Weißenburger Blätter nostranostra villavilla - Stadt Weißenburg
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nostra 1/2012<br />
villa<br />
<strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> <strong>Blätter</strong><br />
Geschichte . Heimatkunde . Kultur<br />
Januar 2012
Inhalt:<br />
Arndt Müller:<br />
Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu<br />
<strong>Weißenburg</strong> i. Bay.,<br />
S. 5<br />
Titelbild:<br />
Das <strong>Weißenburg</strong> <strong>Stadt</strong>wappen ziert seit der Barockisierung<br />
der Karmeliterkirche zusammen mit den Wappen<br />
der 1729 amtierenden Stiftungspfleger die Stuckdecke<br />
der Kirche. In der oberen Reihe flankieren links und<br />
rechts die Wappen der beiden Mitglieder des Inneren<br />
Rats, des Apothekers Johann Philipp Hoechstetter<br />
(1678-1739) und des Bürgermeisters Christian Ernst<br />
Roth (1678-1753) das Wappen der Freien Reichsstadt. In<br />
der unteren Reihe folgen jene der beiden aus dem Äußeren<br />
Rat, des Metzgers Johann Christoph Schnitzlein<br />
(1664-1743) und des Kaufmanns Johann Michael<br />
Tröltsch (1682-1742).<br />
Zwischen 1711 und 1729 erfolgte die Umgestaltung der<br />
um 1350 errichteten Kirche. Das ursprüngliche hölzerne<br />
Tonnengewölbe ersetzte man durch eine Spiegeldecke.<br />
Maßgeblichen Anteil an den Stuckarbeiten hatten die<br />
Ellinger Stuckateuere Joseph Anton Bolz und Johann<br />
Georg Auernahmmer sowie der Nürnberger Maler<br />
Michael Gebhard.<br />
Das Foto stammt aus dem Jahr 2003. Eine solche Aufnahme<br />
wäre derzeit gar nicht möglich, weil seit letztem<br />
Jahr ein unter der Stuckdecke gespanntes Netz die<br />
Besucher bis zur anstehenden Sanierung des Dachstuhls<br />
vor möglicherweise herabfallenden Stuckteilchen<br />
schützt.<br />
(Foto: Horst Glanz)<br />
2<br />
villa nostra – <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> <strong>Blätter</strong><br />
Geschichte. Heimatkunde. Kultur<br />
1/2012<br />
Impressum:<br />
Herausgeber: Große Kreisstadt <strong>Weißenburg</strong> i. Bay.,<br />
Neues Rathaus, 91780 <strong>Weißenburg</strong> i. Bay.,<br />
Tel.: 09141/907102, Fax: 09141/907138<br />
(Büro des Oberbürgermeisters)<br />
E-Mail: <strong>Stadt</strong>@Weissenburg.de<br />
Internet: http://www.weissenburg.de<br />
Erscheinungsweise: dreimal jährlich (Januar, Mai, September)<br />
Auflage: 3000<br />
Schriftleitung v.i.S.d.P.: Dipl.-Archivar (FH) Reiner Kammerl,<br />
<strong>Stadt</strong>archiv, Neues Rathaus, Tel.: 09141/907222,<br />
Fax: 09141/907227, E-Mail: stadtarchiv@weissenburg.de<br />
Redaktion und Konzeption: Reiner Kammerl, Jürgen Schröppel<br />
Beiträge: Arndt Müller/Frankfurt a. M.<br />
Fotos und Zeichnungen: Horst Glanz, Arndt Müller,<br />
<strong>Stadt</strong>archiv <strong>Weißenburg</strong><br />
Satz und Druck: Buch- und Offsetdruckerei Braun & Elbel,<br />
<strong>Weißenburg</strong> i. Bay.<br />
Die „villa nostra – <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> <strong>Blätter</strong>“ sind kostenlos erhält-<br />
- lich in den bekannten Verteilerstellen der <strong>Stadt</strong>verwaltung (u. a.<br />
Neues Rathaus, Amt für Kultur und Touristik im Römermuseum,<br />
<strong>Stadt</strong>bibliothek), im <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> Museumsshop, im Kundenzentrum<br />
der <strong>Stadt</strong>werke GmbH, in den <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> Geschäftsstellen<br />
der Sparkasse sowie den örtlichen Buchhandlungen und<br />
Banken.<br />
Bei Bedarf, soweit von Institutionen oder Gewerbebetrieben<br />
Exemplare zur Auslage in Wartezimmern o. Ä. gewünscht, oder<br />
auch falls frühere Ausgaben ganz oder teilweise benötigt werden,<br />
wenden Sie sich bitte an das <strong>Stadt</strong>archiv oder das OB-Büro.<br />
© <strong>Stadt</strong> <strong>Weißenburg</strong> bzw. Verfasser der Beiträge
Unsere „villa nostra“ ist jetzt auch online lesbar<br />
Nur wenige Wochen ist es her, dass die 23. <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong><br />
Bücherschau ihre Pforten geschlossen hat. Die von<br />
den beiden örtlichen Buchhandlungen Meyer und Stoll<br />
sowie der <strong>Stadt</strong> <strong>Weißenburg</strong> (<strong>Stadt</strong>bibliothek) organisierte<br />
Veranstaltung war, gemessen an den Besucherzahlen<br />
und den eingegangenen Vorbestellungen, wieder<br />
der gewohnt große Erfolg. Hier hat auch die zunehmende<br />
Konkurrenz durch digitale Angebote bislang nicht<br />
geschadet. Zur Erinnerung: Als die Bücherschau im Jahr<br />
1989 startete, gab es noch keine online abrufbaren<br />
Bücher, Hörspiele oder Lexika.<br />
Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten, meinen viele, und<br />
prophezeien gleichzeitig, dass die gedruckten Medien<br />
über kurz oder lang ausgedient haben werden. „Das<br />
ergänzt sich“, hält Paul Lensing entgegen und zweifelt<br />
auch in Zukunft nicht an der Daseinsberechtigung von<br />
Büchern. Er ist bekanntermaßen nicht nur Leiter der<br />
<strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> <strong>Stadt</strong>bibliothek, sondern auch Mitinitiator<br />
und Motor des „<strong>Stadt</strong>wiki <strong>Weißenburg</strong>“. Sinnbildhaft<br />
für diese Verbindung war es, dass das digitale <strong>Stadt</strong>lexikon<br />
als offizieller Programmpunkt im Rahmen der<br />
<strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> Bücherschau am 10. November 2011 ans<br />
Netz ging. Auch hier sind die ersten Zahlen beeindruckend:<br />
Allein 1000 Aufrufe waren am ersten Tag zu<br />
verzeichnen.<br />
Wir wünschen der Initiative weiterhin viel Erfolg.<br />
Das große Vorbild Wikipedia stellt in Deutschland rund<br />
1,1 Millionen Artikel ins Netz; vom Umfang her sind das<br />
mehr als 400 Millionen Wörter. Im Vergleich dazu bringt<br />
es der 30-bändige Brockhaus bei über 300 000 Artikeln<br />
„nur“ auf 33 Millionen Wörter.<br />
Brockhaus (die „Bibliographisches Institut Mannheim &<br />
F. A. Brockhaus AG“ verkaufte die renommierte Marke<br />
an die Wissen Media von Bertelsmann) hat erkannt, dass<br />
eine Enzyklopädie nur dann eine Überlebenschance hat,<br />
wenn sie auch digital angeboten wird.<br />
Die gedruckten Ausgaben werden deswegen nicht eingestellt.<br />
Die Verantwortlichen sind überzeugt, dass sie nach<br />
wie vor ihre Berechtigung haben. Allein hinsichtlich<br />
ihrer Haltbarkeit reichen elektronisch gespeicherte<br />
Daten nicht an die eines Buches heran.<br />
Es darf bei aller Wertschätzung für die Informationsflut<br />
im Internet auch nicht vergessen werden, dass in einem<br />
laufend aktualisierten Nachschlagewerk im Netz, wie es<br />
z. B. unser neues „<strong>Stadt</strong>wiki“ sein soll, man in der Regel<br />
auch nur das zu lesen bekommt, was gerade online ist.<br />
Eine Momentaufnahme also – oder anders: Der<br />
Wissenstand früherer Zeiten ist nicht ablesbar und würde<br />
verloren gehen.<br />
Ergänzung statt Ersatz ist auch unser Motto. Beginnend<br />
mit der Ausgabe 1/2012 werden wir mit unserer „villa<br />
nostra“ ebenfalls online verfügbar sein. Ein Service, den<br />
wird gerade unseren auswärtigen Lesern und Interessenten<br />
anbieten wollen.<br />
Sie finden uns auf der Homepage der <strong>Stadt</strong> <strong>Weißenburg</strong><br />
unter der Seite des <strong>Stadt</strong>archivs.<br />
Wir wünschen Ihnen zum Jahreswechsel alles Gute für<br />
das Jahr 2012.<br />
Ihr Ihr<br />
Jürgen Schröppel Reiner Kammerl<br />
Oberbürgermeister <strong>Stadt</strong>archivar<br />
3
4<br />
- Anzeige -
