titEltHEma 4 daNiEl iSt EiN »cHriSt oHNE orgaNiSatioN« JUditH fEiErt WEiHNacHtEN oHNE gott <strong>NOIR</strong> Nr. <strong>23</strong> (November 2011) raffaElS vatEr iSt PfarrEr JoNaS glaUBt NicHt mEHr aN gott
Gemeinde statt Volkskirche Sie sind ein Beispiel dafür, wie Glaube heute oft gelebt wird: die »Christen ohne Organisation«. Jeden Abend nach der Arbeit treffen sie sich bei einem Mitglied im Wohnzimmer, um über Gott und die Bibel zu diskutieren. Ihr Wunsch: »das Leben mit Gott ernst nehmen.« Dieses Leben beinhalte mehr als den sonntäglichen Gang zur Kirche und die Predigt eines Pfarrers. »Bei uns stehen Gott und die Gemeinde an erster Stelle«, sagt Daniel*, 35 Jahre alt. Seit zwölf Jahren trifft sich die Gruppe täglich, redet im kleinen Kreis über ihre Erlebnisse, ihre Gedanken und ihr Leben mit der Bibel. Es gibt kein festes Programm und keinen Leiter. Zurück zum Ursprung, das ist ihr Ziel. Die »Christen ohne Organisation« zeugen von einer Entwicklung in der Gesellschaft: die Auflösung kirchlicher Strukturen. Ihnen gehe es nicht um evangelisch oder katholisch, nicht um den sonntäglichen Gottesdienst in der Kirche. Aber sie wollen den Glauben umsetzen, wie sie glauben, dass Jesus ihn vorgelebt hat. Obwohl viele Menschen immer mehr den Glauben an ihre Bedürfnisse anpassen, wollen die Christen ohne Organisation gerade mit ihrem Leben ein Zeichen setzen, indem sie ihr Leben auf Grundlage der Bibel führen. »Sie dient uns als Ratgeber und Leitfaden in allen Lebenslagen«, sagt Anja*, 41 Jahre, und holt eine kleine Bibel im Taschenbuchformat aus ihrer Tasche. Text: Leonie Müller * Namen von der redaktion geändert aNSicHtEN dES glaUBENS Sieben Geschichten von Menschen und ihrem Glauben, ihren Religionen und ihren übersinnlichen Erfahrungen. layout: tobias fischer Gott mit käferVorliebe? Als Kind ging Jonas Pfeiffer* jeden Sonntag in die Kirche. Aufgewachsen im Pfarrhaus der kleinen Gemeinde, kannte er es nicht anders. Jonas’ Eltern sind beide Theologen. Als bei Jonas die Konfirmation anstand, beschäftigte er sich zum ersten Mal intensiv mit dem Glauben. Vieles machte ihn stutzig: Als überzeugter Naturwissenschaftler fand er kein rationales Argument für Gott. »Warum sollte ich mich dafür rechtfertigen?«, fragte er sich. Eigentlich müsse das in unserer von Logik geprägten Gesellschaft doch das Normale sein. Jonas erzählt, wie er bekannte Bücher zum Thema Atheismus gelesen hat und sie ihn stärker fesselten, als die Bibel es jemals geschafft hatte. Über Glauben zu streiten, findet Jonas zwecklos. Diskussionen müssen offen geführt werden und das sei mit überzeugten Kirchengängern unmöglich, meint er. Deswegen werden Gespräche zu diesem Thema am Esstisch der Familie Pfeiffer tunlichst vermieden. Schlimm findet Jonas das nicht, denn Glauben ist für ihn nichts anderes, als eine »minderwertige Form von Wissen« und somit schlicht unwichtig. Und falls es Gott doch gibt? »Dann hat er jedenfalls eine übertriebene Vorliebe für Käfer«, zitiert Jonas mit einem Augenzwinkern den Evolutionsbiologen J.B.S. Haldane. Im Gegensatz zu der Spezies Mensch gibt es hiervon immerhin über 500 000 Arten. Text: Maria Graef ▶ <strong>NOIR</strong> Nr. <strong>23</strong> (November 2011) titEltHEma 5