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KUNSTFORM - Rezensionen zur Kunstgeschichte - 2 (2001), Nr. 1

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<strong>KUNSTFORM</strong> - <strong>Rezensionen</strong> <strong>zur</strong> <strong>Kunstgeschichte</strong> - 2 (<strong>2001</strong>), <strong>Nr</strong>. 1 http://www.kunstform.historicum.net/<strong>2001</strong>/01/5606.html<br />

Ausgabe 2 (<strong>2001</strong>), <strong>Nr</strong>. 1<br />

Kerstin Petermann: Bernt Notke. Arbeitsweise und Werkstattorganisation<br />

im späten Mittelalter, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2000, 273 S., 18<br />

Farbtafeln, 196 s/w Abb., zugl. Diss. Kiel 1997, ISBN 3-496-01217-X, DEM<br />

128,00.<br />

Rezensiert von:<br />

Ulrike Wolff-Thomsen<br />

Institut für <strong>Kunstgeschichte</strong>, Universität Kiel<br />

In ihrer Kieler Dissertation geht Kerstin<br />

Petermann der 1996 im Rahmendes<br />

Hildesheimer Kolloquiums "Malerei und<br />

Skulptur des späten Mittelaltersund der frühen<br />

Neuzeit in Norddeutschland" von dem Berliner<br />

RestauratorEike Oellermann <strong>zur</strong> Diskussion<br />

gestellten These nach, ob nicht Bernd<br />

Notkeausschließlich als Tafel- und Fassmaler<br />

gearbeitet habe und nicht- wie noch von J.<br />

Roosval (1906ff.) und W. Paatz (1939)<br />

vertreten - alsBildschnitzer anzusprechen sei.<br />

Glückliche Voraussetzungen füreine<br />

Neubewertung schufen die in den vergangenen<br />

Jahren erfolgten<br />

umfangreichenRestaurierungen und<br />

technischen Untersuchungen an den<br />

Hauptwerken Notkes:Das sind zum einen die<br />

drei urkundlich gesicherten Werke, zu denen<br />

dasTriumphkreuz und die Lettnerverkleidung im Lübecker Dom von 1477,das<br />

Hochaltarretabel im Dom zu Århus von 1479 und das Hochaltarretabelin der<br />

Heilig-Geist-Kirche in Reval/ Tallinn von 1483 zählen, zumanderen die beiden<br />

zugeschriebenen Arbeiten, womit der Totentanz in Reval /Tallinn und die große<br />

St. Jürgen-Gruppe in der Nikolaikirchein Stockholm von 1489 gemeint sind.<br />

Warum die Flügel des Johannesretabelsder Schonenfahrer im Lübecker St.<br />

Annen-Museum, die im Hauptteil zuRecht als sechstes Werk vorgestellt werden,<br />

weder im Klappentext noch imVorwort Erwähnung finden, ist unverständlich.<br />

Auf der Grundlage der bislang publizierten oder als<br />

Dokumentationsmappenzugänglichen Restaurierungsberichte untersucht<br />

Petermann den kunsttechnologischenBefund und führt die Einzelergebnisse<br />

vergleichend zusammen, um Aufschlüsseüber die Arbeitsweise und Organisation<br />

der Werkstatt Notkes zu gewinnen.Dabei sind auch die den Figuren<br />

beigegebenen, authentischen schriftlichenZeugnisse herangezogen worden, die<br />

im Falle der Lübecker Triumphkreuzgruppedie Namen der Mitarbeiter und deren<br />

künstlerischen Anteil überliefern.<br />

So wertvoll diese Zusammenstellung der Ergebnisse der<br />

Restaurierungsberichteunter der genannten Fragestellung auch ist, flankierende<br />