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay.<br />
Arndt Müller<br />
Zu den eindrucksvollen Zeugnissen spätmittelalterlicher<br />
Frömmigkeit in <strong>Weißenburg</strong> gehört das großformatige<br />
Wandbild im Chor der ehemaligen Karmeliterkirche.<br />
Es zeigt einen Kruzifixus in der Ärmeltunika<br />
und nicht mit einem Schurz bekleidet. Auf dem<br />
Bildrahmen steht oben die originale Bezeichnung aus<br />
der Anbringungszeit „+ ditz pild bedut dz heilig crucz<br />
von lvkg“ mit dem wohl späteren Zusatz: „dz got drvg<br />
auf seim rvkg“. Das Wandbild ist also eine Wiedergabe<br />
des „Heiligen Kreuzes von Lucca“, das im Dom<br />
S. Martino der toskanischen <strong>Stadt</strong> seit Jahrhunderten<br />
verehrt wird. Im Folgenden soll einigen historischen,<br />
kunstwissenschaftlichen und frömmigkeitsgeschichtlichen<br />
Fragen nachgegangen werden, die mit dem<br />
Wandbild verbunden sind.<br />
Der Volto Santo in Lucca und nördlich der Alpen<br />
Der Typus dieses Kruzifixes in Holz gehört zu den<br />
sog. Großkreuzen mit Reliquiar aus vorgotischer<br />
Zeit. 1 Der heutige Korpus hat die Maße von 2,78 m<br />
Höhe zu 2,45 m Breite. Er schwebt mit waagerecht<br />
ausgebreiteten Armen und ausgestreckten Händen vor<br />
dem Kreuz. Es gibt keine Fußstütze, die Füße hängen<br />
frei herab. Das Haupt ist leicht nach links unten<br />
geneigt, umrahmt vom langsträhnigen Haupthaar und<br />
dem Doppelbart. Die Augen sind weit geöffnet. Am<br />
auffälligsten ist aber die Bekleidung: Der Korpus trägt<br />
keinen Schurz, sondern die langärmelige Tunika<br />
(tunica manicata), die betont gegürtet ist. Hier ist<br />
Christus als Herrscher und Überwinder des Todes<br />
dargestellt. (Abb. 1) Weitere signifikante Elemente<br />
der allgemeinen Ikonographie von Kreuz und Korpus<br />
sind der Lilienbogen (Aureole) um das Kreuz, die frei<br />
hängenden (beschuhten) Füße, die Krone, das Brustbzw.<br />
Gürtelkreuz, der gotische Blockaltar, der Kelch<br />
auf der Mensa, der (Wand-)Teppich oder Putz hinter<br />
dem Kreuz und schließlich – bei Darstellung des<br />
Schuhwunders – der vom rechten Fuß gleitende bzw.<br />
herabgefallene Schuh.<br />
Die heutige Skulptur wurde wahrscheinlich im späten<br />
12. oder im 13. Jahrhundert in unbekannter Werkstatt<br />
gefertigt.<br />
Die ursprüngliche Bezeichnung des Kreuzes mit<br />
Korpus in Lucca lautete „Sacra“ oder „Sancta Crux“<br />
(= heiliges Kreuz). Die Bezeichnung „vultus“ (daraus<br />
später „volto“ = Antlitz) kam zu Ende des 11. Jahrhunderts<br />
auf. Schon früh wurde der Kruzifixus mit<br />
Stoffgewand und Schuhen, geschmückt mit Edelsteinen<br />
und Seidenborten (auf und an den deutlich abgesetzten<br />
Kragen-, Ärmel-, Mittel- und Gewandsäumen),<br />
bekleidet, die im Laufe der Jahrhunderte immer<br />
wieder erneuert und verändert wurden.<br />
Im 12. Jahrhundert erfolgte die Aufzeichnung der mit<br />
dem Kreuz verbundenen frühen Wunder. Von ihnen<br />
war am bekanntesten das sog. Schuh- oder Spielmannsmirakel<br />
mit der Überlassung des rechten<br />
1 Pattis/Syndikus (siehe Literaturverzeichnis).<br />
5
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
Schuhs durch den Korpus an einen armen Verehrer,<br />
der später als Spielmann betrachtet wurde. 2<br />
Die Verbreitung von Bild und Verehrung war im<br />
Europa des Mittelalters nach Gebiet und Zeit sehr ungleichmäßig.<br />
3 Mit dem 1. Kreuzzug (ab 1096) beginnt<br />
die Verehrung des Kreuzes durch den Adel<br />
Frankreichs und Englands, die auch von Teilen der<br />
Bevölkerung dieser Länder wie auch besonders von<br />
den französischen Spielleuten aufgenommen wurde.<br />
Bei den deutschen Pilgern war das Luccheser Kreuz<br />
eher als Etappenziel auf dem Weg nach Rom bekannt,<br />
als dass man es hierzulande anrief. Eine liturgische<br />
Verehrung des Volto Santo (mit Altar) nördlich der<br />
Alpen lässt sich im Gegensatz zu Italien bis heute<br />
nicht nachweisen. 4 Daher beugte die deutsche<br />
Bevölkerung, vor allem die Bauern auf dem Land und<br />
die Handwerker in den Städten, nicht vor dem Volto<br />
Santo das Knie, sondern vielmehr vor Christus am<br />
Kreuz in der altertümlichen Darstellung mit Tunika.<br />
Darauf deuten bereits die offensichtlich notwendigen<br />
Bezeichnungen zumindest der frühen Bilder hin wie<br />
in <strong>Weißenburg</strong> und Kwidzyn/Polen (bis 1945 Marienwerder/Westpreußen).<br />
Für die deutschen Könige war der Kniefall vor dem<br />
Kreuz ein offizieller Akt auf ihren Römerzügen, wenn<br />
sie in Lucca Station machten. Eine persönliche<br />
Beziehung kann vielleicht für Kaiser Otto IV. (reg.<br />
1198/1208-1218), weniger für Kaiser Karl IV. (reg.<br />
1346/1355-1378) vermutet werden (siehe Anm. 18).<br />
Den literarischen Bearbeitungen der Spielmannslegende<br />
in Frankreich steht in der deutschen Literatur<br />
des Mittelalters nichts zur Seite. Jedoch war wohl von<br />
gewissem Einfluss die Nähe der Dominikaner-,<br />
Franziskaner-, Kamaldulenser- und Karmeliterorden<br />
zum Kreuz von Lucca. 5<br />
6<br />
So lassen sich deutsche Verehrer aus Adel, Patriziat<br />
und Geistlichkeit erst im 14. Jahrhundert feststellen.<br />
Die beiden Ersteren lernten den Volto Santo kennen,<br />
als sie sich in den Konkurrenzkämpfen der italienischen<br />
<strong>Stadt</strong>republiken und Feudalstaaten, hauptsächlich<br />
in der Toskana, als berittene Söldner verdingten.<br />
Sie blieben oft für Jahrzehnte im Lande, heirateten<br />
und gründeten Familien. Daneben traten höhere<br />
Kleriker, die z. B. in Bologna studierten und von dort<br />
aus nach Lucca pilgerten. Zu Recht sprechen Schnürer/Ritz<br />
von einem „… Kult der Reichen“. 6 Denn nur<br />
Mitglieder von Adel und Patriziat konnten nach ihrer<br />
Rückkehr hier die Maler bezahlen und erhielten in<br />
den Kirchen die hervorragenden Plätze zur Anbringung.<br />
Für die sehr späte Hinneigung zum Kreuz aufgrund<br />
von Pilgerfahrten und langjährigen Handelsverbindungen<br />
mit Lucca (auch über Flandern) zeugen die<br />
2 Zur Spielmannfigur neuerdings Gołdys (siehe Literaturverzeichnis).<br />
Die Wundersammlung war Anhang zur sog. Leboinus-Legende (ebenfalls<br />
12. Jahrhundert), die dem Kreuz jetzt den Aspekt des acheiropoieton, des<br />
nicht von Menschenhand geschaffenen wahren Bildes Jesu, hinzufügte.<br />
3 Hier und im Folgenden grundsätzlich kritisch zu den Feststellungen von<br />
Schnürer/Ritz (= S/R) und der herrschenden Meinung. Zur jüngeren Kritik<br />
an S/R siehe bspw. Kretzenbacher, S. 130-133; Schweizer-Vüllers, S. 108,<br />
116; King, S. 55-97; Müller 2007, S. 316-320.<br />
4 Spieß 1951, S. 11.<br />
5 Siehe den ausführlichen Hinweis von Mödl, S. 44, und die Wandbilder des<br />
Volto Santo in den Dominikanerkirchen in Bamberg (frühes 15. Jh.) und<br />
Bozen (1375-1380), sowie (für den Franziskanerorden) in Santa Chiara in<br />
Assisi (1381, Lazzarini, S. 115) und in der ehem. Minoritenkirche in Bonn<br />
(15. Jh.), wie auch in den Karmeliterkirchen in <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. (nach<br />
1350/1365) und in Ravensburg/Oberschwaben (ab 1470). Dieser vielversprechenden<br />
Frage konnte hier leider nicht nachgegangen werden.<br />
6 S/R, S. 310, verwenden einen unspezifischen Begriff von „Kult“. Streng<br />
genommen müsste immer ein Altar mit entsprechender Liturgie gegeben<br />
sein. Dies ist für die nördlichen V.-S.-Bilder nicht belegt. Daher bestand ein<br />
Kult des V. S. nur in Italien, in den Kirchen/Kapellen der lucchesischen<br />
Kaufleute und Bankiers in Westeuropa und wohl vereinzelt in Frankreich.
