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Der ausführlichen Bericht von Pfarrer Hoof - Evangelischer ...

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„Krankenhausseelsorge: Kirchlicher Dienst am nichtkirchlichen Ort -<br />

Erfahrungen, Probleme und Perspektiven“<br />

Vortrag <strong>von</strong> Klinikseelsorger Klaus <strong>Hoof</strong> auf der Bezirkssynode Geislingen am 25.3.2011<br />

1. Vorbemerkung<br />

„In der Fremd- wie in der Selbstwahrnehmung der Kirche ist Seelsorge eine ihrer Kernkompetenzen. Will<br />

die Kirche nah bei den Menschen sein, ihnen Heimat und Identität und in Krisen zuverlässige<br />

Lebensbegleitung bieten, dann braucht ihr Handeln seelsorgerliche Qualität und Kompetenz.“ Das<br />

behauptet die EKD-Konferenz der Seelsorge-Verantwortlichen in den Gliedkirchen. Ihr<br />

Thesenpapier aus dem Jahr 2009 hat den schönen Titel: „Seelsorge – Muttersprache der Kirche“.<br />

Doch diese Muttersprache wird selten <strong>von</strong> der Öffentlichkeit wahrgenommen. Seelsorge,<br />

Krankenhausseelsorge zumal, findet in aller Regel im Verborgenen statt. Und das ist gut so und<br />

notwendig. Doch gleichzeitig ist es auch bedauerlich. Es ist gut und notwendig, weil eine<br />

Seelsorge <strong>von</strong> der Vertraulichkeit lebt und deshalb keine Öffentlichkeit verträgt. Es ist<br />

bedauerlich, weil –angesichts dringender Sparmaßnahmen - die Gefahr besteht, dort zu kürzen,<br />

wo man <strong>von</strong> außen keinen rechten Einblick hat. Seelsorgerliche Qualität und Kompetenz ist<br />

jedoch nicht zum Nulltarif zu haben. Eine Muttersprache will gepflegt werden.<br />

Deshalb bin ich Dekanin Hühn und dem KBA dankbar, dass ich heute hier die Möglichkeit habe,<br />

Ihnen die Arbeit der Krankenhausseelsorge vorzustellen. Zumal diese Arbeit ja in Ihrer aller<br />

Auftrag geschieht. Die Dienstordnung unserer Landeskirche für die Krankenhausseelsorge aus<br />

dem Jahr 1985 stellt fest: „Die Krankenhausseelsorge ist der besondere Dienst der Kirche an Patienten<br />

und Mitarbeitern im Krankenhaus. Er geschieht unbeschadet der Zuständigkeit der Kirchengemeinden<br />

und Kirchenbezirke im Auftrag der Landeskirche.“<br />

2. Krankenhausseelsorge ist mehr als Krankenseelsorge<br />

Krankenhausseelsorge – was ist das eigentlich? Normalerweise hat man da ein Bild vor Augen:<br />

An einem Krankenbett sitzt ein <strong>Pfarrer</strong>, eine <strong>Pfarrer</strong>in und spricht mit einem Patienten, einer<br />

Patientin. Dieses Bild ist nicht falsch. Es ist aber zu ergänzen. Die z.T. großen Veränderungen<br />

und Entwicklungen in der Medizin und im Klinikbereich, aber auch die pastoralpsychologisch<br />

und systemisch reflektierten Erfahrungen aus der Praxis der Krankenhausseelsorge haben<br />

Tätigkeitsbild, Anforderungen und Selbstverständnis der Krankenhausseelsorge verändert.<br />

Dazu einige Beispielsplitter aus dem Krankenhausalltag:<br />

Ich trete aus einem Krankenzimmer. Da kommt mir auf dem Flur Schwester xy mit einem halb<br />

leer gegessenen Frühstückstablett entgegen. Mit verbissenem Mienenspiel murmelt sie<br />

Unverständliches vor sich hin, schiebt das Tablett in den fahrbaren Essensschrank und knallt<br />

dessen Tür zu. „Geht es ihnen nicht gut“, frage ich sie, „ist etwas passiert?“ Und dann bricht ihr<br />

Kummer und ihre Wut aus ihr heraus über einen Patienten, der sie respektlos behandelt hat<br />

und über ihr krank gewordenes Kind zuhause, für das sie noch keine befriedigende Betreuung<br />

gefunden hat.<br />

Teambesprechung der Palliativstation. Wir sprechen über Patientin A. Es geht ihr klinisch<br />

deutlich schlechter als in den letzten Tagen. Außerdem spricht sie kaum noch. Einige meinen<br />

sie sei in eine Depression gefallen. „Was können wir ihr noch Gutes tun?“, fragt der Oberarzt in<br />

die Runde. „Ich habe nicht den Eindruck dass sie depressiv ist“, bringe ich meine Einschätzung<br />

vor, „sie ist müde, sie will einfach nicht mehr. Und das ist angesichts ihres Zustands doch nicht<br />

verwunderlich. Sie möchte sterben und ich meine, das darf sie doch wollen. Ich werde sie<br />

morgen nochmal besuchen.“<br />

1


Auf dem Flur begegnet mir der stellvertretende Vorsitzende des Klinischen Ethik Komitees:<br />

„Danke Herr <strong>Hoof</strong>, dass Sie mir die neue Christliche Patientenvorsorge auf den Schreibtisch<br />

gelegt haben. Wir werden morgen in Göppingen mit der Klinik am Eichert über ein<br />

gemeinsames Formular einer Patientenverfügung für beide Kliniken sprechen. Schön, dass Sie<br />

jetzt Mitglied in unserem Ethik Komitee werden.“<br />

Im Haus der Begegnung spricht mich Herr Alius <strong>von</strong> der Evang. Erwachsenenbildung an: „Herr<br />

