Weißenburger Blätter nostranostra villavilla - Stadt Weißenburg
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Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
Eigentlich verbietet schon die unbestrittene Datierung<br />
in das 14. Jahrhundert überhaupt, das <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong><br />
Fresko mit der Kümmernis zu verbinden. Denn selbst<br />
nach Schnürer ist „die Kümmernis“ in Süddeutschland<br />
nicht vor 1400 anzutreffen. Vor allem aber wurde<br />
der Spielmann nicht als eigenständige ikonographische<br />
Figur in die süddeutschen Darstellungen der<br />
Kümmernis übernommen, sondern von Anfang an als<br />
integraler Bestandteil des gesamten Volto-Santo-<br />
Bildes. Der Spielmann bzw. das Wunderzitat ist also<br />
kein Problem der Übernahme, sondern ein Problem<br />
der Volto-Santo-Vorlage, und es muss demgemäß an<br />
den Bildern des Kreuzes geklärt werden. Folgerichtig<br />
ist dann das Hauptargument in der Beweisführung<br />
von Schädler-Saub, dass in Italien der Volto Santo<br />
ohne Vermischung mit Legenden und nicht zusammen<br />
mit Heiligen dargestellt wurde. Das ist richtig, das<br />
Kreuz von Lucca wird als Altarbild in italienischen<br />
Kirchen ohne Schuhwunder wiedergegeben, wie es<br />
die zahlreichen Beispiele im Werk von Lazzarini 1982<br />
bestätigen.<br />
Jedoch finden sich in Italien sehr wohl Wandbilder<br />
des Volto Santo mit Spielmann und Heiligen: so z. B.<br />
in Parma (14. Jahrhundert, Abb. 4), in Verona (frühes<br />
15. Jahrhundert) und in Bologna (nach 1660). Auf<br />
dem Mittelteil eines Retabels (Tafelbild) von Mitte<br />
des 14. Jahrhunderts (Diözesanmuseum von Ortona-<br />
Lanciano/Prov. Chieti) gruppieren sich sogar drei (!)<br />
Spielleute um das Kreuz. In Verona und Colognola ai<br />
Colli (Prov. Verona, frühes 15. Jahrhundert) ist der<br />
Volto Santo mit Maria und dem Kinde kombiniert. In<br />
Assisi steht er ebenfalls neben einer Maria mit Kind<br />
und der hl. Katharina (1381). In Casciana Terme-<br />
Parláscio (Prov. Pisa) steht der Volto Santo zwischen<br />
den beiden Kirchenpatronen Julitta und Quiricus<br />
14<br />
(Wandbild von 1456). 24 Diese Beispiele sowie zahlreiche<br />
Grafiken und Buchillustrationen belegen, dass<br />
auch in Italien Verbindungen von Kreuz und<br />
Spielmann, wie auch mit Heiligen, üblich waren. Sie<br />
lassen nach ihrer Datierung und vor allem nach dem<br />
sachlichen Zusammenhang keinerlei Deutung als<br />
Kümmernis zu. Damit widerlegt bereits das Bildmaterial<br />
die herrschende Ansicht.<br />
Entscheidend ist jedoch, dass die Wiedergabe des<br />
Wunders keine inhaltliche, d. h. theologische Abweichung<br />
gegenüber dem offiziösen Bild des Volto Santo<br />
anzeigt. Daher muss seine Darstellung auf den Wandbildern<br />
eine andere, jedenfalls eine positive Funktion<br />
(gehabt) haben. Nun ist das Schuhmirakel das älteste<br />
und zugleich das bekannteste unter den Wundern, die<br />
mit dem Kreuz von Lucca verbunden waren. Die gemeinsame<br />
Darstellung von Wunder und Kreuz bezeugte<br />
daher gegenüber allen anderen Bildern eines<br />
Kruzifixus in der Tunika eindeutig die Echtheit des<br />
abgebildeten Kreuzes als dasjenige von Lucca. Denn<br />
der Korpus unterscheidet sich nur sehr bedingt von<br />
den anderen Kruzifixen in der Tunika. Das Schuhwunder<br />
wurde somit in die Darstellungen des Volto<br />
Santo zur sicheren Identifizierung eingefügt. Und<br />
zugleich wurde mit dem bekanntesten der Mirakel auf<br />
die wundertätige Qualität des Kreuzes hingewiesen.<br />
Die Abbildung des Spielmanns wie des Wundervorgangs<br />
hat daher die Funktion einer Garantie. Das<br />
24 S/R, S. 190 (Bologna), S. 191 (Verona, heute – 2011 – in der Casa di Giuletta,<br />
Via Cappello), jeweils ohne Abbildung. Abb. Parma bei Lazzarini, S.<br />
117. Das Retabel in Ortona-Lanciano in: Il Volto di Cristo, Kat.-Nr. VI.8,<br />
S. 273/274, mit Abb. S. 268. Parláscio (chiesa parrocchiale dei SS. Quirico<br />
e Giuditta) in: Il Volto Santo, S. 95 mit Abb. 81 (S. 187). Santa Maria della<br />
Pieve in Colognola unter URL Comune di Colognola ai Colli-MyPortal -<br />
Regione Veneto mit Abb. (Aufruf 16.3.2011). Das Fresko in Santa Chiara<br />
in Assisi bei Lazzarini, S. 115.