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
Wandbilder in Rosenheim, Rostock, Ravensburg und<br />
Überlingen/Bodensee (alle ab Mitte bis letztes Drittel<br />
des 15. Jahrhunderts). Auch hier ist die geringe Zahl<br />
von bisher 34 erhaltenen oder nur noch durch<br />
Archivalien, Fotos usw. überlieferten Wandbildern<br />
aus dem 14. und 15. Jahrhundert wohl ein realistisches<br />
Indiz für die ehemals doch nur verstreute Verehrung<br />
mit Schwerpunkt in Süd- und Westdeutschland.<br />
Die Darstellungen dienten ganz offensichtlich<br />
als Andachts- bzw. Erinnerungsbilder an wichtige Lebensphasen<br />
der Stifter, in denen die Hinwendung zum<br />
Luccheser Kreuz eine persönliche Bedeutung erlangt<br />
hatte. Gerade die Wandbilder mit Stifterfigur wie in<br />
<strong>Weißenburg</strong> bezeugen eine höchstpersönliche Be -<br />
ziehung zum Kreuz.<br />
Spätestens im 1. Drittel des 16. Jahrhunderts erlöschen<br />
Bekanntheit und Verehrung des Kreuzes. Die Ansicht<br />
von Schnürer/Ritz und der ihnen nachfolgenden herrschenden<br />
Meinung, die Verehrung des Kreuzes sei<br />
vom Volkskult der hl. Kümmernis aufgesogen worden,<br />
mit ihm verschmolzen usw. geht fehl. 7 Die persönlichen<br />
Beziehungen zum Heiligen Kreuz von<br />
Lucca brachen vor allem deswegen ab, weil der Söldnerdienst<br />
des süd- und westdeutschen Adels und<br />
Patriziats in den toskanischen <strong>Stadt</strong>staaten wie Siena,<br />
Pisa u. a. mit ihrer Eroberung durch Florenz im Laufe<br />
des 14. Jahrhunderts sein Ende fand. Zuletzt setzte die<br />
Reformation in weiten Gebieten Europas dem Pilgerwesen<br />
einen Schlusspunkt. Die Verehrung schrumpfte<br />
zu einem Lokalkult in Italien, vor allem in und um<br />
Lucca.<br />
Im deutschen Reich finden sich die Wiedergaben des<br />
Kreuzes von Lucca als Wandgemälde nördlich der<br />
Alpen zwischen Flandern und Weichsel bis zur Ostsee,<br />
und zwar durchweg in Kirchen. Heute verteilen sich<br />
Abb. 1: Ansichtskarte der Edizione Santori, Lucca, o. J.<br />
die Wandbilder aus dem 14. und 15. Jahrhundert auf<br />
Belgien, Deutschland, Österreich, die Schweiz, Südtirol,<br />
die Tschechische und die Slowakische Republik<br />
sowie Polen. Das historische Bildmaterial des Volto<br />
7 Zur Verknüpfung der Kümmernis mit dem Volto Santo siehe S/R op. cit.<br />
(vgl. Texthinweis Seite 13).<br />
7
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
Santo in Italien wie nördlich der Alpen, und so auch<br />
das <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> Fresko, folgt hauptsächlich dem<br />
heutigen Korpus in Lucca (aus dem 12. bzw. 13. Jahrhundert).<br />
Dennoch enthalten die Darstellungen bzw.<br />
ihre (Luccheser) Vorlagen immer wieder auffällige<br />
Abweichungen, die belegen, dass es bis zur ersten<br />
Fotografie des Kruzifixus ohne Stoffgewand 1921 in<br />
den sieben Jahrhunderten zuvor nur mehr oder minder<br />
originalnahe Wiedergaben des heutigen Korpus gab.<br />
Derartige „Kopien“ wurden offensichtlich in Lucca<br />
im 14. Jahrhundert für auswärtige Interessenten hergestellt.<br />
Sie tradieren einmal sehr einheitlich gewisse<br />
Grundelemente, wie den schlanken Korpus und die<br />
dunkle Tunika, die Kopfneigung und den etwas starren<br />
Blick. Darüber hinaus zitieren sie in variierenden<br />
Elementen die Veränderungen in der Ausstattung des<br />
Kruzifixus und seiner Örtlichkeit in Lucca. Die Variationen<br />
betreffen Krone, Gewandschmuck und Hinter -<br />
grund. Sie geben damit Hinweise auf die Anfertigung<br />
in verschiedenen Zeitabschnitten des Jahrhunderts<br />
und damit auf die Entstehungszeit der jeweiligen<br />
Vorlage. Im Norden wurden diese Vorlagen in die<br />
Musterbücher der (Wander-)Maler übernommen und<br />
dadurch diese Veränderungen konserviert. Zugleich<br />
wandelte man die Vorlagen individuell ab und ergänzte<br />
sie mit einheimischen Bildelementen wie dem Nimbus<br />
um das Haupt, Leuchtern und Messbuch auf der<br />
Mensa und vielleicht erst hier mit dem Spielmann<br />
(siehe unten). Die konservierten Luccheser Veränderungen<br />
und die einheimischen Ergänzungen lassen<br />
sich zur ungefähren Datierung der Vorlagen verwenden.<br />
Von der Entstehungszeit der Vorlage ist jedoch<br />
immer die Zeit ihrer Verwendung zu unterscheiden,<br />
denn ältere Vorlagen wurden auch noch sehr spät eingesetzt.<br />
8<br />
8<br />
Der Volto Santo in <strong>Weißenburg</strong> i. Bay.<br />
In der nach 1325 errichteten Karmeliterkirche befindet<br />
sich an der inneren Nordseite des Chores in der<br />
beträchtlichen Höhe von 3,06 m über dem heutigen<br />
Bodenniveau ein großformatiges Kruzifixus-Fresko<br />
mit 11,64 m 2 Fläche. 9 Es ist undatiert, aber original<br />
bezeichnet.<br />
Das Kreuz mit dem Korpus erhebt sich über dem gotischen<br />
Blockaltar, der auf einem hohen vorspringenden<br />
Sockel steht. Die locker fallende Tunika, die sonst<br />
nur bis auf die Knöchel oder zu den Waden reicht,<br />
fällt hier bis auf die Schuhe. Merkwürdigerweise steht<br />
kein Kelch auf der Mensa, der in Lucca zur ständigen<br />
Ausstattung gehört. Zu Seiten des Altaraufbaus ist<br />
links der Spielmann (Abb. 6) zu sehen, der mit Körperschwung<br />
auf seinem fidelartigen Saiteninstrument<br />
spielt. Ihm widerfährt gerade das Schuhwunder: Vom<br />
rechten Fuß des Korpus gleitet ihm der Schuh über die<br />
vordere Mensakante entgegen. Rechts beugt der<br />
Stifter seine Knie, dann folgen das Wappen der Rigler<br />
und die Ehefrau auf den Knien im gefütterten<br />
Tasselmantel mit kostbarer Schließe über einem<br />
modisch engen Kleid. Ihren Kopf umschließt der<br />
Kruseler (Haube aus mehreren gefälteten Stofflagen).<br />
Beide wenden sich mit Bittgebärden an das heilige<br />
Kreuz, aus ihren Händen steigen heute leere Schriftbänder,<br />
die ursprünglich Anrufungen (auf Latein) enthielten,<br />
aber nachträglich zusammen mit dem einst<br />
blauen Hintergrund grau übermalt wurden.<br />
Oben auf der Rahmung steht die alte offizielle (!) Bezeichnung<br />
„Heiliges Kreuz von Lucca“. Damit gehört<br />
8 Müller 2007, S. 313.<br />
9 Maße H. 3,88 x B. 3,00 m. Wandbild von Verf. aufgesucht am 11.5.2004.<br />
Literatur siehe Anm. 22. Zur Freskotechnik des Wandbildes ausführlich<br />
Schädler-Saub, S. 12.
