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Auf dem großen Passagierdampfer, der mitternachts von New York ...

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<strong>von</strong> www.stefanzweig.de Die Schachnovelle<br />

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Er hatte auf den Deckchair neben sich gedeutet: Gerne folgte ich seiner<br />

Einladung. Wir waren ohne Nachbarn. Dr. B. nahm die Lesebrille <strong>von</strong> den<br />

Augen, legte sie zur Seite und begann:<br />

ÖSie waren so freundlich, zu ÄuÇern, daÇ Sie sich als Wiener des Namens<br />

meiner Familie erinnerten. Aber ich vermute, Sie werden kaum <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Rechtsanwaltskanzlei gehÉrt haben, die ich gemeinsam mit meinem Vater und<br />

spÄterhin allein leitete, denn wir fÅhrten keine Causen, die publizistisch in <strong>der</strong><br />

Zeitung abgehandelt wurden, und vermieden aus Prinzip neue Klienten. In<br />

Wirklichkeit hatten wir eigentlich gar keine richtige Anwaltspraxis mehr,<br />

son<strong>der</strong>n beschrÄnkten uns ausschlieÇlich auf die Rechtsberatung und vor<br />

allem VermÉgensverwaltung <strong>der</strong> groÇen KlÉster, denen mein Vater als frÅherer<br />

Abgeordneter <strong>der</strong> klerikalen Partei nahestand. AuÇer<strong>dem</strong> war uns - heute, da<br />

die Monarchie <strong>der</strong> Geschichte angehÉrt, darf man wohl schon darÅber<br />

sprcchcn - die Verwaltung <strong>der</strong> Fonds einiger Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> kaiserlichen<br />

Familie anvertraut. Diese Verbindungen zum Hof und zum Klerus - mein Onkel<br />

war Leibarzt des Kaisers, ein an<strong>der</strong>er Abt in Seitenstetten — reichten schon<br />

zwei Generationen zurÅck; wir hatten sie nur zu erhalten, und cs war eine<br />

stille, eine, mÉchte ich sagen, lautlose TÄtigkeit, die uns durch dies ererbte<br />

Vertrauen zugeteilt war, eigentlich nicht viel mehr erfor<strong>der</strong>nd als strengste<br />

Diskretion und VerlÄÇlichkeit, zwei Eigenschaften, die mein verstorbener Vater<br />

im hÉchsten MaÇe besaÇ; ihm ist es tatsÄchlich gelungen, sowohl in den<br />

Inflationsjahren als in jenen des Umsturzes durch seine Umsicht seinen<br />

Klienten betrÄchtliche VermÉgenswerte zu erhalten. Als dann Hitler in<br />

Deutschland ans Ru<strong>der</strong> kam und gegen den Besitz <strong>der</strong> Kirche und <strong>der</strong> KlÉster<br />

seine RaubzÅge begann, gingen auch <strong>von</strong> jenseits <strong>der</strong> Grenze mancherlei<br />

Verhandlungen und Transaktionen, um wenigstens den mobilen Besitz vor<br />

Beschlagnahme zu retten, durch unsere HÄnde, und <strong>von</strong> gewissen geheimen<br />

politischen Verhandlungen <strong>der</strong> Kurie und des Kaiserhauses wuÇten wir beide<br />

mehr, als die àffentlichkeit je erfahren wird. Aber gerade die UnauffÄlligkeit<br />

unserer Kanzlei - wir fÅhrten nicht einmal ein Schild an <strong>der</strong> TÅr - sowie die<br />

Vorsicht, daÇ wir beide alle Monarchistenkreise in Wien ostentativ mieden, bot<br />

sichersten Schutz vor unberufenen Nachforschungen. De facto hat in all<br />

diesen Jahren keine BehÉrde in àsterreich jemals vermutet, daÇ die geheimen<br />

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