im Schwarzen Meer - Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie
im Schwarzen Meer - Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie
im Schwarzen Meer - Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie
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FOKUS<br />
Marcel Kuypers, einer der<br />
Entdecker der marinen<br />
Anammox-Bakterien, <strong>im</strong> Labor.<br />
Die Wissenschaftler des MAX-PLANCK-INSTITUTS FÜR MARINE MIKROBIOLOGIE in Bremen<br />
müssen seetauglich sein: Ausfahrten mit Forschungsschiffen gehören ebenso zu ihrem<br />
Berufsalltag wie Arbeiten <strong>im</strong> Labor. Auf einer Expedition mit dem deutschen Forschungsschiff<br />
METEOR ist ein Team aus der Abteilung von PROF. BO BARKER JØRGENSEN zusammen<br />
mit niederländischen Kollegen <strong>im</strong> <strong>Schwarzen</strong> <strong>Meer</strong> auf bisher unbekannte Bakterien gestoßen,<br />
die entscheidend am Stickstoffkreislauf der Ozeane beteiligt sein könnten – denn sie<br />
wandeln das <strong>für</strong> Algen lebenswichtige Ammonium in atmosphärischen Stickstoff um.<br />
34 M AXP LANCKF ORSCHUNG 3/2003 3/2003 M AXP LANCKF ORSCHUNG 35<br />
Stickstoff-Händler<br />
KARTE: MIT FRDL. GENEHMIGUNG DES VERLAGES FREDERKING UND THALER, MÜNCHEN;<br />
AUS: WELTATLAS DER OZEANE, HRSG. VON MANFRED LEIER / FOTOS: LAIF - JENS MEYER<br />
<strong>im</strong> <strong>Schwarzen</strong> <strong>Meer</strong><br />
D as<br />
Forschungsschiff METEOR<br />
gehört der Bundesrepublik und<br />
wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
betrieben. Seine Besatzung<br />
umfasst 32 Mann, zusätzlich<br />
bietet es noch Platz <strong>für</strong> eine wissenschaftliche<br />
Crew von 28 Personen.<br />
Im September 2001 lief die METEOR<br />
von Warnemünde zu einer ihrer<br />
zahlreichen Fahrten aus. Die Reise<br />
M 51 galt den Projekten von mindestens<br />
14 Arbeitsgruppen; Themen<br />
waren unter anderem: Ursachen und<br />
Auswirkungen des Vulkanismus <strong>im</strong><br />
Ostatlantik, Hydrographie und Planktologie<br />
des östlichen Mittelmeers,<br />
Paläo-Ozeanographie und organische<br />
Sed<strong>im</strong>ente in der Ägäis sowie<br />
Kl<strong>im</strong>ageschichte und Biochemie des<br />
<strong>Schwarzen</strong> <strong>Meer</strong>s. Mit Beginn des<br />
vierten und letzten Reiseabschnitts<br />
gingen am 13. Dezember 2001 in<br />
Istanbul auch acht Wissenschaftler<br />
des Bremer <strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-<strong>Institut</strong>s <strong>für</strong><br />
marine <strong>Mikrobiologie</strong> an Bord. Ihr<br />
Ziel: das Schwarze <strong>Meer</strong> an der Nordküste<br />
der Türkei (Abbildung S. 34).<br />
Für die Türken ist das Mittelmeer<br />
das „Weiße <strong>Meer</strong>“, und deshalb<br />
nannten sie das Gewässer vor ihrer<br />
Nordküste das „Schwarze <strong>Meer</strong>“.<br />
Entwicklungsgeschichtlich ist das<br />
Schwarze <strong>Meer</strong> jung, denn es sieht<br />
erst seit ein paar tausend Jahren so<br />
aus wie heute. Vor fünf bis sieben<br />
Millionen Jahren dagegen erstreckte<br />
sich von Ostösterreich bis zum Aralsee<br />
das riesige Sarmatische <strong>Meer</strong> –<br />
aus dessen Fluten nur die Gipfel der<br />
Karpaten und des Kaukasus als Inseln<br />
herausragten. Als sich später<br />
das Land hob, teilte sich das Sarmatische<br />
Becken in das Aralbecken, das<br />
Kaspische und das Pontische Becken.<br />
Erst als die Landbrücke zwischen<br />
Kleinasien und dem Balkan vor 6000<br />
bis 8000 Jahren einstürzte und damit<br />
die Verbindung zum Mittelmeer<br />
