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Rede - Erster Bürgermeister Dr. Stephan Wanner - Tutzing

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! Es gilt das gesprochene Wort!<br />

<strong>Rede</strong> des Ersten <strong>Bürgermeister</strong> der Gemeinde <strong>Tutzing</strong> <strong>Dr</strong>. <strong>Stephan</strong><br />

<strong>Wanner</strong> aus Anlass der Einweihung des Gedenksteins am 23.<br />

September 2011.<br />

“Wir erinnern an 54 ehemalige KZ-Häftlinge, die in <strong>Tutzing</strong> verstorben<br />

sind.“<br />

Die Inschrift auf dem Gedenkstein lautet: „Tu Deinen Mund auf für die<br />

Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind“.<br />

Dieser Gedenkstein spricht weiter: „Ein Zeichen für die Unantastbarkeit<br />

der Menschenwürde. Wir gedenken der 54 Menschen mit und ohne<br />

Namen, die in dem in <strong>Tutzing</strong> gestrandeten Zug aus dem KZ Dachau,<br />

Außenstelle Mühldorf, im April / Mai 1945 gestorben sind.“<br />

Sehr geehrter Herr <strong>Dr</strong>. Mannheimer,<br />

lieber Herr Leslie Schwartz,<br />

sehr geehrter Herr Rom,<br />

sehr geehrte Vertreter der Geistlichkeit,<br />

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,<br />

liebe amtierende und ehemalige <strong>Bürgermeister</strong>kollegen,<br />

liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Gemeinderat,<br />

liebe Ehrenbürger und Träger der Bürgermedaille,<br />

sehr geehrte Herren Direktoren der hiesigen Akademien, Herr Professor<br />

Oberreuter und Herr Oberkirchenrat Hahn,<br />

sehr geehrte Damen und Herren der Schulleitungen,<br />

Frau Realschuldirektorin Fedchenheuer, Frau Rektorin Pompe, Herr<br />

Oberstudiendirektor Franz,<br />

lieber Herr Kowarna,<br />

sehr geehrte Gäste dieser Einweihungsfeier,<br />

ich bedanke mich für Ihr zahlreiches Erscheinen und Ihre Teilnahme an<br />

der heutigen Einweihungsfeier.<br />

An die schrecklichen Ereignisse insgesamt und das traurige Schicksal<br />

der Nazi-Opfer dieses Elendszugs aus den letzten Kriegstagen erinnert<br />

ein ausdruckstarkes Mahnmal vor unserem Rathaus.<br />

Mit diesem neuen Gedenkstein erinnert die Gemeinde <strong>Tutzing</strong> an die<br />

direkten, individuellen Opfer. Sie verdienen es, nicht nur als Teil einer<br />

unvorstellbar großen Opfergemeinschaft des Naziterrors<br />

1


wahrgenommen zu werden. Sie verdienen es alle, als Menschen mit und<br />

ohne Namen in unser Bewusstsein zu treten.<br />

Dieses Recht leitet sich aus dem Menschenwürdesatz unseres<br />

Grundgesetzes ab. Die Unverbrüchlichkeit dieser Garantie wirkt über<br />

den Tod hinaus und erstreckt sich auch auf die Namen unserer<br />

Mitmenschen.<br />

Für <strong>Tutzing</strong> ist dieser Erinnerungsstein ein sehr bedeutender Beitrag für<br />

die so wichtige, lebendige und sichtbare Erinnerungskultur.<br />

<strong>Tutzing</strong> folgt mit diesem individuellen Mahnmal anderen Gemeinden wie<br />

zum Beispiel Poing oder oder der Stadt Weilheim, die bereits solche<br />

Gedenksteine als sichtbares Zeichen des Erinnerns gesetzt haben.<br />

Für alle Menschen, besonders für die Jugend, ist es unverzichtbar, aus<br />

der Geschichte zu lernen. Schreckliche Ereignisse aus unserer<br />

Vergangenheit führen so zu der Überzeugung: „Nie wieder!“<br />

Der Tod der 54 Menschen in <strong>Tutzing</strong> bedeutet für uns alle ein Legat,<br />

alles zu tun, damit sich solche menschenverachtende Exzesse niemals<br />

wiederholen. Mit diesem Gedenkstein verfolgt die Gemeinde <strong>Tutzing</strong> das<br />

