Darf der Versorger den Strom abstellen ... - Mieterverband
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6 MIETEN & WOHNEN 5|10<br />
Mieter sechs Wochen<br />
<strong>Darf</strong> man einfach <strong>den</strong><br />
Der 63jährige Rolf Gygax wohnt in<br />
einem Mehrfamilienhaus an <strong>der</strong><br />
Erlenstrasse in Kleinbasel. Ihm war<br />
nicht bewusst, dass sein Vermieter<br />
<strong>den</strong> Industriellen Werken Basel (IWB)<br />
<strong>den</strong> <strong>Strom</strong> nicht bezahlte. Schon zwei<br />
Jahre lang ging das so, was auch ein<br />
schlechtes licht auf die IWB wirft.<br />
plötzlich flatterte Gygax und seinen<br />
Nachbarn ein loseblatt ins Haus: ab<br />
23. april 2008 werde die Energielieferung<br />
eingestellt, da <strong>der</strong> Hausbesitzer<br />
nicht bezahle. Seitdem funktionierte<br />
<strong>der</strong> lift im Haus nicht mehr. Schlimmer<br />
noch: auch <strong>der</strong> Warmwasserboiler<br />
war ausser Funktion. und das<br />
sechs Wochen lang. Dabei hatten die<br />
Mieterinnen und Mieter im Haus ihre<br />
Nebenkosten stets brav berappt.<br />
m&w | Zwei Jahre lang bezahlte ein Vermieter in Basel die <strong>Strom</strong>rechnung<br />
für seine Liegenschaft nicht. Da stellten die industriellen Werke<br />
Basel im April 2008 <strong>der</strong> Liegenschaft <strong>den</strong> <strong>Strom</strong> ab. Die Mieten<strong>den</strong> hatten<br />
kein Warmwasser mehr, und auch <strong>der</strong> Lift funktionierte nicht. einer<br />
<strong>der</strong> Bewohner wollte sich das nicht gefallen lassen und klagte mit hilfe<br />
des MV. Der Streit beschäftigt jetzt das Bundesgericht.<br />
türlich nicht zugemutet wer<strong>den</strong>, über<br />
längere Zeit hinweg ohne Warmwasser<br />
zu bleiben.<br />
Bizarre Juristerei<br />
Nun nahm ein juristisches Schauspiel<br />
seinen lauf, das teils bizarre<br />
Züge annahm und das nun auch das<br />
Bundesgericht beschäftigten wird.<br />
Das Baudepartement und in <strong>der</strong> Folge<br />
die Basler Regierung nahmen die<br />
IWB in Schutz: Sie habe rechtmässig<br />
gehandelt und keine unzumutba-<br />
Der Eigentümer dieser<br />
Liegenschaft in Kleinbasel<br />
bezahlte die <strong>Strom</strong>rechnung<br />
nicht. Bil<strong>der</strong> m&w<br />
Mieter als Faustpfand?<br />
Gygax suchte <strong>den</strong> MV auf, um sich beraten<br />
zu lassen. Er und seine Nachbarn<br />
fühlten sich für etwas bestraft,<br />
an dem nicht sie selber, son<strong>der</strong>n ihr<br />
Vermieter schuld war. Mit Hilfe des<br />
MV reichte Gygax beim Kanton eine<br />
aufsichtsbeschwerde gegen die IWB<br />
ein. «Es geht nicht an, dass die Mieter<br />
als Faustpfand gegen einen säumigen<br />
Vermieter missbraucht wer<strong>den</strong>», so<br />
Beat leuthardt, leiter <strong>der</strong> Rechtsabteilung<br />
des MV Basel.<br />
Nach ansicht leuthardts hat die<br />
IWB auf eine härtere Gangart umgestellt.<br />
Zwar habe sie zugesichert,<br />
dass die liefersperre nicht zu individuellen<br />
Härten führen werde, doch<br />
sei dies trotzdem <strong>der</strong> Fall gewesen.<br />
leuthardt verweist auf die aufhebung<br />
<strong>der</strong> <strong>Strom</strong>sperre nach sechs Wochen.<br />
Die IWB hatte erfahren, dass im Haus<br />
eine Schwangere wohnte. Ihr kann na-<br />