aufbrach, verwandelte sich das Pontische<br />
<strong>Meer</strong> in das heutige Schwarze<br />
<strong>Meer</strong>.<br />
Im rund 2000 Meter tiefen<br />
<strong>Schwarzen</strong> <strong>Meer</strong> liegen zwei Wasserkörper<br />
übereinander, die unter-<br />
schiedlicher nicht sein könnten. In<br />
80 bis 200 Metern Tiefe trennt eine<br />
etwa 20 Meter dicke Schicht das<br />
Oberflächenwasser vom leblosen,<br />
mit giftigem Schwefelwasserstoff<br />
gesättigten Tiefenwasser. Diese Todeszone<br />
birgt 87 Prozent der gesamten<br />
Wassermasse des <strong>Schwarzen</strong><br />
<strong>Meer</strong>s – und bildet damit das<br />
weltweit größte „anoxische“, also<br />
sauerstofffreie Wasserbecken. Dass<br />
sich die beiden Wasserkörper nicht<br />
mischen, liegt an den unterschiedlichen<br />
Salzgehalten: Das Wasser des<br />
Mittelmeers ist stärker salzhaltig,<br />
das Oberflächenwasser hingegen<br />
durch den Zufluss unter anderem<br />
aus der Donau ausgesüßt. Außerdem<br />
ist der Bosporus sehr flach, sodass<br />
nur wenig sauerstoffreicheres Wasser<br />
aus dem Mittelmeer das Tiefenwasser<br />
<strong>im</strong> <strong>Schwarzen</strong> <strong>Meer</strong> auffrischen<br />
kann. Und auch die Temperaturverteilung<br />
in den verschiedenen<br />
Wasserschichten ist ungewöhnlich:<br />
Die niedrigste Temperatur von sechs<br />
bis sieben Grad Celsius misst man<br />
MIKROBEN
FOKUS<br />
Bereits an Bord werden die Sed<strong>im</strong>entproben einer ersten Analyse<br />
unterzogen (<strong>im</strong> Bild links Marcel Kuypers, rechts Gaute Lavik).<br />
bereits bei 50 bis 100 Meter Tiefe;<br />
darunter steigt die Temperatur wieder<br />
an und erreicht am Boden neun<br />
Grad Celsius.<br />
Als isoliertes Randmeer reagiert<br />
das Schwarze <strong>Meer</strong> sehr empfindlich<br />
auf Änderungen der Umwelt – und<br />
zwar nicht nur der heutigen, sondern<br />
ebenso der erdgeschichtlich weiter<br />
zurückliegenden. Für Forscher bietet<br />
es daher hervorragende Möglichkeiten<br />
<strong>für</strong> hoch auflösende Untersuchungen<br />
des Paläokl<strong>im</strong>as. Dabei<br />
lassen sich auch Kl<strong>im</strong>asignale aus<br />
dem südost- und zentraleuropäischen<br />
Raum erfassen, die <strong>im</strong> eingetragenen<br />
Schwemm-Material aus der<br />
Donau stecken. Darüber hinaus ist<br />
das Schwarze <strong>Meer</strong> – als Lagerstätte<br />
organisch reicher Sed<strong>im</strong>ente aus geologischer<br />
Vergangenheit – auch der<br />
ideale Ort, um biogeochemische Stoffkreisläufe<br />
zu studieren.<br />
RÜCKBLICK AUF<br />
7500 JAHRE KLIMA<br />
Die spezifischen Sed<strong>im</strong>entationsbedingungen<br />
führten zur Ablagerung<br />
fein aufgebauter, während der<br />
vergangenen 7500 Jahre größtenteils<br />
sogar jahreszeitlich geschichteter<br />
Sed<strong>im</strong>ente. Das gestattet, die erdgeschichtlichen<br />
Kl<strong>im</strong>aschwankungen –<br />
deren Verständnis <strong>für</strong> Aussagen über<br />
die zukünftige Kl<strong>im</strong>aentwicklung un-<br />
36 M AXP LANCKF ORSCHUNG 3/2003<br />
verzichtbar ist – bis auf Jahres-Zeitskalen<br />
zu analysieren. Von deren<br />
Vergleich mit anderen hoch aufgelösten<br />
Zeitreihen sowohl aus kontinentalen<br />
Regionen (etwa von Baumringen<br />
aus Europa sowie Eiskernen<br />
und Seesed<strong>im</strong>enten aus Grönland)<br />
als auch aus marinen Bereichen<br />
(Arabische See, östliches Mittelmeer<br />
und Rotes <strong>Meer</strong>) erhoffen sich die<br />
Forscher ein besseres Verständnis der<br />