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
das Wandbild neben denen in Kwidzyn und Rostock<br />
zu den drei Objekten, die bezeichnet sind.<br />
Direkte Quellen zum Bild gibt es bisher nicht.<br />
Bereits 1914 entdeckt, konnte die Malerei erst 1928<br />
vollkommen freigelegt werden. Aufgrund der qualitätvollen<br />
Ausführung hat das Bild bis heute seine originale<br />
Farbigkeit bewahrt. (Abb. 2) Es ist eine relativ<br />
originalnahe Wiedergabe. 10 Hierfür stehen über die<br />
üblichen Merkmale (siehe oben) hinausgehend der<br />
schlanke Korpus mit Gürtelkreuz und das Antlitz mit<br />
seinen weit geöffneten Augen, wie auch der fehlende<br />
Nimbus hinter dem Haupt, weiterhin die sorgfältig<br />
durchgearbeiteten Details des reich gestalteten Altaraufbaus<br />
mit seinen gotischen Maßwerkblenden und<br />
das feine florale Muster des Wandteppichs. Auch kann<br />
die seitliche Begrenzung durch die „quaderförmig“<br />
unterteilten Streifen mit ihrer Imitation „marmorierter“<br />
Steininkrustationen 11 auf einen gemalten Rahmen<br />
um die Wandkapelle des Kreuzes in Lucca zu der Zeit<br />
zurückgehen. Alle diese Elemente sind nicht der Fantasie<br />
des Malers entsprungen, sondern befanden sich<br />
auf der Vorlage. Überdies entsprechen die Maße des<br />
Volto Santo auf dem Wandbild mit geringer Abweichung<br />
denen des Kruzifixus in Lucca. 12 Das alles lässt<br />
vermuten, dass tatsächlich eine farbige Vorlage aus<br />
Italien verwendet wurde. Ausführungen nach solchen<br />
Luccheser Vorlagen sind neben dem <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong><br />
Bild etwa die Miniaturen des in Paris hergestellten<br />
Codex Rapondi (vor 1400 bis 1420). 13 (Abb. 3)<br />
Das Bild in <strong>Weißenburg</strong> sowie die Miniaturen wiederholen<br />
nicht nur sehr gleichmäßig die schmale Figur<br />
des Volto Santo mit den großen Augen, sie zeigen<br />
auch das lange dunkle Gewand, den Besatz mit rhombenförmigen<br />
Edelsteinen auf den Säumen und der<br />
Mittelleiste, das Kreuz über dem Gürtel und den<br />
schmalen gotischen Kronreif. Die jeweiligen Vorlagen<br />
stammen aus der Zeit vor 1384. In dem Jahr wur-<br />
Abb. 2: Das Fresko in der <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> Karmeliterkirche, 2011.<br />
(Foto: <strong>Stadt</strong>archiv <strong>Weißenburg</strong>)<br />
10 Ähnlich Schädler-Saub, S. 89, die aber nur von Übernahme des Bildtypus<br />
aus Italien spricht.<br />
11 Nach Schädler-Saub, S. 269.<br />
12 Seidel/Silva, S. 178 mit Anm. 56.<br />
13 Codex Rapondi. Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Pal. Lat. 1988. S/R,<br />
S. 200, mit Abb. 38 nach S. 176.<br />
9
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
de in Lucca der einfache Schmuckbesatz ersetzt durch<br />
den massiven Gürtel- und Saumreif und die verbindende<br />
Mittelleiste mit Medaillons aus vergoldetem<br />
Silber (ital. freghe), mit denen der bekleidete Kruzifixus<br />
bis heute an hohen Festtagen geschmückt wird.<br />
Doch ist der rote Hintergrund mit den goldenen<br />
Punkten (= Sternen?) auf den Miniaturen des Codex<br />
Rapondi von dem Fond in <strong>Weißenburg</strong> verschieden.<br />
Hier ist ein älterer Zustand mit Teppich vor einer Wand<br />
im Luccheser Dom zitiert. Eine eigenmächtige, aber<br />
sinnige Zutat der Luccheser oder der deutschen Maler<br />
ist das unter der Tunika ausgestellte rechte Bein des<br />
Korpus, das den Schuh dem Spielmann sozusagen<br />
entgegenschlenkert (auch das Wandbild in Bacharach/<br />
Rhein aus dem 14. Jahrhundert zeigt diese Variante).<br />
Die Vorlage kann daher der ersten Hälfte des 14. Jahr -<br />
hunderts zugewiesen werden.<br />
Den in der Literatur angeführten böhmischen Einfluss<br />
(über Nürnberger Vermittlung), den das Volto-Santo-<br />
Bild in <strong>Weißenburg</strong> zeigen soll, begründet erst Schädler-Saub<br />
ausführlich: zum einen mit maltechnisch<br />
ähnlichen Wandmalereien in Nürnberg, zum anderen<br />
mit der Kleidung von Spielmann und Stifterpaar. 14<br />
Tatsächlich tragen Stifterpaar und Spielmann zeitgenössische<br />
Mode, die zwar vom Hof der Luxemburger<br />
in Prag geprägt wurde, aber zu der Zeit zumindest in<br />
Südostdeutschland allgemein war. Sie ist kein besonderes<br />
Merkmal für einen spezifisch böhmischen Einfluss<br />
– wie auch die Frisur von Spielmann und Stifter<br />
mit ihren toupierten Locken, die bereits an den<br />
Skulpturen der Herzöge Albrecht II. und Rudolf IV.<br />
von Österreich am Bischofs- bzw. Sängertor von St.<br />
Stefan, Wien, aus den Jahren um 1370 zu sehen sind.<br />
Ebenso zeigen Grabmäler und Wandbilder aus der<br />
Zeit vor 1370 die Kleidung der Ehefrau des Stifters<br />
10<br />
mit Robe und Kruseler. 15 Eher könnte man die<br />
Gesichtsdarstellung des Kruzifixus als Beleg heranziehen.<br />
Die betont hakenförmige Nase und die weit<br />
geöffneten Augen, besonders die Anordnung von Pupille<br />
und Augapfelweiß ähneln einigen Gesichtern auf<br />
den Brustbildern der Ausmalung der Heilig-Kreuz-<br />
Kapelle der Burg Karlsˇtejn bei Prag. Dieses Werk, in<br />
seinem größten Teil von der Hand des Meisters Teoderik,<br />
war 1365 abgeschlossen. Auch wenn für Teoderik<br />
eine Schulebildung verneint wird, so findet sich<br />
diese Gestaltung von Nase und Augen auf böhmischen<br />
Wand- und Tafelbildern ab dieser Zeit. 16 In<br />
Böhmen ist bisher nur ein Volto-Santo-Wandbild bekannt,<br />
dessen Darstellung (um 1370) jedoch für die<br />
Karmeliterkirche ohne Belang ist. 17 Die Arbeiten auf<br />
Karlsˇtejn enthalten kein Beispiel für die Korpusbzw.<br />
die Tunikadarstellung 18 .<br />
14 KDB WEI, S. 62; Dehio, S. 1099; Schädler-Saub, S. 269-270.<br />
15 Siehe Die Parler, S. 418, und ebendort weitere Beispiele. Außerdem Dvorˇáková<br />
1978, Abb. 7 und 13. Als Beispiel für den Kruseler siehe die Frau des<br />
Stifters auf dem Volto-Santo-Wandbild ehemals in der Burgkapelle Kronberg/Taunus,<br />
entstanden zwischen 1348 und 1386 (S/R, nach S. 228).<br />
16 Dvorˇáková 1978, S. 4, rechte Spalte. Allgemein vergleiche Dvorˇáková u. a.<br />