Ziel, ihren Beitrag zu dieser Erinnerungskultur zu leisten.<br />

Was ist damals geschehen?<br />

Die ehemaligen Häftlinge kamen aus dem KZ-Mühldorf, einem<br />

Außenlager des KZs Dachau. Dies geschah auf Veranlassung der Nazis,<br />

die dieses Lager räumen ließen. So setzte sich am 25. April 1945 ein<br />

Güterzug mit 3500 bis 4000 Häftlingen in Bewegung. Die SS wollte die<br />

Spuren ihrer Schreckensherrschaft vernichten und alle Zeugen<br />

beseitigen. Daneben soll es Hitler darauf angekommen sein, die<br />

arbeitsfähigen Häftlinge zur Errichtung der sogenannten „Alpenfestung“<br />

nach Tirol zu verbringen. Ein absurdes Unterfangen!<br />

Der Zug wurde unterwegs geteilt und in Beuerberg irrtümlich von<br />

amerikanischen Tieffliegern beschossen. Sie glaubten, einen<br />

Waffentransport anzugreifen und wussten nichts von den Häftlingen.<br />

Auf engstem Raum waren vor allem osteuropäische Juden<br />

zusammengepfercht. Ihre körperliche Verfassung war unvorstellbar. Sie<br />

waren unterernährt, verlaust und viele litten unter Flecktyphus. Zudem<br />

befanden sich nach langem Hunger und Beschuss viele schwer<br />

verwundete und tote Menschen in den Wagons. Am 29. April 1945<br />

2


gegen Abend erreichte ein Teilzug <strong>Tutzing</strong>. Die Wachmannschaften<br />

flüchteten mit der Lokomotive und ließen den Zug mit circa 1500<br />

Menschen etwa einen Kilometer südlich von <strong>Tutzing</strong> stehen. Den<br />

Menschen wurde von der <strong>Tutzing</strong>er Bevölkerung in spontaner<br />

Hilfsbereitschaft so gut wie möglich geholfen.<br />

Zum Glück haben viele diese unmenschliche Behandlung überlebt. So<br />

sind unsere heutigen Ehrengäste, die Herren <strong>Dr</strong>. Max Mannheimer und<br />

Leslie Schwartz, in <strong>Tutzing</strong> befreit worden. Sie sind uns allen besonders<br />

herzlich willkommen.<br />

Dies bringt uns zum heutigen, gedenkwürdigen Anlass: Leider sind<br />

damals 54 ehemalige KZ-Opfer in Folge Entkräftung gestorben. Sie sind<br />

hier auf dem Neuen Friedhof beerdigt worden. Nur von 17 konnten<br />

damals die Namen festgestellt werden. Der internationale Suchdienst hat<br />

geholfen und so ist es gelungen, die Identität von weiteren 7 Personen<br />

zu klären. Es handelt sich dabei um deutsche und ungarische<br />

Staatsbürger jüdischen Glaubens. Die Gemeinde <strong>Tutzing</strong> hatte zunächst<br />

Anfang der 50-ger Jahre einen Gedenkstein aufstellen lassen. Alle Toten<br />

sind später im Jahre 1958 exhumiert und in einer Grabanlage in Dachau<br />

zur Ruhe gelegt worden.<br />

Dort wies jedoch nichts auf ihre Identität hin. Der für die KZ-Opfer in<br />

<strong>Tutzing</strong> ursprünglich vorgesehene Gedenkstein ist schließlich den<br />

Sudetendeutschen überlassen worden, so dass bis heute nichts an die<br />

bei uns beerdigten KZ-Opfer erinnert.<br />

Als Beitrag für die Versöhnung und Aussöhnung hat der Gemeinderat<br />

<strong>Tutzing</strong> den Beschluss gefasst, in der Nähe des alten Gedenksteins der<br />

