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Handbuch gegen Arbeits-Zwang - Jungdemokraten

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<strong>Handbuch</strong> <strong>gegen</strong> <strong>Arbeits</strong>-<strong>Zwang</strong>


<strong>Handbuch</strong> <strong>gegen</strong> <strong>Arbeits</strong>-<strong>Zwang</strong><br />

Berlin 2012


<strong>Handbuch</strong> <strong>gegen</strong> <strong>Arbeits</strong>-<strong>Zwang</strong><br />

Herausgeber<br />

JungdemokratINNen/Junge Linke Berlin<br />

Greifswalder Straße 4 | 10405 Berlin<br />

Tel. 030-24729747<br />

E-Mail: info@jungdemokraten.de<br />

www.jungdemokraten.de<br />

Gestaltung<br />

Danny Butter<br />

Förder_innen<br />

Redaktion<br />

Etienne Schneider, Marko Kwapinski, Paul Brettel,<br />

Susanne Scheckel, Sophie Baumann, Torsten Schulte<br />

Druckerei<br />

Fata Morgana Verlag<br />

Brunnenstraße 181 | 10119 Berlin<br />

Eigentumsvorbehalt<br />

Nach diesem Eigentumsvorbehalt bleibt die Broschüre<br />

Eigentum der Absender_in, bis sie dem oder der Gefangenen<br />

vollständig ausgehändigt ist. „Zur-Habe-Name“ ist keine<br />

Aushändigung im Sinne dieses Eigentumsvorbehalt.<br />

3


4<br />

Inhalt<br />

5<br />

Vorwort<br />

11<br />

What the fuck is Arbeit<br />

22<br />

Eine (europäische) Geschichte des <strong>Arbeits</strong>zwangs<br />

31<br />

Arbeit - Hausarbeit<br />

41<br />

<strong>Arbeits</strong>zwang und Neoliberalismus<br />

47<br />

Disziplinierung durch Arbeit<br />

52<br />

Körper und Arbeit – Arbeit am Körper<br />

60<br />

Bildung und Arbeit<br />

65<br />

Haeftling not wanted- Gefangenenarbeit in der BRD


73<br />

Wer nimmt uns die Arbeit weg? Zum Verhältnis von<br />

Migration und Arbeit<br />

86<br />

Hartz IV und Agenda 2010<br />

99<br />

Was ist Hartz IV (BUCH)<br />

108<br />

Tipps und Tricks: Bewerbung + Krankheiten<br />

124<br />

Adressen<br />

129<br />

Wir über uns: JungdemokratINNen/Junge Linke<br />

130<br />

radikaldemokratischer Bauchladen<br />

5


8<br />

Vorwort<br />

In regelmäßigen Abständen wird in der bundesdeutschen<br />

Öffentlichkeit die Hetze <strong>gegen</strong> vermeintliche<br />

«Sozialschmarotzer_innen» neu entfacht. Im Kreuzfeuer der<br />

Kritik stehen dabei Menschen, denen unterstellt wird, nicht<br />

«arbeiten» zu wollen, keinen ausreichenden «Leistungswillen»<br />

zu zeigen, dem Staat auf der Tasche zu liegen, etc.<br />

Dieser Debatte wollen wir uns mit der Neuauflage des<br />

«<strong>Handbuch</strong> <strong>gegen</strong> Arbeit» ent<strong>gegen</strong>stellen. Wir wollen hier<br />

aus emanzipatorischer Perspektive etwas breiter diskutieren,<br />

was «Arbeit» denn eigentlich ist, und in welchen Situationen<br />

sie uns – meist als Herrschaftsmechanismus – begegnet.<br />

Überblick<br />

Dabei haben weder die Autor_innen noch die Redaktion<br />

sich auf eine gemeinsame Definition des Begriffs «Arbeit»<br />

geeinigt. Auch wollen wir keine einheitliche Meinung zum<br />

strategischen Umgang damit präsentieren. Vielmehr handelt<br />

es sich um eine Ansammlung unterschiedlicher Meinungen,<br />

die das Thema aus verschiedenen Perspektiven aufgreifen.


Die Redaktion<br />

Die Texte unterschieden sich auch in ihrer Herangehensweise,<br />

im Schreibstil und ihrer theoretischen Dichte. Vor allem in<br />

der ersten Hälfte finden sich vermehrt Artikel, die einen<br />

theoretischen Schwerpunkt haben und durchaus mal etwas<br />

schwieriger zu lesen sein können. In der zweiten Hälfte<br />

hin<strong>gegen</strong> haben wir uns mit verschiedenen Praxisfeldern<br />

und aktuellen Problematiken auseinandergesetzt. Gegen<br />

Ende des <strong>Handbuch</strong>s finden sich verschiedene Texte<br />

und Tipps&Tricks zum Umgang mit Hartz-IV-Politiken.<br />

Schwerpunkt<br />

Allen Artikeln gemeinsam ist jedoch eine Kritik am <strong>Zwang</strong><br />

zur Lohnarbeit im Kapitalismus und an der Dämonisierung<br />

von Faulheit. Das <strong>Handbuch</strong> bezieht sich dabei auf die<br />

Situation in der BRD und setzt diese teilweise in einen<br />

europäischen Kontext. Dass diese Herangehensweise<br />

eurozentristisch ist, ist uns bewusst, ließ sich jedoch<br />

aufgrund des uns zu Verfügung stehenden Wissens<br />

und unserer Kapazitäten nicht anders bewerkstelligen.<br />

Gender-Anmerkung<br />

Durch Sprache und Schreibweise werden Dinge, Strukturen<br />

und komplexe Vorgänge (be)greifbar und beschreibbar<br />

gemacht – man kann durch sie bewusst wie unbewusst ab-<br />

und ausgrenzen. Ausgrenzungen in der Sprach-/Schreibwahl<br />

passiert beispielsweise, wenn Aussagen über eine Gruppe<br />

von Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtern<br />

nur in der männlichen Form dargestellt werden.<br />

Den Autor_innen wurde freigestellt, für welche Schreibweise<br />

sie sich entscheiden und so finden sich unterschiedliche<br />

9


Vorwort<br />

Herangehensweisen in der Gesamtheit der Beiträge.<br />

Viel Spaß beim Lesen, Diskutieren und Faulenzen wünscht<br />

die Redaktion<br />

10


Susanne Scheckel und Paul Brettel<br />

12<br />

What the fuck is «Arbeit»?<br />

Der Begriff Arbeit steht in unserer Gesellschaft im Zentrum von<br />

konkurrierenden Lebensentwürfen und Verteilungskämpfen.<br />

Umso überraschender mag es erscheinen, wie spärlich sein<br />

Gehalt philosophisch und gesellschaftlich ausgearbeitet ist.<br />

Obwohl einem_r kaum ein alltäglicheres Wort als „Arbeit“<br />

einfallen mag und es scheinbar sehr konkrete Tätigkeiten<br />

benennt, fällt es bei einer näheren Betrachtung schwer,<br />

die Eigenschaften, die jene Tätigkeiten einen, eindeutig<br />

festzuschreiben. Diese Unbestimmtheit ist insbesondere<br />

problematisch, da über den Begriff „Arbeit“ Rechte und<br />

der Zugang zu Ressourcen ausgehandelt werden, er aber<br />

in seiner Dehnbarkeit strategisch nach Belieben neu<br />

besetzt werden kann, vorausgesetzt Akteur_innen sind<br />

im Besitz ausreichender Diskursmacht. Genau dieser<br />

Mechanismus ist es, welcher es erlaubt aus einer Analyse<br />

des Begriffsgebrauchs ein Licht auf gesellschaftliche<br />

Kräfteverhältnisse zu werfen. Wer den Status Quo der Arbeit<br />

untersuchen will, fängt also am besten damit an zu fragen,<br />

was Arbeit überhaupt ist. Auf eine einheitliche Definition von


Susanne Scheckel, Paul Brettel<br />

Arbeit konnten und wollten wir uns bei diesem Artikel sowie<br />

in der gesamten Broschüre nicht einigen. Ziel soll es vielmehr<br />

sein, die Widersprüchlichkeit des Begriffs aufzudecken.<br />

Die Unterwerfung subjektiver unter marktvermittelte<br />

Zwecke<br />

Bei „Arbeit“ im hegemonialen Verständnis handelt es sich in<br />

der Regel um Lohnarbeit. Auch wenn damit die vielfältigen<br />

gesellschaftlichen Tätigkeiten, denen Sinn zugebilligt wird,<br />

keineswegs vollständig erfasst sind, darf sich eine Tätigkeit<br />

offenbar erst beim Tausch <strong>gegen</strong> Geld auch Arbeit nennen.<br />

Hier wird bereits deutlich, dass die Identifizierung einer<br />

Tätigkeit als „Arbeit” in irgendeiner Weise positiv besetzt<br />

ist, sie wird dadurch anonymisiert aufgewertet. Arbeit<br />

bildet damit eine eigene Sinnkategorie. Es ist der engagiert<br />

arbeitende Mensch, der Anerkennung erfährt, zunächst<br />

unabhängig davon, welches Resultat am Ende seiner<br />

Anstrengungen steht.<br />

Er grenzt sich damit vom faulen Menschen ab, der sich der<br />

Arbeit entzieht. Die positive Besetzung von Arbeit spielt eine<br />

wichtige Rolle dafür, Akzeptanz für Tätigkeiten zu schaffen,<br />

deren eigentlicher Zweck sich dem Verständnishorizont des<br />

arbeitenden Menschen entzieht. Teilweise werden aber<br />

auch offensichtlich zerstörerische Tätigkeiten durch ihre<br />

Identifizierung als Arbeit geläutert und mit Anerkennung<br />

besetzt, was sich beispielweise am Vergleich des<br />

gesellschaftlichen Status’ von Waffenproduzent_innen und<br />

Hartz-IV-Empfänger_innen ablesen lässt. Dies zeigt sehr klar,<br />

dass Menschen sich nicht erst mit den gesellschaftlichen<br />

Folgen einer Arbeit beschäftigen müssen, um sie als harte<br />

13


What the fuck is «Arbeit»<br />

Arbeit anzuerkennen. Effektiv gesehen ordnen sie dabei<br />

in ihrer Erfolgswahrnehmung ihre individuell gesetzten<br />

Zwecke den fremd gesetzten Zwecken von Arbeit unter.<br />

Entscheidend für den Erfolg ist nicht, wie die Welt durch<br />

einen <strong>Arbeits</strong>prozess geformt wird, sondern wie Erfolg<br />

innerhalb des entsprechenden <strong>Arbeits</strong>feldes definiert ist,<br />

wenn sich denn ein Tätigkeitsfeld überhaupt als <strong>Arbeits</strong>feld<br />

etablieren kann.<br />

Bleibt zu fragen, wie sich diese Erfolgsdefinitionen<br />

gesamtgesellschaftlich <strong>gegen</strong> die individuellen Zwecke<br />

durchsetzen. Als wichtige Funktionsmomente sind Geld und<br />

Leistungsideal zu nennen, die beide dazu dienen, das Resultat<br />

von Arbeit auf eindimensionalen Achsen zu quantifizieren.<br />

Beide Momente wirken hierarchisierend, einerseits<br />

in Reiche und Arme, andererseits in “Leistungträger_<br />

innen” und “Leistungsverweigerer_innen”. Von jeglicher<br />

Zwecksetzung losgelöst wird die arbeitende Person durch<br />

das Leistungsideal moralisch, durch das Geld materiell<br />

unter Druck gesetzt, innerhalb der Sinnkategorie Arbeit zu<br />

funktionieren. Die Hierarchisierung bleibt dabei nicht der<br />

Sphäre der Arbeit verhaftet, sondern pflanzt sich in andere<br />

Lebensbereiche fort. Sie ist eines der prägenden Momente<br />

der Gesellschaft überhaupt, denn es sind nicht nur Geld,<br />

Wissen und Macht, die man sich erarbeitet, sondern auch<br />

eine Identität. Die Verteilung beispielsweise, wer wie lange<br />

sprechen darf, wird in allen sozialen Situationen maßgeblich<br />

über den gesellschaftlichen Status der Sprecher_<br />

innen vorgenommen und steht damit demokratischen<br />

Entscheidungen aller Betroffenen auf Augenhöhe im Wege.<br />

Dabei wird fiktiv eine Bewegungsfreiheit innerhalb der<br />

14


Susanne Scheckel, Paul Brettel<br />

Hierarchie angenommen, um sie zu rechtfertigen und um<br />

bei Menschen am unteren Ende dieser Rangordnung mittels<br />

Aufstiegshoffnungen Akzeptanz zu schaffen. Es ist das<br />

alte Versprechen, von der Tellerwäscherin zur Millionärin<br />

aufsteigen zu können, wenn man nur hart genug arbeite.<br />

Die Belohnung mit Geld, Wissen, Macht und Anerkennung für<br />

die Eroberung eines Platzes am oberen Ende der Hierarchie,<br />

und damit die Erfolgsskala, wird dabei von Marktmechanismen<br />

angeleitet. Arbeit kann in ihrer derzeitigen Bedeutung als<br />

Lohnarbeit also als Synonym dafür identifiziert werden, dass<br />

Zwecksetzungen an den Markt delegiert werden, etwas<br />

das idealerweise demokratischen Verfahren vorbehalten<br />

sein sollte. Von wirtschaftsliberalen Theoretiker_innen<br />

wird diese Tatsache zumeist damit begründet, dass der<br />

Markt als eine Schwarmintelligenz funktioniert, und eine<br />

dezentrale effiziente Informationsvermittlung ermöglicht,<br />

die demokratisch nicht geleistet werden kann. Wird sich<br />

tatsächlich darum bemüht, einen finalen Zweck dieser<br />

Schwarmintelligenz zu benennen (in seiner radikalsten<br />

Ausprägung meint der Wirtschaftsliberalismus das Problem<br />

der Zwecksetzung durch die unhinterfragte „Freiheit des<br />

Privateigentums“ bereits überflüssig zu machen) wird<br />

zumeist gesamtgesellschaftlicher materieller Wohlstand<br />

bemüht. Mit der Einführung dieses Begriffs tut sich<br />

nun ein neues komplexes Themenfeld auf. Zunächst<br />

stellt sich die Frage, mit welcher Formel individueller<br />

Wohlstand gesamtgesellschaftlich integriert werden soll<br />

und ob er überhaupt quantifizierbar ist. Erst dann kann<br />

empirisch ermittelt werden, ob das Marktregime dieses<br />

Wohlstandsversprechen tatsächlich halten kann - etwas<br />

15


What the fuck is «Arbeit»<br />

woran es in seiner derzeitigen Form angesichts der<br />

aktuellen Finanzkrise offensichtlicher denn je scheitert.<br />

Und schließlich muss dieser schwammige, letztendliche<br />

Zweck des Marktes sich immer wieder daran messen, dass<br />

Menschen in der Lohnarbeit hierarchisiert werden und ihre<br />

eigenen Ambitionen, selbst Zwecke zu setzen und in die Welt<br />

gestaltend einzugreifen, aufgeben bzw. dem Marktregime<br />

unterordnen müssen.<br />

Der <strong>Arbeits</strong>begriff bei Marx<br />

Es stellt sich nun die Frage, ob die zuletzt beschriebene<br />

Entfremdung des Menschen von den Zwecken seiner Arbeit<br />

eine Folge ihrer Rahmenbedingungen ist, also beispielweise<br />

ihrer Vermittlung durch den derzeitigen Markt, oder die<br />

Problematik dem Begriff Arbeit bereits wesensinhärent<br />

ist. An dieser Stelle wollen wir Parallelen zu einer<br />

aktuellen Debatte aufzeigen, die auf Marxsche Kategorien<br />

zurückgreift. Dort wird die Unterscheidung zwischen zwei<br />

sich widersprechenden <strong>Arbeits</strong>begriffen bei Marx betont.<br />

Der <strong>Arbeits</strong>begriff des frühen Marx wird dabei mit dem<br />

Begriff der abstrakten Arbeit in der Kritik der politischen<br />

Ökonomie identifiziert. Demnach kommt der Versuch,<br />

Tätigkeiten von dem konkreten Ziel einer Arbeiter_in<br />

zu trennen und zu Arbeit zu abstrahieren, bereits einer<br />

Entfremdung und Unterwerfung unter das Prinzip Markt<br />

gleich. Diese Abstraktion wird aber erst in Gesellschaften<br />

mit kapitalistischer Produktionsweise notwendig, denn dort<br />

müssen alle Güter, so auch menschliche Tätigkeiten, über<br />

einen Tauschwert miteinander vergleichbar sein. Das daraus<br />

16


Susanne Scheckel, Paul Brettel<br />

entspringende Verhältnis eines Menschen zu seiner Tätigkeit,<br />

die Unfähigkeit sie von ihrer Erscheinung im Kapitalismus –<br />

in dieser Interpretation also der Arbeit - zu unterscheiden,<br />

nennt Marx Fetisch. 1 Arbeit müsste demnach immer „sich<br />

selbst entfremdete Tätigkeit“ 2 sein. In Die deutsche Ideologie<br />

folgern Marx und Engels dieser negativen Auffassung von<br />

Arbeit entsprechend, “dass in allen bisherigen Revolutionen<br />

die Art der Tätigkeit stets unangetastet blieb und es sich<br />

nur um eine andere Distribution dieser Tätigkeit, um eine<br />

neue Verteilung der Arbeit an andere Personen handelte,<br />

während die kommunistische Revolution sich <strong>gegen</strong> die<br />

bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt…” 3 .<br />

Der späte Marx hin<strong>gegen</strong> wird eher dahingehend<br />

interpretiert, dass er der Arbeit einen Doppelcharakter<br />

zuschreibt. Obwohl sie als abstrakte Arbeit durch ihre<br />

Einbindung in den Markt die Arbeiter_innen vor das<br />

Problem stellt, sich selbst verwerten zu müssen, hat sie<br />

auf Seiten der tatsächlichen Produktion noch ein anderes<br />

Gesicht. „Als Bildnerin von Gebrauchswerten, als nützliche<br />

Arbeit, ist die Arbeit ... eine von allen Gesellschaftsformen<br />

unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige<br />

Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen<br />

Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu<br />

vermitteln”. 4 Ausgehend von dieser Unvermeidbarkeit,<br />

findet sich nun einerseits „die Perspektive, Arbeit von<br />

ihrem qualvollen ‘verkehrten’ Charakter zu entbinden und<br />

zu gemeinschaftlicher Selbstbetätigung mit Genuss zu<br />

befreien“, andererseits aber trotzdem die „Hoffnung, ihren<br />

Anteil an der Lebenstätigkeit zurückdrängen zu können<br />

durch Produktivkraftentwicklung und gerechte Verteilung<br />

17


What the fuck is «Arbeit»<br />

auf alle.“ 5<br />

Der realexistierende Sozialismus hatte sich besonders auf<br />

ersteres Verständnis verlegt, Arbeit ausdrücklich affirmiert<br />

und zum ersten Lebensbedürfnis stilisiert, woraufhin<br />

„die Erziehung zur Liebe zur Arbeit“ zur Grundlage<br />

pädagogischer Konzepte wurde. 6 Zeitgenössische Vertreter_<br />

innen der sogenannten Wertkritik erkennen gerade in<br />

dieser Affirmation das Festhalten an einer Fetischform<br />

und die Grundlage für das Scheitern des realexistierenden<br />

Sozialismus. Eine emanzipatorische Lesart müsse vielmehr<br />

wieder die Perspektive einer vollständige Aufhebung der<br />

Arbeit in den Mittelpunkt stellen. 7<br />

Auch unsere obenstehende Problematisierung der<br />

Entstehung einer eigenen Sinnkategorie Arbeit beruft sich<br />

inhaltlich auf den gleichen Ansatz wie Marx, die abstrakte<br />

Arbeit. Erst die Abstraktion ermöglicht, dass arbeitende<br />

Menschen die Zwecke ihrer Tätigkeiten aus den Augen<br />

verlieren. In diesem Sinne ergeben sich für uns ganz<br />

ähnliche Fragen bezüglich der Notwendigkeit von Arbeit,<br />

der Sinnhaftigkeit dieses Begriffs überhaupt, also der<br />

Aufhebung von Arbeit, bzw. einer neuen Eingrenzung des<br />

Begriffs, was Vorraussetzung für seine politisch sinnvolle<br />

Nutzung ist. Dazu soll zunächst versucht werden, die<br />

vorherrschenden Eingrenzungen nachzuvollziehen.<br />

Die vorherrschenden Abgrenzungen von Arbeit<br />

Die potentiell als Arbeit verstandenen Tätigkeiten lassen sich<br />

anhand verschiedener Trennungslinien einordnen. Anhand<br />

dieser Trennungslinien wird Menschen abgesprochen,<br />

sinnvollen Tätigkeiten nachzugehen – oft gepaart mit dem<br />

18


Susanne Scheckel, Paul Brettel<br />

Vorwurf der Faulheit.<br />

Eine erste Unterscheidung ist die oben angesprochene<br />

Einteilung in bezahlte und unbezahlte Tätigkeiten. Von der<br />

traditionellen Lohnarbeit grenzen sich hier beispielsweise die<br />

in den letzten Jahren von konservativer Seite stark geförderte<br />

ehrenamtliche Arbeit und die sich häufenden unbezahlten<br />

Praktika ab. Weiterhin unbezahlt oder schlecht bezahlt<br />

findet auch die Reproduktionsarbeit statt – also Tätigkeiten,<br />

die sich von der Produktionsarbeit dadurch abgrenzen, dass<br />

sie der (Wieder-)Herstellung der <strong>Arbeits</strong>kraft dienen. Dies<br />

ist auf individueller Ebene beispielsweise Haushaltsarbeit,<br />

auf gesellschaftlicher Ebene auch die Ausbildung neuer<br />

<strong>Arbeits</strong>kräfte und die Behandlung von aus gesundheitlichen<br />

Gründen nicht LohnarbeitsfähigeR. Obwohl diese Tätigkeiten<br />

gesellschaftlich zweifelsohne notwendig sind, wird vor allem<br />

private Reproduktionsarbeit nicht entlohnt und damit oft<br />

nicht als „Arbeit“ angesehen.<br />

Eine weitere Unterscheidung ist die in Kopf- und Handarbeit.<br />

Obgleich der Großteil der bezahlten Tätigkeiten heutzutage<br />

der Kopfarbeit zuzuordenen ist, lassen sich an Stammtischen<br />

weiterhin Meinungen finden, die Kopfarbeit nicht als „echte“<br />

Arbeit ansehen und ihr so ihren gesellschaftlichen Nutzen<br />

absprechen.<br />

Die Unterscheidung von kreativer und Routinearbeit<br />

zeigt eine weitere Schwierigkeit auf: Während im Fall<br />

von Routinearbeit die Tätigkeit und ihr Zeitraum leicht<br />

einzugrenzen ist, ist dies bei kreativen Tätigkeiten viel<br />

schwieriger. Bei diesen besteht oft eine unscharfe Trennung<br />

von „Arbeit“ und „Freizeit“, wodurch sie oft nicht als Arbeit<br />

erscheinen – insbesondere wenn sie sich zugleich mit<br />

19


What the fuck is «Arbeit»<br />

Hobbys überschneiden. So werden künstlerische Tätigkeiten<br />

nur in seltenen Fällen als wertvoll erachtet. Ähnliches gilt<br />

im Bereich des Sports oder auch politischer Tätigkeiten.<br />

Ist Scheißen Arbeit?<br />

Anhand der genannten Beispiele soll deutlich werden, dass<br />

das hegemoniale <strong>Arbeits</strong>verständnis nicht in der Lage ist, eine<br />

nachvollziehbare und scharfe Definition der „<strong>Arbeits</strong>sphäre“<br />

zu liefern. Vielmehr ist die Definition von Arbeit ein ständiger<br />

Aushandlungsprozess, der sich entlang bestehender<br />

Traditionen und vermachteter Gesellschaftsstrukturen<br />

vollzieht.<br />

Strategisch lassen sich hieraus verschiedene<br />

Folgerungen ziehen. Eine Möglichkeit ist der Versuch,<br />

in den Aushandlungsprozess um die Anerkennung von<br />

Tätigkeiten als Arbeit aus emanzipatorischer Perspektive<br />

einzugreifen – so beispielweise mit der verbreiteten<br />

feministischen Forderung, private Reproduktionsarbeit<br />

als Arbeit anzuerkennen und entsprechend zu entlohnen.<br />

Perspektive dieser Herangehensweise müsste sein,<br />

möglichst viele Tätigkeiten als Arbeit anzuerkennen, um<br />

so den im derzeitigen <strong>Arbeits</strong>begriff angelegten <strong>Zwang</strong> zur<br />

Erfüllung marktvermittelter, fremder Zwecke zu umgehen.<br />

Die logische Folgerung wäre: Scheißen ist Arbeit! (nebenbei<br />

bemerkt: dies würde einer Marxschen Definition von Arbeit<br />

als „Stoffwechsel mit der Natur“ bildlich doch sehr nahe<br />

kommen...)<br />

Aus dieser Perspektive ließe sich umgekehrt auch folgern,<br />

dass der Begriff Arbeit aufgrund seiner Unbestimmtheit<br />

20


Susanne Scheckel, Paul Brettel<br />

und Willkür abgeschafft gehört. So würde idealerweise<br />

die Hierarchisierung von Tätigkeiten unmöglich gemacht;<br />

Menschen dürften frei nach ihren Bedürfnissen und<br />

subjektiven Zwecksetzungen (die nicht unbedingt egoistisch<br />

sein müssen) leben.<br />

Dabei bleibt jedoch offen, wie gesellschaftlich mit<br />

unliebsamen Tätigkeiten umgegangen wird, die dabei<br />

möglicherweise unter den Tisch fielen. Es stellt sich die Frage,<br />

ob sich solche „gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten“<br />

als Arbeit definieren lassen, deren genaue Eingrenzung,<br />

Verteilung und Organisation dann demokratisch<br />

ausgehandelt werden muss. So muss neben der Frage, was<br />

überhaupt „gesellschaftlich notwendig“ ist, auch geklärt<br />

werden, welche Tätigkeiten zu subjektiven, individuellen<br />

Zwecken, und welche zu fremden oder gesellschaftlichen<br />

Zwecken erbracht werden. Während scheißen und andere<br />

subjektive Bedürfnisse häufig individuell erfüllt werden,<br />

ließe sich bei gesellschaftlichen Bedürfnissen verhandeln,<br />

inwiefern diese durch gesellschaftliche Aufteilung der dafür<br />

notwendigen Tätigkeiten erfüllt werden können. Wenngleich<br />

bei dieser Vorgehensweise die Zweckdefinitionen<br />

zumindest nicht in letzter Instanz der Eigendynamik eines<br />

Marktes überlassen werden, impliziert sie weiterhin ein<br />

gesellschaftlich festgelegtes Leistungsideal, in dem<br />

subjektive Zwecksetzungen einer verallgemeinerten<br />

Zwecksetzung untergeordnet werden müssten.<br />

Sicher ist damit eigentlich nur eines: Was Arbeit ist und was<br />

nicht, lässt sich nur politisch verhandeln – eine vorgefertigte<br />

Antwort gibt es nicht.<br />

21


What the fuck is «Arbeit»<br />

1 Vgl. K. Marx, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, Berlin<br />

2009, S.131<br />

2 K. Marx u. F. Engels, Werke, Ergänzungsband, 1. Teil, Dietz Verlag, Berlin<br />

(DDR), 1968, S.543<br />

3 K. Marx u. F.Engels, Werke, Bd.3, Die deutsche Ideologie, Dietz Verlag,<br />

Berlin/DDR 1969, S.69; Hervorhebung Marx/Engels<br />

4 K. Marx, F. Engels, Werke, Bd. 23, Das Kapital, Bd. I, Erster Abschnitt,<br />

Dietz Verlag, Berlin/DDR 1968, S.57<br />

5 Hg. W. Haug, Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd.1,<br />

Argument Verlag, Hamburg 1994, S.417<br />

6 Hg. W. Haug, Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd.1,<br />

Argument Verlag, Hamburg 1994, S.414<br />

7 Vgl. Robert Kurz, Postmarxismus und <strong>Arbeits</strong>fetisch, http://www.trend.<br />

infopartisan.net/trd1103/t101103.html<br />

22


Florian Metzger<br />

Eine (europäische) Geschichte des<br />

<strong>Arbeits</strong>zwanges<br />

Den allermeisten Menschen ist zumindest gefühlsmäßig<br />

eines bewusst: Lohnarbeit bedeutet Mühsal und<br />

Demütigung. Und trotzdem ist Lohnarbeit in unserer<br />

Gesellschaft der Lebensinhalt schlechthin, entscheidend für<br />

gesellschaftliche Anerkennung, soziale Integration, sogar für<br />

die nackte Existenz.<br />

Diese Bedeutung ist in in der Antike, dem Mittelalter und<br />

der frühen Neuzeit noch wenig überraschend, angesichts<br />

der ineffizienten, von Wetter und Geschick abhängigen<br />

Agrarwirtschaft . Doch anders als erhofft hat die rasante<br />

technische und industrielle Entwicklung (in Deutschland<br />

insbesondere ab 1850) weder zu einem entsprechenden<br />

Wohlstand aller Menschen geführt, noch wurde die<br />

angeblich gesellschaftlich notwendige Lohnarbeit langsam<br />

aber sicher überflüssig. Im Gegenteil: Heute wie immer plagt<br />

man sich, heute wie immer wird auf das „arbeitsscheue<br />

Gesindel“ geschimpft, heute wie immer werden Menschen<br />

23


Eine (europäische) Geschichte des <strong>Arbeits</strong>zwanges<br />

zur Arbeit gezwungen. Die Geschichte der Arbeit war dabei<br />

auch immer eine Geschichte von Methoden der Kontrolle,<br />

der Disziplinierung und der Propaganda. So wusste schon<br />

Aristoteles:<br />

“Damit sie dauernd ihrem Lebensunterhalt nachgehen<br />

müssen und keine Zeit zur Konspiration haben.” 1<br />

Frühe Formen von Abhängigkeit und <strong>Zwang</strong><br />

Die Geschichte weist hinsichtlich des <strong>Arbeits</strong>zwanges<br />

Unterschiede und Entwicklungen, aber auch Kontinuitäten<br />

auf. Der <strong>Zwang</strong> zur Arbeit, direkt oder indirekt ausgeübt,<br />

ist so alt wie die Arbeit selbst. Am Anfang der Geschichte<br />

steht die landwirtschaftliche Revolution, die Aufgabe des<br />

Nomadentums und der Beginn von Ackerbau und Viehzucht.<br />

<strong>Arbeits</strong>teilung entsteht, Städte werden gegründet und<br />

Handel getrieben. Durch das Aufkommen des Privatbesitzes<br />

wird jedoch auch die Anhäufung von Besitz, insbesondere<br />

von Ackerland, möglich.<br />

In den antiken Gesellschaften Griechenlands und Roms<br />

sind vor allem die einfachen Bauern gezwungen, Schulden<br />

bei adligen Großgrundbesitzern aufzunehmen, um Saatgut<br />

kaufen zu können. Ursache ist vorrangig die ungerechte<br />

Verteilung von Land, die den meisten Familien kaum genug<br />

zum Leben lässt, während der Adel seinen Besitz immer<br />

mehr ausweitet. Können die Bauern Schuld und Zins nicht<br />

zurückzahlen, so geraten sie in die Schuldknechtschaft. Sie<br />

verlieren ihr Land und damit ihre Existenzgrundlage an den<br />

Gläubiger und müssen ihre Schuld, meist bis ans Ende ihres<br />

Lebens, abarbeiten. Eine direkte Form der <strong>Zwang</strong>sarbeit<br />

ist die Sklaverei, bei der Menschen nicht nur ökonomisch<br />

24


Florian Metzger<br />

vollkommen abhängig von ihren Herren sind und von diesen<br />

ausgebeutet werden, sondern auch keinerlei Bürgerrechte in<br />

Anspruch nehmen können.<br />

Im Mittelalter werden diese quasi-feudalistischen<br />

Abhängigkeitsverhältnisse fortgeführt und modifiziert. Als<br />

maßgeblich bei der Legitimierung dieser Ausbeutung erweist<br />

sich die christliche Lehre, die jedem Menschen seinen<br />

gottgewollten Platz in der Welt zuweist: Der Adel möge<br />

herrschen und beschützen (Tu protege), die Priester beten<br />

(Tu supplex ora) und die Bauern arbeiten (Tuque labora).<br />

Arbeit im Kapitalismus<br />

Mit dem Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert<br />

wird schließlich ein Prozess angestoßen, der nicht nur<br />

die Wirtschaft grundlegend verändert, sondern auch<br />

zunehmend sämtliche Lebensbereiche, von der Familie<br />

bis hin zu Kriegsführung und globaler Machtpolitik.<br />

Die Landwirtschaft, seit Jahrtausenden die vorherrschende<br />

Wirtschaftsform, wird abgelöst. Zur Erhöhung von Effizienz<br />

und Profit wird Handwerk arbeitsteilig organisiert; anstelle<br />

eines Handwerkers, der seine eigene Werkstatt besitzt und<br />

als Meister einen bestimmten Gegenstand, z. B. eine Uhr<br />

von Anfang bis Ende selbst herstellt, treten nun Fabriken, in<br />

denen viele ungelernte Menschen für Lohn an der Herstellung<br />

eines Produkts mitarbeiten. Sie wirken nur arbeitsteilig<br />

an der Produktion mit, sind also ersetzbar; die Fabriken<br />

inklusive aller Maschinen und Werkzeuge sind Eigentum<br />

eines Unternehmers oder einer Unternehmergruppe. Diese<br />

verkaufen das Produkt und zahlen einen Teil als Lohn an<br />

die Arbeiter. Was übrigbleibt, der Mehrwert, wird in den<br />

25


Eine (europäische) Geschichte des <strong>Arbeits</strong>zwanges<br />

Betrieb reinvestiert oder geht als Profit an die Eigentümer,<br />

die Kapitalisten.<br />

Die Folgen der Industrialisierung betreffen alle Bereiche der<br />

Gesellschaft: Landflucht, ein stetes Bevölkerungswachstum,<br />

die Auflösung von Haus- und Hofgemeinschaften und die<br />

Arbeit von Frauen und Kindern in Fabriken sind einige der<br />

markantesten Folgen.<br />

Auch das Rechtssystem wird angepasst, bspw. durch<br />

die Abschaffung der Leibeigenschaft und die Einführung<br />

der Gewerbefreiheit 1807-1811 im Königreich Preußen.<br />

Ideologische Legitimierungen der neuen <strong>Arbeits</strong>verhältnisse<br />