Untersuchungenüber den stilistischen und ikonographischen Befund werden<br />

leider nichtin ausreichendem Maße durchgeführt, obwohl sie zahlreiche<br />

Anhaltspunkteauch für die von Petermann verfolgte Frage nach der Datierung<br />

undEinordnung der Werke und der künstlerischen Herkunft Notkes hättegeben<br />

können.<br />

In der Arbeit nehmen die exakten Beobachtungen der<br />

Oberflächengestaltungeinen wichtigen Platz ein. Die präzise Autopsie der<br />

technologischenEinzelbefunde führt zu der Erkenntnis, dass zwar eine Vielzahl<br />

unterschiedlicherHände arbeitsteilig in enger Abstimmung an der Ausführung<br />

derGroßaufträge beteiligt war und dass aus diesem Umstand der<br />

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<strong>KUNSTFORM</strong> - <strong>Rezensionen</strong> <strong>zur</strong> <strong>Kunstgeschichte</strong> - 2 (<strong>2001</strong>), <strong>Nr</strong>. 1 http://www.kunstform.historicum.net/<strong>2001</strong>/01/5606.html<br />

spürbareStilpluralismus resultiert, doch der Entwurf und die ästhetische<br />

Gesamtauffassung,die sämtliche Einzelteile erst zu einem kohärenten Ganzen<br />

verbindetund künstlerisch auszeichnet, dem Werkstattleiter oblag.<br />

Der genauen Beschreibung der schnitz- und fasstechnischen Merkmale<br />

gehtleider keine Analyse der Figurenkonzeption, des Retabelaufbaus oder<br />

desikonographischen Programms voraus. Deshalb wird der Leser oft durch<br />

dieBeschreibungen der sicherlich gut beobachteten Details ermüdet, under läuft<br />

Gefahr, die eigentliche Fragestellung aus den Augen zu verlieren.Um nur ein<br />

Beispiel zu nennen: Ohne dass das Programm zuvor genau analysiertwurde,<br />

arbeitet sich der Leser durch Detailbeschreibungen wie diese hindurch:"Das<br />

Weiße des Augapfels schimmert bläulich und umschließtentweder eine<br />

dunkelblaue Iris bei blonden oder grauhaarigen Figuren odereine braune bei<br />

dunkelhaarigen. Die Iris ist durch einen dunklen Umrissstrichvom Augenweiß<br />

geschieden, die schwarze Pupille weist punktförmigeGlanzlichter - so z.B. am<br />

Auge der hl. Gertrud einen weißen Punktauf der Pupille - und an einigen Figuren<br />

eine weiße Kontur auf."(S. 106)<br />

Dies sind Spezialforschungen, die auf einen Laien trotz leicht eingängigerDiktion<br />

ermüdend wirken.<br />

Kommen wir zu den Ergebnissen: Es überrascht sicherlich nicht,dass sich hinter<br />

dem Fassmaler und dem Bildschnitzer nicht ein und dieselbePerson verbirgt.<br />

Auch dass die Werke arbeitsteilig geschaffen wurden, beispielsweiseder Bau des<br />

Schreins einer anderen Werkstatt überantwortet wurde,und dass Notke<br />

angesichts dieser Großaufträge mehr als die vonder Zunft vorgegebene Anzahl<br />

an Mitarbeitern beschäftigt hat, leuchtetein. Sehr klar und nachvollziehbar hat<br />

Petermann die Leistung der einzelnenMitarbeiter und die Dauer ihrer Tätigkeit in<br />

Notkes Werkstatt bestimmt.Festzustehen scheint nun, dass dort neben einem<br />

Maler und einem Bildschnitzerdrei Zubereiter gearbeitet haben. Das noch von<br />

Paatz vertretene Urteil,die stilistischen Unterschiede zwischen den Lübecker und<br />

Århuserund den späteren Revaler und Stockholmer Werken seien auf einen<br />

Stilwandel<strong>zur</strong>ückzuführen, ist damit obsolet geworden. Spannend ist zudemder<br />

