HoRNÍ MARŠoV 4 5 Horní Maršov / Marschendorf ist mit seinen Siedlungen Dolní und Horní Albeřice, Dolní und Horní Lysečiny, Suchý Důl und Temný Důl ein bekanntes Wochenendhäuslergebiet. Die Wochenendhäuser stehen zwar auch direkt im Ort, vor allem aber in den beiden Tälern Lysečiny / Kolbendorf und Albeřice / Albendorf. Von insgesamt 525 Häusern dienen mindestens 210 der privaten Erholung. Horní Albeřice / Ober-Albendorf wurde offensichtlich schon im 13. Jhd. aus Schlesien besiedelt. Vor dem zweiten Weltkrieg lebten hier 270 Einwohner. Heute nur vier. Und dabei stieg die Einwohneranzahl gegenüber vor fünf Jahren sprunghaft um ganze 400% an, als hier neben Zdeněk Kašpar weitere drei Menschen ihren festen Wohnsitz nahmen. Dennoch blieben in Horní Albeřice nahezu alle Berghütten und Landwirtschaftsgebäude erhalten. Die meisten von ihnen gehören zum Besten, was von der Riesengebirgsarchitektur übriggeblieben ist. Von den 58 Häusern sind ganze 50 in den pfleglichen Händen von Wochenendhäuslern. Halbe Bürger Die Beziehung der ständig hier lebenden Einwohner zu den Wochenendhäuslern ist absonderlich. Im Gasthof hört man ihnen gerne zu, aber wenn sie zufällig bei Versammlungen der Ortsvertretung auftauchen, werden sie beflissentlich übersehen. Die Wochenendhäusler kümmern sich um ihr Stück Riesengebirge jedoch länger und oft auch besser, als so mancher Bürger mit ständigem Wohnsitz. In den 90er Jahren nahmen die Vertreter des Siedleraus- schusses, zu dem sich die Wochenendhausbesitzer von Albeřice, Lysečiny und Temný Důl zusammengeschlossen haben, regelmäßig an öffentlichen Sitzungen der Gemeindevertretung von Horní Maršov teil. Dabei brachten sie zahlreiche Forderung zur Verbesserung der Siedlungen vor, aber nur sehr selten wurden diese in Betracht gezogen. Die Vertretung hörte sie sich an, um ihnen in Ausnahmefällen laut, meistens jedoch stillschweigend zu verstehen zu geben, dass sie kein Wahlrecht in der Gemeinde haben und dass ihre Meinungen und Wünsche daher nicht groß in die Waage fallen. Als wären sie so etwas wie Halbbürger. In Wirklichkeit sind die Wochenendhäusler jedoch ‚Anderthalbbürger‘, denn zu Hause verfügen sie natürlich über das ganze Statut eines Bürgers und hier im Riesengebirge als Bonus noch über ein halbes dazu. Nur dass sie schwer darum kämpfen müssen, es durchzusetzen. Eines ist klar – ihr Ansehen verdoppelt sich an dem Tag, an dem die Hütte zum ständigen Wohnsitz avanciert. ort der Poeten Auch in Horní Albeřice gedachte die Örtliche Verwaltungskommission im Sommer 1945 die Häuser Neuansiedlern zuzuteilen. Die ursprünglichen Einwohner hatten sich im Sommer und Herbst 1946 zu ihren Aussiedlungstransporten versammeln müssen – aber die Häuser blieben leer. Nur Rudolf Franc aus Kolín mit Familie suchten sich den Gasthof am Anfang des Zollweges als neue Behausung aus und blieben für lange Zeit die einzigen Einwohner mit ständigem Wohnsitz. Ab 1947 lebte hier die Familie von Gustav Šafránek, auch wenn zuerst noch ohne Heimatrecht, wie früher das Statut des ständigen Wohnsitzes genannt wurde. Ihr Sohn Vilík war wohl der einzige Schüler der Schule in Maršov, der mit Pferd zur Schule kam. Und er war heilfroh, wenn er auf Wunsch der Sprachkorrektorin dieser Zeitschrift vom Unterricht befreit wurde, um den Schulgarten zu pflügen. Die Abgeschiedenheit von Horní Albeřice und Horní Lysečiny riet so manchen Wochenendhäusler von einer ‚Besitznahme‘ der leer stehenden