finden sich einmal auf religiöser Ebene, wo die<br />

protestantische <strong>Arbeits</strong>moral Arbeiten, Sparsamkeit, Fleiß,<br />

Disziplin und Demut zu höchsten Tugenden erklärt. Auf<br />

ökonomischer Ebene erarbeitet Adam Smith die theoretische<br />

Grundlage für das Funktionieren kapitalistischer Wirtschaft.<br />

Die entstehende Industrie verschlingt ganze<br />

Menschenmassen: Hunderttausende werden benötigt,<br />

um die anstrengende Arbeit zu verrichten. Dabei sind<br />

die <strong>Arbeits</strong>bedingungen in den Fabriken unerträglich:<br />

18 Stunden Arbeit pro Tag sind keine Seltenheit,<br />

<strong>Arbeits</strong>schutz ist nicht vorhanden oder mangelhaft. Die<br />

Arbeiterinnen und Arbeiter sind den Fabrikherren völlig<br />

ausgeliefert. Gewerkschaften sind lange Zeit verboten<br />

und werden verfolgt, selbstorganisierter Widerstand jeder<br />

Art wird häufig mithilfe von Polizei und Militär gewaltsam<br />

unterdrückt. Strenge Disziplinarmaßnahmen innerhalb der<br />

Betriebe sollen die Arbeiterinnen und Arbeiter gefügsam<br />

machen und an die harte Arbeit gewöhnen; so kann<br />

schon bei geringfügiger Verspätung der Lohn gekürzt<br />

26


Florian Metzger<br />

werden, Unachtsamkeiten während der Arbeit werden<br />

besonders bei Kindern mit körperlicher Züchtigung<br />

bestraft. Erst durch jahrzehntelange <strong>Arbeits</strong>kämpfe<br />

von linken Gewerkschaften, Parteien und Bewegungen<br />

konnten bessere <strong>Arbeits</strong>bedingungen erkämpft werden.<br />

Um zu verhindern, dass diese Entwicklung eine Dynamik<br />

erhält, die irgendwann unkontrollierbar werden könnte,<br />

werden 1883 – 1889 von Bismarck staatliche Sozialsysteme<br />

errichtet, u. a. Kranken-, Unfall-, und Rentenversicherung.<br />

Gleichzeitig wird die ArbeiterInnenbewegung verfolgt und<br />

hat mit schweren Repressionsmaßnahmen zu kämpfen.<br />

Durch die staatlichen Reformen verbessert sich zwar die<br />

Situation der Beschäftigten nachhaltig, allerdings wird so<br />

auch eine Abhängigkeit von der staatlichen Fürsorge und<br />

damit Möglichkeiten der Kontrolle, der Erpressung und der<br />

Disziplinierung geschaffen.<br />

Der federführende Reichskanzler Bismarck gibt dies<br />

freimütig zu: „Mein Gedanke war, die arbeitenden<br />

Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen,<br />

den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die<br />

ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte.“ 2<br />

Der Freiwillige <strong>Arbeits</strong>dienst (FAD)<br />

Die Katastrophe des Ersten Weltkriegs hat in den frühen 20iger<br />

Jahren weltweit schwere wirtschaftliche und politische Krisen<br />

zur Folge. Massenhafte <strong>Arbeits</strong>losigkeit und Armut betreffen<br />

immer mehr Menschen, insbesondere aber Jugendliche.<br />

Doch erst infolge der weltweiten Wirtschaftskrise mit nie<br />

dagewesener <strong>Arbeits</strong>losigkeit, die der wirtschaftlichen<br />

Progression der späten 20er Jahre ein Ende setzt, wird 1931<br />

27


Eine (europäische) Geschichte des <strong>Arbeits</strong>zwanges<br />

von der Reichsregierung Brüning per Notstandsgesetz der<br />

Freiwillige <strong>Arbeits</strong>dienst (FAD) eingeführt. Hintergrund ist<br />

die Angst vor einer Politisierung bzw. Radikalisierung der<br />

<strong>Arbeits</strong>losen. Großangelegte Programme sollen <strong>Arbeits</strong>lose<br />

deshalb zum Arbeiten bringen, dabei ist die angebliche<br />

Freiwilligkeit rein formaler Natur, da Hunger und Armut<br />

zur Annahme der angebotenen <strong>Arbeits</strong>dienste zwingen.<br />

Ab 1932 darf jeder zwischen 18 und 25 Jahren am FAD<br />

teilnehmen, im November sind 285 000 Menschen erfasst.<br />

Die Dienstzeit wird auf 40 Wochen im Jahr heraufgesetzt,<br />

wobei die Entlohnung von Anfang an sehr gering ist.<br />

Zudem gelten Streik - und Organisationsrecht nicht für<br />

<strong>Arbeits</strong>dienstleistende.<br />

Erzwungene Arbeit und <strong>Zwang</strong>sarbeit im<br />

Nationalsozialismus<br />

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933<br />

wird der FAD zunächst übernommen und in der Folgezeit,<br />

ebenso wie alle anderen gesellschaftlichen und staatlichen<br />

Organisationen, „gleichgeschaltet“, d. h. unliebsame<br />

Träger und Personal werden verdrängt und entlassen.<br />

Zwei Jahre später wird der FAD per Gesetz endgültig zu<br />

einer staatlichen Organisation und Bestandteil sowohl der<br />

Wirtschaft als auch der nationalsozialistischen Erziehung.<br />

Der neue Reichsarbeitsdienst (RAD) ist für alle verpflichtend,<br />

die das 18. Lebensjahr vollendet haben, und dauert sechs<br />

Monate, danach folgt der Wehrdienst. Der RAD ist straff<br />

militärisch organisiert, Fehlverhalten wird hart bestraft.<br />

Das Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935 macht<br />

die Bedeutung des <strong>Arbeits</strong>zwangs denkbar deutlich:<br />

28


Florian Metzger<br />

„Der Reichsarbeitsdienst soll die deutsche Jugend im<br />

Geiste des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft<br />

und zur wahren <strong>Arbeits</strong>auffassung, vor allem zur<br />

gebührenden Achtung der Handarbeit erziehen.“<br />

Erst nach dem Krieg wird der RAD durch den alliierten<br />

Kontrollrat aufgelöst.<br />

Die erzwungene Arbeit im RAD muss jedoch <strong>gegen</strong>über<br />

anderen Formen der <strong>Zwang</strong>sarbeit in Nazi-Deutschland<br />

abgegrenzt werden. Während – wie das Zitat oben<br />

deutlich macht – der RAD zur Integration von (nicht<br />

verfolgten) Deutschen in eine „Volksgemeinschaft“ diente,<br />

war die <strong>Zwang</strong>sarbeit in Konzentrationslagern und die<br />

Kriegsgefangenen- sowie „Ausländereinsätze“ geprägt von<br />

Peinigung, Unterwerfung und Massenvernichtung. Aber<br />

auch die <strong>Zwang</strong>sarbeit für „Nicht-Deutsche“ bedarf einer<br />

differenzierten Betrachtung, die die einzelnen Verfolgten<br />

bzw. „herangezogenen“ Gruppen, die jeweilige Zeit (Zeit<br />

des „kaum gesteuerten Terrors“, Zentralisierung, nach den<br />

Pogromen, die jeweiligen Phasen des Kriegs) und den Ort<br />

(„im Reich“ oder „außerhalb“) berücksichtigt. Dies kann an<br />

dieser Stelle so nicht geleistet werden. 3 Die zur <strong>Zwang</strong>sarbeit<br />

verpflichteten Gruppen lassen sich übersichtshalber<br />

in die (aus politischen oder „rassischen“ Gründen) in<br />

Konzentrationslagern Inhaftierten, in Kriegsgefangene sowie<br />

in zwangsverschleppte Fremdarbeiter_innen aus anderen<br />

Ländern aufteilen. Während die Fremdarbeiter_innen und<br />

teilweise die Kriegsgefangenen unter größtenteils grausamen<br />

Bedingungen noch ökonomisch sinnvoller Arbeit „zugeführt“<br />

wurden, war die <strong>Zwang</strong>sarbeit in den Konzentrationslagern<br />

Teil des Massenvernichtungsprogramms. Die „Ausmerzung“<br />

29


Eine (europäische) Geschichte des <strong>Arbeits</strong>zwanges<br />

bestimmter Gruppen, allen voran die der Juden und<br />

Jüdinnen, stand betriebswirtschaftlichen Überlegungen<br />

bis zuletzt vor – die „Vernichtung durch Arbeit“ wurde erst<br />

mit der Kriegswende Anfang 1943 in Frage gestellt, aber in<br />

kleinerem „Stil“ noch bis zum Ende des Krieges fortgeführt.<br />

Gegen 1944 waren über sieben Millionen Menschen in<br />

(Rüstungs-)Industrie, Landwirtschaft, Konzentrationslagern,<br />

SS-Betrieben, privaten Haushalten, Kleinstbetrieben, usw.<br />

zwangsweise „beschäftigt“. Millionen ließen dabei ihr<br />

Leben. Entschädigungen – gerade für Fremdarbeiter_innen<br />

- wurden kaum gezahlt.<br />

Ein „heute wie damals“, also eine Übertragung des damals<br />

herrschenden <strong>Zwang</strong>s und der Demütigung auf heutige<br />

Verhältnisse wäre allerdings falsch und unangemessen. Von<br />

einer Tradition der <strong>Zwang</strong>sarbeit in Deutschland zu sprechen<br />

und dabei, ungeachtet der gewaltigen Unterschiede, die<br />

<strong>Zwang</strong>sarbeit für „Nicht-Deutsche“ in Nazi-Deutschland in<br />

eine Reihe mit den Hartz-IV-Gesetzen zu stellen, wäre schon<br />

deshalb unangebracht, weil eine Verweigerung nicht zum<br />

sofortigen Tod oder körperlichen Strafen führt. Zielführender<br />

erscheint eine Auseinandersetzung mit dem „damals wie<br />

heute“ verwendeten <strong>Arbeits</strong>begriff, dem ein ausschließender<br />

Charakter zugeschrieben werden kann: Arbeiten sei<br />

„deutsch“ und damit „gut“ – wer also nicht arbeitet oder<br />

nicht arbeiten kann, ist nicht Teil des „Volkskörpers“, nicht<br />

„gut“ und aus der Gemeinschaft auszuschließen.<br />

30


Florian Metzger<br />

1 Aristoteles, Politik, 1314 a 15 – 25 .<br />

2 Bismarck, Otto Gesammelte Werke 1924/1935, Band 9, S.195/196.<br />

3 Für einen ersten Überblick sei aber auf folgenden Text verwiesen: Bakonyi,<br />

Rainer (2000): Dimensionen der <strong>Zwang</strong>sarbeit im Nationalsozialismus. In:<br />

VVNBdA Esslingen (Hg.): „Räder müssen Rollen für den Sieg“ - <strong>Zwang</strong>sarbeit<br />

im „Dritten Reich“. Stuttgart: Schmetterling<br />

31


Torsten Schulte<br />

Wenn von Arbeit die Rede ist, wird leider immer noch zu oft die<br />

Hausarbeit vergessen. Mit der 2. Frauenbewegung und der<br />

sich daran anschließenden Frauenforschung in den 1970er<br />

Jahren wurde im Rahmen der Kritik an einem vorwiegend<br />

männlichen bzw. patriarchalen Wissenschaftsbetrieb und<br />

dessen Forschungs<strong>gegen</strong>ständen auch die Hausarbeit<br />

in den Blick genommen. Meiner Meinung nach sind zwei<br />

Ansätze zu unterscheiden. Der eine Ansatz kritisierte die<br />

gesellschaftliche und wissenschaftliche Vorstellung vom<br />

‘natürlichen Wesen’ der Hausarbeit welches dem ‘Wesen<br />

der Frau’ entspräche. Der zweite Ansatz setzte sich primär<br />

mit der marxistischen Gesellschaftstheorie auseinander.<br />

Im folgenden Artikel wird vor allem der Letztere dargestellt,<br />

um den <strong>Arbeits</strong>begriff kritisch zu erweitern. Dabei bleiben<br />

wir ‘theoretisch’ bei den Debattenständen der 1990er Jahre<br />

stehen, da eine poststrukturalistische bzw. queere Analyse<br />

den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, was jedoch<br />

32<br />

Arbeit – Hausarbeit -<br />

Lohn für Hausarbeit?!?


Torsten Schulte<br />

keinesfalls bedeutet, dass diese Analyse nicht dringend<br />

nötig wäre.<br />

Hausarbeit als historisches Faktum der Frauenunterdrückung<br />

Beeinflusst von der politischen Frauenbewegung wurden<br />

die gesellschaftlichen Vorstellungen über das was ‘Frauen’ *<br />

bei der Hausarbeit leisten, sowie die Ehe als patriarchales<br />

Unterdrückungsverhältnis kritisiert. Grundlage war, dass<br />

bis in die 1960er Jahre hinein, die Hausarbeit als ein<br />

unhistorisches privates Faktum galt. Sie wurde als dem<br />

natürlichen Wesen der ‘Frau’ entsprechend - als ihr zeitloses<br />

und biologisches Schicksal - aufgefasst, und konnte deshalb<br />

kein Gegenstand von Wissenschaft sein. Vor allem Giesela<br />

Bock und Barbara Duden kritisierten in der BRD diese<br />

Vorstellung scharf und zeigten die historische Wandlung<br />

der Hausarbeit in Europa auf. Sie stellten dar, dass<br />

Hausarbeit bzw. das, was in der ‘Moderne’ als Hausarbeit<br />

definiert wurde, relativ neuen Ursprungs war. Erst mit<br />

Beginn der industriellen Revolution und dem Aufkommen<br />

des Kapitalismus im 17. und 18. Jahrhundert entstand<br />

ungleichzeitig und regional unterschiedlich das, was heute<br />

als Hausarbeit definiert wird. Vor diesem Zeitraum existierte<br />

der Begriff der Hausarbeit nicht. Hausarbeit hängt somit eng<br />

mit dem Entstehen der bürgerlichen Familie zusammen. Erst<br />

mit der Durchsetzung der bürgerlichen Familie als Typus der<br />

* Wenn in diesem Artikel von den Frauen bzw. der Frau die Rede ist,<br />

dann ist damit keinesfalls eine natürliche biologische und zwangsläufig<br />

soziale Realität gemeint, sondern eine historische Kategorie bzw. eine gesellschaftlich<br />

konstruierte Zuschreibung.<br />

33


Arbeit - Hausarbeit - Lohn für Hausarbeit?!?<br />

gesamten Bevölkerung, welcher die Hausgemeinschaften<br />

des Feudalismus ersetzte, entstand das, was Hausarbeit<br />

heute ist und wo<strong>gegen</strong> sich die feministische Kritik richtet.<br />

Hausarbeit galt als labor of love (Arbeit aus Liebe) im<br />

Gegensatz zu work for money (Arbeit für Lohn). In der<br />

Institution Ehe und Familie wurde von der Frau erwartet,<br />

ihre physische <strong>Arbeits</strong>kraft und ihre sexuelle Verfügbarkeit<br />

für die Zeit ihres Lebens dem Mann zu übereignen. Im<br />

Gegenzug erhielt die Frau für die Zeit der Ehe materielle<br />

Sicherheit. Deswegen ist keinesfalls von labour of love zu<br />

sprechen, sondern eher von ‘(Sex)-Arbeit <strong>gegen</strong> Unterhalt’.<br />

Die historische Konstruktion von Hausarbeit war und ist<br />

heute immer noch ein Baustein des Patriarchats. Die<br />

Lebensrealität von ‘Frauen’ wird durch die Unbezahltheit<br />

der Hausarbeit stark vom Abhängigkeitsverhältnis in<br />

der Ehe geprägt. Die massenhafte Durchsetzung der<br />

Hausarbeit ist dabei nicht nur ein funktionales Moment der<br />

Frauenunterdrückung, sondern auch des kapitalistischen<br />

Gesellschaftszusammenhangs.<br />

Das Kapitalverhältnis<br />

Eine zentrale Grundannahme der marxistischen<br />

Gesellschaftsanalyse ist die Unterscheidung vom Besitz bzw.<br />

Nichtbesitz an Produktionsmitteln. Produktionsmittel sind<br />

die Gesamtheit der <strong>Arbeits</strong>mittel und <strong>Arbeits</strong><strong>gegen</strong>stände<br />

mit denen der Mensch im Produktionsprozess materielle<br />

Güter erzeugt und produktive Leistungen vollbringt. So sind<br />

zum Beispiel bei der Herstellung eines Lederschuhs die<br />

Gesamtheit der Rohstoffe (Leder, Gummi, Garn etc.) sowie<br />

die Nähmaschine und die Räume in denen produziert wird,<br />

34


Torsten Schulte<br />

Produktionsmittel. Gesellschaftssysteme unterscheiden sich<br />

aufgrund der Eigentumsverhältnisse an Produktionsmitteln.<br />

Diese sind im Kapitalismus nicht Eigentum der Produzent_<br />

innen, sondern im Besitz der Klasse der Kapitalisten.<br />

Ihr steht auf abstrakter Ebene die Klasse der Arbeiter_<br />

innen <strong>gegen</strong>über, welche sich durch den Nichtbesitz an<br />

Produktionsmitteln auszeichnen.<br />

In der vorindustriellen Phase schufen sich die Bauern und<br />

Handwerker ihre <strong>Arbeits</strong>mittel und <strong>Arbeits</strong><strong>gegen</strong>stände<br />

selbst, sie waren dadurch im Besitz von Produktionsmitteln.<br />

In der Regel besaß ein Tischler die Werkzeuge, das<br />

Holz und die <strong>Arbeits</strong>stätte und fertigte <strong>Arbeits</strong>mittel und<br />

<strong>Arbeits</strong><strong>gegen</strong>stände selbst. Er verfolgte eine zweckbestimmte<br />

Produktion für den Eigenverbrauch und den regionalen Markt.<br />

Der Mensch verlor seine ursprüngliche Existenzgrundlage<br />

im Zuge der aufkommenden spezialisierten industriellen<br />

Warenproduktion, welche sich nicht an der Befriedigung<br />

der individuellen Bedürfnisse orientierte, sondern an den<br />

Bedürfnissen des Marktes. Aufgrund dieser historischen<br />

Entwicklung verzeichnet Marx, dass die Arbeiter_innen<br />

als Angehörige des Proletariats nur noch eine Möglichkeit<br />

haben, um ihre Existenz zu sichern: Sie mussten ihre<br />

<strong>Arbeits</strong>kraft verkaufen. Im Gegenzug benötigen die<br />

Kapitalisten die doppelt freien Arbeiter_innen, um die<br />

Produktionsmittel nutzbar zu machen. Doppelte Freiheit<br />

bedeutet, dass sie frei von Produktionsmitteln und als<br />

bürgerliches Rechtssubjekt frei sind Verträge zu schließen.<br />

Die Produktionssphäre der kapitalistischen<br />

Wirtschaftsordnung zeichnet sich zudem insbesondere<br />

dadurch aus, dass die Arbeiter_innen ihre <strong>Arbeits</strong>kraft an<br />

35


Arbeit - Hausarbeit - Lohn für Hausarbeit?!?<br />

die Produktionsmittelbesitzer_innen verkaufen müssen. Für<br />

den Verkauf der <strong>Arbeits</strong>kraft bekommt der/die Arbeiter_in<br />

einen Lohn. Mit diesem Lohn kann sie auf dem Markt Waren<br />

und Dienstleistungen kaufen, um sich und ihre Familie/<br />

ihren Haushalt die Subsistenz zu sichern. Dieser Lohn ist im<br />

doppelten Sinn historisch bestimmt. Zum Einen bestimmt<br />

durch die von den Kapitalisten anerkannten Bedürfnisse die<br />

befriedigt werden müssen, um sich überhaupt als Mensch<br />

individuell und familiär (!) reproduzieren zu können. Zum<br />

Anderen die in sozialen Kämpfen errungenen Zugeständnisse<br />

von den Kapitalisten, bspw. <strong>Arbeits</strong>zeitverkürzungen oder<br />

Lohnerhöhungen.<br />

Ausbeutung vollzieht sich nach Marx vereinfacht gesagt<br />

wie folgt: Die Arbeiter_innen bekommen für ihre geleistete<br />

Arbeit einen Lohn, der sich wie oben beschrieben<br />

ausgestaltet. Dieser Lohn entspricht aber keinesfalls dem<br />

Wert, welchen die Arbeiter_innen erwirtschafteten, da<br />

ansonsten die Produktionsmittelbesitzer_innen keinen<br />

Profit erwirtschaften würden. Deshalb scheint es zwar so,<br />

dass die Arbeiter_innen den ganzen Tag bezahlt bekommen,<br />

jedoch behält der Kapitalist einen nicht unerheblichen Teil<br />

des geschaffenen Wertes ein, um ihn zur Vermehrung seines<br />

Kapitals zu verwenden. Dies ist der Ausbeutungscharakter<br />

der kapitalistischen Warenwirtschaft bzw. Lohnarbeit.<br />

Im Zuge der kapitalistischen Wirtschaftsordnung vollzog sich<br />

im Vergleich zur vorindustriellen Produktion eine räumliche<br />

Trennung der Produktions- und Reproduktionssphäre.<br />

Der <strong>Arbeits</strong>platz war nunmehr nicht mehr im bzw. am<br />

häuslichen Bereich angesiedelt, sondern wurde in<br />

Fabriken verlegt. Auch die <strong>Arbeits</strong>zeit wurde <strong>gegen</strong>über der<br />

36


Torsten Schulte<br />

Freizeit scharf abgegrenzt. Waren in früheren Zeiten die<br />

Übergänge und Tätigkeiten eher fließend, so fand im Zuge<br />

der Industrialisierung und Rationalisierung der Produktion<br />

eine scharfe Trennung von <strong>Arbeits</strong>zeit und Freizeit statt.<br />

Die Veränderungen hatten auch Auswirkungen auf die sog.<br />

Hausarbeit. Sie war nicht mehr wie in vorkapitalistischen<br />

Zeiten ganz selbstverständlich Teil der Produktion<br />

von Waren und Gütern zur Eigenversorgung und dem<br />

örtlichen Handel, sondern wurde vom Produktionsprozess<br />

abgekoppelt. Die Hausarbeit war nunmehr räumlich<br />

getrennt von der Produktionssphäre und wurde fester<br />

Bestandteil der Reproduktionsphäre bzw. des Privaten.<br />

Konsequenzen und feministische Kritik am marxschen<br />

Konzept vom Wert der <strong>Arbeits</strong>kraft<br />

Mit der beschriebenen Trennung von Produktions- und<br />

Reproduktionssphäre ging gesamtgesellschaftlich eine<br />

Entwertung der Hausarbeit einher. Diese Entwertung<br />

vollzog sich dadurch, dass Hausarbeit keine Lohnarbeit<br />

war. Sie findet im innerfamiliären Zusammenhang statt und<br />

erzeugt keinen Geldwert, weil sie nicht marktvermittelt und<br />

infolgedessen dem Wertbildungs- und Verwertungsprozess<br />

des Kapitals entzogen ist.<br />

Die politische Frauenbewegung und die sich entwickelnde<br />

Frauenforschung problematisierte in Auseinandersetzung<br />

mit der marxistischen Theorie das Faktum der Unbezahltheit<br />

von Hausarbeit. Es wurde ein ‘erweiteter’ Ausbeutungsbegriff<br />

formuliert: Ausbeutung fand nun nicht nur im kapitalistischen<br />

Produktionsprozess statt, sondern gleichermaßen<br />

im Familienhaushalt. Zum einen, weil im Haushalt<br />

37


Arbeit - Hausarbeit - Lohn für Hausarbeit?!?<br />

unbezahlte Arbeit geleistet wird, die zur kapitalistischen<br />

Produktion unerlässlich ist und zweitens, weil diese Arbeit<br />

geschlechtsspezifisch zugewiesen wird. Dieser erweiterte<br />

Ausbeutungsbegriff leistet das, was der marxsche Begriff<br />

nicht leisten konnte. Der als privat gekennzeichnete Bereich<br />

zwischen Mann und Frau ist ebenfalls von Ausbeutung<br />

geprägt.<br />

Durch die Schaffung, Verallgemeinerung und<br />

Institutionalisierung der Hausarbeit entstand somit eine<br />

‘unsichtbare Klasse’. Der ‘Reformkapitalismus’ des 20.<br />

Jahrhunderts mit <strong>Arbeits</strong>marktregelungen und der Schaffung<br />

höherer Löhne sei deshalb nur auf Kosten der ‘Frauen’<br />

möglich gewesen. Für einen Lohn erhält der Kapitalist zwei<br />

<strong>Arbeits</strong>kräfte, da das Lohnarbeitsverhältnis die Gratisarbeit<br />

der Frau verbirgt. Somit blieben bei der Betrachtung des<br />

Lohnarbeitsverhältnisses die Leistungen der ‘Frauen’<br />

unsichtbar und verborgen, obwohl sie für die Reproduktion<br />

des Lohnarbeiters und zur Reproduktion der Klasse an<br />

sich unerlässlich ist. Die Hausfrau werde also aus dem<br />

gesellschaftlichen <strong>Arbeits</strong>prozess ausgeschlossen und ihre<br />

Arbeit wurde zur ‘Nichtarbeit’ degradiert und abgewertet.<br />

Hausarbeit für Lohn<br />

Die in den vorherigen Abschnitten dargestellten Ansätze<br />

der feministischen Kritik am Hausarbeitsverhältnis<br />

nahmen unterschiedliche Schwerpunkte in den Blick.<br />

Beim ersten Ansatz wird die gesellschaftliche Zuweisung<br />

der Hausarbeit an ‘Frauen’ als ein starke Ausprägung<br />

patriarchaler Herrschaft über ‘Frauen’ thematisiert. Bei<br />

diesem Ansatz ist das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital<br />