1968, Tafeln XVII, XVIII und Matějček/Pešina (1955).<br />
17 In der Kapelle der Burg Bečov nad Teplou/Petschau. Fajt, S. 44, mit Abb.<br />
II.5 und Anm. 22, auch S. 130, mit Anm. 5.<br />
18 Vergleiche Schädler-Saub, S. 89, mit Anm. 81.<br />
Obwohl Karl IV. (1347-1378) Lucca den Reichsstadtstatus gewährte, mehrmals<br />
die <strong>Stadt</strong> besuchte und dabei dem Kreuz seine Verehrung erwies,<br />
erhielt dieses doch keinen Platz im imperial ideologischen Programm der<br />
Heilig-Kreuz-Kapelle auf Burg Karlsˇtejn (Dvorˇáková u. a. 1964, S. 51-52<br />
(52). Auch in den Bestrebungen des Kaisers, aus der kleinen <strong>Stadt</strong> Luckau<br />
in der Niederlausitz ein „zweites Lucca“ zu machen, ist keine Adaption des<br />
Volto Santo sichtbar (siehe Seidel/Silva, S. 159-196). Die von S/R, S. 184,<br />
erwähnte Chroniknotiz über einen Seidenteppich mit Volto-Santo-Bild, der<br />
für Karl IV. 1372 angefertigt werden sollte, widerspricht dem nicht. Anderer<br />
Ansicht Mödl, S. 46, und Fajt, S. 130, Anm. 5. An dem Mosaik des<br />
Atriums am St.-Veits-Dom in Prag und liturgischen Objekten für den<br />
Altardienst wird deutlich, dass das Interesse Karls vielmehr dem vera icon<br />
galt (Seidel/Silva, S. 131-158).
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
Einer Gestaltung des Gesichts von böhmischer oder<br />
böhmisch geschulter Hand wären dann die weit geöffneten<br />
Augen der Luccheser Vorlage entgegengekommen.<br />
Anstelle der vermuteten Nürnberger Maler könnten<br />
aber durchaus (böhmische) Maler in <strong>Weißenburg</strong><br />
selbst tätig gewesen sein. Denn das 14. Jahrhundert<br />
war die Hochzeit der Reichsstadt, für die Maler in der<br />
<strong>Stadt</strong> angenommen werden können. Allerdings ist der<br />
Nachweis aus städtischen Archivalien nicht möglich,<br />
da keine Handwerkerakten vorhanden sind. 19 Ursula<br />
Schädler-Saub betont zwar die Singularität des Wandbildes,<br />
weist ihm aber dennoch eine Vorbildfunktion<br />
für den fränkischen Raum, z. B. für das Bamberger<br />
Abb. 3: Miniatur des Luccheser Kreuzes im Codex Rapondi,<br />
aus: Aldo Santini, Pelegrinaggio al Volto Santo,<br />
Lucca 2002 (maria pacini fazzi editore), S. 38.<br />
Wandbild, zu (S. 260). Diese Annahme ist wenig<br />
wahrscheinlich angesichts der unterschiedlichen<br />
Ausführungen, für die sich keine zeitliche und bildliche<br />
Abfolge erstellen lässt. Das Wandbild in der früheren<br />
Dominikanerkirche in Bamberg folgt ersichtlich<br />
einer jüngeren Vorlage (Vierbügelkrone!).<br />
Die Stifterwandbilder<br />
Das <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> Bild gehört innerhalb der 34 bis<br />
jetzt bekannten Wandgemälde für die Volto-Santo-<br />
Verehrung in eine Gruppe von bisher ca. 17 Objekten,<br />
die mit der persönlichen Darstellung des Stifters seine<br />
enge Beziehung zum Kreuz dokumentieren. Die<br />
Kompositionen lassen sich dazu anhand bestimmter<br />
Merkmale auch formal von den übrigen „anonymen“<br />
Bildern scheiden. Diese Stifterwandbilder zeigen einmal<br />
in einer typischen Dreieckskomposition unter<br />
dem Kruzifixus links den Spielmann und rechts den<br />
Stifter, wie in Bamberg, Bonn, Kwidzyn und Überlingen/Bodensee.<br />
Nur die Bilder in Erfurt, Kronberg/Ts.,<br />
Rosenheim/Obb. und <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. zeigen ein<br />
Stifterpaar. Zum anderen kann die figürliche Darstellung<br />
des Stifters bzw. des Stifterpaares auch durch das<br />
Wappen des Stifters bzw. des Stifterpaares ersetzt sein<br />
– so in Düsseldorf, Marburg/Lahn (Deutschordenskreuz<br />
auf der Korpusbrust) und Stein am Rhein/<br />
Schweiz. Drittens kann, wenn Stifterfigur und -wappen<br />
fehlen, manchmal ein nachweisbarer bzw. augenscheinlicher<br />
historischer Zusammenhang mit bestimmten<br />
Stiftern angenommen werden – so hinsichtlich<br />
der Wandbilder in Bacharach/Rhein, Bečov nad<br />
Teplou (bis 1945 Petschau), Tschech. Rep., Bregenz,<br />
Ravensburg/Oberschwaben und Rostock.<br />
19 Freundliche schriftliche Mitteilung von <strong>Stadt</strong>archivar Reiner Kammerl,<br />
<strong>Weißenburg</strong>, am 30.1.2005.<br />
11
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
Weitere markante Unterscheidungsmerkmale sind das<br />
Großformat und die erhebliche Höhe der Anbringung.<br />
20 Auffällig ist auch die heraldische Position des<br />
Spielmanns (siehe hierzu im nächsten Abschnitt). In<br />
diese Gruppe lassen sich neben den adeligen auch<br />
bürgerliche Stifter (in Erfurt, Ravensburg, Rosenheim,<br />
Rostock, <strong>Weißenburg</strong> und möglicherweise in<br />
Überlingen) aufnehmen. Auch Verehrer unter hochrangigen<br />
Klerikern können in jenen Kreis einbezogen<br />
werden (siehe die Bilder in Bamberg und Kwidzyn).<br />
Das Spielmannsproblem<br />
Dem Spielmann wird von der herrschenden Meinung<br />
im Volto-Santo-Kümmernis-Komplex eine besondere<br />
Funktion zugemessen. Demnach soll das Spielmannswunder<br />
für die „Frage der Verschmelzung [des Volto<br />
Santo mit der Kümmernis, d. Verf.] … eine hervorragende<br />
Bedeutung“ haben. 21 Gerade am <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong><br />
Wandbild wurde und wird noch heute diese Ansicht<br />
erörtert. So betrachtete Karl Gröber bereits 1932 die<br />
Darstellung als „Übergang dieser Christusdarstellung<br />
in die ... Kümmernislegende“. Nach ihm entschieden<br />
sich den vergangenen gut 80 Jahren von 16 Autoren<br />
nur neun (unter ihnen aber Schnürer/Ritz!) eindeutig<br />
für ein Bild des Volto Santo, d. h. für eine Darstellung,<br />
die der Verehrung des Kreuzes dienen sollte. 22 Trotz<br />
der Kritik in der Zwischenzeit von Brun Appel<br />
(1965), und Kraft Eitel (1966) und weiteren Autoren<br />
folgte Ursula Schädler-Saub in ihrer Bearbeitung der<br />
gotischen Wandmalerei in Mittelfranken von 2000<br />
erneut der älteren Ansicht. Als Zeichen der „Ver -<br />
mischung“ dient der Verfasserin die Einbeziehung des<br />
Spielmanns. 23 Es ist also die Darstellung des<br />
Spielmannsmirakels, welche die Wissenschaftler irritiert<br />
und zu der These führt, sie indiziere eine ikono-<br />