längerfristigen Variabilität globaler<br />
oder zumindest hemisphärischer<br />
Kl<strong>im</strong>asignale wie beispielsweise von<br />
ENSO (besser bekannt unter den Namen<br />
El Niño und La Niña).<br />
Die Reise der <strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-Forscher<br />
begann mit einigen Hindernissen.<br />
So schreibt der wissenschaftliche<br />
Leiter der Expedition, Bo Barker<br />
Jørgensen, in seinem Wochenbericht<br />
von Bord der METEOR: „Die Vorbereitung<br />
der Fahrt <strong>im</strong> Hafen von Istanbul<br />
war schwierig, weil unsere<br />
Container zwei Tage lang nicht an<br />
Bord kommen konnten. Sie standen<br />
zwar da <strong>im</strong> Hafen, aber wegen der<br />
Bürokratie und des Endes des Ramadan<br />
wurde die Zollabfertigung verzögert,<br />
und danach war der Pier<br />
plötzlich von Lkws einen ganzen Tag<br />
einfach blockiert. […] Wegen der<br />
Hafenprobleme konnte eine In-situ-<br />
Pump-CTD (conductivity-temperature-depth)<br />
<strong>für</strong> kontinuierliche Profile<br />
und Proben aus der Wassersäule<br />
nicht aufgebaut und getestet werden.<br />
Zwei Techniker aus dem <strong>Institut</strong><br />
<strong>für</strong> Ostseeforschung in Warnemünde<br />
(IOW) sind deswegen zwei Tage mitgefahren<br />
und haben die Messungen<br />
erfolgreich durchgeführt. Um diesen<br />
Gerätetest zu ermöglichen, mussten<br />
wir <strong>im</strong> Marmarameer anfangen und<br />
sind dann nach Istanbul zurückgekehrt,<br />
wo wir auf Reede lagen, bis<br />
die beiden Kollegen mit einem Boot<br />
wieder an Land gebracht werden<br />
konnten.“<br />
Im Marmarameer ziehen die Wissenschaftler<br />
an drei Stationen in<br />
300 bis 1200 Meter Wassertiefe Sed<strong>im</strong>entkerne;<br />
sie erscheinen sehr viel<br />
Laborgerät zum Aufreinigen von Stickstoffgas und anderen Verbindungen aus Wasserproben.<br />
versprechend <strong>für</strong> eine detaillierte<br />
Analyse der holozänen und frühen<br />
Entwicklung des Kl<strong>im</strong>as und der Verbindung<br />
zwischen Mittelmeer und<br />
Schwarzem <strong>Meer</strong>, denn sie weisen<br />
nach drei bis vier Metern laminierte<br />
Schichten auf. Auch die ersten Bohrkerne<br />
<strong>im</strong> <strong>Schwarzen</strong> <strong>Meer</strong> sind gut,<br />
obwohl ihre Gewinnung aus dem Sed<strong>im</strong>ent<br />
in der schwefelhaltigen Tiefsee<br />
besondere Maßnahmen erfordert:<br />
Dem Multicorer (MUC), einem Gerät<br />
zur Entnahme von 40 bis 50 Zent<strong>im</strong>eter<br />
langen Sed<strong>im</strong>entkernen, müssen<br />
„Entenfüße“ angepasst werden,<br />
damit er nicht zu tief in den weichen<br />
<strong>Meer</strong>esboden einsinkt. In der oberen,<br />
holozänen Abfolge des Sed<strong>im</strong>ents<br />
zeigen die Kerne fein laminierte<br />
Jahresschichten – ein Traum <strong>für</strong> jeden<br />
Paläokl<strong>im</strong>atologen.<br />
Die zweite Woche beginnt sehr<br />
stürmisch und stellt die Seetauglichkeit<br />
der <strong>Max</strong>-<strong>Planck</strong>-Forscher auf eine<br />
harte Probe: „Bei Windstärke acht<br />
bis neun muss die Arbeit unterbrochen<br />
werden, und die METEOR kann<br />
nur gegen den Wind fahren“,<br />
schreibt Jørgensen in seinem Fahrtenbericht.<br />
Die Fachleute <strong>für</strong>chten,<br />
dass die Wetterbedingungen ihre Arbeit<br />
weiter beeinträchtigen könnten<br />
– doch glücklicherweise flaut der<br />
Wind wieder ab, und die Untersuchungen<br />
<strong>im</strong> westlichen <strong>Schwarzen</strong><br />
<strong>Meer</strong> können weitergehen. Entlang<br />