38


Torsten Schulte<br />

eher nebenrangig. Im Gegensatz dazu wurde im zweiten<br />

Ansatz die Erwerbsarbeit in ihrem Verhältnis zur Lohnarbeit<br />

als ein grundlegendes Merkmal patriarchal-kapitalistischer<br />

Gesellschaftsverhältnisse gesehen.<br />

Einig sind sich jedoch beide Ansätze darin, dass die<br />

ökonomischen Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft<br />

sich auf den Klassenantagonismus und die patriarchale<br />

Geschlechtsherrschaft gründen, lediglich die Gewichtung<br />

des ökonomischen Aspekts wurde unterschiedlich bewertet.<br />

Die in den 1970er Jahren als Hausarbeitsdebatte<br />

bezeichnete Intervention ‘gipfelte’ bei einigen Vertreter_<br />

innen in der Forderung nach einem Lohn für Hausarbeit<br />

als Mittel zur Befreiung der Frau aus dem patriarchalen<br />

Abhängigkeitsverhältnis. Die zentrale Argumentation<br />

war, dass erst wenn die Produktion und Reproduktion<br />

der <strong>Arbeits</strong>kraft wie jede andere Arbeit entlohnt würde,<br />

sie als Arbeit gesellschaftlich sichtbar und wertvoll<br />

werde. Durch die Entlohnung der Hausfrauen würde<br />

das ökonomische Abhängigkeitsverhältnis zum Mann<br />

durchbrochen. Mit der Forderung nach Lohn für Hausarbeit<br />

sollte den ‘Frauen’ die Möglichkeit der Emanzipation aus<br />

ihren als Unterdrückungsverhältnis gekennzeichneten<br />

Lebensverhältnissen gegeben werden. Durch die<br />

ökonomische Unabhängigkeit vom Mann werde den<br />

Hausfrauen der Ausbruch aus diesen Verhältnissen<br />

ermöglicht. Zudem wurde gehofft, dass mit der Forderung<br />

nach Lohn für Hausarbeit eine gesamtgesellschaftliche<br />

Aufwertung von Hausarbeit als wertschaffende Arbeit<br />

einhergehen würde.<br />

Kritisch bleibt anzumerken, dass diese Argumentation<br />

39


Arbeit - Hausarbeit - Lohn für Hausarbeit?!?<br />

davon ausgeht, dass etwas nur als gesellschaftlich wertvoll<br />

anerkannt wird, was auch monetären Wert besitzt. Hier<br />

wurde dem Postulat vom Primat der Ökonomie, d.h. dass<br />

alles gesellschaftliche aus den ökonomischen Verhältnissen<br />

abzuleiten sei, gefolgt. Innerhalb der wissenschaftlichen<br />

Debatte bestand jedoch niemals Einigkeit darüber,<br />

ob das marxistische Ausbeutungsverständnis zur<br />

Analyse familialer Beziehungen tatsächlich greife.<br />

‘Lohn für Hausarbeit’ war eher eine politische<br />

Forderung, erfüllt wurde sie freilich niemals. Sie hat<br />

jedoch einen nicht unerheblichen Einfluss auf die<br />

gesellschaftliche und wissenschaftliche Debatte über<br />

den Wert von Hausarbeit und die Stellung der Frau.<br />

Dimensionen feministischer Kritik<br />

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass<br />

Hausarbeit eine starke Entwertung erfuhr, da sie keine<br />

Lohnarbeit ist. Feministische Kritiken, welche sich stark<br />

an der marxistischen Gesellschaftsanalyse orientierten,<br />

konstruierten einen erweiterten Ausbeutungsbegriff<br />

und formulierten gleichzeitig, dass Hausarbeit einen<br />

gesellschaftlichen Wert schaffe, da ohne sie die<br />

Reproduktion der Arbeiter_innenklasse nicht möglich<br />

wäre. Zudem wurde die bürgerliche Familie als Hort von<br />

patriarchaler Unterdrückung lokalisiert. In den 1990er<br />

Jahren erfuhr diese Debatte jedoch eine starke Wendung, da<br />

es massive Einsprüche <strong>gegen</strong> das verallgemeinerte Subjekt<br />

FRAUEN gab und weitere Dimensionen wie bspw class, age,<br />

race usw. zu berücksichtigen seien. Zudem wurde auch die<br />

Dekonstruktion der Gender-Binarität als starker Ankerpunkt<br />

40


Torsten Schulte<br />

für feministische Kritik lokalisiert. Eine Verknüpfung<br />

dieser neueren Entwicklungen mit den dargestellten<br />

Debattenständen wäre auf jeden Fall notwendig und zudem<br />

interessant, bisher wurde sie aber noch nicht geleistet.<br />

Wenn man sich also kritisch mit dem <strong>Arbeits</strong>begriff<br />

auseinandersetzen möchte, so ist es unabdingbar, den<br />

feministischen Debatten und Einsprüchen der letzten<br />

40 Jahre Rechnung zu tragen, um den Begriff von Arbeit<br />

im Kapitalismus als klar patriarchal und ausbeuterisch<br />

identifizieren zu können.<br />

Literatur zum Weiterlesen und Vertiefen<br />

Bock, Gisela/Duden Barbara (1977): Arbeit aus Liebe – Liebe als<br />

Arbeit: Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus; in: Frauen und<br />

Wissenschaft, Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen Juli<br />

1976; Courage Verlag; Berlin.<br />

Haug, Frigga (2001): Hausfrau; in: Historisch-Kritisches Wörterbuch des<br />

Marxismus Band 5.<br />

Marx, Karl/Engels, Friedrich (1969): Band 23 Das Kapital,<br />

Kritik der politischen Ökonomie, Dietz Verlag, Berlin.<br />

41


Etienne Schneider<br />

42<br />

<strong>Arbeits</strong>zwang und Neoliberalismus<br />

Dieser Artikel beginnt mit einer Begriffsklärung, deren Ziel<br />

es aber nicht ist, einen Haufen theoretischer Begriffe auf<br />

halbwegs elegante Weise zusammen zu würfeln. Ganz im<br />

Gegenteil: Es geht darum, ein begriffliches Werkzeug zu<br />

haben, das sich dann auf gesellschaftliche Verhältnisse<br />

anwenden lässt. Der Anspruch ist, dadurch eine weitere<br />

wichtige Perspektive auf das große Thema dieses Hefts zu<br />

gewinnen, an die das Wort „<strong>Arbeits</strong>zwang“ zunächst nicht<br />

auf Anhieb denken lässt.<br />

Über die beiden verschwisterten Begriffe „Gewalt“ und<br />

„Macht“ und was sie bedeuten sollen, wurde von der<br />

Ideengeschichte bis in die <strong>gegen</strong>wärtige politische<br />

Theorie leidenschaftlich gestritten. Meist wurden ihre<br />

Bedeutungsfelder zusammen mit dem des Begriffs<br />

„Herrschaft“ so abgesteckt, dass mensch meinte, damit<br />

irgendwie angemessen gesellschaftliche Organisationsund<br />

Unterdrückungsprozesse beschreiben und kritisch<br />

beurteilen zu können. Einer dieser vielen Versuche besteht


Etienne Schneider<br />

darin zu sagen, dass Gewalt sich dadurch auszeichnet, dass<br />

sie „alle Möglichkeiten ab[schneidet]” , wohin<strong>gegen</strong> für<br />

Macht gerade charakteristisch ist, dass sie in einem Feld<br />

von Verhaltensmöglichkeiten wirkt. Das klingt zunächst sehr<br />

abstrakt und es bedarf vielleicht einer kurzen Erklärung, um<br />

diese Unterscheidung von Gewalt und Macht verständlich<br />

zu machen: Um Gewalt handelt es sich nach diesem<br />

Verständnis immer dann, wenn demjenigen, auf den Gewalt<br />

ausgeübt wird, keine Handlungsoptionen vorliegen. Da<strong>gegen</strong><br />

hat diejenige, auf die Macht einwirkt, immer eine Mehrzahl<br />

an Handlungsoptionen vor sich, aber der Einfluss von Macht<br />

bestimmt die Wahrscheinlichkeit, mit der sie sich für eine<br />

der Alternativen entscheidet.<br />

Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung ist es zunächst<br />

am nächstliegendsten, <strong>Arbeits</strong>zwang als eine Form der<br />

Gewaltausübung zu verstehen, die dazu führt, dass<br />

Menschen Arbeit <strong>gegen</strong> ihren Willen verrichten. So zum<br />

Beispiel eine Sklavin, die Arbeit wegen der Androhung<br />

physischer Strafe erledigt. Unbestritten ist auch, dass<br />

es dort, wo kapitalistisch produziert wird, immer auch<br />

<strong>Zwang</strong> zur Arbeit in Form von Gewalt gibt: die klassische<br />

doppelt freie Arbeiterin ist frei, weil sie nicht mehr in einem<br />

persönlichen Herrschaftsverhältnis dem Feudalherren<br />

<strong>gegen</strong>über steht. Aber ihre zweite Freiheit – die Freiheit von<br />

Produktionsmitteln, d.h. keine Produktionsmittel zu besitzen<br />

– zwingt die Arbeiterin gleichzeitig dazu, ihre <strong>Arbeits</strong>kraft<br />

zu verkaufen. Insofern ist der Übergang von feudalistischer<br />

zu kapitalistischer Produktionsweise ein Übergang von<br />

persönlichen Gewaltverhältnissen zum „stummen <strong>Zwang</strong><br />

der ökonomischen Verhältnisse“ (Marx). Der <strong>Zwang</strong> besteht<br />

43


<strong>Arbeits</strong>zwang und Neoliberalismus<br />

nun hier nicht mehr in direkter Bestrafung, sondern in der<br />

Freiheit, am Ende des Monats genug zum Leben zu haben<br />

– oder eben auch nicht. Im Sinne der obigen Definition wäre<br />

auch das de facto Gewalt, weil keine Wahloption gegeben<br />

ist – den Verzicht auf die lebenserhaltende physische<br />

Reproduktion als Wahloption zu stilisieren, wäre zynisch.<br />

Sowohl in früheren gesellschaftlichen<br />

Produktionsverhältnissen als auch in kapitalistischen spielt<br />

„<strong>Arbeits</strong>zwang“ im Sinne von Gewalt, die zur Arbeit im<br />

Dienste Anderer zwingt, also eine zentrale Rolle. In diesem<br />

Artikel soll aber auch gezeigt werden, dass sich in den letzten<br />

Jahrzehnten auch Mechanismen herausgebildet haben,<br />

die es unzureichend erscheinen lassen, „<strong>Arbeits</strong>zwang“<br />

nur in den Kategorien von Gewalt begreifen zu wollen: In<br />

einem weiten Verständnis von „<strong>Arbeits</strong>zwang“ müssen auch<br />

Formen des <strong>Zwang</strong>s mitgedacht werden, die vorwiegend<br />

über den Modus Macht – im Sinne der Beeinflussung der<br />

Wahrscheinlichkeit von Verhalten – funktionieren und auf<br />

der Selbststeuerung der Einzelnen beruhen. Das klingt<br />

zunächst sehr abstrakt, soll aber gleich konkreter werden.<br />

Um die Ursprünge dieser Formen der Selbststeuerung<br />

zu verstehen, muss sich kurz der Entwicklung des<br />

Nachkriegskapitalismus zugewendet werden. In den<br />

westlichen Zentren des Kapitalismus stellten sich nach<br />

den Weltkriegen zunächst relativ stabile kapitalistische<br />

Produktionsformen ein. Ihre Stabilität beruhte in erster Linie<br />

auf dem „konsumistischen Zirkel“. Dieser beschreibt das<br />

Gleichgewicht einer standardisierten, auf weit verzweigter<br />

<strong>Arbeits</strong>teilung beruhenden Massenproduktion von<br />

Konsumgütern einerseits und einer starken Nachfrage, die<br />

44


Etienne Schneider<br />

gewerkschaftlich erkämpft und durch wohlfahrststaatliche<br />

Arrangements gesichert wurde, andererseits. Während<br />

diese historisch einmalige Konstellation innerhalb der<br />

kapitalistischen Produktionsweise bis in die 1960er Jahre<br />

hinein zuverlässige Wachstumsraten generierte, geriet der<br />

„konsumistische Zirkel“ spätestens Anfang der 1970er<br />

Jahre in die Krise: Was in Deutschland vielfach zunächst<br />

als Ende der „Rekonstruktionsperiode“ interpretiert<br />

wurde, korrespondierte weltweit mit einer rückläufigen<br />

Kapitalrentabilität und zunehmenden Überkapazitäten<br />

vieler Produktionszweige.<br />

In dieser Situation wurden vielfach – zunächst vor allem in<br />

England, den USA und Chile – Elemente neoliberaler Theorien<br />

aufgegriffen und zur Legitimierung drastischer Einschnitte<br />

in die Systeme sozialer Sicherung benutzt: die sinkende<br />

Kapitalrentabilität wurde einem Übermaß staatlicher<br />

Eingriffe in den Wirtschaftsprozess zugeschrieben, die<br />

die „reine Marktwirtschaft“ an ihrer Entfaltung hindere,<br />

die Menschen durch wohlfahrtsstaatliche Arrangements<br />

‚passiviere’ und insofern den Einzelnen in seiner Produktivität<br />

beschneide. An die Stelle gesellschaftlich organisierter<br />

sozialer Sicherheit trat zunehmend die Propagierung der<br />

Eigenverantwortlichkeit der Marktsubjekte, spiegelbildlich<br />

erschienen die Ausweitung von <strong>Arbeits</strong>losigkeit und<br />

zunehmende Prekarisierung von Erwerbsarbeit nicht mehr<br />

als gesellschaftlich induzierte Phänomene, sondern als<br />

individuelles Versagen.<br />

Viele Elemente dieser Deutung sozialer Widersprüche, die<br />

mensch als ‚individualisierende Logik’ bezeichnen könnte,<br />

setzen sich bis heute fort: Erwerbslosigkeit wird mit der<br />

45


<strong>Arbeits</strong>zwang und Neoliberalismus<br />

„Dekadenz“ des Einzelnen bzw. mit seinem kulturellen<br />

Hintergrund diskursiv verknüpft, sozialer Status zum<br />

Ergebnis von „Leistungsträgerschaft“ stilisiert. Offensichtlich<br />

ist, dass es sich dabei um eine Herrschaftslogik handelt, die<br />

es den Privilegierten erlaubt, ihre soziale Position <strong>gegen</strong>über<br />

weniger Privilegierten zu legitimieren. Interessant ist aber<br />

noch ein anderer Aspekt – und hier kommt der <strong>Arbeits</strong>zwang<br />

wiederum ins Spiel: die Mobilisierung der Selbststeuerung.<br />

Charakteristisch für die individualisierende neoliberale<br />

Herrschaftslogik ist nämlich nicht einfach nur die<br />

Ausblendung gesellschaftlicher Zusammenhänge, sondern<br />

auch ihre Wirkung auf den Einzelnen. Denn dieser lernt durch<br />

eine Vielzahl gesellschaftlicher Diskurse, sich nicht mehr in<br />

erster Linie als Glied eines verzweigten gesellschaftlichen<br />

Produktionsprozesses, sondern vielmehr als Subjekt auf<br />

einem umfassenden (<strong>Arbeits</strong>-)Markt wahrzunehmen, auf dem<br />

es sich als „unternehmerisches Selbst“ zu verhalten und zu<br />

behaupten gilt. Wie gesagt – er lernt. Sicher wäre es blauäugig<br />

zu behaupten, dieser Lernprozess sei abgeschlossen und<br />

wir alle sähen uns selbst nur mehr als Unternehmer bzw.<br />

Träger von Humankapital, das es geschickt einzusetzen gilt.<br />

Die Einschreibung dieser Selbstwahrnehmungsangebote<br />

verläuft nicht ohne Bruchlinien und Widerstände, aber ihre<br />

Motive sind dennoch permanent gesellschaftlich präsent:<br />

von der Konkurrenz um Gymnasialempfehlungen, Studienund<br />

Masterplätze über Selbsthilferatgeber und der Rede<br />

von Ich-AGen bis hin zu Schlagwörtern wie Zeitmanagement,<br />

Selbstorganisation, „Employability“ und den „Marktwert“ bei<br />

der Partner_innensuche.<br />

Gerade aufgrund dieser allumfassenden Präsenz ist es aber<br />

46


Etienne Schneider<br />

unmöglich, sich der Adressierung als „unternehmerisches<br />

Selbst“ vollständig zu entziehen. Die eine mag der<br />

Adressierung mehr, der andere weniger widerstehen,<br />

entscheidend ist, dass es sich auch hier um einen <strong>Arbeits</strong>zwang<br />

im weiten Sinne handelt - um einen <strong>Arbeits</strong>zwang vermittelt<br />

nicht über ‚direkte’ äußere Gewalt, sondern vielmehr über<br />

die ‚indirekte’ Macht gesellschaftlicher Diskurse, die dazu<br />

führen, dass der Einzelne mal mehr, mal weniger sein<br />

Verhalten am Anforderungsprofil des „unternehmerischen<br />

Selbst“ ausrichtet, sich in diesem Sinne selbst steuert und<br />

eben auch diszipliniert bzw. ‚<strong>Zwang</strong>’ <strong>gegen</strong> sich selbst ausübt.<br />

Gerade diese Mobilisierung von Selbststeuerungspotentialen,<br />

um das eigene Humankapital zu perfektionieren, und die<br />

Interpretation der eigenen Lebenssituation als individuellen<br />

Erfolg bzw. individuelles Versagen erweist sich auch in<br />

der <strong>gegen</strong>wärtigen Krise des neoliberal umstrukturierten<br />

Kapitalismus als Blockade gesellschaftlicher Transformation<br />

in Richtung solidarischer Formen der Vergesellschaftung.<br />

Eine kritische, emanzipatorische Bewegung muss sich<br />

insofern der Herausforderung stellen, die Kohärenz zwischen<br />

biographischer Situation und ihrer Gesellschaftlichkeit<br />

plausibel vermitteln zu können. Deshalb gilt es, nicht nur<br />

gesellschaftliche Gewaltverhältnisse, die zur Arbeit zwingen,<br />

zu kritisieren, sondern auch, den Gedanken einer bewussten<br />

Organisation der gesellschaftlichen Arbeit <strong>gegen</strong> den Sog<br />

individueller Selbstmobilisierung zu stärken.<br />

Literatur zum Weiterlesen und Vertiefen<br />

Bröckling, Ulrich (2007): Das unternehmerische Selbst: Soziologie einer<br />

Subjektivierungsform.<br />

47


Jackie Runzel<br />

48<br />

Disziplinierung durch Arbeit<br />

Der disziplinierte Mensch ist die Heldin einer heutigen<br />

Gesellschaft, die sich nach Prinzipien von Produktivität und<br />

Effizienz anordnet. Die Prozesse, die jenes disziplinierte<br />

Individuum erschaffen, sind in allen gesellschaftlichen<br />

Teilbereichen auffindbar. Ihre Funktionsweise ist<br />

kontextabhängig und sie setzen auf unterschiedlichen<br />

Ebenen an. Manchmal sind sie eine präzise Bewegung (die<br />

marschierende Soldatin), manchmal definieren sie Wissen<br />

(die Lernende), manchmal sind sie eine Sitzordnung oder<br />

ein Hochhaus (der gegliederte Raum), manchmal gebieten<br />

sie Ruhe (die Zuhörende im Plenum) und manchmal<br />

nehmen sie einen Menschen total ein (die Inhaftierte).<br />

Bezogen auf Arbeit – egal, ob bezahlt oder nicht; egal, ob<br />

re- oder produktiv - werden solche Prozesse besonders<br />

deutlich sichtbar. Obwohl sich ihre Organisationsformen<br />

(der Arbeit) unterscheiden, lassen sich gemeinsame<br />

Prinzipien abstrahieren, die hier als Disziplinartechniken<br />

und Unterwerfungsstrategien analysiert werden.