12<br />
graphische und somit inhaltliche Abweichung vom<br />
Volto-Santo-Bild und mache es zu einem Küm -<br />
mernisbild.<br />
20 Zum Beispiel Bamberg ca. 9 m²/ca. 10 m; Erfurt ca. 6,25 m 2 /5,80 m;<br />
Kronberg/Taunus 8,6 m²/ca. 2,50 bis 3,00 m (nach Fotos); Marburg 2,2<br />
m²/ca. 3,00 m; Rostock 20,5 m²/4,32 m und <strong>Weißenburg</strong> 11,6 m²/3,06 m.<br />
21 S/R, S. 159. Ebenso von Spieß (1942), S. 205 und 209. Derselbe erneut<br />
1951, S. 17: „... Geiger, der wesenhaft zur Kümmernis gehört, …“. Siehe<br />
auch oben Anm. 7.<br />
22 Karl Gröber in KDB (WEI), S. 62-63: Übergangsstufe zur hl. Kümmernis;<br />
Schnürer/Ritz, S. 217: V. S.; Karl von Spieß (1942), S. 209: hl. K.;<br />
Friedrich Blendinger, <strong>Weißenburg</strong> im Mittelalter. In: Jahrbuch des Hist. V.<br />
v. Mittelfranken Bd. 80 (1963), S. 29: hl. K.; Brun Appel und Klaus Raab,<br />
Kurzführer durch die Kirchen von <strong>Weißenburg</strong>. 1965 (Städt. Verkehrsbüro),<br />
S. 65: V. S. mit Begründung; Kraft Eitel, Mittelalterliche Wandmalereien in<br />
<strong>Stadt</strong> und Landkreis <strong>Weißenburg</strong>. Zulassungsarbeit PH Nürnberg 1966, o.<br />
S.: V. S. mit Begründung; Lore Grohsmann, <strong>Weißenburg</strong> in Bayern.<br />
<strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1974, S. 14: V. S. oder Göttlich-Hilf-Bild; Joachim<br />
Hotz, Aus Frankens Kunst und Geschichte. Mittelfranken, Lichtenfels, o. J.<br />
(nach 1976), S. 272: V. S., aber in Vermengung mit Schuhwunder/hl. K.;<br />
Gustav Mödl, S. 44 ff. (45): V. S. mit Begründung; L. Löw: Historischer<br />
<strong>Stadt</strong>kern (von <strong>Weißenburg</strong>) In: Führer zu archäologischen Denkmälern in<br />
Deutschland, Bd. 15 (Landkreis <strong>Weißenburg</strong>-Gunzenhausen, Denkmäler<br />
und Fundstätten), Stuttgart 1987, S. 231/232: V. S. in Vermengung mit<br />
Legende/hl. K.; Arthur Schlegel, Architektur und bildende Künste im<br />
<strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> Land, in: Im <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> Land, München 1990, S. 170 mit<br />
Anm. 26 und 27: V. S., ohne eigene Begründung, aber mit ausführlichem<br />
Hinweis auf die Kritik an Karl Gröber von Brun Appel (1965) und Kraft<br />
Eitel (1966), siehe zuvor; Peter Friedrich Haberkorn, <strong>Weißenburg</strong> in<br />
Bayern. Stationen seiner Geschichte vom römischen Zentralort zur spätmittelalterlichen<br />
Reichsstadt, Mammendorf/Obb. 1996, S. 104: V. S. mit<br />
Begründung; Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler.<br />
Bayern I: Franken. 2., durchgesehene u. ergänzte Aufl., München 1999, S.<br />
1099: sog. K.; Ursula Schädler-Saub, S. 269: Göttliches Hilfsbild von<br />
Lucca; Denkmaltopographie, Bayern V/70.2, S. 119: V. S.; Reiner Kammerl,<br />
<strong>Weißenburg</strong> i. Bay., 3. völlig neu erarbeitete Aufl., Regensburg 2003, S. 30:<br />
V. S.; außerdem URL http://www.weissenburg.info/sehenswertes/kulturzentrum_karmeliterkirche-3092<br />
: Volto-Santo-Fresko (Aufruf 16.3.2011).<br />
23 Schädler-Saub, S. 269. Sie ordnet allerdings den Volto Santo irrtümlich den<br />
Bildern der Göttlichen Hilfe (Filialkult des Salvatorkreuzes auf dem Hülfensberg/Eichsfeld)<br />
in Bamberg zu, in Anlehnung an Elisabeth Roth, S.<br />
19/20, die ihren höchst subjektiven Begriff von der „Göttlichen Hilfe“<br />
unterschiedslos auf alle Darstellungen des Volto Santo, der Ontkommer/Kümmernis<br />
und der eigentlichen Göttlichen Hilfe ausdehnt.
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
Anmerkung zur „Kümmernislegende“<br />
Schnürers Missverständnisthese (dass<br />
„die Kümmernis“ anhand missverstandener<br />
Kruzifixe in der Tunika, vor allem<br />
des ,Volto-Santo-Korpus‘, gebildet worden<br />
sei) erscheint kaum als schlüssig<br />
(hierzu ausführlich Schweizer-Vüllers,<br />
S. 108 und S. 116).<br />
Den Bildern der Wilgefortis wie auch der<br />
Sint Ontkommer fehlen alle Merkmale<br />
des Volto Santo, sie zeigen deutlich eine<br />
Frau am Kreuz, umgeben von den Personen<br />
der Legende. Die Übernahme von<br />
Volto-Santo-Darstellungen für die Bilder<br />
der späteren Kümmernis geschah in Süddeutschland<br />
um 1470 erst nach dem Import<br />
des Ontkommerkultes vom Mittelrhein<br />
dorthin (nicht vor 1456). Sie begründete<br />
nicht den Kult, sondern war ein<br />
rein ikonographischer Akt.<br />
In der flämischen Urform der Wilgefortis-/Ontkommerlegende<br />
versucht ein<br />
König seine Tochter an einen (auswärtigen,<br />
heidnischen usw.) Freier zu verheiraten.<br />
Die Tochter hat sich aber Christus<br />
anverlobt und verweigert ihre Ein -<br />
willigung. Daraufhin lässt der Vater sie<br />
gefangen setzen. In ihrer Seelennot wendet<br />
sich die Prinzessin an Gott. Er lässt<br />
ihr über Nacht einen Bart wachsen,<br />
worauf der Vater sie zur Kreuzigung verurteilt.<br />
Bevor Wilgefortis stirbt, verheißt<br />
ihr Gott, dass sie künftig allen Gläubigen,<br />
die sich in (seelischen) Nöten an sie<br />
wenden, Trost spenden wird. In der flämischen<br />
Legende hat der Spielmann keinen<br />
Platz und fehlt dementsprechend<br />
auf den Darstellungen von Wilgefortis/Ontkommer.<br />
Auch die (neue) Kümmernislegende beginnt<br />
zunächst mit Widerstand, Verunstaltung<br />
und Kreuzigung der Prinzessin.<br />
Und hier, als sie am Kreuz hängt – entweder<br />
ihren Geist aufgibt oder bereits<br />
gestorben ist – tritt nun der (arme oder<br />
alte) Spielmann auf (später oft als Geiger<br />
bezeichnet). Er spielt der sterbenden<br />
Prinzessin seine Weisen zum Trost vor,<br />
worauf er von ihr den rechten Schuh<br />
erhält. Oder in einer Variante: Er spielt<br />
der bereits Gestorbenen auf zum Gedenken,<br />
worauf diese noch einmal erwacht<br />
und ihm den Schuh schenkt. Schon in der<br />
ersten gedruckten Fassung von 1507<br />
(Augsburg) folgt nun die Bezichtigung<br />
des Spielmanns als Dieb, seine Verurteilung<br />
zum Galgen und seine Rettung<br />
durch die Prinzessin. Als er auf dem Weg<br />
zur Hinrichtung noch einmal vor der<br />
Toten spielen darf, erhält er den, ihr zuvor<br />
