60 globalgame angler globalgame angler 61 - Marlin Fishing La ...
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Text: Mirjana Pavlic<br />
Fotogafie: Thomas Michael<br />
eit einigen Jahren wird die <strong>Marlin</strong>fischerei an den in<br />
früheren Zeiten so glanzvollen europäischen Hot-Spots<br />
besser und besser. Vor den Kanarischen Inseln ist<br />
der Fang eines Schwertträgers schon lange keine<br />
zufällige Begegnung mehr. Rund um <strong>La</strong><br />
Gomera sind die Chancen auf einen großen<br />
Blue <strong>Marlin</strong> so gut, dass sie selbst eine<br />
eingefleischte Fliegenfischerin in den<br />
Kampfstuhl locken.<br />
<strong>60</strong> GLOBAL GAME ANGLER GLOBAL GAME ANGLER <strong>61</strong>
LA GOMERA BLUE MARLIN BLUE MARLIN LA GOMERA<br />
EIN ANRUF AUS DER HEIMAT<br />
Als das Telefon klingelte und ich im Display<br />
die 386 am Anfang der Nummer sah,<br />
wusste ich, dass ich endlich mal wieder ein<br />
Telefongespräch in meiner slowenischen<br />
Muttersprache führen würde. Doch, noch<br />
wusste ich nicht, wer der Anrufer wohl war.<br />
Aber das konnte ich ja schnell herausfinden.<br />
Einen Knopfdruck später hörte ich eine<br />
altbekannte Stimme, die ich schon wirklich<br />
lange nicht mehr gehört hatte. „Na, du alter<br />
Fischdieb“, begrüßte ich den Anrufer.<br />
Bestimmt seit zwei Jahren hatte ich nichts<br />
mehr von Andrej gehört, dem in meiner<br />
Heimat für seine Erfolge beim Fang großer,<br />
sehr großer Marmoratas gleichermaßen bekannten<br />
wie berüchtigten und von vielen sogar<br />
geächteten Fliegenfischer. Andrej hatte<br />
sich früher tage-, ja manchmal wochenlang<br />
auf die <strong>La</strong>uer gelegt, um einen bestimmten<br />
Fisch zu fangen. Hat am Wasser geschlafen,<br />
den Fisch und dessen Verhalten von früh bis<br />
spät beobachtet und dann schließlich seine<br />
Fliege präsentiert. So hat Andrej zwar nicht<br />
alle riesigen marmorierten Forellen überlistet,<br />
auf die er es abgesehen hatte, aber<br />
die meisten. Und weil Erfolg immer Neider<br />
schafft, war Andrej nicht überall gleichermaßen<br />
beliebt. Ich aber mochte ihn immer,<br />
denn es gehört schon einiges dazu, sich seine<br />
Fische so hart zu erarbeiten, wie Andrej<br />
das getan hatte. Und jetzt hatte er wieder<br />
etwas Neues zu erzählen.<br />
Andrej war nun Teilhaber eine Bootes und<br />
machte gemeinsam mit seinem Partner Angelausfahrten<br />
in den Kanarischen Inseln. Ich<br />
müsse ihn unbedingt besuchen kommen,<br />
sagte er. Die Fischerei sei toll und ich hätte<br />
sehr gute Chancen, einen <strong>Marlin</strong> zu fangen.<br />
„Mit der Fliege?“ fragte ich. „Du kannst es<br />
versuchen, Mirjana. Aber die Fische hier<br />
sind wohl zu groß. Wir haben erstklassiges<br />
BIG GAME-Angelgerät an Bord“, gab Andrej<br />
mir zur Antwort. Hmmm... BIG GAME? Das<br />
ist wohl eher nichts für mich. Schließlich fische<br />
ich nur mit der Fliege und hatte zu dem<br />
Zeitpunkt, als Andrej mich zu den Kanaren<br />
einlud, noch überhaupt keine Berührungspunkte<br />
mit der schweren Fischerei.<br />
Es vergingen ein paar Wochen bis Andrej<br />
ein zweites Mal anrief und einen neuen Versuch<br />
unternahm, mich zum <strong>Marlin</strong>fischen zu<br />
überreden. Ich hatte die Sache schon fast<br />
vergessen, als Andrej mir begeistert von den<br />
Fängen der letzten Wochen vorschwärmte<br />
und damit doch irgendwie meinen Jagdtrieb<br />
weckte. Wieder fragte ich ihn, ob es<br />
denn auch Möglichkeiten zum Fliegenfischen<br />
gäbe. Als Andrej dann meinte, ich könnte<br />
doch einfach die Fliegenruten mitbringen<br />
und dann mal schauen, was damit möglich<br />
ist, hatte er mir eine Tür geöffnet. Durch die<br />
Der Hafen von Los<br />
Christianos auf Teneriffa.<br />
Hier legen die Fähren<br />
zur Nachbarinsel <strong>La</strong><br />
Gomera ab.<br />
Der Fred Olsen<br />
Express braucht<br />
knapp 40 Minuten<br />
von Teneriffa nach<br />
<strong>La</strong> Gomera.<br />
Passagiere, Autos, LKW, Container... hier<br />
wird alles verladen, was zwischen den Kanarischen<br />
Inseln hin und her transportiert werden<br />
muss.<br />
ich nur all zu gerne hindurch schritt. Hatte<br />
ich doch dringend ein paar Tage Auszeit von<br />
der Arbeit der letzten Wochen verdient. Also<br />
sagte ich Andrej zu und kümmerte mich um<br />
einen Flug von Düsseldorf nach Teneriffa<br />
Süd in der ersten Augustwoche.<br />
REISE ZUR VULKANINSEL<br />
Am ersten August stieg ich um viertel vor<br />
elf in den Flieger, mit dem CONDOR mich<br />
für knapp 420 Euro von Düsseldorf nach Teneriffa<br />
und vier Tage später wieder zurück<br />
bringen sollte. Nach knapp vier Stunden<br />
Flugzeit sah ich zum ersten Mal in meinem<br />
Leben die Insel Teneriffa. Von meinem Fensterplatz<br />
aus blickte ich auf die Insel hinunter,<br />
von der mir meine Bekannten neidvoll vorgeschwärmt<br />
hatten. So schön sei es da, wo<br />
ich hinfliegen würde. Ein richtiges Urlaubsparadies.<br />
Doch ich erblickte nur braunes<br />
Ödland mitten im tiefblauen Meer. Und dann<br />
diese gewaltigen Ansammlungen heller Gebäude,<br />
großer Hotelkomplexe auf einem<br />
Haufen. Ich hatte mir das Urlaubsparadies<br />
ganz anders vorgestellt. Bald darauf bestieg<br />
ich ein Taxi und ließ mich nach Los Christianos<br />
fahren, einer Hafenstadt im Süden von<br />
Teneriffa, wo ich an Bord einer Fähre meine<br />