Jackie Runzel<br />

Die politische Anatomie (des Details) oder die Radikalität<br />

der Einschreibung<br />

Oder: Intellektuelle Kackscheiße<br />

Der arbeitende Körper nimmt seine (gesellschaftlichen)<br />

Verhältnisse in sich auf. Sie werden in ihm auf eine Weise<br />

wirksam, dass sie sein Funktionieren im Produktionsapparat<br />

dauerhaft ermöglichen. Stetige Wiederholung von<br />

Bewegungsabläufen, wie sie während einer Arbeit verrichtet<br />

werden, schreiben sich in den Körper ein, sodass dieser sich<br />

an sie erinnert und sie bei Bedarf abrufen kann. So werden<br />

zweckdienliche Bewegungen zu einer Blaupause für weiteres<br />

Handeln, ebenso wie erfolgreiche Problemlösungsstrategien<br />

vermerkt und vom Entstehungskontext – <strong>Arbeits</strong>platz -<br />

auf andere Situationen übertragen werden können. So<br />

schleift sich zum Beispiel das frühmorgendliche Aufstehen<br />

so sehr in den Körper der Arbeitenden ein, dass es sogar<br />

an arbeitsfreien Tagen praktiziert wird. Die Art und Weise<br />

jedoch, wie diese Bewegungen ausgeführt werden, sind<br />

durch Produktivitätsüberlegungen, die den jeweiligen<br />

<strong>Arbeits</strong>kontext vorrangig bestimmen, vorgegeben.<br />

Motive, die ursprünglich <strong>Arbeits</strong>abläufe bestimmen,<br />

werden meist unhinterfragt reproduziert, sogar wenn die<br />

Betroffenen sie abstrahieren. Fokus auf <strong>Arbeits</strong>tätigkeit,<br />

Genauigkeit und Ausdauer werden beispielsweise zu<br />

Tugenden der gefügigen Arbeitenden. Leistungs- und<br />

Effizienzideale werden sich angeeignet und überlagern<br />

Bedürfnisse, die von der effizienten <strong>Arbeits</strong>ausführung<br />

ablenken. Die Radikalität dieser Vereinnahmung liegt in<br />

der Durchwirkung jedes noch so kleinsten Details - «nicht<br />

so sehr, weil darin ein Sinn verborgen ist, sondern weil es<br />

49


Disziplinierung durch Arbeit<br />

der Macht, die es erfassen will, dazu Gelegenheit bietet.»<br />

Die körperliche Rhetorik<br />

Bewegungen sind im Moment der produktiven Tätigkeit<br />

sichtbar und somit lesbar. Die Arbeitende signalisiert<br />

damit den Stand der Arbeit und die Sorgfalt, die sie ihr<br />

zukommen lässt, wodurch ihr Verhalten kategorisierbar<br />

und überwachbar wird. Gerade in einer Gruppe lässt sich<br />

so Vergleichbarkeit, beispielsweise in Geschwindigkeit<br />

und Effizienz ausgedrückt, herstellen. Dadurch<br />

vermitteln sich Leistungsdruck und soziale Hierarchien.<br />

Die Ökonomie der Produktivität<br />

Je stärker ein (Re-)Produktionsverhältnis von<br />

Rationalisierungsmechanismen betroffen ist, desto<br />

mehr werden in ihm Prinzipien einer personalisierten<br />

Herrschaft von denjenigen einer Zweckrationalität abgelöst.<br />

Indem Produktivität und Unterwerfung eine Symbiose<br />

eingehen, fällt jeder Produktivitätssteigerung zugleich<br />

die Funktion einer intensivierten Herrschaftsausübung<br />

zu. (Körperliche) Kräfte, die in diesem Prozess entstehen,<br />

sind zweckgebunden und somit immer einer Logik der<br />

Effizienz verhaftet. Sie sind eingebettet in ein Verhältnis,<br />

«das in einem einzigen Mechanismus den Körper umso<br />

gefügiger macht, je nützlicher er ist, und umgekehrt.»<br />

Instrumentalisierung und Subjektivierung<br />

Die Maschinen und Instrumente, die die Arbeitende<br />

bedient, üben (Sach)Zwänge auf sie aus, die sich als<br />

50


Jackie Runzel<br />

Notwendigkeiten darstellen und als solche verstanden<br />

werden. Ähnlich bedingen die Räumlichkeiten, in denen<br />

gearbeitet wird, und die Anordnung der Individuen in diesen,<br />

die Interaktionsmöglichkeiten und die auszuübenden<br />

Bewegungen. Die Wahrnehmung der möglichen<br />

Verhaltensweisen wird ebenso wie ihre tatsächliche<br />

Ausführung vorstrukturiert. Zusätzlich funktioniert Kontrolle<br />

auch über Disziplinarinstrumente, wie zum Beispiel sozialer<br />

Druck, der der Reproduktionsarbeit leistenden Person ein<br />

scheinbar natürliches Sauberkeitsverständnis vermittelt.<br />

Wie oder wo auch immer diese Mechanismen ansetzen, ihre<br />

Vollendung finden sie in dem Moment, in dem das Individuum<br />

ihre Funktion internalisiert und ihren Zweck naturalisiert<br />

hat, sodass eine weitere „externe“ <strong>Zwang</strong>ausübung<br />

überflüssig geworden ist. Die sich selbst beherrschende<br />

Arbeitende nimmt diese individualisierte Herrschaft als<br />

einen ihr zugestandenen Raum zur eigenverantwortlichen<br />

Gestaltung wahr. Vom Pöbel zum Subjekt – vom Störfaktor<br />

zum Potential. Die Arbeitende erwehrt sich der eigenen<br />

Ohnmächtigkeit durch Selbstverantwortlichung ihrer<br />

Tätigkeit und beansprucht den Status einer Handelnden,<br />

auch wenn die Grenzen dieser Handlungsmächtigkeit<br />

in der Fügung in soziale Hierarchien liegen. Eine solche<br />

Beanspruchung von Eigenverantwortlichkeit wirkt <strong>gegen</strong>über<br />

diesen stabilisierend, indem sie Normativitäten reproduziert.<br />

Die Unterwerfung unter wirtschaftliche Leitmotive<br />

verwandelt sich im disziplinierten Menschen vollständig zu<br />

Selbstbeherrschung und macht im Zuge dieser Verwandlung<br />

Herrschaftsstrukturen auf den ersten Blick unsichtbar.<br />

51


Disziplinierung durch Arbeit<br />

Der Staat watscht<br />

Durch eine moralische Überhöhung von Arbeit fabrizierte<br />

Ausschlüsse setzen schon bei der Definition davon<br />

an, was als Arbeit verstanden und akzeptiert wird.<br />

Menschen, die unbezahlte (und damit meist unsichtbare)<br />

Reproduktionsarbeit leisten oder sich, wie zum Beispiel<br />

die Pfandsammlerin, in gesellschaftlichen Nischen wieder<br />

finden, wird die „Ehre“, ein Mitglied der wirtschaftlichen<br />

Trägerinnengruppe zu sein, und damit auch der Zugang<br />

zu staatlichen Sozialleistungen verwehrt. Es ist somit eine<br />

der Funktionen des Staates, nonkonformes Verhalten zu<br />

sanktionieren. Die Anspruchsberechtigung auf Leistungen<br />

wie Gesundheitsversorgung oder Rentenabsicherung<br />

festzustellen ist genauso eines seiner Mittel, wie der Einsatz<br />

von Exekutivkräften zu Vertreibung von „Müßiggängerinnen“<br />

aus dem Stadtbild.<br />

Literatur zum Weiterlesen und Vertiefen<br />

Michel Foucault: Überwachen und Strafen<br />

52


Torsten Schulte<br />

Körper und Arbeit - Arbeit am Körper<br />

Zum neoliberalen Projekt gehören nicht nur verlässliche<br />

bzw. angepasste mentale Prägungen und entsprechende<br />

kulturelle Standardisierungen, sondern auch<br />

Optimierungen, Modifikationen und Neukonfigurationen von<br />

Körperlichkeiten. Der eigene Körper 1 und der zukünftiger<br />

Generationen steht im Fokus von ökonomischen und<br />

sozialen Kämpfen. Der Neoliberalismus befördert<br />

und fordert einen Körper, der stetig wandelbar ist<br />

und sich ständig an neue Verwertungsbedingungen<br />

anpassen kann. Allerdings existiert diese Möglichkeit<br />

der Konstruktion oder Neukonfiguration des eigenen<br />

Körpers nur für Menschen, welche über einen hohen<br />

und/oder gesicherten ökonomischen Status verfügen,<br />

alle anderen werden ausgegrenzt. Das Zusammenspiel<br />

von neoliberalen gesellschaftlichen Erwartungen an<br />

den flexiblen, veränderbaren Körper, für welchen das<br />

Individuum selbst Verantwortung trägt verbunden<br />

mit dem Abbau von staatlichen Sicherungssystemen.<br />

Der damit einhergehenden Privatisierung und<br />

53


Körper und Arbeit - Arbeit am Körper<br />

Individualisierung von Lebensrisiken führt zu einer sich<br />

zunehmend verschärfenden sozialen Ungleichheit.<br />

Der Körper als individueller und kollektiver Tatbestand<br />

Wenn Gesellschaft, und hier vor allem kapitalistische<br />

Vergesellschaftung neoliberaler Prägung, analysiert<br />

und kritisiert werden soll, dann kommt man nicht umhin<br />

sich mit dem Körper zunächst im Allgemeinen als<br />

individuellem und kollektivem Tatbestand zu beschäftigen.<br />

Seit der Renaissance vollzieht sich eine zunehmende<br />

Individualisierung der Menschen. Dies hat zur Folge – außer<br />

bei religiösen Fanatiker_innen, dass der Körper und seine<br />

Gesundheit nicht mehr als eine göttliche Gabe aufgefasst<br />

wird, sondern als ein durch individuelle Lebensführung<br />

erlernbares Gut betrachtet wird. Zudem setzte sich in<br />

den 1990er Jahren – im Rahmen der aufkommenden<br />

queer studies2- die Erkenntnis durch, dass der Körper<br />

einerseits Produkt von Gesellschaft ist, er von ihr geprägt<br />

und zugerichtet wird, er andererseits aber auch soziale<br />

Wirklichkeit schafft und aktiv an Interaktionsprozessen<br />

beteiligt ist – der Körper somit die soziale Ordnung<br />

reproduziert. Der Körper hat deshalb einen erheblichen<br />

Anteil an der Konstitution, Aufrechterhaltung und<br />

Veränderung von Gesellschaft.<br />

Die politische Ökonomie des Körpers<br />

Im Zuge der Formierung des kapitalistischen<br />

Wirtschaftssystems wurden Foucault zufolge die<br />

individuellen und kollektiven Körper in den Blick<br />

54


Torsten Schulte<br />

genommen. Es entstand eine politische Ökonomie des<br />

Körpers. Macht und Herrschaft sind in diesem Verständnis<br />

nicht einfach äußerliche Techniken und Prozeduren,<br />

sondern sie durchziehen und verändern die Körper mit<br />

dem Ziel, den menschlichen Körper in seiner individuellen<br />

sowie kollektiven Dimension für den kapitalistischen<br />

Verwertungsprozess nutzbar und gefügig zu machen.<br />

Der individuelle Körper wird durch Regierungstechniken wie<br />

bspw. in der Gesundheits- oder der Reproduktionspolitik<br />

als ein produktiv zu machendes Element erschlossen.<br />

Aktuell ist die Debatte und die Forderung an akademische<br />

Frauen, mehr Kinder für ‘Deutschland’ zu bekommen, ein<br />

Beispiel für Regierungstechniken. Diskursiv wird dabei das<br />

Gespenst von den aussterbenden ‘Deutschen’ aufgebaut,<br />

welche durch die angebliche Weigerung von akademischen<br />

Frauen, Kinder zu bekommen, befördert wird. Häufig geht<br />

dies einher mit einem völkisch rassistischen Biologismus.<br />

Als prominentester Vertreter ist Thilo Sarrazin zu nennen.<br />

Die politische Ökonomie des Körpers hat die Funktion, den<br />

individuellen sowie kollektiven Körper zu unterwerfen und<br />

produktiv zu machen, indem sie ihn an den ökonomischen<br />

Nutzen bindet und die Kontrolle der Bevölkerung ermöglicht.<br />

Eine Folge der politischen Ökonomie des Körpers ist,<br />

dass sie den ‘normalen’ und gleichzeitig auch den<br />

abweichenden Körper schafft. Dies geschieht, indem sich<br />

gesellschaftlich eine bestimmte Vorstellung vom Körper als<br />

‘normal’, ‘natürlich’ und ‘wünschenswert’ durchsetzt. Diese<br />

diskursive Konstruktion verweist zugleich aber auch auf<br />

die ‘abnormalen’, ‘widernatürlichen’ und ‘unerwünschten’,<br />

also abweichenden Körper. So weist das aktuell<br />

55


Körper und Arbeit - Arbeit am Körper<br />

vorherrschende Schönheitsideal immer alle Mädchen und<br />

Frauen die diesem nicht entsprechen ab und führt oft zu<br />

einem gestörten Verhältnis zum eigenen Körper. Eine<br />

Abweichung vom ‘Idealgewicht’ wird bspw. mit Faulheit,<br />

Schwäche oder Dysfunktionalität assoziiert und so die<br />

ökonomische Verwertbarkeit abgestritten und/oder gar von<br />

gesellschaftlichen Belastungen gesprochen.<br />

Bei der Betrachtung von Körpern ist der Aspekt der<br />

zugeschriebenen Geschlechterzugehörigkeit immer eine<br />

unhintergehbare Größe. Mit dem Begriff ‘heterosexuelle<br />

Matrix’ bezeichnet Judith Butler eine soziale und kulturelle<br />

Anordnung, die aus drei Dimensionen besteht. Erstens<br />

dem anatomischem Geschlechtskörper (sex), zweitens<br />

der sozialen Geschlechterrolle (gender) und drittens dem<br />

erotischem Begehren (desire). Diese drei Kategorien sind<br />

jeweils wechselseitig aufeinander bezogen. Mal leitet<br />

sich das Begehren aus dem Geschlecht ab, mal wird über<br />

das Begehren Geschlecht erst verankert. Mal folgt aus<br />

dem Körper eine bestimmte soziale Rolle, mal erzeugt<br />

eine bestimmte Rolle ein bestimmtes Begehren usw. Die<br />

heterosexuelle Matrix zeichnet sich nun dadurch aus,<br />

dass sie dieses Dreigestirn normativ einrichtet sowie<br />

Deckungsgleichheit erzwingt. Sie teilt die Menschen<br />

in genau zwei und nur zwei, deutlich voneinander zu<br />

unterscheidende Geschlechter. Dadurch entsteht der<br />

‘anatomische Geschlechtskörper’ nicht als etwas rein<br />

Natürliches, sondern als ein kulturelles Produkt, das eine<br />

bestimmte Funktion in einem ‘ideologischen System’<br />

ausübt. Dem Geschlechtskörper wird dann nach dieser<br />

Logik eine ganz bestimmte soziale Rolle und Identität und<br />

56


Torsten Schulte<br />

ein heterosexuelles Begehren zugewiesen. Geschlecht<br />

wird deshalb fast immer sexualisiert und zwar heterosexualisiert<br />

wahrgenommen. Diese Organisationsform ist<br />

nicht nur die vorherrschende, sondern nimmt für sich auch<br />

in Anspruch, die naturgemäße zu sein. Heterosexualität<br />

kann mit Hilfe des Begriffs der heterosexuellen Matrix<br />

also als ein Herrschaftssystem dargestellt werden, das<br />

Körper und ihr Verhältnis zueinander normiert und diese<br />

aufgezwungene Ordnung als natürlichen Grundzustand<br />

legitimiert. Die Kategorie ‘Frau’ ist also immer eingebunden<br />

in die heterosexuelle Matrix und trägt deshalb immer<br />

normative Effekte im Gepäck mit sich herum. Sie erscheint<br />

so betrachtet als machtdurchwirktes, interessensgeleitetes<br />

‘diskursives Konstrukt’ und nicht als unhintergehbare<br />

biologische Gegebenheit3 .<br />

Die Folge davon ist, dass alle, die nicht der heterosexuellen<br />

Matrix entsprechen und einen im ökonomischen Sinn<br />

produktiv gestaltete Körper haben, in der Regel an den Rand<br />

gedrängt und mit alltäglichen Ausschlüssen konfrontiert sind.<br />

Im Rahmen dieses Artikels findet jedoch keine intensive<br />

Behandlung der Thematik von einem individuellen Sosein,<br />

das von gesellschaftlichen Normvorstellungen abweicht und<br />

als behindert diskreditiert wird, statt, da es den Rahmen<br />

sprengen würde, was jedoch keinesfalls bedeutet, dass<br />

diese Thematik bzw. die Erkenntnisse der disability studies<br />

nicht wichtig und hochinteressant wären für das Verständnis<br />

von gesellschaftlichen und ökonomischen Ausschlüssen.<br />

Gesundheit - Arbeit - Körper<br />

Ein zentraler Aspekt bei der Betrachtung von normalisierten<br />

57


Körper und Arbeit - Arbeit am Körper<br />

Körpern und Arbeit ist der Begriff der Gesundheit. Dem Körper<br />

wird gesellschaftlich ein Wert zugemessen, welcher eng mit<br />

den ökonomischen Erfordernissen einer kapitalistischen<br />

Wirtschaftsordnung zusammenhängt. Der moderne<br />

Mensch musste lernen einen Körper zu haben, welchen er<br />

kreativ und produktiv gestalten konnte und der nicht von<br />

göttlichen Mächten beeinflusst bzw. determiniert wird.<br />

Mit der Dekommodifizierung von Gesundheit – also dem<br />

Zugang zur Gesundheitsversorgung für prinzipiell alle<br />

Menschen, nicht nur für Erwerbstätige – wurde Gesundheit<br />

zur allgemeinen Lebens- und Verhaltensrichtlinie.<br />

Aufbauend auf dieser Bewusstseinsschaffung vom<br />

eigenen Körper, entwickelte sich im Zuge der Entsicherung<br />

der sozialen Sicherungssysteme – in der BRD vor allem<br />

durch die Hartz-Gesetze und periodisch auftretenden<br />

‘Gesundheitsreformen’ – eine ‘Kultfigur des Neoliberalismus’,<br />

welche das selbstverantwortliche und vor allem gesunde<br />

und leistungsfähige Individuum zum Ziel hat. Vor allem die<br />

Körperlichkeit erfährt im neoliberal geprägten Kapitalismus<br />

eine Aufwertung, da nur intakte und gesunde Körper eine<br />

attraktive und marktkonforme Lebensführung garantieren.<br />

Es ist besonders aufschlussreich zu betrachten, wie sich<br />

Körper und Gesundheit bei Menschen darstellen, welche<br />

nicht über einen gesicherten ökonomischen Status verfügen<br />

bzw. ihren Körper und ihre <strong>Arbeits</strong>kraft nicht ‘angemessen’<br />

verkaufen können. Der Deutsche Gewerkschaftsbund<br />

(DGB) führte zu dem Themenfeld Gesundheitsrisiko<br />

<strong>Arbeits</strong>losigkeit im Jahr 2010 eine Untersuchung durch<br />

und stellte den aktuellen Wissenstand in den Sozial- und<br />

Gesundheitswissenschaften dar. <strong>Arbeits</strong>lose seien im<br />

58


Torsten Schulte<br />

Vergleich zu Erwerbstätigen nicht nur materiell, sondern<br />

auch gesundheitlich und psychosozial stärker belastet.<br />

Der gesellschaftlichen Erwartung eines flexiblen und<br />

gesunden Körpers kann nicht entsprochen werden, die<br />

soziale Randlage schreibt sich in den Körper ein. Die<br />

gesellschaftliche Entwertung verwirklicht sich dadurch<br />

auf fatale Weise bei den Menschen selbst und schädigt in<br />

der Folge den Körper physisch und psychisch. <strong>Arbeits</strong>lose<br />

haben oftmals das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden<br />

und nutzlos zu sein.<br />

Festzuhalten ist, dass nicht nur Arbeit den Körper<br />

schädigt, sondern auch Nicht-Arbeit! Die gesellschaftlichen<br />

Entwertungen aufgrund der Überbewertung von Arbeit<br />

und die sich daraus ableitenden Ausgrenzungen<br />

schädigen unmittelbar den Körper und verhindern eine<br />

Selbstbestimmung und Verwirklichung des Menschen.<br />

Der neue ‘flexible’ Kapitalismus benötigt nun aber<br />

Menschen, die sich unentwegt auf neue Aufgaben<br />

einstellen und sich ständig bereit zeigen, ihre <strong>Arbeits</strong>plätze,<br />

<strong>Arbeits</strong>zeiten, <strong>Arbeits</strong>- und Lebensformen und Wohnorte<br />

zu wechseln. Dies wirkt sich auch auf den Körper aus,<br />

der sich immer wandlungsfähiger zeigen soll. Die Körper<br />

werden im Neoliberalismus zwar immer stärker von harter<br />

physischer Arbeit entlastet, der psychische und soziale<br />

Druck nimmt jedoch zu. Das alte Ideal von Männlichkeit<br />

als ‘kraftstrotzender Kerl’ und Haupternährer der<br />

bürgerlichen Familie und die in der Öffentlichkeit kaum<br />

thematisierte bzw. unsichtbare Haus- und Ehefrau wird<br />

von der neoliberalen <strong>Arbeits</strong>welt zunehmend seltener<br />

nachgefragt. Es werden eher die smarten, in Fitnessstudios<br />

59


Körper und Arbeit - Arbeit am Körper<br />

gestylten, Finanz- und Businessmänner und jene Frauen,<br />

welche als Familienmanagerinnen auftreten - die Kinder,<br />

Haushalt und Karriere bewältigen - vom flexibilisierten<br />

Kapitalismus benötigt. Die Folge davon ist, dass der<br />

Neoliberalismus nicht nur zwischen den Geschlechtern<br />

fragmentiert und hierarchisiert, sondern auch innerhalb<br />

der Geschlechter. Deregulierung und das Versprechen von<br />

neuen Freiheiten und Visionen von Körpern verbinden sich<br />

mit einem unbedingten <strong>Zwang</strong> zur Vermarktung des eigenen<br />

Körpers. Es scheint ein neuer Modus der Bearbeitung bzw.<br />

Bewältigung kapitalistischer Vergesellschaftung und ihrer<br />

dauerhaft krisenhaften Ausformungen zu sein, dass die<br />

sozialen Widersprüche ‘modernisiert’ werden, indem den<br />

Individuen das individuelle Scheitern zum Vorwurf gemacht<br />

wird und sie so zur ständigen Selbstoptimierung und<br />

Flexibilisierung gedrängt werden.<br />

1 Der eigene Körper bezeichnet dabei die gesellschaftlich geprägte<br />

Vorstellung vom Leib als biologische Einheit.<br />

2 Hier hat vor allem Judith Butler mit ihrem Werk ‘Das Unbehagen der<br />

Geschlechter’ Pionierarbeit geleistet.<br />

3 Vgl. http://www.gender-killer.de/wissen%20neu/texte%20queer%20<br />

woltersdorf.htm<br />

60


Torsten Schulte<br />

Literatur zum Weiterlesen und Vertiefen<br />

DGB (2010): Gesundheitsrisiko <strong>Arbeits</strong>losigkeit – Wissensstand,<br />

Praxis und Anforderungen an eine arbeitsmarktintegrative<br />

Gesundheitsförderung; Berlin, <strong>Arbeits</strong>markt aktuell Nr. 09/August 2010.<br />

Kreisky, Eva (2006): Ermattete Staatskörper und (re-)vitalisierte<br />

Körpermärkte. Vergeschlechtliche Körperrituale im<br />

Neoliberalismus; in: Sauer, Birgit/Knoll, Eva-Maria (Hrsg.): Ritualisierung<br />

von Ge schlecht; Facult as Verlags - und Buchhandels AG, Wien, S. 223 -24 3.<br />

Lorey, Isabell (2006): Gouvernementalität und Selbst-Prekarisierung.<br />

Zur Normalisierung von KulturproduzentInnen. In: transversal.<br />

„Maschinen und Subjektivierung“, 1/2006. http://eipcp.net/<br />

transversal/1106/lorey/de (abgerufen am 01.03.2011)<br />

61


Hein Sauer<br />

62<br />

Arbeit in Köpfen -<br />

Bildungssysteme und Arbeit<br />

Arbeit und Bildung sind zwei untrennbare Bereiche. Dies<br />

liegt vor allem daran, dass die Entwicklung der bürgerlichen<br />

Gesellschaft die Entwicklung eines Bildungssystems<br />

verlangte. Bildungssysteme, wie wir sie kennen, sind nur<br />

denkbar in einer Gesellschaft, in der sie auf das „<strong>Arbeits</strong>leben“<br />

vorbereiten. Abgesehen von der Frage, ob Selbstbildung Arbeit<br />

ist, haben Bildungssysteme in zweierlei Hinsicht mit Arbeit zu<br />

tun. Sie sollen einerseits die Anforderungen von Lohnarbeit<br />

vermitteln und diejenigen vorsortieren die arbeiten gehen.<br />

Vermitteln...<br />

Die Erziehungswissenschaften, alternative Schulmodelle<br />

und die eigene Erfahrung als Schüler_in zeigen, dass<br />

die meisten staatlichen Bildungssysteme nur geringe<br />

Erfolge beim Vermitteln von Inhalten vorweisen. Trotzdem<br />

wird stur daran festgehalten. Statt Inhalte zu vermitteln,<br />

erweist sich insbesondere das deutsche Bildungssystem


Arbeit in Köpfen - Bildungssysteme und Arbeit<br />

als besonders effektiv darin, jungen Menschen die<br />

Regeln der kapitalistischen Gesellschaft zu vermitteln.<br />

Runter gebrochen bedeutet dies für Lohnabhängige: Erfülle<br />

die von dir verlangten Leistungen in gegebener Zeit! An<br />

folgenden Beispielen lässt sich dies zeigen.<br />

Autoritäten<br />

Schüler_innen lernen eine_n Lehrer_in als Autorität<br />

zu akzeptieren. Sie verinnerlichen, dass eine kleine<br />

Gruppe von Personen über ihren Bildungsweg<br />

entscheiden und deren Autorität nicht in Frage gestellt<br />

werden darf. Unterstützt und gesichert wird dies von<br />

Schulsystem und Gesellschaft durch Sanktionen.<br />

Dies führt nicht nur dazu, dass sie erlernen sich<br />

ihrer_m späteren Vorgesetzten unterzuordnen,<br />

sondern auch selbst autoritär zu handeln.<br />

Stundenpläne<br />

Obwohl Menschen unterschiedliche Schlafrhythmen<br />

haben, ist der frühmorgendliche Unterichtsbeginn für alle<br />

verbindlich. Auch die Aufnahmefähigkeit des Gehirns,<br />

erstreckt sich nicht immer bei allen auf 45 Minuten. Trotzdem<br />

ist dies der geregelte Takt der meisten Stundenpläne.<br />

Vorgegebene Stundenpläne sind nicht geeignet,<br />

individuelles Lernen sinnvoll zu strukturieren, sondern<br />

dienen dazu Menschen an feste <strong>Arbeits</strong>zeiten und<br />

-rhythmen zu gewöhnen. Wer ab dem 5./6. Lebensjahr<br />

gelernt hat damit umzugehen, wird den erlernten und<br />

aufgezwungenen Rhythmus nicht mehr in Frage stellen.<br />

63


Hein Sauer<br />

Noten<br />

In der Theorie sollen Noten vergleichbar machen, Schüler_<br />

innen zum Lernen motivieren und ihre Fähigkeiten offen<br />

legen. Aus verschiedenen Gründen ist dies problematisch:<br />

Noten sind kein Mittel, um Schüler_innen zum Lernen zu<br />

motivieren: Mehr als das, schlechte Noten demütigen und<br />

demotivieren, und gute Noten erzeugen Leistungsdruck.<br />

Zudem wird ein mögliches Interesse für die Inhalte vom<br />

Wettbewerb um gute Noten zurück gedrängt. Es muss sich<br />

deswegen auch niemand wundern, wenn ein Großteil des<br />

Lernstoffes wieder vergessen wird.<br />

Nicht das diese wünschenswert wäre, aber Noten erzeugen<br />

keine Vergleichbarkeit. Sondern sie beurteilen lediglich<br />

unterschiedliche Situationen an unterschiedlichsten<br />

Orten zu verschiedenen Zeiten. Dabei zeigt sich, dass der<br />

Notenspiegel in Klassen einer immer gleichen Verteilung<br />

von Noten folgt (Gauß-Kurve). Zudem sind Noten häufig nur<br />

Sympathiebekundungen von Lehrer_innen und werden als<br />

Bestrafung verwendet. Noten sind allerdings sehr gut zur<br />

Einschätzung der Anpassungsfähigkeit.<br />

Mit Noten wird Menschen auf ihrem „Bildungsweg“<br />

vermittelt, zu bestimmten Zeitpunkten die<br />

von ihnen erwartete ‘Leistung’ zu erbringen.<br />

...und sortieren<br />

In Form von Zeugnissen und Abschlüssen spielen Noten<br />

ihre letzte Trumpf-Karte am Ende eines Bildungswegs. Sie<br />

entscheiden über den Zugang zu Förder-, Haupt-, Realschule<br />

oder Gymnasium. Sie entscheiden über Berufsvorbereitung,<br />

64


Arbeit in Köpfen - Bildungssysteme und Arbeit<br />

Lehre oder Studium. Und letztendlich nach der<br />

„berufsspezifischen“ Ausbildung über die <strong>Arbeits</strong>situation.<br />

Schüler_innen, Auszubildende und Student_innen werden<br />

stetig sortiert – nach „Wertigkeit“. Scheinbar höherwertige<br />

Abschlüsse ermöglichen eine andere Qualifizierung für<br />

„wichtigere oder höherwertige“ Tätigkeiten oder den Zugang<br />

zu rar gehaltenen Lehr- und Studienplätzen (Psychologie,<br />

Lehrplätze in der Feinmechanik). Und „qualifizierte, wichtige<br />

und rare“ Fähigkeiten ermöglichen in der Regel eine besser<br />

Entlohnung. Dies hat drei Folgen:<br />

1. Einhergehend mit dieser Begründung werden niedrige<br />

Löhne für „nicht-qualifizierte“ Tätigkeiten legitimiert.<br />

Die hohe Anzahl der konkurrierenden Bewerber _<br />

innen drückt zudem die Löhne. Das Bildungssystem<br />

sorgt hier für viele „billige“ <strong>Arbeits</strong>kräfte, welche vom<br />

Kapitalismus auch heute noch verlangt werden.<br />

2. In einem akademischem Umfeld werden einerseits<br />

Voraussetzungen im Bildungssystem zu funktionieren<br />

geschaffen, andererseits die finanziellen Mittel<br />

3.<br />

bereitgestellt, um alle Hürden zu nehmen. Im<br />

Umkehrschluss heißt dies, dass Menschen ohne dieses<br />

Umfeld von vornherein benachteiligt sind.<br />

Selbst wenn ein Mensch das Interesse und die<br />

Fähigkeiten hat, einer Tätigkeit nachzugehen, wird sie<br />

oder er bei fehlenden Abschlüssen nicht die Möglichkeit<br />

haben, dies auch zu tun.<br />

Das Bildungssystem vermittelt Menschen nicht nur,<br />

sich der Arbeit anzupassen, sondern weist ihnen<br />

zugleich ihre gesellschaftliche Stellung zu. Diese im<br />

65


Hein Sauer<br />

Nachhinein zu verlassen, ist meist nur mit hohem<br />

(finanziellem) Aufwand möglich (z.B. durch Abendschulen).<br />

Selbstbestimmte Verhältnisse sind nur mit einer radikalen<br />

Veränderung des Bildungssystems möglich und bedürfen<br />

zwingend einem anderen Verständnis von Arbeit.<br />

66


Sophie Baumann<br />

Haeftling not wanted -<br />

Gefangenenarbeit in der BRD<br />

Kontextualisierung<br />

Rund um das Thema Haft kursieren Gerüchte und viele<br />

Geheimnisse, deswegen vorweg: Hinter diesem Artikel<br />

steht keine große Expertise zu Haft, dieser Text ist lediglich<br />

eine Ansammlung und Verortung zusammengetragener<br />

Informationen. Ich erhoffe mir davon neben einer<br />

Thematisierung von Haftbedingungen auch Gedanken<br />

und Debatten, inwieweit Auseinandersetzungen um<br />

Haftbedingungen – also juristisch, bürokratisch und<br />

vereinzelt politisch ausgetragene Kämpfe - gesellschaftliche<br />

Diskurse an anderen Orten strukturieren und mitprägen.<br />

Zur groben Einordnung: momentan sind knapp 77.000<br />

Gefangene in den 196 deutschen Justizvollzugsanstalten.<br />

„Arbeit für alle!...<br />

Knastarbeit vertreibt Zeit, hält Qualifikationen aufrecht<br />

und bringt denjenigen etwas bei, die zuvor noch nicht im<br />

67


Sophie Baumann<br />

Berufsleben gesteckt haben... Jailwear funktioniert. Denn das,<br />

was drin fabriziert wird, fasziniert die Menschen draußen.“<br />

(w-id-art’n-commerce)<br />

Für Strafgefangene und jugendliche Untersuchungshäftlinge<br />

herrscht in deutschen Knästen <strong>Arbeits</strong>zwang. Sie sind<br />

gesetzlich verpflichtet, 38,5 Wochenstunden <strong>gegen</strong> einen<br />

Lohn von 1,38 € in einer ihnen zugewiesenen Stelle zu<br />

malochen.<br />

Arbeit wird heute nicht mehr als Strafe, sondern als Modus<br />

der Resozialisierung gewertet. Das Bild hat sich weg<br />

entwickelt von Arbeit – ausschließlich harter körperlicher<br />

Arbeit – in einer durchwegs erniedrigenden, demütigenden<br />

und unterwerfenden Funktion hin zu einer erzieherischen<br />

<strong>Arbeits</strong>pflicht – in anderen Worten „Besserung durch<br />

Ordnung, Gehorsam und Gesundhaltung“ (Preußisches<br />

Gefängnishandbuch 1900, das Bundesverfassungsgericht<br />

folgt dieser Argumentation in seiner Rechtfertigung von<br />

Gefangenenarbeit vgl. Urteil vom 1.6.1998 BVerfG).<br />

Immer wieder werden außerdem ökonomische Argumente<br />

herangezogen, um <strong>Zwang</strong>sarbeit zu legitimieren: zum Beispiel<br />

das Ansparen von Überbrückungsgeld für die Zeit nach der<br />

Entlassung und die Unterstützung Familienangehöriger.<br />

Dysfunktional, angesichts der hohen Verschuldung, die<br />

Gefängnis für seine Insassinnen statistisch produziert,<br />

um sie anschließend perspektivischer <strong>Arbeits</strong>losigkeit<br />

auszuliefern. Eine vollständige Refinanzierung von Haft über<br />

die geleistete Arbeit ist ebenfalls unsinnig: Im Jahr 2007<br />

hat Berlin 154,4 Mio € für den Unterhalt von Gefängnissen<br />

ausgegeben, die Einnahmen durch Knastbetriebe betrugen<br />

nur 8,68 Mio € (Berliner Senatsverwaltung für Justiz).<br />

68


Haeftling not wanted - Gefangenenarbeit in der BRD<br />

Staatlich erzwungene Schwarzarbeit 1<br />

Die Insassin schuftet ohne <strong>Arbeits</strong>vertrag und gilt für<br />

die Sozialversicherungen als erwerbslos: sie ist nicht<br />

kranken-, renten- oder arbeitslosenversichert. Das ist<br />

insbesondere auch für Angehörige problematisch, die<br />

von der Insassin abhängig sind. Bei unverschuldetem<br />

<strong>Arbeits</strong>ausfall, wie Krankheit der Aufseherin führt fehlender<br />

Rechtsschutz zu Lohnausfall und Verbleib in der Zelle. Auch<br />

Gewerkschaftsrechte und die Möglichkeit zu streiken fallen<br />

hinter Gittern aus, eine Gefangene hat weder individuell durch<br />

Vertragsschluss noch kollektiv Einflussmöglichkeiten auf die<br />

Ausgestaltung ihrer <strong>Arbeits</strong>bedingungen. Eine Verweigerung<br />

kann allerdings zu heftigen Disziplinarmaßnahmen und<br />

Versagungen führen. Neben dem Entzug von Zeitungen und<br />

Taschengeld kann der Verweigererin der Hofgang (bis zu<br />

einer Woche) sowie das Briefe schreiben verwehrt und ein<br />

Haftkostenbeitrag erhoben werden (vgl. Fall von Andrea N.<br />

2008 in Essen: sie sollte monatlich rückwirkend 368,25€ für<br />

Essen und Zelle zahlen, §50 I StVollzG). Bis zu drei Monaten<br />

kann Hörfunk- und Radioempfang entzogen werden,<br />

Gegenstände zur Freizeitbeschäftigung beschlagnahmt,<br />

die Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen verboten,<br />

Vollzugslockerungen ausgesetzt werden. Im Extremfall<br />

wird sie bis zu 4 Wochen in eine Arrestzelle verfrachtet.<br />

Realitäten im Knast<br />

Arbeit steht im Mittelpunkt des Knastalltags. Sie löst die<br />

Gefangenen aus der Einsamkeit der Zelle, strukturiert den<br />

Tagesablauf, ermöglicht den Einkauf von Gemüse oder<br />

Tabak im Kiosk (3/7 des Lohns stehen der Gefangenen<br />

69


Sophie Baumann<br />

zur Verfügung, der Rest ist ihrem Zugriff entzogen, wird<br />

für sie von der Anstalt gespart – in einem Jahr erarbeitet<br />

sie sich so 1000€ Überbrückungsgeld). Trotz <strong>Arbeits</strong>pflicht<br />

liegt die <strong>Arbeits</strong>losigkeit in Haft bei ca. 40%, die<br />

Konkurrenz um die vorhandenen Stellen ist angespannt.<br />

In der größten bayerischen JVA in München-Stadelheim<br />

werden von aktuell 1700 Gefangenen gerade einmal 170<br />

zur Arbeit herangezogen (Voigt). Bundesweit sind 30%<br />

der Langzeiteinsitzenden arbeitslos. Für Frauen ist der<br />

Zugang zu Stellen zudem strukturell erschwert. Sie sind<br />

mehrheitlich in Männervollzugsanstalten mituntergebracht;<br />

dort haben sie aufgrund der Geschlechtertrennung zu vielen<br />

Infrastrukturen keinen Zugang.<br />

WM-Grill, Hundespielzeug, Holzosterhasen, Kerzenständer,<br />

Räuchermännchen. „In Haftanstalten werden Gefangene<br />

nicht etwa an hochmodernen Maschinen ausgebildet<br />

und ihnen alle Wege geebnet um problemlos höhere<br />

Bildungsabschlüsse zu erreichen, die ihnen nach<br />

ihrer Inhaftierung ermöglichen würden, außerhalb des<br />

Niedriglohnsektors einen Tätigkeit nachzugehen“, schreibt<br />

Thomas Meyer-Falk auf seiner Homepage, Insasse seit<br />

1998. Nur wenige Gefangene arbeiten selbstständig oder<br />

gar als Freigängerinnen im offenen Vollzug mit einem<br />

<strong>Arbeits</strong>vertrag. Zwei bis drei Monate pro Jahr kann die<br />

Anstalt ihre Gefangenen zu Hilfstätigkeiten heranziehen<br />

(§41 I 2 StVollzG). Die meisten versorgen in ihrer Arbeit<br />

entweder die Anstalt selbst (Wäscherei) oder produzieren<br />

für externe Abnehmerinnen. Teilweise bilden Anstalten aus:<br />

zur Gärtnerin, Köchin oder Lackiererin. Arbeiten für private<br />

Unternehmen laufen unter Aufsicht und werden angeordnet<br />

70


Haeftling not wanted - Gefangenenarbeit in der BRD<br />

und zugeteilt. Die Gefangenen ziehen Kordeln durch<br />

Einkaufstüten (für Douglas), verpacken Bügelbrettbezüge<br />

(für Tchibo) oder Bio- Kaffee (für Serco)... Immer mehr<br />

Großkonzerne steigen in die Knastproduktion ein und<br />

lösen die traditionelle Nutzung der Betriebsstätten durch<br />

mittelständische Unternehmen ab (Delius). Elektronik,<br />

Telekommunikation, Einzelhandelsketten und Mode<br />

kristallisieren sich als neue Knastbranchen heraus.<br />

Einige Firmen entwickeln Knastarbeit zu ihrer eigenen<br />

Identität: „made on the inside to be worn on the outside“<br />

(Werbeslogan von Prsn’ Blu). Kleidungsprodukte aus dem<br />

Knast heißen jetzt Jailwear. Mit „Produkten aus kreativen<br />

Zellen“ wirbt die Knastcouture von Haeftling (JVA Tegel) und<br />

Santa Fu (JVA Hamburg, Verkaufsstelle in Berlin: Videodrom<br />

Shop, Oranienstr. 195). In der Rosa-Luxemburg-Straße<br />

verkauft Haeftling „Bekleidung und Gebrauchs<strong>gegen</strong>stände,<br />

die eben ein klein wenig härter im Nehmen sind als die von<br />

draußen“, zum Beispiel ein Memory mit Tatoofotos der<br />

Insassinnen. „Das hallende Sprachgewirr auf den Fluren,<br />

die scheppernden Durchsagen durch den Lautsprecher,<br />

das ständig wiederkehrende Klappern von Schlüsseln und<br />

Einrasten von Gittertüren und dazwischen das rhythmische<br />

Ächzen aus dem Kraftraum“ kann man sich auf der Original-<br />

Knast-CD von Santa FU anhören und damit laut Homepage<br />

zugleich ein Erlebnis persönlicher Wiedergutmachung für<br />

Insassinnen durch die Unterstützung von Opferschutz leisten<br />

– einen Teil des Erlöses leitet Santa Fu an den reaktionären<br />

Weißen Ring.<br />

71


Sophie Baumann<br />

Schlaraffenland und Illusionsmaschine Knast<br />

“Es fallen keine Sozialabgaben an, es entstehen<br />

keine Ausfallzeiten durch Krankheit, Sonderzahlungen<br />

(Weihnachts- oder Urlaubsgeld) entfallen, eine flexible<br />

Anpassung der Beschäftigtenzahl an die Auftragslage<br />

ist problemlos möglich.” (Homepage der JVA Trier)<br />

Knastarbeit unter diesen Bedingungen wird von Unternehmen<br />

erfolgreich zur selbstlosen Mildtätigkeit verklärt. Firmen<br />

übernehmen fiktive soziale Verantwortlichkeiten der<br />

„Illusionsmaschine Knast“ (Schlieter), verkannt wird<br />

der rechtlose Status der verpflichteten Insassin. Dabei<br />

wird das Gefängnissystem selbst integriert, nicht aber<br />

dessen Insassinnen. Diese sind „als <strong>Arbeits</strong>kräfte nur<br />

solange interessant, wie sie als Häftlinge zum Niedriglohn<br />

produzieren“ (Delius). Der echte <strong>Arbeits</strong>vertragsschluss mit<br />