Häuser ab, von neuen Land- bzw. Hauswirten ganz zu schweigen. Deshalb rief der Fonds für Nationaleigentum, der u.a. auch die Häuser der vertriebenen Alteingesessenen ver- waltete, im Jahre 1945 das Syndikat tschechoslowakischer Schriftsteller auf, einen der dazu ausersehenen ausgesiedelten Orte als „Schriftstellerdorf“ auszuwählen. Drei Mitglieder des Syndikats unter der Leitung des Schriftstellers A. C. Nor besuchten mehrere Orte im Grenzgebiet und entschieden sich letztendlich für Horní Albeřice. Von 45 ernsthaften Interessenten nahmen hier mindestens 32 Schriftsteller und beruflich nahestehende Leute eine Hütte oder häufiger einen Hof ‚in Besitz‘. Das Syndikat tschechoslowakischer Schriftsteller überlebte allerdings den kommunistischen Putsch von 1948 nicht und manche Autoren gaben von da an nie mehr irgendein Buch heraus. A. C. Nor kaufte seine beiden letzten Bücher von Arbeitern der Marschendorfer Papierfabrik, sie waren zwar bereits gedruckt, durften aber nicht veröffentlicht werden und wurden eingestampft. So mancher in Albeřicích war auch dem Druck der Machthaber zur Rück- gabe des zugeteilten Hauses ausgesetzt, aber die meisten hielten stand. Der Grund für den Weggang der ersten Wochenendhäusler waren eher die Abgeschiedenheit des Ortes und die Schwierigkeiten bei der Instandhaltung der Häuser. Die Reise zum Wochenendhaus in Horní Albeřice oder im noch abgelegeneren Horní Lysečiny war namentlich im Winter ein echtes Abenteuer. Samstagnachmittag stiegen die Wochenendhäusler mit ihren prallen Rucksäcken in Svoboda nad Úpou aus dem Zug aus, wo sie in den ewig überfüllten Bus nach Horní Maršov umsteigen mussten. Sofern mit Vilda Šafránek nicht der Abtransport mit dem Fuhrwerk abgemacht war, ging es zu Fuß weiter, je nach Lage der Hütte auch acht Kilometer. Sonntags musste man kurz nach dem Mittagessen wieder zum Rückweg aufbrechen. Deshalb kamen sie vor allem zu Weihnachten und Ostern oder in den Sommerferien her, die dann meistens für Instandhaltungsarbeiten drauf gingen. Kein Wunder, dass manche der 32 Schriftsteller schon bald aufgaben. Von den ursprünglichen literarischen Ansiedlern in Horní Albeřice blieben so Jaroslav Andrejs aus dem Haus Nr. 52 – der Autor des ersten Buches über das Attentat auf Heydrich, Adolf Branald aus dem Haus Nr. 19, der bekannte Autor des Kinderbuches ‚Großväterchen Automobil‘, der Schriftsteller Zbyněk Havlíček aus dem Haus Nr. 29, Jiří Marek aus Haus Nr. 49, der durch die Detektivserie ‚Alte Kriminalfälle‘ bekannt wurde, der schon erwähnte A. C. Nor aus Haus Nr. 16 und auch der Naturmaler Ladislav Urban aus der Hütte Nr. 61 übrig. Wohl der letzte, der von der Bushaltestelle in Maršova immer noch zu Fuß nach Horní Albeřice geht, ist der ehrenwerte Freund des Lustigen Ausflugs und hervorragende Zoologe Pavel Pecina. Von Kindesbeinen an fährt er aus Prag in die Hütte Nr. 1, sein Vater Adolf Pecina beschaffte hier um 1950 ein heute schon einzigartiges Ensemble von Landschaftsfotografien, von denen wir eine dieser Erzählung beilegen. Nicht nur all die Genannten bewahrten in Horní Albeřice nicht nur für ihre Kinder, sondern auch für die Besucher ein Stück Kulturlandschaft mit schmucken Häusern, die sie in nahezu gleichem Zustand konserviert haben, in dem sie diese damals übernahmen. Dies wäre beim normalen Gang der Dinge, also ohne die Folgen des 2. Weltkrieges kaum der Fall gewesen. Auch dank ihres Zusammenschlusses im erwähnten