Katalog "Daily" (deutsch, englisch) - Petra Lottje
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DIE ZWEITE STIMME THE SECOND VOICE<br />
Lipsynch, eine manipulative Methode des Stimmenaustauschs<br />
in Film und Fernsehen, stets unauffällig für Betrachter/Hörer,<br />
verschiebt <strong>Petra</strong> <strong>Lottje</strong> in vielen ihrer Videos in eine kritisch<br />
absurde oder komische Kenntlichkeit. „Daily“, ihre Ausstellung<br />
im Kunstverein Buchholz/Nordheide 2012, zeigt in einem installativen<br />
Arrangement vier neue Videoarbeiten der Künstlerin.<br />
Diese nehmen Dialoge aus der amerikanischen Sitcom-Serie<br />
„Two and a Half Men“, aus dem chinesischen Spielfilm „Perhaps<br />
love“ sowie zwei Sprachsequenzen zweier Fernsehstars<br />
außerhalb des Fiktionsrahmens auf, der Schauspielerin Inge<br />
Keller und des berühmt-berüchtigten Charlie Sheen. Letzterer<br />
beschimpfte in einem Youtube-Clip öffentlich Chuck Lorre, der<br />
ihn als Produzent der erwähnten Sitcom vor die Tür gesetzt hatte,<br />
unflätig und in direkter Konfrontation; ein von vielen Medien<br />
gierig aufgegriffener Skandal.<br />
40 41<br />
<strong>Petra</strong> <strong>Lottje</strong>’s neue Videos untersuchen die Beziehung zwischen<br />
medial inszenierten Gefühlen und unserer affektiven Verstrickung<br />
in diese. „Message“ schiebt Sätze der Videobotschaft<br />
<strong>Petra</strong> <strong>Lottje</strong>’s new videos investigate the relationship between<br />
the medial staging of emotions and our affective entanglement<br />
in them. Through the technique of lip synch,„Message“<br />
transplants statements from a video message from Charlie<br />
Sheen into the artist‘s mouth. In the Youtube clip, Sheen uses<br />
foul language to directly confront and revile Chuck Lorre, the<br />
producer of the American sitcom series „Two and a Half Men,“<br />
who fired Sheen from the show, generating a scandal that was<br />
taken up eagerly by the media. In „Message“, <strong>Petra</strong> <strong>Lottje</strong> appears<br />
frontally and in the nude, a bust with a radiant corona of<br />
hair which seems to emerge from a dark background as though<br />
from another world, a hieratic impression that is reinforced by<br />
the superposition of Charlie Sheen‘s voice with an echo. What<br />
began as an act of embarrassing self-exposure is revisited now<br />
in a uncanny manner, especially since the provenance of this<br />
tirade is revealed only in the closing credits – after the viewer/<br />
listener has experienced the voice as though being interrogated<br />
by a mythical Ananke.<br />
von Charlie Sheen lipsynch der Künstlerin in den Mund. Frontal<br />
als Büste und nackt, taucht sie mit leuchtender Goldhaarkrone<br />
hieratisch und wie aus einer anderen Welt aus dem Dunkelgrund<br />
auf; ein Eindruck, der durch die Überlagerung der Stimme<br />
von Charlie Sheen mit einem Nachhall noch verstärkt wird.<br />
Was bei jenem noch als peinliche Selbstentblößung wirkte,<br />
kommt nun auf unheimliche Weise zurück. Der Ursprung der Insultation<br />
wird erst im Abspann verraten, nachdem die Stimme<br />
auf die Betrachter/Hörer wie ein Verhör durch eine mythische<br />
Ananke gewirkt hat.<br />
Es gibt das seltene und seltsame Phänomen, dass Menschen<br />
mit einer zweiten Stimme reden, nicht als Bauchredner oder<br />
Stimmenimitatoren, sondern in tiefer Tonlage, als ob aus ihnen<br />
ein abgründig anderer spreche; ein unheimliches Ereignis,<br />
selbst wenn es humoristisch quittiert wird und das Gesprochene<br />
– anders als in dem trivialen Horrormovie „Der Exorzist“<br />
– nicht ins Dämonische wechselt. „Message“ filtert aus Charlie<br />
Sheen’s Text vor allem Beschimpfungen, die dieser mit dem<br />
There exists the rare and peculiar phenomenon of people who<br />
speak in a second voice – not as ventriloquists or voice imitators,<br />
but instead as though some abyssal Other speaks out of<br />
them in a deeper register, an uncanny event when perceived in<br />
humorous terms, and even when the one spoken is not transformed<br />
into someone demonic (as in the trivial horror film „The Exorcist“).<br />
From Charlie Sheen’s text, „Message“ filters in particular<br />
invective which the speaker associates with the sense of smell.<br />
Inescapably, the (in)ability to detect something via the olfactory<br />
sense propels listeners toward a lack of emotional detachment,<br />
entangling them in an unendurable and primordial realm of experience,<br />
at the same exposing the voyeuristic addiction which<br />
plays itself out via such media events.<br />
In many of her videos, <strong>Petra</strong> <strong>Lottje</strong> shifts lip synch – a manipulative<br />
method of voice substitution used in film and television,<br />
and one generally inconspicuous for beholders/listeners – into<br />
critically absurd or comic recognizability. „Daily,“ an exhibition<br />
being held at the Kunstverein Buchholz/Nordheide, consists of