des Kontinentalhangs vom 2100 Meter<br />
tiefen Becken bis auf den Schelf<br />
werden neben Schwerelot- und<br />
MUC-Kernen auch Proben aus der<br />
Wassersäule genommen, um die<br />
Geochemie und die <strong>Mikrobiologie</strong><br />
zu analysieren.<br />
„Die Beprobung der Wassersäule<br />
mit In-situ-Pumpen und mit einem<br />
neuen Pump-CTD hat hervorragend<br />
funktioniert. Das Schlauchsystem<br />
des Pump-CTD’s bringt kontinuierlich<br />
<strong>Meer</strong>wasser aus verschiedenen<br />
Tiefen auf Station direkt ins Labor,<br />
wo online die Chemie analysiert<br />
wird. […] Obwohl die Exper<strong>im</strong>ente zu<br />
Denitrifikation, Manganreduktion,<br />
anaerober (?) Ammoniumoxidation<br />
und Sulfidoxidation noch laufen,<br />
gibt es die ersten Ergebnisse aus der<br />
Zonierung in der Wassersäule. Im<br />
zentralen <strong>Schwarzen</strong> <strong>Meer</strong> sind in 95<br />
Meter Wassertiefe grüne Schwefelbakterien<br />
vorhanden, die dort als<br />
phototrophe Sulfidoxidierer bei extrem<br />
niedriger Lichtintensität leben.“<br />
Die anaerobe, also ohne Sauerstoff-<br />
Zufuhr erfolgende Ammoniumoxidation<br />
versieht Bo Barker Jørgensen<br />
in seinem Bericht noch mit einem<br />
Fragezeichen. Denn Mikroorganismen,<br />
die in der Lage sind, Ammonium<br />
auch unter sauerstofffreien Bedingungen<br />
zu konsumieren, sind erst<br />
vor wenigen Jahren entdeckt worden<br />
– und zwar in Kläranlagen.<br />
KLÄRANLAGEN – NÄHRBÖDEN<br />
FÜR UNBEKANNTE SPEZIES<br />
Diese so genannten Anammox-<br />
Bakterien setzen Ammonium mithilfe<br />
von Nitrit zu Stickstoff um (anaerobe<br />
Ammonium-Oxidation) und werden<br />
be<strong>im</strong> Betrieb moderner Kläranlagen<br />
in Zukunft eine wichtige Rolle spielen,<br />
da sie die teuere Belüftung des<br />
Klärwassers ersparen. Weil die Kläranlagen-Bakterien<br />
aber nur sehr<br />
langsam wachsen, nahm man bisher<br />
an, dass sie keine marinen Verwand-<br />
ANAMMOX IM SCHWARZEN MEER<br />
ten hätten, die <strong>im</strong> <strong>Meer</strong> eine wesentliche<br />
Rolle spielen könnten. Vielmehr<br />
galt die Nitrifikation oder Denitrifikation<br />
als der einzig relevante Prozess,<br />
der die stickstoffhaltigen Nährstoffe<br />
<strong>im</strong> Ozean vermindert: Dabei<br />
oxidieren Mikroorganismen zunächst<br />
das Ammonium (NH 4) mit Sauerstoff<br />
(O 2) über Nitrit (NO - 2) zu Nitrat (NO - 3).<br />
Ist kein freier molekularer Sauerstoff<br />
vorhanden, kann das Nitrat anschließend<br />
von heterotrophen Bakterien<br />
benutzt werden, um organisches<br />
Material zu oxidieren. Dabei wird<br />
molekularer Stickstoff (N 2) frei, der<br />
als Gas in die Atmosphäre entweicht.<br />
Diese Freisetzung bezeichnen die<br />
Fachleute als Denitrifikation.<br />
Umfang und Geschwindigkeit, mit<br />
der Stickstoff in Form von Nitrat, Nitrit,<br />
Ammonium und anderen anorganischen<br />
Verbindungen gespeichert<br />
(fixiert) oder umgekehrt als Gas freigesetzt<br />
wird, best<strong>im</strong>men den globalen<br />
Stickstoffhaushalt. Mit der Freisetzung<br />
von gasförmigem Stickstoff<br />
wird dieser als Nährstoff jedoch<br />
unzugänglich – und genau deshalb<br />
hängt der Prozess auch unmittelbar<br />
mit dem Umsatz von Kohlendioxid<br />
3/2003 M AXP LANCKF ORSCHUNG 37<br />
MIKROBEN<br />
Schema der neu entdeckten Stickstoff-Freisetzung <strong>im</strong> <strong>Schwarzen</strong> <strong>Meer</strong>. Zwischen der<br />
sauerstoffreichen Zone (rot) und der Ammonium-Zone (blau) haben sich Nahrungsspezialisten,<br />
die so genannten Anammox-Bakterien (grün), angesiedelt.