Siedlerausschuss kennen sich die Wochenendhäusler in Albeřice und Lysečiny besser, als anderswo im Riesengebirge. Bei der traditionellen öffentlichen Versammlung der Siedler zu Ferienbeginn schlagen die Wellen hoch, denn die Wochenendhäusler nehmen vor den dazugeladenen Vertretern der Gemeinde und der Leitung des Nationalparks kein Blatt vor den Mund. Viel gemütlicher geht es da bei den Diavorträgen von Radko Tásler über die geologische Erkundung des Riesengebirges und sonstige Höhlenforscherexpeditionen jeweils im August zu. Gut bekannt im Tal ist namentlich der Wochenendhäusler Ivan Marek, der Sohn des erwähnten Autors der ‚Alten Kriminalfälle‘, da er unlängst eine gemütliche kleine Kneipe im ehemaligen Spritzenhaus öffnete. Möge es seinen Nachfolgern gelingen, an diese nette Tradition anzuknüpfen. Die Wochenendhäuslerin Tamara Nováková aus dem Haus Nr. 64 schloss im August 2009 ihre Diplomarbeit ab, in der sie sich den gravierenden Veränderungen in Albeřice und Dolní Lysečiny in der Zeit um 1945 herum widmet. 65 Jahre nach Kriegsende sammelte sie in Archiven und von Zeitzeugen viele Informationen zusammen, die die umwälzenden Ereignisse jener Zeit in diesem abgeschiedenen Tal des Ostriesengebirges aufzeigen. Nahezu pedantisch verzeichnete sie die Schicksale der Bewohner jedes einzelnen Hauses, z.B. wer an der Front fiel, die Nummer und die Richtung des Transports, mit dem die jeweilige Familie abgeschoben wurde, die eventuelle Mitgliedschaft in faschistischen Parteien, wer Inhaber einer Antifaschistenausweises war, wer bleiben durfte, weil er als Waldarbeiter oder Fachmann in Papier- oder Textilfabriken gebraucht wurde, in welche Häuser Schriftsteller als Ansiedler einzogen, welche Häuser verschwunden sind und viele weitere Einzelheiten. Daher wissen wir, dass in Horní Albeřice von sechzig Landwirten elf Mitglieder der Nazi-Partei waren und dass es hier nur eine einzige Antifaschistin gab. Tamara bestätigte durch ihre Arbeit auch, dass damals kein Wille bestand, die Alteingesessenen in schuldig und unschuldig zu unterteilen und dass man ebenso wenig willens war, nur die erstgenannten zu vertreiben, auch wenn die zur Entscheidung notwendigen Dokumente vorhanden waren. Nun sind wir sehr gespannt, ob die Hinterbliebenen des verstorbenen Lehrers und Wochenendhäuslers Jaroslav Rožec aus Haus Nr. 18 die Chronik von Albeřice und Lysečiny zur Verfügung stellen, die dieser vor mehr als 50 Jahren zu schreiben begann. In Albeřice verrichten die Wochenendhäusler nämlich viele Tätigkeiten, die anderswo Sache der Einwohner sind. www.hornimarsov.cz GEMäLDE VoN JIřÍ ŠKoPEK Ein Werk des akademischen Malers Jiří Škopek kennt wohl jeder Besucher des Riesengebirges. Im Sommer wird es genauso häufig fotografiert, wie die Mona Lisa in Versailles. Das nach der Schneekoppe bekannteste Wanderziel der Region, die Elbquelle, ziert seit 1968 eine Plastik mit der symbolischen Darstellung des Elbstroms und den Wappen der bedeutendsten Städte, durch welche die Elbe fließt. Jiří Škopek ist auch Autor des modernen Stadtwappens von Špindlerův Mlýn – der ersten Stadt an der noch jungen Elbe. Die Gemäldeausstellung in der Galerie ‚Veselý <strong>výlet</strong>‘ in Pec pod Sněžkou zeigt einen Querschnitt durch das freie Schaffen des Autors im letzten Vierteljahrhundert. Die großen Gemälde sind Landschaftsbilder. Nur schade, dass man dabei nicht den spannenden Erzählungen des Autors zu jedem Thema lauschen