Alfriedt und Gisela Pohl - Verband Deutscher Sinti und Roma ...
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<strong>Alfriedt</strong> <strong>und</strong> <strong>Gisela</strong> <strong>Pohl</strong> – Ein beispielhaftes Schicksal<br />
Die Biographie des Ehepaares <strong>Alfriedt</strong> <strong>und</strong> <strong>Gisela</strong> <strong>Pohl</strong> <strong>und</strong> ihr jahrelanger Kampf um<br />
Gerechtigkeit steht beispielhaft für viele Biographien von <strong>Sinti</strong> in Rheinland-Pfalz. Zum<br />
ersten Mal hatte <strong>Alfriedt</strong> <strong>Pohl</strong> 1949 beim Sonderhilfsausschuss Nienburg einen Antrag<br />
auf Entschädigung gestellt. Erst am 17. Mai 2002 wurde ihm eine monatliche laufende<br />
Beihilfe zuerkannt. Dazwischen liegen 53 Jahre, in denen seine Leiden, seine Krankheiten<br />
aufgr<strong>und</strong> der Verfolgung auf diskriminierende Weise von staatlichen Stellen<br />
geleugnet wurden.<br />
<strong>Alfriedt</strong> <strong>Pohl</strong> wurde 1922 in Karstett/Mecklenburg<br />
geboren. Er wuchs in Berlin auf <strong>und</strong><br />
später in Pommern, wo sich seine Mutter<br />
wieder verheiratet hatte. Nach der Schule<br />
hatte er einen Arbeitsplatz in einem Sägewerk,<br />
bis er zum Arbeitsdienst einberufen<br />
wurde. 1940 kam er als Wehrpfl ichtiger zum<br />
3. Jägerregiment 56. 1942 wurde er in Russland<br />
bei Starja-Rossay verw<strong>und</strong>et.<br />
Nach einem Lazarettaufenthalt in Neunkirchen/Saarland<br />
wurde er aus rassischen<br />
Gründen aus der Wehrmacht ausgeschlossen.<br />
Danach lebte er wieder bei seiner<br />
Mutter. Obwohl er sich während der Wehrmachtszeit<br />
nicht als Sinto zu erkennen gab,<br />
gelang es den Nationalsozialisten ihn <strong>und</strong><br />
seine Familie lückenlos zu erfassen <strong>und</strong> in<br />
die Lager zu bringen. Schon 1938 hatte<br />
<strong>Alfriedt</strong> <strong>Pohl</strong> seine spätere Frau <strong>Gisela</strong><br />
kennen gelernt, die mit ihrer Familie in<br />
<strong>Alfriedt</strong> <strong>Pohl</strong>, 1940<br />
Hamm lebte. Zwangsweise war die Familie<br />
seiner Frau im selben Jahr in ein Barackenlager eingewiesen worden, über das Kriminalinspektor<br />
Hugo Beneze die Aufsicht führte. Beneze war ein übler Mensch, der sich als<br />
Herrenmensch aufspielte <strong>und</strong> Frauen <strong>und</strong> Kinder verprügelte. Schikanen waren an der<br />
Tagesordnung. Kurz vor seiner Einberufung heirateten <strong>Alfriedt</strong> <strong>und</strong> <strong>Gisela</strong> <strong>Pohl</strong>. Das war<br />
sehr problematisch, da <strong>Gisela</strong> <strong>Pohl</strong> in Hamm „festgeschrieben“ war, das heißt sich nur<br />
mit einer Sondergenehmigung aus dem Lager entfernen durfte. <strong>Alfriedt</strong> <strong>Pohl</strong> konnte sie<br />
deshalb nur heimlich besuchen. <strong>Gisela</strong> <strong>Pohl</strong> arbeitete seit 1941 bis zum Tag ihrer<br />
Ver haftung bei der Firma Tengelmann. Im März 1943 wurde sie von der Gestapo nachts
abgeholt <strong>und</strong> weggebracht. Mit H<strong>und</strong>erten von Menschen pferchte man sie in Viehwaggons<br />
zusammen <strong>und</strong> deportierte sie mit ihren Verwandten, ihren Eltern <strong>und</strong> den<br />