<strong>Hoof</strong>, wir wollen zusammen mit dem Kreisseniorenrat zwei Vortragsabende zum Thema<br />

Patientenverfügungen durchführen. Uns ist wichtig, dass dabei auch theologische<br />

Gesichtspunkte zur Sprache kommen. Könnten Sie diesen Part übernehmen und uns einen<br />

Arzt aus der Klinik nennen, der in dieses Thema eingearbeitet ist und über die medizinischärztliche<br />

Sicht referieren würde?“<br />

Ich habe Frau X aus dem Zimmer ihres schwerkranken Mannes in das Wohnzimmer der<br />

Palliativstation gebeten. Ihr Mann liegt seit knapp einer Woche auf der Station. Bisher hat sie<br />

ihn zu Hause gepflegt. Sie hat ihrem Mann versprochen, ihn nie in ein Pflegeheim einzuweisen.<br />

Verzweifelt und mit Tränen in den Augen sagt sie: „Und jetzt, was soll ich tun, Herr <strong>Pfarrer</strong>? <strong>Der</strong><br />

Arzt hat mir gesagt, dass ich die Pflege nicht mehr leisten kann, dass dazu eine pflegerische<br />

Rund-um-die-Uhr-Betreuung notwendig ist, die auch mit Unterstützung der Diakoniestation zu<br />

Hause nicht zu leisten ist. Und ich spüre ja auch, wie ich nicht mehr kann. Und unsere Tochter<br />

wohnt weit weg in Wiesbaden und hat ihre Familie und ihren Beruf!“<br />

Ich hoffe, dass Ihnen diese Beispiele gezeigt haben: Krankenhausseelsorge ist mehr als<br />

Krankenseelsorge. Die evangelischen und katholischen Krankenhausseelsorger in<br />

Württemberg haben 2004 auf einem gemeinsamen Konvent formuliert: „Krankenhausseelsorge ist<br />

ein Angebot der Kirche für alle PatientInnen, Angehörige und MitarbeiterInnen im Krankenhaus.“ Und<br />

die Konferenz für Krankenhausseelsorge in der EKD hat 1994 festgehalten: „Seelsorge im<br />

Krankenhaus geschieht im kirchlichen Auftrag ... Sie stellt einen eigenen kirchlichen Arbeitszweig mit<br />

spezifischen Gegebenheiten und Erfordernissen dar und ist nicht eine Variante der Gemeindeseelsorge.“<br />

Damit diesen spezifischen Gegebenheiten und Erfordernissen entsprochen werden kann, ist die<br />

Voraussetzung für die Übernahme eines Krankenhauspfarramtes eine entsprechende<br />

Zusatzqualifikation, in der Regel eine Klinische Seelsorge Ausbildung, abgekürzt KSA. Die<br />

Landeskirche bietet diese Zusatzausbildung in verschieden strukturierten Kursen an.<br />

3. Krankenhausseelsorge in der Helfenstein Klinik Geislingen<br />

Seit viereinhalb Jahren wird die Krankenhausseelsorge als Bewegliche Pfarrstelle geführt und<br />

<strong>von</strong> mir versehen. Erfreulich ist, dass der OKR die Pfarrstelle 2008 neu errichtet hat. Es handelt<br />

sich um eine Stelle mit halbem Dienstauftrag.<br />

In der Helfenstein Klinik arbeite ich mit meinem katholischen Kollegen Bernhard Veil gut<br />

zusammen. Die Konferenz für Krankenhausseelsorge der EKD hält fest: Seelsorge im<br />

Krankenhaus geschieht im kirchlichen Auftrag in ökumenischer Verantwortung. Das für beide<br />

Konfessionen gemeinsame Arbeitsfeld mit den gleichen Herausforderungen verpflichtet<br />

geradezu zum Miteinander und enger Kooperation. Gegenseitige Vertretung, gemeinsame<br />

Urlaubsabsprachen, Zusammenarbeit bei der Betreuung des Besuchsdienstes, Verteilung <strong>von</strong><br />

Sonderaufgaben um unnötige Doppelarbeit zu vermeiden – all das klappt. Ich mache ständig<br />

die Erfahrung, dass im Krankenhaus weniger katholische oder evangelische Menschen liegen,<br />

sondern vor allem kranke Menschen. Den Patienten ist es in aller Regel egal, ob der Seelsorger<br />

katholisch oder evangelisch ist. Herr Veil ist z.Zt. in Urlaub und kann heute nicht hier sein. Ich<br />

freue mich deshalb besonders, dass mit Frau Braun aus Donzdorf eine katholische Mitstreiterin<br />

2


aus dem kirchlichen Besuchsdienst da ist, die zu unserem ökumenischen Miteinander später<br />

noch etwas sagen wird.<br />

Ich sorge mich z.Zt. etwas über die weitere Präsenz der katholischen Kirche im Krankenhaus.<br />

Herr Veil geht Ende Mai in Ruhestand. Seine Arbeit wird Diakon Zeller übernehmen. Herr Zeller<br />

ist allerdings auch für die Altenheimseelsorge in Geislingen und Überkingen zuständig und hat<br />

außerdem einen Auftrag in der Gemeindearbeit. Ich hoffe sehr, dass die Personalnöte unserer<br />

katholischen Schwesterkirche ihre Präsenz in der Klinik nicht zu sehr ausdünnt.<br />

Den größten Anteil meiner Zeit in der Klinik verbringe ich mit Patientenbesuchen auf den<br />

verschiedenen Stationen. Es ist allerdings bei einem halben Dienstauftrag nicht möglich alle<br />

Patienten zu besuchen. Das liegt zum einen an der inzwischen sehr kurzen Verweildauer der<br />