Reise zu meinem Endziel fortsetzen wollte.<br />
Während der Taxifahrt korrigierte sich mein<br />
erster Eindruck von Teneriffa. Blühender Liguster,<br />
Palmen und Akazien zauberten bunte<br />
Schönheit in die karge Wüstenlandschaft.<br />
Und die sauberen Häuser und ungezählten<br />
schnuckeligen Restaurants an den Uferstraßen<br />
der kleinen Ortschaften ließen doch ein<br />
wohliges Urlaubsgefühl aufkommen.<br />
Zwei Fähren verbinden Teneriffa mit der<br />
nächsten Insel <strong>La</strong> Gomera. Beide Schiffe<br />
sind große Autofähren. Die kleinere heißt<br />
„Volcan de Taburiente“ und die größere trägt<br />
den stolzen Namen „Benchijigua-Express“.<br />
Heute Abend fuhr nur noch die große Fähre<br />
nach <strong>La</strong> Gomera und so stand ich um 19:00<br />
Uhr mit einem leckeren Milchkaffee von der<br />
Schiffsbar auf dem Sonnendeck im Heck des<br />
gewaltigen Katamarans. Die „Benchijigua-<br />
Express“ ist das größte von fünf Fährschiffen<br />
der Fred Olsen Express Linie. Sie ist über<br />
120 Meter lang und erreicht mit bis zu 1.350<br />
Passagieren und 400 Automobilen an Bord<br />
eine unglaubliche Spitzengeschwindigkeit<br />
von über 40 Knoten. Der Fahrtwind blies<br />
mir durch die Haare, es war warm, es war<br />
Urlaub. Als wir die Hafeneinfahrt hinter und<br />
gelassen hatten und über das offene Meer<br />
rasten, wurde es trotz der Größe des Schiffes<br />
ganz schön schaukelig. Weiße Schaumkronen<br />
zierten die Wellen und ich fragte<br />
mich, ob die geplanten drei Angelausfahrten<br />
bei diesen Bedingungen überhaupt stattfinden<br />
können.<br />
Nach einem zweiten Milchkaffee und insgesamt<br />
knappen vierzig Minuten Hochgeschwindigkeitsfahrt<br />
erreichten wir den Hafen<br />
von San Sebastian. <strong>La</strong> Gomera gefiel mir<br />
auf den ersten Blick. Das verträumte Örtchen<br />
San Sebastian schmiegte sich an die<br />
Hänge eines hohen Bergs. Hier war alles viel<br />
grüner als auf Teneriffa. Und von großen Hotelanlagen<br />
war nichts zu sehen. Am Anleger<br />
im Hafen erblickte ich einen durchtrainierten<br />
Kerl mit kahlgeschorenem Kopf und cooler<br />
Sonnenbrille. Andrej wartete also tatsächlich<br />
wie versprochen auf mich, nahm mir<br />
mein Gepäck ab und führte mich durch den<br />
kleinen Hafen, entlang der Strandpromenade<br />
und durch die Gassen des malerischen<br />
Örtchens namens San Sebastian zu meiner<br />
Unterkunft. Er hatte ein kleines, sauberes<br />
Appartement mit Wohnzimmer, Küche, Bad<br />
und Schlafzimmer in einem preiswerten Hotel<br />
mitten im Ort für mich reserviert. Wir luden<br />
mein Gepäck ab, machten noch einige<br />
Besorgungen in einem Supermarkt und verabredeten<br />
uns zum Abendessen.<br />
CAPTAINS DINNER MIT TONY<br />
So lernte ich, nachdem ich mich von der<br />
Anreise ein wenig erholt und frisch gemacht<br />
hatte, beim Dinner Andrejs Freund und Geschäftspartner<br />
Tony Norman kennen. Ein<br />
von Wind und Wetter gegerbter Kapitän,<br />
der trotz seiner 72 Jahre eine erstaunliche<br />
Jugendlichkeit und Fröhlichkeit ausstrahlte.<br />
Mit einem breiten Grinsen begrüßte er mich<br />
und sofort mochte ich seinen charmanten<br />
Humor. Tony stammt aus Neuseeland, wo<br />
er seit frühester Kindheit mit dem Meeresfischen<br />
vertraut war. Als Big Game Kapitän<br />
hat er dort und lange Zeit in Mittelamerika<br />
gearbeitet, bevor es ihn zunächst nach<br />
England und schließlich auf die Kanaren verschlug.<br />
Nun arbeitete er seit fast zwei Jahren<br />
mit Andrej zusammen und beide brachten<br />
Angler aus aller Welt an Bord ihrer 31<br />
Fuß Bertram auf den Atlantik hinaus und in<br />
Kontakt mit großen, starken Meeresfischen.<br />
Unser Gespräch beim Dinner war hoch interessant<br />
und drehte sich natürlich hauptsächlich<br />
um die bevorstehende Fischerei.<br />
Immer wieder wollte ich wissen, ob denn<br />
Chancen bestünden, einen <strong>Marlin</strong> mit der<br />
Fliege zu fangen. Tony nahm mir mit den<br />
folgenden Sätzen dann endgültig alle Illusionen:<br />
„Wenn hier ein <strong>Marlin</strong> mit 400 Pfund<br />
gefangen wird, dann freut man sich, aber<br />
es ist nichts besonderes. Ein <strong>Marlin</strong> mit 500<br />
Pfund ist ein „nice fish“. Einer mit <strong>60</strong>0 Pfund<br />
ist ein „really nice fish“. Bei über 700 Pfund<br />
spricht man von einem „good fish“. Und ab<br />
800 Pfund wird es interessant.“ Ich hatte<br />
verstanden. Die meisten <strong>Marlin</strong>e der Kanaren<br />
sind einfach viel zu groß, um sie mit der<br />
Blick auf die kleine<br />
Hafenstadt San Sebastian<br />
und ein Big Game Boot auf<br />
seiner Fahrt in die Marina<br />
von <strong>La</strong> Gomera.<br />
Fliegenrute bezwingen zu können. Nach einem<br />
letzten Glas Wein verabschiedeten wir<br />
uns und beschlossen, morgen um 10:00 Uhr<br />
den Hafen zu verlassen.<br />
BIG-GAME CRASH-KURS<br />
Natürlich kam ich, wie immer, ein paar Minuten<br />
zu spät. Andrej und Tony hatten die<br />
Zeit genutzt, um Proviant für die Ausfahrt<br />
vorzubereiten und waren gerade dabei,<br />
das Angelgerät und die Bertram herzurichten,<br />
als ich über die Steganlage zum Boot<br />
wanderte. Gleich würde meine aller erste<br />
Ausfahrt zum Hochseefischen beginnen.<br />
Ich muss zugeben, ich war ein wenig nervös.<br />
Meine Welt sind die Flüsse und Seen,<br />
und was das Fliegenfischen im Salzwasser<br />
