Handbuch gegen Arbeits-Zwang - Jungdemokraten
Handbuch gegen Arbeits-Zwang - Jungdemokraten
Handbuch gegen Arbeits-Zwang - Jungdemokraten
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Handbuch</strong> <strong>gegen</strong> <strong>Arbeits</strong>-<strong>Zwang</strong>
<strong>Handbuch</strong> <strong>gegen</strong> <strong>Arbeits</strong>-<strong>Zwang</strong><br />
Berlin 2012
<strong>Handbuch</strong> <strong>gegen</strong> <strong>Arbeits</strong>-<strong>Zwang</strong><br />
Herausgeber<br />
JungdemokratINNen/Junge Linke Berlin<br />
Greifswalder Straße 4 | 10405 Berlin<br />
Tel. 030-24729747<br />
E-Mail: info@jungdemokraten.de<br />
www.jungdemokraten.de<br />
Gestaltung<br />
Danny Butter<br />
Förder_innen<br />
Redaktion<br />
Etienne Schneider, Marko Kwapinski, Paul Brettel,<br />
Susanne Scheckel, Sophie Baumann, Torsten Schulte<br />
Druckerei<br />
Fata Morgana Verlag<br />
Brunnenstraße 181 | 10119 Berlin<br />
Eigentumsvorbehalt<br />
Nach diesem Eigentumsvorbehalt bleibt die Broschüre<br />
Eigentum der Absender_in, bis sie dem oder der Gefangenen<br />
vollständig ausgehändigt ist. „Zur-Habe-Name“ ist keine<br />
Aushändigung im Sinne dieses Eigentumsvorbehalt.<br />
3
4<br />
Inhalt<br />
5<br />
Vorwort<br />
11<br />
What the fuck is Arbeit<br />
22<br />
Eine (europäische) Geschichte des <strong>Arbeits</strong>zwangs<br />
31<br />
Arbeit - Hausarbeit<br />
41<br />
<strong>Arbeits</strong>zwang und Neoliberalismus<br />
47<br />
Disziplinierung durch Arbeit<br />
52<br />
Körper und Arbeit – Arbeit am Körper<br />
60<br />
Bildung und Arbeit<br />
65<br />
Haeftling not wanted- Gefangenenarbeit in der BRD
73<br />
Wer nimmt uns die Arbeit weg? Zum Verhältnis von<br />
Migration und Arbeit<br />
86<br />
Hartz IV und Agenda 2010<br />
99<br />
Was ist Hartz IV (BUCH)<br />
108<br />
Tipps und Tricks: Bewerbung + Krankheiten<br />
124<br />
Adressen<br />
129<br />
Wir über uns: JungdemokratINNen/Junge Linke<br />
130<br />
radikaldemokratischer Bauchladen<br />
5
8<br />
Vorwort<br />
In regelmäßigen Abständen wird in der bundesdeutschen<br />
Öffentlichkeit die Hetze <strong>gegen</strong> vermeintliche<br />
«Sozialschmarotzer_innen» neu entfacht. Im Kreuzfeuer der<br />
Kritik stehen dabei Menschen, denen unterstellt wird, nicht<br />
«arbeiten» zu wollen, keinen ausreichenden «Leistungswillen»<br />
zu zeigen, dem Staat auf der Tasche zu liegen, etc.<br />
Dieser Debatte wollen wir uns mit der Neuauflage des<br />
«<strong>Handbuch</strong> <strong>gegen</strong> Arbeit» ent<strong>gegen</strong>stellen. Wir wollen hier<br />
aus emanzipatorischer Perspektive etwas breiter diskutieren,<br />
was «Arbeit» denn eigentlich ist, und in welchen Situationen<br />
sie uns – meist als Herrschaftsmechanismus – begegnet.<br />
Überblick<br />
Dabei haben weder die Autor_innen noch die Redaktion<br />
sich auf eine gemeinsame Definition des Begriffs «Arbeit»<br />
geeinigt. Auch wollen wir keine einheitliche Meinung zum<br />
strategischen Umgang damit präsentieren. Vielmehr handelt<br />
es sich um eine Ansammlung unterschiedlicher Meinungen,<br />
die das Thema aus verschiedenen Perspektiven aufgreifen.
Die Redaktion<br />
Die Texte unterschieden sich auch in ihrer Herangehensweise,<br />
im Schreibstil und ihrer theoretischen Dichte. Vor allem in<br />
der ersten Hälfte finden sich vermehrt Artikel, die einen<br />
theoretischen Schwerpunkt haben und durchaus mal etwas<br />
schwieriger zu lesen sein können. In der zweiten Hälfte<br />
hin<strong>gegen</strong> haben wir uns mit verschiedenen Praxisfeldern<br />
und aktuellen Problematiken auseinandergesetzt. Gegen<br />
Ende des <strong>Handbuch</strong>s finden sich verschiedene Texte<br />
und Tipps&Tricks zum Umgang mit Hartz-IV-Politiken.<br />
Schwerpunkt<br />
Allen Artikeln gemeinsam ist jedoch eine Kritik am <strong>Zwang</strong><br />
zur Lohnarbeit im Kapitalismus und an der Dämonisierung<br />
von Faulheit. Das <strong>Handbuch</strong> bezieht sich dabei auf die<br />
Situation in der BRD und setzt diese teilweise in einen<br />
europäischen Kontext. Dass diese Herangehensweise<br />
eurozentristisch ist, ist uns bewusst, ließ sich jedoch<br />
aufgrund des uns zu Verfügung stehenden Wissens<br />
und unserer Kapazitäten nicht anders bewerkstelligen.<br />
Gender-Anmerkung<br />
Durch Sprache und Schreibweise werden Dinge, Strukturen<br />
und komplexe Vorgänge (be)greifbar und beschreibbar<br />
gemacht – man kann durch sie bewusst wie unbewusst ab-<br />
und ausgrenzen. Ausgrenzungen in der Sprach-/Schreibwahl<br />
passiert beispielsweise, wenn Aussagen über eine Gruppe<br />
von Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtern<br />
nur in der männlichen Form dargestellt werden.<br />
Den Autor_innen wurde freigestellt, für welche Schreibweise<br />
sie sich entscheiden und so finden sich unterschiedliche<br />
9
Vorwort<br />
Herangehensweisen in der Gesamtheit der Beiträge.<br />
Viel Spaß beim Lesen, Diskutieren und Faulenzen wünscht<br />
die Redaktion<br />
10
Susanne Scheckel und Paul Brettel<br />
12<br />
What the fuck is «Arbeit»?<br />
Der Begriff Arbeit steht in unserer Gesellschaft im Zentrum von<br />
konkurrierenden Lebensentwürfen und Verteilungskämpfen.<br />
Umso überraschender mag es erscheinen, wie spärlich sein<br />
Gehalt philosophisch und gesellschaftlich ausgearbeitet ist.<br />
Obwohl einem_r kaum ein alltäglicheres Wort als „Arbeit“<br />
einfallen mag und es scheinbar sehr konkrete Tätigkeiten<br />
benennt, fällt es bei einer näheren Betrachtung schwer,<br />
die Eigenschaften, die jene Tätigkeiten einen, eindeutig<br />
festzuschreiben. Diese Unbestimmtheit ist insbesondere<br />
problematisch, da über den Begriff „Arbeit“ Rechte und<br />
der Zugang zu Ressourcen ausgehandelt werden, er aber<br />
in seiner Dehnbarkeit strategisch nach Belieben neu<br />
besetzt werden kann, vorausgesetzt Akteur_innen sind<br />
im Besitz ausreichender Diskursmacht. Genau dieser<br />
Mechanismus ist es, welcher es erlaubt aus einer Analyse<br />
des Begriffsgebrauchs ein Licht auf gesellschaftliche<br />
Kräfteverhältnisse zu werfen. Wer den Status Quo der Arbeit<br />
untersuchen will, fängt also am besten damit an zu fragen,<br />
was Arbeit überhaupt ist. Auf eine einheitliche Definition von
Susanne Scheckel, Paul Brettel<br />
Arbeit konnten und wollten wir uns bei diesem Artikel sowie<br />
in der gesamten Broschüre nicht einigen. Ziel soll es vielmehr<br />
sein, die Widersprüchlichkeit des Begriffs aufzudecken.<br />
Die Unterwerfung subjektiver unter marktvermittelte<br />
Zwecke<br />
Bei „Arbeit“ im hegemonialen Verständnis handelt es sich in<br />
der Regel um Lohnarbeit. Auch wenn damit die vielfältigen<br />
gesellschaftlichen Tätigkeiten, denen Sinn zugebilligt wird,<br />
keineswegs vollständig erfasst sind, darf sich eine Tätigkeit<br />
offenbar erst beim Tausch <strong>gegen</strong> Geld auch Arbeit nennen.<br />
Hier wird bereits deutlich, dass die Identifizierung einer<br />
Tätigkeit als „Arbeit” in irgendeiner Weise positiv besetzt<br />
ist, sie wird dadurch anonymisiert aufgewertet. Arbeit<br />
bildet damit eine eigene Sinnkategorie. Es ist der engagiert<br />
arbeitende Mensch, der Anerkennung erfährt, zunächst<br />
unabhängig davon, welches Resultat am Ende seiner<br />
Anstrengungen steht.<br />
Er grenzt sich damit vom faulen Menschen ab, der sich der<br />
Arbeit entzieht. Die positive Besetzung von Arbeit spielt eine<br />
wichtige Rolle dafür, Akzeptanz für Tätigkeiten zu schaffen,<br />
deren eigentlicher Zweck sich dem Verständnishorizont des<br />
arbeitenden Menschen entzieht. Teilweise werden aber<br />
auch offensichtlich zerstörerische Tätigkeiten durch ihre<br />
Identifizierung als Arbeit geläutert und mit Anerkennung<br />
besetzt, was sich beispielweise am Vergleich des<br />
gesellschaftlichen Status’ von Waffenproduzent_innen und<br />
Hartz-IV-Empfänger_innen ablesen lässt. Dies zeigt sehr klar,<br />
dass Menschen sich nicht erst mit den gesellschaftlichen<br />
Folgen einer Arbeit beschäftigen müssen, um sie als harte<br />
13
What the fuck is «Arbeit»<br />
Arbeit anzuerkennen. Effektiv gesehen ordnen sie dabei<br />
in ihrer Erfolgswahrnehmung ihre individuell gesetzten<br />
Zwecke den fremd gesetzten Zwecken von Arbeit unter.<br />
Entscheidend für den Erfolg ist nicht, wie die Welt durch<br />
einen <strong>Arbeits</strong>prozess geformt wird, sondern wie Erfolg<br />
innerhalb des entsprechenden <strong>Arbeits</strong>feldes definiert ist,<br />
wenn sich denn ein Tätigkeitsfeld überhaupt als <strong>Arbeits</strong>feld<br />
etablieren kann.<br />
Bleibt zu fragen, wie sich diese Erfolgsdefinitionen<br />
gesamtgesellschaftlich <strong>gegen</strong> die individuellen Zwecke<br />
durchsetzen. Als wichtige Funktionsmomente sind Geld und<br />
Leistungsideal zu nennen, die beide dazu dienen, das Resultat<br />
von Arbeit auf eindimensionalen Achsen zu quantifizieren.<br />
Beide Momente wirken hierarchisierend, einerseits<br />
in Reiche und Arme, andererseits in “Leistungträger_<br />
innen” und “Leistungsverweigerer_innen”. Von jeglicher<br />
Zwecksetzung losgelöst wird die arbeitende Person durch<br />
das Leistungsideal moralisch, durch das Geld materiell<br />
unter Druck gesetzt, innerhalb der Sinnkategorie Arbeit zu<br />
funktionieren. Die Hierarchisierung bleibt dabei nicht der<br />
Sphäre der Arbeit verhaftet, sondern pflanzt sich in andere<br />
Lebensbereiche fort. Sie ist eines der prägenden Momente<br />
der Gesellschaft überhaupt, denn es sind nicht nur Geld,<br />
Wissen und Macht, die man sich erarbeitet, sondern auch<br />
eine Identität. Die Verteilung beispielsweise, wer wie lange<br />
sprechen darf, wird in allen sozialen Situationen maßgeblich<br />
über den gesellschaftlichen Status der Sprecher_<br />
innen vorgenommen und steht damit demokratischen<br />
Entscheidungen aller Betroffenen auf Augenhöhe im Wege.<br />
Dabei wird fiktiv eine Bewegungsfreiheit innerhalb der<br />
14
Susanne Scheckel, Paul Brettel<br />
Hierarchie angenommen, um sie zu rechtfertigen und um<br />
bei Menschen am unteren Ende dieser Rangordnung mittels<br />
Aufstiegshoffnungen Akzeptanz zu schaffen. Es ist das<br />
alte Versprechen, von der Tellerwäscherin zur Millionärin<br />
aufsteigen zu können, wenn man nur hart genug arbeite.<br />
Die Belohnung mit Geld, Wissen, Macht und Anerkennung für<br />
die Eroberung eines Platzes am oberen Ende der Hierarchie,<br />
und damit die Erfolgsskala, wird dabei von Marktmechanismen<br />
angeleitet. Arbeit kann in ihrer derzeitigen Bedeutung als<br />
Lohnarbeit also als Synonym dafür identifiziert werden, dass<br />
Zwecksetzungen an den Markt delegiert werden, etwas<br />
das idealerweise demokratischen Verfahren vorbehalten<br />
sein sollte. Von wirtschaftsliberalen Theoretiker_innen<br />
wird diese Tatsache zumeist damit begründet, dass der<br />
Markt als eine Schwarmintelligenz funktioniert, und eine<br />
dezentrale effiziente Informationsvermittlung ermöglicht,<br />
die demokratisch nicht geleistet werden kann. Wird sich<br />
tatsächlich darum bemüht, einen finalen Zweck dieser<br />
Schwarmintelligenz zu benennen (in seiner radikalsten<br />
Ausprägung meint der Wirtschaftsliberalismus das Problem<br />
der Zwecksetzung durch die unhinterfragte „Freiheit des<br />
Privateigentums“ bereits überflüssig zu machen) wird<br />
zumeist gesamtgesellschaftlicher materieller Wohlstand<br />
bemüht. Mit der Einführung dieses Begriffs tut sich<br />
nun ein neues komplexes Themenfeld auf. Zunächst<br />
stellt sich die Frage, mit welcher Formel individueller<br />
Wohlstand gesamtgesellschaftlich integriert werden soll<br />
und ob er überhaupt quantifizierbar ist. Erst dann kann<br />
empirisch ermittelt werden, ob das Marktregime dieses<br />
Wohlstandsversprechen tatsächlich halten kann - etwas<br />
15
What the fuck is «Arbeit»<br />
woran es in seiner derzeitigen Form angesichts der<br />
aktuellen Finanzkrise offensichtlicher denn je scheitert.<br />
Und schließlich muss dieser schwammige, letztendliche<br />
Zweck des Marktes sich immer wieder daran messen, dass<br />
Menschen in der Lohnarbeit hierarchisiert werden und ihre<br />
eigenen Ambitionen, selbst Zwecke zu setzen und in die Welt<br />
gestaltend einzugreifen, aufgeben bzw. dem Marktregime<br />
unterordnen müssen.<br />
Der <strong>Arbeits</strong>begriff bei Marx<br />
Es stellt sich nun die Frage, ob die zuletzt beschriebene<br />
Entfremdung des Menschen von den Zwecken seiner Arbeit<br />
eine Folge ihrer Rahmenbedingungen ist, also beispielweise<br />
ihrer Vermittlung durch den derzeitigen Markt, oder die<br />
Problematik dem Begriff Arbeit bereits wesensinhärent<br />
ist. An dieser Stelle wollen wir Parallelen zu einer<br />
aktuellen Debatte aufzeigen, die auf Marxsche Kategorien<br />
zurückgreift. Dort wird die Unterscheidung zwischen zwei<br />
sich widersprechenden <strong>Arbeits</strong>begriffen bei Marx betont.<br />
Der <strong>Arbeits</strong>begriff des frühen Marx wird dabei mit dem<br />
Begriff der abstrakten Arbeit in der Kritik der politischen<br />
Ökonomie identifiziert. Demnach kommt der Versuch,<br />
Tätigkeiten von dem konkreten Ziel einer Arbeiter_in<br />
zu trennen und zu Arbeit zu abstrahieren, bereits einer<br />
Entfremdung und Unterwerfung unter das Prinzip Markt<br />
gleich. Diese Abstraktion wird aber erst in Gesellschaften<br />
mit kapitalistischer Produktionsweise notwendig, denn dort<br />
müssen alle Güter, so auch menschliche Tätigkeiten, über<br />
einen Tauschwert miteinander vergleichbar sein. Das daraus<br />
16
Susanne Scheckel, Paul Brettel<br />
entspringende Verhältnis eines Menschen zu seiner Tätigkeit,<br />
die Unfähigkeit sie von ihrer Erscheinung im Kapitalismus –<br />
in dieser Interpretation also der Arbeit - zu unterscheiden,<br />
nennt Marx Fetisch. 1 Arbeit müsste demnach immer „sich<br />
selbst entfremdete Tätigkeit“ 2 sein. In Die deutsche Ideologie<br />
folgern Marx und Engels dieser negativen Auffassung von<br />
Arbeit entsprechend, “dass in allen bisherigen Revolutionen<br />
die Art der Tätigkeit stets unangetastet blieb und es sich<br />
nur um eine andere Distribution dieser Tätigkeit, um eine<br />
neue Verteilung der Arbeit an andere Personen handelte,<br />
während die kommunistische Revolution sich <strong>gegen</strong> die<br />
bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt…” 3 .<br />
Der späte Marx hin<strong>gegen</strong> wird eher dahingehend<br />
interpretiert, dass er der Arbeit einen Doppelcharakter<br />
zuschreibt. Obwohl sie als abstrakte Arbeit durch ihre<br />
Einbindung in den Markt die Arbeiter_innen vor das<br />
Problem stellt, sich selbst verwerten zu müssen, hat sie<br />
auf Seiten der tatsächlichen Produktion noch ein anderes<br />
Gesicht. „Als Bildnerin von Gebrauchswerten, als nützliche<br />
Arbeit, ist die Arbeit ... eine von allen Gesellschaftsformen<br />
unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige<br />
Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen<br />
Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu<br />
vermitteln”. 4 Ausgehend von dieser Unvermeidbarkeit,<br />
findet sich nun einerseits „die Perspektive, Arbeit von<br />
ihrem qualvollen ‘verkehrten’ Charakter zu entbinden und<br />
zu gemeinschaftlicher Selbstbetätigung mit Genuss zu<br />
befreien“, andererseits aber trotzdem die „Hoffnung, ihren<br />
Anteil an der Lebenstätigkeit zurückdrängen zu können<br />
durch Produktivkraftentwicklung und gerechte Verteilung<br />
17
What the fuck is «Arbeit»<br />
auf alle.“ 5<br />
Der realexistierende Sozialismus hatte sich besonders auf<br />
ersteres Verständnis verlegt, Arbeit ausdrücklich affirmiert<br />
und zum ersten Lebensbedürfnis stilisiert, woraufhin<br />
„die Erziehung zur Liebe zur Arbeit“ zur Grundlage<br />
pädagogischer Konzepte wurde. 6 Zeitgenössische Vertreter_<br />
innen der sogenannten Wertkritik erkennen gerade in<br />
dieser Affirmation das Festhalten an einer Fetischform<br />
und die Grundlage für das Scheitern des realexistierenden<br />
Sozialismus. Eine emanzipatorische Lesart müsse vielmehr<br />
wieder die Perspektive einer vollständige Aufhebung der<br />
Arbeit in den Mittelpunkt stellen. 7<br />
Auch unsere obenstehende Problematisierung der<br />
Entstehung einer eigenen Sinnkategorie Arbeit beruft sich<br />
inhaltlich auf den gleichen Ansatz wie Marx, die abstrakte<br />
Arbeit. Erst die Abstraktion ermöglicht, dass arbeitende<br />
Menschen die Zwecke ihrer Tätigkeiten aus den Augen<br />
verlieren. In diesem Sinne ergeben sich für uns ganz<br />
ähnliche Fragen bezüglich der Notwendigkeit von Arbeit,<br />
der Sinnhaftigkeit dieses Begriffs überhaupt, also der<br />
Aufhebung von Arbeit, bzw. einer neuen Eingrenzung des<br />
Begriffs, was Vorraussetzung für seine politisch sinnvolle<br />
Nutzung ist. Dazu soll zunächst versucht werden, die<br />
vorherrschenden Eingrenzungen nachzuvollziehen.<br />
Die vorherrschenden Abgrenzungen von Arbeit<br />
Die potentiell als Arbeit verstandenen Tätigkeiten lassen sich<br />
anhand verschiedener Trennungslinien einordnen. Anhand<br />
dieser Trennungslinien wird Menschen abgesprochen,<br />
sinnvollen Tätigkeiten nachzugehen – oft gepaart mit dem<br />
18
Susanne Scheckel, Paul Brettel<br />
Vorwurf der Faulheit.<br />
Eine erste Unterscheidung ist die oben angesprochene<br />
Einteilung in bezahlte und unbezahlte Tätigkeiten. Von der<br />
traditionellen Lohnarbeit grenzen sich hier beispielsweise die<br />
in den letzten Jahren von konservativer Seite stark geförderte<br />
ehrenamtliche Arbeit und die sich häufenden unbezahlten<br />
Praktika ab. Weiterhin unbezahlt oder schlecht bezahlt<br />
findet auch die Reproduktionsarbeit statt – also Tätigkeiten,<br />
die sich von der Produktionsarbeit dadurch abgrenzen, dass<br />
sie der (Wieder-)Herstellung der <strong>Arbeits</strong>kraft dienen. Dies<br />
ist auf individueller Ebene beispielsweise Haushaltsarbeit,<br />
auf gesellschaftlicher Ebene auch die Ausbildung neuer<br />
<strong>Arbeits</strong>kräfte und die Behandlung von aus gesundheitlichen<br />
Gründen nicht LohnarbeitsfähigeR. Obwohl diese Tätigkeiten<br />
gesellschaftlich zweifelsohne notwendig sind, wird vor allem<br />
private Reproduktionsarbeit nicht entlohnt und damit oft<br />
nicht als „Arbeit“ angesehen.<br />
Eine weitere Unterscheidung ist die in Kopf- und Handarbeit.<br />
Obgleich der Großteil der bezahlten Tätigkeiten heutzutage<br />
der Kopfarbeit zuzuordenen ist, lassen sich an Stammtischen<br />
weiterhin Meinungen finden, die Kopfarbeit nicht als „echte“<br />
Arbeit ansehen und ihr so ihren gesellschaftlichen Nutzen<br />
absprechen.<br />
Die Unterscheidung von kreativer und Routinearbeit<br />
zeigt eine weitere Schwierigkeit auf: Während im Fall<br />
von Routinearbeit die Tätigkeit und ihr Zeitraum leicht<br />
einzugrenzen ist, ist dies bei kreativen Tätigkeiten viel<br />
schwieriger. Bei diesen besteht oft eine unscharfe Trennung<br />
von „Arbeit“ und „Freizeit“, wodurch sie oft nicht als Arbeit<br />
erscheinen – insbesondere wenn sie sich zugleich mit<br />
19
What the fuck is «Arbeit»<br />
Hobbys überschneiden. So werden künstlerische Tätigkeiten<br />
nur in seltenen Fällen als wertvoll erachtet. Ähnliches gilt<br />
im Bereich des Sports oder auch politischer Tätigkeiten.<br />
Ist Scheißen Arbeit?<br />
Anhand der genannten Beispiele soll deutlich werden, dass<br />
das hegemoniale <strong>Arbeits</strong>verständnis nicht in der Lage ist, eine<br />
nachvollziehbare und scharfe Definition der „<strong>Arbeits</strong>sphäre“<br />
zu liefern. Vielmehr ist die Definition von Arbeit ein ständiger<br />
Aushandlungsprozess, der sich entlang bestehender<br />
Traditionen und vermachteter Gesellschaftsstrukturen<br />
vollzieht.<br />
Strategisch lassen sich hieraus verschiedene<br />
Folgerungen ziehen. Eine Möglichkeit ist der Versuch,<br />
in den Aushandlungsprozess um die Anerkennung von<br />
Tätigkeiten als Arbeit aus emanzipatorischer Perspektive<br />
einzugreifen – so beispielweise mit der verbreiteten<br />
feministischen Forderung, private Reproduktionsarbeit<br />
als Arbeit anzuerkennen und entsprechend zu entlohnen.<br />
Perspektive dieser Herangehensweise müsste sein,<br />
möglichst viele Tätigkeiten als Arbeit anzuerkennen, um<br />
so den im derzeitigen <strong>Arbeits</strong>begriff angelegten <strong>Zwang</strong> zur<br />
Erfüllung marktvermittelter, fremder Zwecke zu umgehen.<br />
Die logische Folgerung wäre: Scheißen ist Arbeit! (nebenbei<br />
bemerkt: dies würde einer Marxschen Definition von Arbeit<br />
als „Stoffwechsel mit der Natur“ bildlich doch sehr nahe<br />
kommen...)<br />
Aus dieser Perspektive ließe sich umgekehrt auch folgern,<br />
dass der Begriff Arbeit aufgrund seiner Unbestimmtheit<br />
20
Susanne Scheckel, Paul Brettel<br />
und Willkür abgeschafft gehört. So würde idealerweise<br />
die Hierarchisierung von Tätigkeiten unmöglich gemacht;<br />
Menschen dürften frei nach ihren Bedürfnissen und<br />
subjektiven Zwecksetzungen (die nicht unbedingt egoistisch<br />
sein müssen) leben.<br />
Dabei bleibt jedoch offen, wie gesellschaftlich mit<br />
unliebsamen Tätigkeiten umgegangen wird, die dabei<br />
möglicherweise unter den Tisch fielen. Es stellt sich die Frage,<br />
ob sich solche „gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten“<br />
als Arbeit definieren lassen, deren genaue Eingrenzung,<br />
Verteilung und Organisation dann demokratisch<br />
ausgehandelt werden muss. So muss neben der Frage, was<br />
überhaupt „gesellschaftlich notwendig“ ist, auch geklärt<br />
werden, welche Tätigkeiten zu subjektiven, individuellen<br />
Zwecken, und welche zu fremden oder gesellschaftlichen<br />
Zwecken erbracht werden. Während scheißen und andere<br />
subjektive Bedürfnisse häufig individuell erfüllt werden,<br />
ließe sich bei gesellschaftlichen Bedürfnissen verhandeln,<br />
inwiefern diese durch gesellschaftliche Aufteilung der dafür<br />
notwendigen Tätigkeiten erfüllt werden können. Wenngleich<br />
bei dieser Vorgehensweise die Zweckdefinitionen<br />
zumindest nicht in letzter Instanz der Eigendynamik eines<br />
Marktes überlassen werden, impliziert sie weiterhin ein<br />
gesellschaftlich festgelegtes Leistungsideal, in dem<br />
subjektive Zwecksetzungen einer verallgemeinerten<br />
Zwecksetzung untergeordnet werden müssten.<br />
Sicher ist damit eigentlich nur eines: Was Arbeit ist und was<br />
nicht, lässt sich nur politisch verhandeln – eine vorgefertigte<br />
Antwort gibt es nicht.<br />
21
What the fuck is «Arbeit»<br />
1 Vgl. K. Marx, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, Berlin<br />
2009, S.131<br />
2 K. Marx u. F. Engels, Werke, Ergänzungsband, 1. Teil, Dietz Verlag, Berlin<br />
(DDR), 1968, S.543<br />
3 K. Marx u. F.Engels, Werke, Bd.3, Die deutsche Ideologie, Dietz Verlag,<br />
Berlin/DDR 1969, S.69; Hervorhebung Marx/Engels<br />
4 K. Marx, F. Engels, Werke, Bd. 23, Das Kapital, Bd. I, Erster Abschnitt,<br />
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1968, S.57<br />
5 Hg. W. Haug, Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd.1,<br />
Argument Verlag, Hamburg 1994, S.417<br />
6 Hg. W. Haug, Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd.1,<br />
Argument Verlag, Hamburg 1994, S.414<br />
7 Vgl. Robert Kurz, Postmarxismus und <strong>Arbeits</strong>fetisch, http://www.trend.<br />
infopartisan.net/trd1103/t101103.html<br />
22
Florian Metzger<br />
Eine (europäische) Geschichte des<br />
<strong>Arbeits</strong>zwanges<br />
Den allermeisten Menschen ist zumindest gefühlsmäßig<br />
eines bewusst: Lohnarbeit bedeutet Mühsal und<br />
Demütigung. Und trotzdem ist Lohnarbeit in unserer<br />
Gesellschaft der Lebensinhalt schlechthin, entscheidend für<br />
gesellschaftliche Anerkennung, soziale Integration, sogar für<br />
die nackte Existenz.<br />
Diese Bedeutung ist in in der Antike, dem Mittelalter und<br />
der frühen Neuzeit noch wenig überraschend, angesichts<br />
der ineffizienten, von Wetter und Geschick abhängigen<br />
Agrarwirtschaft . Doch anders als erhofft hat die rasante<br />
technische und industrielle Entwicklung (in Deutschland<br />
insbesondere ab 1850) weder zu einem entsprechenden<br />
Wohlstand aller Menschen geführt, noch wurde die<br />
angeblich gesellschaftlich notwendige Lohnarbeit langsam<br />
aber sicher überflüssig. Im Gegenteil: Heute wie immer plagt<br />
man sich, heute wie immer wird auf das „arbeitsscheue<br />
Gesindel“ geschimpft, heute wie immer werden Menschen<br />
23
Eine (europäische) Geschichte des <strong>Arbeits</strong>zwanges<br />
zur Arbeit gezwungen. Die Geschichte der Arbeit war dabei<br />
auch immer eine Geschichte von Methoden der Kontrolle,<br />
der Disziplinierung und der Propaganda. So wusste schon<br />
Aristoteles:<br />
“Damit sie dauernd ihrem Lebensunterhalt nachgehen<br />
müssen und keine Zeit zur Konspiration haben.” 1<br />
Frühe Formen von Abhängigkeit und <strong>Zwang</strong><br />
Die Geschichte weist hinsichtlich des <strong>Arbeits</strong>zwanges<br />
Unterschiede und Entwicklungen, aber auch Kontinuitäten<br />
auf. Der <strong>Zwang</strong> zur Arbeit, direkt oder indirekt ausgeübt,<br />
ist so alt wie die Arbeit selbst. Am Anfang der Geschichte<br />
steht die landwirtschaftliche Revolution, die Aufgabe des<br />