FOKUS<br />
Gaute Lavik verstaut das Material <strong>für</strong> die<br />
Expedition mit dem Forschungsschiff METEOR.<br />
(CO 2) zusammen, das als Treibhausgas<br />
das globale Kl<strong>im</strong>a beeinflusst.<br />
Denn die mikroskopisch kleinen<br />
Algen <strong>im</strong> <strong>Meer</strong>, die das so genannte<br />
Phytoplankton bilden, benötigen<br />
<strong>für</strong> ihr Wachstum – ebenso wie die<br />
Pflanzen an Land – stickstoffhaltige<br />
Nahrung, die aber nur sehr begrenzt<br />
verfügbar ist: Je höher also der<br />
Nährstoffgehalt, desto mehr Algen<br />
können wachsen und desto mehr<br />
Kohlendioxid entfernen sie zugleich<br />
aus der Atmosphäre – und zwar mithilfe<br />
der Photosynthese, in deren<br />
Ablauf Kohlendioxid in Form von<br />
Zuckermolekülen gebunden wird.<br />
Auf diese Weise beeinflusst der<br />
Nährstoffgehalt <strong>im</strong> Ozean indirekt<br />
die Menge an CO 2 und damit das Kl<strong>im</strong>a.<br />
Will man die Entwicklung des<br />
Kl<strong>im</strong>as besser verstehen, gilt es also<br />
zunächst den Stickstoffkreislauf <strong>im</strong><br />
Ozean zu begreifen.<br />
Nachdem die Bremer Mikrobiologen<br />
wieder festen Boden unter den<br />
Füßen hatten, machten sie sich <strong>im</strong><br />
Labor an die Aufarbeitung der Proben<br />
und die detaillierte Auswertung<br />
aller „geernteten“ Daten. In detektivischer<br />
Kleinarbeit gelang es ihnen<br />
tatsächlich eindeutig nachzuweisen,<br />
dass Anammox-Bakterien <strong>im</strong><br />
38 M AXP LANCKF ORSCHUNG 3/2003<br />
<strong>Schwarzen</strong> <strong>Meer</strong> entscheidend am<br />
Stickstoff-Umsatz mitwirken, und<br />
zwar über anaerobe Ammonium-<br />
Oxidation – bei der Ammonium eben<br />
durch Nitrit, und nicht durch Sauerstoff,<br />
zu gasförmigem Stickstoff oxidiert<br />
wird.<br />
Zunächst war es die Analyse der<br />
Nährstoffverteilung, die Gaute Lavik,<br />
Mitarbeiter in der Abteilung von Bo<br />
Barker Jørgensen, stutzig machte.<br />
Wie erwähnt, sinkt der Sauerstoffgehalt<br />
<strong>im</strong> <strong>Schwarzen</strong> <strong>Meer</strong> mit zunehmender<br />
Wassertiefe – unterhalb<br />
von 80 Metern lässt sich kein Sauerstoff<br />
mehr nachweisen. Doch erst ab<br />
100 Metern Tiefe beginnt der Bereich<br />
mit Ammonium. Also liegen in einer<br />
Zone zwischen 80 und 100 Metern<br />
Tiefe weder Ammonium noch Sauerstoff<br />
vor. Lavik vermutete daher,<br />
dass in diesem Bereich des <strong>Schwarzen</strong><br />
<strong>Meer</strong>s der Anammox-Prozess<br />
ablaufen könnte. Mit Isotopen-markierten<br />
Stickstoffverbindungen wies<br />
sein niederländischer Kollege von<br />
der Technischen Universität Delft,<br />
Olav Sliekers, tatsächlich nach, dass<br />
in diesen Tiefen Ammonium mittels<br />
Nitrit zu elementarem Stickstoff abgebaut<br />
wird.<br />
NEUES RÄDCHEN IM<br />
STICKSTOFF-KREISLAUF<br />
Doch die Indizien allein bedeuteten<br />
noch keinen zwingenden Beweis<br />
<strong>für</strong> die Existenz von Anammox-Bakterien.<br />
Und so begab sich der Biogeochemiker<br />
Marcel Kuypers, ebenfalls<br />
Mitarbeiter des Bremer <strong>Max</strong>-<br />