Sudetendeutschen einen neuen Gedenkstein für diese hier zunächst<br />

beerdigten KZ-Opfer zu errichten. So sind die 24 Namen derjenigen<br />

Opfer auf dem Gedenkstein zu lesen, deren Identität geklärt werden<br />

konnte. An die Mehrheit, nämlich 28 Personen, erinnern wir uns nun in<br />

anonymisierter Form, weil ihre Identität nicht mehr aufgeklärt werden<br />

konnte. Dieses Denkmal ermahnt uns, immer und fortwährend die<br />

Unantastbarkeit der Menschenwürde aller Menschen zu achten.<br />

Die Gemeinde <strong>Tutzing</strong> hat dieses Projekt mit dem Zentralrat der Juden in<br />

Deutschland, mit der Katholischen wie auch der Evangelischen Kirche<br />

<strong>Tutzing</strong>s und der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Ortsgruppe<br />

<strong>Tutzing</strong>, abgestimmt.<br />

Ich bedanke mich bei allen Verantwortlichen für ihr großes Verständnis<br />

und ihre Mitwirkung.<br />

3


Mein besonderer Dank gilt den Mitgliedern der Kommission, die für die<br />

Auswahl des Textes und die Gestaltung des Gedenksteins verantwortlich<br />

waren, nämlich: Herr Gernot Abendt, Frau Pfarrerin Ulrike Aldebert, Herr<br />

Pfarrer Peter Brummer, Herr Stefan Feldhütter, Frau Gabriele Förster,<br />

Herr <strong>Dr</strong>. Ernst Lindl und Frau Michaela Pischetsrieder.<br />

Mein weiterer Dank gilt den großzügigen Spendern, ohne die dieses so<br />

wichtige Projekt nicht hätte realisiert werden können.<br />

Ein herzliches Dankeschön auch an den Steinmetz, Herrn Robert<br />

Schubert, der das Mahnmal nach den Vorgaben der Kommission<br />

entworfen hat. Der Kreis vereint die zerrissenen Teile und versinnbildlicht<br />

so als Auftrag an uns alle, für das wichtige Miteinander aller Menschen<br />

unbeirrt und unablässig einzutreten.<br />

Für die musikalische Umrahmung bedanke ich mich bei unserem<br />

<strong>Tutzing</strong>er Liederkranz.<br />

Dieser Gedenkstein ist das Ergebnis eines gründlichen<br />

Abwägungsprozesses, denn es ist eine historische Wahrheit, dass am<br />

anderen Ende dieses Neuen Friedhofs die Eheleute Ludendorff<br />

begraben sind.<br />

Die Beerdigung Erich Ludendorffs erfolgte aber bereits im Jahre 1937,<br />

also 18 Jahre, bevor die 54 KZ-Opfer hier im Jahr 1945 erstmals<br />

beerdigt worden sind. Mit ihrer Exhumierung im Jahr 1958 sind sie bis in<br />

das Jahr 2011 zu unrecht aus unserer öffentlichen Wahrnehmung<br />

verschwunden. Mit unserem heutigen Gedenkstein wird diese<br />

Auslassung korrigiert und der historischen Wahrheit Rechnung getragen.<br />

Mit dieser Initiative will die Gemeinde <strong>Tutzing</strong> zugunsten der<br />

Verstorbenen einen postumen Beitrag für Integration und Versöhnung<br />

leisten. Dieser Beitrag gilt ebenso dem zukünftigen Zusammenführen<br />

aller Menschen und damit der unerlässlichen Verhinderung jedweder<br />

Ausgrenzungen unserer Mitmenschen aus politischen, rassischen,<br />

sozialen und weltanschaulichen Gründen. Das Signal, das von diesem<br />

Gedenkstein in <strong>Tutzing</strong> ausgeht, will sagen: Die Gemeinde <strong>Tutzing</strong> setzt<br />

ein deutliches Zeichen für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Toleranz<br />

und erklärt eine klare, eindeutige und unmissverständliche Absage an<br />

jede Form von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.<br />

4


Es ist mir eine besondere Ehre, Sie heute aus diesem Anlass von Frau<br />

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Herrn<br />

Altoberbürgermeister <strong>Dr</strong>. Hans-Jochen Vogel zu grüßen.<br />

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitte nunmehr Herrn<br />

Leslie Schwartz, seine Erinnerungsrede zu halten.<br />

5

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