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Folge 138 - Bertolt Brecht 3

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<strong>Folge</strong> <strong>138</strong> – <strong>Bertolt</strong> <strong>Brecht</strong> 3<br />

Wir sind im Jahre 1927, ein Jahr vor seinem Welterfolg mit der Dreigroschenoper und dem<br />

weltweit sicher bekanntesten deutschen Gedicht von Mackie Messer. <strong>Bertolt</strong> <strong>Brecht</strong>, wie sich<br />

Berthold Eugen <strong>Brecht</strong> mittlerweile nennt, ist 29 Jahre alt.<br />

Er hat Volksschule und 1917 Kriegsnotabitur auf einem Augsburger humanistischen<br />

Gymnasium hinter sich. Hat vier Semester Medizin und Philosophie in München erfolglos<br />

studiert, hat mit Karl Valentin und Liesl Karlstadt auf der Bühne gestanden und von den<br />

beiden gelernt, wurde Dramaturg an den Münchner Kammerspielen und ging auf Grund des<br />

Erfolges seiner frühen Theaterstücke nach Berlin. Unzählige Liebschaften hat er schon hinter<br />

sich, was die einen mit der biologischen Veranlagung des Mannes erklären, die anderen als<br />

laxe Sexualmoral verurteilen. Zwei Kinder hat er schon gezeugt, verheiratet ist er mit<br />

Marianne Zoff, die nach der Scheidung in diesem Hauspostillen-Jahr 1927 Theo Lingen<br />

heiratet, der in <strong>Brecht</strong>s Mann ist Mann-Stück mitgespielt hatte und <strong>Brecht</strong> wiederum heiratet<br />

Helene Weigel, die bei ihm bis zu seinem Tod bleibt, weil sie zu denen gehört, die die<br />

Biologie des Mannes akzeptieren, und mit der er zwei Kinder haben wird.<br />

Erinnerung an die Marie A.<br />

An jenem Tag im blauen Mond September<br />

Still unter einem jungen Pflaumenbaum<br />

Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe<br />

In meinem Arm wie einen holden Traum.<br />

Und über uns im schönen Sommerhimmel<br />

War eine Wolke, die ich lange sah.<br />

Sie war sehr weiß und ungeheuer oben<br />

Und als ich aufsah, war sie nimmer da.<br />

Seit jenem Tag sind viele, viele Monde<br />

Geschwommen still hinunter und vorbei.<br />

Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen<br />

Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?<br />

So sag ich dir: ich kann mich nicht erinnern<br />

Und doch, gewiss, ich weiß schon, was du meinst.<br />

Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer<br />

Ich weiß nur mehr: ich küsste es dereinst.<br />

Und auch den Kuss, ich hätt ihn längst vergessen<br />

Wenn nicht die Wolke dagewesen wär<br />

Die weiß ich noch und werd ich immer wissen<br />

Sie war sehr weiß und kam von oben her.<br />

Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer<br />

Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind.<br />

Doch jene Wolke blühte nur Minuten<br />

Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.<br />

Sieben Jahre vor Erscheinen der Hauspostille, 1920, starb mit gerade 49 Jahren <strong>Brecht</strong>s<br />

Mutter an Unterleibskrebs. <strong>Brecht</strong> hing sehr an seiner Mutter und sie an ihm. Aber er sagte<br />

auch: »Ich liebte sie auf meine Weise. Aber sie wollte auf die ihre geliebt sein.«<br />

Vom ertrunkenen Mädchen


Als sie ertrunken war und hinunterschwamm<br />

Von den Bächen in die größeren Flüsse<br />

Schien der Opal des Himmels sehr wundersam<br />

Als ob er die Leiche begütigen müsse.<br />

Tang und Algen hielten sich an ihr ein<br />

So dass sie langsam viel schwerer ward.<br />

Kühl die Fische schwammen an ihrem Bein<br />

Pflanzen und Tiere beschwerten noch ihre letzte Fahrt.<br />

Und der Himmel ward abends dunkel wie Rauch<br />

Und hielt nachts mit den Sternen das Licht in Schwebe.<br />

Aber früh ward er hell, dass es auch<br />

Noch für sie Morgen und Abend gebe.<br />

Als ihr bleicher Leib im Wasser verfaulet war<br />

Geschah es (sehr langsam), dass Gott sie allmählich vergaß<br />

Erst ihr Gesicht, dann die Hände und ganz zuletzt erst ihr Haar.<br />

Dann ward sie Aas in Flüssen mit vielem Aas.<br />

<strong>Brecht</strong> politisiert sich im Krieg und nach dem Krieg, wird kurze Zeit Mitglied der USPD und<br />

beginnt, sich mit den Büchern von Karl Marx zu beschäftigen. Das folgende Gedicht aus der<br />