wieder angezogenen, Schuh erneut.<br />
Daraufhin lässt man ihn laufen.<br />
Ab der Gegenreformation, in der die<br />
Kümmernis zu einer der beliebtesten<br />
Volksheiligen in Süddeutschland, Tirol,<br />
Böhmen und Polen aufstieg, wird dieses<br />
Gegenüber von Kümmernis und Spielmann<br />
zur gängigen Bildformel bis ins<br />
19. Jahrhundert. Neben der sicheren Ableitung<br />
der neuen Legende aufgrund der<br />
Übernahme der Volto-Santo-Vorlagen<br />
mit Spielmann in Süddeutschland beweisen<br />
auch die beiden Legendenfassungen<br />
in der Bibliothek des Benediktinerinnenklosters<br />
St. Walburg in Eichstätt konkret,<br />
dass erst die Übernahme den Anstoß zur<br />
Einbeziehung des Spielmanns gab. Die<br />
ganz traditionelle Fassung der Wilgefortislegende<br />
stammt aus dem 15. Jahrhundert,<br />
die Niederschrift der Kümmernislegende<br />
kann begründet nach 1511 datiert<br />
werden.<br />
Der von Schnürer verfestigte Oberbegriff<br />
„Kümmernis“ für alle drei Manifestationen<br />
ist überhaupt unzutreffend<br />
und irreführend. Vielmehr lassen sich<br />
drei historische Ausformungen des<br />
Kultes der gekreuzigten Frau feststellen,<br />
die in einer zeitlichen Abfolge vom<br />
Wilgefortiskult ausgehen und für die<br />
jeweils eigene, charakteristische Ikonographien<br />
entwickelt wurden:<br />
- St. Wilgefortis (um 1360),<br />
- St. Ontkommer (um 1400), und<br />
- hl. Kümmernis (ab 1470).<br />
Bei den undatierten und unbezeichneten<br />
Volto-Santo-Wandbildern zwischen 1470<br />
und 1530/1550 lautet daher die Schlüsselfrage:<br />
Ist die Volto-Santo-Darstellung<br />
für die Verehrung des hl. Kreuzes von<br />
Lucca oder für die Verehrung der Kümmernis<br />
angebracht worden. Die jeweilige<br />
Funktion kann jedoch nicht aus der<br />
Ikonographie heraus abgeleitet werden.<br />
Hierfür müssen archivalische, sozialund<br />
frömmigkeitsgeschichtliche Zeugnisse<br />
der jeweiligen Kirche und des<br />
Ortes herangezogen werden.<br />
13
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
Eigentlich verbietet schon die unbestrittene Datierung<br />
in das 14. Jahrhundert überhaupt, das <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong><br />
Fresko mit der Kümmernis zu verbinden. Denn selbst<br />
nach Schnürer ist „die Kümmernis“ in Süddeutschland<br />
nicht vor 1400 anzutreffen. Vor allem aber wurde<br />
der Spielmann nicht als eigenständige ikonographische<br />
Figur in die süddeutschen Darstellungen der<br />
Kümmernis übernommen, sondern von Anfang an als<br />
integraler Bestandteil des gesamten Volto-Santo-<br />
Bildes. Der Spielmann bzw. das Wunderzitat ist also<br />
kein Problem der Übernahme, sondern ein Problem<br />
der Volto-Santo-Vorlage, und es muss demgemäß an<br />
den Bildern des Kreuzes geklärt werden. Folgerichtig<br />
ist dann das Hauptargument in der Beweisführung<br />
von Schädler-Saub, dass in Italien der Volto Santo<br />
ohne Vermischung mit Legenden und nicht zusammen<br />
mit Heiligen dargestellt wurde. Das ist richtig, das<br />
Kreuz von Lucca wird als Altarbild in italienischen<br />
Kirchen ohne Schuhwunder wiedergegeben, wie es<br />
die zahlreichen Beispiele im Werk von Lazzarini 1982<br />
bestätigen.<br />
Jedoch finden sich in Italien sehr wohl Wandbilder<br />
des Volto Santo mit Spielmann und Heiligen: so z. B.<br />
in Parma (14. Jahrhundert, Abb. 4), in Verona (frühes<br />
15. Jahrhundert) und in Bologna (nach 1660). Auf<br />
dem Mittelteil eines Retabels (Tafelbild) von Mitte<br />
des 14. Jahrhunderts (Diözesanmuseum von Ortona-<br />
Lanciano/Prov. Chieti) gruppieren sich sogar drei (!)<br />
Spielleute um das Kreuz. In Verona und Colognola ai<br />
Colli (Prov. Verona, frühes 15. Jahrhundert) ist der<br />
Volto Santo mit Maria und dem Kinde kombiniert. In<br />
Assisi steht er ebenfalls neben einer Maria mit Kind<br />
und der hl. Katharina (1381). In Casciana Terme-<br />
Parláscio (Prov. Pisa) steht der Volto Santo zwischen<br />
den beiden Kirchenpatronen Julitta und Quiricus<br />
14<br />
(Wandbild von 1456). 24 Diese Beispiele sowie zahlreiche<br />
Grafiken und Buchillustrationen belegen, dass<br />
auch in Italien Verbindungen von Kreuz und<br />
Spielmann, wie auch mit Heiligen, üblich waren. Sie<br />
lassen nach ihrer Datierung und vor allem nach dem<br />
sachlichen Zusammenhang keinerlei Deutung als<br />
Kümmernis zu. Damit widerlegt bereits das Bildmaterial<br />
die herrschende Ansicht.<br />
Entscheidend ist jedoch, dass die Wiedergabe des<br />
Wunders keine inhaltliche, d. h. theologische Abweichung<br />
gegenüber dem offiziösen Bild des Volto Santo<br />
anzeigt. Daher muss seine Darstellung auf den Wandbildern<br />
eine andere, jedenfalls eine positive Funktion<br />
(gehabt) haben. Nun ist das Schuhmirakel das älteste<br />
und zugleich das bekannteste unter den Wundern, die<br />
mit dem Kreuz von Lucca verbunden waren. Die gemeinsame<br />
Darstellung von Wunder und Kreuz bezeugte<br />
daher gegenüber allen anderen Bildern eines<br />
Kruzifixus in der Tunika eindeutig die Echtheit des<br />
abgebildeten Kreuzes als dasjenige von Lucca. Denn<br />
der Korpus unterscheidet sich nur sehr bedingt von<br />
den anderen Kruzifixen in der Tunika. Das Schuhwunder<br />
wurde somit in die Darstellungen des Volto<br />
Santo zur sicheren Identifizierung eingefügt. Und<br />
zugleich wurde mit dem bekanntesten der Mirakel auf<br />
die wundertätige Qualität des Kreuzes hingewiesen.<br />
Die Abbildung des Spielmanns wie des Wundervorgangs<br />
hat daher die Funktion einer Garantie. Das<br />
24 S/R, S. 190 (Bologna), S. 191 (Verona, heute – 2011 – in der Casa di Giuletta,<br />
Via Cappello), jeweils ohne Abbildung. Abb. Parma bei Lazzarini, S.<br />
117. Das Retabel in Ortona-Lanciano in: Il Volto di Cristo, Kat.-Nr. VI.8,<br />
S. 273/274, mit Abb. S. 268. Parláscio (chiesa parrocchiale dei SS. Quirico<br />
e Giuditta) in: Il Volto Santo, S. 95 mit Abb. 81 (S. 187). Santa Maria della<br />
Pieve in Colognola unter URL Comune di Colognola ai Colli-MyPortal -<br />
Regione Veneto mit Abb. (Aufruf 16.3.2011). Das Fresko in Santa Chiara<br />
in Assisi bei Lazzarini, S. 115.