Blick auf die Finanzierung der Aufträge, d.h. in welchem Umfangvom<br />

Auftraggeber ein Vorschuß geleistet wurde und in welchem UmfangNotke die<br />

außerordentlich aufwändigen Arbeiten selbst vorfinanzierenbzw. durch<br />

Bürgschaften absichern musste.<br />

Worin besteht nun die Leistung Notkes? Ist er nur - so Moltke - alsUnternehmer<br />

anzusprechen? Petermann stimmt Oellermann in vollem Umfangzu: Notke stand<br />

als Maler der Werkstatt vor, in seiner Gesamtverantwortungwurden die Werke<br />

gefertigt. Die Unterschiede zwischen den Unterzeichnungenund der ausgeführten<br />

Malerei im Århuser und Revaler Retabelbeweisen, dass seine Mitarbeiter auch<br />

die Formfindung relativ selbstständig,wohl aber unter den Vorgaben des von<br />

Notke gelieferten Gesamtentwurfs gestaltenkonnten. Als selbstständige Leistung<br />

eines Mitarbeiters könnendie von Petermann als von der niederländischen<br />

Tafelmalerei beeinflusstenAußenflügel mit der Darstellung des<br />

Schmerzensmannes und derhl. Elisabeth des Revaler Retabels bestimmt<br />

werden.<br />

Sicherlich zu einseitig geht jedoch die Autorin die Untersuchung zuNotkes<br />

künstlerischer Herkunft an, wenn sie sich erneut fast ausschließlichauf die<br />

technologischen Befunde beruft, nicht jedoch nach den<br />

ikonographischenVorbildern für seine Bildfindungen fragt. Der schon von Hasse<br />

verfolgtenThese nach einer Schulung in Nähe der Tapisseriewerkstätten<br />

vonTournai, vielleicht in derjenigen von Pasquier Grenier, schließtsich Petermann<br />

mit dem Paatzschen Hinweis auf die "an einen Bildteppicherinnernde<br />

Komposition" an. Im Rückgriff auf die Forschungen von CharlesSterling schlägt<br />

die Autorin eine Orientierung an einer von NicolasFroment bestimmten Richtung<br />

der nordfranzösischen Tafelmalerei vor,die wiederum dem Stil der Tapisserien<br />

von Arras und Tournai nahe steht.<br />

Doch m.E. offenbaren auch die Tafeln des Århuser Retabels<br />

eineMotivverwandtschaft mit der deutschen Graphik, beispielsweise mit den<br />

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zeitgleichentstandenen Holzschnitten bzw. Kupferstichen von Martin Schongauer<br />

undIsrahel van Meckenem - Bezüge, die einer genaueren Untersuchung<br />

wertwären.<br />

Zu Recht weist Petermann den Vorschlag Hasses nach einer Vorbildlichkeitvon<br />

Meister Arnt von Kalkar (besser: Arnt van Wesel oder Zwolle) <strong>zur</strong>ück,obwohl<br />

sicherlich Parallelen in der Wahl der breiten Möglichkeitender mittelalterlichen<br />

Fassmalerei gerade unter Einbeziehung unterschiedlichsterMaterialien wie Leder,<br />

Pergament, bemaltem Papier, Schnüren aus Hanfbestehen - für die Werkstatt<br />

Notkes ist darüber hinaus charakteristischder Einsatz von Elchgeweihen (!) und<br />

Glas- und Metallapplikationen.<br />

Ein etwas trauriges Kapitel der sonst soliden Buchgestaltung bildender Farb- und<br />

der sehr umfangreiche Schwarzweißabbildungsteil: DieFarbtafeln sind durchweg<br />

sehr rotstichig, die Schwarzweißabbildungenhingegen ausgesprochen flau.<br />

Trotz einzelner kritischer Anmerkungen ist die Arbeit durch die Neubewertungder<br />

künstlerischen Leistungen Bernt Notkes <strong>zur</strong> Lektüre zu empfehlen.<br />

Empfohlene Zitierweise:<br />

Ulrike Wolff-Thomsen: Rezension von: Kerstin Petermann: Bernt Notke. Arbeitsweise und<br />

Werkstattorganisation im späten Mittelalter, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2000, in:<br />

<strong>KUNSTFORM</strong> 2 (<strong>2001</strong>), <strong>Nr</strong>. 1, URL:<br />

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