betrifft, so hatte ich bis dato zwar schon<br />
öfter in den Flats auf Bonefish, Permit und<br />
Tarpon gefischt, aber auf dem richtig tiefen,<br />
dunkelblauen Meer war ich noch nie zuvor<br />
gewesen.<br />
Andrej nahm mir meine Angelausrüstung<br />
ab und half mir dabei, die Fliegenruten einsatzbereit<br />
zu machen. Ich hatte eine 8-er,<br />
eine 12-er und eine 16-er Fliegenrute dabei,<br />
denn Andrej hatte mir ja gesagt, ich<br />
solle die Sachen ruhig mitbringen. Doch<br />
langsam wurde mir klar, dass er dies wirklich<br />
nur gesagt hatte, damit ich überhaupt<br />
nach <strong>La</strong> Gomera komme. Er und Tony hat-<br />
62 GLOBAL GAME ANGLER GLOBAL GAME ANGLER 63
LA GOMERA BLUE MARLIN<br />
ten mir klar gemacht, dass die <strong>Marlin</strong>e in<br />
den Gewässern der Kanaren so groß seien,<br />
dass es kaum eine Chance gäbe, hier<br />
diese Fischart mit der Fliegenrute zu bezwingen.<br />
Wenn wir auf Bonitos oder Goldmakrelen<br />
treffen würden, dann solle ich die<br />
Fliegenrute zum Einsatz bringen. Aber was<br />
den Blauen <strong>Marlin</strong> betrifft, müsste ich mich<br />
jetzt damit abfinden, mit konventionellem<br />
Big Game Gerät zu fischen.<br />
Doch diese Gerätschaften waren mir<br />
noch völlig fremd. Skeptisch blickte ich auf<br />
den Kampfstuhl im Heck des Bootes. Würde<br />
man mich daran festschnallen? Noch<br />
skeptischer schaute ich auf die gewaltigen<br />
Multirollen und besenstildicken Big Game<br />
Ruten. Wie sollte ich dieses schwere Zeug<br />
halten, und würde ich überhaupt die Kraft<br />
haben, damit einen Fisch zu drillen?<br />
Die Antworten folgten sofort. Andrej<br />
schickte mich in den Kampfstuhl. Mit einem<br />
merkwürdigen Gefühl in der Magengegend<br />
setzte ich mich auf das mit weißem Kunstleder<br />
bezogene, dünne Sitzpolster. Dann<br />
legte Andrej mir ein Geschirr um, einen<br />
Harness, wie ich nun lernte. Und danach<br />
steckte er eine der Big Game Ruten mit deren<br />
gebogenem Fuß in die am Kampstuhl<br />
befestigte Kreuzaufnahme, klinkte zwei<br />
am Harness befestigte Karabinerhaken in<br />
die Ösen der riesigen Multirolle und schon<br />
war ich befestigt. Doch anders als ich es<br />
erwartet hatte, war ich nicht am Kampfstuhl<br />
befestigt, sondern an der Rute und<br />
Rolle.<br />
„Aha!“, dachte ich. Diese Fischerei<br />
scheint doch anders zu sein, als ich bisher<br />
vermutet hatte. Jetzt sagte Andrej<br />
mir, dass er die Rollenbremse auf einen<br />
maximalen Widerstand von etwa 45 englischen<br />
Pfund eingestellt hatte. Er erklärte<br />
mir, wie die Bremse der Rolle funktioniert,<br />
wie, warum und wann man die Bremskraft<br />
mit dem Hebel an der Rolle verstellen kann<br />
und wie man die Rolle zwischen hoher und<br />
niedriger Übersetzung umschaltet. Wow –<br />
eine Rolle mit Gangschaltung. Das gibt es<br />
beim Fliegenfischen nicht. Schließlich stieg<br />
Andrej aus dem Boot und stellte sich mit<br />
der von der Rolle kommenden Schnur in<br />
der Hand auf die Steganlage. Jetzt erhielt<br />
ich eine Lektion im praktischen Umgang<br />
mit dem Big Game Angelgerät.<br />
Andrej spielte Fisch und zog Schnur von<br />
der Rolle. Der Zug war so stark, dass es<br />
mich vom Sitz lupfte und ich mich mit meinem<br />
ganzen Körpergewicht dagegen stemmen<br />
musste. Und so ging es noch eine gute<br />
Viertel Stunde weiter. Ich lernte, dass man<br />
die Rute nicht mit den Händen halten und<br />
keinesfalls mit der Kraft der Arme drillen<br />
darf, sondern dass man nur die Rolle anfasst<br />
und ausschließlich mit der Verlagerung<br />
des eigenen Körpergewichtes und mit<br />
der Kraft der Beine gegen den Fisch arbeitet.<br />
Ich lernte, wie man mit der Technik des<br />
Pumpens und mit dem richtigen Rhythmus<br />
des Kurbelns Schnur auf die Rolle zurückbringt.<br />
Und ich wusste nun, dass mich alles<br />
andere als ein simples „Herankurbeln“ eines<br />
Fisches aus sitzender Position.<br />
Big Game Boote in der Marina von San<br />
Sebastian.<br />
In der kleinen Kneipe am Marktplatz<br />
von San Sebastian trifft sich die Angelszene<br />
von <strong>La</strong> Gomera.<br />
Capt. Tonys 31 Fuß Bertram ist ein echter<br />
Klassiker in allerbestem Zustand.<br />
Tony Norman, Hard-Rocker und Big<br />
Game Kapitän der alten Schule. Nach zig<br />
Jahren des Big Game Fischens in Neuseeland,<br />
USA und Mittelamerika hat er sich<br />
auf <strong>La</strong> Gomera niedergelassen und bringt<br />
hier gemeinsam mit seinem Freund und<br />
Partner Andrej die Angler an den Fisch.<br />
Nach diesem Schnellkurs warf Tony dem<br />
Motor der Bertram an und wir fuhren hinaus<br />
aufs Meer. Ich war gefasst auf einen<br />
wilden Wellengang, wie ich ihn gestern bei<br />
der Überfahrt von Teneriffa nach <strong>La</strong> Gomera<br />
gesehen hatte. Aber Tony beruhigte mich.<br />
Wir würden im Windschatten der Insel fischen,<br />
da sei es richtig gemütlich. Und tatsachlich,<br />
die hohen Berge von <strong>La</strong> Gomera<br />
schützten uns vor dem Wind. Wie ich nun<br />
erfuhr, bieten die anderen Kanarischen Inseln<br />
wie beispielsweise Teneriffa oder Gran<br />
Canaria, keine wind- und wellengeschützten<br />
Bereiche. Dort gibt es natürlich auch <strong>Marlin</strong><br />
und Co. und ohne Zweifel eine gute bis sehr<br />
gute Fischerei, doch wenn die See rau ist,<br />
dann sind die Ausfahrten entsprechend ungemütlich.<br />