Nomadentums und der Beginn von Ackerbau und Viehzucht.<br />
<strong>Arbeits</strong>teilung entsteht, Städte werden gegründet und<br />
Handel getrieben. Durch das Aufkommen des Privatbesitzes<br />
wird jedoch auch die Anhäufung von Besitz, insbesondere<br />
von Ackerland, möglich.<br />
In den antiken Gesellschaften Griechenlands und Roms<br />
sind vor allem die einfachen Bauern gezwungen, Schulden<br />
bei adligen Großgrundbesitzern aufzunehmen, um Saatgut<br />
kaufen zu können. Ursache ist vorrangig die ungerechte<br />
Verteilung von Land, die den meisten Familien kaum genug<br />
zum Leben lässt, während der Adel seinen Besitz immer<br />
mehr ausweitet. Können die Bauern Schuld und Zins nicht<br />
zurückzahlen, so geraten sie in die Schuldknechtschaft. Sie<br />
verlieren ihr Land und damit ihre Existenzgrundlage an den<br />
Gläubiger und müssen ihre Schuld, meist bis ans Ende ihres<br />
Lebens, abarbeiten. Eine direkte Form der <strong>Zwang</strong>sarbeit<br />
ist die Sklaverei, bei der Menschen nicht nur ökonomisch<br />
24
Florian Metzger<br />
vollkommen abhängig von ihren Herren sind und von diesen<br />
ausgebeutet werden, sondern auch keinerlei Bürgerrechte in<br />
Anspruch nehmen können.<br />
Im Mittelalter werden diese quasi-feudalistischen<br />
Abhängigkeitsverhältnisse fortgeführt und modifiziert. Als<br />
maßgeblich bei der Legitimierung dieser Ausbeutung erweist<br />
sich die christliche Lehre, die jedem Menschen seinen<br />
gottgewollten Platz in der Welt zuweist: Der Adel möge<br />
herrschen und beschützen (Tu protege), die Priester beten<br />
(Tu supplex ora) und die Bauern arbeiten (Tuque labora).<br />
Arbeit im Kapitalismus<br />
Mit dem Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert<br />
wird schließlich ein Prozess angestoßen, der nicht nur<br />
die Wirtschaft grundlegend verändert, sondern auch<br />
zunehmend sämtliche Lebensbereiche, von der Familie<br />
bis hin zu Kriegsführung und globaler Machtpolitik.<br />
Die Landwirtschaft, seit Jahrtausenden die vorherrschende<br />
Wirtschaftsform, wird abgelöst. Zur Erhöhung von Effizienz<br />
und Profit wird Handwerk arbeitsteilig organisiert; anstelle<br />
eines Handwerkers, der seine eigene Werkstatt besitzt und<br />
als Meister einen bestimmten Gegenstand, z. B. eine Uhr<br />
von Anfang bis Ende selbst herstellt, treten nun Fabriken, in<br />
denen viele ungelernte Menschen für Lohn an der Herstellung<br />
eines Produkts mitarbeiten. Sie wirken nur arbeitsteilig<br />
an der Produktion mit, sind also ersetzbar; die Fabriken<br />
inklusive aller Maschinen und Werkzeuge sind Eigentum<br />
eines Unternehmers oder einer Unternehmergruppe. Diese<br />
verkaufen das Produkt und zahlen einen Teil als Lohn an<br />
die Arbeiter. Was übrigbleibt, der Mehrwert, wird in den<br />
25
Eine (europäische) Geschichte des <strong>Arbeits</strong>zwanges<br />
Betrieb reinvestiert oder geht als Profit an die Eigentümer,<br />
die Kapitalisten.<br />
Die Folgen der Industrialisierung betreffen alle Bereiche der<br />
Gesellschaft: Landflucht, ein stetes Bevölkerungswachstum,<br />
die Auflösung von Haus- und Hofgemeinschaften und die<br />
Arbeit von Frauen und Kindern in Fabriken sind einige der<br />
markantesten Folgen.<br />
Auch das Rechtssystem wird angepasst, bspw. durch<br />
die Abschaffung der Leibeigenschaft und die Einführung<br />
der Gewerbefreiheit 1807-1811 im Königreich Preußen.<br />
Ideologische Legitimierungen der neuen <strong>Arbeits</strong>verhältnisse<br />
finden sich einmal auf religiöser Ebene, wo die<br />
protestantische <strong>Arbeits</strong>moral Arbeiten, Sparsamkeit, Fleiß,<br />
Disziplin und Demut zu höchsten Tugenden erklärt. Auf<br />
ökonomischer Ebene erarbeitet Adam Smith die theoretische<br />
Grundlage für das Funktionieren kapitalistischer Wirtschaft.<br />
Die entstehende Industrie verschlingt ganze<br />
Menschenmassen: Hunderttausende werden benötigt,<br />
um die anstrengende Arbeit zu verrichten. Dabei sind<br />
die <strong>Arbeits</strong>bedingungen in den Fabriken unerträglich:<br />
18 Stunden Arbeit pro Tag sind keine Seltenheit,<br />
<strong>Arbeits</strong>schutz ist nicht vorhanden oder mangelhaft. Die<br />
Arbeiterinnen und Arbeiter sind den Fabrikherren völlig<br />
ausgeliefert. Gewerkschaften sind lange Zeit verboten<br />
und werden verfolgt, selbstorganisierter Widerstand jeder<br />
Art wird häufig mithilfe von Polizei und Militär gewaltsam<br />
unterdrückt. Strenge Disziplinarmaßnahmen innerhalb der<br />
Betriebe sollen die Arbeiterinnen und Arbeiter gefügsam<br />
machen und an die harte Arbeit gewöhnen; so kann<br />
schon bei geringfügiger Verspätung der Lohn gekürzt<br />
26
Florian Metzger<br />
werden, Unachtsamkeiten während der Arbeit werden<br />
besonders bei Kindern mit körperlicher Züchtigung<br />
bestraft. Erst durch jahrzehntelange <strong>Arbeits</strong>kämpfe<br />
von linken Gewerkschaften, Parteien und Bewegungen<br />
konnten bessere <strong>Arbeits</strong>bedingungen erkämpft werden.<br />
Um zu verhindern, dass diese Entwicklung eine Dynamik<br />
erhält, die irgendwann unkontrollierbar werden könnte,<br />
werden 1883 – 1889 von Bismarck staatliche Sozialsysteme<br />
errichtet, u. a. Kranken-, Unfall-, und Rentenversicherung.<br />
Gleichzeitig wird die ArbeiterInnenbewegung verfolgt und<br />
hat mit schweren Repressionsmaßnahmen zu kämpfen.<br />
Durch die staatlichen Reformen verbessert sich zwar die<br />
Situation der Beschäftigten nachhaltig, allerdings wird so<br />
auch eine Abhängigkeit von der staatlichen Fürsorge und<br />
damit Möglichkeiten der Kontrolle, der Erpressung und der<br />
Disziplinierung geschaffen.<br />
Der federführende Reichskanzler Bismarck gibt dies<br />
freimütig zu: „Mein Gedanke war, die arbeitenden<br />
Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen,<br />
den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die<br />
ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte.“ 2<br />
Der Freiwillige <strong>Arbeits</strong>dienst (FAD)<br />
Die Katastrophe des Ersten Weltkriegs hat in den frühen 20iger<br />
Jahren weltweit schwere wirtschaftliche und politische Krisen<br />
zur Folge. Massenhafte <strong>Arbeits</strong>losigkeit und Armut betreffen<br />
immer mehr Menschen, insbesondere aber Jugendliche.<br />
Doch erst infolge der weltweiten Wirtschaftskrise mit nie<br />
dagewesener <strong>Arbeits</strong>losigkeit, die der wirtschaftlichen<br />
Progression der späten 20er Jahre ein Ende setzt, wird 1931<br />
27
Eine (europäische) Geschichte des <strong>Arbeits</strong>zwanges<br />
von der Reichsregierung Brüning per Notstandsgesetz der<br />
Freiwillige <strong>Arbeits</strong>dienst (FAD) eingeführt. Hintergrund ist<br />
die Angst vor einer Politisierung bzw. Radikalisierung der<br />
<strong>Arbeits</strong>losen. Großangelegte Programme sollen <strong>Arbeits</strong>lose<br />
deshalb zum Arbeiten bringen, dabei ist die angebliche<br />
Freiwilligkeit rein formaler Natur, da Hunger und Armut<br />
zur Annahme der angebotenen <strong>Arbeits</strong>dienste zwingen.<br />
Ab 1932 darf jeder zwischen 18 und 25 Jahren am FAD<br />
teilnehmen, im November sind 285 000 Menschen erfasst.<br />
Die Dienstzeit wird auf 40 Wochen im Jahr heraufgesetzt,<br />
wobei die Entlohnung von Anfang an sehr gering ist.<br />
Zudem gelten Streik - und Organisationsrecht nicht für<br />
<strong>Arbeits</strong>dienstleistende.<br />
Erzwungene Arbeit und <strong>Zwang</strong>sarbeit im<br />
Nationalsozialismus<br />
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933<br />
wird der FAD zunächst übernommen und in der Folgezeit,<br />
ebenso wie alle anderen gesellschaftlichen und staatlichen<br />
Organisationen, „gleichgeschaltet“, d. h. unliebsame<br />
Träger und Personal werden verdrängt und entlassen.<br />
Zwei Jahre später wird der FAD per Gesetz endgültig zu<br />
einer staatlichen Organisation und Bestandteil sowohl der<br />
Wirtschaft als auch der nationalsozialistischen Erziehung.<br />
Der neue Reichsarbeitsdienst (RAD) ist für alle verpflichtend,<br />
die das 18. Lebensjahr vollendet haben, und dauert sechs<br />
Monate, danach folgt der Wehrdienst. Der RAD ist straff<br />
militärisch organisiert, Fehlverhalten wird hart bestraft.<br />
Das Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. Juni 1935 macht<br />
die Bedeutung des <strong>Arbeits</strong>zwangs denkbar deutlich:<br />
28
Florian Metzger<br />
„Der Reichsarbeitsdienst soll die deutsche Jugend im<br />
Geiste des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft<br />
und zur wahren <strong>Arbeits</strong>auffassung, vor allem zur<br />
gebührenden Achtung der Handarbeit erziehen.“<br />
Erst nach dem Krieg wird der RAD durch den alliierten<br />
Kontrollrat aufgelöst.<br />
Die erzwungene Arbeit im RAD muss jedoch <strong>gegen</strong>über<br />
anderen Formen der <strong>Zwang</strong>sarbeit in Nazi-Deutschland<br />
abgegrenzt werden. Während – wie das Zitat oben<br />
deutlich macht – der RAD zur Integration von (nicht<br />
verfolgten) Deutschen in eine „Volksgemeinschaft“ diente,<br />
war die <strong>Zwang</strong>sarbeit in Konzentrationslagern und die<br />
Kriegsgefangenen- sowie „Ausländereinsätze“ geprägt von<br />
Peinigung, Unterwerfung und Massenvernichtung. Aber<br />
auch die <strong>Zwang</strong>sarbeit für „Nicht-Deutsche“ bedarf einer<br />
differenzierten Betrachtung, die die einzelnen Verfolgten<br />
bzw. „herangezogenen“ Gruppen, die jeweilige Zeit (Zeit<br />
des „kaum gesteuerten Terrors“, Zentralisierung, nach den<br />
Pogromen, die jeweiligen Phasen des Kriegs) und den Ort<br />
(„im Reich“ oder „außerhalb“) berücksichtigt. Dies kann an<br />
dieser Stelle so nicht geleistet werden. 3 Die zur <strong>Zwang</strong>sarbeit<br />
verpflichteten Gruppen lassen sich übersichtshalber<br />
in die (aus politischen oder „rassischen“ Gründen) in<br />
Konzentrationslagern Inhaftierten, in Kriegsgefangene sowie<br />
in zwangsverschleppte Fremdarbeiter_innen aus anderen<br />
Ländern aufteilen. Während die Fremdarbeiter_innen und<br />
teilweise die Kriegsgefangenen unter größtenteils grausamen<br />
Bedingungen noch ökonomisch sinnvoller Arbeit „zugeführt“<br />
wurden, war die <strong>Zwang</strong>sarbeit in den Konzentrationslagern<br />
Teil des Massenvernichtungsprogramms. Die „Ausmerzung“<br />
29
Eine (europäische) Geschichte des <strong>Arbeits</strong>zwanges<br />
bestimmter Gruppen, allen voran die der Juden und<br />
Jüdinnen, stand betriebswirtschaftlichen Überlegungen<br />
bis zuletzt vor – die „Vernichtung durch Arbeit“ wurde erst<br />
mit der Kriegswende Anfang 1943 in Frage gestellt, aber in<br />
kleinerem „Stil“ noch bis zum Ende des Krieges fortgeführt.<br />
Gegen 1944 waren über sieben Millionen Menschen in<br />
(Rüstungs-)Industrie, Landwirtschaft, Konzentrationslagern,<br />
SS-Betrieben, privaten Haushalten, Kleinstbetrieben, usw.<br />
zwangsweise „beschäftigt“. Millionen ließen dabei ihr<br />
Leben. Entschädigungen – gerade für Fremdarbeiter_innen<br />
- wurden kaum gezahlt.<br />
Ein „heute wie damals“, also eine Übertragung des damals<br />
herrschenden <strong>Zwang</strong>s und der Demütigung auf heutige<br />
Verhältnisse wäre allerdings falsch und unangemessen. Von<br />
einer Tradition der <strong>Zwang</strong>sarbeit in Deutschland zu sprechen<br />
und dabei, ungeachtet der gewaltigen Unterschiede, die<br />
<strong>Zwang</strong>sarbeit für „Nicht-Deutsche“ in Nazi-Deutschland in<br />
eine Reihe mit den Hartz-IV-Gesetzen zu stellen, wäre schon<br />
deshalb unangebracht, weil eine Verweigerung nicht zum<br />
sofortigen Tod oder körperlichen Strafen führt. Zielführender<br />
erscheint eine Auseinandersetzung mit dem „damals wie<br />
heute“ verwendeten <strong>Arbeits</strong>begriff, dem ein ausschließender<br />
Charakter zugeschrieben werden kann: Arbeiten sei<br />
„deutsch“ und damit „gut“ – wer also nicht arbeitet oder<br />
nicht arbeiten kann, ist nicht Teil des „Volkskörpers“, nicht<br />
„gut“ und aus der Gemeinschaft auszuschließen.<br />
30
Florian Metzger<br />
1 Aristoteles, Politik, 1314 a 15 – 25 .<br />
2 Bismarck, Otto Gesammelte Werke 1924/1935, Band 9, S.195/196.<br />
3 Für einen ersten Überblick sei aber auf folgenden Text verwiesen: Bakonyi,<br />
Rainer (2000): Dimensionen der <strong>Zwang</strong>sarbeit im Nationalsozialismus. In:<br />
VVNBdA Esslingen (Hg.): „Räder müssen Rollen für den Sieg“ - <strong>Zwang</strong>sarbeit<br />
im „Dritten Reich“. Stuttgart: Schmetterling<br />
31
Torsten Schulte<br />
Wenn von Arbeit die Rede ist, wird leider immer noch zu oft die<br />
Hausarbeit vergessen. Mit der 2. Frauenbewegung und der<br />
sich daran anschließenden Frauenforschung in den 1970er<br />
Jahren wurde im Rahmen der Kritik an einem vorwiegend<br />
männlichen bzw. patriarchalen Wissenschaftsbetrieb und<br />
dessen Forschungs<strong>gegen</strong>ständen auch die Hausarbeit<br />
in den Blick genommen. Meiner Meinung nach sind zwei<br />
Ansätze zu unterscheiden. Der eine Ansatz kritisierte die<br />
gesellschaftliche und wissenschaftliche Vorstellung vom<br />
‘natürlichen Wesen’ der Hausarbeit welches dem ‘Wesen<br />
der Frau’ entspräche. Der zweite Ansatz setzte sich primär<br />
mit der marxistischen Gesellschaftstheorie auseinander.<br />
Im folgenden Artikel wird vor allem der Letztere dargestellt,<br />
um den <strong>Arbeits</strong>begriff kritisch zu erweitern. Dabei bleiben<br />
wir ‘theoretisch’ bei den Debattenständen der 1990er Jahre<br />
stehen, da eine poststrukturalistische bzw. queere Analyse<br />
den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, was jedoch<br />
32<br />
Arbeit – Hausarbeit -<br />
Lohn für Hausarbeit?!?
Torsten Schulte<br />
keinesfalls bedeutet, dass diese Analyse nicht dringend<br />
nötig wäre.<br />
Hausarbeit als historisches Faktum der Frauenunterdrückung<br />
Beeinflusst von der politischen Frauenbewegung wurden<br />
die gesellschaftlichen Vorstellungen über das was ‘Frauen’ *<br />
bei der Hausarbeit leisten, sowie die Ehe als patriarchales<br />
Unterdrückungsverhältnis kritisiert. Grundlage war, dass<br />
bis in die 1960er Jahre hinein, die Hausarbeit als ein<br />
unhistorisches privates Faktum galt. Sie wurde als dem<br />
natürlichen Wesen der ‘Frau’ entsprechend - als ihr zeitloses<br />
und biologisches Schicksal - aufgefasst, und konnte deshalb<br />
kein Gegenstand von Wissenschaft sein. Vor allem Giesela<br />
Bock und Barbara Duden kritisierten in der BRD diese<br />
Vorstellung scharf und zeigten die historische Wandlung<br />
der Hausarbeit in Europa auf. Sie stellten dar, dass<br />
Hausarbeit bzw. das, was in der ‘Moderne’ als Hausarbeit<br />
definiert wurde, relativ neuen Ursprungs war. Erst mit<br />
Beginn der industriellen Revolution und dem Aufkommen<br />
des Kapitalismus im 17. und 18. Jahrhundert entstand<br />
ungleichzeitig und regional unterschiedlich das, was heute<br />
als Hausarbeit definiert wird. Vor diesem Zeitraum existierte<br />
der Begriff der Hausarbeit nicht. Hausarbeit hängt somit eng<br />
mit dem Entstehen der bürgerlichen Familie zusammen. Erst<br />
mit der Durchsetzung der bürgerlichen Familie als Typus der<br />
* Wenn in diesem Artikel von den Frauen bzw. der Frau die Rede ist,<br />
dann ist damit keinesfalls eine natürliche biologische und zwangsläufig<br />
soziale Realität gemeint, sondern eine historische Kategorie bzw. eine gesellschaftlich<br />
konstruierte Zuschreibung.<br />
33
Arbeit - Hausarbeit - Lohn für Hausarbeit?!?<br />
gesamten Bevölkerung, welcher die Hausgemeinschaften<br />
des Feudalismus ersetzte, entstand das, was Hausarbeit<br />
heute ist und wo<strong>gegen</strong> sich die feministische Kritik richtet.<br />
Hausarbeit galt als labor of love (Arbeit aus Liebe) im<br />
Gegensatz zu work for money (Arbeit für Lohn). In der<br />
Institution Ehe und Familie wurde von der Frau erwartet,<br />
ihre physische <strong>Arbeits</strong>kraft und ihre sexuelle Verfügbarkeit<br />
für die Zeit ihres Lebens dem Mann zu übereignen. Im<br />
Gegenzug erhielt die Frau für die Zeit der Ehe materielle<br />
Sicherheit. Deswegen ist keinesfalls von labour of love zu<br />
sprechen, sondern eher von ‘(Sex)-Arbeit <strong>gegen</strong> Unterhalt’.<br />
Die historische Konstruktion von Hausarbeit war und ist<br />
heute immer noch ein Baustein des Patriarchats. Die<br />
Lebensrealität von ‘Frauen’ wird durch die Unbezahltheit<br />
der Hausarbeit stark vom Abhängigkeitsverhältnis in<br />
der Ehe geprägt. Die massenhafte Durchsetzung der<br />
Hausarbeit ist dabei nicht nur ein funktionales Moment der<br />
Frauenunterdrückung, sondern auch des kapitalistischen<br />
Gesellschaftszusammenhangs.<br />
Das Kapitalverhältnis<br />
Eine zentrale Grundannahme der marxistischen<br />
Gesellschaftsanalyse ist die Unterscheidung vom Besitz bzw.<br />
Nichtbesitz an Produktionsmitteln. Produktionsmittel sind<br />
die Gesamtheit der <strong>Arbeits</strong>mittel und <strong>Arbeits</strong><strong>gegen</strong>stände<br />
mit denen der Mensch im Produktionsprozess materielle<br />
Güter erzeugt und produktive Leistungen vollbringt. So sind<br />
zum Beispiel bei der Herstellung eines Lederschuhs die<br />
Gesamtheit der Rohstoffe (Leder, Gummi, Garn etc.) sowie<br />
die Nähmaschine und die Räume in denen produziert wird,<br />
34
Torsten Schulte<br />
Produktionsmittel. Gesellschaftssysteme unterscheiden sich<br />
aufgrund der Eigentumsverhältnisse an Produktionsmitteln.<br />
Diese sind im Kapitalismus nicht Eigentum der Produzent_<br />
innen, sondern im Besitz der Klasse der Kapitalisten.<br />
Ihr steht auf abstrakter Ebene die Klasse der Arbeiter_<br />
innen <strong>gegen</strong>über, welche sich durch den Nichtbesitz an<br />
Produktionsmitteln auszeichnen.<br />
In der vorindustriellen Phase schufen sich die Bauern und<br />
Handwerker ihre <strong>Arbeits</strong>mittel und <strong>Arbeits</strong><strong>gegen</strong>stände<br />
selbst, sie waren dadurch im Besitz von Produktionsmitteln.<br />
In der Regel besaß ein Tischler die Werkzeuge, das<br />
Holz und die <strong>Arbeits</strong>stätte und fertigte <strong>Arbeits</strong>mittel und<br />
<strong>Arbeits</strong><strong>gegen</strong>stände selbst. Er verfolgte eine zweckbestimmte<br />
Produktion für den Eigenverbrauch und den regionalen Markt.<br />
Der Mensch verlor seine ursprüngliche Existenzgrundlage<br />
im Zuge der aufkommenden spezialisierten industriellen<br />
Warenproduktion, welche sich nicht an der Befriedigung<br />
der individuellen Bedürfnisse orientierte, sondern an den<br />
Bedürfnissen des Marktes. Aufgrund dieser historischen<br />
Entwicklung verzeichnet Marx, dass die Arbeiter_innen<br />
als Angehörige des Proletariats nur noch eine Möglichkeit<br />
haben, um ihre Existenz zu sichern: Sie mussten ihre<br />
<strong>Arbeits</strong>kraft verkaufen. Im Gegenzug benötigen die<br />
Kapitalisten die doppelt freien Arbeiter_innen, um die<br />
Produktionsmittel nutzbar zu machen. Doppelte Freiheit<br />
bedeutet, dass sie frei von Produktionsmitteln und als<br />
bürgerliches Rechtssubjekt frei sind Verträge zu schließen.<br />
Die Produktionssphäre der kapitalistischen<br />
Wirtschaftsordnung zeichnet sich zudem insbesondere<br />
dadurch aus, dass die Arbeiter_innen ihre <strong>Arbeits</strong>kraft an<br />
35
Arbeit - Hausarbeit - Lohn für Hausarbeit?!?<br />
die Produktionsmittelbesitzer_innen verkaufen müssen. Für<br />
den Verkauf der <strong>Arbeits</strong>kraft bekommt der/die Arbeiter_in<br />
einen Lohn. Mit diesem Lohn kann sie auf dem Markt Waren<br />
und Dienstleistungen kaufen, um sich und ihre Familie/<br />
ihren Haushalt die Subsistenz zu sichern. Dieser Lohn ist im<br />
doppelten Sinn historisch bestimmt. Zum Einen bestimmt<br />
durch die von den Kapitalisten anerkannten Bedürfnisse die<br />
befriedigt werden müssen, um sich überhaupt als Mensch<br />
individuell und familiär (!) reproduzieren zu können. Zum<br />
Anderen die in sozialen Kämpfen errungenen Zugeständnisse<br />
von den Kapitalisten, bspw. <strong>Arbeits</strong>zeitverkürzungen oder<br />
Lohnerhöhungen.<br />
Ausbeutung vollzieht sich nach Marx vereinfacht gesagt<br />
wie folgt: Die Arbeiter_innen bekommen für ihre geleistete<br />
Arbeit einen Lohn, der sich wie oben beschrieben<br />
ausgestaltet. Dieser Lohn entspricht aber keinesfalls dem<br />
Wert, welchen die Arbeiter_innen erwirtschafteten, da<br />
ansonsten die Produktionsmittelbesitzer_innen keinen<br />
Profit erwirtschaften würden. Deshalb scheint es zwar so,<br />
dass die Arbeiter_innen den ganzen Tag bezahlt bekommen,<br />
jedoch behält der Kapitalist einen nicht unerheblichen Teil<br />
des geschaffenen Wertes ein, um ihn zur Vermehrung seines<br />
Kapitals zu verwenden. Dies ist der Ausbeutungscharakter<br />
der kapitalistischen Warenwirtschaft bzw. Lohnarbeit.<br />
Im Zuge der kapitalistischen Wirtschaftsordnung vollzog sich<br />
im Vergleich zur vorindustriellen Produktion eine räumliche<br />
Trennung der Produktions- und Reproduktionssphäre.<br />
Der <strong>Arbeits</strong>platz war nunmehr nicht mehr im bzw. am<br />
häuslichen Bereich angesiedelt, sondern wurde in<br />
Fabriken verlegt. Auch die <strong>Arbeits</strong>zeit wurde <strong>gegen</strong>über der<br />
36
Torsten Schulte<br />
Freizeit scharf abgegrenzt. Waren in früheren Zeiten die<br />
Übergänge und Tätigkeiten eher fließend, so fand im Zuge<br />
der Industrialisierung und Rationalisierung der Produktion<br />
eine scharfe Trennung von <strong>Arbeits</strong>zeit und Freizeit statt.<br />
Die Veränderungen hatten auch Auswirkungen auf die sog.<br />
Hausarbeit. Sie war nicht mehr wie in vorkapitalistischen<br />
Zeiten ganz selbstverständlich Teil der Produktion<br />
von Waren und Gütern zur Eigenversorgung und dem<br />
örtlichen Handel, sondern wurde vom Produktionsprozess<br />
abgekoppelt. Die Hausarbeit war nunmehr räumlich<br />
getrennt von der Produktionssphäre und wurde fester<br />
Bestandteil der Reproduktionsphäre bzw. des Privaten.<br />
Konsequenzen und feministische Kritik am marxschen<br />
Konzept vom Wert der <strong>Arbeits</strong>kraft<br />
Mit der beschriebenen Trennung von Produktions- und<br />
Reproduktionssphäre ging gesamtgesellschaftlich eine<br />
Entwertung der Hausarbeit einher. Diese Entwertung<br />
vollzog sich dadurch, dass Hausarbeit keine Lohnarbeit<br />
war. Sie findet im innerfamiliären Zusammenhang statt und<br />
erzeugt keinen Geldwert, weil sie nicht marktvermittelt und<br />
infolgedessen dem Wertbildungs- und Verwertungsprozess<br />
des Kapitals entzogen ist.<br />
Die politische Frauenbewegung und die sich entwickelnde<br />
Frauenforschung problematisierte in Auseinandersetzung<br />
mit der marxistischen Theorie das Faktum der Unbezahltheit<br />
von Hausarbeit. Es wurde ein ‘erweiteter’ Ausbeutungsbegriff<br />
formuliert: Ausbeutung fand nun nicht nur im kapitalistischen<br />
Produktionsprozess statt, sondern gleichermaßen<br />
im Familienhaushalt. Zum einen, weil im Haushalt<br />
37
Arbeit - Hausarbeit - Lohn für Hausarbeit?!?<br />
unbezahlte Arbeit geleistet wird, die zur kapitalistischen<br />
Produktion unerlässlich ist und zweitens, weil diese Arbeit<br />
geschlechtsspezifisch zugewiesen wird. Dieser erweiterte<br />
Ausbeutungsbegriff leistet das, was der marxsche Begriff<br />
nicht leisten konnte. Der als privat gekennzeichnete Bereich<br />
zwischen Mann und Frau ist ebenfalls von Ausbeutung<br />
geprägt.<br />
Durch die Schaffung, Verallgemeinerung und<br />
Institutionalisierung der Hausarbeit entstand somit eine<br />
‘unsichtbare Klasse’. Der ‘Reformkapitalismus’ des 20.<br />
Jahrhunderts mit <strong>Arbeits</strong>marktregelungen und der Schaffung<br />
höherer Löhne sei deshalb nur auf Kosten der ‘Frauen’<br />
möglich gewesen. Für einen Lohn erhält der Kapitalist zwei<br />
<strong>Arbeits</strong>kräfte, da das Lohnarbeitsverhältnis die Gratisarbeit<br />
der Frau verbirgt. Somit blieben bei der Betrachtung des<br />
Lohnarbeitsverhältnisses die Leistungen der ‘Frauen’<br />
unsichtbar und verborgen, obwohl sie für die Reproduktion<br />
des Lohnarbeiters und zur Reproduktion der Klasse an<br />
sich unerlässlich ist. Die Hausfrau werde also aus dem<br />
gesellschaftlichen <strong>Arbeits</strong>prozess ausgeschlossen und ihre<br />
Arbeit wurde zur ‘Nichtarbeit’ degradiert und abgewertet.<br />
Hausarbeit für Lohn<br />
Die in den vorherigen Abschnitten dargestellten Ansätze<br />
der feministischen Kritik am Hausarbeitsverhältnis<br />
nahmen unterschiedliche Schwerpunkte in den Blick.<br />
Beim ersten Ansatz wird die gesellschaftliche Zuweisung<br />
der Hausarbeit an ‘Frauen’ als ein starke Ausprägung<br />
patriarchaler Herrschaft über ‘Frauen’ thematisiert. Bei<br />
diesem Ansatz ist das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital<br />
38
Torsten Schulte<br />
eher nebenrangig. Im Gegensatz dazu wurde im zweiten<br />
Ansatz die Erwerbsarbeit in ihrem Verhältnis zur Lohnarbeit<br />
als ein grundlegendes Merkmal patriarchal-kapitalistischer<br />
Gesellschaftsverhältnisse gesehen.<br />
Einig sind sich jedoch beide Ansätze darin, dass die<br />
ökonomischen Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft<br />
sich auf den Klassenantagonismus und die patriarchale<br />
Geschlechtsherrschaft gründen, lediglich die Gewichtung<br />
des ökonomischen Aspekts wurde unterschiedlich bewertet.<br />
