kommt <strong>Lothar</strong><br />

<strong>Thieme</strong> schon ins Grübeln …<br />

<strong>de</strong>s LP 2232 und <strong>de</strong>r komplette<br />

Hänger lassen sich jetzt<br />

auf <strong>de</strong>n leeren Lastzug <strong>de</strong>s<br />

Kollegen schieben. Dann rollt<br />

<strong>de</strong>r Sattelzug rückwärts an<br />

die Rampe, <strong>Thieme</strong> kann seinen<br />

lädierten Lkw auf <strong>de</strong>n<br />

Tiefla<strong>de</strong>r bugsieren. Weil das<br />

Ganze nun zu hoch ist, montieren<br />

die Männer die Vor<strong>de</strong>rrä<strong>de</strong>r ab und stellen <strong>de</strong>n 2232 auf die<br />

Bremstrommeln. „Eine üble Wuchterei bei dieser Hitze“, gruselt sich<br />

<strong>Thieme</strong> noch heute. „Und fast wer<strong>de</strong> ich auch noch verhaftet!“<br />

An <strong>de</strong>r syrisch-türkischen Grenze. Da verlangt ein Zolloffizier bei<br />

<strong>de</strong>r Ausreise eine Quittung über die obligatorische Transitsteuer für<br />

bela<strong>de</strong>ne Fahrzeuge. „Natürlich haben wir keine, weil wir ja mit leeren<br />

Autos eingereist sind. Aber <strong>de</strong>r Syrer spricht kein Englisch und<br />

versteht unsere Erklärungen nicht.“ Kurz – auf bei<strong>de</strong>n Seiten schwellen<br />

die Zornesa<strong>de</strong>rn und die Stimmung kocht hoch, bis schließlich <strong>de</strong>r<br />

hünenhafte <strong>Thieme</strong> handgreiflich wird, <strong>de</strong>n schmächtigen Offizier<br />

am Ärmel packt und zu seinem <strong>de</strong>fekten Lkw schleppt! Da greift zum<br />

Glück ein Englisch sprechen<strong>de</strong>r Zöllner ein, gut bekannt mit <strong>de</strong>r Tru-<br />

Fahrerwelten I<br />

cker-Truppe, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Vorgang klärt und <strong>de</strong>n wüten<strong>de</strong>n Offizier besänftigt.<br />

„Erst hinterher ist mir klar gewor<strong>de</strong>n, dass ich damals mit<br />

einem Bein im Gefängnis stand.“<br />

Im Jahr 2001 geht <strong>Lothar</strong> <strong>Thieme</strong> in <strong>de</strong>n (Un-)Ruhestand, fährt nun<br />

erst recht aus Lust und Laune. Mal als Urlaubsvertretung auf einem<br />

nagelneuen Actros, mal bei Oldtimertreffen auf <strong>de</strong>n Diesel-Klassikern<br />

aus alten Zeiten. Ein Kontrastprogramm, das <strong>de</strong>n Trucker aus<br />

Lei<strong>de</strong>nschaft dann doch ins Grübeln bringt: „Dieser Lärm <strong>de</strong>r alten<br />

Motoren, die engen und kargen Fahrerhäuser, die in voller Lautstärke<br />

scheppern<strong>de</strong>n Röhrenradios – das habe ich immer selbstverständlich<br />

hingenommen. Heute un<strong>de</strong>nkbar. „Aber gut“, sagt <strong>Thieme</strong> im<br />

Brustton <strong>de</strong>r Überzeugung, „gut war es doch immer!“<br />

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