Patienten, die bei durchschnittlich 6 Tagen liegt. Es liegt aber auch daran, dass man Besuche<br />

nicht wie am Fließband machen kann. Besuche verlangen viel Aufmerksamkeit, Konzentration<br />

und innere Zuwendung. Und irgendwann spüre ich: Jetzt musst du „Stopp“ sagen, deine<br />

Aufmerksamkeit reicht nicht mehr aus, um weiteren Gesprächspartnern gerecht zu werden.<br />

Den Schwerpunkt meiner Arbeit bildet die seelsorgerliche Betreuung der Palliativstation. Das<br />

ist die Station, auf der Patienten behandelt werden, die nicht mehr geheilt werden können, die<br />

„austherapiert“ sind. Es sind überwiegend onkologische Patientinnen und Patienten. Ziel der<br />

Arbeit auf dieser Station ist es, die Patienten in einen möglichst stabilen und schmerzfreien<br />

Zustand zu versetzen, mit dem sie wieder nach Hause entlassen werden können, ihnen eine<br />

noch möglichst gute Lebensqualität zu erhalten und - wenn möglich – ihnen ein Sterben zu<br />

Hause zu ermöglichen.<br />

Ich bin Mitglied im multiprofessionellen Team der Station, zu dem Ärzte, Pflegekräfte,<br />

Therapeuten und Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes gehören. Die Arbeit auf der<br />

Palliativstation verlangt einiges, sowohl <strong>von</strong> den Schicksalen der Patienten her, als auch <strong>von</strong><br />

der zeitlichen Inanspruchnahme. Das allmorgendliche Briefing zum Befinden der Patienten, die<br />

wöchentliche Teambesprechung, in der der Zustand und die weitere Behandlung aller Patienten<br />

ausführlich besprochen wird, die zweistündige monatliche Supervision des Teams,<br />

Patientenbesuche, Gespräche mit Angehörigen, die Durchführung <strong>von</strong> Abschiedsritualen und<br />

Sterbebegleitung – all das braucht Zeit und Kraft. Gleichzeitig bringt die Arbeit auf dieser<br />

Station bewegende Erfahrungen mit sich. Auf manchmal beglückende Weise erfahre ich, wie<br />

spirituelle Rituale Trauer und Schmerz auffangen können und Texte unserer biblischchristlichen<br />

Tradition im Leid tragen und in Momenten der Sprachlosigkeit ausdrücken können,<br />

wofür die Worte noch fehlen.<br />

Die Mitglieder des Palliativteams müssen mit vielen Sterbefällen umgehen. Nachdem die<br />

Station ein Jahr gearbeitet hat, haben wir im Team gespürt: Wir brauchen einen Ort an dem wir<br />

gemeinsam zur Ruhe kommen und uns noch einmal an die Menschen erinnern und uns <strong>von</strong><br />

ihnen verabschieden können, die wir gepflegt und begleitet haben und die bei uns gestorben<br />

sind. Und so habe ich die Feier eines Gedenkgottesdienstes vorgeschlagen. Eine Idee, die in<br />

der Station dankbar aufgegriffen wurde.<br />

Es hat dann noch etwas länger gebraucht, bis wir in dem nicht so einfach änderbaren System<br />

Krankenhaus einen Gedenkgottesdienst für die auf der Palliativstation Verstorbenen gefeiert<br />

haben. Er findet jetzt zweimal im Jahr statt. Die Mitglieder des Teams gestalten den<br />

Gottesdienst mit. Die Angehörigen werden dazu eingeladen und kommen in großer Zahl. <strong>Der</strong><br />

Gedenkgottesdienst erfüllt ganz offensichtlich ein wichtiges Bedürfnis.<br />

Jeden Sonntag findet im Wechsel zwischen Evangelisch und Katholisch um 9 Uhr ein<br />

Sonntagsgottesdienst in der Klinikkapelle statt. Naturgemäß können viele Patienten ihn nicht<br />

3


esuchen, da fast alle bettlägerig sind. <strong>Der</strong> GD wird per Krankenhausfunk in alle Zimmer<br />

übertragen und wer <strong>von</strong> den Patienten will, kann ihn hören. Erfreulich ist, dass immer wieder<br />

einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Klinik am Gottesdienst teilnehmen und auch<br />

Besucher <strong>von</strong> außerhalb der Klinik kommen.<br />

Trotz des geringen Besuches ist mir der Gottesdienst wichtig. Warum? Im Krankenhaus wird<br />

der Patient seines normalen Bezugssystems beraubt und auch seiner sozialen Rollen und<br />

seiner Privatsphäre. Er ist stark vereinzelt und verunsichert und auf seine Krankheit und die<br />

ungewohnte Rolle als Patient reduziert. <strong>Der</strong> Gottesdienst hingegen lebt <strong>von</strong> der Gemeinschaft<br />

und spricht den ganzen Menschen an. Nach Friedrich Schleiermacher ist er „...ein Fest, bei dem<br />

das gemeinschaftliche Erleben und das gemeinschaftliche Sich-Seiner-Selbst-Vergewissern im<br />

Vordergrund stehen“. Genau diese Vergewisserung brauchen die Menschen in der Klinik in ihrer<br />

Situation der Verunsicherung. Nach Constanze Thierfelder, Privatdozentin an der theologischen<br />

Fakultät Marburg, hat der Krankenhausgottesdienst die Aufgabe „den Kranken einen Raum zu<br />

bieten, in dem sie nicht nur mit ihrer Diagnose, sondern mit ihrer ganzen Person, mit ihren Hoffnungen<br />

und Ängsten zusammen mit anderen vor Gott treten“ (Thierfelder, Individualisierung <strong>von</strong> Religion<br />

am Beispiel des Krankenhausgottesdienstes, WzM 62, S. 188).<br />

Allerdings grenzt es „an eine Überforderung, allein ohne Kerngemeinde ... einen gemeinschaftlichen<br />