Die in den 1970er Jahren als Hausarbeitsdebatte<br />
bezeichnete Intervention ‘gipfelte’ bei einigen Vertreter_<br />
innen in der Forderung nach einem Lohn für Hausarbeit<br />
als Mittel zur Befreiung der Frau aus dem patriarchalen<br />
Abhängigkeitsverhältnis. Die zentrale Argumentation<br />
war, dass erst wenn die Produktion und Reproduktion<br />
der <strong>Arbeits</strong>kraft wie jede andere Arbeit entlohnt würde,<br />
sie als Arbeit gesellschaftlich sichtbar und wertvoll<br />
werde. Durch die Entlohnung der Hausfrauen würde<br />
das ökonomische Abhängigkeitsverhältnis zum Mann<br />
durchbrochen. Mit der Forderung nach Lohn für Hausarbeit<br />
sollte den ‘Frauen’ die Möglichkeit der Emanzipation aus<br />
ihren als Unterdrückungsverhältnis gekennzeichneten<br />
Lebensverhältnissen gegeben werden. Durch die<br />
ökonomische Unabhängigkeit vom Mann werde den<br />
Hausfrauen der Ausbruch aus diesen Verhältnissen<br />
ermöglicht. Zudem wurde gehofft, dass mit der Forderung<br />
nach Lohn für Hausarbeit eine gesamtgesellschaftliche<br />
Aufwertung von Hausarbeit als wertschaffende Arbeit<br />
einhergehen würde.<br />
Kritisch bleibt anzumerken, dass diese Argumentation<br />
39
Arbeit - Hausarbeit - Lohn für Hausarbeit?!?<br />
davon ausgeht, dass etwas nur als gesellschaftlich wertvoll<br />
anerkannt wird, was auch monetären Wert besitzt. Hier<br />
wurde dem Postulat vom Primat der Ökonomie, d.h. dass<br />
alles gesellschaftliche aus den ökonomischen Verhältnissen<br />
abzuleiten sei, gefolgt. Innerhalb der wissenschaftlichen<br />
Debatte bestand jedoch niemals Einigkeit darüber,<br />
ob das marxistische Ausbeutungsverständnis zur<br />
Analyse familialer Beziehungen tatsächlich greife.<br />
‘Lohn für Hausarbeit’ war eher eine politische<br />
Forderung, erfüllt wurde sie freilich niemals. Sie hat<br />
jedoch einen nicht unerheblichen Einfluss auf die<br />
gesellschaftliche und wissenschaftliche Debatte über<br />
den Wert von Hausarbeit und die Stellung der Frau.<br />
Dimensionen feministischer Kritik<br />
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass<br />
Hausarbeit eine starke Entwertung erfuhr, da sie keine<br />
Lohnarbeit ist. Feministische Kritiken, welche sich stark<br />
an der marxistischen Gesellschaftsanalyse orientierten,<br />
konstruierten einen erweiterten Ausbeutungsbegriff<br />
und formulierten gleichzeitig, dass Hausarbeit einen<br />
gesellschaftlichen Wert schaffe, da ohne sie die<br />
Reproduktion der Arbeiter_innenklasse nicht möglich<br />
wäre. Zudem wurde die bürgerliche Familie als Hort von<br />
patriarchaler Unterdrückung lokalisiert. In den 1990er<br />
Jahren erfuhr diese Debatte jedoch eine starke Wendung, da<br />
es massive Einsprüche <strong>gegen</strong> das verallgemeinerte Subjekt<br />
FRAUEN gab und weitere Dimensionen wie bspw class, age,<br />
race usw. zu berücksichtigen seien. Zudem wurde auch die<br />
Dekonstruktion der Gender-Binarität als starker Ankerpunkt<br />
40
Torsten Schulte<br />
für feministische Kritik lokalisiert. Eine Verknüpfung<br />
dieser neueren Entwicklungen mit den dargestellten<br />
Debattenständen wäre auf jeden Fall notwendig und zudem<br />
interessant, bisher wurde sie aber noch nicht geleistet.<br />
Wenn man sich also kritisch mit dem <strong>Arbeits</strong>begriff<br />
auseinandersetzen möchte, so ist es unabdingbar, den<br />
feministischen Debatten und Einsprüchen der letzten<br />
40 Jahre Rechnung zu tragen, um den Begriff von Arbeit<br />
im Kapitalismus als klar patriarchal und ausbeuterisch<br />
identifizieren zu können.<br />
Literatur zum Weiterlesen und Vertiefen<br />
Bock, Gisela/Duden Barbara (1977): Arbeit aus Liebe – Liebe als<br />
Arbeit: Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus; in: Frauen und<br />
Wissenschaft, Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen Juli<br />
1976; Courage Verlag; Berlin.<br />
Haug, Frigga (2001): Hausfrau; in: Historisch-Kritisches Wörterbuch des<br />
Marxismus Band 5.<br />
Marx, Karl/Engels, Friedrich (1969): Band 23 Das Kapital,<br />
Kritik der politischen Ökonomie, Dietz Verlag, Berlin.<br />
41
Etienne Schneider<br />
42<br />
<strong>Arbeits</strong>zwang und Neoliberalismus<br />
Dieser Artikel beginnt mit einer Begriffsklärung, deren Ziel<br />
es aber nicht ist, einen Haufen theoretischer Begriffe auf<br />
halbwegs elegante Weise zusammen zu würfeln. Ganz im<br />
Gegenteil: Es geht darum, ein begriffliches Werkzeug zu<br />
haben, das sich dann auf gesellschaftliche Verhältnisse<br />
anwenden lässt. Der Anspruch ist, dadurch eine weitere<br />
wichtige Perspektive auf das große Thema dieses Hefts zu<br />
gewinnen, an die das Wort „<strong>Arbeits</strong>zwang“ zunächst nicht<br />
auf Anhieb denken lässt.<br />
Über die beiden verschwisterten Begriffe „Gewalt“ und<br />
„Macht“ und was sie bedeuten sollen, wurde von der<br />
Ideengeschichte bis in die <strong>gegen</strong>wärtige politische<br />
Theorie leidenschaftlich gestritten. Meist wurden ihre<br />
Bedeutungsfelder zusammen mit dem des Begriffs<br />
„Herrschaft“ so abgesteckt, dass mensch meinte, damit<br />
irgendwie angemessen gesellschaftliche Organisationsund<br />
Unterdrückungsprozesse beschreiben und kritisch<br />
beurteilen zu können. Einer dieser vielen Versuche besteht
Etienne Schneider<br />
darin zu sagen, dass Gewalt sich dadurch auszeichnet, dass<br />
sie „alle Möglichkeiten ab[schneidet]” , wohin<strong>gegen</strong> für<br />
Macht gerade charakteristisch ist, dass sie in einem Feld<br />
von Verhaltensmöglichkeiten wirkt. Das klingt zunächst sehr<br />
abstrakt und es bedarf vielleicht einer kurzen Erklärung, um<br />
diese Unterscheidung von Gewalt und Macht verständlich<br />
zu machen: Um Gewalt handelt es sich nach diesem<br />
Verständnis immer dann, wenn demjenigen, auf den Gewalt<br />
ausgeübt wird, keine Handlungsoptionen vorliegen. Da<strong>gegen</strong><br />
hat diejenige, auf die Macht einwirkt, immer eine Mehrzahl<br />
an Handlungsoptionen vor sich, aber der Einfluss von Macht<br />
bestimmt die Wahrscheinlichkeit, mit der sie sich für eine<br />
der Alternativen entscheidet.<br />
Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung ist es zunächst<br />
am nächstliegendsten, <strong>Arbeits</strong>zwang als eine Form der<br />
Gewaltausübung zu verstehen, die dazu führt, dass<br />
Menschen Arbeit <strong>gegen</strong> ihren Willen verrichten. So zum<br />
Beispiel eine Sklavin, die Arbeit wegen der Androhung<br />
physischer Strafe erledigt. Unbestritten ist auch, dass<br />
es dort, wo kapitalistisch produziert wird, immer auch<br />
<strong>Zwang</strong> zur Arbeit in Form von Gewalt gibt: die klassische<br />
doppelt freie Arbeiterin ist frei, weil sie nicht mehr in einem<br />
persönlichen Herrschaftsverhältnis dem Feudalherren<br />
<strong>gegen</strong>über steht. Aber ihre zweite Freiheit – die Freiheit von<br />
Produktionsmitteln, d.h. keine Produktionsmittel zu besitzen<br />
– zwingt die Arbeiterin gleichzeitig dazu, ihre <strong>Arbeits</strong>kraft<br />
zu verkaufen. Insofern ist der Übergang von feudalistischer<br />
zu kapitalistischer Produktionsweise ein Übergang von<br />
persönlichen Gewaltverhältnissen zum „stummen <strong>Zwang</strong><br />
der ökonomischen Verhältnisse“ (Marx). Der <strong>Zwang</strong> besteht<br />
43
<strong>Arbeits</strong>zwang und Neoliberalismus<br />
nun hier nicht mehr in direkter Bestrafung, sondern in der<br />
Freiheit, am Ende des Monats genug zum Leben zu haben<br />
– oder eben auch nicht. Im Sinne der obigen Definition wäre<br />
auch das de facto Gewalt, weil keine Wahloption gegeben<br />
ist – den Verzicht auf die lebenserhaltende physische<br />
Reproduktion als Wahloption zu stilisieren, wäre zynisch.<br />
Sowohl in früheren gesellschaftlichen<br />
Produktionsverhältnissen als auch in kapitalistischen spielt<br />
„<strong>Arbeits</strong>zwang“ im Sinne von Gewalt, die zur Arbeit im<br />
Dienste Anderer zwingt, also eine zentrale Rolle. In diesem<br />
Artikel soll aber auch gezeigt werden, dass sich in den letzten<br />
Jahrzehnten auch Mechanismen herausgebildet haben,<br />
die es unzureichend erscheinen lassen, „<strong>Arbeits</strong>zwang“<br />
nur in den Kategorien von Gewalt begreifen zu wollen: In<br />
einem weiten Verständnis von „<strong>Arbeits</strong>zwang“ müssen auch<br />
Formen des <strong>Zwang</strong>s mitgedacht werden, die vorwiegend<br />
über den Modus Macht – im Sinne der Beeinflussung der<br />
Wahrscheinlichkeit von Verhalten – funktionieren und auf<br />
der Selbststeuerung der Einzelnen beruhen. Das klingt<br />
zunächst sehr abstrakt, soll aber gleich konkreter werden.<br />
Um die Ursprünge dieser Formen der Selbststeuerung<br />
zu verstehen, muss sich kurz der Entwicklung des<br />
Nachkriegskapitalismus zugewendet werden. In den<br />
westlichen Zentren des Kapitalismus stellten sich nach<br />
den Weltkriegen zunächst relativ stabile kapitalistische<br />
Produktionsformen ein. Ihre Stabilität beruhte in erster Linie<br />
auf dem „konsumistischen Zirkel“. Dieser beschreibt das<br />
Gleichgewicht einer standardisierten, auf weit verzweigter<br />
<strong>Arbeits</strong>teilung beruhenden Massenproduktion von<br />
Konsumgütern einerseits und einer starken Nachfrage, die<br />
44
Etienne Schneider<br />
gewerkschaftlich erkämpft und durch wohlfahrststaatliche<br />
Arrangements gesichert wurde, andererseits. Während<br />
diese historisch einmalige Konstellation innerhalb der<br />
kapitalistischen Produktionsweise bis in die 1960er Jahre<br />
hinein zuverlässige Wachstumsraten generierte, geriet der<br />
„konsumistische Zirkel“ spätestens Anfang der 1970er<br />
Jahre in die Krise: Was in Deutschland vielfach zunächst<br />
als Ende der „Rekonstruktionsperiode“ interpretiert<br />
wurde, korrespondierte weltweit mit einer rückläufigen<br />
Kapitalrentabilität und zunehmenden Überkapazitäten<br />
vieler Produktionszweige.<br />
In dieser Situation wurden vielfach – zunächst vor allem in<br />
England, den USA und Chile – Elemente neoliberaler Theorien<br />
aufgegriffen und zur Legitimierung drastischer Einschnitte<br />
in die Systeme sozialer Sicherung benutzt: die sinkende<br />
Kapitalrentabilität wurde einem Übermaß staatlicher<br />
Eingriffe in den Wirtschaftsprozess zugeschrieben, die<br />
die „reine Marktwirtschaft“ an ihrer Entfaltung hindere,<br />
die Menschen durch wohlfahrtsstaatliche Arrangements<br />
‚passiviere’ und insofern den Einzelnen in seiner Produktivität<br />
beschneide. An die Stelle gesellschaftlich organisierter<br />
sozialer Sicherheit trat zunehmend die Propagierung der<br />
Eigenverantwortlichkeit der Marktsubjekte, spiegelbildlich<br />
erschienen die Ausweitung von <strong>Arbeits</strong>losigkeit und<br />
zunehmende Prekarisierung von Erwerbsarbeit nicht mehr<br />
als gesellschaftlich induzierte Phänomene, sondern als<br />
individuelles Versagen.<br />
Viele Elemente dieser Deutung sozialer Widersprüche, die<br />
mensch als ‚individualisierende Logik’ bezeichnen könnte,<br />
setzen sich bis heute fort: Erwerbslosigkeit wird mit der<br />
45
<strong>Arbeits</strong>zwang und Neoliberalismus<br />
„Dekadenz“ des Einzelnen bzw. mit seinem kulturellen<br />
Hintergrund diskursiv verknüpft, sozialer Status zum<br />
Ergebnis von „Leistungsträgerschaft“ stilisiert. Offensichtlich<br />
ist, dass es sich dabei um eine Herrschaftslogik handelt, die<br />
es den Privilegierten erlaubt, ihre soziale Position <strong>gegen</strong>über<br />
weniger Privilegierten zu legitimieren. Interessant ist aber<br />
noch ein anderer Aspekt – und hier kommt der <strong>Arbeits</strong>zwang<br />
wiederum ins Spiel: die Mobilisierung der Selbststeuerung.<br />
Charakteristisch für die individualisierende neoliberale<br />
Herrschaftslogik ist nämlich nicht einfach nur die<br />
Ausblendung gesellschaftlicher Zusammenhänge, sondern<br />
auch ihre Wirkung auf den Einzelnen. Denn dieser lernt durch<br />
eine Vielzahl gesellschaftlicher Diskurse, sich nicht mehr in<br />
erster Linie als Glied eines verzweigten gesellschaftlichen<br />
Produktionsprozesses, sondern vielmehr als Subjekt auf<br />
einem umfassenden (<strong>Arbeits</strong>-)Markt wahrzunehmen, auf dem<br />
es sich als „unternehmerisches Selbst“ zu verhalten und zu<br />
behaupten gilt. Wie gesagt – er lernt. Sicher wäre es blauäugig<br />
zu behaupten, dieser Lernprozess sei abgeschlossen und<br />
wir alle sähen uns selbst nur mehr als Unternehmer bzw.<br />
Träger von Humankapital, das es geschickt einzusetzen gilt.<br />
Die Einschreibung dieser Selbstwahrnehmungsangebote<br />
verläuft nicht ohne Bruchlinien und Widerstände, aber ihre<br />
Motive sind dennoch permanent gesellschaftlich präsent:<br />
von der Konkurrenz um Gymnasialempfehlungen, Studienund<br />
Masterplätze über Selbsthilferatgeber und der Rede<br />
von Ich-AGen bis hin zu Schlagwörtern wie Zeitmanagement,<br />
Selbstorganisation, „Employability“ und den „Marktwert“ bei<br />
der Partner_innensuche.<br />
Gerade aufgrund dieser allumfassenden Präsenz ist es aber<br />
46
Etienne Schneider<br />
unmöglich, sich der Adressierung als „unternehmerisches<br />
Selbst“ vollständig zu entziehen. Die eine mag der<br />
Adressierung mehr, der andere weniger widerstehen,<br />
entscheidend ist, dass es sich auch hier um einen <strong>Arbeits</strong>zwang<br />
im weiten Sinne handelt - um einen <strong>Arbeits</strong>zwang vermittelt<br />
nicht über ‚direkte’ äußere Gewalt, sondern vielmehr über<br />
die ‚indirekte’ Macht gesellschaftlicher Diskurse, die dazu<br />
führen, dass der Einzelne mal mehr, mal weniger sein<br />
Verhalten am Anforderungsprofil des „unternehmerischen<br />
Selbst“ ausrichtet, sich in diesem Sinne selbst steuert und<br />
eben auch diszipliniert bzw. ‚<strong>Zwang</strong>’ <strong>gegen</strong> sich selbst ausübt.<br />
Gerade diese Mobilisierung von Selbststeuerungspotentialen,<br />
um das eigene Humankapital zu perfektionieren, und die<br />
Interpretation der eigenen Lebenssituation als individuellen<br />
Erfolg bzw. individuelles Versagen erweist sich auch in<br />
der <strong>gegen</strong>wärtigen Krise des neoliberal umstrukturierten<br />
Kapitalismus als Blockade gesellschaftlicher Transformation<br />
in Richtung solidarischer Formen der Vergesellschaftung.<br />
Eine kritische, emanzipatorische Bewegung muss sich<br />
insofern der Herausforderung stellen, die Kohärenz zwischen<br />
biographischer Situation und ihrer Gesellschaftlichkeit<br />
plausibel vermitteln zu können. Deshalb gilt es, nicht nur<br />
gesellschaftliche Gewaltverhältnisse, die zur Arbeit zwingen,<br />
zu kritisieren, sondern auch, den Gedanken einer bewussten<br />
Organisation der gesellschaftlichen Arbeit <strong>gegen</strong> den Sog<br />
individueller Selbstmobilisierung zu stärken.<br />
Literatur zum Weiterlesen und Vertiefen<br />
Bröckling, Ulrich (2007): Das unternehmerische Selbst: Soziologie einer<br />
Subjektivierungsform.<br />
47
Jackie Runzel<br />
48<br />
Disziplinierung durch Arbeit<br />
Der disziplinierte Mensch ist die Heldin einer heutigen<br />
Gesellschaft, die sich nach Prinzipien von Produktivität und<br />
Effizienz anordnet. Die Prozesse, die jenes disziplinierte<br />
Individuum erschaffen, sind in allen gesellschaftlichen<br />
Teilbereichen auffindbar. Ihre Funktionsweise ist<br />
kontextabhängig und sie setzen auf unterschiedlichen<br />
Ebenen an. Manchmal sind sie eine präzise Bewegung (die<br />
marschierende Soldatin), manchmal definieren sie Wissen<br />
(die Lernende), manchmal sind sie eine Sitzordnung oder<br />
ein Hochhaus (der gegliederte Raum), manchmal gebieten<br />
sie Ruhe (die Zuhörende im Plenum) und manchmal<br />
nehmen sie einen Menschen total ein (die Inhaftierte).<br />
Bezogen auf Arbeit – egal, ob bezahlt oder nicht; egal, ob<br />
re- oder produktiv - werden solche Prozesse besonders<br />
deutlich sichtbar. Obwohl sich ihre Organisationsformen<br />
(der Arbeit) unterscheiden, lassen sich gemeinsame<br />
Prinzipien abstrahieren, die hier als Disziplinartechniken<br />
und Unterwerfungsstrategien analysiert werden.
Jackie Runzel<br />
Die politische Anatomie (des Details) oder die Radikalität<br />
der Einschreibung<br />
Oder: Intellektuelle Kackscheiße<br />
Der arbeitende Körper nimmt seine (gesellschaftlichen)<br />
Verhältnisse in sich auf. Sie werden in ihm auf eine Weise<br />
wirksam, dass sie sein Funktionieren im Produktionsapparat<br />
dauerhaft ermöglichen. Stetige Wiederholung von<br />
Bewegungsabläufen, wie sie während einer Arbeit verrichtet<br />
werden, schreiben sich in den Körper ein, sodass dieser sich<br />
an sie erinnert und sie bei Bedarf abrufen kann. So werden<br />
zweckdienliche Bewegungen zu einer Blaupause für weiteres<br />
Handeln, ebenso wie erfolgreiche Problemlösungsstrategien<br />
vermerkt und vom Entstehungskontext – <strong>Arbeits</strong>platz -<br />
auf andere Situationen übertragen werden können. So<br />
schleift sich zum Beispiel das frühmorgendliche Aufstehen<br />
so sehr in den Körper der Arbeitenden ein, dass es sogar<br />
an arbeitsfreien Tagen praktiziert wird. Die Art und Weise<br />
jedoch, wie diese Bewegungen ausgeführt werden, sind<br />
durch Produktivitätsüberlegungen, die den jeweiligen<br />
<strong>Arbeits</strong>kontext vorrangig bestimmen, vorgegeben.<br />
Motive, die ursprünglich <strong>Arbeits</strong>abläufe bestimmen,<br />
werden meist unhinterfragt reproduziert, sogar wenn die<br />
Betroffenen sie abstrahieren. Fokus auf <strong>Arbeits</strong>tätigkeit,<br />
Genauigkeit und Ausdauer werden beispielsweise zu<br />
Tugenden der gefügigen Arbeitenden. Leistungs- und<br />
Effizienzideale werden sich angeeignet und überlagern<br />
Bedürfnisse, die von der effizienten <strong>Arbeits</strong>ausführung<br />
ablenken. Die Radikalität dieser Vereinnahmung liegt in<br />
der Durchwirkung jedes noch so kleinsten Details - «nicht<br />
so sehr, weil darin ein Sinn verborgen ist, sondern weil es<br />
49
Disziplinierung durch Arbeit<br />
der Macht, die es erfassen will, dazu Gelegenheit bietet.»<br />
Die körperliche Rhetorik<br />
Bewegungen sind im Moment der produktiven Tätigkeit<br />
sichtbar und somit lesbar. Die Arbeitende signalisiert<br />
damit den Stand der Arbeit und die Sorgfalt, die sie ihr<br />
zukommen lässt, wodurch ihr Verhalten kategorisierbar<br />
und überwachbar wird. Gerade in einer Gruppe lässt sich<br />
so Vergleichbarkeit, beispielsweise in Geschwindigkeit<br />
und Effizienz ausgedrückt, herstellen. Dadurch<br />
vermitteln sich Leistungsdruck und soziale Hierarchien.<br />
Die Ökonomie der Produktivität<br />
Je stärker ein (Re-)Produktionsverhältnis von<br />
Rationalisierungsmechanismen betroffen ist, desto<br />
mehr werden in ihm Prinzipien einer personalisierten<br />
Herrschaft von denjenigen einer Zweckrationalität abgelöst.<br />
Indem Produktivität und Unterwerfung eine Symbiose<br />
eingehen, fällt jeder Produktivitätssteigerung zugleich<br />
die Funktion einer intensivierten Herrschaftsausübung<br />
zu. (Körperliche) Kräfte, die in diesem Prozess entstehen,<br />
sind zweckgebunden und somit immer einer Logik der<br />
Effizienz verhaftet. Sie sind eingebettet in ein Verhältnis,<br />
«das in einem einzigen Mechanismus den Körper umso<br />
gefügiger macht, je nützlicher er ist, und umgekehrt.»<br />
Instrumentalisierung und Subjektivierung<br />
Die Maschinen und Instrumente, die die Arbeitende<br />
bedient, üben (Sach)Zwänge auf sie aus, die sich als<br />
50
Jackie Runzel<br />
Notwendigkeiten darstellen und als solche verstanden<br />
werden. Ähnlich bedingen die Räumlichkeiten, in denen<br />
gearbeitet wird, und die Anordnung der Individuen in diesen,<br />
die Interaktionsmöglichkeiten und die auszuübenden<br />
Bewegungen. Die Wahrnehmung der möglichen<br />
Verhaltensweisen wird ebenso wie ihre tatsächliche<br />
Ausführung vorstrukturiert. Zusätzlich funktioniert Kontrolle<br />
auch über Disziplinarinstrumente, wie zum Beispiel sozialer<br />
Druck, der der Reproduktionsarbeit leistenden Person ein<br />
scheinbar natürliches Sauberkeitsverständnis vermittelt.<br />
Wie oder wo auch immer diese Mechanismen ansetzen, ihre<br />
Vollendung finden sie in dem Moment, in dem das Individuum<br />
ihre Funktion internalisiert und ihren Zweck naturalisiert<br />
hat, sodass eine weitere „externe“ <strong>Zwang</strong>ausübung<br />
überflüssig geworden ist. Die sich selbst beherrschende<br />
Arbeitende nimmt diese individualisierte Herrschaft als<br />
einen ihr zugestandenen Raum zur eigenverantwortlichen<br />
Gestaltung wahr. Vom Pöbel zum Subjekt – vom Störfaktor<br />
zum Potential. Die Arbeitende erwehrt sich der eigenen<br />
Ohnmächtigkeit durch Selbstverantwortlichung ihrer<br />
Tätigkeit und beansprucht den Status einer Handelnden,<br />
auch wenn die Grenzen dieser Handlungsmächtigkeit<br />
in der Fügung in soziale Hierarchien liegen. Eine solche<br />
Beanspruchung von Eigenverantwortlichkeit wirkt <strong>gegen</strong>über<br />
diesen stabilisierend, indem sie Normativitäten reproduziert.<br />
Die Unterwerfung unter wirtschaftliche Leitmotive<br />
verwandelt sich im disziplinierten Menschen vollständig zu<br />
Selbstbeherrschung und macht im Zuge dieser Verwandlung<br />
Herrschaftsstrukturen auf den ersten Blick unsichtbar.<br />
51
Disziplinierung durch Arbeit<br />
Der Staat watscht<br />
Durch eine moralische Überhöhung von Arbeit fabrizierte<br />
Ausschlüsse setzen schon bei der Definition davon<br />
an, was als Arbeit verstanden und akzeptiert wird.<br />
Menschen, die unbezahlte (und damit meist unsichtbare)<br />
Reproduktionsarbeit leisten oder sich, wie zum Beispiel<br />
die Pfandsammlerin, in gesellschaftlichen Nischen wieder<br />
finden, wird die „Ehre“, ein Mitglied der wirtschaftlichen<br />
Trägerinnengruppe zu sein, und damit auch der Zugang<br />
zu staatlichen Sozialleistungen verwehrt. Es ist somit eine<br />
der Funktionen des Staates, nonkonformes Verhalten zu<br />
sanktionieren. Die Anspruchsberechtigung auf Leistungen<br />
wie Gesundheitsversorgung oder Rentenabsicherung<br />
festzustellen ist genauso eines seiner Mittel, wie der Einsatz<br />
von Exekutivkräften zu Vertreibung von „Müßiggängerinnen“<br />
aus dem Stadtbild.<br />
Literatur zum Weiterlesen und Vertiefen<br />
Michel Foucault: Überwachen und Strafen<br />
52
Torsten Schulte<br />
Körper und Arbeit - Arbeit am Körper<br />
Zum neoliberalen Projekt gehören nicht nur verlässliche<br />
bzw. angepasste mentale Prägungen und entsprechende<br />
kulturelle Standardisierungen, sondern auch<br />
Optimierungen, Modifikationen und Neukonfigurationen von<br />
Körperlichkeiten. Der eigene Körper 1 und der zukünftiger<br />
Generationen steht im Fokus von ökonomischen und<br />
sozialen Kämpfen. Der Neoliberalismus befördert<br />
und fordert einen Körper, der stetig wandelbar ist<br />
und sich ständig an neue Verwertungsbedingungen<br />
anpassen kann. Allerdings existiert diese Möglichkeit<br />
der Konstruktion oder Neukonfiguration des eigenen<br />
Körpers nur für Menschen, welche über einen hohen<br />
und/oder gesicherten ökonomischen Status verfügen,<br />
alle anderen werden ausgegrenzt. Das Zusammenspiel<br />
von neoliberalen gesellschaftlichen Erwartungen an<br />
den flexiblen, veränderbaren Körper, für welchen das<br />
Individuum selbst Verantwortung trägt verbunden<br />
mit dem Abbau von staatlichen Sicherungssystemen.<br />
Der damit einhergehenden Privatisierung und<br />
53
Körper und Arbeit - Arbeit am Körper<br />
Individualisierung von Lebensrisiken führt zu einer sich<br />
zunehmend verschärfenden sozialen Ungleichheit.<br />
Der Körper als individueller und kollektiver Tatbestand<br />
Wenn Gesellschaft, und hier vor allem kapitalistische<br />
Vergesellschaftung neoliberaler Prägung, analysiert<br />
und kritisiert werden soll, dann kommt man nicht umhin<br />
sich mit dem Körper zunächst im Allgemeinen als<br />
individuellem und kollektivem Tatbestand zu beschäftigen.<br />
Seit der Renaissance vollzieht sich eine zunehmende<br />
Individualisierung der Menschen. Dies hat zur Folge – außer<br />
bei religiösen Fanatiker_innen, dass der Körper und seine<br />
Gesundheit nicht mehr als eine göttliche Gabe aufgefasst<br />
wird, sondern als ein durch individuelle Lebensführung<br />
erlernbares Gut betrachtet wird. Zudem setzte sich in<br />
den 1990er Jahren – im Rahmen der aufkommenden<br />
queer studies2- die Erkenntnis durch, dass der Körper<br />
einerseits Produkt von Gesellschaft ist, er von ihr geprägt<br />
und zugerichtet wird, er andererseits aber auch soziale<br />
Wirklichkeit schafft und aktiv an Interaktionsprozessen<br />
beteiligt ist – der Körper somit die soziale Ordnung<br />
reproduziert. Der Körper hat deshalb einen erheblichen<br />
Anteil an der Konstitution, Aufrechterhaltung und<br />
Veränderung von Gesellschaft.<br />
Die politische Ökonomie des Körpers<br />
Im Zuge der Formierung des kapitalistischen<br />
Wirtschaftssystems wurden Foucault zufolge die<br />
individuellen und kollektiven Körper in den Blick<br />
54
Torsten Schulte<br />
genommen. Es entstand eine politische Ökonomie des<br />
Körpers. Macht und Herrschaft sind in diesem Verständnis<br />
nicht einfach äußerliche Techniken und Prozeduren,<br />
sondern sie durchziehen und verändern die Körper mit<br />