Vor <strong>La</strong> Gomera jedoch kann bei<br />
fast jedem Wetter gefischt werden.<br />
So plauderten wir, die Sonne schien, es<br />
war einfach herrlich. Ich erfuhr viel über die<br />
Blauen <strong>Marlin</strong>e, die von Mai bis in den Oktober<br />
hinein hier zu fangen sind. Und über<br />
Wahoos, über Goldmakrelen, Skipjack Tuna,<br />
und dass man insbesondere im Winter mit<br />
in der Tiefe angebotenen Jigs große Snapper<br />
und Amberjacks fangen kann. Andrej<br />
hatte endlos viele Fangfotos und Videos von<br />
ihm, Tony und ihren Anglern auf seinem<br />
Handy, die er mir alle zeigen wollte. So kam<br />
keine <strong>La</strong>ngeweile auf, obwohl vier Stunden<br />
lang überhaupt kein Fisch sich für unsere<br />
Schleppköder interessierte.<br />
Tony hielt in seinem Steuerstand hoch<br />
über uns immer Ausschau nach Anzeichen<br />
von Fischen. Er suchte Meeresvögel, folgte<br />
den Bodenstrukturen des Meeres und den<br />
Strömungen. Andrej wechselte immer wieder<br />
nach einer Weile die Schlepplures gegen<br />
andere Größen und Farben aus. Es war<br />
interessant zu beobachten, wie konzentriert<br />
die beiden arbeiteten. Doch alle Mühe half<br />
nichts.<br />
Kurz vor Sonnenuntergang liefen wir wieder<br />
in den Hafen ein, ohne auch nur einen<br />
Biss gehabt zu haben. Ob das meine Fischerei<br />
werden könnte? An diesem Abend bezweifelte<br />
ich das doch sehr. Trotzdem schlief<br />
ich entspannt und glücklich ein, denn der<br />
Tag draußen auf dem Meer war wunderschön<br />
gewesen.<br />
DER POTENZIELLE GRAND SLAM<br />
Der zweite Angeltag begann mit einem<br />
entspannten Frühstückskaffee in einem kleinen<br />
Bistro am Marktplatz von San Sebastian.<br />
Im Schatten uralter Bäume schlürfte ich<br />
das leckere heiße Getränk während Tony und<br />
Andrej Pläne für die Ausfahrt schmiedeten.<br />
Warum wir erst so spät zum Fischen rausfahren,<br />
wollte ich wissen. An anderen Orten,<br />
so hatte ich gehört, fahren die Boote schon<br />
bei Sonnenaufgang los. Doch hier waren<br />
wohl alle Big Game Kapitäne <strong>La</strong>ngschläfer.<br />
Tony grinste und meinte, dass die Erfahrung<br />
einfach gezeigt hat, dass nur selten Fänge<br />
in den frühen Morgenstunden gemacht wurden.<br />
Also hatte es sich einfach eingebürgert,<br />
dass man hier etwas später rausfahre und<br />
dafür aber so lange auf dem Meer bliebe, wie<br />
es das Tageslicht erlaubt. Andere Länder, andere<br />
Sitten. Mir sollte es recht sein.<br />
Heute zeigte sich mehr Aktivität auf und<br />
im Wasser. Vögel waren unterwegs, wir sahen<br />
jede Menge Delfine und sogar einige<br />
Pilotwale. Die beeindruckendste Begegnung<br />
hatten wir mit einem Buckelwal, der ganz<br />
dicht an unser Boot kam. Mehrere Minuten<br />
lang konnten wir den Meeresgiganten aus<br />
nächster Nähe beobachten und bewundern.<br />
Ich war begeistert.<br />
„Da ist viel mehr Leben als gestern!“ rief<br />
ich Tony zu. Der grinste aus dem Steuerstand<br />
zu mir herunter und antwortete:<br />
„Klar. Gestern war hier ja auch ungefähr<br />
so viel Leben wie auf einem Friedhof.“ Bald<br />
waren wir von raubenden Skipjack Tunas<br />
umgeben. Ich wollte sofort zur Fliegenrute<br />
greifen, aber Andrej stoppte mich. Zunächst<br />
wollte er herausfinden, ob die Burschen<br />
denn überhaupt fangbar waren. Ich verstand<br />
erst später, was er damit meinte. Er<br />
montierte kleine Feder- und Octopuss-Jigs<br />
an leichten Ruten, die er wohl fast hundert<br />
Meter hinter dem Boot durchs Wasser laufen<br />
ließ. Und kein Fisch interessierte sich dafür.<br />
„Locked jaws!“ rief Tony (verschlossene<br />
Mäuler). Vermutlich fraßen die kleinen Tunfische<br />
so winzige Nahrung, dass sie jeden<br />
größeren Köder völlig ignorierten. Es machte<br />
also tatsächlich keinen Sinn, einen Versuch<br />
mit der Fliege zu unternehmen. Und so<br />
blieb es bis zur Mittagszeit ruhig um unsere<br />
Schleppköder.<br />
BLUE MARLIN LA GOMERA<br />
Ich spürte, wie Andrej und Tony mehr und<br />
mehr unter Erfolgdsdruck kamen. Sie taten<br />
ihr Bestes, um den versprochenen <strong>Marlin</strong><br />
für mich zu finden. Doch ihre Mühe alleine<br />
reichte nicht aus, uns fehlte einfach das entscheidende<br />
Quäntchen Glück. Auch die anderen<br />
zwei Big Game Boote, die gestern und<br />
heute auf dem Meer waren, hatten nichts<br />
gefangen. Tony sprach mit den anderen Kapitänen<br />
regelmäßig über Funk und manchmal<br />
sahen wir die Boote auch, wenn sie<br />
unseren Kurs kreuzten oder in einem oder<br />
zwei Kilometern Entfernung parallel zu uns<br />
ihre <strong>Marlin</strong>köder durch den Atlantik zogen.<br />
Nach einem Mittagessen, bestehend aus<br />
leckeren Sandwiches und frischem Obst,<br />
nahm Tony Kurs auf die Küste von <strong>La</strong> Gomera.<br />
Er drosselte die Maschine und suchte<br />
etwas auf dem Bildschirm seines Echolots.<br />
Während dessen bereitete Andrej zwei<br />
Spinnruten mit Paternostersystemen vor.<br />
Etwas ähnliches kannte ich vom Makrelenangeln.<br />
„Sabiki“, erklärte Andrej. „Damit<br />
fangen wir jetzt Köderfische.“ Tony hielt<br />
das Boot an und kommandierte „Down!“.<br />
Andrej und ich ließen die mit einem Blei<br />
beschwerten Sabikis in die Tiefe tauchen.<br />
Dann machte ich einfach nach, was Andrej<br />
tat. Er hob die Rutenspitze mit aufeinander<br />
folgenden, kurze Rucken und kurbelte anschließend<br />
etwas Schnur auf, ruckte wieder,<br />