Raum zu schaffen, in dem die Symbole und Rituale ihre Wirkung entfalten können und in dem Menschen<br />

sich aufgehoben fühlen“ (Thierfelder S. 189). Deshalb ist es besonders schön, wenn ein Chor<br />

oder eine Musikgruppe zum Singen und Musizieren in den GD kommt. Seit einigen Jahren<br />

schreibe ich die Chöre am Beginn jeden Jahres an und ermuntere zum Kommen. In diesem<br />

Jahr ist der Rücklauf allerdings noch spärlich. Im Kommen eines Chores leuchtet für die<br />

Patienten und für mich etwas auf <strong>von</strong> der größeren Gemeinschaft in der Kirche und es fördert<br />

das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit mit der gesunden Welt draußen vor den<br />

Klinkmauern.<br />

<strong>Der</strong> Klinikgottesdienst hat zwei Schwerpunkte: Eine kürzere Predigt, die Predigttext und<br />

Erfahrungen des Krankseins aufeinander bezieht und die Feier des Heiligen Abendmahls.<br />

Gerade die gemeinsame Mahlfeier bietet eine Symbolsprache, die die Gefühle der eigenen<br />

Ohnmacht gegenüber der Krankheit, der Trauer über Verlorenes und der Suche nach Halt,<br />

Geborgenheit und Hoffnung ansprechen kann. Die gemeinsamen Lieder, das gemeinsame<br />

Hören, das gemeinsame Empfangen <strong>von</strong> Brot und Wein führen aus der Vereinzelung. Und<br />

damit ist der Klinikgottesdienst ein Ort, der heilende Kräfte anspricht. Er schlägt die Brücke vom<br />

Heil Gottes hin zur menschlichen Hoffnung auf Heilung. Es ist nicht selten, dass während des<br />

Abendmahls Tränen fließen. Für mich ein Zeichen, das da ein heilendes Fließen im Gang ist.<br />

Ein weiterer Punkt in der konkreten Arbeit ist die Mitarbeit im Krankenhausfunk. Seit über<br />

einem Jahrzehnt wird <strong>von</strong> einem ehrenamtlichen Team jeden Montagabend ein kleines<br />

klinikinternes Radioprogramm erstellt. Die Klinikseelsorger sind darin mit einem geistlichen<br />

Beitrag eingeplant. Die Einsatzplanung liegt bei mir.<br />

Ab diesem Montag bin ich als Nachfolger <strong>von</strong> Kollegen Veil Mitglied im Klinischen Ethik<br />

Komitee. Leiter des Komitees ist der Chefarzt der Anästhesie, Dr. Schlittenhardt. Das Komitee<br />

trifft sich drei-bis viermal im Jahr zu eher grundsätzlichen Beratungen. Bei aktuellen Fällen<br />

werden die in der Klinik kurzfristig erreichbaren Mitglieder zusammengerufen, um einen<br />

konkreten Fall ethisch abzuklären und einen erforderlichen Beschluss zu fassen.<br />

4. Besuchsdienst<br />

Die Erfahrung, dass ich es nicht schaffe, alle Patienten zu besuchen und die Überzeugung,<br />

dass Krankenseelsorge Aufgabe einer christlichen Gemeinde ist und bleiben sollte, hat mich<br />

dazu gebracht, einen kirchlichen Besuchsdienst an der Helfenstein Klinik ins Leben zu rufen.<br />

4


Zu meiner größten Freude ist dieses Vorhaben gelungen. Es haben sich 12 tolle evangelische<br />

Frauen und Männer und 3 ebenso tolle katholische Frauen gefunden, die die gemeinsame<br />

Ausbildung mit gemacht haben und die bis jetzt dabei geblieben sind. Viele <strong>von</strong> ihnen sind<br />

heute abend hier und Sie liebe Synodale dürfen sie bewundern und beklatschen und befragen.<br />

Nutzen Sie vor allem die Pause nachher, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen.<br />

Frau Eberhardt aus Gingen wird Ihnen nun <strong>von</strong> ihren Erfahrungen in dieser Aufgabe berichten.<br />

Danach werden die anwesenden Frauen und Männer des Besuchsdienstes nach vorne<br />

kommen und sich Ihnen kurz vorstellen. Frau Braun aus Donzdorf wird zum Schluss etwas zum<br />

ökumenischen Miteinander in dieser Arbeit sagen.<br />

5. Krankenhausseelsorge – Kirchlicher Dienst am nichtkirchlichen Ort<br />

Krankenhausseelsorge ist ein kirchlicher Dienst in einem nichtkirchlichen Ort. Eine simple<br />

Beobachtung, aber mit Folgen für die Arbeit. Ich möchte Ihnen drei charakteristische Punkte<br />

schildern, die diesen Ort bestimmen.<br />

1. Das Krankenhaus ist ein System, das völlig anders funktioniert und strukturiert ist als eine<br />

Kirchengemeinde. Es ist eine komplexe Organisation mit eigenen Zielen und eigenen<br />

Gesetzmäßigkeiten. In seinem Inneren gibt es ausgeprägte Hierarchien im ärztlichen,<br />

pflegerischen und verwaltenden Bereich mit entsprechenden Rollendifferenzierungen. Die<br />

fachlichen Kompetenzen, Kommunikationsabläufe und Weisungsbefugnisse sind genau<br />

festgelegt. Das Krankenhaus ist ein geschlossenes System mit eigenen Gesetzen, eigener<br />

Philosophie und Sprache. Für Außenstehende tut sich da zunächst eine fremde Welt auf, die<br />

schwer zu durchschauen ist, aber auf geheimnisvolle Weise reibungslos abläuft, wenn – wie<br />

es ein Bonmot sagt - wenn da nicht die Patienten wären die den Ablauf immer stören.<br />