dem Ziel, den menschlichen Körper in seiner individuellen<br />
sowie kollektiven Dimension für den kapitalistischen<br />
Verwertungsprozess nutzbar und gefügig zu machen.<br />
Der individuelle Körper wird durch Regierungstechniken wie<br />
bspw. in der Gesundheits- oder der Reproduktionspolitik<br />
als ein produktiv zu machendes Element erschlossen.<br />
Aktuell ist die Debatte und die Forderung an akademische<br />
Frauen, mehr Kinder für ‘Deutschland’ zu bekommen, ein<br />
Beispiel für Regierungstechniken. Diskursiv wird dabei das<br />
Gespenst von den aussterbenden ‘Deutschen’ aufgebaut,<br />
welche durch die angebliche Weigerung von akademischen<br />
Frauen, Kinder zu bekommen, befördert wird. Häufig geht<br />
dies einher mit einem völkisch rassistischen Biologismus.<br />
Als prominentester Vertreter ist Thilo Sarrazin zu nennen.<br />
Die politische Ökonomie des Körpers hat die Funktion, den<br />
individuellen sowie kollektiven Körper zu unterwerfen und<br />
produktiv zu machen, indem sie ihn an den ökonomischen<br />
Nutzen bindet und die Kontrolle der Bevölkerung ermöglicht.<br />
Eine Folge der politischen Ökonomie des Körpers ist,<br />
dass sie den ‘normalen’ und gleichzeitig auch den<br />
abweichenden Körper schafft. Dies geschieht, indem sich<br />
gesellschaftlich eine bestimmte Vorstellung vom Körper als<br />
‘normal’, ‘natürlich’ und ‘wünschenswert’ durchsetzt. Diese<br />
diskursive Konstruktion verweist zugleich aber auch auf<br />
die ‘abnormalen’, ‘widernatürlichen’ und ‘unerwünschten’,<br />
also abweichenden Körper. So weist das aktuell<br />
55
Körper und Arbeit - Arbeit am Körper<br />
vorherrschende Schönheitsideal immer alle Mädchen und<br />
Frauen die diesem nicht entsprechen ab und führt oft zu<br />
einem gestörten Verhältnis zum eigenen Körper. Eine<br />
Abweichung vom ‘Idealgewicht’ wird bspw. mit Faulheit,<br />
Schwäche oder Dysfunktionalität assoziiert und so die<br />
ökonomische Verwertbarkeit abgestritten und/oder gar von<br />
gesellschaftlichen Belastungen gesprochen.<br />
Bei der Betrachtung von Körpern ist der Aspekt der<br />
zugeschriebenen Geschlechterzugehörigkeit immer eine<br />
unhintergehbare Größe. Mit dem Begriff ‘heterosexuelle<br />
Matrix’ bezeichnet Judith Butler eine soziale und kulturelle<br />
Anordnung, die aus drei Dimensionen besteht. Erstens<br />
dem anatomischem Geschlechtskörper (sex), zweitens<br />
der sozialen Geschlechterrolle (gender) und drittens dem<br />
erotischem Begehren (desire). Diese drei Kategorien sind<br />
jeweils wechselseitig aufeinander bezogen. Mal leitet<br />
sich das Begehren aus dem Geschlecht ab, mal wird über<br />
das Begehren Geschlecht erst verankert. Mal folgt aus<br />
dem Körper eine bestimmte soziale Rolle, mal erzeugt<br />
eine bestimmte Rolle ein bestimmtes Begehren usw. Die<br />
heterosexuelle Matrix zeichnet sich nun dadurch aus,<br />
dass sie dieses Dreigestirn normativ einrichtet sowie<br />
Deckungsgleichheit erzwingt. Sie teilt die Menschen<br />
in genau zwei und nur zwei, deutlich voneinander zu<br />
unterscheidende Geschlechter. Dadurch entsteht der<br />
‘anatomische Geschlechtskörper’ nicht als etwas rein<br />
Natürliches, sondern als ein kulturelles Produkt, das eine<br />
bestimmte Funktion in einem ‘ideologischen System’<br />
ausübt. Dem Geschlechtskörper wird dann nach dieser<br />
Logik eine ganz bestimmte soziale Rolle und Identität und<br />
56
Torsten Schulte<br />
ein heterosexuelles Begehren zugewiesen. Geschlecht<br />
wird deshalb fast immer sexualisiert und zwar heterosexualisiert<br />
wahrgenommen. Diese Organisationsform ist<br />
nicht nur die vorherrschende, sondern nimmt für sich auch<br />
in Anspruch, die naturgemäße zu sein. Heterosexualität<br />
kann mit Hilfe des Begriffs der heterosexuellen Matrix<br />
also als ein Herrschaftssystem dargestellt werden, das<br />
Körper und ihr Verhältnis zueinander normiert und diese<br />
aufgezwungene Ordnung als natürlichen Grundzustand<br />
legitimiert. Die Kategorie ‘Frau’ ist also immer eingebunden<br />
in die heterosexuelle Matrix und trägt deshalb immer<br />
normative Effekte im Gepäck mit sich herum. Sie erscheint<br />
so betrachtet als machtdurchwirktes, interessensgeleitetes<br />
‘diskursives Konstrukt’ und nicht als unhintergehbare<br />
biologische Gegebenheit3 .<br />
Die Folge davon ist, dass alle, die nicht der heterosexuellen<br />
Matrix entsprechen und einen im ökonomischen Sinn<br />
produktiv gestaltete Körper haben, in der Regel an den Rand<br />
gedrängt und mit alltäglichen Ausschlüssen konfrontiert sind.<br />
Im Rahmen dieses Artikels findet jedoch keine intensive<br />
Behandlung der Thematik von einem individuellen Sosein,<br />
das von gesellschaftlichen Normvorstellungen abweicht und<br />
als behindert diskreditiert wird, statt, da es den Rahmen<br />
sprengen würde, was jedoch keinesfalls bedeutet, dass<br />
diese Thematik bzw. die Erkenntnisse der disability studies<br />
nicht wichtig und hochinteressant wären für das Verständnis<br />
von gesellschaftlichen und ökonomischen Ausschlüssen.<br />
Gesundheit - Arbeit - Körper<br />
Ein zentraler Aspekt bei der Betrachtung von normalisierten<br />
57
Körper und Arbeit - Arbeit am Körper<br />
Körpern und Arbeit ist der Begriff der Gesundheit. Dem Körper<br />
wird gesellschaftlich ein Wert zugemessen, welcher eng mit<br />
den ökonomischen Erfordernissen einer kapitalistischen<br />
Wirtschaftsordnung zusammenhängt. Der moderne<br />
Mensch musste lernen einen Körper zu haben, welchen er<br />
kreativ und produktiv gestalten konnte und der nicht von<br />
göttlichen Mächten beeinflusst bzw. determiniert wird.<br />
Mit der Dekommodifizierung von Gesundheit – also dem<br />
Zugang zur Gesundheitsversorgung für prinzipiell alle<br />
Menschen, nicht nur für Erwerbstätige – wurde Gesundheit<br />
zur allgemeinen Lebens- und Verhaltensrichtlinie.<br />
Aufbauend auf dieser Bewusstseinsschaffung vom<br />
eigenen Körper, entwickelte sich im Zuge der Entsicherung<br />
der sozialen Sicherungssysteme – in der BRD vor allem<br />
durch die Hartz-Gesetze und periodisch auftretenden<br />
‘Gesundheitsreformen’ – eine ‘Kultfigur des Neoliberalismus’,<br />
welche das selbstverantwortliche und vor allem gesunde<br />
und leistungsfähige Individuum zum Ziel hat. Vor allem die<br />
Körperlichkeit erfährt im neoliberal geprägten Kapitalismus<br />
eine Aufwertung, da nur intakte und gesunde Körper eine<br />
attraktive und marktkonforme Lebensführung garantieren.<br />
Es ist besonders aufschlussreich zu betrachten, wie sich<br />
Körper und Gesundheit bei Menschen darstellen, welche<br />
nicht über einen gesicherten ökonomischen Status verfügen<br />
bzw. ihren Körper und ihre <strong>Arbeits</strong>kraft nicht ‘angemessen’<br />
verkaufen können. Der Deutsche Gewerkschaftsbund<br />
(DGB) führte zu dem Themenfeld Gesundheitsrisiko<br />
<strong>Arbeits</strong>losigkeit im Jahr 2010 eine Untersuchung durch<br />
und stellte den aktuellen Wissenstand in den Sozial- und<br />
Gesundheitswissenschaften dar. <strong>Arbeits</strong>lose seien im<br />
58
Torsten Schulte<br />
Vergleich zu Erwerbstätigen nicht nur materiell, sondern<br />
auch gesundheitlich und psychosozial stärker belastet.<br />
Der gesellschaftlichen Erwartung eines flexiblen und<br />
gesunden Körpers kann nicht entsprochen werden, die<br />
soziale Randlage schreibt sich in den Körper ein. Die<br />
gesellschaftliche Entwertung verwirklicht sich dadurch<br />
auf fatale Weise bei den Menschen selbst und schädigt in<br />
der Folge den Körper physisch und psychisch. <strong>Arbeits</strong>lose<br />
haben oftmals das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden<br />
und nutzlos zu sein.<br />
Festzuhalten ist, dass nicht nur Arbeit den Körper<br />
schädigt, sondern auch Nicht-Arbeit! Die gesellschaftlichen<br />
Entwertungen aufgrund der Überbewertung von Arbeit<br />
und die sich daraus ableitenden Ausgrenzungen<br />
schädigen unmittelbar den Körper und verhindern eine<br />
Selbstbestimmung und Verwirklichung des Menschen.<br />
Der neue ‘flexible’ Kapitalismus benötigt nun aber<br />
Menschen, die sich unentwegt auf neue Aufgaben<br />
einstellen und sich ständig bereit zeigen, ihre <strong>Arbeits</strong>plätze,<br />
<strong>Arbeits</strong>zeiten, <strong>Arbeits</strong>- und Lebensformen und Wohnorte<br />
zu wechseln. Dies wirkt sich auch auf den Körper aus,<br />
der sich immer wandlungsfähiger zeigen soll. Die Körper<br />
werden im Neoliberalismus zwar immer stärker von harter<br />
physischer Arbeit entlastet, der psychische und soziale<br />
Druck nimmt jedoch zu. Das alte Ideal von Männlichkeit<br />
als ‘kraftstrotzender Kerl’ und Haupternährer der<br />
bürgerlichen Familie und die in der Öffentlichkeit kaum<br />
thematisierte bzw. unsichtbare Haus- und Ehefrau wird<br />
von der neoliberalen <strong>Arbeits</strong>welt zunehmend seltener<br />
nachgefragt. Es werden eher die smarten, in Fitnessstudios<br />
59
Körper und Arbeit - Arbeit am Körper<br />
gestylten, Finanz- und Businessmänner und jene Frauen,<br />
welche als Familienmanagerinnen auftreten - die Kinder,<br />
Haushalt und Karriere bewältigen - vom flexibilisierten<br />
Kapitalismus benötigt. Die Folge davon ist, dass der<br />
Neoliberalismus nicht nur zwischen den Geschlechtern<br />
fragmentiert und hierarchisiert, sondern auch innerhalb<br />
der Geschlechter. Deregulierung und das Versprechen von<br />
neuen Freiheiten und Visionen von Körpern verbinden sich<br />
mit einem unbedingten <strong>Zwang</strong> zur Vermarktung des eigenen<br />
Körpers. Es scheint ein neuer Modus der Bearbeitung bzw.<br />
Bewältigung kapitalistischer Vergesellschaftung und ihrer<br />
dauerhaft krisenhaften Ausformungen zu sein, dass die<br />
sozialen Widersprüche ‘modernisiert’ werden, indem den<br />
Individuen das individuelle Scheitern zum Vorwurf gemacht<br />
wird und sie so zur ständigen Selbstoptimierung und<br />
Flexibilisierung gedrängt werden.<br />
1 Der eigene Körper bezeichnet dabei die gesellschaftlich geprägte<br />
Vorstellung vom Leib als biologische Einheit.<br />
2 Hier hat vor allem Judith Butler mit ihrem Werk ‘Das Unbehagen der<br />
Geschlechter’ Pionierarbeit geleistet.<br />
3 Vgl. http://www.gender-killer.de/wissen%20neu/texte%20queer%20<br />
woltersdorf.htm<br />
60
Torsten Schulte<br />
Literatur zum Weiterlesen und Vertiefen<br />
DGB (2010): Gesundheitsrisiko <strong>Arbeits</strong>losigkeit – Wissensstand,<br />
Praxis und Anforderungen an eine arbeitsmarktintegrative<br />
Gesundheitsförderung; Berlin, <strong>Arbeits</strong>markt aktuell Nr. 09/August 2010.<br />
Kreisky, Eva (2006): Ermattete Staatskörper und (re-)vitalisierte<br />
Körpermärkte. Vergeschlechtliche Körperrituale im<br />
Neoliberalismus; in: Sauer, Birgit/Knoll, Eva-Maria (Hrsg.): Ritualisierung<br />
von Ge schlecht; Facult as Verlags - und Buchhandels AG, Wien, S. 223 -24 3.<br />
Lorey, Isabell (2006): Gouvernementalität und Selbst-Prekarisierung.<br />
Zur Normalisierung von KulturproduzentInnen. In: transversal.<br />
„Maschinen und Subjektivierung“, 1/2006. http://eipcp.net/<br />
transversal/1106/lorey/de (abgerufen am 01.03.2011)<br />
61
Hein Sauer<br />
62<br />
Arbeit in Köpfen -<br />
Bildungssysteme und Arbeit<br />
Arbeit und Bildung sind zwei untrennbare Bereiche. Dies<br />
liegt vor allem daran, dass die Entwicklung der bürgerlichen<br />
Gesellschaft die Entwicklung eines Bildungssystems<br />
verlangte. Bildungssysteme, wie wir sie kennen, sind nur<br />
denkbar in einer Gesellschaft, in der sie auf das „<strong>Arbeits</strong>leben“<br />
vorbereiten. Abgesehen von der Frage, ob Selbstbildung Arbeit<br />
ist, haben Bildungssysteme in zweierlei Hinsicht mit Arbeit zu<br />
tun. Sie sollen einerseits die Anforderungen von Lohnarbeit<br />
vermitteln und diejenigen vorsortieren die arbeiten gehen.<br />
Vermitteln...<br />
Die Erziehungswissenschaften, alternative Schulmodelle<br />
und die eigene Erfahrung als Schüler_in zeigen, dass<br />
die meisten staatlichen Bildungssysteme nur geringe<br />
Erfolge beim Vermitteln von Inhalten vorweisen. Trotzdem<br />
wird stur daran festgehalten. Statt Inhalte zu vermitteln,<br />
erweist sich insbesondere das deutsche Bildungssystem
Arbeit in Köpfen - Bildungssysteme und Arbeit<br />
als besonders effektiv darin, jungen Menschen die<br />
Regeln der kapitalistischen Gesellschaft zu vermitteln.<br />
Runter gebrochen bedeutet dies für Lohnabhängige: Erfülle<br />
die von dir verlangten Leistungen in gegebener Zeit! An<br />
folgenden Beispielen lässt sich dies zeigen.<br />
Autoritäten<br />
Schüler_innen lernen eine_n Lehrer_in als Autorität<br />
zu akzeptieren. Sie verinnerlichen, dass eine kleine<br />
Gruppe von Personen über ihren Bildungsweg<br />
entscheiden und deren Autorität nicht in Frage gestellt<br />
werden darf. Unterstützt und gesichert wird dies von<br />
Schulsystem und Gesellschaft durch Sanktionen.<br />
Dies führt nicht nur dazu, dass sie erlernen sich<br />
ihrer_m späteren Vorgesetzten unterzuordnen,<br />
sondern auch selbst autoritär zu handeln.<br />
Stundenpläne<br />
Obwohl Menschen unterschiedliche Schlafrhythmen<br />
haben, ist der frühmorgendliche Unterichtsbeginn für alle<br />
verbindlich. Auch die Aufnahmefähigkeit des Gehirns,<br />
erstreckt sich nicht immer bei allen auf 45 Minuten. Trotzdem<br />
ist dies der geregelte Takt der meisten Stundenpläne.<br />
Vorgegebene Stundenpläne sind nicht geeignet,<br />
individuelles Lernen sinnvoll zu strukturieren, sondern<br />
dienen dazu Menschen an feste <strong>Arbeits</strong>zeiten und<br />
-rhythmen zu gewöhnen. Wer ab dem 5./6. Lebensjahr<br />
gelernt hat damit umzugehen, wird den erlernten und<br />
aufgezwungenen Rhythmus nicht mehr in Frage stellen.<br />
63
Hein Sauer<br />
Noten<br />
In der Theorie sollen Noten vergleichbar machen, Schüler_<br />
innen zum Lernen motivieren und ihre Fähigkeiten offen<br />
legen. Aus verschiedenen Gründen ist dies problematisch:<br />
Noten sind kein Mittel, um Schüler_innen zum Lernen zu<br />
motivieren: Mehr als das, schlechte Noten demütigen und<br />
demotivieren, und gute Noten erzeugen Leistungsdruck.<br />
Zudem wird ein mögliches Interesse für die Inhalte vom<br />
Wettbewerb um gute Noten zurück gedrängt. Es muss sich<br />
deswegen auch niemand wundern, wenn ein Großteil des<br />
Lernstoffes wieder vergessen wird.<br />
Nicht das diese wünschenswert wäre, aber Noten erzeugen<br />
keine Vergleichbarkeit. Sondern sie beurteilen lediglich<br />
unterschiedliche Situationen an unterschiedlichsten<br />
Orten zu verschiedenen Zeiten. Dabei zeigt sich, dass der<br />
Notenspiegel in Klassen einer immer gleichen Verteilung<br />
von Noten folgt (Gauß-Kurve). Zudem sind Noten häufig nur<br />
Sympathiebekundungen von Lehrer_innen und werden als<br />
Bestrafung verwendet. Noten sind allerdings sehr gut zur<br />
Einschätzung der Anpassungsfähigkeit.<br />
Mit Noten wird Menschen auf ihrem „Bildungsweg“<br />
vermittelt, zu bestimmten Zeitpunkten die<br />
von ihnen erwartete ‘Leistung’ zu erbringen.<br />
...und sortieren<br />
In Form von Zeugnissen und Abschlüssen spielen Noten<br />
ihre letzte Trumpf-Karte am Ende eines Bildungswegs. Sie<br />
entscheiden über den Zugang zu Förder-, Haupt-, Realschule<br />
oder Gymnasium. Sie entscheiden über Berufsvorbereitung,<br />
64
Arbeit in Köpfen - Bildungssysteme und Arbeit<br />
Lehre oder Studium. Und letztendlich nach der<br />
„berufsspezifischen“ Ausbildung über die <strong>Arbeits</strong>situation.<br />
Schüler_innen, Auszubildende und Student_innen werden<br />
stetig sortiert – nach „Wertigkeit“. Scheinbar höherwertige<br />
Abschlüsse ermöglichen eine andere Qualifizierung für<br />
„wichtigere oder höherwertige“ Tätigkeiten oder den Zugang<br />
zu rar gehaltenen Lehr- und Studienplätzen (Psychologie,<br />
Lehrplätze in der Feinmechanik). Und „qualifizierte, wichtige<br />
und rare“ Fähigkeiten ermöglichen in der Regel eine besser<br />
Entlohnung. Dies hat drei Folgen:<br />
1. Einhergehend mit dieser Begründung werden niedrige<br />
Löhne für „nicht-qualifizierte“ Tätigkeiten legitimiert.<br />
Die hohe Anzahl der konkurrierenden Bewerber _<br />
innen drückt zudem die Löhne. Das Bildungssystem<br />
sorgt hier für viele „billige“ <strong>Arbeits</strong>kräfte, welche vom<br />
Kapitalismus auch heute noch verlangt werden.<br />
2. In einem akademischem Umfeld werden einerseits<br />
Voraussetzungen im Bildungssystem zu funktionieren<br />
geschaffen, andererseits die finanziellen Mittel<br />
3.<br />
bereitgestellt, um alle Hürden zu nehmen. Im<br />
Umkehrschluss heißt dies, dass Menschen ohne dieses<br />
Umfeld von vornherein benachteiligt sind.<br />
Selbst wenn ein Mensch das Interesse und die<br />
Fähigkeiten hat, einer Tätigkeit nachzugehen, wird sie<br />
oder er bei fehlenden Abschlüssen nicht die Möglichkeit<br />
haben, dies auch zu tun.<br />
Das Bildungssystem vermittelt Menschen nicht nur,<br />
sich der Arbeit anzupassen, sondern weist ihnen<br />
zugleich ihre gesellschaftliche Stellung zu. Diese im<br />
65
Hein Sauer<br />
Nachhinein zu verlassen, ist meist nur mit hohem<br />
(finanziellem) Aufwand möglich (z.B. durch Abendschulen).<br />
Selbstbestimmte Verhältnisse sind nur mit einer radikalen<br />
Veränderung des Bildungssystems möglich und bedürfen<br />
zwingend einem anderen Verständnis von Arbeit.<br />
66
Sophie Baumann<br />
Haeftling not wanted -<br />
Gefangenenarbeit in der BRD<br />
Kontextualisierung<br />
Rund um das Thema Haft kursieren Gerüchte und viele<br />
Geheimnisse, deswegen vorweg: Hinter diesem Artikel<br />
steht keine große Expertise zu Haft, dieser Text ist lediglich<br />
eine Ansammlung und Verortung zusammengetragener<br />
Informationen. Ich erhoffe mir davon neben einer<br />
Thematisierung von Haftbedingungen auch Gedanken<br />
und Debatten, inwieweit Auseinandersetzungen um<br />
Haftbedingungen – also juristisch, bürokratisch und<br />
vereinzelt politisch ausgetragene Kämpfe - gesellschaftliche<br />
Diskurse an anderen Orten strukturieren und mitprägen.<br />
Zur groben Einordnung: momentan sind knapp 77.000<br />
Gefangene in den 196 deutschen Justizvollzugsanstalten.<br />
„Arbeit für alle!...<br />
Knastarbeit vertreibt Zeit, hält Qualifikationen aufrecht<br />
und bringt denjenigen etwas bei, die zuvor noch nicht im<br />
67
Sophie Baumann<br />
Berufsleben gesteckt haben... Jailwear funktioniert. Denn das,<br />
was drin fabriziert wird, fasziniert die Menschen draußen.“<br />
(w-id-art’n-commerce)<br />
Für Strafgefangene und jugendliche Untersuchungshäftlinge<br />
herrscht in deutschen Knästen <strong>Arbeits</strong>zwang. Sie sind<br />
gesetzlich verpflichtet, 38,5 Wochenstunden <strong>gegen</strong> einen<br />
Lohn von 1,38 € in einer ihnen zugewiesenen Stelle zu<br />
malochen.<br />
Arbeit wird heute nicht mehr als Strafe, sondern als Modus<br />
der Resozialisierung gewertet. Das Bild hat sich weg<br />
entwickelt von Arbeit – ausschließlich harter körperlicher<br />
Arbeit – in einer durchwegs erniedrigenden, demütigenden<br />
und unterwerfenden Funktion hin zu einer erzieherischen<br />
<strong>Arbeits</strong>pflicht – in anderen Worten „Besserung durch<br />
Ordnung, Gehorsam und Gesundhaltung“ (Preußisches<br />
Gefängnishandbuch 1900, das Bundesverfassungsgericht<br />
folgt dieser Argumentation in seiner Rechtfertigung von<br />
Gefangenenarbeit vgl. Urteil vom 1.6.1998 BVerfG).<br />
Immer wieder werden außerdem ökonomische Argumente<br />
herangezogen, um <strong>Zwang</strong>sarbeit zu legitimieren: zum Beispiel<br />
das Ansparen von Überbrückungsgeld für die Zeit nach der<br />
Entlassung und die Unterstützung Familienangehöriger.<br />
Dysfunktional, angesichts der hohen Verschuldung, die<br />
Gefängnis für seine Insassinnen statistisch produziert,<br />
um sie anschließend perspektivischer <strong>Arbeits</strong>losigkeit<br />
auszuliefern. Eine vollständige Refinanzierung von Haft über<br />
die geleistete Arbeit ist ebenfalls unsinnig: Im Jahr 2007<br />
hat Berlin 154,4 Mio € für den Unterhalt von Gefängnissen<br />
ausgegeben, die Einnahmen durch Knastbetriebe betrugen<br />
nur 8,68 Mio € (Berliner Senatsverwaltung für Justiz).<br />
68
Haeftling not wanted - Gefangenenarbeit in der BRD<br />
Staatlich erzwungene Schwarzarbeit 1<br />
Die Insassin schuftet ohne <strong>Arbeits</strong>vertrag und gilt für<br />
die Sozialversicherungen als erwerbslos: sie ist nicht<br />
kranken-, renten- oder arbeitslosenversichert. Das ist<br />
insbesondere auch für Angehörige problematisch, die<br />
von der Insassin abhängig sind. Bei unverschuldetem<br />
<strong>Arbeits</strong>ausfall, wie Krankheit der Aufseherin führt fehlender<br />
Rechtsschutz zu Lohnausfall und Verbleib in der Zelle. Auch<br />
Gewerkschaftsrechte und die Möglichkeit zu streiken fallen<br />
hinter Gittern aus, eine Gefangene hat weder individuell durch<br />
Vertragsschluss noch kollektiv Einflussmöglichkeiten auf die<br />
Ausgestaltung ihrer <strong>Arbeits</strong>bedingungen. Eine Verweigerung<br />
kann allerdings zu heftigen Disziplinarmaßnahmen und<br />
Versagungen führen. Neben dem Entzug von Zeitungen und<br />
Taschengeld kann der Verweigererin der Hofgang (bis zu<br />
einer Woche) sowie das Briefe schreiben verwehrt und ein<br />
Haftkostenbeitrag erhoben werden (vgl. Fall von Andrea N.<br />
2008 in Essen: sie sollte monatlich rückwirkend 368,25€ für<br />
Essen und Zelle zahlen, §50 I StVollzG). Bis zu drei Monaten<br />
kann Hörfunk- und Radioempfang entzogen werden,<br />
Gegenstände zur Freizeitbeschäftigung beschlagnahmt,<br />
die Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen verboten,<br />
Vollzugslockerungen ausgesetzt werden. Im Extremfall<br />
wird sie bis zu 4 Wochen in eine Arrestzelle verfrachtet.<br />
Realitäten im Knast<br />
Arbeit steht im Mittelpunkt des Knastalltags. Sie löst die<br />
Gefangenen aus der Einsamkeit der Zelle, strukturiert den<br />
Tagesablauf, ermöglicht den Einkauf von Gemüse oder<br />
Tabak im Kiosk (3/7 des Lohns stehen der Gefangenen<br />
69
Sophie Baumann<br />
zur Verfügung, der Rest ist ihrem Zugriff entzogen, wird<br />
für sie von der Anstalt gespart – in einem Jahr erarbeitet<br />
sie sich so 1000€ Überbrückungsgeld). Trotz <strong>Arbeits</strong>pflicht<br />
liegt die <strong>Arbeits</strong>losigkeit in Haft bei ca. 40%, die<br />
Konkurrenz um die vorhandenen Stellen ist angespannt.<br />
In der größten bayerischen JVA in München-Stadelheim<br />
werden von aktuell 1700 Gefangenen gerade einmal 170<br />
zur Arbeit herangezogen (Voigt). Bundesweit sind 30%<br />
der Langzeiteinsitzenden arbeitslos. Für Frauen ist der<br />
Zugang zu Stellen zudem strukturell erschwert. Sie sind<br />
mehrheitlich in Männervollzugsanstalten mituntergebracht;<br />
dort haben sie aufgrund der Geschlechtertrennung zu vielen<br />
Infrastrukturen keinen Zugang.<br />
WM-Grill, Hundespielzeug, Holzosterhasen, Kerzenständer,<br />
Räuchermännchen. „In Haftanstalten werden Gefangene<br />
nicht etwa an hochmodernen Maschinen ausgebildet<br />
und ihnen alle Wege geebnet um problemlos höhere<br />
Bildungsabschlüsse zu erreichen, die ihnen nach<br />
ihrer Inhaftierung ermöglichen würden, außerhalb des<br />
Niedriglohnsektors einen Tätigkeit nachzugehen“, schreibt<br />
Thomas Meyer-Falk auf seiner Homepage, Insasse seit<br />
1998. Nur wenige Gefangene arbeiten selbstständig oder<br />
gar als Freigängerinnen im offenen Vollzug mit einem<br />
<strong>Arbeits</strong>vertrag. Zwei bis drei Monate pro Jahr kann die<br />
Anstalt ihre Gefangenen zu Hilfstätigkeiten heranziehen<br />
(§41 I 2 StVollzG). Die meisten versorgen in ihrer Arbeit<br />
entweder die Anstalt selbst (Wäscherei) oder produzieren<br />
für externe Abnehmerinnen. Teilweise bilden Anstalten aus:<br />
zur Gärtnerin, Köchin oder Lackiererin. Arbeiten für private<br />
Unternehmen laufen unter Aufsicht und werden angeordnet<br />
70
Haeftling not wanted - Gefangenenarbeit in der BRD<br />
und zugeteilt. Die Gefangenen ziehen Kordeln durch<br />
Einkaufstüten (für Douglas), verpacken Bügelbrettbezüge<br />
(für Tchibo) oder Bio- Kaffee (für Serco)... Immer mehr<br />
Großkonzerne steigen in die Knastproduktion ein und<br />
lösen die traditionelle Nutzung der Betriebsstätten durch<br />
mittelständische Unternehmen ab (Delius). Elektronik,<br />
Telekommunikation, Einzelhandelsketten und Mode<br />
kristallisieren sich als neue Knastbranchen heraus.<br />
Einige Firmen entwickeln Knastarbeit zu ihrer eigenen<br />
Identität: „made on the inside to be worn on the outside“<br />
(Werbeslogan von Prsn’ Blu). Kleidungsprodukte aus dem<br />
Knast heißen jetzt Jailwear. Mit „Produkten aus kreativen<br />
Zellen“ wirbt die Knastcouture von Haeftling (JVA Tegel) und<br />
Santa Fu (JVA Hamburg, Verkaufsstelle in Berlin: Videodrom<br />
Shop, Oranienstr. 195). In der Rosa-Luxemburg-Straße<br />
verkauft Haeftling „Bekleidung und Gebrauchs<strong>gegen</strong>stände,<br />
die eben ein klein wenig härter im Nehmen sind als die von<br />
draußen“, zum Beispiel ein Memory mit Tatoofotos der<br />
Insassinnen. „Das hallende Sprachgewirr auf den Fluren,<br />
die scheppernden Durchsagen durch den Lautsprecher,<br />
das ständig wiederkehrende Klappern von Schlüsseln und<br />
Einrasten von Gittertüren und dazwischen das rhythmische<br />
Ächzen aus dem Kraftraum“ kann man sich auf der Original-<br />