kurbelte wieder. Gut, das konnte ich auch.<br />
Und schon spürte ich etwas in der Tiefe an<br />
der Schnur zappeln. Sechs Makrelen hingen<br />
an den kleinen Haken meines Sabikis. Bald<br />
hatte ich das Prinzip dieser Köderfischangelei<br />
so gut verstanden, dass ich ungefähr<br />
doppelt so viele Makrelen fing wie Andrej.<br />
Ich zeigte ihm eine lange Nase und machte<br />
ihm klar, dass er wohl noch ein wenig<br />
64 GLOBAL GAME ANGLER GLOBAL GAME ANGLER 65
LA GOMERA BLUE MARLIN<br />
üben müsse. Diese Köderfischangelei war<br />
eine willkommene Abwechslung vom Warten<br />
auf den <strong>Marlin</strong>biss und machte mir einen<br />
riesigen Spaß. Gerade wollte ich Andrej<br />
wieder einen Spruch „reintun“, da bog sich<br />
meine Spinnrute zum Halbkreis. Etwas großes,<br />
starkes zog die Rutenspitze bis auf die<br />
Wasseroberfläche und dann war alles wieder<br />
vorbei. „Amberjack oder vielleicht ein Dorado!“<br />
rief Andrej. Schnell griff er eine der<br />
stärkeren Ruten, montierte in Windeseile<br />
ein Vorfach mit einem starken Einzelhaken<br />
und ließ einen der gefangenen Köderfische<br />
daran zu Wasser. Doch, der Amberjack oder<br />
Dorado, was immer es auch gewesen sein<br />
mag, kam nicht mehr zurück.<br />
Nach einer halben Stunde nahm Tony wieder<br />
Kurs aufs offene Meer. Andrej bestückte<br />
zwei Schleppruten mit Köderfischen und so<br />
schleppten wir nun eine Kombination aus<br />
Natur- und Kunstködern. Wenig später hing<br />
ein Fisch an einem der Naturköder, ein kleiner<br />
Dorado, den Andrej schnell herankurbelte<br />
und noch schneller in der Kühlbox verschwinden<br />
ließ. Bald folgte der nächste Biss.<br />
Ein gar nicht so kleiner Schwall entstand<br />
hinter dem links laufenden Köderfisch, doch<br />
der Angreifer blieb nicht am Haken hängen.<br />
Tony hatte das Geschehen von oben genau<br />
beobachtet und meinte, es sei ein Spearfish<br />
gewesen. Und so ging es weiter. Auch der<br />
nächste Fisch, der unsere Köder attackierte,<br />
blieb nicht am Haken hängen, obwohl<br />
er wohl gute zwanzig Meter Schnur von der<br />
Rolle gezogen hatte. Andrej war sich ziemlich<br />
sicher, dass es ein kleiner Blauer <strong>Marlin</strong><br />
gewesen sei. Dann vergingen gute zwei<br />
Stunden, ohne dass irgend etwas passierte.<br />
Bis ich zwei Flossen aus dem Meeresspiegel<br />
hervorkommen sah. Von links schnitten sie<br />
durch das Wasser und bewegten sich schnell<br />
auf die Köder hinter dem Boot zu. Ich dach-<br />
Andrej an seinem Arbeitsplatz. Er hat sich seinen<br />
Traum erfüllt, dem Altagsstress den Rücken gekehrt und<br />
lebt nur noch von der und für die Fischerei.<br />
te zuerst, es sei ein Hai. „White <strong>Marlin</strong>!“<br />
rief Tony aus dem Steuerstand. Ein Weißer<br />
<strong>Marlin</strong> hatte unsere Lures kurz angeschaut,<br />
dann aber beschlossen, dass er keinen Hunger<br />
hatte. Später erklärte Tony mir, dass der<br />
Weiße <strong>Marlin</strong> im Unterschied zu allen anderen<br />
<strong>Marlin</strong>arten keine spitze sondern eine<br />
abgerundete Rückenflosse besitzt. Und die<br />
war eindeutig zu erkennen gewesen.<br />
Mit einem kalten Bier in Manuel’s Kneipe,<br />
wo sich alle Angler und Kapitäne von <strong>La</strong><br />
Gomera nach dem Fischen treffen, ließen<br />
wir den Tag ausklingen. Wir hatten zwar<br />
nichts gefangen, aber wir hatten einen „potenziellen<br />
Grand Slam“. Drei verschiedene<br />
schwerttragende Fische hatten sich für unsere<br />
Köder interessiert. Und das war doch<br />
auch ein tolles Erlebnis.<br />
DIE LETZTE CHANCE<br />
Mein letzter Angeltag begann total entspannt<br />
für mich, denn ich wollte mich einfach<br />
nicht unter Erfolgsdruck setzen. Stattdessen<br />
machte ich mir bewusst, dass ich nun<br />
schon zwei ganze Tage lang nicht an den Alltag<br />
und an mein Geschäft daheim gedacht<br />
dachte. Ich machte es mir bequem an Bord<br />
und genoss die wärmende Sonne und die<br />
milde Meeresbrise. Andrej und Tony waren<br />
ruhiger geworden und sprachen wenig an<br />
diesem Morgen. Routiniert legte Andrej die<br />
Schleppköder aus während Tony das Boot<br />
entlang der schroffen Küste steuerte, um<br />
dann in einem weiten Bogen nach links das<br />
tiefe, offene Wasser anzusteuern. Bis in die<br />
Dunkelheit würden die beiden heute draußen<br />
auf dem Meer bleiben, um alle Chancen zu<br />
nutzen, die der letzte Angeltag für uns – hoffentlich<br />
– bereit hielt.<br />
Meinen Blick auf die munter hinter dem<br />
Boot über das Wasser flitzenden Lures gerichtet,<br />
gingen meine Gedanken auf Reisen.<br />
Eine Delfinmama mit Nachwuchs<br />
begleitet uns mehrere<br />
Minuten lang.<br />
Ein Vogel verfolgte uns und war offenbar von<br />
den Ködern schwer beeindruckt. Immer wieder<br />
ließ er sich fallen, um die blubbernden<br />
und Blasen werfenden Dinger aus der Nähe<br />
zu betrachten. Jetzt war er über dem ganz<br />
linken, nur wenige Meter hinter dem Boot<br />
über den Outrigger laufenden Lure. Und<br />
dann öffnete vielleicht vier Meter weiter links<br />
der Wasserspiegel. Etwas langes, spitzes<br />
tauchte auf und Sekundenbruchteile später<br />
folgte ein gewaltiger, dunkler Körper, der das<br />
Wasser förmlich teilte. Ich hörte ein „Klack“<br />
und dann ein schrilles Schnarren. Die Schnur<br />
war aus dem Clip des Outriggers herausgerissen<br />