Freigängerinnen oder Entlassenen findet äußerst selten statt.<br />

Neben der Kritik an medialer Verklärung eines <strong>Arbeits</strong>ethos<br />

im Knast und an <strong>Arbeits</strong>bedingungen – geringe Entlohnung,<br />

Monotonie, ungenügender Rechtsschutz, Ausgliederung<br />

aus dem Sozialsystem und <strong>Arbeits</strong>losigkeit – muss der<br />

<strong>Zwang</strong> zur Arbeit grundsätzlich infrage gestellt werden,<br />

unabhängig davon wie viele Häftlinge sich ihm momentan<br />

hörbar erwehren. Knast baut eine Struktur der Arbeit<br />

entkoppelt von jedweden <strong>Arbeits</strong>rechten, die auch nicht<br />

den Zugang zu Konsum oder sozialer Sicherheit eröffnet,<br />

aber diskursiv mit dem Ziel der Resozialisierung belegt<br />

ist. Gefangenenarbeit leistet somit die Konstruktion eines<br />

radikalen ethischen Mythos: Arbeit als Voraussetzung für<br />

gesellschaftliche Teilhabe, ohne dass die Arbeit selbst aber<br />

Raum für Handlungs- und Entscheidungsfreiheit schafft.<br />

72


Haeftling not wanted - Gefangenenarbeit in der BRD<br />

bleibt nur<br />

<strong>Zwang</strong>sarbeit in Knästen abschaffen.<br />

Und übrigens:<br />

„Knast ist grundsätzlich der falsche Weg, er hat keine Fehler,<br />

sondern er ist der Fehler.“ (Michel im abolitionistischen<br />

Gefangenenrundbrief Mauerfall Nr. 18, 2009)<br />

1 Juristische Hintergründe: Gefängniszwangsarbeit ist in Art. 12 III GG, §41<br />

StVollZG, Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 1.6.1998 und Beschluss<br />

vom 23.4.2002 BverfG, Art. 4 III EMRK sowie nach EUGrCh, und ILO- Abkommen<br />

von 1930 (in Neufassung 1975) festgeschrieben. Mit der Föderalismusreform<br />

ist der Strafvollzug seit 2008 Ländersache, allerdings ist diese<br />

weitgehend noch nicht umgesetzt. Laut Berliner Koalitionsvereinbarung ist<br />

ein eigenes Landesvollzugsgesetz geplant (Berliner Perspektiven für eine<br />

starke Wirtschaft, gute Arbeit und sozialen Zusammenhalt- Koalitionsvereinbarung<br />

zwischen SPD und CDU 2011-2016, S.71).<br />

Bis dahin nennt die Berliner Senatsverwaltung das StVollzG weiterhin als<br />

Grundlage des Justizvollzugs (http://www.berlin.de/sen/justiz/justizvollzug/<br />

info_index.html). Nur für Jugendliche gibt es in Berlin bisher eigene Gesetze.<br />

Sie enthalten auch die sanktionsbewehrte Pflicht zu arbeiten: §§ 37 II 2 , 83<br />

II Nr.4, III JStVollzG Bln,§ 71 II UVollzG Bln.<br />

Martin Singe bewertet das Konstrukt gesetzlich normierten <strong>Arbeits</strong>zwangs<br />

als staatlich erzwungene Schwarzarbeit.<br />

73


Sophie Baumann<br />

74<br />

Literatur zum Weiterlesen und Vertiefen<br />

www.labournet.de, www.strafvollzugsarchiv.de, Loïc Wacquant: Das<br />

Janusgesicht des Ghettos und andere Essays, 2006;<br />

Kai Schlieter: Knast Report. Das Leben der Weggesperrten, 2011<br />

Grundlagen des Texts:<br />

Martin Singe: Vollzugsdefizit- staatlich erzwungene Schwarzarbeit in<br />

Knästen, 2010<br />

Ilka Kreutzträger: Kontroverses Geschäftsmodell, 2007<br />

taz (hier auch das Zitat von w-id-art’n-commerce entnommen); Robert<br />

Ortmann: Ach wie gütig!, 2008<br />

fau berlin; Jana Brenner: Heiße Ware aus dem Knast, 2007<br />

Jungle World; Loïc Wacquant: Vier Strategien zur Eindämmung der<br />

Gefängniskosten, 2002<br />

Institute for Legal Research der University of California; Wilhelm Voigt:<br />

Prekarisierung und Masseninhaftierung, 2004<br />

Thomas Meyer-Falk: Strafvollzug und <strong>Arbeits</strong>zwang, 2003 (Hinweis auf<br />

Preußisches Gefängnishandbuch)<br />

Joseph Delius: Die Strafgesellschaft, 2000<br />

Soligruppe für andrea: Keine Rose für Svarowski; 2008;<br />

Freiabonnements für Gefangene e.V.: Lesen in Haft- eine Umfrage,<br />

2006; www.berlin.de/senjust/index.html<br />

Berliner Perspektiven für eine starke Wirtschaft, gute Arbeit und sozialen<br />

Zusammenhalt- Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU 2011-<br />

2016


Paul Brettel<br />

Wer nimmt uns die Arbeit weg?<br />

Zum Verhältnis von Migration und Arbeit<br />

«Die Ausländer(_innen) nehmen uns die Arbeit weg!» tönt<br />

es in regelmäßigen Abständen von NPD über die Bild-<br />

Zeitung bis zu rechten Gewerkschafter_innen. Jenseits der<br />

in dieser Broschüre behandelten Frage, was eigentlich so<br />

schlimm daran ist, wenn einer_m die Arbeit weggenommen<br />

wird, sollen hier die Folgen dieser rassistischen<br />

Aufspaltung in ‘Ausländer_innen’ und ‘Deutsche’ zum<br />

vermeintlichen Zweck, der deutschen Selbstrettung<br />

beleuchtet werden. Als ‘Ausländer_innen’ kategorisierte<br />

Menschen sind von vielfältigen Diskrmininierungen und<br />

Herrschaftsmechanismen betroffen. Dies gilt insbesondere<br />

in Bezug auf die kapitalistische Verwertungslogik, in der<br />

diese als quasi-rechtlose Verschiebemasse auf dem<br />

<strong>Arbeits</strong>markt ausgebeutet werden.<br />

Jedoch kann die Gruppe der «Migrant_innen» nicht als eine<br />

einheitliche Gruppe beschrieben werden. Unterschiede<br />

lassen sich anhand gesellschaftlicher Diskurse wie auch der<br />

75


Paul Brettel<br />

rechtlichen Situation nachzeichnen.<br />

Obgleich Zuschreibungen auf rassistischen Grundannahmen<br />

beruhen und im Sinne einer antirassistischen Politik<br />

kritisiert und dekonstruiert werden müssen, können sie bei<br />

einer Analyse der Diskriminierung <strong>gegen</strong>über Migrant_innen<br />

nicht vernachlässigt werden. Schon die Begriffe «Migrant_<br />

in», «Deutsche_r» und «Ausländer_in» eröffnen die Frage,<br />

wer eigentlich als solche_r wahrgenommen wird – und wer<br />

darüber entscheidet. Durch diese rassistische Trennung<br />

werden die Alltagserfahrungen der Betroffenen geprägt; die<br />

entsprechenden Zuschreibungen werden so wirkmächtig.<br />

Sie sind weiterhin nach verschiedenen Kategorien<br />

differenziert, beispielsweise vermuteter «Ethnizität»,<br />

Hautfarbe, Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, usw.: Einem<br />

jungen alleinstehenden Inder, der für einige Jahre in<br />

Deutschland in einem gutbezahlten IT-Job arbeitet werden<br />

ganz andere Eigenschaften zugeschrieben als einer<br />

alleinerziehenden Kurdin, die vor 20 Jahren aus politischen<br />

Gründen nach Deutschland geflohen ist. Wieder anders ist<br />

das Schicksal eines Bürgerkriegsflüchtlings aus Sri Lanka,<br />

und hiermit schwer zu vergleichen das einer britischen<br />

Ingenieurin.<br />

Ohne Begriffe lässt sich der Themenkomplex jedoch nicht<br />

behandeln. Wichtig ist insbesondere, die Einteilungen<br />

als willkürlich zu verstehen, und sich von einem<br />

essentialistischen Verständnis zu distanzieren. Darauf soll<br />

im Folgenden punktuell durch Formulierungen hingewiesen<br />

werden – eine konsequent antirassistische Sprache scheint<br />

mir jedoch nicht möglich zu sein.<br />

76


Wer nimmt uns die Arbeit weg? Zum Verhältnis von Migration und Arbeit<br />

Neben der diskursiven Ebene befinden Migrant_innen<br />

sich auch auf rechtlicher Ebene in sehr unterschiedlichen<br />

Situationen. Diese Ausdifferenzierung lässt sich anhand<br />

historischer Entwicklungslinien nachzeichnen. Obwohl<br />

Migration schon sehr viel früher existierte, sind die für<br />

die heutige Zeit bedeutenden Migrationsphasen nach<br />

Deutschland erst in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg<br />

aufgekommen.<br />

Anwerbephase<br />

Die 1955 begonnene «Anwerbephase» beruhte auf dem<br />

gezielten Anwerben migrantischer Arbeitnehmer_innen,<br />

die über Verträge mit den Herkunftsländern, z.B. Italien,<br />

Griechenland, Türkei, ehem. Jugoslawien, angeworben<br />

wurden. Ziel war es, die Migrant_innen - anfangs waren<br />

dies fast ausschließlich junge Männer - für eine begrenzte<br />

Zeit in Deutschland arbeiten zu lassen, bevor sie wieder in<br />

ihr Herkunftsland emigrieren sollten. In vielen Fällen zogen<br />

im Lauf der Jahre die Familien nach und lebten sich in<br />

Deutschland ein. Sie blieben nach dem Anwerbestopp 1973<br />

in Deutschland, da sie sich in ihr soziales Umfeld eingelebt<br />

hatten und so der häufig schwierigen wirtschaftlichen und<br />

politischen Situation in ihren Herkunftsländern entgehen<br />

konnten. Während die damaligen Migrant_innen heute<br />

größtenteils schon im Rentenalter sind, sind ihre Kinder<br />

und Enkel, auch als Migrant_innen zweiter und dritter<br />

Generation bezeichnet, heute im lohnarbeitsfähigen Alter.<br />

Obgleich diese oft wenig mit dem Herkunftsland ihrer Eltern<br />

bzw. Großeltern verbindet und sie auch die entsprechende<br />

Sprache nicht sprechen, werden sie noch als Ausländer_<br />

77


Paul Brettel<br />

innen wahrgenommen und mit den entsprechenden<br />

Zuschreibungen stigmatisiert - leicht erkennbar am<br />

Stereotyp des türkischen Machos, der vermeintlich meist<br />

dumm, faul, homophob und gewalttätig ist. Folglich werden<br />

Schwächephasen in der Schule als Zeichen von Unfähigkeit<br />

und Faulheit gedeutet, während bei «biodeutschen*»<br />

Jugendlichen auf eine schwierige Phase in der pubertären<br />

Entwicklung geschlossen wird. Eine längere freie Zeit nach<br />

dem Schulabschluss wird bei «biodeutschen» Jugendlichen<br />

als eine notwendige Orientierungsphase gesehen, während<br />

rassistisch markierte als Sozialschmarotzer_innen<br />

bezeichnet werden, die dem deutschen Staat auf der Tasche<br />

liegen. Auch bei dem Versuch, lohnarbeiten zu gehen, sind<br />

die Betroffenen in einer weitaus schwierigeren Lage als<br />

westeuropäisch wahrgenommene Menschen. Sowohl die<br />

individuellen Erfahrungen der Diskriminierten, als auch<br />

zahlreiche Studien zeigen, dass vermeintliche Migrant_<br />

innen bei gleicher Qualifikation schlechtere Chancen haben,<br />

einen Job zu bekommen.<br />

Die genannten Mechanismen führen dazu, dass<br />

«Ausländer_innen» in wenig qualifizierten Jobs landen, wie<br />

zum Beispiel im Reinigungsgewerbe, in der Gastronomie<br />

oder auf dem Bau – oft in Kombination mit Nachtarbeit.<br />

Viele dieser Betätigungen sind gesellschaftlich ausgrenzend<br />

und verstärken so den Mythos der schlecht integrierten<br />

* Die Bezeichnung «biodeutsch» wurde von Betroffenen eingeführt, um<br />

einerseits die Unterscheidung zwischen deutscher Staatsbürger_innenschaft<br />

und weißer Mehrheitsgesellschaft aus eigener Perspektive zu benennen<br />

und andererseits das gängige ‘Deutsch-Sein-Verständnis’ als rassistisch und<br />

biologistsich zu markieren.<br />

78


Wer nimmt uns die Arbeit weg? Zum Verhältnis von Migration und Arbeit<br />

Ausländer_innen. Auch Schutz vor unzumutbaren und<br />

arbeitsrechtlich fraglichen Betätigungen ist für viele<br />

Ausländer_innen schwer erreichbar: Beispielsweise ist<br />

der gewerkschaftliche Organisationsgrad ausländischer<br />

Arbeitnehmer_innen in ihren entsprechenden Branchen<br />

geringer als bei deutschen Staatsbürger_innen. Gründe<br />

hierfür dürften unter anderem die Orientierung vieler<br />

Gewerkschaften an traditionellen Mitgliedergruppen sein.<br />

In Anbetracht dieser vielfältigen Erschwernisse<br />

wirken die Schuldzuweisungen bzgl. der mangelnden<br />

Leistungsbereitschaft und der Bildung migrantischer<br />

Parallelgesellschaften durch den rassistischen deutschen<br />

Mob, angeführt von Sarrazin, Lafontaine, Seehofer und co.<br />

wie blanker Hohn.<br />

Gesteuerte Zuwanderung<br />

In den letzten Jahren besitzt ein großer Teil der nach<br />

Deutschland kommenden «<strong>Arbeits</strong>migrant_innen» eine<br />

höhere berufliche Qualifikation, als dies in der Anwerbephase<br />

der Fall war. Dies ist Folge zunehmender Regulierung<br />

der Migration auf nationalstaatlicher wie auch auf EU-<br />

Ebene. Das Paradigma ist dabei das einer «gesteuerten<br />

Zuwanderung», die sich an den wirtschaftlichen und<br />

arbeitsmarktpolitischen Interessen der Zielländer orientiert.<br />

Während über das Freizügigkeitsgesetz die Migration<br />

zwischen EU-Ländern für Unionsbürger_innen auf der<br />

Suche nach Lohnarbeit praktisch uneingeschränkt<br />

ermöglicht wurde, bestehen für Nicht-EU-Ausländer_innen<br />

deutliche Beschränkungen.Geregelt wird der Aufenthalt von<br />

Ausländer_innen in Deutschland über das Aufenthaltsgesetz<br />

79


Paul Brettel<br />

(AufenthG). Dieses enthält zwei Stufen des Aufenthalts: Die<br />

streng regulierte und zeitlich begrenzte Aufenthaltserlaubnis<br />

und die unbefristete und zweckunabhängige<br />

Niederlassungserlaubnis.<br />

Die Niederlassungserlaubnis kann Ausländer_innen<br />

erteilt werden, die seit mindestens 5 Jahren eine<br />

Aufenthaltserlaubnis haben, deren Lebensunterhalt gesichert<br />

ist und die mindestens 60 Monate in die Rentenversicherung<br />

eingezahlt haben. Von diesen Bedingungen ausgenommen<br />

werden können jedoch «Hochqualifizierte».<br />

Für alle anderen ist der Weg zur Niederlassungserlaubnis<br />

lang und gepflastert von restriktiven Regelungen. Bei<br />

Verfehlungen droht immer das Auslaufen oder der Entzug<br />

der Aufenthaltsgenehmigung.<br />

Von Bedeutung für viele nach Deutschland Migrierende sind<br />

die Bestimmungen über den «Aufenthalt zum Zweck der<br />

Ausbildung» (Abschnitt 3 des AufenthG) und den «Aufenthalt<br />

zum Zweck der Erwerbstätigkeit» (Abschnitt 4 des AufenthG).<br />

Für Studierende beträgt die maximale Geltungsdauer der<br />

Aufenthaltserlaubnis zunächst 2 Jahre. Sie kann verlängert<br />

werden, sofern « der Aufenthaltszweck noch nicht erreicht ist<br />

und in einem angemessenen Zeitraum noch erreicht werden<br />

kann.» (§16(1), AufenthG)<br />

Studierende sind damit zum Einen darauf angewiesen, den<br />

Behörden hinreichenden Erfolg in ihrem Studium vorweisen<br />

zu können, zum Anderen sind sie nicht BaföG-berechtigt,<br />

und darum meist auf Erwerbstätigkeit neben ihrem Studium<br />

angewiesen. Diese wird jedoch auf 90 Tage im Jahr oder<br />

studentische Nebentätigkeiten beschränkt.<br />

80


Wer nimmt uns die Arbeit weg? Zum Verhältnis von Migration und Arbeit<br />

Weiterhin regelt das Gesetz: «Nach erfolgreichem Abschluss<br />

des Studiums kann die Aufenthaltserlaubnis bis zu einem<br />

Jahr zur Suche eines diesem Abschluss angemessenen<br />

<strong>Arbeits</strong>platzes [...] verlängert werden.» (§16(4), AufenthG).<br />

Auch während dieser Zeit müssen die Betroffenen<br />

ohne staatliche Transferleistungen auskommen.<br />

Kombiniert mit möglichen Sprachproblemen zeigt sich,<br />

dass ausländische Studierende, die unter die genannte<br />

Regelungen fallen, einem immensen Leistungsdruck und<br />

<strong>Arbeits</strong>zwang ausgesetzt sind.<br />

Auch Migrant_innen, die «zum Zweck der Erwerbstätigkeit»<br />

nach Deutschland einreisen, haben mit ähnlichen<br />

Zwängen zu leben. Der Zweck ihres Aufenthalts in<br />

Deutschland ist klar geregelt: «Die Zulassung ausländischer<br />

Beschäftigter orientiert sich an den Erfordernissen des<br />

Wirtschaftsstandortes Deutschland unter Berücksichtigung<br />

der Verhältnisse auf dem <strong>Arbeits</strong>markt und dem Erfordernis,<br />

die <strong>Arbeits</strong>losigkeit wirksam zu bekämpfen.» (§18(1),<br />

AufenthG)<br />

Ob diese im Einzelfall oder für eine bestimmte Branche<br />

zutrifft, entscheidet die Bundesagentur für Arbeit. Zur<br />

Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis muss zunächst ein<br />

(Lohn-)<strong>Arbeits</strong>platzangebot vorliegen. Im Folgenden prüft die<br />

Bundesagentur für Arbeit, ob die Stelle an Deutsche oder<br />

ihnen rechtlich gleichestellte Ausländer_innen vergeben<br />

werden könnte. Nur wenn dies nicht der Fall ist, kann eine<br />

Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.<br />

Sonderregelungen gelten für «Hochqualifizierte», Forscher_<br />

innen und Selbständige. Diese Regelungen betreffen<br />

jedoch ausschließlich Menschen, die schon in ihren<br />

81


Paul Brettel<br />

Herkunftsländern sozial Privilegiert sind. Im Fall von<br />

Selbständigen wird dies dadurch konkretisiert, dass unter<br />

anderem mindestens 250 000 Euro investiert werden<br />

müssen.<br />

Eine Aufenthaltserlaubnis ist immer zweckgebunden<br />

und befristet. Konkret bedeutet dies, dass die<br />

Aufenthaltserlaubnis in den obengenannten Fällen an den<br />

Studien- oder <strong>Arbeits</strong>platz gebunden ist. Entfällt dieser –<br />

beispielsweise durch Entlassung oder Abbruch des Studiums<br />

– so kann die Aufenthaltserlaubnis verkürzt werden.<br />

Dies bedeutet für Arbeitnehmer_innen, dass sie auf eine<br />

dauerhafte Erwerbstätigkeit angewiesen sind und unter<br />

einem weit stärkeren Druck stehen, als dies bei ihren<br />

Kolleg_innen der Fall ist. Sie sind der Willkür ihrer Chefs<br />

noch stärker ausgesetzt und damit leichter unter Druck zu<br />

setzen. Arbeitnehmer_innenrechte gelten so für Ausländer_<br />

innen in der Praxis nur eingeschränkt.<br />

Blue Card<br />

Auch im Rahmen der EU wird in den letzten Jahren auf<br />

das Anwerben von «Hochqualifizierten» gedrängt. Ähnlich<br />

wie die deutsche Gesetzgebung legt auch die Richtlinie<br />

2009/50/EG, die die Einführung einer «Blue Card» regelt,<br />

strenge Anforderungen an die Betroffenen. Der zur Einreise<br />

nachzuweisende <strong>Arbeits</strong>vertrag oder das verbindliche<br />

<strong>Arbeits</strong>platzangebot muss ein Gehalt garantieren, das<br />

mindestens das Anderthalbfache des durchschnittlichen<br />

Gehalts in dem betreffenden Mitgliedstaat entspricht. Auch<br />

hier kann zunächst EU-Bürger_innen und schon länger in der EU<br />

82


Wer nimmt uns die Arbeit weg? Zum Verhältnis von Migration und Arbeit<br />

lebenden Drittstaatangehörigen der Vorzug gegeben werden.<br />

Die Blue Card hat eine Gültigkeitsdauer von 1 bis 4 Jahren,<br />

kann jedoch entzogen werden, sofern der_die Inhaber_in<br />

den eigenen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann oder<br />

über 3 Monate, bzw. mehr als einmal arbeitslos war.<br />

Die Blue-Card-Initiative ist ein wichtiger Baustein des<br />

Konzepts der zirkulären Migration, das in den vergangenen<br />

Jahren in Europa von verschiedenen rechten Politiker_<br />

innen, insbesondere Nicolas Sarozy und Wolfgang<br />

Schäuble, vorangetrieben wurde. Statt dauerhaft in Europa<br />

leben zu dürfen, sollen hiernach Migrant_innen (und<br />

dies vor allem «hochqualifizierte») nur befristet in Europa<br />

leben dürfen, bevor sie zurück in ihre Herkunftsstaaten<br />

ausreisen müssen. Der Zweck des Aufenthalts soll rein<br />

lohnarbeitsgebunden sein. Insbesondere soll, nach Meinung<br />

der migrationspolitischen Hardliner, eine Verstetigung<br />

der Migration verhindert werden. Die Betroffenen<br />

Ausländer_innen sollen also eben nicht, wie sonst oft<br />

gefordert, die Möglichkeit bekommen, sich am sozialen,<br />

kulturellen und politischen Leben beteiligen zu können.<br />

Flüchtlinge und Illegalisierte<br />

Für Flüchtlinge stellt sich das Bild zunächt umgekehrt dar:<br />

Sie bekommen im Allgemeinen keine <strong>Arbeits</strong>erlaubnis<br />

und müssen von Sozialleistungen leben, die weit unter<br />

dem Existenzminimum liegen. Nur in Sonderfällen<br />

kann Flüchtlingen im Asylverfahren nach mindestens<br />

einem Jahr und Geduldeten eine <strong>Arbeits</strong>erlaubnis<br />

erteilt werden. Für Geduldete ist der Nachweis<br />

einer Lohnarbeit jedoch zugleich Voraussetzung,<br />

83


Paul Brettel<br />

um einen Antrag auf Bleiberecht stellen zu können.<br />

Zugleich sehen sich Migrant_innen oft mit der<br />

Nichtanerkennung ihrer Ausbildungen aus dem Ausland<br />

konfrontiert. Dies erschwert die Suche nach einer<br />

angemessen bezahlten Lohnarbeit ungemein. Viele gut<br />

ausgebildete Migrant_innen landen so in schlechtbezahlten<br />

Jobs wie beispielsweise im Reinigungsgewerbe.<br />

Zudem leben in Deutschland nach Schätzungen zwischen<br />

500.000 und 1 Million Illegaliserte. Diese kommen entweder<br />

auf nicht-legalem Weg nach Deutschland, oder bleiben nach<br />

Ablaufen eines legalen Aufenthalts in Deutschland (z.B. nach<br />

einem abgelehnten Asylantrag, nach einem touristischen<br />

Aufenthalt mit Visum, oder am Ende einer Au-Pair-Tätigkeit).<br />

Illegalisierte müssen nicht-dokumetierte Arbeit verrichten,<br />

um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Ein Großteil dieser<br />

Tätigkeiten findet in der privaten und gesellschaftlichen<br />

Reproduktionsarbeit (Hausarbeit, Reinigungsgewerbe, Care<br />

Work, Gastronomie), in der Sexarbeit und im Baugewerbe statt.<br />

Oft wird hier von inneren Delokalisierungen gesprochen:<br />

Während viele Jobs in andere Länder ausgelagert werden, in<br />

denen erheblich geringere Gehälter gezahlt werden, ist dies<br />

in den genannten Bereichen nicht möglich. Diese müssen<br />

daher von Menschen verrichtet werden, die zwar vor Ort<br />

leben, jedoch weit unter den hiesigen branchenüblichen<br />

Löhnen beschäftigt werden können.<br />

Insbesondere in der Reproduktionsarbeit sind die<br />

Betroffenen öffentlich nicht sichtbar und müssen unter<br />

unwürdigsten Bedingungen zu Hungerlöhnen arbeiten. Da<br />

ihre Beschäftigungsverhältnisse nicht dokumentiert sind,<br />

genießen sie kaum arbeitsrechtlichen Schutz. So kann<br />

84


Wer nimmt uns die Arbeit weg? Zum Verhältnis von Migration und Arbeit<br />

der_die Arbeitgeber_in beispielsweise den Lohn einbehalten<br />

oder gar körperliche Gewalt anwenden. Die Betroffenen<br />

können daraufhin nicht ohne weiteres vor Gericht ihre<br />

Rechte einklagen.<br />

Da die genannten Witschaftszweige jedoch auf die<br />

Existenz der Illegalisierten als billige <strong>Arbeits</strong>kräfte<br />

angewiesen sind, haben diese die Möglichkeit, sich zu<br />

wehren. So schlossen sich im Frühjahr 2008 zahlreiche<br />

Illegalisierte in Frankreich zusammen, um <strong>gegen</strong> die<br />

menschenunwürdigen Bedingungen zu protestieren und<br />

ein reguläres Bleiberecht einzufordern. Insbesondere<br />

der Gastronomiebereich musste stark unter den Streiks<br />

leiden und zahlreiche Restaurants in der Region Paris<br />

konnten ihre Kund_innen nicht mehr bedienen. Der Protest<br />

erreichte eine Reihe von Legalisierungen und die sanspapiers-Bewegung<br />

bekam eine breite öffentliche Solidarität.<br />

Auch die linke Gewerkschaft cgt unterstützte die Aktionen<br />

der Illegalisierten. Dies zum Einen aus politischer<br />

Grundüberzeugung und dem Selbstverständnis,<br />

Arbeitnehmer_innen zu unterstützen – also auch nichtdokumentierte<br />

Arbeitnehmer_innen. Zum Anderen, weil<br />

die Dumpinglöhne der Illegalisierten auch die Löhne der<br />

anderen Beschäftigten drücken.<br />

Obgleich in Deutschland Aktionen in einem solchen Rahmen<br />

(noch) nicht stattgefunden haben, lassen sich zumindest<br />

erste Ansätze von Zusammenarbeit der Gewerkschaften<br />

mit Illegaliserten erkennen, die noch vor einigen Jahren<br />

schwer vorstellbar waren. Obgleich formal auch für<br />

informelle Arbeit Arbeitnehmer_innenrechte gelten, sind<br />

diese für die einzelnen Beschäftigten nicht einklagbar,<br />

85


Paul Brettel<br />

ohne die Gefahr der sofortigen Abschiebung einzugehen.<br />

Für genau diese Problematiken gründete sich der<br />

<strong>Arbeits</strong>kreis «Undokumetierte Arbeit» bei ver.di. 2008 wurde<br />