Knast-CD von Santa FU anhören und damit laut Homepage<br />
zugleich ein Erlebnis persönlicher Wiedergutmachung für<br />
Insassinnen durch die Unterstützung von Opferschutz leisten<br />
– einen Teil des Erlöses leitet Santa Fu an den reaktionären<br />
Weißen Ring.<br />
71
Sophie Baumann<br />
Schlaraffenland und Illusionsmaschine Knast<br />
“Es fallen keine Sozialabgaben an, es entstehen<br />
keine Ausfallzeiten durch Krankheit, Sonderzahlungen<br />
(Weihnachts- oder Urlaubsgeld) entfallen, eine flexible<br />
Anpassung der Beschäftigtenzahl an die Auftragslage<br />
ist problemlos möglich.” (Homepage der JVA Trier)<br />
Knastarbeit unter diesen Bedingungen wird von Unternehmen<br />
erfolgreich zur selbstlosen Mildtätigkeit verklärt. Firmen<br />
übernehmen fiktive soziale Verantwortlichkeiten der<br />
„Illusionsmaschine Knast“ (Schlieter), verkannt wird<br />
der rechtlose Status der verpflichteten Insassin. Dabei<br />
wird das Gefängnissystem selbst integriert, nicht aber<br />
dessen Insassinnen. Diese sind „als <strong>Arbeits</strong>kräfte nur<br />
solange interessant, wie sie als Häftlinge zum Niedriglohn<br />
produzieren“ (Delius). Der echte <strong>Arbeits</strong>vertragsschluss mit<br />
Freigängerinnen oder Entlassenen findet äußerst selten statt.<br />
Neben der Kritik an medialer Verklärung eines <strong>Arbeits</strong>ethos<br />
im Knast und an <strong>Arbeits</strong>bedingungen – geringe Entlohnung,<br />
Monotonie, ungenügender Rechtsschutz, Ausgliederung<br />
aus dem Sozialsystem und <strong>Arbeits</strong>losigkeit – muss der<br />
<strong>Zwang</strong> zur Arbeit grundsätzlich infrage gestellt werden,<br />
unabhängig davon wie viele Häftlinge sich ihm momentan<br />
hörbar erwehren. Knast baut eine Struktur der Arbeit<br />
entkoppelt von jedweden <strong>Arbeits</strong>rechten, die auch nicht<br />
den Zugang zu Konsum oder sozialer Sicherheit eröffnet,<br />
aber diskursiv mit dem Ziel der Resozialisierung belegt<br />
ist. Gefangenenarbeit leistet somit die Konstruktion eines<br />
radikalen ethischen Mythos: Arbeit als Voraussetzung für<br />
gesellschaftliche Teilhabe, ohne dass die Arbeit selbst aber<br />
Raum für Handlungs- und Entscheidungsfreiheit schafft.<br />
72
Haeftling not wanted - Gefangenenarbeit in der BRD<br />
bleibt nur<br />
<strong>Zwang</strong>sarbeit in Knästen abschaffen.<br />
Und übrigens:<br />
„Knast ist grundsätzlich der falsche Weg, er hat keine Fehler,<br />
sondern er ist der Fehler.“ (Michel im abolitionistischen<br />
Gefangenenrundbrief Mauerfall Nr. 18, 2009)<br />
1 Juristische Hintergründe: Gefängniszwangsarbeit ist in Art. 12 III GG, §41<br />
StVollZG, Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 1.6.1998 und Beschluss<br />
vom 23.4.2002 BverfG, Art. 4 III EMRK sowie nach EUGrCh, und ILO- Abkommen<br />
von 1930 (in Neufassung 1975) festgeschrieben. Mit der Föderalismusreform<br />
ist der Strafvollzug seit 2008 Ländersache, allerdings ist diese<br />
weitgehend noch nicht umgesetzt. Laut Berliner Koalitionsvereinbarung ist<br />
ein eigenes Landesvollzugsgesetz geplant (Berliner Perspektiven für eine<br />
starke Wirtschaft, gute Arbeit und sozialen Zusammenhalt- Koalitionsvereinbarung<br />
zwischen SPD und CDU 2011-2016, S.71).<br />
Bis dahin nennt die Berliner Senatsverwaltung das StVollzG weiterhin als<br />
Grundlage des Justizvollzugs (http://www.berlin.de/sen/justiz/justizvollzug/<br />
info_index.html). Nur für Jugendliche gibt es in Berlin bisher eigene Gesetze.<br />
Sie enthalten auch die sanktionsbewehrte Pflicht zu arbeiten: §§ 37 II 2 , 83<br />
II Nr.4, III JStVollzG Bln,§ 71 II UVollzG Bln.<br />
Martin Singe bewertet das Konstrukt gesetzlich normierten <strong>Arbeits</strong>zwangs<br />
als staatlich erzwungene Schwarzarbeit.<br />
73
Sophie Baumann<br />
74<br />
Literatur zum Weiterlesen und Vertiefen<br />
www.labournet.de, www.strafvollzugsarchiv.de, Loïc Wacquant: Das<br />
Janusgesicht des Ghettos und andere Essays, 2006;<br />
Kai Schlieter: Knast Report. Das Leben der Weggesperrten, 2011<br />
Grundlagen des Texts:<br />
Martin Singe: Vollzugsdefizit- staatlich erzwungene Schwarzarbeit in<br />
Knästen, 2010<br />
Ilka Kreutzträger: Kontroverses Geschäftsmodell, 2007<br />
taz (hier auch das Zitat von w-id-art’n-commerce entnommen); Robert<br />
Ortmann: Ach wie gütig!, 2008<br />
fau berlin; Jana Brenner: Heiße Ware aus dem Knast, 2007<br />
Jungle World; Loïc Wacquant: Vier Strategien zur Eindämmung der<br />
Gefängniskosten, 2002<br />
Institute for Legal Research der University of California; Wilhelm Voigt:<br />
Prekarisierung und Masseninhaftierung, 2004<br />
Thomas Meyer-Falk: Strafvollzug und <strong>Arbeits</strong>zwang, 2003 (Hinweis auf<br />
Preußisches Gefängnishandbuch)<br />
Joseph Delius: Die Strafgesellschaft, 2000<br />
Soligruppe für andrea: Keine Rose für Svarowski; 2008;<br />
Freiabonnements für Gefangene e.V.: Lesen in Haft- eine Umfrage,<br />
2006; www.berlin.de/senjust/index.html<br />
Berliner Perspektiven für eine starke Wirtschaft, gute Arbeit und sozialen<br />
Zusammenhalt- Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU 2011-<br />
2016
Paul Brettel<br />
Wer nimmt uns die Arbeit weg?<br />
Zum Verhältnis von Migration und Arbeit<br />
«Die Ausländer(_innen) nehmen uns die Arbeit weg!» tönt<br />
es in regelmäßigen Abständen von NPD über die Bild-<br />
Zeitung bis zu rechten Gewerkschafter_innen. Jenseits der<br />
in dieser Broschüre behandelten Frage, was eigentlich so<br />
schlimm daran ist, wenn einer_m die Arbeit weggenommen<br />
wird, sollen hier die Folgen dieser rassistischen<br />
Aufspaltung in ‘Ausländer_innen’ und ‘Deutsche’ zum<br />
vermeintlichen Zweck, der deutschen Selbstrettung<br />
beleuchtet werden. Als ‘Ausländer_innen’ kategorisierte<br />
Menschen sind von vielfältigen Diskrmininierungen und<br />
Herrschaftsmechanismen betroffen. Dies gilt insbesondere<br />
in Bezug auf die kapitalistische Verwertungslogik, in der<br />
diese als quasi-rechtlose Verschiebemasse auf dem<br />
<strong>Arbeits</strong>markt ausgebeutet werden.<br />
Jedoch kann die Gruppe der «Migrant_innen» nicht als eine<br />
einheitliche Gruppe beschrieben werden. Unterschiede<br />
lassen sich anhand gesellschaftlicher Diskurse wie auch der<br />
75
Paul Brettel<br />
rechtlichen Situation nachzeichnen.<br />
Obgleich Zuschreibungen auf rassistischen Grundannahmen<br />
beruhen und im Sinne einer antirassistischen Politik<br />
kritisiert und dekonstruiert werden müssen, können sie bei<br />
einer Analyse der Diskriminierung <strong>gegen</strong>über Migrant_innen<br />
nicht vernachlässigt werden. Schon die Begriffe «Migrant_<br />
in», «Deutsche_r» und «Ausländer_in» eröffnen die Frage,<br />
wer eigentlich als solche_r wahrgenommen wird – und wer<br />
darüber entscheidet. Durch diese rassistische Trennung<br />
werden die Alltagserfahrungen der Betroffenen geprägt; die<br />
entsprechenden Zuschreibungen werden so wirkmächtig.<br />
Sie sind weiterhin nach verschiedenen Kategorien<br />
differenziert, beispielsweise vermuteter «Ethnizität»,<br />
Hautfarbe, Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, usw.: Einem<br />
jungen alleinstehenden Inder, der für einige Jahre in<br />
Deutschland in einem gutbezahlten IT-Job arbeitet werden<br />
ganz andere Eigenschaften zugeschrieben als einer<br />
alleinerziehenden Kurdin, die vor 20 Jahren aus politischen<br />
Gründen nach Deutschland geflohen ist. Wieder anders ist<br />
das Schicksal eines Bürgerkriegsflüchtlings aus Sri Lanka,<br />
und hiermit schwer zu vergleichen das einer britischen<br />
Ingenieurin.<br />
Ohne Begriffe lässt sich der Themenkomplex jedoch nicht<br />
behandeln. Wichtig ist insbesondere, die Einteilungen<br />
als willkürlich zu verstehen, und sich von einem<br />
essentialistischen Verständnis zu distanzieren. Darauf soll<br />
im Folgenden punktuell durch Formulierungen hingewiesen<br />
werden – eine konsequent antirassistische Sprache scheint<br />
mir jedoch nicht möglich zu sein.<br />
76
Wer nimmt uns die Arbeit weg? Zum Verhältnis von Migration und Arbeit<br />
Neben der diskursiven Ebene befinden Migrant_innen<br />
sich auch auf rechtlicher Ebene in sehr unterschiedlichen<br />
Situationen. Diese Ausdifferenzierung lässt sich anhand<br />
historischer Entwicklungslinien nachzeichnen. Obwohl<br />
Migration schon sehr viel früher existierte, sind die für<br />
die heutige Zeit bedeutenden Migrationsphasen nach<br />
Deutschland erst in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg<br />
aufgekommen.<br />
Anwerbephase<br />
Die 1955 begonnene «Anwerbephase» beruhte auf dem<br />
gezielten Anwerben migrantischer Arbeitnehmer_innen,<br />
die über Verträge mit den Herkunftsländern, z.B. Italien,<br />
Griechenland, Türkei, ehem. Jugoslawien, angeworben<br />
wurden. Ziel war es, die Migrant_innen - anfangs waren<br />
dies fast ausschließlich junge Männer - für eine begrenzte<br />
Zeit in Deutschland arbeiten zu lassen, bevor sie wieder in<br />
ihr Herkunftsland emigrieren sollten. In vielen Fällen zogen<br />
im Lauf der Jahre die Familien nach und lebten sich in<br />
Deutschland ein. Sie blieben nach dem Anwerbestopp 1973<br />
in Deutschland, da sie sich in ihr soziales Umfeld eingelebt<br />
hatten und so der häufig schwierigen wirtschaftlichen und<br />
politischen Situation in ihren Herkunftsländern entgehen<br />
konnten. Während die damaligen Migrant_innen heute<br />
größtenteils schon im Rentenalter sind, sind ihre Kinder<br />
und Enkel, auch als Migrant_innen zweiter und dritter<br />
Generation bezeichnet, heute im lohnarbeitsfähigen Alter.<br />
Obgleich diese oft wenig mit dem Herkunftsland ihrer Eltern<br />
bzw. Großeltern verbindet und sie auch die entsprechende<br />
Sprache nicht sprechen, werden sie noch als Ausländer_<br />
77
Paul Brettel<br />
innen wahrgenommen und mit den entsprechenden<br />
Zuschreibungen stigmatisiert - leicht erkennbar am<br />
Stereotyp des türkischen Machos, der vermeintlich meist<br />
dumm, faul, homophob und gewalttätig ist. Folglich werden<br />
Schwächephasen in der Schule als Zeichen von Unfähigkeit<br />
und Faulheit gedeutet, während bei «biodeutschen*»<br />
Jugendlichen auf eine schwierige Phase in der pubertären<br />
Entwicklung geschlossen wird. Eine längere freie Zeit nach<br />
dem Schulabschluss wird bei «biodeutschen» Jugendlichen<br />
als eine notwendige Orientierungsphase gesehen, während<br />
rassistisch markierte als Sozialschmarotzer_innen<br />
bezeichnet werden, die dem deutschen Staat auf der Tasche<br />
liegen. Auch bei dem Versuch, lohnarbeiten zu gehen, sind<br />
die Betroffenen in einer weitaus schwierigeren Lage als<br />
westeuropäisch wahrgenommene Menschen. Sowohl die<br />
individuellen Erfahrungen der Diskriminierten, als auch<br />
zahlreiche Studien zeigen, dass vermeintliche Migrant_<br />
innen bei gleicher Qualifikation schlechtere Chancen haben,<br />
einen Job zu bekommen.<br />
Die genannten Mechanismen führen dazu, dass<br />
«Ausländer_innen» in wenig qualifizierten Jobs landen, wie<br />
zum Beispiel im Reinigungsgewerbe, in der Gastronomie<br />
oder auf dem Bau – oft in Kombination mit Nachtarbeit.<br />
Viele dieser Betätigungen sind gesellschaftlich ausgrenzend<br />
und verstärken so den Mythos der schlecht integrierten<br />
* Die Bezeichnung «biodeutsch» wurde von Betroffenen eingeführt, um<br />
einerseits die Unterscheidung zwischen deutscher Staatsbürger_innenschaft<br />
und weißer Mehrheitsgesellschaft aus eigener Perspektive zu benennen<br />
und andererseits das gängige ‘Deutsch-Sein-Verständnis’ als rassistisch und<br />
biologistsich zu markieren.<br />
78
Wer nimmt uns die Arbeit weg? Zum Verhältnis von Migration und Arbeit<br />
Ausländer_innen. Auch Schutz vor unzumutbaren und<br />
arbeitsrechtlich fraglichen Betätigungen ist für viele<br />
Ausländer_innen schwer erreichbar: Beispielsweise ist<br />
der gewerkschaftliche Organisationsgrad ausländischer<br />
Arbeitnehmer_innen in ihren entsprechenden Branchen<br />
geringer als bei deutschen Staatsbürger_innen. Gründe<br />
hierfür dürften unter anderem die Orientierung vieler<br />
Gewerkschaften an traditionellen Mitgliedergruppen sein.<br />
In Anbetracht dieser vielfältigen Erschwernisse<br />
wirken die Schuldzuweisungen bzgl. der mangelnden<br />
Leistungsbereitschaft und der Bildung migrantischer<br />
Parallelgesellschaften durch den rassistischen deutschen<br />
Mob, angeführt von Sarrazin, Lafontaine, Seehofer und co.<br />
wie blanker Hohn.<br />
Gesteuerte Zuwanderung<br />
In den letzten Jahren besitzt ein großer Teil der nach<br />
Deutschland kommenden «<strong>Arbeits</strong>migrant_innen» eine<br />
höhere berufliche Qualifikation, als dies in der Anwerbephase<br />
der Fall war. Dies ist Folge zunehmender Regulierung<br />
der Migration auf nationalstaatlicher wie auch auf EU-<br />
Ebene. Das Paradigma ist dabei das einer «gesteuerten<br />
Zuwanderung», die sich an den wirtschaftlichen und<br />
arbeitsmarktpolitischen Interessen der Zielländer orientiert.<br />
Während über das Freizügigkeitsgesetz die Migration<br />
zwischen EU-Ländern für Unionsbürger_innen auf der<br />
Suche nach Lohnarbeit praktisch uneingeschränkt<br />
ermöglicht wurde, bestehen für Nicht-EU-Ausländer_innen<br />
deutliche Beschränkungen.Geregelt wird der Aufenthalt von<br />
Ausländer_innen in Deutschland über das Aufenthaltsgesetz<br />
79
Paul Brettel<br />
(AufenthG). Dieses enthält zwei Stufen des Aufenthalts: Die<br />
streng regulierte und zeitlich begrenzte Aufenthaltserlaubnis<br />
und die unbefristete und zweckunabhängige<br />
Niederlassungserlaubnis.<br />
Die Niederlassungserlaubnis kann Ausländer_innen<br />
erteilt werden, die seit mindestens 5 Jahren eine<br />
Aufenthaltserlaubnis haben, deren Lebensunterhalt gesichert<br />
ist und die mindestens 60 Monate in die Rentenversicherung<br />
eingezahlt haben. Von diesen Bedingungen ausgenommen<br />
werden können jedoch «Hochqualifizierte».<br />
Für alle anderen ist der Weg zur Niederlassungserlaubnis<br />
lang und gepflastert von restriktiven Regelungen. Bei<br />
Verfehlungen droht immer das Auslaufen oder der Entzug<br />
der Aufenthaltsgenehmigung.<br />
Von Bedeutung für viele nach Deutschland Migrierende sind<br />
die Bestimmungen über den «Aufenthalt zum Zweck der<br />
Ausbildung» (Abschnitt 3 des AufenthG) und den «Aufenthalt<br />
zum Zweck der Erwerbstätigkeit» (Abschnitt 4 des AufenthG).<br />
Für Studierende beträgt die maximale Geltungsdauer der<br />
Aufenthaltserlaubnis zunächst 2 Jahre. Sie kann verlängert<br />
werden, sofern « der Aufenthaltszweck noch nicht erreicht ist<br />
und in einem angemessenen Zeitraum noch erreicht werden<br />
kann.» (§16(1), AufenthG)<br />
Studierende sind damit zum Einen darauf angewiesen, den<br />
Behörden hinreichenden Erfolg in ihrem Studium vorweisen<br />
zu können, zum Anderen sind sie nicht BaföG-berechtigt,<br />
und darum meist auf Erwerbstätigkeit neben ihrem Studium<br />
angewiesen. Diese wird jedoch auf 90 Tage im Jahr oder<br />
studentische Nebentätigkeiten beschränkt.<br />
80
Wer nimmt uns die Arbeit weg? Zum Verhältnis von Migration und Arbeit<br />
Weiterhin regelt das Gesetz: «Nach erfolgreichem Abschluss<br />
des Studiums kann die Aufenthaltserlaubnis bis zu einem<br />
Jahr zur Suche eines diesem Abschluss angemessenen<br />
<strong>Arbeits</strong>platzes [...] verlängert werden.» (§16(4), AufenthG).<br />
Auch während dieser Zeit müssen die Betroffenen<br />
ohne staatliche Transferleistungen auskommen.<br />
Kombiniert mit möglichen Sprachproblemen zeigt sich,<br />
dass ausländische Studierende, die unter die genannte<br />
Regelungen fallen, einem immensen Leistungsdruck und<br />
<strong>Arbeits</strong>zwang ausgesetzt sind.<br />
Auch Migrant_innen, die «zum Zweck der Erwerbstätigkeit»<br />
nach Deutschland einreisen, haben mit ähnlichen<br />
Zwängen zu leben. Der Zweck ihres Aufenthalts in<br />
Deutschland ist klar geregelt: «Die Zulassung ausländischer<br />
Beschäftigter orientiert sich an den Erfordernissen des<br />
Wirtschaftsstandortes Deutschland unter Berücksichtigung<br />
der Verhältnisse auf dem <strong>Arbeits</strong>markt und dem Erfordernis,<br />
die <strong>Arbeits</strong>losigkeit wirksam zu bekämpfen.» (§18(1),<br />
AufenthG)<br />
Ob diese im Einzelfall oder für eine bestimmte Branche<br />
zutrifft, entscheidet die Bundesagentur für Arbeit. Zur<br />
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis muss zunächst ein<br />
(Lohn-)<strong>Arbeits</strong>platzangebot vorliegen. Im Folgenden prüft die<br />
Bundesagentur für Arbeit, ob die Stelle an Deutsche oder<br />
ihnen rechtlich gleichestellte Ausländer_innen vergeben<br />
werden könnte. Nur wenn dies nicht der Fall ist, kann eine<br />
Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.<br />
Sonderregelungen gelten für «Hochqualifizierte», Forscher_<br />
innen und Selbständige. Diese Regelungen betreffen<br />
jedoch ausschließlich Menschen, die schon in ihren<br />
81
Paul Brettel<br />
Herkunftsländern sozial Privilegiert sind. Im Fall von<br />
Selbständigen wird dies dadurch konkretisiert, dass unter<br />
anderem mindestens 250 000 Euro investiert werden<br />
müssen.<br />
Eine Aufenthaltserlaubnis ist immer zweckgebunden<br />
und befristet. Konkret bedeutet dies, dass die<br />
Aufenthaltserlaubnis in den obengenannten Fällen an den<br />
Studien- oder <strong>Arbeits</strong>platz gebunden ist. Entfällt dieser –<br />
beispielsweise durch Entlassung oder Abbruch des Studiums<br />
– so kann die Aufenthaltserlaubnis verkürzt werden.<br />
Dies bedeutet für Arbeitnehmer_innen, dass sie auf eine<br />
dauerhafte Erwerbstätigkeit angewiesen sind und unter<br />
einem weit stärkeren Druck stehen, als dies bei ihren<br />
Kolleg_innen der Fall ist. Sie sind der Willkür ihrer Chefs<br />
noch stärker ausgesetzt und damit leichter unter Druck zu<br />
setzen. Arbeitnehmer_innenrechte gelten so für Ausländer_<br />
innen in der Praxis nur eingeschränkt.<br />
Blue Card<br />
Auch im Rahmen der EU wird in den letzten Jahren auf<br />
das Anwerben von «Hochqualifizierten» gedrängt. Ähnlich<br />
wie die deutsche Gesetzgebung legt auch die Richtlinie<br />
2009/50/EG, die die Einführung einer «Blue Card» regelt,<br />
strenge Anforderungen an die Betroffenen. Der zur Einreise<br />
nachzuweisende <strong>Arbeits</strong>vertrag oder das verbindliche<br />
<strong>Arbeits</strong>platzangebot muss ein Gehalt garantieren, das<br />
mindestens das Anderthalbfache des durchschnittlichen<br />
Gehalts in dem betreffenden Mitgliedstaat entspricht. Auch<br />
hier kann zunächst EU-Bürger_innen und schon länger in der EU<br />
82
Wer nimmt uns die Arbeit weg? Zum Verhältnis von Migration und Arbeit<br />
lebenden Drittstaatangehörigen der Vorzug gegeben werden.<br />
Die Blue Card hat eine Gültigkeitsdauer von 1 bis 4 Jahren,<br />
kann jedoch entzogen werden, sofern der_die Inhaber_in<br />
den eigenen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann oder<br />
über 3 Monate, bzw. mehr als einmal arbeitslos war.<br />
Die Blue-Card-Initiative ist ein wichtiger Baustein des<br />
Konzepts der zirkulären Migration, das in den vergangenen<br />
Jahren in Europa von verschiedenen rechten Politiker_<br />
innen, insbesondere Nicolas Sarozy und Wolfgang<br />
Schäuble, vorangetrieben wurde. Statt dauerhaft in Europa<br />
leben zu dürfen, sollen hiernach Migrant_innen (und<br />
dies vor allem «hochqualifizierte») nur befristet in Europa<br />
leben dürfen, bevor sie zurück in ihre Herkunftsstaaten<br />
ausreisen müssen. Der Zweck des Aufenthalts soll rein<br />
lohnarbeitsgebunden sein. Insbesondere soll, nach Meinung<br />
der migrationspolitischen Hardliner, eine Verstetigung<br />
der Migration verhindert werden. Die Betroffenen<br />
Ausländer_innen sollen also eben nicht, wie sonst oft<br />
gefordert, die Möglichkeit bekommen, sich am sozialen,<br />
kulturellen und politischen Leben beteiligen zu können.<br />
Flüchtlinge und Illegalisierte<br />
Für Flüchtlinge stellt sich das Bild zunächt umgekehrt dar:<br />
Sie bekommen im Allgemeinen keine <strong>Arbeits</strong>erlaubnis<br />
und müssen von Sozialleistungen leben, die weit unter<br />
dem Existenzminimum liegen. Nur in Sonderfällen<br />
kann Flüchtlingen im Asylverfahren nach mindestens<br />
einem Jahr und Geduldeten eine <strong>Arbeits</strong>erlaubnis<br />
erteilt werden. Für Geduldete ist der Nachweis<br />
einer Lohnarbeit jedoch zugleich Voraussetzung,<br />
83
Paul Brettel<br />
um einen Antrag auf Bleiberecht stellen zu können.<br />
Zugleich sehen sich Migrant_innen oft mit der<br />
Nichtanerkennung ihrer Ausbildungen aus dem Ausland<br />
konfrontiert. Dies erschwert die Suche nach einer<br />
angemessen bezahlten Lohnarbeit ungemein. Viele gut<br />
ausgebildete Migrant_innen landen so in schlechtbezahlten<br />
Jobs wie beispielsweise im Reinigungsgewerbe.<br />
Zudem leben in Deutschland nach Schätzungen zwischen<br />
500.000 und 1 Million Illegaliserte. Diese kommen entweder<br />
auf nicht-legalem Weg nach Deutschland, oder bleiben nach<br />
Ablaufen eines legalen Aufenthalts in Deutschland (z.B. nach<br />
einem abgelehnten Asylantrag, nach einem touristischen<br />
Aufenthalt mit Visum, oder am Ende einer Au-Pair-Tätigkeit).<br />
Illegalisierte müssen nicht-dokumetierte Arbeit verrichten,<br />
um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Ein Großteil dieser<br />
Tätigkeiten findet in der privaten und gesellschaftlichen<br />
Reproduktionsarbeit (Hausarbeit, Reinigungsgewerbe, Care<br />
Work, Gastronomie), in der Sexarbeit und im Baugewerbe statt.<br />
Oft wird hier von inneren Delokalisierungen gesprochen:<br />
Während viele Jobs in andere Länder ausgelagert werden, in<br />
denen erheblich geringere Gehälter gezahlt werden, ist dies<br />
in den genannten Bereichen nicht möglich. Diese müssen<br />
daher von Menschen verrichtet werden, die zwar vor Ort<br />
leben, jedoch weit unter den hiesigen branchenüblichen<br />
Löhnen beschäftigt werden können.<br />
Insbesondere in der Reproduktionsarbeit sind die<br />
Betroffenen öffentlich nicht sichtbar und müssen unter<br />
unwürdigsten Bedingungen zu Hungerlöhnen arbeiten. Da<br />
ihre Beschäftigungsverhältnisse nicht dokumentiert sind,<br />
genießen sie kaum arbeitsrechtlichen Schutz. So kann<br />
84
Wer nimmt uns die Arbeit weg? Zum Verhältnis von Migration und Arbeit<br />
der_die Arbeitgeber_in beispielsweise den Lohn einbehalten<br />
oder gar körperliche Gewalt anwenden. Die Betroffenen<br />
können daraufhin nicht ohne weiteres vor Gericht ihre<br />
Rechte einklagen.<br />
Da die genannten Witschaftszweige jedoch auf die<br />
Existenz der Illegalisierten als billige <strong>Arbeits</strong>kräfte<br />
angewiesen sind, haben diese die Möglichkeit, sich zu<br />
wehren. So schlossen sich im Frühjahr 2008 zahlreiche<br />
Illegalisierte in Frankreich zusammen, um <strong>gegen</strong> die<br />
menschenunwürdigen Bedingungen zu protestieren und<br />
ein reguläres Bleiberecht einzufordern. Insbesondere<br />
der Gastronomiebereich musste stark unter den Streiks<br />
leiden und zahlreiche Restaurants in der Region Paris<br />
konnten ihre Kund_innen nicht mehr bedienen. Der Protest<br />
erreichte eine Reihe von Legalisierungen und die sanspapiers-Bewegung<br />
bekam eine breite öffentliche Solidarität.<br />
Auch die linke Gewerkschaft cgt unterstützte die Aktionen<br />
der Illegalisierten. Dies zum Einen aus politischer<br />
Grundüberzeugung und dem Selbstverständnis,<br />
Arbeitnehmer_innen zu unterstützen – also auch nichtdokumentierte<br />
Arbeitnehmer_innen. Zum Anderen, weil<br />
die Dumpinglöhne der Illegalisierten auch die Löhne der<br />
anderen Beschäftigten drücken.<br />
Obgleich in Deutschland Aktionen in einem solchen Rahmen<br />
(noch) nicht stattgefunden haben, lassen sich zumindest<br />
erste Ansätze von Zusammenarbeit der Gewerkschaften<br />
mit Illegaliserten erkennen, die noch vor einigen Jahren<br />
schwer vorstellbar waren. Obgleich formal auch für<br />
informelle Arbeit Arbeitnehmer_innenrechte gelten, sind<br />
diese für die einzelnen Beschäftigten nicht einklagbar,<br />
85
Paul Brettel<br />
ohne die Gefahr der sofortigen Abschiebung einzugehen.<br />
Für genau diese Problematiken gründete sich der<br />
<strong>Arbeits</strong>kreis «Undokumetierte Arbeit» bei ver.di. 2008 wurde<br />
die erste gewerkschaftliche Beratungsstelle für Menschen<br />
ohne gesicherten Aufenthalt in Hamburg eröffnet und fand<br />
2010 auch im Hamburger DGB Anerkennung. Obgleich<br />
eine deutlich stärkere Unterstützung und öffentliche<br />
Positionierung der deutschen Gewerkschaften für<br />
Illegaliserte nötig wäre, scheint ein Anfang getan zu sein.<br />
Schluss mit dem rassistischen Normalzustand!<br />
Die deutsche und europäische Einwanderungspolitik<br />
ist weiterhin fast ausschließlich an Lohnarbeit (oder an<br />
eine Ausbildung zur Lohnarbeit) gebunden. Die einzige<br />
Ausnahme bilden Flüchtlinge, deren Zahl jedoch – unter<br />
anderem aufgrund der repressiven Asylpolitik - in den letzten<br />
20 Jahren um ein Vielfaches abgenommen hat.<br />
Fast allen Migrant_innen gemeinsam ist, dass sie in vielen<br />
Bereichen rechtlich <strong>gegen</strong>über deutschen Staatsbürger_<br />
innen diskriminiert werden. Zugleich müssen sie jedoch,<br />
dieser Benachteiligung zum Trotz, in vielen Fällen nachweisen,<br />