fünf Geschwistern nach Auschwitz. Die Eltern von <strong>Gisela</strong> <strong>Pohl</strong> <strong>und</strong> vier ihrer Geschwister<br />
wurden getötet.<br />
Während <strong>Alfriedt</strong> <strong>Pohl</strong> noch in Russland beim Militär war, waren schon seine Großmutter<br />
mütterlicherseits mit ihren Kindern <strong>und</strong> deren Familien nach Auschwitz gebracht<br />
worden. Ein Onkel wurde im Lager Neuengamme umgebracht. Alle Brüder von <strong>Alfriedt</strong><br />
<strong>Pohl</strong>s Großmutter wurden in den Lagern im Osten ermordet. Alle Verwandten aus Berlin<br />
waren deportiert worden. Er selbst ahnte nichts davon, als er aus dem Lazarett zu<br />
seiner Mutter zurückkehrte.<br />
1942 wurde <strong>Alfriedt</strong> <strong>Pohl</strong> dann von Angehörigen der Gestapo <strong>und</strong> der SS abgeholt <strong>und</strong><br />
zur Organisation Todt gebracht. Diese Organisation, eine militärisch organisierte Bautruppe,<br />
war im Zweiten Weltkrieg dem Reichsminister für Rüstung <strong>und</strong> Kriegsproduktion<br />
unterstellt worden. Im Laufe des Krieges wurden Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene,<br />
zunehmend auch KZ-Häftlinge <strong>und</strong> Häftlinge aus Arbeitserziehungs- <strong>und</strong> Polizeilagern<br />
<strong>und</strong> andere Gefangene des NS-Regimes der Organisation Todt zum verschärften<br />
Arbeitseinsatz überstellt. Die Behandlung <strong>und</strong> die Lagerbedingungen waren brutal,<br />
denn die Organisation kooperierte eng mit der Gestapo <strong>und</strong> der SS. Deshalb erwies sich<br />
der Arbeitseinsatz bei der Organisation für die Zwangsarbeiter <strong>und</strong> Kriegsgefangenen<br />
als besonders hart <strong>und</strong> unmenschlich.<br />
<strong>Alfriedt</strong> <strong>Pohl</strong> wurde zunächst nach Paris transportiert, von dort aus nach Südfrankreich,<br />
danach in ein Arbeitslager bei Colmar, von dort nach Niedermaßberg, dann nach<br />
Bredelar, wo ihn die Amerikaner befreiten. Unter ständiger Lebensbedrohung <strong>und</strong><br />
mit Schlägen zwang man ihn zur Arbeit. Mithäftlinge wurden von ihren Bewachern<br />
erschlagen, viele starben an Erschöpfung, Hunger <strong>und</strong> Krankheiten. An eine Flucht war<br />
nicht zu denken, denn die Häftlinge wurden ständig bewacht.<br />
Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes kehrte <strong>Alfriedt</strong> <strong>Pohl</strong> nach Deutschland<br />
zurück, wo er nach Monaten der Suche <strong>und</strong> Hinweisen quer durch Deutschland seine<br />
junge, jetzt aber schwer traumatisierte Frau <strong>Gisela</strong> wieder fand. <strong>Gisela</strong> <strong>Pohl</strong> war in<br />
Au schwitz durch die Hölle gegangen. Sie hatte dort unter Tage in einem Bergwerk<br />
<strong>und</strong> in einer Munitionsfabrik Schwerstarbeit leisten müssen. Der Umgang mit giftigen<br />
Chemikalien, mit Asbest, Nickel, Arsen, hatten ihre Ges<strong>und</strong>heit geschädigt. Dazu<br />
kamen noch schwere Verbrennungen am Rücken, die sie während der Inhaftierung<br />
erlitten hatte. Ihre gesamte Familie war umgebracht worden, sie war mit einer<br />
Schwester die einzige Überlebende.<br />