die erste gewerkschaftliche Beratungsstelle für Menschen<br />

ohne gesicherten Aufenthalt in Hamburg eröffnet und fand<br />

2010 auch im Hamburger DGB Anerkennung. Obgleich<br />

eine deutlich stärkere Unterstützung und öffentliche<br />

Positionierung der deutschen Gewerkschaften für<br />

Illegaliserte nötig wäre, scheint ein Anfang getan zu sein.<br />

Schluss mit dem rassistischen Normalzustand!<br />

Die deutsche und europäische Einwanderungspolitik<br />

ist weiterhin fast ausschließlich an Lohnarbeit (oder an<br />

eine Ausbildung zur Lohnarbeit) gebunden. Die einzige<br />

Ausnahme bilden Flüchtlinge, deren Zahl jedoch – unter<br />

anderem aufgrund der repressiven Asylpolitik - in den letzten<br />

20 Jahren um ein Vielfaches abgenommen hat.<br />

Fast allen Migrant_innen gemeinsam ist, dass sie in vielen<br />

Bereichen rechtlich <strong>gegen</strong>über deutschen Staatsbürger_<br />

innen diskriminiert werden. Zugleich müssen sie jedoch,<br />

dieser Benachteiligung zum Trotz, in vielen Fällen nachweisen,<br />

dem «Wirtschaftsstandort Deutschland» nützlich zu sein.<br />

Außereuropäische Migrant_innen müssen damit immer<br />

mehr den Vorstellungen einer gesteuerten Einwanderung<br />

entsprechen, um überhaupt das Recht zu haben, in<br />

Deutschland oder Europa zu leben. So stehen Ausländer_<br />

innen im Allgemeinen einem «Misstrauensvorschuss»<br />

<strong>gegen</strong>über, werden jedoch zugleich als rechtloses<br />

verwertbares Humankapital zu Dumpinglöhnen ausgebeutet.<br />

86


Wer nimmt uns die Arbeit weg? Zum Verhältnis von Migration und Arbeit<br />

Migrationspolitik darf sich jedoch nicht an einer<br />

Verwertungslogik orientieren, die Menschen nach ihrem<br />

«wirtschaftlichen Nutzen» bewertet. Migration darf kein<br />

Privileg einer «Elite» sein, die aufgrund ihres sozialen<br />

Status die Möglichkeit hat, in Europa anerkannte<br />

Berufsausbildungen zu absolvieren, und sich somit das<br />

Recht auf ein Leben innerhalb der Mauern der Festung<br />

Europa erwirbt.<br />

Die schrittweise Öffnung der innereuropäischen Grenzen<br />

kann als Beispiel für die Öffnung staatlicher Grenzen<br />

gesehen werden. Im Fall der EU geht dieser Fortschritt für<br />

Europäer_innen jedoch mit einer zunehmenden Abschottung<br />

<strong>gegen</strong> Nicht-Europäer_innen einher. Eine emanzipatorische<br />

Politik sollte nicht die Privilegien einer Gruppe von Menschen<br />

auf Kosten der weiterhin Ausgeschlossenen ausbauen.<br />

Notwendig ist vielmehr die Öffnung aller Grenzen, verbunden<br />

mit der Einführung globaler sozialer und demokratischer<br />

Rechte.<br />

87


Susanne Scheckel<br />

88<br />

Hartz IV und die Agenda 2010<br />

BRD 2003: Die Wirtschaft schrumpft, der Staat ist<br />

überschuldet und der Export schwächelt. Die Medien<br />

zeichnen ein düsteres Bild und die Bürger_innen wissen: bald<br />

kann die Konjunktur ihren Arm der Armut auch nach ihnen<br />

ausstrecken. Doch natürlich gibt es eine letzte Rettung. Die<br />

rot-grüne Regierung hat die Schuldigen für die wirtschaftliche<br />

Talfahrt bereits identifiziert und eine Lösung parat, um<br />

Deutschland vor dem Untergang zu bewahren. Mit der<br />

Agenda 2010 startet die SPD den von Arbeitgeberverbänden<br />

lange geforderten Paradigmenwechsel in der<br />

<strong>Arbeits</strong>marktpolitik. Die Wirtschaft soll endlich vom Korsett<br />

des Fürsorgestaates befreit und den Menschen wieder<br />

mehr Selbstverantwortlichkeit zugemutet werden. Neben<br />

kreativen Neuerungen wie Mini-Jobs und Praxisgebühr<br />

wird die <strong>Arbeits</strong>losenversicherung grundsätzlich neu<br />

geordnet. Mit der Parole „Fördern und Fordern“ wurde<br />

die Sozial- und <strong>Arbeits</strong>losenhilfe auf das Niveau der alten<br />

Sozialhilfe abgesenkt. Ein Heer von schlecht ausgebildeten<br />

Sozialschmarotzern, die sog. Wurzel allen Übels, hat zu lange


Hartz IV und die Agenda 2010<br />

auf der faulen Haut und damit dem leistungsorientierten<br />

Mittelstand auf der Tasche gelegen, und so den Standort<br />

Deutschland im Spannungsfeld der globalen Konkurrenz<br />

ruiniert. 8 Jahre und eine weltweite Finanzkrise später ist<br />

Deutschland Vizeexportweltmeisterin, die Musterschülerin<br />

Europas, die ihre Konzepte nun auch in die europäische<br />

Währungsunion hineinträgt. Mission accomplished? Aber<br />

nein, noch immer droht Gefahr. Schließlich hat inzwischen<br />

die Finanzkrise ein Rekordhoch an Schulden produziert, und<br />

- ganz richtig - natürlich ist es auch diesmal der Sozialstaat,<br />

der im November 2010 im Rahmen eines Sparpakets weiter<br />

zurechtgestutzt wurde.<br />

Was aber ist der Stand bei unseren Sozialschmarotzern?<br />

Etwa 3,2 Millionen Menschen führt die Bundesagentur<br />

für Arbeit (BA) im März 2011 in ihrer Statistik als<br />

<strong>Arbeits</strong>lose an. Knappe zwei Millionen Menschen haben<br />

demnach ihren Platz seit 2005, als die <strong>Arbeits</strong>losigkeit<br />

mit 4,9 Millionen ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte,<br />

wieder den Weg auf den <strong>Arbeits</strong>markt gefunden. Doch<br />

es lohnt sich einen Blick darauf zu werfen, unter<br />

welchen Bedingungen jene Zahlen zustande kommen.<br />

Die Zahlenspiele der Bundesagentur für Arbeit<br />

Wie jede Behörde hat auch die BA, ein irrationales<br />

Eigeninteresse entwickelt, nämlich die genannte Zahl<br />

der <strong>Arbeits</strong>losen so tief zu drücken wie mit statistischen<br />

Tricks irgend möglich, denn sie ist es, die im Kreuzfeuer<br />

der Medien steht und als Messlatte für den Erfolg einer<br />

Regierung herhält. Dabei sind die verwendeten Statistiken<br />

allerdings nicht unbedingt geeignet, um über ein wie auch<br />

89


Susanne Scheckel<br />

immer geartetes Wohl der Bevölkerung Aufschluss zu<br />

geben. Es zeigt sich, dass die Anzahl der Menschen, die<br />

zwar nicht alle formal arbeitslos, aber in ihrem Einkommen<br />

trotzdem abhängig von Transferleistungen des Staates<br />

sind zwischen 2005 und 2009 nahezu konstant geblieben<br />

ist. 1 Dies ergibt sich durch Einbeziehung von Menschen in<br />

arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Aufstockern. Der<br />

Begriff „Aufstocker“ betitelt dabei Menschen, die von ihre_r<br />

<strong>Arbeits</strong>geber_in so niedrig bezahlt werden, dass der Staat<br />

einspringen muss, um das Einkommen aufzubessern, dass<br />

es zum Überleben reicht. Wir müssen uns also fragen, ob<br />

es dies ist, was die BA als erfolgreiche Eingliederung in den<br />

<strong>Arbeits</strong>markt verstanden wissen will: Menschen nehmen<br />

unter der Drohung ihre <strong>Arbeits</strong>losenhilfe zu verlieren,<br />

Arbeit zu beliebig niedrigen Löhnen an, was im Resultat<br />

bedeutet, dass Niedriglöhne vom Staat subventioniert<br />

werden. Doch das ist nicht die einzige Stelle an der der<br />

Staat die vermeintlich gesparten Euros verdeckt wieder<br />

ausgibt. Zuzüglich der Kosten für Aufstocker_innen,<br />

schlägt man sich seit der Einführung der Hartz-IV-Gesetze<br />

mit einer immer weiter ansteigenden Klageflut <strong>gegen</strong><br />

unzumutbare Kürzungen von Hartz-IV-Bezügen herum.<br />

Am Berliner Sozialgericht etwa musste die Anzahl der<br />

Richter_innen seit 2004 mehr als verdoppelt werden. 2<br />

Entmündigung von Hartz-IV-Empfängern<br />

Im Ergebnis der Hartz-IV-Reformen steht die zweifelhafte<br />

Senkung der Sozialausgaben einer Vielzahl von<br />

diskriminierenden und entwürdigenden Maßnahmen<br />

<strong>gegen</strong>über, denen sich <strong>Arbeits</strong>lose heute beugen müssen, um<br />

90


Hartz IV und die Agenda 2010<br />

eine finanzielle Grundsicherung zu erhalten, einem „System<br />

der Abschreckung“, wie Roland Koch bekennt. Wer heute<br />

arbeitslos wird muss zunächst sein gesamtes Vermögen,<br />

sowie seine Wohn- und Verwandtschaftsverhältnisse<br />

offenlegen.<br />

Mit diesen Informationen wird ermittelt, ob er eine<br />

Bedarfsgemeinschaft mit anderen Menschen bildet, was<br />

dazu führen würde, dass er weniger Unterstützung erhält.<br />

Bei einer Bewilligung des <strong>Arbeits</strong>losengeldes, hat die<br />

arbeitslos gemeldete Person dem <strong>Arbeits</strong>amt an jedem<br />

Werktag auf Abruf zur Verfügung zu stehen, das Verlassen<br />

der Stadt kommt somit nicht in Frage. Sie ist verpflichtet<br />

jeden Monat Bewerbungen zu schreiben, auch wenn der<br />

Zustand der <strong>Arbeits</strong>losigkeit bereits seit Jahren anhält und<br />

die Chance auf Anstellung verschwindend gering ist. Erhält<br />

sie ein Jobangebot ist sie verpflichtet dieses anzunehmen,<br />

unabhängig von ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn, und<br />

ihrem Wohnort. Auch der <strong>Zwang</strong> zum Umzug, die Trennung<br />

von Freund_innen und Familie kann also die Folge einer<br />

„gelungenen“ Bewerbung sein. Des weiteren können ihr<br />

„Mehraufwandsentschädigungsarbeiten“ (1-Euro-Jobs)<br />

und „Fortbildungsmaßnahmen“ angetragen werden, die<br />

anzunehmen sind, möchte sie nicht eine Kürzung oder gar<br />

Streichung ihrer Bezüge in Kauf nehmen.<br />

Diese „arbeitspolitischen Interventionsinstrumente“ haben<br />

mittlerweile ein gewaltiges Ausmaß angenommen, denn wie<br />

bereits erwähnt verschwinden die <strong>Arbeits</strong>losen zumindest<br />

temporär aus der Statistik. Zum anderen lässt sich im Falle<br />

einer Verweigerung mit ihrer Hilfe Geld sparen – die Bezüge<br />

werden gekürzt. Als besonders vorteilhaft für die BA stellen<br />

91


Susanne Scheckel<br />

sich deshalb billige Varianten der „Förderung“ heraus, wie<br />

z.B. Bewerbungstraining im Internet, das im Wesentlichen aus<br />

einer Anwesenheitspflicht beim surfen im Internet besteht.<br />

Eigene Wünsche der Betroffenen werden hin<strong>gegen</strong> wegen<br />

des höheren Aufwandes oft nicht berücksichtigt. Während<br />

es für ein Jobcenter sinnvoll erscheinen mag Arbeitlose<br />

in Maßnahmen unterzubringen, ohne dass dies einen<br />

ersichtlichen Nutzen für die Gesellschaft oder die Betroffenen<br />

hat, ist dies eine ungeheuer entwürdigende Situation für die<br />

Betroffenen selbst. Sie finden sich in der Rolle von Kindern,<br />

die bestraft und bevormundet werden, wieder. Um sich<br />

einen Eindruck von dem gewaltigen Aufwand zu verschaffen,<br />

den unsere Gesellschaft betreibt um die Lebensführung<br />

von <strong>Arbeits</strong>losen zu kontrollieren, reicht ein Blick auf die BA<br />

selbst. Mit 113.000 Mitarbeiter_innen ist die Bundesagentur<br />

in Nürnberg die größte Behörde Deutschlands. Beschäftigt<br />

man sich also eine Weile damit, welchen Beanspruchungen<br />

<strong>Arbeits</strong>lose allein von Seiten der Jobcenter ausgesetzt<br />

sind, stimmt es nicht weiter verwunderlich, dass sie unter<br />

enormen psychischen Belastungen leiden. Sie leiden unter<br />

Geldnot, dem Gefühl gesellschaftlicher Ausgrenzung, Druck<br />

und Fremdbestimmung durch die Jobcenter und dem Fehlen<br />

einer Gelegenheit ihre Fähigkeiten einzusetzen 3 . Natürlich<br />

lassen sich die psychischen Folgen von der <strong>Arbeits</strong>losigkeit<br />

selbst, der medialen Vermittlung dessen was es bedeutet<br />

arbeitslos zu sein und der Auseinandersetzung mit den<br />

Jobcentern, kaum mehr auseinander dividieren. Es ist jedoch<br />

offensichtlich, dass die Hartz-IV-Regelungen ihr bestes<br />

tun, um den Druck auf arbeitslose Menschen so weit wie<br />

möglich zu erhöhen, so dass sie einem selbstbestimmten<br />

92


Hartz IV und die Agenda 2010<br />

und positiven Umgang mit der Situation im Weg stehen.<br />

Aktivierung als Leitmotiv im Hartz-IV-System<br />

Es geht dabei offensichtlich nicht darum <strong>Arbeits</strong>losen<br />

einen Beitrag zur Gemeinschaft abzuverlangen, wie das<br />

Mantra „Fördern und Fordern“ suggerieren könnte. Die<br />

Nachteile mit denen Hartz-IV-Empfänger auf Grund der<br />

genannten Regeln leben müssen, bringen niemandem einen<br />

annähernd im Verhältnis stehenden materiellen Vorteil.<br />

Einerseits ist das entstandene System aus Zwängen schlicht<br />

ein Ergebnis bürokratischer oder medialer Eigendynamiken.<br />

So haben wir bereits gesehen, dass Menschen meist<br />

in Fortbildungsmaßnahmen, 1-Euro-Jobs und staatlich<br />

subventionierten Billiglöhnen feststecken, um nicht mehr<br />

von <strong>Arbeits</strong>losenstatistik erfasst zu werden, jene Zahl die von<br />

der BA veröffentlicht wird. Die Betroffenen verrichten also<br />

eine nicht unbedingt sinnvolle Arbeit, um eine Bewegung<br />

am <strong>Arbeits</strong>markt für Medien und Politik zu simulieren. Das<br />

dominante Motiv der Repressionen aber ist jenes, welches<br />

auch die restliche <strong>Arbeits</strong>marktpolitik bestimmt. Es geht<br />

darum das Leben in Erwerbsarbeit als einzig mögliche<br />

Existenzform darzustellen, und jene welche nicht daran<br />

teilhaben als Schuldige festzuschreiben. So sieht die BA<br />

als Kernaufgabe ihrer Betätigung die „Aktivierung“ von<br />

<strong>Arbeits</strong>losen. Ausschlaggebend sei dabei „die Vorstellung,<br />

dass gesellschaftliche Teilhabe sich am besten über die<br />

Teilhabe am Erwerbsleben erreichen“ 4 ließe. Die Arbeit<br />

ist also zu einem Selbstzweck geworden, und <strong>Arbeits</strong>lose<br />

müssen von einem Mangel an diesem Gut geheilt werden,<br />

wenn es sein muss auch <strong>gegen</strong> ihren (kindischen) Willen.<br />

93


Susanne Scheckel<br />

Nur ihre Entmündigung und Abwertung kann ohne die<br />

Regeln des <strong>Arbeits</strong>marktes anzuzweifeln, erklären, warum<br />

sie sich nicht in jenem seligmachenden Naturzustand der<br />

Erwerbsarbeit befinden. Anstatt die <strong>Arbeits</strong>losigkeit als<br />

notwendiges Produkt unserer aktuellen Wirtschaftsordnung<br />

zu benennen, wird sie schlicht als mangelndes oder<br />

unfähiges Bemühen um gesellschaftliche Teilhabe definiert.<br />

Bei einer Maßnahme in Bad Nauheim im Juni 2009<br />

erfuhr jene rethorische Figur der Aktivierung eine skurile<br />

Versinnbildlichung. Hier hatte die BA ältere <strong>Arbeits</strong>lose im<br />

Rahmen eines Programms, welches mit dem erfrischenden<br />

Namen „Paradigmenwechsel 50 Plus“ bedacht wurde,<br />

regelmäßig in den Bad Nauheimer Kurpark zum Nordic<br />

Walking bestellt. Die mit diesem Sportprogramm gesegneten,<br />

zeigten sich jedoch nicht so dankbar wie erwartet, sondern<br />

ausgesprochen widerspenstig. Sie beschlossen zwar in den<br />

Park zu gehen, aber aus Protest nicht zu walken, sondern zu<br />

singen. Sie hatten verstanden, dass es bei einem wirksamen<br />

Protest nur darum gehen konnte, jenes Bild der intiativlosen,<br />

mit Chips vor dem Fernseher versackenden <strong>Arbeits</strong>losen,<br />

die vom <strong>Arbeits</strong>amt raus an die frische Luft gescheucht<br />

werden müssen, zu entlarven. Indem sie noch einen<br />

drauf setzten und eigeninitiativ einer anderen nutzlosen<br />

Aktivität nachgingen, wurde offenbar, dass die einzige<br />

reale Komponente der „Aktivierung“ für sie <strong>Zwang</strong> ist.<br />

„Aktivierung“ als Deckbild für den Aufbau eines<br />

Niedriglohnsektors und die Umverteilung von Vermögen<br />

Wie aber kommt die BA auf dieses Bild der Aktivierung? Die<br />

grobe Laufrichtung wurde aus einem größeren politischen<br />

94


Hartz IV und die Agenda 2010<br />

Kontext adaptiert, der Agenda 2010. Um sich deren Gehalt<br />

noch einmal prägnant in Erinnerung rufen lassen wir<br />

einfach deren Zugpferd Gerhard Schröder sprechen, wie<br />

er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2005 stolz wie<br />

Bolle den Kern seines Konzeptes erläuterte: „Wir müssen<br />

und wir haben unseren <strong>Arbeits</strong>markt liberalisiert.[...] Wir<br />

haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut,<br />

und wir haben bei der Unterstützungszahlung Anreize<br />

dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund<br />

gestellt.“ 5 Die von Schröder angesprochenen Anreize<br />

Niedriglöhne zu akzeptieren, liegen sicher nicht in einer<br />

„Teilhabe an Gesellschaft“. Diese rosigen Worte wären eine<br />

schlechte Beschreibung für die angstbehaftete Situation<br />

mit der sich Menschen auf dem <strong>Arbeits</strong>markt konfrontiert<br />

sehen. Deswegen muss ein „System der Abschreckung“ 6<br />

bezüglich der Erwerbslosigkeit her, wie Koch es nannte,<br />

doch nur selten lassen sich Befürworter_innen der Agenda<br />

2010 zu einem so ehrlichen Wort hinreißen. Die BA<br />

hin<strong>gegen</strong> muss auf sanfte Bilder wie das der Aktivierung<br />

zur gesellschaftlichen Teilhabe zurückgreifen, um so etwas<br />

profanes wie <strong>Zwang</strong> als ein Projekt der Menschenliebe zu<br />

verkaufen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch<br />

die Vergabe des Wirtschaftsnobelpreises, der Rückschlüsse<br />

auf weltweit dominante politische Strategien zulässt<br />

und 2010 an Diamond, Mortenson und Pissarides ging.<br />

Sie hatten zu Suchmärkten geforscht, ein neues Modell<br />

das einen anderen Blickwinkel auf eine bestimmte Art<br />

von Markt, zu der auch der <strong>Arbeits</strong>markt gehört, zulässt.<br />

Märkte funktionieren demnach nicht nur nach dem Prinzip<br />

Angebot und Nachfrage, sondern auch die Zeit die zwei<br />

95


Susanne Scheckel<br />

Geschäftspartner_innen brauchen, um sich zu finden, wird als<br />

entscheidender Parameter eingeführt. Für den <strong>Arbeits</strong>markt<br />

meinten die Nobelpreisgewinner nun nachgewiesen zu<br />

haben, dass eine zu hohe <strong>Arbeits</strong>losenunterstützung die<br />

Zeit bis sich Arbeitgeber_innen und -nehmer_innen finden,<br />

erhöht und so <strong>Arbeits</strong>potentiale ungenutzt blieben. Diese<br />

Argumentation ist offenbar mit dem Abschreckungssystem,<br />

der „Anreizsetzung“ der Hartz-IV-Gesetze, eng verwandt.<br />

Doch auch in diesem Fall fällt auf, dass Arbeit immer wieder<br />

als Selbstzweck dargestellt wird, wodurch entscheidendes<br />

unhinterfragt bleibt, nämlich ob es überhaupt sinnvoll<br />

ist ein gutes 10tel der Bevölkerung unter 65 7 – so viele<br />

leben in der BRD von jener Grundsicherung - mit niedrigen<br />

Bezügen und sinnlosen Tätigkeiten zu quälen, damit ein<br />

Erwerbsarbeitspotential von unklarem gesellschaftlichem<br />

Wert verwirklicht werden kann. All jene rein ökonomisch<br />

argumentierenden Wissenschaftler_innen bauen implizit<br />

auf einem uralten Versprechen des Kapitalismus auf, dem<br />

„Trickle-Down-Effekt“. Demnach führt die Einschränkung des<br />

Sozialstaats zu Wirtschaftswachstum, welches Reichtum<br />

produziert, der dann automatisch in alle gesellschaftlichen<br />

Schichten durchsickert. Doch selbst wenn jemals zur Wahl<br />

gestanden hätte, ob dies ein sinnvolles Ziel ist, kann die<br />

Agenda 2010 ein entsprechendes Ergebnis nicht für sich<br />

in Anspruch nehmen. Mit Hilfe des Gini-Indexes, welcher<br />

die Polarisierung von Einkommen und Vermögen misst,<br />

stellte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung fest,<br />

das zwar die oberen Einkommensschichten ihre finanzielle<br />

Situation zwischen 2000 und 2009 verbessern konnten,<br />

die unteren Einkommensschichten jedoch sowohl relativ<br />

96


Hartz IV und die Agenda 2010<br />

als auch absolut gesehen an Einkommen verloren, während<br />

insgesamt die Wirtschaft wuchs. 8 Damit setzte sich nur einen<br />

Trend fort, der seit der Wiedervereinigung anhält: Reiche<br />

werden über den Umweg einer wachsenden Wirtschaft noch<br />

reicher, Arme werden noch ärmer. Im Ergebnis besitzen<br />

heute 10% der Deutschen „fast zwei Drittel des gesamten<br />

Vermögens“ 9 . Mit diesem Wissen erscheint die Welle<br />

von aufhetzenden Reden <strong>gegen</strong> Hartz-IV-Empfänger im<br />

Frühjahr 2010 in einem eindeutigen Licht. Politiker_innen<br />

versuchen arme und sehr arme Menschen <strong>gegen</strong>einander<br />

auszuspielen und hoffen so davon abzulenken, dass die<br />

Menschen die jetzt zu niedrigsten Löhnen arbeiten, ihren<br />

Eigenkommenseinbußen nicht auf Kosten von <strong>Arbeits</strong>losen<br />

hinnehmen mussten, sondern dass eine Umverteilung an<br />

den vermögenden Teil der Bevölkerung stattgefunden hat.<br />

So konstruierte Roland Koch im Januar 2010 <strong>Arbeits</strong>lose<br />

als „Menschen, die mit dem System spielen und Nischen<br />

ausnutzen.“ Er spielte den Anwalt für die Erwerbstätigen<br />

im Niedriglohnsektor, die <strong>gegen</strong> ein faules Pack von<br />

Sozialschmarotzern in Schutz genommen werden müssen,<br />

als er die Existenz des Abschreckungssystem HartzIV, mit<br />

dem Lohnabstandsgebot begründete. Die Situation sei<br />

sonst „unerträglich für die regulär Erwerbstätigen, die ihr<br />

verfügbares Einkommen mit den Unterstützungssätzen<br />

vergleichen“ 10 . Ein zynisches Spiel mit Emotionen<br />

angesichts der Tatsache, dass von Befürworter_innen der<br />

Hartz-IV-Reformen je nach angepeilten Adressat_innen,<br />

auch mal zugegeben wird, dass die Produktion eines<br />

Niedriglohnsektors ein bewusst gestecktes Ziel war.<br />

97


Susanne Scheckel<br />

EU 2020: Agenda 2010 reloaded?<br />

Der Vision jedem Menschen eine Erwerbsarbeit zu<br />

ermöglichen, dem „Traum“ der Vollbeschäftigung, ist man<br />

mit der Hartz-IV-Gesetzgebung also nicht näher gekommen.<br />

Stattdessen wurde ein Zehntel der Bevölkerung unter 65<br />

der umfangreichen Fremdbestimmung durch Jobcenter<br />

ausgesetzt, der Niedriglohnsektor wurde ausgeweitet, die<br />

Gesetzgebung setzte eine Umverteilung von unten nach oben<br />

fort. Nach den sozialen Kämpfen der letzten Jahre sieht sich<br />

ein Großteil der Bevölkerung auf der Verlierer_innenseite.<br />

Doch die Verleihung des Wirtschafts-Nobelpreises deutet<br />

bereits an, dass das Thema damit noch lange nicht gegessen<br />

ist. Auch auf EU-Ebene meldet man nun Interesse an jenem<br />

deutschen „Erfolgsmodell“ des flexibilisierten <strong>Arbeits</strong>marktes<br />

an, oder anders ausgedrückt, die BRD nutzt im Zuge einer<br />

Vereinheitlichung des europäischen Wirtschaftssystems<br />

ihre Machtposition, um anderen Ländern ihre Regeln<br />

aufzubrummen. So enthält der Jahreswachstumsbericht<br />

der europäischen Komission vom Januar 201111 – eine<br />

Grundlage für weitere Schritte in der Wirtschaftspolitik<br />

der EU - Tipps und Tricks rund um die Themen Wachstum<br />

und das Stopfen von Haushaltslöchern. Um den Folgen<br />

der Krise begegnen zu können, sollen die Arbeitgeber_<br />

innenbeiträge zu den sozialen Sicherungssystemen<br />

gesenkt werden, die Flexibilität der Löhne soll erweitert,<br />

der Kündigungsschutz „reformiert“, Selbstständigkeit<br />

gefördert, das Renteneintrittsalter erhöht und die Höhe<br />

der <strong>Arbeits</strong>losenbezüge nochmal überdacht werden,<br />

um die <strong>Arbeits</strong>motivation zu erhöhen. Der „flexibilisierte<br />

<strong>Arbeits</strong>markt“ bringt die Bundesregierung international<br />

98


Hartz IV und die Agenda 2010<br />

gesehen nämlich tatsächlich in eine Position, in der sie ihre<br />

Politik durchsetzen kann, denn die durch die Niedriglöhne<br />

ermöglichten Exporterfolge sind ein Machtfaktor. „Europa<br />

soll deutscher werden“, titelten die Medien (kann man<br />

doch immer auf den deutschen Nationalismus zählen). Nur<br />

ist dies weder zum Vorteil der Bevölkerung innerhalb der<br />

deutschen, noch der innerhalb der europäischen Grenzen.<br />

Die Lohnabhängigen werden damit lediglich auf niedrigerem<br />

Lohnniveau zueinander in Konkurrenz gesetzt. Anstatt aber<br />

dass man <strong>gegen</strong> Missstände im eigenen Land Stellung<br />

bezieht, folgt man dem Schlachtruf <strong>gegen</strong> Länder wie<br />

Griechenland und unterstützt damit den Export der eigenen<br />

miserablen <strong>Arbeits</strong>bedingungen. Helfen wird das freilich<br />

niemandem. Die <strong>Arbeits</strong>kämpfe des 21. Jahrhunderts<br />

müssen die Macht der Konzerne brechen, welche durch eine<br />

gesetzlich festgelegte Narrenfreiheit, Arbeitnehmer_innen<br />

auf der ganzen Welt <strong>gegen</strong>einander ausspielen. Es müssen<br />

europäische und weltweite Koalitionen gebildet werden!<br />

99


Susanne Scheckel<br />

1 DGB arbeitsmakt aktuell 2010/1 - 5 Jahre Hartz IV – keine Erfolgsstory,<br />

S.3<br />

2 Sozialgericht Berlin, Pressemitteilung 13.01.2011<br />

3 Hans Böckler Stiftung, Hartz IV in Baden-Württemberg, 2008, S.120-122<br />

4 Presseinformation der Agentur für Arbeit Halle, Nr. 015 / 11.02.2010<br />

5 http://www.peter-stollenwerk.de/Rede_Davos.pdf<br />

6 Henning Krumrey, Politik muss notwendige Härte haben, in: Wirtschafts<br />

Woche, 16.01.2010<br />

7 Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 6/2010, Fünf Jahre Hartz IV – Das<br />

