Blick von aussen Seit 1998 lebe ich als Exil-St.Galler in der alten japanischen Kaiserstadt Kyoto. Trotz des markanten Grössenunterschieds gibt es interessante Parallelen zu meiner Heimatstadt. Roger Walch Berneggwald; Lieblingsplatz von Caroline Magerl-Studer, CEO Mila d'Opitz Die siebtgrösste Stadt Japans ist über 1,200 Jahre alt und umfasst etwa 1,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Doch genauso wie St.Gallen gehört Kyoto mit eingetra- genen <strong>13</strong> Tempeln, drei Schreinen und einem Schloss zum UNESCO- Weltkulturerbe. Die von grünen Hügeln eingerahmte ehemalige Hauptstadt liegt unweit des grössten Süsswassersees Japans, der eine ähnliche Ausdehnung wie der Bodensee aufweist. Kyoto ist auch als Textilzentrum bedeutend, wo heute noch prächtige Seidenkimonos hergestellt werden. In den <strong>15</strong> Jahren seit meiner Aus- wanderung hat sich in St.Gallen eini- ges getan. Viele Kinos sind aus der Innenstadt verschwunden, im Westen der Stadt sind das Cinedome und das neue Fussball-Stadion mit der Shopping Arena entstanden, die Lokremise wurde eingeweiht und an der Nordseite des Bahnhofs dominiert die neue Fachhochschule das Bild. Es fällt auch auf, dass im Zuge der Urbanisierung vielerorts alte Bausubstanz modernen funktionalen Zweckbauten weichen musste. Als ich vom Flughafen Zürich her kommend von der Autobahn aus das erste Mal den Komplex der AFG Arena in der Abenddämmerung vor mir auftauchen sah, war ich von den monumentalen Dimensionen fast erschlagen. Man fragt sich als Aussenstehender unweigerlich, ob solche gigantische Bauten zu einer Stadt mit bloss 73,500 Einwohnerinnen und Einwohnern passen. Die Stadt- autobahn mit ihren spektakulären Tunnels bestätigt diesen Eindruck. Der zunehmenden Metropolisierung sind auch heimelige Quartiernamen zum Opfer gefallen. So spricht man heute von St.Gallen West oder von Bahnhof Nord. <strong>Standortmagazin</strong> der Stadt St.Gallen Frühling. 20<strong>13</strong>. S.2–3 In der Tat bietet die Kantonshauptstadt für ihre Grösse erstaunlich viel. Die historische Altstadt mit dem Stiftsbezirk hat Weltrang, man be- herbergt eine der führenden Wirtschafts- universitäten Europas, St.Gallen ist Bildungsstadt, Kulturstadt, Kongressstadt, Messestadt und Standort des Bundesverwaltungsgerichts. Dank Man fragt sich als Aussenstehender unweigerlich, ob solche gigantische Bauten zu einer Stadt mit bloss 73,500 Einwohnerinnen und Einwohnern passen. eines grossen Einzugsgebietes, das vom Rheintal über den Bodensee bis zum Fürstenland und dem Toggenburg reicht, hat St.Gallen eine extreme Zen- trumsfunktion zu erfüllen. Die Stadt muss Aufgaben stemmen, die für die eigenen Bürgerinnen und Bürger manchmal schwer nachvollziehbar sind, für die es aber eine funktionierende und angemessene Infrastruktur braucht. Kyoto wurde im zweiten Weltkrieg als einzige der großen japanischen Städte von den Bomben der Alliierten verschont. Laut der Legende soll der verantwortliche amerikanische Luftwaffengeneral die Schönheit der alten Kaiserstadt so geschätzt haben, dass er sie vor den Bomben bewahren wollte. Böse Zungen behaupten, die Japaner hätten die Stadt dann in den drei folgenden Jahrzehnten durch blinde Bauwut, mangelnde Voraussicht und ungenügenden Heimatschutz selber zerstört. Tatsächlich herrscht in Kyoto vielerorts urbanes Chaos. Viele Chancen wurden in der Vergangenheit vertan. Die erhaltenen historischen Viertel haben sich zwar in fein herausgeputzte Touristenmagnete verwandelt, doch sobald die letzten Busse abgefahren sind, werden die Rollläden heruntergelassen und die Souvenirläden geschlossen. Das Problem der sich leerenden Innenstädte grassiert in Japan seit langem. Die Leute kaufen fast nur noch in den grossen Shoppingzentren an der Peripherie ein, die man bequem per Auto erreicht und wo es alles unter einem Dach gibt. Als trauriges Resultat davon verwaisen die traditionellen Geschäftsstrassen und Arkaden in den historischen Stadtkernen. Dieses Schicksal muss St.Gallen unter allen Umständen erspart bleiben. Aber umgekehrt muss auch darauf geachtet werden, dass die städtische Peripherie nicht nur aus architektonisch unattraktiven Shoppingmalls besteht. Die Arealentwicklung «St.Gallen West | Gossau Ost» ist ein gutes Beispiel dafür, dass dies künftig verhindert werden soll. Konsum ist nicht alles. Aus meiner Sicht sind die Schaffung von Begegnungszonen und begrünten Erholungsgebieten sehr wichtig. Mit der kürzlich realisierten Bahnhofvorfahrt Nord ist der Bahnhofplatz endlich für den Autoverkehr gesperrt. Es ist sehr erfreulich, dass der Kornhausplatz und das Bahnhofpärkli mit Wasserfläche,