worden und wurde nun in wahnsinniger<br />
Geschwindigkeit von der Rolle gezogen.<br />
„<strong>Marlin</strong>!“ schrie Andrej. Sein Schrei war<br />
noch nicht verstummt, da hatte er schon die<br />
schwere Big Game Rute aus dem Rutenhalter<br />
gehoben und trug sie zum Kampfstuhl.<br />
„Alle Schnüre rein! Schnell!“ rief er. Tony war<br />
blitzschnell vom Steuerstand ins Bootsheck<br />
geklettert und kurbelte die Schnur der zweiten<br />
Rute ein. Ich kümmerte mich um Rute<br />
Nummer drei, setzte mich dann auf Andrejs<br />
Kommando in den Kampfstuhl. Andrej legte<br />
mir den Harness an, klick – klack – war<br />
die Rolle am Harness fest und dann riss es<br />
mich fast aus dem Kampfstuhl. Mein Gott,<br />
was für eine Kraft. Mit beiden Händen umklammerte<br />
ich die riesige Rolle an den Seitendeckeln<br />
und lehnte mich mit gestreckten<br />
Armen nach hinten, versuchte, mich mit all<br />
meiner Kraft gegen den Zug des Fisches zu<br />
stemmen. Andrej hatte den letzten Schleppköder<br />
eingeholt, alle Ruten sicher verstaut<br />
und Tony saß schon wieder am Steuer. „Ist<br />
er noch dran?“ rief er uns zu. „Ja, alles o.k.“<br />
antwortete Andrej, der nun neben mir bereit<br />
stand, den Kampfstuhl zu „steuern“. „<strong>La</strong>ss<br />
die Ratsche drin, damit ich hören kann, was<br />
der Fisch macht!“ hörte ich Tony rufen.<br />
Zwei einheimische Angler sitzen auf<br />
dem Wellenbrecher vor der Hafeneinfahrt<br />
von San Sebastian.<br />
Als ich Andrej frage, was die denn dort<br />
fangen, bekomme ich zur Antwort: „Die<br />
fangen nichts. Die haben Zeit.“<br />
Der <strong>Marlin</strong> nahm immer noch Schnur von<br />
der singenden Rolle, wurde aber etwas langsamer.<br />
Ich spürte, wie der brutale Zug nachließ.<br />
„Wie groß?“ wollte ich wissen. „Besser,<br />
wenn du das nicht weißt.“ grinste Andrej.<br />
Noch kam ich mir vor wie in einem Traum.<br />
Noch war mir gar nicht wirklich bewusst,<br />
was da geschehen war und jetzt gerade passierte.<br />
Doch das änderte sich schlagartig,<br />
als der <strong>Marlin</strong> seine Geschwindigkeit wieder<br />
erhöhte, immer schneller und schneller wurde,<br />
mehr und mehr Schnur von der 130-er<br />
Shimano Tiagra zog. So etwas hatte ich noch<br />
nie erlebt. Ich hatte schon starke Fische mit<br />
der Fliegenrute gefangen. Große Steelhead,<br />
<strong>La</strong>chse und Tarpon. Ich hatte Fluchten erlebt,<br />
bei denen ein Fisch vielleicht hundert<br />
oder auch mehr Meter Backing von der Rolle<br />
gezogen hatte. Doch das, was jetzt und hier<br />
geschah, war eine andere Dimension. Die<br />
Rollenbremse auf über 40 lbs eingestellt,<br />
der <strong>Marlin</strong> auf Höchstgeschwindigkeit, Kräfte,<br />
die mich über dem Sitz des Kampfstuhls<br />
einfach in der Schwebe hielten! Hörte denn<br />
diese Flucht gar nicht mehr auf? Tony hatte<br />
den Rückwärtsgang eingelegt und wir fuhren<br />
dem <strong>Marlin</strong> hinterher, der immer weiter<br />
weg wollte. Und dann sah ich ihn springen.<br />
So weit entfernt. Wieder und wieder sah ich<br />
den Fisch in der Luft. Klein und winzig sah er<br />
aus. Doch ich wusste, dass er in Wirklichkeit<br />
groß war. Verdammt groß. Die Schnurfüllung<br />
auf der Rolle wurde immer kleiner. Mir<br />
trat Angstschweiß auf die Stirn. „Nur noch<br />
knapp 150 Meter Schnur auf der Rolle!“ informierte<br />
Andrej unseren Kapitän. „O.K.,<br />
alles wird gut gehen,“ beruhigte uns Tony.<br />
Er legte einen Zahn zu und ich wurde von<br />
den ins Boot schwappenden Wassermassen<br />
geduscht.<br />
Würde die Schnur reichen? Würde der<br />
Fisch endlich stehen bleiben? Sollten wir<br />
nicht noch schneller hinterher fahren? Diese<br />
Gedanken flitzten mir in wilder und unsortierter<br />
Reihenfolge immer wieder durch<br />
den Kopf. Und dann war plötzlich die Kraft<br />
weg, die mich bis jetzt in der Schwebe gehalten<br />
hatte. „Kurbeln! Schnell! So schnell<br />
es geht!“ schrie Andrej. <strong>La</strong>ut brüllte der<br />
Schiffsdiesel auf, als Tony ihn in den Vorwärtsgang<br />
umschaltete und Gas gab. Ich<br />
drehte an der Kurbel wie verrückt. Was für<br />
ein Monster, diese Kurbel – im Vergleich zu<br />
dem, was ich von Fliegenrollen gewöhnt<br />
war. „Ich kann nicht schneller kurbeln!“<br />
keuchte ich. „Du musst!“ kommandierte Andrej.<br />
„Was quatscht ihr da unten?“ hörte ich<br />
Tony rufen. Mir war gar nicht aufgefallen,<br />
dass Andrej und ich slowenisch gesprochen<br />
hatten, wovon Tony natürlich kein einziges<br />
Wort verstand. „Ist er noch dran?“ sorgte<br />
sich Tony. „Ja!“ war Andrejs Antwort. „Nimm<br />
etwas Gas weg, damit wir wieder Spannung<br />
auf die Schnur bekommen.“ Und dann war<br />
sie wieder da, die Kraft, die mich aus dem<br />
Stuhl lupfen wollte. Der Fisch hing noch am<br />
Haken. Mir fiel ein Stein vom Herzen.<br />
Hatte die Schnur eben noch fast parallel<br />
zum Meeresspiegel in die Unendlichkeit gezeigt,<br />
jetzt änderte sich der Winkel. Immer<br />
steiler lief die Schnur von der Rutenspitze<br />
abwärts ins tiefe Blau des Atlantik. Der Fisch<br />
tauchte in die Tiefe. Und, was ich mir niemals<br />
hätte vorstellen können, die Kraft, die an mir<br />
zog, wurde noch stärker! Immer stärker und<br />
stärker. „Tony, schau! Die 130-er ist unter voller<br />
<strong>La</strong>st!“ informierte Andrej seinen Freund im<br />
Steuerstand. Dieser Besenstil von einer Angelrute<br />