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Bestätigung von Emil Tengelmann vom 17. August 1949.<br />
Dokument liegt dem Landesverband in Kopie vor
Ausweis <strong>Gisela</strong> <strong>Pohl</strong><br />
Die Nationalsozialisten machten die deutsche Bürgerin staatenlos. Dokument liegt dem Landesverband in Kopie vor<br />
Zu Beginn der 1950er Jahre wurden die Anträge von <strong>Gisela</strong> <strong>und</strong> <strong>Alfriedt</strong> <strong>Pohl</strong> auf Haftentschädigung<br />
verhandelt. Fassungslos mussten sie feststellen, dass Kriminalpolizeioberinspektor<br />
Beneze, der menschenverachtende Bewacher des Lagers Hamm, als<br />
Zeuge geladen wurde. Er erklärte, dass er in jenen Jahren „die Kontrolle über die<br />
Zigeuner durchzuführen“ hatte. In seiner Zeugenaussage verharmloste er seine Taten<br />
<strong>und</strong> beschimpfte die Opfer. Die Anträge wurden mit der Begründung abgelehnt, alleiniger<br />
Gr<strong>und</strong> der Verfolgung von <strong>Gisela</strong> <strong>Pohl</strong> <strong>und</strong> die Ermordung all ihrer Verwandten<br />
seien lediglich kriminalpolizeiliche Belange gewesen, die rassische Verfolgung wurde<br />
geleugnet. In Anbetracht des unfassbar skandalösen Verfahrens deutscher Behörden<br />
<strong>und</strong> der Verunglimpfung ihrer ermordeten Verwandten suchte <strong>Alfriedt</strong> <strong>Pohl</strong> mit seinem<br />
Onkel <strong>und</strong> seinen Cousins die Dienststelle von Beneze auf um ihn zur Rede zu stellen. Sie<br />
waren entschlossen, eine solche Behandlung ihrer überlebenden, aber auch ihrer toten<br />
Verwandten nicht mehr zu erdulden. In der Polizeistelle herrschte Aufregung: Die<br />
Beamten versuchten, die aufgebrachten Männer zu beruhigen, <strong>und</strong> versicherten ihnen,<br />
dass Beneze seine gerechte Strafe erhalten würde. Sie versprachen, die Sache klarzustellen.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der Intervention von <strong>Alfriedt</strong> <strong>Pohl</strong> <strong>und</strong> seiner Verwandten fi ndet sich<br />
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in der Akte ein Hinweis darauf, dass auf die Aussage von Beneze wegen seiner<br />
Vergangenheit verzichtet werden muss. Weitere Maßnahmen gegen Beneze sind<br />
nicht bekannt. Nur in einzelnen Ausnahmefällen gelang es den Antragstellern zu<br />
intervenieren <strong>und</strong> ihre Rechte durchzusetzen. Keiner der Täter wurde jemals zur<br />
Rechenschaft gezogen.<br />
<strong>Gisela</strong> <strong>Pohl</strong> wurde aufgr<strong>und</strong> der erlittenen Haft schwer herz- <strong>und</strong> lungenkrank.<br />
Erst in den siebziger Jahren gelang es ihr, Entschädigungsleistungen für das an<br />
ihr begangene Unrecht zu erhalten. Ihr Mann kämpfte noch viele Jahrzehnte lang um<br />
seine Entschädigung. Sein Verfahren nach dem Härtefonds des Landes Rheinland-Pfalz<br />
konnte erst im Jahr 2002 mit Hilfe des Landesverbandes positiv abgeschlossen werden.<br />
Franz Rosenbach, <strong>Alfriedt</strong> <strong>Pohl</strong> <strong>und</strong> Klara Heilig, alle Überlebende, am 1. August 2004 im Stammlager Auschwitz
<strong>Alfriedt</strong> <strong>Pohl</strong> auf dem Weg zur Erschießungsmauer im Stammlager Auschwitz am 1. August 2004<br />
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