Die Gesamtorientierung des Systems wird bisher durch die ärztliche Hierarchie bestimmt.<br />

Allerdings verschiebt sich z.Zt. da einiges. Die ökonomischen Fragen und mit ihnen die<br />

Verwaltung, bestimmen oft mehr als es den Ärzten lieb ist, den Gesamtkurs mit.<br />

Gleichzeitig ist ein Krankenhaus auch ein offenes und außenorientiertes System. Es bezieht<br />

sich auf seine Umwelt, handelt „kundenorientiert“ im Blick auf die Patienten und steht in<br />

Konkurrenz zu anderen Krankenhäusern. Keine Klinik kann es sich mehr leisten, nicht durch<br />

Öffentlichkeitsarbeit, durch öffentliche Gesundheitsvorträge, durch Tage der Offenen Tür,<br />

durch Beteiligung an Gesundheitsmessen etc. in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Die<br />

Konkurrenz zu anderen Häusern bringt zudem den ständigen Druck eines<br />

Qualitätsnachweises mit sich. Ob es sinnvoll ist oder nicht: Jede Klinik ist gezwungen, ihre<br />

verschiedenen Fachbereiche immer wieder neu durch externe Überprüfungen zertifizieren zu<br />

lassen, den Qualitätsstandard ständig zu verbessern, um in der Öffentlichkeit gut da zu<br />

stehen. <strong>Der</strong> Fortbildungsdruck auf das Personal steigt. Jede und jeder muss sich regelmäßig<br />

fortbilden und entsprechende Nachweise erbringen.<br />

2. In einer Klinik sammelt sich wie in einem Brennglas alles, was menschliches Leben<br />

bedroht. Fast alles, was unsere Gesellschaft im Positiven wie im Negativen bestimmt<br />

kommt hier vor:<br />

Da verlässt eine junge Familie strahlend die Klinik zum Vorderausgang hinaus. Vorneweg<br />

die dreijährige Tochter <strong>von</strong> einem Bein auf das andere hüpfend und dahinter Mama und<br />

Papa mit dem im Tragebettchen selig schlafenden Neugeborenen. Und zur gleichen Zeit<br />

liefert der Rettungswagen durch den Hintereingang einen 65jährigen Mann ein, dem ein<br />

schwerer Schlaganfall die gesamte linke Seite gelähmt und sein Sprechvermögen zerstört<br />

hat.<br />

5


Da stirbt an einem Samstagabend im Kreis seiner Familie auf der Palliativstation der<br />

altgewordene Vater und Opa und nur zwei Stunden später randaliert in der chirurgischen<br />

Ambulanz ein sturzbesoffener junger Mann, der mit Verletzungen aus einer Schlägerei<br />

eingeliefert wird.<br />

Die psychische und persönliche Belastung vor allem für die Ärzte und das Pflegepersonal<br />

ist durch die zahlreichen akuten Krisen und Ausnahmesituationen hoch.<br />

3. Gleichzeitig sind die Kliniken zu einem Brennpunkt politischer Auseinandersetzung<br />

geworden. Da Gesundheit einer der höchsten Werte unserer Gesellschaft ist, sind die dafür<br />

aufgewendeten Finanzen dementsprechend hoch. Zu hoch, sagt die Politik. Seit über<br />

einem Jahrzehnt sind die Finanzzuweisungen der Krankenhäuser gedeckelt. Die jährlichen<br />

Steigerungen der Zuweisungen sind niedriger als die zu erwartenden Kostensteigerungen<br />

durch Lohnerhöhungen, Betriebskosten und notwendigen Ersatzinvestitionen. Die Kliniken<br />

des Landkreises haben dadurch das Jahr 2011 z.B. mit einem Millionen Minus begonnen,<br />

bevor sie auch nur einen einzigen Patienten behandelt haben.<br />

<strong>Der</strong> Spardruck ist enorm. Die Bettenzahl muss abgebaut werden <strong>von</strong> einst 285 auf jetzt<br />

noch 197. Trotzdem ist die Zahl der Patienten gestiegen, da die durchschnittliche<br />

Verweildauer nur noch knapp über 6 Tagen liegt. Doppelstrukturen müssen – soweit<br />

möglich - abgebaut werden (Geburtshilfe, Küche, Verwaltung, Pflegeschule). Gespart<br />

werden kann im Wesentlichen nur durch Personalabbau. Frei werdende Stellen werden<br />

nicht mehr besetzt. 135 Stellen müssen an beiden Klinikstandorten bis 2015 eingespart<br />

werden, 63 da<strong>von</strong> sind bereits bis Ende 2010 weggefallen.<br />

<strong>Der</strong> Druck auf das Pflegepersonal und die Ärzte, aber auch auf die Mitarbeitenden der<br />

Verwaltung und Leitung und auf den Betriebsrat ist durch all diese Entwicklungen immens.<br />

Soweit einige Beobachtungen zu dem nichtkirchlichen Ort in dem die kirchliche Arbeit der<br />

Krankenhausseelsorge stattfindet.<br />

Es gehört zur Pflicht der Krankenhausseelsorge, diese Situation der Kliniken zu kennen, die<br />

daraus entstehenden Folgen für Personal und Patienten wahrzunehmen, zu analysieren und<br />

etwaige Konsequenzen für ihre kirchliche Arbeit zu bedenken. Dazu gehört die immer neue<br />

Aufgabe <strong>von</strong> Krankenhausseelsorgern, ihre eigene Identität zu klären und ihren Platz und ihre<br />

Rolle in der Organisation Klinik zu finden und diesbezügliche Unklarheiten auszuhalten.<br />

6. Bedeutung und Herausforderung der Klinikseelsorge für das Selbstbild und Auftrag<br />

der Kirche<br />

Beim Beobachten und Analysieren meiner Erfahrungen in der Krankenhausseelsorge sind mir<br />

sechs Punkte wichtig geworden, die m.E. einiges austragen für das Selbstverständnis unserer<br />