war komplett zum Halbkreis gebogen.<br />
Ich hatte keine Chance, auch nur einen Meter<br />
Schnur zurück auf die Rolle zu kurbeln.<br />
Stattdessen konnte ich mich nur darauf<br />
konzentrieren, dem brutalen Zug gegen<br />
meinen Körper nicht nachzugeben. <strong>La</strong>ngsam<br />
fuhren wir weiter im Rückwärtsgang<br />
dem Fisch entgegen und endlich konnte ich<br />
anfangen zu Pumpen, um Schnur zurück<br />
zu gewinnen. Das hatte ich ja vor zwei Tagen<br />
während der Trockenübungen im Hafen<br />
gelernt. Aber wie anders war es jetzt, mit<br />
einem echten Fisch am anderen Ende der<br />
Schnur. Schweißgebadet kämpfte ich, mehr<br />
BLUE MARLIN LA GOMERA<br />
gegen mich selbst als gegen den Fisch. Mehr<br />
gegen die Schmerzen im rechten Unterarm<br />
als gegen den <strong>Marlin</strong>. Einen Moment lang<br />
konnte ich mir nicht mehr vorstellen, diesen<br />
ungleichen Kampf tatsächlich zu gewinnen.<br />
Es erschien mir unmöglich. Doch dann riss<br />
ich mich wieder zusammen und machte weiter.<br />
Eine gute halbe Stunde später nahm der<br />
<strong>Marlin</strong> wieder Schnur. Er tauchte noch tiefer<br />
ab. Und dann begann die Prozedur des Pumpens<br />
und Kurbelns erneut. Ich war schweißgebadet,<br />
meine Handgelenke schmerzten,<br />
meine Unterarmmuskulatur fühlte sich taub<br />
an, in meinem Rücken stachen zehn Messer<br />
und meine Beine zitterten. Andrej flößte wir<br />
mittlerweile die zweite Flasche Wasser ein.<br />
„Halt durch, Mirjana. Den kriegst du.“ motivierte<br />
er mich. Doch wieder war ich kurz<br />
davor, in ein Verzweiflungsloch zu fallen. Nie<br />
zuvor hatte ich mich mit einem Fisch gemessen,<br />
der mir so überlegen war.<br />
Immer wieder schaute ich auf die Schnurfüllung<br />
auf der Rolle. Noch fehlte mehr als<br />
die Hälfte der Schnur. Und jeden Meter, den<br />
ich unter Mühen und Schmerzen gewann,<br />
In San Sebastian ticken die Uhren ein wenig langsamer. Es ist immer Zeit für einen<br />
Kaffee und eine Plauderstunde. Zum Fischen fährt man nicht vor zehn Uhr in der Früh,<br />
nachdem man mit den anderen Kapitänen den Tag begrüßt hat.<br />
66 GLOBAL GAME ANGLER GLOBAL GAME ANGLER 67
LA GOMERA BLUE MARLIN<br />
nahm der <strong>Marlin</strong> mir wieder weg. Tony und<br />
Andrej mutmaßten, dass der Fisch vielleicht<br />
seitlich gehakt sein könnte oder dass sich<br />
die Schnur vielleicht um seine Schwanzflosse<br />
gewickelt hatte. Zu ungewöhnlich war<br />
das Verhalten des Fisches, zu lange dauerte<br />
der Drill. Tony begann, vom Fisch weg zu<br />
fahren, um ihn damit aus der Tiefe nach<br />
oben zu heben. Und dann schaltete er in den<br />
Rückwärtsgang und fuhr langsam rückwärts,<br />
damit ich Schnur aufkurbeln konnte. Wieder<br />
und wieder wiederholten wir diese Prozedur.<br />
Die Mittagszeit war lange um, als ich sah,<br />
wie endlich das starke Monofil des Wind-on-<br />
Leader an der Wasseroberfläche auftauchte.<br />
Ich mobilisierte mein allerletzten Kräfte und<br />
endlich kam der Kopf des <strong>Marlin</strong> aus dem<br />
Wasser. Wie in Zeitupe erhob sich der gewaltige<br />
Schädel aus dem Meer, schlug mit<br />
dem Schwert nach links und rechts, tauchte<br />
wieder ein. Mein Gott, wie groß war dieses<br />
Tier! Ich konnte meinen Augen nicht glauben.<br />
Andrej hatte Handschuhe angezogen<br />
und das Vorfach gegriffen. Er zog die <strong>Marlin</strong>dame<br />
an die Bordwand, um den Haken zu<br />
lösen. Dabei offenbarte sich uns der Grund<br />
für den ungewöhnlich langen und anstrengenden<br />
Drill. Der hintere Haken des Tandems<br />
saß im Maulwinkel des Fisches und<br />
der vordere Haken hatte sich unter dem Kiemendeckel<br />
gefangen. Wir vermuteten, dass<br />
dies bei einem Sprünge während der langen<br />
Flucht passiert war. So jedenfalls hatte ich<br />
den Fisch immer quer gedrillt und unser Zug<br />
gegen den Fisch hatte ihn nach unten statt<br />
nach oben bewegt.<br />
Schnell hatte Andrej die Haken gelöst und<br />
hielt den <strong>Marlin</strong> am Schwert im Wasser. Tony<br />
fuhr das Boot langsam im Vorwärtsgang und<br />
wir alle hofften, dass die Lebensgeister des<br />
total erschöpften Fisches schnell wieder<br />
erwachten. Allmählich veränderte sich die<br />
Farbe des Fisches von einem dunklen Bron-<br />
Der Drill beginnt mit einer unglaublich<br />
langen Flucht des <strong>Marlin</strong>.<br />
Endlich - der <strong>Marlin</strong> gibt auf, Andrej<br />
greift das Vorfach.<br />
Captain Tony Norman<br />
schätzt Mirjanas <strong>Marlin</strong><br />
auf etwa 580 lbs. Jeder,<br />
der dieses Foto bisher<br />
sah, meint, dass Tony mal<br />
wieder etwas untertreibt...<br />
BLUE MARLIN LA GOMERA<br />
68 GLOBAL GAME ANGLER GLOBAL GAME ANGLER 69
LA GOMERA BLUE MARLIN BLUE MARLIN LA GOMERA<br />
Feierstunde an der Bar.<br />
Die T-Shirts lassen keinen<br />
Zweifel aufkommen - hier<br />
sind nur Big Game Angler.<br />
Ein glückliches Angelteam<br />
- von links nach rechts:<br />
Andrej, Mirjana und Tony.<br />
Ein letzter Blick in das<br />
große Auge der <strong>Marlin</strong>dame<br />
vor dem Abschied.<br />
zeton wieder in ein helleres Glänzen. Das<br />
war ein gutes Zeichen. Und endlich fing das<br />
gewaltige Schwanzruder an, nach links und<br />
rechts zu pendeln. Ich war hin und weg von<br />
der majestätischen Schönheit des Tieres.<br />
Was für riesige Augen der <strong>Marlin</strong> hatte. Einfach<br />