dem «Wirtschaftsstandort Deutschland» nützlich zu sein.<br />
Außereuropäische Migrant_innen müssen damit immer<br />
mehr den Vorstellungen einer gesteuerten Einwanderung<br />
entsprechen, um überhaupt das Recht zu haben, in<br />
Deutschland oder Europa zu leben. So stehen Ausländer_<br />
innen im Allgemeinen einem «Misstrauensvorschuss»<br />
<strong>gegen</strong>über, werden jedoch zugleich als rechtloses<br />
verwertbares Humankapital zu Dumpinglöhnen ausgebeutet.<br />
86
Wer nimmt uns die Arbeit weg? Zum Verhältnis von Migration und Arbeit<br />
Migrationspolitik darf sich jedoch nicht an einer<br />
Verwertungslogik orientieren, die Menschen nach ihrem<br />
«wirtschaftlichen Nutzen» bewertet. Migration darf kein<br />
Privileg einer «Elite» sein, die aufgrund ihres sozialen<br />
Status die Möglichkeit hat, in Europa anerkannte<br />
Berufsausbildungen zu absolvieren, und sich somit das<br />
Recht auf ein Leben innerhalb der Mauern der Festung<br />
Europa erwirbt.<br />
Die schrittweise Öffnung der innereuropäischen Grenzen<br />
kann als Beispiel für die Öffnung staatlicher Grenzen<br />
gesehen werden. Im Fall der EU geht dieser Fortschritt für<br />
Europäer_innen jedoch mit einer zunehmenden Abschottung<br />
<strong>gegen</strong> Nicht-Europäer_innen einher. Eine emanzipatorische<br />
Politik sollte nicht die Privilegien einer Gruppe von Menschen<br />
auf Kosten der weiterhin Ausgeschlossenen ausbauen.<br />
Notwendig ist vielmehr die Öffnung aller Grenzen, verbunden<br />
mit der Einführung globaler sozialer und demokratischer<br />
Rechte.<br />
87
Susanne Scheckel<br />
88<br />
Hartz IV und die Agenda 2010<br />
BRD 2003: Die Wirtschaft schrumpft, der Staat ist<br />
überschuldet und der Export schwächelt. Die Medien<br />
zeichnen ein düsteres Bild und die Bürger_innen wissen: bald<br />
kann die Konjunktur ihren Arm der Armut auch nach ihnen<br />
ausstrecken. Doch natürlich gibt es eine letzte Rettung. Die<br />
rot-grüne Regierung hat die Schuldigen für die wirtschaftliche<br />
Talfahrt bereits identifiziert und eine Lösung parat, um<br />
Deutschland vor dem Untergang zu bewahren. Mit der<br />
Agenda 2010 startet die SPD den von Arbeitgeberverbänden<br />
lange geforderten Paradigmenwechsel in der<br />
<strong>Arbeits</strong>marktpolitik. Die Wirtschaft soll endlich vom Korsett<br />
des Fürsorgestaates befreit und den Menschen wieder<br />
mehr Selbstverantwortlichkeit zugemutet werden. Neben<br />
kreativen Neuerungen wie Mini-Jobs und Praxisgebühr<br />
wird die <strong>Arbeits</strong>losenversicherung grundsätzlich neu<br />
geordnet. Mit der Parole „Fördern und Fordern“ wurde<br />
die Sozial- und <strong>Arbeits</strong>losenhilfe auf das Niveau der alten<br />
Sozialhilfe abgesenkt. Ein Heer von schlecht ausgebildeten<br />
Sozialschmarotzern, die sog. Wurzel allen Übels, hat zu lange
Hartz IV und die Agenda 2010<br />
auf der faulen Haut und damit dem leistungsorientierten<br />
Mittelstand auf der Tasche gelegen, und so den Standort<br />
Deutschland im Spannungsfeld der globalen Konkurrenz<br />
ruiniert. 8 Jahre und eine weltweite Finanzkrise später ist<br />
Deutschland Vizeexportweltmeisterin, die Musterschülerin<br />
Europas, die ihre Konzepte nun auch in die europäische<br />
Währungsunion hineinträgt. Mission accomplished? Aber<br />
nein, noch immer droht Gefahr. Schließlich hat inzwischen<br />
die Finanzkrise ein Rekordhoch an Schulden produziert, und<br />
- ganz richtig - natürlich ist es auch diesmal der Sozialstaat,<br />
der im November 2010 im Rahmen eines Sparpakets weiter<br />
zurechtgestutzt wurde.<br />
Was aber ist der Stand bei unseren Sozialschmarotzern?<br />
Etwa 3,2 Millionen Menschen führt die Bundesagentur<br />
für Arbeit (BA) im März 2011 in ihrer Statistik als<br />
<strong>Arbeits</strong>lose an. Knappe zwei Millionen Menschen haben<br />
demnach ihren Platz seit 2005, als die <strong>Arbeits</strong>losigkeit<br />
mit 4,9 Millionen ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte,<br />
wieder den Weg auf den <strong>Arbeits</strong>markt gefunden. Doch<br />
es lohnt sich einen Blick darauf zu werfen, unter<br />
welchen Bedingungen jene Zahlen zustande kommen.<br />
Die Zahlenspiele der Bundesagentur für Arbeit<br />
Wie jede Behörde hat auch die BA, ein irrationales<br />
Eigeninteresse entwickelt, nämlich die genannte Zahl<br />
der <strong>Arbeits</strong>losen so tief zu drücken wie mit statistischen<br />
Tricks irgend möglich, denn sie ist es, die im Kreuzfeuer<br />
der Medien steht und als Messlatte für den Erfolg einer<br />
Regierung herhält. Dabei sind die verwendeten Statistiken<br />
allerdings nicht unbedingt geeignet, um über ein wie auch<br />
89
Susanne Scheckel<br />
immer geartetes Wohl der Bevölkerung Aufschluss zu<br />
geben. Es zeigt sich, dass die Anzahl der Menschen, die<br />
zwar nicht alle formal arbeitslos, aber in ihrem Einkommen<br />
trotzdem abhängig von Transferleistungen des Staates<br />
sind zwischen 2005 und 2009 nahezu konstant geblieben<br />
ist. 1 Dies ergibt sich durch Einbeziehung von Menschen in<br />
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Aufstockern. Der<br />
Begriff „Aufstocker“ betitelt dabei Menschen, die von ihre_r<br />
<strong>Arbeits</strong>geber_in so niedrig bezahlt werden, dass der Staat<br />
einspringen muss, um das Einkommen aufzubessern, dass<br />
es zum Überleben reicht. Wir müssen uns also fragen, ob<br />
es dies ist, was die BA als erfolgreiche Eingliederung in den<br />
<strong>Arbeits</strong>markt verstanden wissen will: Menschen nehmen<br />
unter der Drohung ihre <strong>Arbeits</strong>losenhilfe zu verlieren,<br />
Arbeit zu beliebig niedrigen Löhnen an, was im Resultat<br />
bedeutet, dass Niedriglöhne vom Staat subventioniert<br />
werden. Doch das ist nicht die einzige Stelle an der der<br />
Staat die vermeintlich gesparten Euros verdeckt wieder<br />
ausgibt. Zuzüglich der Kosten für Aufstocker_innen,<br />
schlägt man sich seit der Einführung der Hartz-IV-Gesetze<br />
mit einer immer weiter ansteigenden Klageflut <strong>gegen</strong><br />
unzumutbare Kürzungen von Hartz-IV-Bezügen herum.<br />
Am Berliner Sozialgericht etwa musste die Anzahl der<br />
Richter_innen seit 2004 mehr als verdoppelt werden. 2<br />
Entmündigung von Hartz-IV-Empfängern<br />
Im Ergebnis der Hartz-IV-Reformen steht die zweifelhafte<br />
Senkung der Sozialausgaben einer Vielzahl von<br />
diskriminierenden und entwürdigenden Maßnahmen<br />
<strong>gegen</strong>über, denen sich <strong>Arbeits</strong>lose heute beugen müssen, um<br />
90
Hartz IV und die Agenda 2010<br />
eine finanzielle Grundsicherung zu erhalten, einem „System<br />
der Abschreckung“, wie Roland Koch bekennt. Wer heute<br />
arbeitslos wird muss zunächst sein gesamtes Vermögen,<br />
sowie seine Wohn- und Verwandtschaftsverhältnisse<br />
offenlegen.<br />
Mit diesen Informationen wird ermittelt, ob er eine<br />
Bedarfsgemeinschaft mit anderen Menschen bildet, was<br />
dazu führen würde, dass er weniger Unterstützung erhält.<br />
Bei einer Bewilligung des <strong>Arbeits</strong>losengeldes, hat die<br />
arbeitslos gemeldete Person dem <strong>Arbeits</strong>amt an jedem<br />
Werktag auf Abruf zur Verfügung zu stehen, das Verlassen<br />
der Stadt kommt somit nicht in Frage. Sie ist verpflichtet<br />
jeden Monat Bewerbungen zu schreiben, auch wenn der<br />
Zustand der <strong>Arbeits</strong>losigkeit bereits seit Jahren anhält und<br />
die Chance auf Anstellung verschwindend gering ist. Erhält<br />
sie ein Jobangebot ist sie verpflichtet dieses anzunehmen,<br />
unabhängig von ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn, und<br />
ihrem Wohnort. Auch der <strong>Zwang</strong> zum Umzug, die Trennung<br />
von Freund_innen und Familie kann also die Folge einer<br />
„gelungenen“ Bewerbung sein. Des weiteren können ihr<br />
„Mehraufwandsentschädigungsarbeiten“ (1-Euro-Jobs)<br />
und „Fortbildungsmaßnahmen“ angetragen werden, die<br />
anzunehmen sind, möchte sie nicht eine Kürzung oder gar<br />
Streichung ihrer Bezüge in Kauf nehmen.<br />
Diese „arbeitspolitischen Interventionsinstrumente“ haben<br />
mittlerweile ein gewaltiges Ausmaß angenommen, denn wie<br />
bereits erwähnt verschwinden die <strong>Arbeits</strong>losen zumindest<br />
temporär aus der Statistik. Zum anderen lässt sich im Falle<br />
einer Verweigerung mit ihrer Hilfe Geld sparen – die Bezüge<br />
werden gekürzt. Als besonders vorteilhaft für die BA stellen<br />
91
Susanne Scheckel<br />
sich deshalb billige Varianten der „Förderung“ heraus, wie<br />
z.B. Bewerbungstraining im Internet, das im Wesentlichen aus<br />
einer Anwesenheitspflicht beim surfen im Internet besteht.<br />
Eigene Wünsche der Betroffenen werden hin<strong>gegen</strong> wegen<br />
des höheren Aufwandes oft nicht berücksichtigt. Während<br />
es für ein Jobcenter sinnvoll erscheinen mag Arbeitlose<br />
in Maßnahmen unterzubringen, ohne dass dies einen<br />
ersichtlichen Nutzen für die Gesellschaft oder die Betroffenen<br />
hat, ist dies eine ungeheuer entwürdigende Situation für die<br />
Betroffenen selbst. Sie finden sich in der Rolle von Kindern,<br />
die bestraft und bevormundet werden, wieder. Um sich<br />
einen Eindruck von dem gewaltigen Aufwand zu verschaffen,<br />
den unsere Gesellschaft betreibt um die Lebensführung<br />
von <strong>Arbeits</strong>losen zu kontrollieren, reicht ein Blick auf die BA<br />
selbst. Mit 113.000 Mitarbeiter_innen ist die Bundesagentur<br />
in Nürnberg die größte Behörde Deutschlands. Beschäftigt<br />
man sich also eine Weile damit, welchen Beanspruchungen<br />
<strong>Arbeits</strong>lose allein von Seiten der Jobcenter ausgesetzt<br />
sind, stimmt es nicht weiter verwunderlich, dass sie unter<br />
enormen psychischen Belastungen leiden. Sie leiden unter<br />
Geldnot, dem Gefühl gesellschaftlicher Ausgrenzung, Druck<br />
und Fremdbestimmung durch die Jobcenter und dem Fehlen<br />
einer Gelegenheit ihre Fähigkeiten einzusetzen 3 . Natürlich<br />
lassen sich die psychischen Folgen von der <strong>Arbeits</strong>losigkeit<br />
selbst, der medialen Vermittlung dessen was es bedeutet<br />
arbeitslos zu sein und der Auseinandersetzung mit den<br />
Jobcentern, kaum mehr auseinander dividieren. Es ist jedoch<br />
offensichtlich, dass die Hartz-IV-Regelungen ihr bestes<br />
tun, um den Druck auf arbeitslose Menschen so weit wie<br />
möglich zu erhöhen, so dass sie einem selbstbestimmten<br />
92
Hartz IV und die Agenda 2010<br />
und positiven Umgang mit der Situation im Weg stehen.<br />
Aktivierung als Leitmotiv im Hartz-IV-System<br />
Es geht dabei offensichtlich nicht darum <strong>Arbeits</strong>losen<br />
einen Beitrag zur Gemeinschaft abzuverlangen, wie das<br />
Mantra „Fördern und Fordern“ suggerieren könnte. Die<br />
Nachteile mit denen Hartz-IV-Empfänger auf Grund der<br />
genannten Regeln leben müssen, bringen niemandem einen<br />
annähernd im Verhältnis stehenden materiellen Vorteil.<br />
Einerseits ist das entstandene System aus Zwängen schlicht<br />
ein Ergebnis bürokratischer oder medialer Eigendynamiken.<br />
So haben wir bereits gesehen, dass Menschen meist<br />
in Fortbildungsmaßnahmen, 1-Euro-Jobs und staatlich<br />
subventionierten Billiglöhnen feststecken, um nicht mehr<br />
von <strong>Arbeits</strong>losenstatistik erfasst zu werden, jene Zahl die von<br />
der BA veröffentlicht wird. Die Betroffenen verrichten also<br />
eine nicht unbedingt sinnvolle Arbeit, um eine Bewegung<br />
am <strong>Arbeits</strong>markt für Medien und Politik zu simulieren. Das<br />
dominante Motiv der Repressionen aber ist jenes, welches<br />
auch die restliche <strong>Arbeits</strong>marktpolitik bestimmt. Es geht<br />
darum das Leben in Erwerbsarbeit als einzig mögliche<br />
Existenzform darzustellen, und jene welche nicht daran<br />
teilhaben als Schuldige festzuschreiben. So sieht die BA<br />
als Kernaufgabe ihrer Betätigung die „Aktivierung“ von<br />
<strong>Arbeits</strong>losen. Ausschlaggebend sei dabei „die Vorstellung,<br />
dass gesellschaftliche Teilhabe sich am besten über die<br />
Teilhabe am Erwerbsleben erreichen“ 4 ließe. Die Arbeit<br />
ist also zu einem Selbstzweck geworden, und <strong>Arbeits</strong>lose<br />
müssen von einem Mangel an diesem Gut geheilt werden,<br />
wenn es sein muss auch <strong>gegen</strong> ihren (kindischen) Willen.<br />
93
Susanne Scheckel<br />
Nur ihre Entmündigung und Abwertung kann ohne die<br />
Regeln des <strong>Arbeits</strong>marktes anzuzweifeln, erklären, warum<br />
sie sich nicht in jenem seligmachenden Naturzustand der<br />
Erwerbsarbeit befinden. Anstatt die <strong>Arbeits</strong>losigkeit als<br />
notwendiges Produkt unserer aktuellen Wirtschaftsordnung<br />
zu benennen, wird sie schlicht als mangelndes oder<br />
unfähiges Bemühen um gesellschaftliche Teilhabe definiert.<br />
Bei einer Maßnahme in Bad Nauheim im Juni 2009<br />
erfuhr jene rethorische Figur der Aktivierung eine skurile<br />
Versinnbildlichung. Hier hatte die BA ältere <strong>Arbeits</strong>lose im<br />
Rahmen eines Programms, welches mit dem erfrischenden<br />
Namen „Paradigmenwechsel 50 Plus“ bedacht wurde,<br />
regelmäßig in den Bad Nauheimer Kurpark zum Nordic<br />
Walking bestellt. Die mit diesem Sportprogramm gesegneten,<br />
zeigten sich jedoch nicht so dankbar wie erwartet, sondern<br />
ausgesprochen widerspenstig. Sie beschlossen zwar in den<br />
Park zu gehen, aber aus Protest nicht zu walken, sondern zu<br />
singen. Sie hatten verstanden, dass es bei einem wirksamen<br />
Protest nur darum gehen konnte, jenes Bild der intiativlosen,<br />
mit Chips vor dem Fernseher versackenden <strong>Arbeits</strong>losen,<br />
die vom <strong>Arbeits</strong>amt raus an die frische Luft gescheucht<br />
werden müssen, zu entlarven. Indem sie noch einen<br />
drauf setzten und eigeninitiativ einer anderen nutzlosen<br />
Aktivität nachgingen, wurde offenbar, dass die einzige<br />
reale Komponente der „Aktivierung“ für sie <strong>Zwang</strong> ist.<br />
„Aktivierung“ als Deckbild für den Aufbau eines<br />
Niedriglohnsektors und die Umverteilung von Vermögen<br />
Wie aber kommt die BA auf dieses Bild der Aktivierung? Die<br />
grobe Laufrichtung wurde aus einem größeren politischen<br />
94
Hartz IV und die Agenda 2010<br />
Kontext adaptiert, der Agenda 2010. Um sich deren Gehalt<br />
noch einmal prägnant in Erinnerung rufen lassen wir<br />
einfach deren Zugpferd Gerhard Schröder sprechen, wie<br />
er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2005 stolz wie<br />
Bolle den Kern seines Konzeptes erläuterte: „Wir müssen<br />
und wir haben unseren <strong>Arbeits</strong>markt liberalisiert.[...] Wir<br />
haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut,<br />
und wir haben bei der Unterstützungszahlung Anreize<br />
dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund<br />
gestellt.“ 5 Die von Schröder angesprochenen Anreize<br />
Niedriglöhne zu akzeptieren, liegen sicher nicht in einer<br />
„Teilhabe an Gesellschaft“. Diese rosigen Worte wären eine<br />
schlechte Beschreibung für die angstbehaftete Situation<br />
mit der sich Menschen auf dem <strong>Arbeits</strong>markt konfrontiert<br />
sehen. Deswegen muss ein „System der Abschreckung“ 6<br />
bezüglich der Erwerbslosigkeit her, wie Koch es nannte,<br />
doch nur selten lassen sich Befürworter_innen der Agenda<br />
2010 zu einem so ehrlichen Wort hinreißen. Die BA<br />
hin<strong>gegen</strong> muss auf sanfte Bilder wie das der Aktivierung<br />
zur gesellschaftlichen Teilhabe zurückgreifen, um so etwas<br />
profanes wie <strong>Zwang</strong> als ein Projekt der Menschenliebe zu<br />
verkaufen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch<br />
die Vergabe des Wirtschaftsnobelpreises, der Rückschlüsse<br />
auf weltweit dominante politische Strategien zulässt<br />
und 2010 an Diamond, Mortenson und Pissarides ging.<br />
Sie hatten zu Suchmärkten geforscht, ein neues Modell<br />
das einen anderen Blickwinkel auf eine bestimmte Art<br />
von Markt, zu der auch der <strong>Arbeits</strong>markt gehört, zulässt.<br />
Märkte funktionieren demnach nicht nur nach dem Prinzip<br />
Angebot und Nachfrage, sondern auch die Zeit die zwei<br />
95
Susanne Scheckel<br />
Geschäftspartner_innen brauchen, um sich zu finden, wird als<br />
entscheidender Parameter eingeführt. Für den <strong>Arbeits</strong>markt<br />
meinten die Nobelpreisgewinner nun nachgewiesen zu<br />
haben, dass eine zu hohe <strong>Arbeits</strong>losenunterstützung die<br />
Zeit bis sich Arbeitgeber_innen und -nehmer_innen finden,<br />
erhöht und so <strong>Arbeits</strong>potentiale ungenutzt blieben. Diese<br />
Argumentation ist offenbar mit dem Abschreckungssystem,<br />
der „Anreizsetzung“ der Hartz-IV-Gesetze, eng verwandt.<br />
Doch auch in diesem Fall fällt auf, dass Arbeit immer wieder<br />
als Selbstzweck dargestellt wird, wodurch entscheidendes<br />
unhinterfragt bleibt, nämlich ob es überhaupt sinnvoll<br />
ist ein gutes 10tel der Bevölkerung unter 65 7 – so viele<br />
leben in der BRD von jener Grundsicherung - mit niedrigen<br />
Bezügen und sinnlosen Tätigkeiten zu quälen, damit ein<br />
Erwerbsarbeitspotential von unklarem gesellschaftlichem<br />
Wert verwirklicht werden kann. All jene rein ökonomisch<br />
argumentierenden Wissenschaftler_innen bauen implizit<br />
auf einem uralten Versprechen des Kapitalismus auf, dem<br />
„Trickle-Down-Effekt“. Demnach führt die Einschränkung des<br />
Sozialstaats zu Wirtschaftswachstum, welches Reichtum<br />
produziert, der dann automatisch in alle gesellschaftlichen<br />
Schichten durchsickert. Doch selbst wenn jemals zur Wahl<br />
gestanden hätte, ob dies ein sinnvolles Ziel ist, kann die<br />
Agenda 2010 ein entsprechendes Ergebnis nicht für sich<br />
in Anspruch nehmen. Mit Hilfe des Gini-Indexes, welcher<br />
die Polarisierung von Einkommen und Vermögen misst,<br />
stellte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung fest,<br />
das zwar die oberen Einkommensschichten ihre finanzielle<br />
Situation zwischen 2000 und 2009 verbessern konnten,<br />
die unteren Einkommensschichten jedoch sowohl relativ<br />
96
Hartz IV und die Agenda 2010<br />
als auch absolut gesehen an Einkommen verloren, während<br />
insgesamt die Wirtschaft wuchs. 8 Damit setzte sich nur einen<br />
Trend fort, der seit der Wiedervereinigung anhält: Reiche<br />
werden über den Umweg einer wachsenden Wirtschaft noch<br />
reicher, Arme werden noch ärmer. Im Ergebnis besitzen<br />
heute 10% der Deutschen „fast zwei Drittel des gesamten<br />
Vermögens“ 9 . Mit diesem Wissen erscheint die Welle<br />
von aufhetzenden Reden <strong>gegen</strong> Hartz-IV-Empfänger im<br />
Frühjahr 2010 in einem eindeutigen Licht. Politiker_innen<br />
versuchen arme und sehr arme Menschen <strong>gegen</strong>einander<br />
auszuspielen und hoffen so davon abzulenken, dass die<br />
Menschen die jetzt zu niedrigsten Löhnen arbeiten, ihren<br />
Eigenkommenseinbußen nicht auf Kosten von <strong>Arbeits</strong>losen<br />
hinnehmen mussten, sondern dass eine Umverteilung an<br />
den vermögenden Teil der Bevölkerung stattgefunden hat.<br />
So konstruierte Roland Koch im Januar 2010 <strong>Arbeits</strong>lose<br />
als „Menschen, die mit dem System spielen und Nischen<br />
ausnutzen.“ Er spielte den Anwalt für die Erwerbstätigen<br />
im Niedriglohnsektor, die <strong>gegen</strong> ein faules Pack von<br />
Sozialschmarotzern in Schutz genommen werden müssen,<br />
als er die Existenz des Abschreckungssystem HartzIV, mit<br />
dem Lohnabstandsgebot begründete. Die Situation sei<br />
sonst „unerträglich für die regulär Erwerbstätigen, die ihr<br />
verfügbares Einkommen mit den Unterstützungssätzen<br />
vergleichen“ 10 . Ein zynisches Spiel mit Emotionen<br />
angesichts der Tatsache, dass von Befürworter_innen der<br />
Hartz-IV-Reformen je nach angepeilten Adressat_innen,<br />
auch mal zugegeben wird, dass die Produktion eines<br />
Niedriglohnsektors ein bewusst gestecktes Ziel war.<br />
97
Susanne Scheckel<br />
EU 2020: Agenda 2010 reloaded?<br />
Der Vision jedem Menschen eine Erwerbsarbeit zu<br />
ermöglichen, dem „Traum“ der Vollbeschäftigung, ist man<br />
mit der Hartz-IV-Gesetzgebung also nicht näher gekommen.<br />
Stattdessen wurde ein Zehntel der Bevölkerung unter 65<br />
der umfangreichen Fremdbestimmung durch Jobcenter<br />
ausgesetzt, der Niedriglohnsektor wurde ausgeweitet, die<br />
Gesetzgebung setzte eine Umverteilung von unten nach oben<br />
fort. Nach den sozialen Kämpfen der letzten Jahre sieht sich<br />
ein Großteil der Bevölkerung auf der Verlierer_innenseite.<br />
Doch die Verleihung des Wirtschafts-Nobelpreises deutet<br />
bereits an, dass das Thema damit noch lange nicht gegessen<br />
ist. Auch auf EU-Ebene meldet man nun Interesse an jenem<br />
deutschen „Erfolgsmodell“ des flexibilisierten <strong>Arbeits</strong>marktes<br />
an, oder anders ausgedrückt, die BRD nutzt im Zuge einer<br />
Vereinheitlichung des europäischen Wirtschaftssystems<br />
ihre Machtposition, um anderen Ländern ihre Regeln<br />
aufzubrummen. So enthält der Jahreswachstumsbericht<br />
der europäischen Komission vom Januar 201111 – eine<br />
Grundlage für weitere Schritte in der Wirtschaftspolitik<br />
der EU - Tipps und Tricks rund um die Themen Wachstum<br />
und das Stopfen von Haushaltslöchern. Um den Folgen<br />
der Krise begegnen zu können, sollen die Arbeitgeber_<br />
innenbeiträge zu den sozialen Sicherungssystemen<br />
gesenkt werden, die Flexibilität der Löhne soll erweitert,<br />
der Kündigungsschutz „reformiert“, Selbstständigkeit<br />
gefördert, das Renteneintrittsalter erhöht und die Höhe<br />
der <strong>Arbeits</strong>losenbezüge nochmal überdacht werden,<br />
um die <strong>Arbeits</strong>motivation zu erhöhen. Der „flexibilisierte<br />
<strong>Arbeits</strong>markt“ bringt die Bundesregierung international<br />
98
Hartz IV und die Agenda 2010<br />
gesehen nämlich tatsächlich in eine Position, in der sie ihre<br />
Politik durchsetzen kann, denn die durch die Niedriglöhne<br />
ermöglichten Exporterfolge sind ein Machtfaktor. „Europa<br />
soll deutscher werden“, titelten die Medien (kann man<br />
doch immer auf den deutschen Nationalismus zählen). Nur<br />
ist dies weder zum Vorteil der Bevölkerung innerhalb der<br />
deutschen, noch der innerhalb der europäischen Grenzen.<br />
Die Lohnabhängigen werden damit lediglich auf niedrigerem<br />
Lohnniveau zueinander in Konkurrenz gesetzt. Anstatt aber<br />
dass man <strong>gegen</strong> Missstände im eigenen Land Stellung<br />
bezieht, folgt man dem Schlachtruf <strong>gegen</strong> Länder wie<br />
Griechenland und unterstützt damit den Export der eigenen<br />
miserablen <strong>Arbeits</strong>bedingungen. Helfen wird das freilich<br />
niemandem. Die <strong>Arbeits</strong>kämpfe des 21. Jahrhunderts<br />
müssen die Macht der Konzerne brechen, welche durch eine<br />
gesetzlich festgelegte Narrenfreiheit, Arbeitnehmer_innen<br />
auf der ganzen Welt <strong>gegen</strong>einander ausspielen. Es müssen<br />
europäische und weltweite Koalitionen gebildet werden!<br />
99
Susanne Scheckel<br />
1 DGB arbeitsmakt aktuell 2010/1 - 5 Jahre Hartz IV – keine Erfolgsstory,<br />
S.3<br />
2 Sozialgericht Berlin, Pressemitteilung 13.01.2011<br />
3 Hans Böckler Stiftung, Hartz IV in Baden-Württemberg, 2008, S.120-122<br />
4 Presseinformation der Agentur für Arbeit Halle, Nr. 015 / 11.02.2010<br />
5 http://www.peter-stollenwerk.de/Rede_Davos.pdf<br />
6 Henning Krumrey, Politik muss notwendige Härte haben, in: Wirtschafts<br />
Woche, 16.01.2010<br />
7 Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 6/2010, Fünf Jahre Hartz IV – Das<br />
Problem ist nicht die <strong>Arbeits</strong>moral, S.4<br />
8 Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 24/2010, Polarisierung der Einkommen<br />
9 DIW Berlin, Pressemitteilung vom 07.11.2007<br />
10 Henning Krumrey, Politik muss notwendige Härte haben, in: Wirtschafts<br />
Woche, 16.01.2010<br />
11 European Commission, Annual Growth Survey : Summary of the economic<br />
analysis and messages, 12. January 2011<br />
100
Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts<br />
Auszug aus dem Buch: Wie sichere ich meinen<br />
Lebensunterhalt? <strong>Arbeits</strong>losengeld II, Sozialhilfe,<br />
Grundsicherung; AJZ Druck und Verlag, Bielefeld,<br />
2011.<br />
Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts<br />
Die „Hartz-Reformen“ sollten es richten: sinkende<br />
<strong>Arbeits</strong>losenzahlen und moderne Sozialgesetze wurden<br />
versprochen, aber auch Verwaltungsvereinfachung,<br />
Kundenfreundlichkeit, kurze Wege und Hilfen aus einer<br />
Hand. Herausgekommen sind - neben der Abschaffung<br />
der <strong>Arbeits</strong>losenhilfe und drastischen Einschnitten in der<br />
<strong>Arbeits</strong>losenversicherung - zwei mehr oder weniger neue<br />
Gesetze mit drei Sozialleistungen, die eigentlich alle dasselbe<br />
regeln, nämlich die Sicherung des Lebensunterhaltes<br />
für Personen, die aus den unterschiedlichsten Gründen<br />
nicht die Möglichkeit haben, ihr Existenzminimum selbst<br />
sicherzustellen:<br />
• die Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende im<br />
Sozialgesetzbuch II (SGB II)<br />
• die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung<br />