Problem ist nicht die <strong>Arbeits</strong>moral, S.4<br />

8 Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 24/2010, Polarisierung der Einkommen<br />

9 DIW Berlin, Pressemitteilung vom 07.11.2007<br />

10 Henning Krumrey, Politik muss notwendige Härte haben, in: Wirtschafts<br />

Woche, 16.01.2010<br />

11 European Commission, Annual Growth Survey : Summary of the economic<br />

analysis and messages, 12. January 2011<br />

100


Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts<br />

Auszug aus dem Buch: Wie sichere ich meinen<br />

Lebensunterhalt? <strong>Arbeits</strong>losengeld II, Sozialhilfe,<br />

Grundsicherung; AJZ Druck und Verlag, Bielefeld,<br />

2011.<br />

Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts<br />

Die „Hartz-Reformen“ sollten es richten: sinkende<br />

<strong>Arbeits</strong>losenzahlen und moderne Sozialgesetze wurden<br />

versprochen, aber auch Verwaltungsvereinfachung,<br />

Kundenfreundlichkeit, kurze Wege und Hilfen aus einer<br />

Hand. Herausgekommen sind - neben der Abschaffung<br />

der <strong>Arbeits</strong>losenhilfe und drastischen Einschnitten in der<br />

<strong>Arbeits</strong>losenversicherung - zwei mehr oder weniger neue<br />

Gesetze mit drei Sozialleistungen, die eigentlich alle dasselbe<br />

regeln, nämlich die Sicherung des Lebensunterhaltes<br />

für Personen, die aus den unterschiedlichsten Gründen<br />

nicht die Möglichkeit haben, ihr Existenzminimum selbst<br />

sicherzustellen:<br />

• die Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende im<br />

Sozialgesetzbuch II (SGB II)<br />

• die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung<br />

101


Auszug<br />

102<br />

im Sozialgesetzbuch XII (SGB XII)<br />

• die Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialgesetzbuch XII<br />

(SGB XII)<br />

Die finanziellen Leistungen zur Sicherung des<br />

Lebensunterhaltes nach diesen drei Bestimmungen sind fast<br />

identisch. Sie können aber nicht gleichzeitig nebeneinander<br />

bezogen werden!<br />

Die erste Aufgabe im Rahmen der „Verwaltungsvereinfachung“<br />

besteht für die betroffenen Ämter also darin, zu prüfen,<br />

welche dieser fast identischen Leistungen denn nun<br />

in welchem Fall beantragt werden kann. Wieviele<br />

„kurze Wege“ sich für die betroffenen „Kunden“ daraus<br />

ergeben, kann sich auch ein Laie vorstellen. Versuchen wir,<br />

diese Wege wenigstens ein bißchen zu durchschauen:<br />

Die Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende im<br />

Sozialgesetzbuch II (SGB II) ist das Ergebnis der<br />

sogenannten Zusammenlegung von <strong>Arbeits</strong>losenhilfe<br />

und Sozialhilfe. Das SGB II ist im Rahmen der „Agenda<br />

2010“ der damaligen rot / grünen Bundesregierung<br />

und den Gesetzen für „Moderne Dienstleistungen am<br />

<strong>Arbeits</strong>markt“ entstanden. Diese Gesetze entwickelte eine<br />

Kommission, die vom (zwischenzeitlich wegen Untreue<br />

und Bestechung verurteilten) Ex-VW-Vorstand Peter Hartz<br />

geleitet wurde, weshalb die Gesetze auch „Hartz-Gesetze“<br />

genannt wurden. Das neue SGB II ist das 4. Gesetz und<br />

wurde der Einfachheit halber von der Öffentlichkeit „Hartz<br />

IV“ genannt. Die Geldleistung der Grundsicherung für<br />

<strong>Arbeits</strong>uchende, die den Lebensunterhalt sichern soll, wird<br />

<strong>Arbeits</strong>losengeld II genannt. Ob nun vom <strong>Arbeits</strong>losengeld


Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts<br />

II, ALG II, der Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende, Grusi A,<br />

dem Sozialgesetzbuch II, SGB II, vom 4. Gesetz für moderne<br />

Dienstleistungen am <strong>Arbeits</strong>markt oder von Hartz IV<br />

gesprochen wird, gemeint ist im Prinzip immer dasselbe. Mit<br />

diesen vielen Begriffen wird nur verschleiert, was wirklich<br />

dahinter steckt:<br />

Die Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uche ist nichts anderes als<br />

eine Art Sozialhilfe - und einfacher (und auch ehrlicher) wäre<br />

es gewesen, wenn man sie auch so genannt hätte. Mit dem<br />

SGB II ist es zu einer einschneidenden Veränderung der<br />

Grundhaltung des Sozialstaates gekommen. Es war eine<br />

Abkehr vom Grundgedanken der „alten“ Sozialhilfe: „Aufgabe<br />

der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger (...) die Führung eines<br />

Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen<br />

entspricht,“ heißt es im § 1 SGB XII. Stattdessen gilt nun<br />

das Prinzip des „Fördern und Fordern“: Wer Leistungen vom<br />

Staat erhält, soll auch Gegenleistungen erbringen. Dies soll<br />

vor allem durch den Einsatz der <strong>Arbeits</strong>kraft geschehen<br />

und wird für die betroffenen Menschen beispielsweise bei<br />

den sogenannten „1-€-Jobs“ deutlich spürbar. Wer diesem<br />

„Fordern“ nicht nachkommt, muß mit der völligen Streichung<br />

der Grundsicherung rechnen. Das „Fördern“ da<strong>gegen</strong> fällt<br />

mehr als dürftig aus:<br />

Die Fördermaßnahmen, die zur Eingliederung in Arbeit<br />

dienen sollen (wobei es lebensunterhaltssichernde<br />

Arbeit kaum noch gibt), sind sämtlich sogenannte „Kann-<br />

Leistungen“, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Die<br />

Förderleistung, die für den Lebensunterhalt bewilligt wird,<br />

entspricht dem Niveau der Sozialhilfe und ist im Gegensatz<br />

zur früheren <strong>Arbeits</strong>losenhilfe nicht mehr an den vorherigen<br />

103


Auszug<br />

Verdienst gebunden. Bezieher der Grundsicherung<br />

für <strong>Arbeits</strong>uchende können keine ergänzende Hilfe<br />

zum Lebensunterhalt nach SGB XII mehr erhalten.<br />

Wenn es also um die Sicherung ihres Lebensunterhaltes<br />

geht, befinden sie sich mit der Grundsicherung für<br />

<strong>Arbeits</strong>uchende bereits im „letzten“ Hilfenetz. Es gibt keine<br />

weitere Absicherung mehr, die noch irgendeine Hilfe bietet.<br />

Die allermeisten bedürftigen Menschen (genauer:<br />

alle zwischen 15 Jahren und dem Rentenalter, die als<br />

erwerbsfähig gelten) bekommen seit dem 1.1.2005 die<br />

Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende. Dennoch gibt es<br />

einige Personengruppen, die keinen Anspruch auf die<br />

Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende haben. Für diese<br />

können die anderen genannten Hilfen zur Sicherung des<br />

Lebensunterhaltes in Frage kommen. Diejenigen, die auf<br />

Dauer erwerbsunfähig oder im Rentenalter sind, erhalten<br />

die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.<br />

Diese Grundsicherung (abgekürzt könnte man sie Grusi<br />

B nennen) wurde 2003 als eigenständige Leistung zur<br />

Sicherung des Lebensunterhaltes geschaffen. Mit der<br />

Grundsicherung sollte die verschämte Altersarmut und die<br />

Armut von erwerbsunfähigen Personen bekämpft werden.<br />

Aus diesem Grund wurde die Unterhaltsverpflichtung von<br />

Kindern oder Eltern deutlich eingeschränkt. Damit sollte vor<br />

allem die Hemmschwelle älterer Menschen gesenkt werden,<br />

Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Die weitgehend<br />

pauschalierten Leistungen dieser Grundsicherung<br />

entsprechen dem Niveau der Hilfe zum Lebensunterhalt<br />

nach dem Bundessozialhilfegesetz. Mit der Umstrukturierung<br />

der sozialen Sicherung wurde diese eigenständige<br />

104


Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts<br />

Grundsicherung 2005 wieder in das Sozialhilfegesetz (SGB<br />

XII) eingegliedert. Der Grundsatz, Unterhaltspflichtige nur<br />

in Ausnahmen zum Unterhalt heranzuziehen, blieb aber<br />

bestehen. Die Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende (Hartz IV)<br />

ist immer vorrangig in Anspruch zu nehmen. Ist dies nicht<br />

möglich, muß zunächst überprüft werden, ob ein Anspruch<br />

auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung<br />

besteht. Erst wenn keine der beiden Grundsicherungen<br />

in Frage kommt, kann ein Anspruch auf die Hilfe zum<br />

Lebensunterhalt nach dem SGB XII bestehen. Die Hilfe<br />

zum Lebensunterhalt (abgekürzt HLU) wird daher nur noch<br />

von einer relativ kleinen Personengruppe in Anspruch<br />

genommen. Dadurch, daß Bezieher der Grundsicherung für<br />

<strong>Arbeits</strong>uchende im Notfall (wenn die Leistung gestrichen<br />

wird) nicht mehr auf die HLU zurückgreifen können, hat<br />

diese ihre wichtigste Funktion verloren: sie ist nicht mehr<br />

das letzte soziale Netz, das jedem Menschen die Mittel,<br />

die er zur Sicherung seiner Existenz und zur Wahrung seiner<br />

Würde benötigt, in jedem Fall als Rechtsanspruch garantiert.<br />

Im SGB XII gibt es neben der Hilfe zum Lebensunterhalt und<br />

der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung<br />

noch einige weitere Hilfen, die früher „Hilfen in besonderen<br />

Lebenslagen“ genannt wurden. Dazu gehören:<br />

• die Hilfen zur Gesundheit<br />

• die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen<br />

• die Hilfe zur Pflege<br />

• die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer<br />

Schwierigkeiten, wie z.B. Wohnungslosigkeit<br />

sowie die Hilfe in anderen Lebenslagen, wie<br />

105


Auszug<br />

106<br />

die Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes, die<br />

Bestattungskosten und die sogenannte „sonstige<br />

Hilfe“, die offen ist für einiges mehr. Diese Hilfen<br />

können auch von den Beziehern der Grundsicherung<br />

für <strong>Arbeits</strong>uchende in Anspruch genommen werden.<br />

Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende<br />

Zuerst ist zu klären, welches Amt für die Grundsicherung<br />

für <strong>Arbeits</strong>uchende zuständig ist. In der Regel ist es so,<br />

daß die jeweiligen Städte oder Gemeinden und die örtliche<br />

Agentur für Arbeit mit der Einführung von Hartz IV im Jahr<br />

2005 eine sogenannte „<strong>Arbeits</strong>gemeinschaft“ gebildet<br />

haben, in der sie sich die Aufgaben nach dem Gesetz<br />

teilen. In einigen Gemeinden ist die Bundesagentur für<br />

Arbeit gar nicht beteiligt. Dort ist allein der Kreis oder die<br />

Stadt zuständig. In diesen Fällen handelt es sich um die<br />

sogenannten „Optionskommunen“. Aber überall ist eine<br />

neue Behörde entstanden, die für die Bewilligung der<br />

Leistung, Bescheide und für Widersprüche zuständig ist.<br />

Diese Behörden heißen seit 2011 einheitlich „Jobcenter“.<br />

Wer kann Leistungen bekommen?<br />

Die Geldleistungen der Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende<br />

setzen sich zusammen aus dem eigentlichen<br />

<strong>Arbeits</strong>losengeld II (ALG II) für die Erwerbsfähigen und<br />

aus dem sogenannten Sozialgeld für (Ehe-)Partner und<br />

Kinder im Haushalt, wenn diese nicht erwerbsfähig sind.<br />

Das <strong>Arbeits</strong>losengeld II (ALG II) erhalten Personen,<br />

• die im Alter von 15 bis 64 Jahre sind<br />

• und erwerbsfähig sind


Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts<br />

• und hilfebedürftig sind<br />

• und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der BRD haben<br />

• sowie Ausländer, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in<br />

der BRD haben und die eine <strong>Arbeits</strong>erlaubnis haben<br />

oder bekommen könnten.<br />

Danach können folgende Personen einen Anspruch auf ALG<br />

II haben:<br />

• Bezieher von <strong>Arbeits</strong>losengeld I (ALG I), deren Anspruch<br />

ausläuft oder deren ALG I nicht für sie selbst und die<br />

Angehörigen ausreicht<br />

• <strong>Arbeits</strong>lose, die keinen Anspruch auf ALG I haben, weil<br />

sie (noch) nicht oder zu kurz erwerbstätig waren<br />

• Selbständige, die nur geringes Einkommen haben oder<br />

deren Selbständigkeit gescheitert ist<br />

• <strong>Arbeits</strong>lose, die sich in einer Maßnahme der<br />

•<br />

Bundesagentur für Arbeit befinden, z.B. Umschüler<br />

Erwerbsgeminderte, die zwischen 3 und 6 Stunden am<br />

Tag erwerbstätig sein können<br />

• Arbeitnehmer, die zu wenig Einkommen für sich<br />

und ihre Angehörigen haben, z.B. bei geringfügiger<br />

Beschäftigung oder einer kinderreichen Familie<br />

• Alleinerziehende, deren Einkommen für sie selbst<br />

und die Kinder nicht ausreicht - auch dann, wenn die<br />

Kinder noch so klein sind, daß Alleinerziehenden eine<br />

Erwerbstätigkeit (noch) nicht zumutbar ist<br />

• Jugendliche ab 15 Jahre - egal ob Schüler oder<br />

arbeitsuchend -, deren Eltern nicht genügend<br />

107


Auszug<br />

Einkommen oder Vermögen haben, um sie zu<br />

unterhalten.<br />

Wenn nun zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter mit ihrem<br />

8-jährigen Sohn zusammenlebt, dann heißt die Geldleistung<br />

für dieses Kind nicht <strong>Arbeits</strong>losengeld II (denn ein 8-jähriges<br />

Kind kann ja noch nicht arbeitslos sein), sondern Sozialgeld.<br />

Das Sozialgeld erhalten Personen,<br />

• die mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in<br />

einer Bedarfsgemeinschaft leben<br />

• und selbst nicht erwerbsfähig sind<br />

• und keine Grundsicherung im Alter<br />

• und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII<br />

bekommen können.<br />

Danach können folgende Personen, die mit<br />

Beziehern von <strong>Arbeits</strong>losengeld II zusammenleben,<br />

einen Anspruch auf Sozialgeld haben:<br />

• erwerbsunfähige Partner von ALG II -<br />

•<br />

Leistungsberechtigten<br />

minderjährige, unverheiratete und<br />

leistungsberechtigte Kinder bis 14<br />

•<br />

Jahre, die mit ihren ALG II - berechtigten Eltern<br />

zusammen leben<br />

erwerbsunfähige Eltern von 15- bis 25-jährigen ALG II –<br />

Beziehern, wenn sie mit diesen zusammenleben<br />

• erwerbsunfähige Personen, die wegen zu hohen<br />

Vermögens keine Grundsicherung bei Erwerbsminderung<br />

bekommen, wenn sie keine Altersrente beziehen und<br />

108


Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts<br />

mit ALG II – Beziehern in Bedarfsgemeinschaft leben<br />

[Hinweise der BA zu § 28, Rz. 28.3].<br />

Mit freundlicher Genehmigung durch:<br />

Widerspruch e.V. - Sozialberatung<br />

Rolandstr.16<br />

33615 Bielefeld,<br />

Tel. 0521 / 13 37 05<br />

widerspruchev@web.de<br />

http://widerspruch-sozialberatung.de<br />

109


110<br />

Mal wieder die Beine baumeln lassen<br />

Du bekommst Hartz IV oder <strong>Arbeits</strong>losengeld I und das Job-<br />

Center/<strong>Arbeits</strong>amt nötigt dich, dass du dich auf blödsinnige<br />

Jobs bewerben sollst. Zusätzlich droht man dir die<br />

staatlichen Leistungen zu entziehen bzw. zu kürzen, wenn du<br />

deine diktierte ‘Eingliederungsvereinbarung’ nicht erfüllst.<br />

Es regiert ein hochgradig repressives<br />

System und setzt dich enormem Stress aus.<br />

Wir versuchen dir mit dem folgenden Anregungen die<br />

Möglichkeit zu eröffnen, dir kleine Handlungsspielräume<br />

zurück zu erobern. Bitte sei dir aber bewusst, dass diese<br />

Anregungen dich nicht aus deiner schwierigen Situation<br />

heraus lösen und im Gegenteil zu einer Verschärfung führen<br />

können, wenn das Amt Verdacht schöpft und zu Sanktionen<br />

greift. Das Ganze darf natürlich nicht zu offensichtlich nach<br />

Sabotage aussehen.


Mal wieder die Beine baumeln lassen<br />

Das Bewerbungsschreiben<br />

Alles beginnt mit dem verdammten Bewerbungsschreiben.<br />

Ehrlich währt am Längsten? Also pack die Karten auf den<br />

Tisch: Von dem Job, für den du dich bewirbst, hast du leider<br />

gar keine Ahnung, deine Motivation ist dementsprechend<br />

auch nicht besonders groß. Schon in deinem vorherigen Job<br />

hast du oft gefehlt. Du bist eben gesundheitlich eher labil.<br />

Im Aneignen neuer Fähigkeiten warst du noch nie besonders<br />

gut. Deine Auffassungsgabe lässt sehr zu wünschen<br />

übrig, auch wenn du dich selbstverständlich immer sehr<br />

bemüht hast. Am besten teilst du auch gleich mit, dass<br />

du demnächst unbedingt Urlaub nehmen willst (Goldene<br />

Hochzeit, Familienfeier im Ausland o.ä.). Wenn du noch<br />

im entsprechenden Alter bist, kannst du auch mit deinem<br />

Kinderwunsch prahlen, den du in absehbarer Zeit zu erfüllen<br />

gedenkst. Wenn du’s drauf anlegen willst, kannst du auch<br />

schreiben, dass du dich bewirbst, weil dich das <strong>Arbeits</strong>amt<br />

dazu zwingt. Davon sollte das Amt allerdings nichts<br />

mitbekommen. Schließlich hast du dich ehrlich um Arbeit<br />

bemüht. Rein formal empfiehlt es sich, sämtliche Patzer<br />

einzubauen, die in jedem Buch mit Tipps zur erfolgreichen<br />

Bewerbung unter der Rubrik “auf gar keinen Fall machen”<br />

stehen. Überhaupt ist so ein Buch sehr lehrreich, liest man<br />

es aus der Sicht des Bewerbungssaboteurs. Besonders<br />

unerwünscht sind handschriftliche Bewerbungen,<br />

die zudem schnell mal hingerotzt wurden - Ausdruck,<br />

Orthographie und Grammatik nur vom Feinsten! Vielleicht<br />

verwendest du hin und wieder ein Fremdwort, das da<br />

nun wirklich nicht hineinpasst. Besonders schön wird<br />

das Anschreiben, wenn man hier und dort noch ein wenig<br />

111


Tipps und Tricks<br />

rumkleckst und den Tacker ausgiebig einsetzt. Zur Krönung<br />

sollte man unbedingt Sondermarken vom DGB (Deutscher<br />

Gewerkschaftsbund) draufkleben. So landet Eure Bewerbung<br />

mit großer Sicherheit noch vor dem Öffnen im Müll!<br />

Das Gespräch<br />

Weiß das <strong>Arbeits</strong>amt, wo du dich bewirbst (z.B. bei einer<br />

vom Amt vermittelten ABM-Stelle), solltest du stets betonen,<br />

wie gern du den Job hättest. Hier muss eher dein Auftreten<br />

“überzeugen”. Vielleicht kommst du gerade von einer Party,<br />

bist ziemlich unausgeschlafen und hast noch ordentlich<br />

Alkohol (oder anderes) im Blut. Dementsprechend riechst du<br />

auch. Die Klamotten haben schon lange kein Waschmittel<br />

mehr zu Gesicht bekommen. Die Schweißflecken (am<br />

besten auch Geruch) sind kaum zu übersehen. Dreck<br />

unter den Fingernägeln und ordentlich Schlamm an den<br />

Schuhsohlen machen dich nicht sympathischer. Immer mit<br />

dabei: Dein MP3-Player, den du natürlich erst ausschaltest,<br />

wenn du so richtig angekommen bist. Auch Unpünktlichkeit<br />

wird in diesen Kreisen nicht sehr geschätzt. Natürlich<br />

kommst du nur einige Minuten zu spät und es tut dir<br />

furchtbar leid. Da du ein außerordentlich höflicher Mensch<br />

bist, bemühst du dich, deinem Gegenüber nahe zu sein.<br />

Der andere empfindet das aber eher als aufdringlich! Da<br />

du’s mit der Hygiene nicht so hast, juckt dir von Zeit zu Zeit<br />

der Kopf, der Rücken, Hintern usw. Da muss man natürlich<br />

etwas <strong>gegen</strong> tun. Erzähle den ein oder anderen Witz oder<br />

erlaube dir ein paar Späßchen mit dem Chef. Auch Nase<br />

geräuschvoll Hochziehen kann zum echten Renner werden.<br />

Wenn dich der Hunger plagt, solltest du dich nicht unnötigen<br />

112


Mal wieder die Beine baumeln lassen<br />

Qualen aussetzen. Pack ruhig die Stullenbüchse aus und<br />

gieße dir einen Schluck Kaffee aus deiner Thermoskanne<br />

ein. Das Ganze darf natürlich nicht zu offensichtlich nach<br />

Sabotage aussehen. Auch beim Gespräch solltest du dich<br />

unbedingt noch mal nach der Urlaubsregelung erkundigen.<br />

Frage ruhig auch nach, wie sie es so mit Arbeitnehmer_<br />

innenrechten halten. Auf die Art machst du gleich deutlich,<br />

dass mit dir auch in Zukunft nicht gut Kirschen essen ist.<br />

Die Highlights auf einen Blick<br />

• DGB-Sonderbriefmarken<br />

• Bewerbungsgespräch im Rausch a la Trainspotting<br />

• wild zusammengetackertes Bewerbungsschreiben<br />

• Schweißflecken wie nach einem Boxkampf<br />

• mit schlammbehafteten Schuhen den Teppich des<br />

Chefs mal so richtig einsauen<br />

• Aufdringlichkeit gepaart mit Unsauberkeit<br />

• Jucken, jucken, jucken!<br />

• Urlaubsankündigung noch vor Job-Zusage<br />

• Kaffee- und andere Flecken auf dem Bewerbungsbrief<br />

• Unpünktlichkeit<br />

113


Tipps und Tricks<br />

Sei deine eigene neoliberale Gesundheitsmanagerin<br />

Um auf dem <strong>Arbeits</strong>markt bestehen zu können, ist es<br />

unerlässlich, mit der eigenen Gesundheit sorgsam<br />

umzugehen. Deinen Körper kennst nur du selbst richtig<br />

gut. Häufig verdrängt man in all dem Stress wichtige<br />

Krankheitssymptome. Deiner_m Arbeitgeber_in gefällt das<br />

sicherlich sehr gut, doch einen Gefallen tust du dir damit<br />

nicht. Deshalb unser Rat:<br />

Schon die geringsten Hinweise auf Unwohlsein oder<br />

nahende Krankheiten solltest du deiner Ärztin vorstellen<br />

(vor allem dann, wenn du dringend eine Krankschreibung<br />

benötigst!). Auch wenn du deiner Arbeit nur sehr ungern<br />

fernbleibst, solltest du dich krankschreiben lassen.<br />

Schließlich hast du dann nachher auch wieder mehr Kraft!<br />

Nicht selten kommt es vor, dass bestimmte Krankheiten<br />

nur schwer nachzuweisen sind. Manchmal wird sogar der<br />

Vorwurf laut, man würde simulieren. Und das alles nur,<br />

weil diese Krankheiten wirklich sehr schwer nachzuweisen<br />

sind. Du solltest dennoch mit Nachdruck deine Symptome<br />

beschreiben und darauf hinweisen, dass es dir wirklich<br />

schlecht geht. (Sonst würdest du doch nie zum Arzt gehen)<br />

Im Folgenden werden vier solcher schwer nachweisbaren<br />

Krankheiten beschrieben. Nur wenn du die Symptome sehr<br />

klar beschreiben kannst, kann deine Ärztin helfen und wird<br />

dir eine Kranschreibung sicher nicht verwehren! Wenn du<br />

deine Ärztin nicht verärgern willst, stelle nicht selbst die<br />

Diagnose, sondern beschränke dich auf die detaillierte<br />

Beschreibung der Symptome. Lediglich bei Migräne wird es<br />

dir niemand verübeln, wenn du schon selbst weißt, was dich<br />

schon wieder plagt. Es wäre ja nicht das erste Mal.<br />

114


Sei deine eigene neoliberale Gesundheitsmanagerin<br />

Im Sinne deiner eigenen Gesundheit solltest du aber auch<br />

mit Medikamenten, Spritzen oder Röntgenaufnahmen nicht<br />

zu sorglos umgehen. Sollte deine Ärztin dir nicht glauben<br />

wollen oder aber mit einer Radikalbehandlung drohen,<br />

scheue dich nicht, selbige zu wechseln.<br />

Wie lange?<br />

Maximal eine Woche.<br />

Migräne<br />

Wer?<br />

Trifft jede und jeden. Sehr viele Leute leiden unter Migräne.<br />

Beschwerden?<br />

Es beginnt damit, dass du gereizt und unausgeschlafen<br />

aufgewacht bist. Zum Frühstück hast du nichts runter<br />

bekommen. weil dein Magen wie zugeschnürt war.<br />

Nachdem du dich so eine halbe bis zwei Stunden<br />

rumgeschleppt hast, haben die Kopfschmerzen begonnen.<br />

Die Schmerzen können ganz unterschiedlich sein. Versuche<br />

zu beschreiben, was auf Dich zutrifft.<br />

• dumpf-drückend und pulsierend bis bohrend pulsierend<br />

• einseitig oder beidseitig<br />

besonders stark im Bereich von Stirn, Schläfe(n), Augen<br />

Du warst plötzlich extrem Lichtempfindlich und musstest<br />

115


Tipps und Tricks<br />

die Vorhänge zuziehen. Lärm ist für dich unverträglich.<br />

Allmählich wurde dir schlecht, schlimmstenfalls musstest du<br />

gallig (gelb, bitter) erbrechen, wobei du Schweißausbrüche<br />

hattest. Die Kopfschmerzen und auch die Übelkeit können<br />

mehrere Tage andauern. Spätestens jetzt solltest du zum<br />

Arzt gehen. Wahrscheinlich hattest du schon öfter solche<br />

Migräneanfälle, oft - aber nicht nur - nach Alkoholgenuss.<br />

Allerdings reicht schon ein Glas Wein aus, um die Schmerzen<br />

auszulösen. Migräneanfälle treten häufig auch bei Stress<br />

und Wetterwechsel aus, bei Frauen besonders oft während<br />

der Periode. Die Schmerzen können aber auch erst später<br />

am Tag aufgetreten sein: nach dem Mittagessen hattest<br />

du dich plötzlich unruhig und unkonzentriert gefühlt, bis<br />

nach einer oder anderthalb Stunden Kopfschmerzen und<br />

Übelkeit sowie übrige Beschwerden eingesetzt haben …<br />

(!) Mit Sicherheit wirst du ziemlich blass, evtl. sogar<br />

„verkartert“ aussehen, wie nach ‘ner durchzechten Nacht.<br />

Was macht die Ärzt_in?<br />

Brutdruck messen, Blut abnehmen. Wenn du häufiger solche<br />

Beschwerden hast, lässt sie evtl. eine Hirnstromuntersuchung<br />

machen, um Epilepsie auszuschließen (harmlos!).<br />

Woran denkt sie?<br />

Die Migräne tritt anfallsartig auf. Sie ist eine Funktionsstörung<br />

der Gehirnschlagadern. Sie äußert sich zuerst 1/2 bis 2<br />

Stunden Lang in einer unzulässigen Verengung, danach für<br />

Stunden bis Tage in einer (noch unzulässigeren) Erweiterung<br />

dieser Adern, wodurch die Kopfschmerzen entstehen.<br />

Du kannst bei dieser Krankheit ruhig offen die Diagnose<br />

116


Sei deine eigene neoliberale Gesundheitsmanagerin<br />

“Migräne” aussprechen, schließlich ist sie ja schon<br />

öfter an Dir diagnostiziert worden, und in deiner<br />

Familie leiden wahrscheinlich auch viele darunter.<br />

Sie kann, da es auch schwerste Formen der Migräne<br />

mit Organstörungen geben kann, dich auch nach<br />

Beschwerden wie Augenflimmern, schweren Sehstörungen,<br />

Sprachstörungen oder Kribbeln in Händen und Armen<br />

fragen. Überprüfe genau, ob du diese Symptome hast.<br />

Wenn ja, musst du dich auf einige Untersuchungen<br />

gefasst machen. Wenn nicht, bleibt dir einiges erspart.<br />

Therapie?<br />

Erfolgt mit Medikamenten. Spritzen solltest du auf<br />

jeden Fall ablehnen. Am besten, du sagst selbst, welche<br />

Tabletten dir helfen (z.B: Cafergot, Dihydergot, Migräne-<br />

Cranit oder normale Schmerzmittel wie Getonida, Spalt,<br />

Optalidon). Das solltest du dir dann auch verschreiben<br />

lassen. Möglicherweise brauchst du die Tabletten dann<br />

doch nicht. Wirf sie in diesem Fall lieber gleich weg.<br />

Nicht das du später das Verfallsdatum übersiehst!<br />

Warnung!<br />

Lass dir auf gar keinen Fall eine Spritze verpassen. Auch<br />

Röntgenuntersuchungen, vor allem der Gehirnschlagadern,<br />

solltest Du verweigern. Dann wechsle lieber den Arzt!<br />

117


Tipps und Tricks<br />

118<br />

Magenschleimhautentzündung – Gastritis<br />

Wie lange?<br />

Mit einer Magenschteimhautentzündung, also einer<br />

Entzündung der Innenhaut des Magens, kannst du<br />

2-4 Wochen oder länger krankgeschrieben werden.<br />

Wer wird krank?<br />

Jede und jeder.<br />

Ursachen<br />

Bakterien, unverträgliche Speisen, Alkohol oder<br />

Medikamente (z.B. nachdem du ein Aspirin genommen hast).<br />

Arbeitest du in einem Betrieb, so besteht die Möglichkeit,<br />

dort herrschende oder neu verwendete Dämpfe und Gase<br />

als Ursache anzusehen. Die Magenschleimhautentzündung<br />

(und auch das Magengeschwür) ist das bekannteste<br />

Beispiel für eine Stresskrankheit, d.h. du wirst krank<br />

wegen der vielen Hektik und Aufregung, die in deinem<br />

Leben, insbesondere bei deiner Arbeit herrschen. Bei<br />

der Magenschleimhautentzündung erkennen sogar<br />

die Ärzte die sozialen und psychischen Ursachen an.<br />

Beschwerden?<br />

Auch hier gibt es unterschiedliche Symptome:<br />

Seit einigen Tagen ist dir übel. Du hast auch schon<br />

gekotzt und musst ständig aufstoßen. Du hast<br />

keinen Appetit und einen permanenten Druck in der<br />

Magen<strong>gegen</strong>d, also zwischen Bauchnabel und Rippen.