kann. Zum Beispiel über die Viktorka aus dem Roman von Božena Němcová, über die Wanderung aus Semily und den sich plötzlich öffnenden Blick auf den Krakonosch, über die Begegnung mit einem Hecht in einem Altwasser der Elbe, über Voskovec und Werich zum Bild, dass er ‚Po proudu po větru‘ (Stromabwärts mit dem Wind) nennt. In den ‚Tauben‘ symbolisierte er die Heimkehr derjenigen, die nicht wirklich aus dem Exil heimkehren konnten, überall sieht er Frauen – im wogenden Getreide genauso wie in einem leuchtenden Hagebuttenstrauch. In den Bildern des reifen Künstlers sind noch viele weitere Geschichten versteckt – sie sind herzlich eingeladen, sie zu entdecken. Die Gemäldeausstellung von Jiří Škopek ‚Obrazy – Bilder‘ ist täglich von 8.30 bis 18 Uhr in der Galerie des ‚Veselý <strong>výlet</strong>‘ in Pec pod Sněžkou geöffnet – noch bis Ostern. ScHILDER UND ScHILDcHEN Für die Sommersaison bereitet der Veselý <strong>výlet</strong> in der Galerie in Temný Důl eine Ausstellung über verschiedene Arten von historischen Schildern vor, die mit dem Riesengebirge zu tun haben. Jahrelang suchen und sammeln wir Aushängeschilder von Gasthöfen und ähnlichen Einrichtungen, touristische und kommerzielle Wegweiser, Werbe-, Informations- und Warnschilder, Aushängeschilder mit örtlichen oder staatliche Verordnungen, Schilder zur Kennzeichnung von Ämtern, Schulen und Institutionen, verschiedenste Formen von Hausnummern, Gedenktafeln von verschwundenen Denkmalen oder technischen Denkmalen. Geschrieben oder handgemalt, auf gewöhnlichem Blech, auf Holzplatten, Glas oder auch gusseiserne, Porzellan- oder Emailleschilder. Mit so manchem Schild sind interessante Geschichten verbunden. Jeden Hinweis auf weitere Schilder oder Möglichkeiten zum Ausleihen derselben für die Dauer der Ausstellung von Mai bis November dieses Jahres nehmen wir dankbar entgegen. Die Schlüssel von der Aichelburg Gleich beim ersten Besuch der Hütte Nr. 4 in Přední výsluní, einer Ortslage von Velká Úpa, fiel mir das in der Diele hängende Schild mit der schwarzen Aufschrift ins Auge: „Die Schlüssel sind im herrschaftlichen Gasthaus zu haben.“ Ich erkannte sofort, um welche Schlüssel es ging – die Waldburg Aichelburg steht ja gleich gegenüber am Hang des Forstberges. Nach der Wiederöffnung der Gedenkstätte des fortschrittlichen Adligen Berthold Aichelburg im September 1863 konnten sich interessierte Besucher wieder im Tal die Schlüssel zur Burg ausleihen, die Burgkammer öffnen, sich vor der Büste Bertholds verneigen, einen Blick aus Jiří Škopek malt und erzählt – beides auf faszinierende Weise. dem Turmfester werfen... und anschließend den Schlüssel wieder zurückgeben. Die aus schriftlichen Hinweisen bekannte Praxis war durch das gefundene Schild hinreichend belegt. Die Wochenendhäuslerin Anna Hradílková erinnerte sich, dass ihr Vater das Schild eines Tage nach Hause brachte und es dadurch wohl auch rettete. Sie wussten nur nicht, was die Aufschrift besagt. Wir sind echt froh, dass sie das Schild nun der Burggesellschaft Aichelburg gewidmet hat. Nach der erwähnten Ausstellung in Temný Důl bringen wir es als historisches Andenken in der Burgkammer an, von der man sich nun schon 11 Jahre lang in den Informationszentren des Veselý <strong>výlet</strong> in Pec und Temný Důl die Schlüssel ausleihen kann – wie zu Zeiten der Aichelburger. Den Graben zur Burgkammer überspannt nun eine ganz neue Eisenbrücke. Warum – das ist wohlbekannt.