101
Auszug<br />
102<br />
im Sozialgesetzbuch XII (SGB XII)<br />
• die Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialgesetzbuch XII<br />
(SGB XII)<br />
Die finanziellen Leistungen zur Sicherung des<br />
Lebensunterhaltes nach diesen drei Bestimmungen sind fast<br />
identisch. Sie können aber nicht gleichzeitig nebeneinander<br />
bezogen werden!<br />
Die erste Aufgabe im Rahmen der „Verwaltungsvereinfachung“<br />
besteht für die betroffenen Ämter also darin, zu prüfen,<br />
welche dieser fast identischen Leistungen denn nun<br />
in welchem Fall beantragt werden kann. Wieviele<br />
„kurze Wege“ sich für die betroffenen „Kunden“ daraus<br />
ergeben, kann sich auch ein Laie vorstellen. Versuchen wir,<br />
diese Wege wenigstens ein bißchen zu durchschauen:<br />
Die Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende im<br />
Sozialgesetzbuch II (SGB II) ist das Ergebnis der<br />
sogenannten Zusammenlegung von <strong>Arbeits</strong>losenhilfe<br />
und Sozialhilfe. Das SGB II ist im Rahmen der „Agenda<br />
2010“ der damaligen rot / grünen Bundesregierung<br />
und den Gesetzen für „Moderne Dienstleistungen am<br />
<strong>Arbeits</strong>markt“ entstanden. Diese Gesetze entwickelte eine<br />
Kommission, die vom (zwischenzeitlich wegen Untreue<br />
und Bestechung verurteilten) Ex-VW-Vorstand Peter Hartz<br />
geleitet wurde, weshalb die Gesetze auch „Hartz-Gesetze“<br />
genannt wurden. Das neue SGB II ist das 4. Gesetz und<br />
wurde der Einfachheit halber von der Öffentlichkeit „Hartz<br />
IV“ genannt. Die Geldleistung der Grundsicherung für<br />
<strong>Arbeits</strong>uchende, die den Lebensunterhalt sichern soll, wird<br />
<strong>Arbeits</strong>losengeld II genannt. Ob nun vom <strong>Arbeits</strong>losengeld
Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts<br />
II, ALG II, der Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende, Grusi A,<br />
dem Sozialgesetzbuch II, SGB II, vom 4. Gesetz für moderne<br />
Dienstleistungen am <strong>Arbeits</strong>markt oder von Hartz IV<br />
gesprochen wird, gemeint ist im Prinzip immer dasselbe. Mit<br />
diesen vielen Begriffen wird nur verschleiert, was wirklich<br />
dahinter steckt:<br />
Die Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uche ist nichts anderes als<br />
eine Art Sozialhilfe - und einfacher (und auch ehrlicher) wäre<br />
es gewesen, wenn man sie auch so genannt hätte. Mit dem<br />
SGB II ist es zu einer einschneidenden Veränderung der<br />
Grundhaltung des Sozialstaates gekommen. Es war eine<br />
Abkehr vom Grundgedanken der „alten“ Sozialhilfe: „Aufgabe<br />
der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger (...) die Führung eines<br />
Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen<br />
entspricht,“ heißt es im § 1 SGB XII. Stattdessen gilt nun<br />
das Prinzip des „Fördern und Fordern“: Wer Leistungen vom<br />
Staat erhält, soll auch Gegenleistungen erbringen. Dies soll<br />
vor allem durch den Einsatz der <strong>Arbeits</strong>kraft geschehen<br />
und wird für die betroffenen Menschen beispielsweise bei<br />
den sogenannten „1-€-Jobs“ deutlich spürbar. Wer diesem<br />
„Fordern“ nicht nachkommt, muß mit der völligen Streichung<br />
der Grundsicherung rechnen. Das „Fördern“ da<strong>gegen</strong> fällt<br />
mehr als dürftig aus:<br />
Die Fördermaßnahmen, die zur Eingliederung in Arbeit<br />
dienen sollen (wobei es lebensunterhaltssichernde<br />
Arbeit kaum noch gibt), sind sämtlich sogenannte „Kann-<br />
Leistungen“, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Die<br />
Förderleistung, die für den Lebensunterhalt bewilligt wird,<br />
entspricht dem Niveau der Sozialhilfe und ist im Gegensatz<br />
zur früheren <strong>Arbeits</strong>losenhilfe nicht mehr an den vorherigen<br />
103
Auszug<br />
Verdienst gebunden. Bezieher der Grundsicherung<br />
für <strong>Arbeits</strong>uchende können keine ergänzende Hilfe<br />
zum Lebensunterhalt nach SGB XII mehr erhalten.<br />
Wenn es also um die Sicherung ihres Lebensunterhaltes<br />
geht, befinden sie sich mit der Grundsicherung für<br />
<strong>Arbeits</strong>uchende bereits im „letzten“ Hilfenetz. Es gibt keine<br />
weitere Absicherung mehr, die noch irgendeine Hilfe bietet.<br />
Die allermeisten bedürftigen Menschen (genauer:<br />
alle zwischen 15 Jahren und dem Rentenalter, die als<br />
erwerbsfähig gelten) bekommen seit dem 1.1.2005 die<br />
Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende. Dennoch gibt es<br />
einige Personengruppen, die keinen Anspruch auf die<br />
Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende haben. Für diese<br />
können die anderen genannten Hilfen zur Sicherung des<br />
Lebensunterhaltes in Frage kommen. Diejenigen, die auf<br />
Dauer erwerbsunfähig oder im Rentenalter sind, erhalten<br />
die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.<br />
Diese Grundsicherung (abgekürzt könnte man sie Grusi<br />
B nennen) wurde 2003 als eigenständige Leistung zur<br />
Sicherung des Lebensunterhaltes geschaffen. Mit der<br />
Grundsicherung sollte die verschämte Altersarmut und die<br />
Armut von erwerbsunfähigen Personen bekämpft werden.<br />
Aus diesem Grund wurde die Unterhaltsverpflichtung von<br />
Kindern oder Eltern deutlich eingeschränkt. Damit sollte vor<br />
allem die Hemmschwelle älterer Menschen gesenkt werden,<br />
Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Die weitgehend<br />
pauschalierten Leistungen dieser Grundsicherung<br />
entsprechen dem Niveau der Hilfe zum Lebensunterhalt<br />
nach dem Bundessozialhilfegesetz. Mit der Umstrukturierung<br />
der sozialen Sicherung wurde diese eigenständige<br />
104
Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts<br />
Grundsicherung 2005 wieder in das Sozialhilfegesetz (SGB<br />
XII) eingegliedert. Der Grundsatz, Unterhaltspflichtige nur<br />
in Ausnahmen zum Unterhalt heranzuziehen, blieb aber<br />
bestehen. Die Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende (Hartz IV)<br />
ist immer vorrangig in Anspruch zu nehmen. Ist dies nicht<br />
möglich, muß zunächst überprüft werden, ob ein Anspruch<br />
auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung<br />
besteht. Erst wenn keine der beiden Grundsicherungen<br />
in Frage kommt, kann ein Anspruch auf die Hilfe zum<br />
Lebensunterhalt nach dem SGB XII bestehen. Die Hilfe<br />
zum Lebensunterhalt (abgekürzt HLU) wird daher nur noch<br />
von einer relativ kleinen Personengruppe in Anspruch<br />
genommen. Dadurch, daß Bezieher der Grundsicherung für<br />
<strong>Arbeits</strong>uchende im Notfall (wenn die Leistung gestrichen<br />
wird) nicht mehr auf die HLU zurückgreifen können, hat<br />
diese ihre wichtigste Funktion verloren: sie ist nicht mehr<br />
das letzte soziale Netz, das jedem Menschen die Mittel,<br />
die er zur Sicherung seiner Existenz und zur Wahrung seiner<br />
Würde benötigt, in jedem Fall als Rechtsanspruch garantiert.<br />
Im SGB XII gibt es neben der Hilfe zum Lebensunterhalt und<br />
der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung<br />
noch einige weitere Hilfen, die früher „Hilfen in besonderen<br />
Lebenslagen“ genannt wurden. Dazu gehören:<br />
• die Hilfen zur Gesundheit<br />
• die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen<br />
• die Hilfe zur Pflege<br />
• die Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer<br />
Schwierigkeiten, wie z.B. Wohnungslosigkeit<br />
sowie die Hilfe in anderen Lebenslagen, wie<br />
105
Auszug<br />
106<br />
die Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes, die<br />
Bestattungskosten und die sogenannte „sonstige<br />
Hilfe“, die offen ist für einiges mehr. Diese Hilfen<br />
können auch von den Beziehern der Grundsicherung<br />
für <strong>Arbeits</strong>uchende in Anspruch genommen werden.<br />
Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende<br />
Zuerst ist zu klären, welches Amt für die Grundsicherung<br />
für <strong>Arbeits</strong>uchende zuständig ist. In der Regel ist es so,<br />
daß die jeweiligen Städte oder Gemeinden und die örtliche<br />
Agentur für Arbeit mit der Einführung von Hartz IV im Jahr<br />
2005 eine sogenannte „<strong>Arbeits</strong>gemeinschaft“ gebildet<br />
haben, in der sie sich die Aufgaben nach dem Gesetz<br />
teilen. In einigen Gemeinden ist die Bundesagentur für<br />
Arbeit gar nicht beteiligt. Dort ist allein der Kreis oder die<br />
Stadt zuständig. In diesen Fällen handelt es sich um die<br />
sogenannten „Optionskommunen“. Aber überall ist eine<br />
neue Behörde entstanden, die für die Bewilligung der<br />
Leistung, Bescheide und für Widersprüche zuständig ist.<br />
Diese Behörden heißen seit 2011 einheitlich „Jobcenter“.<br />
Wer kann Leistungen bekommen?<br />
Die Geldleistungen der Grundsicherung für <strong>Arbeits</strong>uchende<br />
setzen sich zusammen aus dem eigentlichen<br />
<strong>Arbeits</strong>losengeld II (ALG II) für die Erwerbsfähigen und<br />
aus dem sogenannten Sozialgeld für (Ehe-)Partner und<br />
Kinder im Haushalt, wenn diese nicht erwerbsfähig sind.<br />
Das <strong>Arbeits</strong>losengeld II (ALG II) erhalten Personen,<br />
• die im Alter von 15 bis 64 Jahre sind<br />
• und erwerbsfähig sind
Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts<br />
• und hilfebedürftig sind<br />
• und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der BRD haben<br />
• sowie Ausländer, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in<br />
der BRD haben und die eine <strong>Arbeits</strong>erlaubnis haben<br />
oder bekommen könnten.<br />
Danach können folgende Personen einen Anspruch auf ALG<br />
II haben:<br />
• Bezieher von <strong>Arbeits</strong>losengeld I (ALG I), deren Anspruch<br />
ausläuft oder deren ALG I nicht für sie selbst und die<br />
Angehörigen ausreicht<br />
• <strong>Arbeits</strong>lose, die keinen Anspruch auf ALG I haben, weil<br />
sie (noch) nicht oder zu kurz erwerbstätig waren<br />
• Selbständige, die nur geringes Einkommen haben oder<br />
deren Selbständigkeit gescheitert ist<br />
• <strong>Arbeits</strong>lose, die sich in einer Maßnahme der<br />
•<br />
Bundesagentur für Arbeit befinden, z.B. Umschüler<br />
Erwerbsgeminderte, die zwischen 3 und 6 Stunden am<br />
Tag erwerbstätig sein können<br />
• Arbeitnehmer, die zu wenig Einkommen für sich<br />
und ihre Angehörigen haben, z.B. bei geringfügiger<br />
Beschäftigung oder einer kinderreichen Familie<br />
• Alleinerziehende, deren Einkommen für sie selbst<br />
und die Kinder nicht ausreicht - auch dann, wenn die<br />
Kinder noch so klein sind, daß Alleinerziehenden eine<br />
Erwerbstätigkeit (noch) nicht zumutbar ist<br />
• Jugendliche ab 15 Jahre - egal ob Schüler oder<br />
arbeitsuchend -, deren Eltern nicht genügend<br />
107
Auszug<br />
Einkommen oder Vermögen haben, um sie zu<br />
unterhalten.<br />
Wenn nun zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter mit ihrem<br />
8-jährigen Sohn zusammenlebt, dann heißt die Geldleistung<br />
für dieses Kind nicht <strong>Arbeits</strong>losengeld II (denn ein 8-jähriges<br />
Kind kann ja noch nicht arbeitslos sein), sondern Sozialgeld.<br />
Das Sozialgeld erhalten Personen,<br />
• die mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in<br />
einer Bedarfsgemeinschaft leben<br />
• und selbst nicht erwerbsfähig sind<br />
• und keine Grundsicherung im Alter<br />
• und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII<br />
bekommen können.<br />
Danach können folgende Personen, die mit<br />
Beziehern von <strong>Arbeits</strong>losengeld II zusammenleben,<br />
einen Anspruch auf Sozialgeld haben:<br />
• erwerbsunfähige Partner von ALG II -<br />
•<br />
Leistungsberechtigten<br />
minderjährige, unverheiratete und<br />
leistungsberechtigte Kinder bis 14<br />
•<br />
Jahre, die mit ihren ALG II - berechtigten Eltern<br />
zusammen leben<br />
erwerbsunfähige Eltern von 15- bis 25-jährigen ALG II –<br />
Beziehern, wenn sie mit diesen zusammenleben<br />
• erwerbsunfähige Personen, die wegen zu hohen<br />
Vermögens keine Grundsicherung bei Erwerbsminderung<br />
bekommen, wenn sie keine Altersrente beziehen und<br />
108
Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts<br />
mit ALG II – Beziehern in Bedarfsgemeinschaft leben<br />
[Hinweise der BA zu § 28, Rz. 28.3].<br />
Mit freundlicher Genehmigung durch:<br />
Widerspruch e.V. - Sozialberatung<br />
Rolandstr.16<br />
33615 Bielefeld,<br />
Tel. 0521 / 13 37 05<br />
widerspruchev@web.de<br />
http://widerspruch-sozialberatung.de<br />
109
110<br />
Mal wieder die Beine baumeln lassen<br />
Du bekommst Hartz IV oder <strong>Arbeits</strong>losengeld I und das Job-<br />
Center/<strong>Arbeits</strong>amt nötigt dich, dass du dich auf blödsinnige<br />
Jobs bewerben sollst. Zusätzlich droht man dir die<br />
staatlichen Leistungen zu entziehen bzw. zu kürzen, wenn du<br />
deine diktierte ‘Eingliederungsvereinbarung’ nicht erfüllst.<br />
Es regiert ein hochgradig repressives<br />
System und setzt dich enormem Stress aus.<br />
Wir versuchen dir mit dem folgenden Anregungen die<br />
Möglichkeit zu eröffnen, dir kleine Handlungsspielräume<br />
zurück zu erobern. Bitte sei dir aber bewusst, dass diese<br />
Anregungen dich nicht aus deiner schwierigen Situation<br />
heraus lösen und im Gegenteil zu einer Verschärfung führen<br />
können, wenn das Amt Verdacht schöpft und zu Sanktionen<br />
greift. Das Ganze darf natürlich nicht zu offensichtlich nach<br />
Sabotage aussehen.
Mal wieder die Beine baumeln lassen<br />
Das Bewerbungsschreiben<br />
Alles beginnt mit dem verdammten Bewerbungsschreiben.<br />
Ehrlich währt am Längsten? Also pack die Karten auf den<br />
Tisch: Von dem Job, für den du dich bewirbst, hast du leider<br />
gar keine Ahnung, deine Motivation ist dementsprechend<br />
auch nicht besonders groß. Schon in deinem vorherigen Job<br />
hast du oft gefehlt. Du bist eben gesundheitlich eher labil.<br />
Im Aneignen neuer Fähigkeiten warst du noch nie besonders<br />
gut. Deine Auffassungsgabe lässt sehr zu wünschen<br />
übrig, auch wenn du dich selbstverständlich immer sehr<br />
bemüht hast. Am besten teilst du auch gleich mit, dass<br />
du demnächst unbedingt Urlaub nehmen willst (Goldene<br />
Hochzeit, Familienfeier im Ausland o.ä.). Wenn du noch<br />
im entsprechenden Alter bist, kannst du auch mit deinem<br />
Kinderwunsch prahlen, den du in absehbarer Zeit zu erfüllen<br />
gedenkst. Wenn du’s drauf anlegen willst, kannst du auch<br />
schreiben, dass du dich bewirbst, weil dich das <strong>Arbeits</strong>amt<br />
dazu zwingt. Davon sollte das Amt allerdings nichts<br />
mitbekommen. Schließlich hast du dich ehrlich um Arbeit<br />
bemüht. Rein formal empfiehlt es sich, sämtliche Patzer<br />
einzubauen, die in jedem Buch mit Tipps zur erfolgreichen<br />
Bewerbung unter der Rubrik “auf gar keinen Fall machen”<br />
stehen. Überhaupt ist so ein Buch sehr lehrreich, liest man<br />
es aus der Sicht des Bewerbungssaboteurs. Besonders<br />
unerwünscht sind handschriftliche Bewerbungen,<br />
die zudem schnell mal hingerotzt wurden - Ausdruck,<br />
Orthographie und Grammatik nur vom Feinsten! Vielleicht<br />
verwendest du hin und wieder ein Fremdwort, das da<br />
nun wirklich nicht hineinpasst. Besonders schön wird<br />
das Anschreiben, wenn man hier und dort noch ein wenig<br />
111
Tipps und Tricks<br />
rumkleckst und den Tacker ausgiebig einsetzt. Zur Krönung<br />
sollte man unbedingt Sondermarken vom DGB (Deutscher<br />
Gewerkschaftsbund) draufkleben. So landet Eure Bewerbung<br />
mit großer Sicherheit noch vor dem Öffnen im Müll!<br />
Das Gespräch<br />
Weiß das <strong>Arbeits</strong>amt, wo du dich bewirbst (z.B. bei einer<br />
vom Amt vermittelten ABM-Stelle), solltest du stets betonen,<br />
wie gern du den Job hättest. Hier muss eher dein Auftreten<br />
“überzeugen”. Vielleicht kommst du gerade von einer Party,<br />
bist ziemlich unausgeschlafen und hast noch ordentlich<br />
Alkohol (oder anderes) im Blut. Dementsprechend riechst du<br />
auch. Die Klamotten haben schon lange kein Waschmittel<br />
mehr zu Gesicht bekommen. Die Schweißflecken (am<br />
besten auch Geruch) sind kaum zu übersehen. Dreck<br />
unter den Fingernägeln und ordentlich Schlamm an den<br />
Schuhsohlen machen dich nicht sympathischer. Immer mit<br />
dabei: Dein MP3-Player, den du natürlich erst ausschaltest,<br />
wenn du so richtig angekommen bist. Auch Unpünktlichkeit<br />
wird in diesen Kreisen nicht sehr geschätzt. Natürlich<br />
kommst du nur einige Minuten zu spät und es tut dir<br />
furchtbar leid. Da du ein außerordentlich höflicher Mensch<br />
bist, bemühst du dich, deinem Gegenüber nahe zu sein.<br />
Der andere empfindet das aber eher als aufdringlich! Da<br />
du’s mit der Hygiene nicht so hast, juckt dir von Zeit zu Zeit<br />
der Kopf, der Rücken, Hintern usw. Da muss man natürlich<br />
etwas <strong>gegen</strong> tun. Erzähle den ein oder anderen Witz oder<br />
erlaube dir ein paar Späßchen mit dem Chef. Auch Nase<br />
geräuschvoll Hochziehen kann zum echten Renner werden.<br />
Wenn dich der Hunger plagt, solltest du dich nicht unnötigen<br />
112
Mal wieder die Beine baumeln lassen<br />
Qualen aussetzen. Pack ruhig die Stullenbüchse aus und<br />
gieße dir einen Schluck Kaffee aus deiner Thermoskanne<br />
ein. Das Ganze darf natürlich nicht zu offensichtlich nach<br />
Sabotage aussehen. Auch beim Gespräch solltest du dich<br />
unbedingt noch mal nach der Urlaubsregelung erkundigen.<br />
Frage ruhig auch nach, wie sie es so mit Arbeitnehmer_<br />
innenrechten halten. Auf die Art machst du gleich deutlich,<br />
dass mit dir auch in Zukunft nicht gut Kirschen essen ist.<br />
Die Highlights auf einen Blick<br />
• DGB-Sonderbriefmarken<br />
• Bewerbungsgespräch im Rausch a la Trainspotting<br />
• wild zusammengetackertes Bewerbungsschreiben<br />
• Schweißflecken wie nach einem Boxkampf<br />
• mit schlammbehafteten Schuhen den Teppich des<br />
Chefs mal so richtig einsauen<br />
• Aufdringlichkeit gepaart mit Unsauberkeit<br />
• Jucken, jucken, jucken!<br />
• Urlaubsankündigung noch vor Job-Zusage<br />
• Kaffee- und andere Flecken auf dem Bewerbungsbrief<br />
• Unpünktlichkeit<br />
113
Tipps und Tricks<br />
Sei deine eigene neoliberale Gesundheitsmanagerin<br />
Um auf dem <strong>Arbeits</strong>markt bestehen zu können, ist es<br />
unerlässlich, mit der eigenen Gesundheit sorgsam<br />
umzugehen. Deinen Körper kennst nur du selbst richtig<br />
gut. Häufig verdrängt man in all dem Stress wichtige<br />
Krankheitssymptome. Deiner_m Arbeitgeber_in gefällt das<br />
sicherlich sehr gut, doch einen Gefallen tust du dir damit<br />
nicht. Deshalb unser Rat:<br />
Schon die geringsten Hinweise auf Unwohlsein oder<br />
nahende Krankheiten solltest du deiner Ärztin vorstellen<br />
(vor allem dann, wenn du dringend eine Krankschreibung<br />
benötigst!). Auch wenn du deiner Arbeit nur sehr ungern<br />
fernbleibst, solltest du dich krankschreiben lassen.<br />
Schließlich hast du dann nachher auch wieder mehr Kraft!<br />
Nicht selten kommt es vor, dass bestimmte Krankheiten<br />
nur schwer nachzuweisen sind. Manchmal wird sogar der<br />
Vorwurf laut, man würde simulieren. Und das alles nur,<br />
weil diese Krankheiten wirklich sehr schwer nachzuweisen<br />
sind. Du solltest dennoch mit Nachdruck deine Symptome<br />
beschreiben und darauf hinweisen, dass es dir wirklich<br />
schlecht geht. (Sonst würdest du doch nie zum Arzt gehen)<br />
Im Folgenden werden vier solcher schwer nachweisbaren<br />
Krankheiten beschrieben. Nur wenn du die Symptome sehr<br />
klar beschreiben kannst, kann deine Ärztin helfen und wird<br />
dir eine Kranschreibung sicher nicht verwehren! Wenn du<br />
deine Ärztin nicht verärgern willst, stelle nicht selbst die<br />
Diagnose, sondern beschränke dich auf die detaillierte<br />
Beschreibung der Symptome. Lediglich bei Migräne wird es<br />
dir niemand verübeln, wenn du schon selbst weißt, was dich<br />
schon wieder plagt. Es wäre ja nicht das erste Mal.<br />
114
Sei deine eigene neoliberale Gesundheitsmanagerin<br />
Im Sinne deiner eigenen Gesundheit solltest du aber auch<br />
mit Medikamenten, Spritzen oder Röntgenaufnahmen nicht<br />
zu sorglos umgehen. Sollte deine Ärztin dir nicht glauben<br />
wollen oder aber mit einer Radikalbehandlung drohen,<br />
scheue dich nicht, selbige zu wechseln.<br />
Wie lange?<br />
Maximal eine Woche.<br />
Migräne<br />
Wer?<br />
Trifft jede und jeden. Sehr viele Leute leiden unter Migräne.<br />
Beschwerden?<br />
Es beginnt damit, dass du gereizt und unausgeschlafen<br />
aufgewacht bist. Zum Frühstück hast du nichts runter<br />
bekommen. weil dein Magen wie zugeschnürt war.<br />
Nachdem du dich so eine halbe bis zwei Stunden<br />
rumgeschleppt hast, haben die Kopfschmerzen begonnen.<br />
Die Schmerzen können ganz unterschiedlich sein. Versuche<br />
zu beschreiben, was auf Dich zutrifft.<br />
• dumpf-drückend und pulsierend bis bohrend pulsierend<br />
• einseitig oder beidseitig<br />
besonders stark im Bereich von Stirn, Schläfe(n), Augen<br />
Du warst plötzlich extrem Lichtempfindlich und musstest<br />
115
Tipps und Tricks<br />
die Vorhänge zuziehen. Lärm ist für dich unverträglich.<br />
Allmählich wurde dir schlecht, schlimmstenfalls musstest du<br />
gallig (gelb, bitter) erbrechen, wobei du Schweißausbrüche<br />
hattest. Die Kopfschmerzen und auch die Übelkeit können<br />
mehrere Tage andauern. Spätestens jetzt solltest du zum<br />
Arzt gehen. Wahrscheinlich hattest du schon öfter solche<br />
Migräneanfälle, oft - aber nicht nur - nach Alkoholgenuss.<br />
Allerdings reicht schon ein Glas Wein aus, um die Schmerzen<br />
auszulösen. Migräneanfälle treten häufig auch bei Stress<br />
und Wetterwechsel aus, bei Frauen besonders oft während<br />
der Periode. Die Schmerzen können aber auch erst später<br />
am Tag aufgetreten sein: nach dem Mittagessen hattest<br />
du dich plötzlich unruhig und unkonzentriert gefühlt, bis<br />
nach einer oder anderthalb Stunden Kopfschmerzen und<br />
Übelkeit sowie übrige Beschwerden eingesetzt haben …<br />
(!) Mit Sicherheit wirst du ziemlich blass, evtl. sogar<br />
„verkartert“ aussehen, wie nach ‘ner durchzechten Nacht.<br />
Was macht die Ärzt_in?<br />
Brutdruck messen, Blut abnehmen. Wenn du häufiger solche<br />
Beschwerden hast, lässt sie evtl. eine Hirnstromuntersuchung<br />
machen, um Epilepsie auszuschließen (harmlos!).<br />
Woran denkt sie?<br />
Die Migräne tritt anfallsartig auf. Sie ist eine Funktionsstörung<br />
der Gehirnschlagadern. Sie äußert sich zuerst 1/2 bis 2<br />
Stunden Lang in einer unzulässigen Verengung, danach für<br />
Stunden bis Tage in einer (noch unzulässigeren) Erweiterung<br />
dieser Adern, wodurch die Kopfschmerzen entstehen.<br />
Du kannst bei dieser Krankheit ruhig offen die Diagnose<br />
116
Sei deine eigene neoliberale Gesundheitsmanagerin<br />
“Migräne” aussprechen, schließlich ist sie ja schon<br />
öfter an Dir diagnostiziert worden, und in deiner<br />
Familie leiden wahrscheinlich auch viele darunter.<br />
Sie kann, da es auch schwerste Formen der Migräne<br />
mit Organstörungen geben kann, dich auch nach<br />
Beschwerden wie Augenflimmern, schweren Sehstörungen,<br />
Sprachstörungen oder Kribbeln in Händen und Armen<br />
fragen. Überprüfe genau, ob du diese Symptome hast.<br />
Wenn ja, musst du dich auf einige Untersuchungen<br />
gefasst machen. Wenn nicht, bleibt dir einiges erspart.<br />
Therapie?<br />
Erfolgt mit Medikamenten. Spritzen solltest du auf<br />
jeden Fall ablehnen. Am besten, du sagst selbst, welche<br />
Tabletten dir helfen (z.B: Cafergot, Dihydergot, Migräne-<br />
Cranit oder normale Schmerzmittel wie Getonida, Spalt,<br />
Optalidon). Das solltest du dir dann auch verschreiben<br />
lassen. Möglicherweise brauchst du die Tabletten dann<br />
doch nicht. Wirf sie in diesem Fall lieber gleich weg.<br />
Nicht das du später das Verfallsdatum übersiehst!<br />
Warnung!<br />
Lass dir auf gar keinen Fall eine Spritze verpassen. Auch<br />
Röntgenuntersuchungen, vor allem der Gehirnschlagadern,<br />
solltest Du verweigern. Dann wechsle lieber den Arzt!<br />
117
Tipps und Tricks<br />
118<br />
Magenschleimhautentzündung – Gastritis<br />
Wie lange?<br />
Mit einer Magenschteimhautentzündung, also einer<br />
Entzündung der Innenhaut des Magens, kannst du<br />
2-4 Wochen oder länger krankgeschrieben werden.<br />
Wer wird krank?<br />
Jede und jeder.<br />
Ursachen<br />
Bakterien, unverträgliche Speisen, Alkohol oder<br />
Medikamente (z.B. nachdem du ein Aspirin genommen hast).<br />
Arbeitest du in einem Betrieb, so besteht die Möglichkeit,<br />
dort herrschende oder neu verwendete Dämpfe und Gase<br />
als Ursache anzusehen. Die Magenschleimhautentzündung<br />
(und auch das Magengeschwür) ist das bekannteste<br />
Beispiel für eine Stresskrankheit, d.h. du wirst krank<br />
wegen der vielen Hektik und Aufregung, die in deinem<br />
Leben, insbesondere bei deiner Arbeit herrschen. Bei<br />
der Magenschleimhautentzündung erkennen sogar<br />
die Ärzte die sozialen und psychischen Ursachen an.<br />
Beschwerden?<br />
Auch hier gibt es unterschiedliche Symptome:<br />
Seit einigen Tagen ist dir übel. Du hast auch schon<br />
gekotzt und musst ständig aufstoßen. Du hast<br />
keinen Appetit und einen permanenten Druck in der<br />
Magen<strong>gegen</strong>d, also zwischen Bauchnabel und Rippen.