Sei deine eigene neoliberale Gesundheitsmanagerin<br />

Der Druck kann sich zu einem starken Schmerz steigern,<br />

der aber auch wieder abschwillt. Schon seit längerem<br />

schlagen dir Sachen/Erlebnisse regelrecht auf den Magen.<br />

(!) Wahrscheinlich hattest du auch früher schon ähnliche<br />

Symptome, die du aber nie richtig zu deuten wusstest.<br />

Was macht die Ärzt_in?<br />

Beim ersten Mal kann es sein, dass du nur befragt und<br />

gar nicht untersucht wirst. Vielleicht drückt er oder sie dir<br />

auf dem Bauch rum und fragt, wo es weh tut. Eventuell<br />

werden Blutuntersuchungen vorgenommen. Vielleicht<br />

wirst du auch gefragt, ob die Schmerzen vor oder nach<br />

dem Essen besser oder schlechter werden - beides ist<br />

durchaus möglich Nach 2-4 Wochen Kranschreibung<br />

wirst du dich evtl. eine_r Vertrauensärzt_in vorstellen<br />

müssen, die dich röntgen oder magenspiegeln will. Wenn<br />

du beidem nicht entgehen kannst, entscheide dich lieber<br />

für die Magenspiegelung, die ist zwar unangenehmer aber<br />

nicht so belastend für den Körper. Da Magenspiegelungen<br />

nur von Fachärzten vorgenommen werden können, kann<br />

es gut sein, dass sich die Untersuchung etwas verzögert.<br />

Häufig wird die Ärzt_in auch durch die Spiegelung nicht<br />

schlauer. Bei vielen Leuten mit Magenbeschwerden<br />

gibt es keine “objektiven Befunde”. Also las dich nicht<br />

einschüchtern, du hast schließlich wirklich Schmerzen !!!<br />

Womit musst du bei einer Spiegelung rechnen?<br />

Du musst nüchtern - also mit leerem Magen - zur<br />

Untersuchung kommen. Dann gibt es 2 Möglichkeiten:<br />

entweder wird dein Rachen mit einem Spray betäubt oder du<br />

119


Tipps und Tricks<br />

bekommst zusätzlich Valium gespritzt, was Du den ganzen<br />

Tag spüren wirst.Ohne Valium wird die Prozedur (Schlauch<br />

schlucken) allerdings schmerzhafter. Allerdings empfindet<br />

das jeder unterschiedlich. Sollte es dir schon besser<br />

gehen und brauchst du keine weitere Kranschreibung,<br />

brauchst du das alles nicht über Dich ergehen zu lassen!<br />

Woran denkt sie?<br />

Bei den von dir beschriebenen Beschwerden wird sie erst<br />

einmal an eine Magenschleimhautentzündung denken,<br />

weil die sehr häufig auftritt. Sie kann dann eine Diagnose<br />

stellen, ohne dich großartig zu untersuchen. Sprichst du<br />

von sich wiederholenden Schmerzen muss sie dich auf<br />

ein Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwür abchecken. Du<br />

wirst sicher erstmal für eine Woche krank geschrieben,<br />

in der Hoffnung das sich dein Magen etwas erholt.<br />

Therapie?<br />

Zuerst bekommst du ein paar Tabletten und die Empfehlung,<br />

dich mal so richtig auszuruhen. Essen sollst Du nur leicht<br />

Verdauliches. Später kommt dann eventuell die Spiegelung.<br />

120


Sei deine eigene neoliberale Gesundheitsmanagerin<br />

Durchfall und Erbrechen - Darmgrippe<br />

Wie lange?<br />

Ca. 1 Woche bis 10 Tage.<br />

Wer wird krank?<br />

Alle. Wie das blühende Leben sieht man<br />

nicht gerade aus - eher mit fahler Blässe.<br />

Beschwerden?<br />

Du hast seit kurzem Durchfall, der sehr flüssig oder wie<br />

dünner Brei ist. Die Farbe ist weiß-gelblich oder auch grünlich<br />

zum Teil lassen sich auch Blut- oder Schleimbeimengungen<br />

feststellen. Letzteres würde dann für eine schwere<br />

Darmerkrankung sprechen. (Unangenehme Untersuchungen<br />

sind nicht auszuschließen) Ansonsten ist dir kotzübel, du<br />

musstest auch schon erbrechen. Du hast krampfartige<br />

Schmerzen im Oberbauch, evtl. etwas mehr zur rechten<br />

Seite hin, dein gesamter Bauch ist äußerst druckempfindlich,<br />

an Essen kannst du überhaupt nicht denken, da wird dir<br />

sofort übel. Du fühlst dich sehr schwach auf den Beinen,<br />

hast das Gefühl, nur im Bett Liegen zu können, um Ruhe<br />

zu haben. Vielleicht hattest du sogar leichte Temperatur.<br />

Was macht die Ärzt_in?<br />

Du wirst gefragt, wann die Beschwerden aufgetreten sind.<br />

Das kann nach einem ausgiebigen Essen passiert<br />

sein. Dann hast du dir wahrscheinlich schlicht den<br />

Magen verdorben und bist in 3-4 Tagen wieder gesund.<br />

Durchfall/Erbrechen sind ganz plötzlich aufgetreten. Du kannst<br />

121


Tipps und Tricks<br />

dir selbst nicht erklären, woher das kommt. Das weist dann<br />

eher auf eine Infektion hin (bakteriell oder Viren-, Pilzinfektion).<br />

Möglicherweise hast du verdorbene Speisen gegessen.<br />

Dir geht es schon eine ganze Weite nicht so gut. Du<br />

hattest viel Arger auf der Arbeit oder zu Hause. Dann<br />

handelt es sich eher um ein psychosomatisches Problem.<br />

Die Ärzt_in wird deinen Bauch abtasten, wobei du<br />

Schmerzen hast. Den genauen Ort der Schmerzen<br />

kannst du nicht bestimmen. Dein gesamter<br />

Oberbauch tut weh, wenn jemand darauf drückt.<br />

Extrem starke Schmerzen sind nicht zu empfehlen.<br />

Das könnte schon eine gefährliche Erkrankung sein!<br />

Eventuell wird der Arzt mit einem Hörrohr deine<br />

Darmgeräusche abhören. Bei Durchfall grummelt es<br />

sehr stark in deinem Darm, wie, wenn man viel Tee oder<br />

Kaffee getrunken hat. Sicherlich wird dich die Ärzt_in<br />

einige Tage krankschreiben. Sollte die Geschichte länger<br />

andauern, musst du bestimmt eine Stuhlprobe abliefern.<br />

Die wird dich stark an den Stuhl nach Einnahme von<br />

Abführmitteln erinnern. Deine Ärzt_in wird Dich<br />

allerdings nicht länger als 10 Tage krankschreiben.<br />

Therapie?<br />

Medikamente. Du musst selber wissen, wie du zu Chemie-<br />

Zeugs stehst! Sicherlich wird dir auch eine Diät angeraten.<br />

Warnung!<br />

Die Symptome müssen nicht wirklich sehr genau beschrieben<br />

werden. Ansonsten kann es passieren, dass du dich im<br />

122


Sei deine eigene neoliberale Gesundheitsmanagerin<br />

Krankenhaus mit Verdacht auf Blinddarmentzündung<br />

wiederfindest!<br />

Sehnenscheidenentzündung<br />

Wie lange?<br />

Kranschreibung ist 2-4 Wochen, in<br />

schweren Fällen bis zu 16 Wochen möglich.<br />

Wer wird krank?<br />

Leute, die in Beruf oder Freizeit immer dieselben andauernden,<br />

gleichförmigen Bewegungen mit den Händen oder Fingern<br />

machen. Sie ist z.B. eine anerkannte Berufskrankheit<br />

bei Sekretär_innen, tritt aber auch bei feinmechanischen<br />

Arbeiten, besonders am Fließband, durch Schraubenanziehen,<br />

wenn du ein Regal baust oder durch das Tragen<br />

von Lasten auf. Bei Anspannung oder Beugen der Finger<br />

merkst du einen ziehenden Schmerz auf der Innenseite<br />

des Unterarms, meist kurz oberhalb des Handgelenks.<br />

Beschwerden?<br />

Bei fast jeder Bewegung der Finger, besonders bei Beugung<br />

und Anspannung und besonders der ersten drei Finger,<br />

merkst du einen deutlichen bis heftigen Schmerz, der<br />

manchmal auch bei Entspannung bleibt, auf der Innenseite<br />

des Unterarms, kurz oberhalb der Handgelenke. Ganz selten<br />

123


gibt es bei Bewegung der Finger ein kaum hörbares oder<br />

tastbares Knarren an der Stelle des Unterarms, an der der<br />

Schmerz sitzt. Sehnenscheidenentzündungen kommen immer<br />

wieder mal vor und bessern sich nur sehr Langsam!<br />

Was macht die Ärzt_in?<br />

Die Symptome müssen wirklich sehr genau beschrieben<br />

werden. Du wirst aufgefordert, den Schmerz zu beschreiben<br />

und deine Finger zu bewegen. Dabei wird der<br />

Schmerz wieder auftreten. Vielleicht sucht die Ärzt_in, an<br />

der Stelle, wo der Schmerz sitzt, eine Hautrötung. Diese<br />

kommt aber nur selten vor. Eventuell wird ein Röntgenbild<br />

erstellt oder eine Blutuntersuchung vorgenommen.<br />

Beides ist unschädlich, gibt aber selten Aufschluss. Im<br />

Prinzip muss der Ärzt_in deine Beschreibung ausreichen,<br />

um dich krank zuschreiben. Ganz misstrauische Ärzt_innen<br />

üben sich ganz gerne in Erdschreckspielchen, um<br />

zu testen, ob du auch bei ruckhaften Bewegungen noch<br />

Schmerzen hast. Las dich also nicht verarschen. Selbstverständlich<br />

treten die Schmerzen bei jeder Bewegung auf.<br />

Therapie?<br />

Richtigstellen der Hand und des Unterarms mit einer elastischen<br />

Binde, einer Gipsschiene oder evtl. mit einem<br />

Zinkleimverband. Wenn der Verband die Situation verschlimmert,<br />

solltest du ihn lieber abnehmen. Vielleicht<br />

bekommst du noch eine entzündungshemmende Salbe.<br />

Warnung!<br />

Viele Leute reagieren auf Gipsverbände allergisch. Solltest<br />

124


Du früher schon einmal Ausschlag unter deinem Gips<br />

bekommen haben, sage dass deiner Ärzt_in und verlange<br />

einen anderen Verband. Auch auf Spritzen gibt es<br />

verschiedene Reaktionen (Allergie, Ohnmacht, Übelkeit).<br />

125


126<br />

Beratungsadressen zu Hartz IV in Berlin<br />

Unabhängige Erwerbslosenberatung<br />

Berliner Kampagne <strong>gegen</strong><br />

Hartz IV im Büro von<br />

Anders Arbeiten, Hof, über<br />

Mehringhof-Theater, 1. Stck.<br />

rechts,<br />

Gneisenaustr.2a, Kreuzberg<br />

(U-Bhf. Mehringdamm)<br />

Mo 15-18 Uhr,<br />

Tel.: 695 98 306<br />

(mit und ohne Termin)<br />

Erwerbslosentreff in<br />

der ‘Lunte’,Weisestr. 53<br />

(U-Boddinstr. in Neukölln),<br />

jeden Mi.: 12-16 Uhr;<br />

Erwerbslosenfrühstück und<br />

Infoaustausch,<br />

Neukölln<br />

Diakonie Gropiusstadt<br />

Lipschitzallee 20, Tel.:<br />

602 31 58, Mo 10-12<br />

Sozialberatung (auch ohne<br />

Termin)<br />

Weitere Beratungsstellen<br />

Tel: 622 32 34,<br />

Beratung evtl.Do 18-20 Uhr<br />

AK ELVIS, PDS-Laden,<br />

Feurigstr. 67-68,<br />

Schöneberg, jeden<br />

Mi.: 17-18.30 Uhr, Info<br />

und Beratung zum<br />

<strong>Arbeits</strong>losengeld II, Tel.: 219<br />

97 140 (ohne Termin)<br />

Querkopf e.V. Blücherst. 37<br />

(U-Südstern), jeden Mo.:<br />

11-14 Uhr, Beratung von<br />

Erwerbslosen, Tel./Fax: 695<br />

03 211.<br />

Kreuzberg<br />

Berliner<br />

MieterGemeinschaft e.V.:<br />

Möckernstr. 92,10963<br />

Berlin, jeden Dienstag um


19 Uhr Informationsabende<br />

mit Jurist/innen und<br />

Sozialarbeiter/innen zu<br />

sozialrechtlichen Fragen<br />

und Unterstützung beim<br />

Ausfüllen von Anträgen<br />

(auch für Nicht-Mitglieder),<br />

Tel. 21 00 25-84<br />

TAM, Diakonie,<br />

Wilhelmstr.115, Kreuzberg,<br />

Mo, Mi-Fr 9-13 Uhr, Tel.:<br />

261 19 93 (mit Termin)<br />

Rechtsberatung mit einem<br />

Anwalt (ohne Anmeldung):<br />

jeden 2. und 4. Mittwoch im<br />

Monat 15.00 - 17.00 Uhr in<br />

der St. Thomas-Gemeinde<br />

am Bethaniendamm 23 -<br />

29<br />

Sozialberatung Bürgerhilfe,<br />

Unionhilfswerk-<br />

Sozialeinrichtungen gGmbH<br />

und Bürgerhilfe e.V., DPW,<br />

Wrangelstr. 66a, 10997<br />

Berlin, Tel. 611 14 64,<br />

Sprechzeiten: Mo, Do 12.00<br />

- 16.00 Uhr, Fr, Di 16.00 -<br />

20.00 Uhr<br />

Friedrichshain<br />

Sozialberatung der<br />

Treberhilfe e.V., DPW,<br />

Niederbarnimstraße 2,<br />

10247 Berlin, Tel. 2 91<br />

75 29, Tel/Fax 2 91 60<br />

68, Tel. 29 66 86 88,<br />

eMail: sozialberatung at<br />

treberhilfe.de, Mo, Mi 10-14<br />

Uhr, Do 14-18 (ohne Termin)<br />

<strong>Arbeits</strong>losen-, Rentenund<br />

Sozialberatung im<br />

Mieterladen, Kreutziger<br />

Str.23, jeden 3. Mittwoch<br />

im Monat 19 - 20 Uhr,<br />

in Zusammenarbeit mit<br />

dem <strong>Arbeits</strong>losenverband<br />

steht Rechtsanwältin<br />

Andrea Draeger, Mitglied<br />

des Vorstandes des<br />

<strong>Arbeits</strong>losenverband<br />

Landesverband Berlin e. V.,<br />

als Ansprechpartnerin zur<br />

Verfügung.<br />

Bitte melden Sie sich bis<br />

zwei Tage vorher telefonisch<br />

unter 74 07 88 31 an.<br />

Sollten keine Anmeldungen<br />

erfolgen, findet die<br />

127


Beratung nicht statt!<br />

Selbsthilfe-Treffpunkt<br />

Friedrichshain-Kreuzberg,<br />

Boxhagener Str. 89,<br />

10245 Berlin, Tel. 030 /<br />

29 18 34 8, eMail: info@<br />

selbsthilfe-treffpunkt.<br />

de, niederschwellige<br />

Sozialberatung jeden Di.<br />

und Fr. 12:00 - 17:00 Uhr.<br />

im Seniorentreff (rechts<br />

neben Haustür mit der Nr.<br />

89)<br />

Wedding<br />

Berliner<br />

<strong>Arbeits</strong>losenzentrum<br />

(BALZ) e.V., Diakonie,<br />

Nazarethkirchstr.<br />

50, 13347 Berlin<br />

(U-Leopoldplatz),offene<br />

Beratungssprechstunde<br />

(ohne telef. Anmeldung) Di.:<br />

10-12.30 Uhr (Unterlagen<br />

mitbringen), telef.<br />

Sprechzeiten (456 060 15)<br />

Mo u. Do: 9-11 Uhr, Di u.<br />

Mi: 9-10 Uhr; www.berlinerarbeitslosenzentrum.de<br />

128<br />

Mitte<br />

Sozialberatung der<br />

Treberhilfe e.V., DPW,<br />

Ackerstraße 147, 10115<br />

Berlin, Tel./Fax 2 82 87 62,<br />

Tel. 74 76 90 61<br />

Spandau<br />

<strong>Arbeits</strong>loseninitiative<br />

in Spandau: Treffpunkt<br />

´Regenbogen`, Lynarstr.<br />

9, Tel.: 336 10 36, Offene<br />

Beratung Do 14-16 Uhr,<br />

sonst nur Termin, Mo 14-17<br />

Uhr, Di 9-14 Uhr, Mi 9-17<br />

Uhr, Do 9-14 Uhr, Fr 9-16<br />

Uhr<br />

<strong>Arbeits</strong>lose helfen<br />

<strong>Arbeits</strong>losen (AHA) c/o<br />

Volkssolidarität Berlin-<br />

Spandau, Metzer Str. 18,<br />

13595 Berlin, Tel.: 030-333<br />

98 33<br />

Erfahrungsaustausch zur<br />

Hilfe und zur Selbsthilfe.<br />

AHA-Begegungscafe 14:00<br />

- 16:30 Uhr, jd. 2. Mittwoch<br />

im Monat gemeinsames<br />

Kochen


AHA-Treffen im<br />

Sprengelhaus 18:30 -<br />

21:30 Uhr, jd. 3. Montag<br />

im Monat, Sprengelstr. 15,<br />

13533 Berlin<br />

AHA-Begegungsfrühstück<br />

10:00 - 12:30 Uhr im<br />

Sprengelhaus (s.o.)<br />

Marzahn, Hellersdorf,<br />

Hohenschönhausen und<br />

Lichtenberg<br />

<strong>Arbeits</strong>losenverband<br />

ALZ Marzahn: Glambecker<br />

Ring 80 - 82, 12679 Berlin,<br />

(Kiezhaus-Haus Marzahn),<br />

Tel.: 93 49 65 04, Mo, Mi,<br />

Do 08:00 - 15:00 Uhr, Di<br />

08:00 - 18:00 Uhr, Fr nach<br />

Vereinbarung<br />

ALZ Hohenschönhausen:<br />

Zum Hechtgraben 1, 13051<br />

Berlin, Tel.: 92 37 65 95,<br />

Mo - Mi 9.00 - 15.00 Uhr,<br />

Di 9-13 (tel.Vereinbarung),<br />

13-17 Uhr, Fr. 9-12 Uhr nur<br />

n. Vereinbarung<br />

ALZ Hellersdorf: Teterower<br />

Ring 168, 12619 Berlin,<br />

Tel. 563 29 53, Mo 9.00 -<br />

16.00 Uhr, Di 9.00 - 18.00<br />

Uhr, Mi,Do 9.00 - 16.00 Uhr,<br />

Fr 9.00 - 11.00 Uhr<br />

Bürger-Kommunikations-<br />

Center Lichtenberg:<br />

Landsberger Allee 180 c - d,<br />

10369 Berlin, Tel.: 97 60<br />

51 98, Mo - Mi 9.00 - 15.00<br />

Uhr, Do 9.00 - 18.00 Uhr Fr<br />

nach Vereinbarung<br />

Gewerkschaftliche<br />

Beratung (für<br />

Gewerkschaftsmitglieder,<br />

mit Ausnahmen)<br />

ver.di (für Mitglieder):<br />

http://www.verdierwerbslosenberatung.<br />

de/, Erwerbslosenberatung<br />

bei: rechtlichen Konflikten<br />

in ungeschützten<br />

<strong>Arbeits</strong>verhältnissen, SGB<br />

III, SGB II usw., jeden Mi.:<br />

16-18 Uhr, Köpenicker Str.<br />

30, Raum 2.22, Tel. 88<br />

66-6<br />

129


ver.di Nord: Treffen jeden<br />

2. Mo. im Monat um 16.30<br />

Uhr, Rathaus Wedding,<br />

Neubau, Raum 187, H.-J.<br />

Heidelmeyer, Tel.: 455 32<br />

55<br />

ver.di Kreuzberg/<br />

Schöneberg: Fr und Mo<br />

14-16 Uhr, Dudenstr.<br />

10, Mediengalerie, Doris<br />

Schmidt, Tel.: 782 48 17<br />

ver.di Hellersdorf/Marzahn:<br />

Mehrower Allee 28 (S-Bhf<br />

Mehrower Allee), 12687<br />

Berlin (berät auch Nicht-<br />

Mitglieder)<br />

IG BAU: Tel: 20620641/-42,<br />

DGB-Haus, Keithstraße 1-3,<br />

nur mit Termin und nur für<br />

Mitglieder<br />

IG Metall, Helgard Kegel,<br />

Tel.: 25387192, nach<br />

telefonischer Vereinbarung,<br />

Mo u. Di 9-17 Uhr, Alte<br />

Jakobstr.149, Zimmer<br />

132 (berät auch Nicht-<br />

130<br />

Mitglieder)<br />

FAU: Di 18-20 Uhr,<br />

Straßburger Str. 38, 10405<br />

Berlin, Tel.: 28700804<br />

Beratung in anderen<br />

Sprachen<br />

Frauen: TIO (türkisch),<br />

Köpenicker Str. 8b, 10997,<br />

Tel. 612 20 50, Di und Do<br />

10-18 Uhr, Fr 9-14 Uhr, nur<br />

mit Termin<br />

Box 66 (russisch,<br />

vietnamesisch), Sonntagstr.<br />

9, 10245 Berlin, Tel. 292<br />

01 44


JungdemokratINNen/Junge Linke Berlin<br />

JungdemokratINNen/Junge Linke (kurz: JD/JL)<br />

sind ein parteiunabhängiger, emanzipatorischer,<br />

radikaldemokratischer Jugendverband.<br />

Wir sehen in der Demokratisierung aller gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse, d.h. in der Überwindung autoritärer und<br />

hierarchischer Strukturen, die Voraussetzung für eine<br />

selbstbestimmte Gestaltung aller Lebensverhältnisse der<br />

Einzelnen. Weil entscheidende Bereiche demokratischer<br />

Kontrolle entzogen (wie z.B. in der Wirtschaft) oder autoritär<br />

organisiert (wie z.B. in der Schule) sind, kritisieren wir den<br />

undemokratischen Charakter dieser Gesellschaft und treten<br />

für ihre Veränderung ein.<br />

Wir sehen keine Möglichkeit, allein über Parlamente und<br />

Parteien tief greifende demokratische Änderungen zu<br />

bewirken. Parlamente sind unserer Ansicht nach zwar<br />

demokratische Errungenschaften, die es <strong>gegen</strong> die<br />

anti-demokratischen Tendenzen von Regierungen und<br />

Bürokratien zu verteidigen gilt, doch ist ihr Einfluss begrenzt.<br />

JungdemokratINNen/Junge Linke setzen sich für die<br />

Emanzipation der Einzelnen und für gesellschaftliche<br />

Verhältnisse ein, die Selbstbestimmung umfassend<br />

ermöglichen. Befreiung der Einzelnen von Herrschaft und<br />

Unterdrückung und die Schaffung einer emanzipatorischen<br />

Gesellschaft sind für uns untrennbar miteinander verbunden.<br />

131


Info-Paket<br />

Alle aktuellen Materialen<br />

(außer Handbücher)<br />

kostenlos nach Hause.<br />

Kampange Safer<br />

Privacy<br />

• Faltblatt „Safer<br />

Privacy“<br />

• Postkarte<br />

„Selber Terror“<br />

• Jute Beutel<br />

„Selber Terror“<br />

• diverse<br />

Sticker<br />

Plakat-Paket<br />

oder Plakate einzeln:<br />

• Helm ab, Hirn rein!<br />

132<br />

radikaldemokratischer Bauchladen<br />

Zu bestellen bei:<br />

JD/JL, Greifswalderstr 4, 10405 Berlin,<br />

Fon / Fax: (030) 24729747,<br />

info@jungdemokraten.de www.jungdemokraten.de<br />

Alle Materialien sind kostenlos, soweit nicht anders<br />

vermerkt.<br />

Radikal <strong>gegen</strong><br />

Militarisierung<br />

• Noten abschaffen!<br />

Schule<br />

demokratisieren.<br />

• Es ist besser unsere<br />

Jugend besetzt<br />

leerstehende Häuser<br />

als fremde Länder<br />

Kriegsdienste<br />

verweigern!<br />

• Kein Mensch ist<br />

illegal: illegal lernen/<br />

bauen/putzen/krank<br />

• Wir haben<br />

besseres zu tun!<br />

Gegen <strong>Arbeits</strong>zwang<br />

und Billigjobs. Soziale<br />

Grundsicherung für alle


Handbücher<br />

• <strong>Handbuch</strong> <strong>gegen</strong><br />

<strong>Arbeits</strong>zwang.<br />

(Neuauflage 2012)<br />

• Europa: Die Verfassung<br />

ist tot. Es lebe die<br />

Verfassung!<br />

• Sterne zum<br />

Tanzen bringen –<br />

radikaldemokratische<br />

Kritik der EU (5,85€)<br />

• Broschüre <strong>gegen</strong><br />

Totschlagargumente.<br />

Gegen Jugendoffiziere<br />

und für die<br />

Entmilitarisierung der<br />

Schulen<br />

• Kein Mensch ist illegal.<br />

<strong>Handbuch</strong> <strong>gegen</strong><br />

Abschottung, Selektion<br />

und Überwachung<br />

• Flucht und Migration<br />

• Freiheit stirbt mit<br />

Sicherheit – <strong>Handbuch</strong><br />

<strong>gegen</strong> Ausgrenzung<br />

(3€)<br />

• Die<br />

Stoffkundebroschüre<br />

- Was wirkt wie, und<br />

warum? Ausführliche<br />

Beschreibung der<br />

verbreitetsten Drogen.<br />

incl. Tipps für Safer Use<br />

und Rechtshilfeinfos<br />

• Tipps & Tricks für den<br />

radikaldemokratischen<br />

Alltag<br />

• Radikaldemokratie<br />

Broschüre<br />

Postkarten<br />

• Aus hygienischen<br />

Gründen wird<br />

diese Toilette<br />

videoüberwacht!<br />

Radikal <strong>gegen</strong><br />

Überwachung<br />

• Tucholsky hat Recht! -<br />

Immernoch!<br />

• Selber Terror<br />

• Helm ab, Hirn rein!<br />

Radikal <strong>gegen</strong><br />

Militarisierung<br />

• Deutsch mich nicht<br />

voll! Radikal <strong>gegen</strong><br />

Leitkultur<br />

133


• Kein Mensch ist illegal.<br />

Gegen Abschottung,<br />

Abschiebung und<br />

Rassismus.<br />

• Gegen<br />

Schubladendenken?<br />

Die Kommode muss<br />

weg!<br />

• Erziehung ist<br />

organisierte<br />

Verteidigung der<br />

Erwachsenen <strong>gegen</strong><br />

die Jugend.<br />

Newsletter<br />

Den radikaldemokratischen<br />

Newsletter könnt ihr,<br />

wie übrigens auch alle<br />

Materialien unter www.<br />

jungdemokraten.de<br />

bestellen<br />

134<br />

Sonstiges<br />

• diverse Sticker<br />

• Tshirt „Migrants<br />

welcome“<br />

• Jutebeutel „Selber<br />

Terror!<br />

• Archiv-Paket (mit allen<br />

noch verfügbaren<br />

„Beiträgen zur<br />

radikaldemokratischen<br />

Diskussion“,<br />

• Aufkleber zum<br />

Volkszählungsboykott<br />

(80er), Aufkleber<br />

• „Jungdemokröten“<br />

(90er), Plakate „Weiter<br />

so Deutschland?“ uvm.<br />

(7,50€)


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Die Sterne zum Tanzen bringen<br />

Ein Buch zur radikaldemokratischen Kritik der EU<br />

* Staatstheorie und radikale Demokratie<br />

* Postkoloniale Betrachtungen<br />

* Migration & Grenzziehungen<br />

* Datenschutz & Überwachung<br />

* Geschlechterverhältnisse<br />

* Institutionen & Lobbyismus<br />

* Kämpfe um Arbeit & Bildung<br />

www.sternezumtanzenbringen.jdjl.org<br />

JungdemokratInnen/Junge Linke (Hrsg.)<br />

radikaldemokratisch emanzipatorisch parteiunabhängig<br />

5 Euro<br />

ISBN 978-3-9806044-1-3


www.jungdemokraten.de

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