Kirche und für die Haltung und die Art und Weise wie wir unsere Aufgaben tun. <strong>Der</strong> 1. Punkt ist<br />

mir der Wichtigste und deshalb auch länger. Die andern Punkte sind mehr oder weniger kurze<br />

Thesen.<br />

6.1 Krankenhausseelsorge verkörpert eine hörende und präsente Kirche<br />

„Seelsorge – Muttersprache der Kirche“. Was diese Sprache vor allem anderen auszeichnet ist<br />

paradoxerweise das Hören. Was ich damit meine, erzählt auf zauberhafte Weise Michael Ende<br />

in seinem wunderschönen Buch Momo. „Fast immer sah man jemand bei Momo sitzen, der<br />

angelegentlich mit ihr redete. Und wer sie brauchte und nicht kommen konnte, schickte nach ihr, um sie<br />

zu holen. ...<br />

Aber warum? War Momo vielleicht so unglaublich klug, dass sie jedem Menschen einen Rat geben<br />

konnte? Fand sie immer die richtigen Worte, wenn jemand Trost brauchte? Konnte sie gerechte und weise<br />

Urteile fällen?<br />

Nein, das alles konnte Momo ebensowenig wie jedes andere Kind. ...Was die kleine Momo konnte wie<br />

kein anderer, das war: Zuhören.<br />

6


Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber<br />

das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. ...<br />

Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa,<br />

weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und<br />

hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme ... und der Betreffende fühlte, wie in<br />

ihm auf einmal Gedanken auftauchten, <strong>von</strong> denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten. Sie konnte<br />

so zuhören, dass rastlose und unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wußten, was sie wollten. ...<br />

Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. ... So konnte Momo zuhören.<br />

Was Michael Ende hier <strong>von</strong> Momo erzählt, nennen wir in der Seelsorge Empathie. Es gilt nicht<br />

nur mit den Ohren und dem Verstand zuzuhören, sondern mit dem ganzen Wesen präsent und<br />

empathisch beim Gegenüber zu sein. Marshall B. Rosenberg, der Entwickler der Gewaltfreien<br />

Kommunikation sagt: „Empathie bedeutet ein respektvolles Verstehen der Erfahrungen anderer<br />

Menschen. ... Empathie tritt im Kontakt mit anderen Menschen nur dann auf, wenn wir alle vorgefassten<br />

Meinungen und Urteile über sie abgelegt haben“ Die <strong>von</strong> der Empathie geforderte Präsenz in einem<br />

Gespräch aufzubringen, ist nicht einfach. Die französische Schriftstellerin Simone Weil meint:<br />

„Die Befähigung, einem Leidenden die ganze Aufmerksamkeit zu schenken, kommt sehr selten vor und<br />

ist eine schwierige Angelegenheit; sie ist fast ein Wunder; sie ist ein Wunder. Fast alle, die denken, sie<br />

hätten diese Fähigkeit, haben sie nicht“. Und Rosenberg beobachtet: „Statt einer empathischen<br />

Reaktion geben wir eher unserem Drang nach, Ratschläge zu geben oder zu beschwichtigen oder unsere<br />

Meinung ... darzulegen. (alle Zitate in: Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation, Junfermann<br />

Verlag 2001, S. 103).<br />

Meine Erfahrung aus meiner Arbeit in den letzten Jahren im Krankenhaus ist: Durch diese Art<br />

des Hörens öffnet sich in Gesprächen ein heilsamer Raum, der Heilung fördert und in dem sich<br />

die Kraft des Evangeliums zeigt.<br />

Ich bin sicher, dass Jesus so mit Menschen umgegangen ist und dass daraus seine heilende<br />

Kraft entsprang.<br />

Seelsorge – die Muttersprache der Kirche. Schön wäre es, wenn entsprechende Erfahrungen aus<br />

der Seelsorge in unserer sich als Kirche des Wortes verstehenden protestantischen Kirche zu<br />

einer neuen Kultur des Zuhörens helfen könnten. Wir trauen im Allgemeinen den vielen Wörtern<br />

und Argumenten viel zu viel zu.<br />

6.2 Krankenhausseelsorge verkörpert eine Kirche, die Menschen aufsucht – auch die,<br />

die nicht mehr im kirchlichen Umfeld zu Hause sind<br />

Ja, das ist immer eine besonders spannende Situation: Eine Zimmertüre zu öffnen und auf<br />

Menschen zuzugehen, die man nicht kennt und <strong>von</strong> denen viele schon lange keinen Kontakt<br />

mehr zur Kirche haben. Doch welch bewegenden Lebensgeschichten begegnet man da! Immer<br />

wieder ereignen sich intensive Gespräche über den Sinn einer Krankheit oder den Wert <strong>von</strong><br />

Erfahrungen, über die Bedeutung <strong>von</strong> tragenden Beziehungen oder den Schmerz über vertane<br />

Chancen im Leben, über bittere Gefühle des vom-Leben-bestraft-worden und zu-kurzgekommen-seins,<br />

oder über den Reichtum des Lebens und die Dankbarkeit für Erlebtes.<br />

Und – o Wunder – trotz aller Säkularisierung tauchen die Fragen nach dem Warum einer<br />

Krankheitserfahrung und dem Wohin des Lebens auf und die Frage, was Gott damit zu tun<br />

haben könnte.<br />

In solchen Begegnungen bin ich als Theologe gefragt, und werde gleichzeitig sehr bescheiden,<br />

weil ich erfahre, wie wenig Antworten ich auf manche existentiellen Fragen geben kann. Im<br />

besten Fall kann ich so etwas wie Geburtshelfer sein, durch den mein Gegenüber selbst einen<br />