Sei deine eigene neoliberale Gesundheitsmanagerin<br />
Der Druck kann sich zu einem starken Schmerz steigern,<br />
der aber auch wieder abschwillt. Schon seit längerem<br />
schlagen dir Sachen/Erlebnisse regelrecht auf den Magen.<br />
(!) Wahrscheinlich hattest du auch früher schon ähnliche<br />
Symptome, die du aber nie richtig zu deuten wusstest.<br />
Was macht die Ärzt_in?<br />
Beim ersten Mal kann es sein, dass du nur befragt und<br />
gar nicht untersucht wirst. Vielleicht drückt er oder sie dir<br />
auf dem Bauch rum und fragt, wo es weh tut. Eventuell<br />
werden Blutuntersuchungen vorgenommen. Vielleicht<br />
wirst du auch gefragt, ob die Schmerzen vor oder nach<br />
dem Essen besser oder schlechter werden - beides ist<br />
durchaus möglich Nach 2-4 Wochen Kranschreibung<br />
wirst du dich evtl. eine_r Vertrauensärzt_in vorstellen<br />
müssen, die dich röntgen oder magenspiegeln will. Wenn<br />
du beidem nicht entgehen kannst, entscheide dich lieber<br />
für die Magenspiegelung, die ist zwar unangenehmer aber<br />
nicht so belastend für den Körper. Da Magenspiegelungen<br />
nur von Fachärzten vorgenommen werden können, kann<br />
es gut sein, dass sich die Untersuchung etwas verzögert.<br />
Häufig wird die Ärzt_in auch durch die Spiegelung nicht<br />
schlauer. Bei vielen Leuten mit Magenbeschwerden<br />
gibt es keine “objektiven Befunde”. Also las dich nicht<br />
einschüchtern, du hast schließlich wirklich Schmerzen !!!<br />
Womit musst du bei einer Spiegelung rechnen?<br />
Du musst nüchtern - also mit leerem Magen - zur<br />
Untersuchung kommen. Dann gibt es 2 Möglichkeiten:<br />
entweder wird dein Rachen mit einem Spray betäubt oder du<br />
119
Tipps und Tricks<br />
bekommst zusätzlich Valium gespritzt, was Du den ganzen<br />
Tag spüren wirst.Ohne Valium wird die Prozedur (Schlauch<br />
schlucken) allerdings schmerzhafter. Allerdings empfindet<br />
das jeder unterschiedlich. Sollte es dir schon besser<br />
gehen und brauchst du keine weitere Kranschreibung,<br />
brauchst du das alles nicht über Dich ergehen zu lassen!<br />
Woran denkt sie?<br />
Bei den von dir beschriebenen Beschwerden wird sie erst<br />
einmal an eine Magenschleimhautentzündung denken,<br />
weil die sehr häufig auftritt. Sie kann dann eine Diagnose<br />
stellen, ohne dich großartig zu untersuchen. Sprichst du<br />
von sich wiederholenden Schmerzen muss sie dich auf<br />
ein Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwür abchecken. Du<br />
wirst sicher erstmal für eine Woche krank geschrieben,<br />
in der Hoffnung das sich dein Magen etwas erholt.<br />
Therapie?<br />
Zuerst bekommst du ein paar Tabletten und die Empfehlung,<br />
dich mal so richtig auszuruhen. Essen sollst Du nur leicht<br />
Verdauliches. Später kommt dann eventuell die Spiegelung.<br />
120
Sei deine eigene neoliberale Gesundheitsmanagerin<br />
Durchfall und Erbrechen - Darmgrippe<br />
Wie lange?<br />
Ca. 1 Woche bis 10 Tage.<br />
Wer wird krank?<br />
Alle. Wie das blühende Leben sieht man<br />
nicht gerade aus - eher mit fahler Blässe.<br />
Beschwerden?<br />
Du hast seit kurzem Durchfall, der sehr flüssig oder wie<br />
dünner Brei ist. Die Farbe ist weiß-gelblich oder auch grünlich<br />
zum Teil lassen sich auch Blut- oder Schleimbeimengungen<br />
feststellen. Letzteres würde dann für eine schwere<br />
Darmerkrankung sprechen. (Unangenehme Untersuchungen<br />
sind nicht auszuschließen) Ansonsten ist dir kotzübel, du<br />
musstest auch schon erbrechen. Du hast krampfartige<br />
Schmerzen im Oberbauch, evtl. etwas mehr zur rechten<br />
Seite hin, dein gesamter Bauch ist äußerst druckempfindlich,<br />
an Essen kannst du überhaupt nicht denken, da wird dir<br />
sofort übel. Du fühlst dich sehr schwach auf den Beinen,<br />
hast das Gefühl, nur im Bett Liegen zu können, um Ruhe<br />
zu haben. Vielleicht hattest du sogar leichte Temperatur.<br />
Was macht die Ärzt_in?<br />
Du wirst gefragt, wann die Beschwerden aufgetreten sind.<br />
Das kann nach einem ausgiebigen Essen passiert<br />
sein. Dann hast du dir wahrscheinlich schlicht den<br />
Magen verdorben und bist in 3-4 Tagen wieder gesund.<br />
Durchfall/Erbrechen sind ganz plötzlich aufgetreten. Du kannst<br />
121
Tipps und Tricks<br />
dir selbst nicht erklären, woher das kommt. Das weist dann<br />
eher auf eine Infektion hin (bakteriell oder Viren-, Pilzinfektion).<br />
Möglicherweise hast du verdorbene Speisen gegessen.<br />
Dir geht es schon eine ganze Weite nicht so gut. Du<br />
hattest viel Arger auf der Arbeit oder zu Hause. Dann<br />
handelt es sich eher um ein psychosomatisches Problem.<br />
Die Ärzt_in wird deinen Bauch abtasten, wobei du<br />
Schmerzen hast. Den genauen Ort der Schmerzen<br />
kannst du nicht bestimmen. Dein gesamter<br />
Oberbauch tut weh, wenn jemand darauf drückt.<br />
Extrem starke Schmerzen sind nicht zu empfehlen.<br />
Das könnte schon eine gefährliche Erkrankung sein!<br />
Eventuell wird der Arzt mit einem Hörrohr deine<br />
Darmgeräusche abhören. Bei Durchfall grummelt es<br />
sehr stark in deinem Darm, wie, wenn man viel Tee oder<br />
Kaffee getrunken hat. Sicherlich wird dich die Ärzt_in<br />
einige Tage krankschreiben. Sollte die Geschichte länger<br />
andauern, musst du bestimmt eine Stuhlprobe abliefern.<br />
Die wird dich stark an den Stuhl nach Einnahme von<br />
Abführmitteln erinnern. Deine Ärzt_in wird Dich<br />
allerdings nicht länger als 10 Tage krankschreiben.<br />
Therapie?<br />
Medikamente. Du musst selber wissen, wie du zu Chemie-<br />
Zeugs stehst! Sicherlich wird dir auch eine Diät angeraten.<br />
Warnung!<br />
Die Symptome müssen nicht wirklich sehr genau beschrieben<br />
werden. Ansonsten kann es passieren, dass du dich im<br />
122
Sei deine eigene neoliberale Gesundheitsmanagerin<br />
Krankenhaus mit Verdacht auf Blinddarmentzündung<br />
wiederfindest!<br />
Sehnenscheidenentzündung<br />
Wie lange?<br />
Kranschreibung ist 2-4 Wochen, in<br />
schweren Fällen bis zu 16 Wochen möglich.<br />
Wer wird krank?<br />
Leute, die in Beruf oder Freizeit immer dieselben andauernden,<br />
gleichförmigen Bewegungen mit den Händen oder Fingern<br />
machen. Sie ist z.B. eine anerkannte Berufskrankheit<br />
bei Sekretär_innen, tritt aber auch bei feinmechanischen<br />
Arbeiten, besonders am Fließband, durch Schraubenanziehen,<br />
wenn du ein Regal baust oder durch das Tragen<br />
von Lasten auf. Bei Anspannung oder Beugen der Finger<br />
merkst du einen ziehenden Schmerz auf der Innenseite<br />
des Unterarms, meist kurz oberhalb des Handgelenks.<br />
Beschwerden?<br />
Bei fast jeder Bewegung der Finger, besonders bei Beugung<br />
und Anspannung und besonders der ersten drei Finger,<br />
merkst du einen deutlichen bis heftigen Schmerz, der<br />
manchmal auch bei Entspannung bleibt, auf der Innenseite<br />
des Unterarms, kurz oberhalb der Handgelenke. Ganz selten<br />
123
gibt es bei Bewegung der Finger ein kaum hörbares oder<br />
tastbares Knarren an der Stelle des Unterarms, an der der<br />
Schmerz sitzt. Sehnenscheidenentzündungen kommen immer<br />
wieder mal vor und bessern sich nur sehr Langsam!<br />
Was macht die Ärzt_in?<br />
Die Symptome müssen wirklich sehr genau beschrieben<br />
werden. Du wirst aufgefordert, den Schmerz zu beschreiben<br />
und deine Finger zu bewegen. Dabei wird der<br />
Schmerz wieder auftreten. Vielleicht sucht die Ärzt_in, an<br />
der Stelle, wo der Schmerz sitzt, eine Hautrötung. Diese<br />
kommt aber nur selten vor. Eventuell wird ein Röntgenbild<br />
erstellt oder eine Blutuntersuchung vorgenommen.<br />
Beides ist unschädlich, gibt aber selten Aufschluss. Im<br />
Prinzip muss der Ärzt_in deine Beschreibung ausreichen,<br />
um dich krank zuschreiben. Ganz misstrauische Ärzt_innen<br />
üben sich ganz gerne in Erdschreckspielchen, um<br />
zu testen, ob du auch bei ruckhaften Bewegungen noch<br />
Schmerzen hast. Las dich also nicht verarschen. Selbstverständlich<br />
treten die Schmerzen bei jeder Bewegung auf.<br />
Therapie?<br />
Richtigstellen der Hand und des Unterarms mit einer elastischen<br />
Binde, einer Gipsschiene oder evtl. mit einem<br />
Zinkleimverband. Wenn der Verband die Situation verschlimmert,<br />
solltest du ihn lieber abnehmen. Vielleicht<br />
bekommst du noch eine entzündungshemmende Salbe.<br />
Warnung!<br />
Viele Leute reagieren auf Gipsverbände allergisch. Solltest<br />
124
Du früher schon einmal Ausschlag unter deinem Gips<br />
bekommen haben, sage dass deiner Ärzt_in und verlange<br />
einen anderen Verband. Auch auf Spritzen gibt es<br />
verschiedene Reaktionen (Allergie, Ohnmacht, Übelkeit).<br />
125
126<br />
Beratungsadressen zu Hartz IV in Berlin<br />
Unabhängige Erwerbslosenberatung<br />
Berliner Kampagne <strong>gegen</strong><br />
Hartz IV im Büro von<br />
Anders Arbeiten, Hof, über<br />
Mehringhof-Theater, 1. Stck.<br />
rechts,<br />
Gneisenaustr.2a, Kreuzberg<br />
(U-Bhf. Mehringdamm)<br />
Mo 15-18 Uhr,<br />
Tel.: 695 98 306<br />
(mit und ohne Termin)<br />
Erwerbslosentreff in<br />
der ‘Lunte’,Weisestr. 53<br />
(U-Boddinstr. in Neukölln),<br />
jeden Mi.: 12-16 Uhr;<br />
Erwerbslosenfrühstück und<br />
Infoaustausch,<br />
Neukölln<br />
Diakonie Gropiusstadt<br />
Lipschitzallee 20, Tel.:<br />
602 31 58, Mo 10-12<br />
Sozialberatung (auch ohne<br />
Termin)<br />
Weitere Beratungsstellen<br />
Tel: 622 32 34,<br />
Beratung evtl.Do 18-20 Uhr<br />
AK ELVIS, PDS-Laden,<br />
Feurigstr. 67-68,<br />
Schöneberg, jeden<br />
Mi.: 17-18.30 Uhr, Info<br />
und Beratung zum<br />
<strong>Arbeits</strong>losengeld II, Tel.: 219<br />
97 140 (ohne Termin)<br />
Querkopf e.V. Blücherst. 37<br />
(U-Südstern), jeden Mo.:<br />
11-14 Uhr, Beratung von<br />
Erwerbslosen, Tel./Fax: 695<br />
03 211.<br />
Kreuzberg<br />
Berliner<br />
MieterGemeinschaft e.V.:<br />
Möckernstr. 92,10963<br />
Berlin, jeden Dienstag um
19 Uhr Informationsabende<br />
mit Jurist/innen und<br />
Sozialarbeiter/innen zu<br />
sozialrechtlichen Fragen<br />
und Unterstützung beim<br />
Ausfüllen von Anträgen<br />
(auch für Nicht-Mitglieder),<br />
Tel. 21 00 25-84<br />
TAM, Diakonie,<br />
Wilhelmstr.115, Kreuzberg,<br />
Mo, Mi-Fr 9-13 Uhr, Tel.:<br />
261 19 93 (mit Termin)<br />
Rechtsberatung mit einem<br />
Anwalt (ohne Anmeldung):<br />
jeden 2. und 4. Mittwoch im<br />
Monat 15.00 - 17.00 Uhr in<br />
der St. Thomas-Gemeinde<br />
am Bethaniendamm 23 -<br />
29<br />
Sozialberatung Bürgerhilfe,<br />
Unionhilfswerk-<br />
Sozialeinrichtungen gGmbH<br />
und Bürgerhilfe e.V., DPW,<br />
Wrangelstr. 66a, 10997<br />
Berlin, Tel. 611 14 64,<br />
Sprechzeiten: Mo, Do 12.00<br />
- 16.00 Uhr, Fr, Di 16.00 -<br />
20.00 Uhr<br />
Friedrichshain<br />
Sozialberatung der<br />
Treberhilfe e.V., DPW,<br />
Niederbarnimstraße 2,<br />
10247 Berlin, Tel. 2 91<br />
75 29, Tel/Fax 2 91 60<br />
68, Tel. 29 66 86 88,<br />
eMail: sozialberatung at<br />
treberhilfe.de, Mo, Mi 10-14<br />
Uhr, Do 14-18 (ohne Termin)<br />
<strong>Arbeits</strong>losen-, Rentenund<br />
Sozialberatung im<br />
Mieterladen, Kreutziger<br />
Str.23, jeden 3. Mittwoch<br />
im Monat 19 - 20 Uhr,<br />
in Zusammenarbeit mit<br />
dem <strong>Arbeits</strong>losenverband<br />
steht Rechtsanwältin<br />
Andrea Draeger, Mitglied<br />
des Vorstandes des<br />
<strong>Arbeits</strong>losenverband<br />
Landesverband Berlin e. V.,<br />
als Ansprechpartnerin zur<br />
Verfügung.<br />
Bitte melden Sie sich bis<br />
zwei Tage vorher telefonisch<br />
unter 74 07 88 31 an.<br />
Sollten keine Anmeldungen<br />
erfolgen, findet die<br />
127
Beratung nicht statt!<br />
Selbsthilfe-Treffpunkt<br />
Friedrichshain-Kreuzberg,<br />
Boxhagener Str. 89,<br />
10245 Berlin, Tel. 030 /<br />
29 18 34 8, eMail: info@<br />
selbsthilfe-treffpunkt.<br />
de, niederschwellige<br />
Sozialberatung jeden Di.<br />
und Fr. 12:00 - 17:00 Uhr.<br />
im Seniorentreff (rechts<br />
neben Haustür mit der Nr.<br />
89)<br />
Wedding<br />
Berliner<br />
<strong>Arbeits</strong>losenzentrum<br />
(BALZ) e.V., Diakonie,<br />
Nazarethkirchstr.<br />
50, 13347 Berlin<br />
(U-Leopoldplatz),offene<br />
Beratungssprechstunde<br />
(ohne telef. Anmeldung) Di.:<br />
10-12.30 Uhr (Unterlagen<br />
mitbringen), telef.<br />
Sprechzeiten (456 060 15)<br />
Mo u. Do: 9-11 Uhr, Di u.<br />
Mi: 9-10 Uhr; www.berlinerarbeitslosenzentrum.de<br />
128<br />
Mitte<br />
Sozialberatung der<br />
Treberhilfe e.V., DPW,<br />
Ackerstraße 147, 10115<br />
Berlin, Tel./Fax 2 82 87 62,<br />
Tel. 74 76 90 61<br />
Spandau<br />
<strong>Arbeits</strong>loseninitiative<br />
in Spandau: Treffpunkt<br />
´Regenbogen`, Lynarstr.<br />
9, Tel.: 336 10 36, Offene<br />
Beratung Do 14-16 Uhr,<br />
sonst nur Termin, Mo 14-17<br />
Uhr, Di 9-14 Uhr, Mi 9-17<br />
Uhr, Do 9-14 Uhr, Fr 9-16<br />
Uhr<br />
<strong>Arbeits</strong>lose helfen<br />
<strong>Arbeits</strong>losen (AHA) c/o<br />
Volkssolidarität Berlin-<br />
Spandau, Metzer Str. 18,<br />
13595 Berlin, Tel.: 030-333<br />
98 33<br />
Erfahrungsaustausch zur<br />
Hilfe und zur Selbsthilfe.<br />
AHA-Begegungscafe 14:00<br />
- 16:30 Uhr, jd. 2. Mittwoch<br />
im Monat gemeinsames<br />
Kochen
AHA-Treffen im<br />
Sprengelhaus 18:30 -<br />
21:30 Uhr, jd. 3. Montag<br />
im Monat, Sprengelstr. 15,<br />
13533 Berlin<br />
AHA-Begegungsfrühstück<br />
10:00 - 12:30 Uhr im<br />
Sprengelhaus (s.o.)<br />
Marzahn, Hellersdorf,<br />
Hohenschönhausen und<br />
Lichtenberg<br />
<strong>Arbeits</strong>losenverband<br />
ALZ Marzahn: Glambecker<br />
Ring 80 - 82, 12679 Berlin,<br />
(Kiezhaus-Haus Marzahn),<br />
Tel.: 93 49 65 04, Mo, Mi,<br />
Do 08:00 - 15:00 Uhr, Di<br />
08:00 - 18:00 Uhr, Fr nach<br />
Vereinbarung<br />
ALZ Hohenschönhausen:<br />
Zum Hechtgraben 1, 13051<br />
Berlin, Tel.: 92 37 65 95,<br />
Mo - Mi 9.00 - 15.00 Uhr,<br />
Di 9-13 (tel.Vereinbarung),<br />
13-17 Uhr, Fr. 9-12 Uhr nur<br />
n. Vereinbarung<br />
ALZ Hellersdorf: Teterower<br />
Ring 168, 12619 Berlin,<br />
Tel. 563 29 53, Mo 9.00 -<br />
16.00 Uhr, Di 9.00 - 18.00<br />
Uhr, Mi,Do 9.00 - 16.00 Uhr,<br />
Fr 9.00 - 11.00 Uhr<br />
Bürger-Kommunikations-<br />
Center Lichtenberg:<br />
Landsberger Allee 180 c - d,<br />
10369 Berlin, Tel.: 97 60<br />
51 98, Mo - Mi 9.00 - 15.00<br />
Uhr, Do 9.00 - 18.00 Uhr Fr<br />
nach Vereinbarung<br />
Gewerkschaftliche<br />
Beratung (für<br />
Gewerkschaftsmitglieder,<br />
mit Ausnahmen)<br />
ver.di (für Mitglieder):<br />
http://www.verdierwerbslosenberatung.<br />
de/, Erwerbslosenberatung<br />
bei: rechtlichen Konflikten<br />
in ungeschützten<br />
<strong>Arbeits</strong>verhältnissen, SGB<br />
III, SGB II usw., jeden Mi.:<br />
16-18 Uhr, Köpenicker Str.<br />
30, Raum 2.22, Tel. 88<br />
66-6<br />
129
ver.di Nord: Treffen jeden<br />
2. Mo. im Monat um 16.30<br />
Uhr, Rathaus Wedding,<br />
Neubau, Raum 187, H.-J.<br />
Heidelmeyer, Tel.: 455 32<br />
55<br />
ver.di Kreuzberg/<br />
Schöneberg: Fr und Mo<br />
14-16 Uhr, Dudenstr.<br />
10, Mediengalerie, Doris<br />
Schmidt, Tel.: 782 48 17<br />
ver.di Hellersdorf/Marzahn:<br />
Mehrower Allee 28 (S-Bhf<br />
Mehrower Allee), 12687<br />
Berlin (berät auch Nicht-<br />
Mitglieder)<br />
IG BAU: Tel: 20620641/-42,<br />
DGB-Haus, Keithstraße 1-3,<br />
nur mit Termin und nur für<br />
Mitglieder<br />
IG Metall, Helgard Kegel,<br />
Tel.: 25387192, nach<br />
telefonischer Vereinbarung,<br />
Mo u. Di 9-17 Uhr, Alte<br />
Jakobstr.149, Zimmer<br />
132 (berät auch Nicht-<br />
130<br />
Mitglieder)<br />
FAU: Di 18-20 Uhr,<br />
Straßburger Str. 38, 10405<br />
Berlin, Tel.: 28700804<br />
Beratung in anderen<br />
Sprachen<br />
Frauen: TIO (türkisch),<br />
Köpenicker Str. 8b, 10997,<br />
Tel. 612 20 50, Di und Do<br />
10-18 Uhr, Fr 9-14 Uhr, nur<br />
mit Termin<br />
Box 66 (russisch,<br />
vietnamesisch), Sonntagstr.<br />
9, 10245 Berlin, Tel. 292<br />
01 44
JungdemokratINNen/Junge Linke Berlin<br />
JungdemokratINNen/Junge Linke (kurz: JD/JL)<br />
sind ein parteiunabhängiger, emanzipatorischer,<br />
radikaldemokratischer Jugendverband.<br />
Wir sehen in der Demokratisierung aller gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse, d.h. in der Überwindung autoritärer und<br />
hierarchischer Strukturen, die Voraussetzung für eine<br />
selbstbestimmte Gestaltung aller Lebensverhältnisse der<br />
Einzelnen. Weil entscheidende Bereiche demokratischer<br />
Kontrolle entzogen (wie z.B. in der Wirtschaft) oder autoritär<br />
organisiert (wie z.B. in der Schule) sind, kritisieren wir den<br />
undemokratischen Charakter dieser Gesellschaft und treten<br />
für ihre Veränderung ein.<br />
Wir sehen keine Möglichkeit, allein über Parlamente und<br />
Parteien tief greifende demokratische Änderungen zu<br />
bewirken. Parlamente sind unserer Ansicht nach zwar<br />
demokratische Errungenschaften, die es <strong>gegen</strong> die<br />
anti-demokratischen Tendenzen von Regierungen und<br />
Bürokratien zu verteidigen gilt, doch ist ihr Einfluss begrenzt.<br />
JungdemokratINNen/Junge Linke setzen sich für die<br />
Emanzipation der Einzelnen und für gesellschaftliche<br />
Verhältnisse ein, die Selbstbestimmung umfassend<br />
ermöglichen. Befreiung der Einzelnen von Herrschaft und<br />
Unterdrückung und die Schaffung einer emanzipatorischen<br />
Gesellschaft sind für uns untrennbar miteinander verbunden.<br />
131
Info-Paket<br />
Alle aktuellen Materialen<br />
(außer Handbücher)<br />
kostenlos nach Hause.<br />
Kampange Safer<br />
Privacy<br />
• Faltblatt „Safer<br />
Privacy“<br />
• Postkarte<br />
„Selber Terror“<br />
• Jute Beutel<br />
„Selber Terror“<br />
• diverse<br />
Sticker<br />
Plakat-Paket<br />
oder Plakate einzeln:<br />
• Helm ab, Hirn rein!<br />
132<br />
radikaldemokratischer Bauchladen<br />
Zu bestellen bei:<br />
JD/JL, Greifswalderstr 4, 10405 Berlin,<br />
Fon / Fax: (030) 24729747,<br />
info@jungdemokraten.de www.jungdemokraten.de<br />
Alle Materialien sind kostenlos, soweit nicht anders<br />
vermerkt.<br />
Radikal <strong>gegen</strong><br />
Militarisierung<br />
• Noten abschaffen!<br />
Schule<br />
demokratisieren.<br />
• Es ist besser unsere<br />
Jugend besetzt<br />
leerstehende Häuser<br />
als fremde Länder<br />
Kriegsdienste<br />
verweigern!<br />
• Kein Mensch ist<br />
illegal: illegal lernen/<br />
bauen/putzen/krank<br />
• Wir haben<br />
besseres zu tun!<br />
Gegen <strong>Arbeits</strong>zwang<br />
und Billigjobs. Soziale<br />
Grundsicherung für alle
Handbücher<br />
• <strong>Handbuch</strong> <strong>gegen</strong><br />
<strong>Arbeits</strong>zwang.<br />
(Neuauflage 2012)<br />
• Europa: Die Verfassung<br />
ist tot. Es lebe die<br />
Verfassung!<br />
• Sterne zum<br />
Tanzen bringen –<br />
radikaldemokratische<br />
Kritik der EU (5,85€)<br />
• Broschüre <strong>gegen</strong><br />
Totschlagargumente.<br />
Gegen Jugendoffiziere<br />
und für die<br />
Entmilitarisierung der<br />
Schulen<br />
• Kein Mensch ist illegal.<br />
<strong>Handbuch</strong> <strong>gegen</strong><br />
Abschottung, Selektion<br />
und Überwachung<br />
• Flucht und Migration<br />
• Freiheit stirbt mit<br />
Sicherheit – <strong>Handbuch</strong><br />
<strong>gegen</strong> Ausgrenzung<br />
(3€)<br />
• Die<br />
Stoffkundebroschüre<br />
- Was wirkt wie, und<br />
warum? Ausführliche<br />
Beschreibung der<br />
verbreitetsten Drogen.<br />
incl. Tipps für Safer Use<br />
und Rechtshilfeinfos<br />
• Tipps & Tricks für den<br />
radikaldemokratischen<br />
Alltag<br />
• Radikaldemokratie<br />
Broschüre<br />
Postkarten<br />
• Aus hygienischen<br />
Gründen wird<br />
diese Toilette<br />
videoüberwacht!<br />
Radikal <strong>gegen</strong><br />
Überwachung<br />
• Tucholsky hat Recht! -<br />
Immernoch!<br />
• Selber Terror<br />
• Helm ab, Hirn rein!<br />
Radikal <strong>gegen</strong><br />
Militarisierung<br />
• Deutsch mich nicht<br />
voll! Radikal <strong>gegen</strong><br />
Leitkultur<br />
133
• Kein Mensch ist illegal.<br />
Gegen Abschottung,<br />
Abschiebung und<br />
Rassismus.<br />
• Gegen<br />
Schubladendenken?<br />
Die Kommode muss<br />
weg!<br />
• Erziehung ist<br />
organisierte<br />
Verteidigung der<br />
Erwachsenen <strong>gegen</strong><br />
die Jugend.<br />
Newsletter<br />
Den radikaldemokratischen<br />
Newsletter könnt ihr,<br />
wie übrigens auch alle<br />
Materialien unter www.<br />
jungdemokraten.de<br />
bestellen<br />
134<br />
Sonstiges<br />
• diverse Sticker<br />
• Tshirt „Migrants<br />
welcome“<br />
• Jutebeutel „Selber<br />
Terror!<br />
• Archiv-Paket (mit allen<br />
noch verfügbaren<br />
„Beiträgen zur<br />
radikaldemokratischen<br />
Diskussion“,<br />
• Aufkleber zum<br />
Volkszählungsboykott<br />
(80er), Aufkleber<br />
• „Jungdemokröten“<br />
(90er), Plakate „Weiter<br />
so Deutschland?“ uvm.<br />
(7,50€)
135
ANZEIGEN<br />
Die Sterne zum Tanzen bringen<br />
Ein Buch zur radikaldemokratischen Kritik der EU<br />
* Staatstheorie und radikale Demokratie<br />
* Postkoloniale Betrachtungen<br />
* Migration & Grenzziehungen<br />
* Datenschutz & Überwachung<br />
* Geschlechterverhältnisse<br />
* Institutionen & Lobbyismus<br />
* Kämpfe um Arbeit & Bildung<br />
www.sternezumtanzenbringen.jdjl.org<br />
JungdemokratInnen/Junge Linke (Hrsg.)<br />
radikaldemokratisch emanzipatorisch parteiunabhängig<br />
5 Euro<br />
ISBN 978-3-9806044-1-3
www.jungdemokraten.de