Hauspostille, das er 1918 in den letzten Kriegstagen geschrieben hatte, diente den Nazis als<br />

Vorwand, ihn 1933 auszubürgern und ihm, der im letzten Moment geflohen war, nicht nur die<br />

Heimat, sondern auch seinen gesamten Besitz, der durch die Dreigroschenoper nicht<br />

unerheblich war, wegzunehmen.<br />

Legende vom toten Soldaten<br />

Und als der Krieg im vierten Lenz<br />

Keinen Ausblick auf Frieden bot.<br />

Da zog der Soldat seine Konsequenz<br />

Und starb den Heldentod.<br />

Der Krieg war aber noch nicht gar<br />

Drum tat es dem Kaiser leid,<br />

Dass sein Soldat gestorben war:<br />

Es schien ihm noch vor der Zeit.<br />

Der Sommer zog über die Gräber her<br />

Und der Soldat schlief schon.<br />

Da kam eines Nachts eine militär-<br />

ische ärztliche Kommission.<br />

Es zog die ärztliche Kommission<br />

Zum Gottesacker hinaus<br />

Und grub mit geweihtem Spaten den<br />

Gefallnen Soldaten aus.<br />

Der Doktor besah den Soldaten genau


Oder was von ihm noch da war<br />

Und der Doktor fand, der Soldat sei k.v.<br />

Und er drücke sich vor der Gefahr.<br />

Und sie nahmen sogleich den Soldaten mit.<br />

Die Nacht war blau und schön.<br />

Und ohne Stahlhelm konnte man<br />

Die Sterne der Heimat sehn.<br />

Sie schütteten ihm einen feurigen Schnaps<br />

In den verwesten Leib<br />

Und hängten in seinen faulenden Arm<br />

Ein halb entblößtes Weib.<br />

Und weil der Soldat nach Verwesung stank,<br />

Drum hinkte ein Pfaff voran,<br />

Der über ihn ein Weihrauchfass schwang,<br />

Dass er nicht stinken kann.<br />

Voran die Musik mit Tschindrara<br />

Spielt einen flotten Marsch.<br />

Und der Soldat, wie ers gelernt,<br />

Schmeißt seine Beine vom Arsch.<br />

Mit Tschindrara und Wiedersehn!<br />

Und Weib und Hund und Pfaff!<br />

Und mitten drin der tote Soldat<br />

Wie ein besoffner Aff.<br />

So viele tanzten und johlten um ihn<br />

Es kam das Morgenrot.<br />

Und der Soldat, wie ers gelernt<br />

Zieht in den Heldentod.<br />

Das Schlusskapitel der Hauspostille trägt den Titel<br />

Gegen Verführung<br />

Erstens:<br />

Lasst euch nicht verführen!<br />

Es gibt keine Wiederkehr.<br />

Der Tag steht in den Türen;<br />

Ihr könnt schon Nachtwind spüren:<br />

Es kommt kein Morgen mehr.<br />

Zweitens:<br />

Lasst euch nicht betrügen!<br />

Dass das Leben wenig ist.<br />

Schlürft es in schnellen Zügen!<br />

Es wird euch nicht genügen<br />

Wenn ihr es lassen müsst!


Drittens:<br />

Lasst euch nicht verführen<br />

Zu Fron und Ausgezehr!<br />

Was kann euch Angst noch rühren?<br />

Ihr sterbt mit allen Tieren<br />

Und es kommt nichts nachher.<br />

Ich finde, dass diese Ausführlichkeit, mit der ich die Hauspostille Ihnen vorgestellt habe,<br />

nötig war, um das neue literarische Zeitalter, das nun beginnt und für das es keine allgemein<br />

verbindliche literarische Bezeichnung mehr gibt, einzuläuten. Jetzt heißen die Gedichte<br />

präfaschistisch oder antifaschistisch oder auch politisch oder unpolitisch. Das Katalogisieren<br />

von Gedichten, das wir Deutschen so lieben, seit es Germanistikprofessoren gibt, entfällt nun<br />

weitgehend.

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