re Härte verursacht. Die Kantonsjuristen<br />
hielten Gygax vor, er habe sich<br />
nie bei <strong>der</strong> IWB gemeldet und auch<br />
keine Wie<strong>der</strong>aufnahme <strong>der</strong> <strong>Strom</strong>lieferung<br />
verlangt. Das hätte er aber tun<br />
müssen.<br />
m&w | Säumige Vermieter, die ihre<br />
Energierechnungen nicht bezahlen,<br />
beschäftigen auch die Mieterverbände<br />
in <strong>der</strong> Romandie. In Neuchâtel ist<br />
die Besitzerin mehrerer Wohnliegen-<br />
schaften in Zahlungsverzug. Dies<br />
obwohl ihre Mieten<strong>den</strong> die Nebenkosten<br />
immer pünktlich bezahlt haben.<br />
Der Gaslieferant Viteos Sa kündigte<br />
im vergangenen März <strong>den</strong> Be-<br />
wohnern an, das Gas (und damit die<br />
Heizung) werde abgestellt. Mit Hilfe<br />
<strong>der</strong> asloca konnten diese einen auf-<br />
schub <strong>der</strong> Sperre erreichen, um an die<br />
Schlichtungsstelle gelangen zu kön-<br />
Die nächste Station war das Basler<br />
appellationsgericht. Dieses entschied<br />
im Januar 2010 erneut zugunsten <strong>der</strong><br />
IWB. Die Begründung mutet jedoch<br />
reichlich weltfremd an. um darzulegen,<br />
dass die Mieter die <strong>Strom</strong>sperre<br />
hätten abwen<strong>den</strong> können, wird in<br />
längeren passagen des urteils aufgelistet,<br />
was sie alles hätten tun sollen<br />
und können. Danach hätten sie <strong>den</strong><br />
drohen<strong>den</strong> «Mangel an <strong>der</strong> Mietsache»<br />
beim Vermieter rechtzeitig rügen<br />
und nach erfolgter <strong>Strom</strong>sperre<br />
<strong>den</strong> Mietzins hinterlegen sollen. Sie<br />
hätten aber auch <strong>der</strong> IWB direkt die<br />
ausstehende <strong>Strom</strong>rechnung bezahlen<br />
können – 26‘000 Franken! Die<br />
Mieter hätten dann, so das Gericht,<br />
als «unechte Geschäftsführer ohne<br />
auftrag einen Ersatzanspruch gegenüber<br />
dem Vermieter im umfang seiner<br />
Bereicherung» erworben.<br />
Nicht genug des Juristenlateins:<br />
Den Mietern, so das Gericht weiter,<br />
sei auch das Mittel <strong>der</strong> «Ersatzvornahme»<br />
zur Verfügung gestan<strong>den</strong>.<br />
Das heisst, sie hätten <strong>den</strong> Mangel auf<br />
Kosten des Vermieters beseitigen lassen<br />
können. Das aber bedeutet nichts<br />
an<strong>der</strong>es, als dass sie die <strong>Strom</strong>rechnung<br />
des Vermieters hätten bezahlen<br />
und dann das Geld hinterher beim<br />
Vermieter einfor<strong>der</strong>n müssen. Offenkundig<br />
ging beim Gericht zweierlei<br />
Neuchâtel: Viteos wollte das Gas <strong>abstellen</strong><br />
nen. Die Idee war, mit dem lieferanten<br />
ein abkommen über eine direkte<br />
Bezahlung zu erreichen. Obwohl sich<br />
nur wenig Mietende solidarisch zeigten,<br />
genügte dies, damit <strong>der</strong> Vermieter<br />
versprach, endlich eine Zahlung<br />
an Viteos zu leisten. Der <strong>Versorger</strong> be-<br />
schränkte sich dann auf einen eintägigen<br />
lieferunterbruch, sozusagen<br />
als Warnschuss. Marie-Claire Jeanprêtre<br />
pittet, leiterin des Rechtsdienstes<br />
<strong>der</strong> asloca Neuchâtel, kritisiert:<br />
«Es ist nicht zulässig, sich <strong>der</strong><br />
Mieter als Druckmittel gegen einen<br />
Vermieter zu bedienen.»