unbeschreiblich. Ein paar Glückstränen<br />
liefen mir über die Wangen als die <strong>Marlin</strong>dame<br />
davonschwamm. Das große Mädchen<br />
hatte es geschafft. Und das kleine Mädchen,<br />
so fühlte ich mich jetzt, war fix und fertig.<br />
Am Ende meiner Kräfte, total ausgepumpt,<br />
übergücklich. Andrej und ich fielen uns in<br />
die Arme. „Gut gemacht, Mirjana.“ lobte<br />
Andrej. „Das war eine sagenhafte Leistung.“<br />
Natürlich fischten wir noch weiter, bis das<br />
letzte Licht der flach über dem Meer stehenden<br />
Sonne die Silhouette <strong>La</strong> Gomeras in ein<br />
diffuses Goldgelb tauchte und den Atlantik<br />
metallisch glitzern ließ. Nein, wir fingen keinen<br />
Fisch mehr. Und das war auch gut so.<br />
Natürlich feierten wir unseren Fang gebührend<br />
in der kleinen Bar am Marktplatz.<br />
Alle anderen Angler und Kapitäne kamen zu<br />
mir, um mir die Hand zu schütteln. Als die<br />
Frage nach der Größe meines Fisches aufkam,<br />
meinte Tony „Ich schätze, so etwa 580<br />
lbs.“ Und dann mussten wir natürlich die Fotos<br />
zeigen, die wir vom Fisch gemacht hatten.<br />
„580?“ zweifelte ein anderer Kapitän,<br />
„niemals! Der hat deutlich über <strong>60</strong>0 lbs.“ Ich<br />
schaute zu Tony hinüber. Der grinste. „Hey,<br />
das ist typisch Tony,“ meinte der Kapitän,<br />
i<br />
Auch für das Speed-Jigging ist<br />
<strong>La</strong> Gomera eine gute Destination.<br />
Kommen Sie im Spätherbst und<br />
Winter, wenn Sie mit Snapper<br />
und Amberjack anbändeln<br />
wollen.<br />
Anreise: <strong>La</strong> Gomera hat zwar einen Flughafen,<br />
aber der ist zu klein für internationale Chartermaschinen.<br />
Seit April 2012 gibt es nur noch jeweils<br />
einen täglichen Flug zwischen <strong>La</strong> Gomera<br />
und Teneriffa Nord. Am besten erreicht man <strong>La</strong><br />
Gomera mit einem Flug, zum Beispiel mit CON-<br />
DOR oder AIR BERLIN nach Teneriffa Süd. Von<br />
dort fährt man mit dem Taxi knappe 20 Minuten<br />
nach Los Christianos und setzt mit einer der<br />
beiden Fähren nach San Sebastian auf <strong>La</strong> Gomera<br />
über. Ausführliche Informationen über <strong>La</strong><br />
Gomera und auch über die Fährverbindungen<br />
finden Sie im Internet unter: www.lagomera.de<br />
Einreise: Nach dem Schengener Abkommen<br />
gibt es für Deutsche keine Grenzkontrollen. Zur<br />
Einreise genügt ein Personalausweis oder Reisepass.<br />
Der Reisepass darf sogar maximal ein<br />
Jahr lang abgelaufen sein. Damit ist ein Aufenthalt<br />
von bis zu drei Monaten zulässig.<br />
„der ist bekannt dafür, dass er untertreibt.“<br />
Jetzt reichte Tonys Grinsen von einem bis<br />
zum anderen Ohr.<br />
An diesem Abend lag ich noch lange wach<br />
und dachte nach. Das war der größte Fisch<br />
meines Lebens. Ich hatte ihn nicht mit der<br />
Fliege gefangen sondern mit einer Angelmethode,<br />
die mich vorher niemals auch<br />
nur im Geringsten interessiert hatte, die<br />
ich noch nicht einmal als wirklich „sportlich“<br />
betrachtet hatte. Und ich hatte diesen<br />
Fisch auch nicht alleine gefangen sondern<br />
LA GOMERA - KANARISCHE INSELN<br />
Gesundheit: Keine Impfvorschriften. Keine besonderen<br />
Gesundheits-Risiken.<br />
Geld: Währung ist der Euro. Gängige Kreditkarten<br />
werden Hotels und Restaurants akzeptiert.<br />
Klima: Auf den Kanarischen Inseln herrschen<br />
das ganze Jahr angenehme Temperaturen mit<br />
etwa 26 ºC im Sommer und 22 ºC im Winter.<br />
Strom: 220 V – es wird ein Steckdosenadapter<br />
benötigt, der vor Ort in Haushaltwarengeschäften<br />
erhältlich ist.<br />
Fischen: Von Mai bis in den späten Oktober hinein<br />
besteht die Chance auf den Fang des Blauen<br />
<strong>Marlin</strong>. Außerdem kommt der Weiße <strong>Marlin</strong><br />
und der Longbill Spearfish vor. Goldmakrelen,<br />
Wahoo, Blauflossenthun, Großaugenthun, Albacore,<br />
Skipjack und Bonito sowie Barrakuda<br />
und Bluefish können beim Schleppfischen<br />
und, wenn die Konditionen passen, auch mit<br />
in Teamarbeit mit einem hervorragenden<br />
Kapitän und einem erstklassigen „Mate“.<br />
Und doch war es eins der aufregendsten<br />
und intensivsten Angelerlebnisse meines<br />
Lebens gewesen. Mein Verhältnis zum so<br />
genannten Big Game Angeln hatte sich radikal<br />
geändert.<br />
Ja, ich würde es irgendwann einmal wieder<br />
tun. Und ich werde mir definitiv ein<br />
Revier mit kleineren <strong>Marlin</strong>en suchen, um<br />
doch noch gegen eines dieser wunderschönen<br />
Wesen mit der Fliegenrute anzutreten.<br />
der Spinnrute, mit Poppern oder Jigs gefangen<br />
werden. Fliegenfischer haben Chancen auf Dorado<br />
und kleinere Thunfischarten wenn diese<br />
im Schwarm rauben. Beim Naturköderangeln<br />
ist auch der Fang von Blauhaien, Hammerhaien<br />
und Makohaien möglich. Die Wintermonate<br />
sind die beste Zeit für das Speed-Jigging auf<br />
Grouper, Snapper und Amberjacks. Die 31 Fuß<br />
Bertram von Tony und Andrej ist mit Fishfinder,<br />
GPS, Funk und allen Sicherheitsfeautures ausgestattet.<br />
An Bord ist hochwertiges, gepflegtes<br />
Angelgerät von 30 bis 130 lbs, mit Shimano Tiagra<br />
und Penn International Rollen.<br />
Kontakt: Captain Tony Norman<br />
Tel.: (0034)6<strong>60</strong> 063 265<br />
Email: tony@marlin-fishing-la-gomera.com<br />
Internet : www.marlin-fishing-la-gomera.com<br />
70 GLOBAL GAME ANGLER GLOBAL GAME ANGLER 71