Zugang zu seiner Antwort findet.<br />

6.3 Krankenhausseelsorge verkörpert eine Kirche, die beim Leidenden ausharrt<br />

7


Immer wieder geschieht es, dass es auf eine schlimme Krankheit keine Antwort gibt. Doch auch<br />

dann ist es noch möglich, da zu bleiben, das Leid des Kranken mit auszuhalten und nicht da<strong>von</strong><br />

zu laufen. Mehr ist oft nicht möglich und dann auch nicht nötig und doch ist es viel.<br />

6.4 Glaubwürdigkeit der Kirche lebt <strong>von</strong> persönlichen Begegnungen<br />

Aus der Arbeit der Krankenhausseelsorge kann die sich in einer Glaubwürdigkeitskrise<br />

befindliche Kirche neu lernen: Glaubwürdig sind persönliche Begegnungen mit Menschen, die<br />

zuhören, die keine besserwisserischen Ratschläge und Antworten geben, sondern ihre eigenen<br />

Lebensfragen und –krisen kennen, diese bearbeitet haben und bearbeiten und die dabei die<br />

Kraft des Evangeliums und des Glaubens erfahren haben. Aus dieser Beobachtung ergeben<br />

sich einige Konsequenzen für die innere Haltung und die äußere Attitüde mit der kirchliche<br />

Mitarbeiter ihren Auftrag als Dienst verstehen und tun sollten.<br />

6.5 Kirche ist dann wichtig, wenn sie sich existentiellen Fragen der Menschen stellt<br />

Eine schwere Erkrankung wirft Menschen auf sich selbst zurück und auf die Grundfragen des<br />

Lebens. In dieser Situation erleben Menschen wie sich ihnen im Zuhören, in Gesprächen, im<br />

feiernden Vollzug <strong>von</strong> Gottesdienst und anderen religiösen Ritualen ein hilfreicher Raum für ihre<br />

Gefühle und Sehnsüchte öffnet. Diesen Dienst brauchen und erwarten die Menschen <strong>von</strong> der<br />

Kirche.<br />

6.6 Krankenhausseelsorge erfährt: Kirche hat eine eigene Tradition, die trägt<br />

So anstrengend manche Begegnungen im Krankenhaus sein können, sie machen mich doch<br />

auch immer wieder glücklich, weil ich die Erfahrung mache, wie die erfahrungs-gesättigten<br />

Worte der Psalmen oder mancher Lieder eine Situation auffangen können wie sie Worte dafür<br />

finden für das es noch keine eigenen Worte gibt. Es ist schön und tröstlich zu erleben wie<br />

unsere eigene Tradition echt ist und auch im Leid trägt. Die Sprache der Psalmen und mancher<br />

Lieder, Rituale wie Gebet, Segnen, Abendmahl können Hoffnung im Leid wecken und Trost<br />

bewirken.<br />

7. Probleme und ungeklärte Fragen der Krankenhausseelsorge<br />

7.1 Wohin mit den persönlichen Belastungen?<br />

In den Krankenhäusern sammelt sich existentiell Bedrohliches. Krankenhausseelsorger<br />

begegnen täglich Ausnahmesituationen und akuten Krisen menschlichen Lebens. Leid, Trauer,<br />

Tod, Sterben sind ständige Themen des Berufsalltages – und persönliche Belastung. Wir sind<br />

dafür ausgebildet, Betroffenen durch Zuhören, Empathie und helfenden Ritualen bei der Suche<br />

nach gangbaren Wegen aus der Krise oder in der Krise zu unterstützen. Das alles muss<br />

persönlich bewältigt werden.<br />

Wohin mit dem ganzen Leid? Die persönliche Seelenhygiene ist einem selbst überlassen. Ob<br />

ich mir Unterstützung hole, z.B. eine Supervision für mich beantrage oder die dafür<br />

entstehenden Kosten scheue, habe ich selbst zu entscheiden. Es gibt auch bei<br />

Krankenhausseelsorgern die Hemmung, für sich selbst zu sorgen, sich selbst in den Mittelpunkt<br />

der Fürsorge zu stellen.<br />

Ein Problem in diesem Zusammenhang ist, dass die meisten Krankenhausseelsorger<br />

Einzelkämpfer sind und keine Kollegen in der Klinik haben, mit denen ein fachlicher und<br />

persönlicher Austausch möglich wäre und mit denen über aktuelle Belastungen<br />

gesprochen werden könnte.<br />

7.2 Veränderungen im Gesundheitswesen und in den Kliniken<br />

Veränderungen im Gesundheitswesen und den Krankenhäusern stellen unsere traditionellen<br />

Arbeitsweisen und -formen in der Krankenhausseelsorge zunehmend in Frage. Ein <strong>von</strong> außen<br />

kommender Seelsorger hat in dem geschlossenen System einer Klinik mit ihrer klaren<br />

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Hierarchie und Rollendifferenzierung eigentlich keinen Platz. Die Sicherheit einer klaren<br />

Rollenzuweisung geht ihm ab. Von daher ist immer wieder neu über das eigene<br />

Selbstverständnis der Seelsorge im Krankenhaus nachzudenken.<br />

Die klinikinternen Strukturen und Kompetenzprofile setzen folgende Fragen auf die<br />

Tagesordnung: Was ist die spezielle Kompetenz und Aufgabe der Seelsorge im Unterschied zu<br />

den anderen Professionen, wie z.B. Psychologen und Therapeuten? Welche Aus- und<br />

Fortbildungsstandards sind in dem sehr speziellen Arbeitsfeld einer Klinik nötig, vor allem auch<br />

in Fragen der Medizinethik? Welche Verbindlichkeit muss die seelsorgerliche Präsenz,<br />

einschließlich Rufbereitschaft in zertifizierten Arbeitsbereichen haben, wo die Seelsorge ein<br />

konstitutiver Teil der Zertifizierung ist? Wie ist das mit dem Beicht- und Seelsorgegeheimnis<br />

angesichts des geforderten gegenseitigen Informationsaustauschs in interdisziplinären Teams?<br />