<strong>Planck</strong>-<strong>Institut</strong>s, auf Spurensuche.<br />
Dabei machte er sich eine Besonderheit<br />
der Annamox-Bakterien zu Nutze:<br />
Bei der anaeroben Ammonium-<br />
Oxidation entstehen hochreaktive<br />
Zwischenprodukte, vor denen sich<br />
die Zelle schützen muss. Die Bakterien<br />
verfügen deshalb in ihrem Inneren<br />
über ein „Anammoxosom“:<br />
einen gesonderten und isolierten Bereich,<br />
in dem der Oxidationsprozess<br />
abläuft. Dieses Anammoxosom enthält<br />
spezielle Membran-Lipide, die<br />
Kuypers aus den <strong>Meer</strong>wasser-Proben<br />
isolieren konnte – in Proben aus<br />
eben jenem Tiefenbereich, in dem<br />
Isopen-markierte Stickstoffverbindungen<br />
die höchsten Umsatzraten<br />
<strong>für</strong> den Anammox-Prozess angezeigt<br />
hatten. Mit dem Nachweis dieser typischen<br />
Zellbestandteile durch den<br />
Bremer Forscher war der ult<strong>im</strong>ative<br />
Beweis <strong>für</strong> die Existenz von Anammox-Bakterien<br />
<strong>im</strong> <strong>Schwarzen</strong> <strong>Meer</strong><br />
erbracht – der eine Publikation in<br />
der renommierten Zeitschrift NATURE<br />
<strong>im</strong> Frühjahr 2003 bedeutete.<br />
Aus den in 90 Meter Wassertiefe<br />
lebenden Bakterien isolierten die<br />
Forscher dann weiter die Erbsubstanz<br />
(DNA) und zeigten, dass diese<br />
Organismen nahe Verwandte der erst<br />
kürzlich in Kläranlagen entdeckten<br />
Anammox-Bakterien sind: Tatsächlich<br />
st<strong>im</strong>men 98 Prozent der Erbsubstanz<br />
beider Organismen überein.<br />
Auf der Basis der Gensequenz lassen<br />
sich mit Fluoreszenz-Farbstoffen<br />
gekoppelte Oligonukleotide herstellen,<br />
die als Gensonden eingesetzt<br />
werden können. Diese Methode, abgekürzt<br />
FISH (fluorescence in situ<br />
hybridization), erlaubt es den Forschern,<br />
die Bakterien anhand des<br />
Leuchtsignals <strong>im</strong> Fluoreszenzmikroskop<br />
zu identifizieren: Anammox-<br />
Bakterien, so das Ergebnis, weisen<br />
eine <strong>für</strong> Bakterien eher untypische<br />
Form auf – sie sehen aus wie kleine<br />
Doughnut-Ringe.<br />
Zählt man die Anammox-Bakterien<br />
in einer <strong>Meer</strong>wasserprobe (pro<br />
Milliliter sind es an die 2000 Zellen),<br />
dann liefert eine einfache Berechnung,<br />
dass <strong>im</strong> <strong>Schwarzen</strong> <strong>Meer</strong><br />
genügend Anammox-Bakterien leben,<br />
um den beobachteten Ammonium-Abbau<br />
zu atmosphärischem<br />
Stickstoff zu erklären. Wahrscheinlich<br />
ist Anammox sogar der wichtigste<br />
Abbauprozess <strong>für</strong> stickstoffhaltige<br />
Nährstoffe <strong>im</strong> <strong>Schwarzen</strong><br />
<strong>Meer</strong>. Da in den Böden und anderen<br />
nur geringfügig mit Sauerstoff angereicherten<br />
Zonen der Weltmeere<br />
ähnliche Bedingungen wie <strong>im</strong><br />
<strong>Schwarzen</strong> <strong>Meer</strong> herrschen, vermuten<br />
die Forscher, dass Anammox<br />
auch global von bisher ungeahnter<br />
Bedeutung <strong>für</strong> den Stickstoffkreislauf<br />
und die damit gekoppelten Umweltbedingungen<br />
ist. CHRISTINA BECK<br />
3/2003 M AXP LANCKF ORSCHUNG 39