8. Perspektiven für die Krankenhausseelsorge und die Kirche<br />

8.1 Krankenhauspfarrstellen erhalten und Seelsorger noch besser qualifizieren<br />

Die Problemanzeigen machen eines deutlich: Mit halben Dienstaufträgen wie wir in Geislingen<br />

einen haben, sind die gerade genannten Probleme und Fragen nicht zu lösen. Dazu braucht es<br />

mehr. Auf landeskirchlicher Ebene eine gute Zusammenarbeit zwischen allen<br />

Krankenhausseelsorgern, dem Fachreferat im OKR und dem Seminar für Seelsorgefortbildung<br />

in Birkach. Da läuft manches ganz gut. Außerdem sind mehr personelle und finanzielle<br />

Ressourcen und eine noch weiter verbesserte und ausdifferenziertere Aus- und Fortbildung<br />

nötig. Eine Seelsorge, die auf Augenhöhe mit den gut ausgebildeten Fachkräften in der Klinik<br />

arbeiten und als Gesprächspartner ernst genommen werden will, benötigt neben der Theologie<br />

auch entsprechende Kompetenzen in den Fachbereichen, die in einer Klinik wesentlich sind.<br />

Von daher darf es – und das möchte ich vor allem in Richtung <strong>von</strong> Ihnen, liebe Frau Gröh als<br />

Vertreterin der Landessynode sagen - für den Bereich der Krankenhausseelsorge keine weitere<br />

Kürzung im landeskirchlichen Haushalt geben. Und es wäre m.E. auch ein großer Fehler, wollte<br />

man alle Krankenhauspfarrstellen mit Gemeindeaufträgen verknüpfen. Das würde die Qualität<br />

und die fachliche Breite der landeskirchlichen Seelsorgearbeit in den Kliniken mindern und<br />

diese Arbeit wieder eher zur Krankenseelsorge machen. Damit würde die Kirche eine große<br />

Chance der Mitgestaltung und Präsenz in einem wichtigen gesellschaftlichen Bereich vertun.<br />

Wir werden als Kirche dort gebraucht!<br />

8.2 Keine kirchliche Selbstbehauptung, sondern Begegnen und Dienen<br />

In der fast 2000jährigen Geschichte der Kirche war Kirche dann am glaubwürdigsten, wenn sie<br />

sich nicht mit sich selbst beschäftigt hat, sondern sich selbstvergessen denen zugewendet hat,<br />

zu denen Christus sich in erster Linie gesandt wusste: zu denen, die sich nicht mehr selbst<br />

helfen können; deren Existenz bedroht ist; die ausgegrenzt werden, die leiden. In diesen<br />

Menschen begegnet Gott.<br />

Genau das wird in der Praxis der Krankenhausseelsorge erlebt. Die ehrenamtlichen<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des kirchlichen Besuchsdienstes und auch ich als<br />

hauptamtlicher Klinikseelsorger bringen letztlich nichts anderes mit als uns selbst. Uns selbst<br />

mit unseren eigenen Erfahrungen und unserem eigenen Glauben, der immer wieder mehr oder<br />

weniger angefochten ist und in jedem Gespräch auf dem Glaubwürdigkeitsprüfstand steht.<br />

Doch dadurch, dass wir das tun, geschieht es hin und wieder, dass eine Patientin z.B. sagt: Am<br />

Sonntag hab ich doch mal im Krankenhausfunk in ihren GD hineingehört und das muss ich Ihnen sagen:<br />

Ich habe zum erstenmal in meinem Leben einen ganzen Gottesdienst gehört, ich kenne das ja gar nicht.“ –<br />

„Und, wie ist es Ihnen dabei ergangen?“ – „Gut. Gut ist es mir ergangen.“ – „Und was war gut für Sie?“ –<br />

„Na ja ... es kam so alles vor, was gerade mit mir zu tun hat. <strong>Der</strong> Krebs und meine Angst vor ihm, meine<br />

Hilflosigkeit und der Wunsch nach Weiterleben können. Die Sehnsucht nach Hoffnung und nach einer<br />

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Kraft, die mich hält und mich nicht ins dunkle Loch fallen lässt. Dass ich nicht nur auf die Krankheit<br />

schaue, sondern auch auf das Gute, was war und was auch jetzt noch gut ist.“<br />

Im Krankenhaus ist eine Kirche gefragt, die präsent und hörend beim anderen ist und ihm so<br />

hilft, sich selbst besser zu verstehen. Es geht nicht darum, theologische oder kirchliche Inhalte<br />

zu verbreiten oder zu verteidigen, sondern sich auf persönliche Begegnungen auf Augenhöhe<br />

einzulassen, da zu sein, sich Schicksalen und den aus ihnen erwachsenden Gefühlen,<br />

Bedürfnissen und Fragen auszusetzen.<br />

Es geht um eine den Menschen dienende Kirche die – wie es im Weihnachtslied <strong>von</strong> Gott heißt<br />

– die sich als Mensch den Menschen darstellt. Ich bin da<strong>von</strong> überzeugt, dass wir als Kirche und<br />

kirchliche Mitarbeiter in solchen Begegnungen immer wieder auf Gott stoßen. Und wenn sich<br />

das ereignet, da kann es sein, dass andere uns das abspüren und neugierig werden auf einen<br />

Gott, der nicht hoch oben im Himmel, sondern tief unten bei ihnen zu finden ist.<br />

Eine solche Kirche hat Perspektive. Seelsorge ist ihre Muttersprache. Eine solche Kirche<br />

wünsche ich mir.<br />

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