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
Abb. 4: Volto-Santo-Darstellung mit Spielmann in Parma, 2004. (Foto: Arndt Müller)<br />
Zitat des Wunders bedeutet somit keine Abweichung,<br />
sondern gerade eine Bestätigung der Widergabe des<br />
echten Volto Santo.<br />
Selbstverständlich bedurfte es dieser Versicherung<br />
nicht in Lucca selbst, im Herrschaftsbereich der <strong>Stadt</strong><br />
und in den angrenzenden toskanischen Territorien.<br />
Aber das Wandbild in Parma beweist, dass schon 200<br />
km von Lucca entfernt offenbar die Notwendigkeit für<br />
eine zweifelsfreie Darstellung bestand. Dies galt<br />
dann noch vielmehr in den von der <strong>Stadt</strong> weit ent fernten<br />
Anbringungsorten. Gerade für unsere Stifterbilder<br />
werden die Auftraggeber eine „wahre“ Wiedergabe<br />
verlangt haben, weil das Wunder Teil ihrer eigenen<br />
höchstpersönlichen Beziehung zum Volto Santo war.<br />
Das Zitat des Mirakels war für die Stifter ständige<br />
Bestätigung der Heilswirkung des Kreuzes, an der sie<br />
durch ihre Verehrung teilhaben wollten. Ausdruck<br />
jener Wertschätzung ist die heraldisch ungewöhnliche<br />
15
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
Position des Spielmanns auf der Mannseite, die seiner<br />
gesellschaftlich prekären Stellung völlig widerspricht.<br />
Diese Position gilt vielmehr dem Wunder und weist<br />
ihm die seiner Bedeutung für die Votanten entsprechende<br />
Stellung zu. Auch seine Darstellung in modischer<br />
Kleidung, die der des Stifters kaum nachsteht,<br />
gibt nicht die übliche bunte Spielmannskleidung wieder,<br />
sondern ist der Würde des Wunders geschuldet.<br />
Wie auf den Wandbildern in Italien, den italienischen<br />
Illustrationen und Grafiken ist das Zitat des Spielmannswunders<br />
auf den Bildern im Norden also weder<br />
Indiz noch etwa konstitutives Merkmal für eine Kümmernisabbildung,<br />
sondern der Spielmann muss wie<br />
südlich der Alpen als Bestätigung der wahren Wiedergabe<br />
des Volto Santo angesehen werden. Er macht das<br />
Volto-Santo-Bild nicht zum Kümmernisbild. Auf<br />
diese Weise lässt sich auch unkompliziert die Einbeziehung<br />
des Wunders in die Volto-Santo-Bilder erklären,<br />
ohne die bisherigen Zeitstellungen der<br />
Ontkommer-/Kümmernisverbreitung zu strapazieren.<br />
Daher zeigt das Bild in der Karmeliterkirche nach seiner<br />
Gestaltung und Bezeichnung wie auch nach seiner<br />
Datierung vor 1400 einen ikonographisch korrekten<br />
Volto Santo.<br />
Der Stifter in <strong>Weißenburg</strong><br />
Auf dem <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> Wandbild sind der Stifter und<br />
seine Ehefrau ohne Namen dargestellt. (Abb. 5) Eine<br />
Identifizierung ist nur indirekt möglich, indem man<br />
ein vorhandenes Volto-Santo-Bild des 14. Jahrhun -<br />
derts und eine Darstellung des Stifters in einer Reiter -<br />
rüstung dieser Zeit mit einem Familiennamen in ita -<br />
lienischen Soldakten dieses Jahrhunderts in den<br />
Archiven von Pisa und des Vatikans kombiniert, der<br />
auch für <strong>Weißenburg</strong> fassbar ist. Es ist der Name der<br />
16<br />
<strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> Familie Rigler aus der Führungsschicht<br />
der <strong>Stadt</strong>, die durch das Wappen neben dem Stifterpaar<br />
bestimmt werden konnte. 25 Der vielleicht doch<br />
mit einigen wenigen porträthaften Zügen (Gesichtsschnitt,<br />
Haupt- und Barthaar?) wiedergegebene Stifter<br />
trägt noch keinen Harnisch, sondern einen Ringelpanzer,<br />
darüber ein (dickes) Lederkollier, das noch<br />
nicht mit einzelnen Eisenplatten armiert ist. Auch<br />
Armkacheln zum Schutz des Armgelenks fehlen.<br />
Ringelpanzer und Kollier sind modisch tailliert und<br />
enden knapp auf den Oberschenkeln. Ebenso modisch<br />
ist der tiefe Sitz des Wehrgehänges (Dusing). Bis über<br />
die Knie reichen Diechlinge, das sind mit vertikalen<br />
Metallstreifen verstärkte Lederröhren. Die Knie selbst<br />
sind schon durch Kniebuckel geschützt. Die Unterschenkel<br />
einschließlich der Füße sind „zivil“ bekleidet<br />
mit Beinlingen, einer Art Strumpfhose. Im<br />
Oberteil sehen wir hier eine typische Rüstung für die<br />
Jahre um 1350.<br />
Vorweg ist zu betonen, dass der in der Literatur immer<br />
wieder als Stifter des Bildes genannte <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong><br />
Bürger Ulrich Rigler nicht in Betracht kommt. Die<br />
unkritisch tradierte Vermutung für Ulrich Rigler<br />
– wohl aufgrund seiner mehrfachen Erwähnung in<br />
den <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> Urkunden und seines Reichtums<br />
wegen – erscheint nicht plausibel: 26 in erster Linie<br />
deswegen, weil keine persönliche Verbindung von<br />
ihm zum Volto Santo sichtbar ist, die für eine Stiftung<br />
des Bildes Voraussetzung wäre. Der Name ist zudem<br />
nicht in den Pisanischen und sonstigen italienischen<br />
Söldnerakten aufgeführt, die Karl Heinrich Schäfer<br />
1909-1940 in vier Bänden edierte. Angesichts seiner<br />
25 <strong>Stadt</strong>archivar Kammerl, wie Anm. 22, S. 30. Auch S/R, S. 217, Anm. 2.<br />
26 Gröber, KDB (WEI), S. 62/63; S/R, S. 218; Mödl, S. 46; Schädler-Saub, S.<br />
270.
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
Abb. 5: Das Stifterpaar Rigler, 2011. (Foto: <strong>Stadt</strong>archiv <strong>Weißenburg</strong>)<br />
urkundlichen Präsenz in der <strong>Stadt</strong> und seiner öffentlichen<br />
Aktivitäten für die Reichsstadt außerhalb ist ein<br />
Aufenthalt als Söldner in Italien auszuschließen, zumal<br />
seine Vermögensverhältnisse keinerlei Anlass<br />
zum Gelderwerb als Söldner gaben. 1360 betrug sein<br />
veranlagtes Vermögen 20 Pfund (U. R. war damals<br />
der reichste Bürger), 1397 belief es sich auf 100<br />
Pfund. Und zuletzt zeigen die sehr wahrscheinlich<br />
von ihm geleisteten Zuwendungen an das Karme -<br />
literkloster (2. Hälfte 14. Jh.), die von ihm gestiftete<br />
Frühmesse in Raitenbuch (1407) und noch die letztwillige<br />
Verfügung an die <strong>Stadt</strong>kirche St. Andreas<br />
(1438 von den Erben vollzogen) einen recht traditionellen<br />
Zuschnitt seiner Frömmigkeit.<br />
17
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
In italienischen Akten werden als Reitersöldner Johannes<br />
Rigler und Konrad Rigler genannt. Konrad<br />
kann ebenfalls als Bildstifter ausgeschlossen werden.<br />
Er wird als Corradus bzw. Corado Righiler 1353 und<br />
1358 in päpstlichen Soldlisten im Zusammenhang mit<br />
der Rückeroberung der Kirchenstaatsprovinz Tuszien<br />
unter Kardinallegat Egidius Albornoz für Papst<br />
Innozenz VI. (1352-1362) vermerkt. 27 Er ist daher<br />
schon räumlich vom Volto Santo entfernt. Sodann<br />
wird er vom Bearbeiter der Soldlisten mit Ort und<br />
Burg Riegel am Kaiserstuhl (heute Lkr. Breisgau-<br />
Hochschwarzwald) verbunden. 28 Für eine südwestdeutsche<br />
Herkunft spricht nach Schäfer auch, dass<br />
1353 die 18 Reiter seiner Reitereinheit (= banneria in<br />
den ital. Akten) in der Mehrzahl aus dem Rheinland<br />
stammen und 1358 Konrad Rigler in der banneria des<br />
Siz (= Siegfried) de Ochimburg (= Offenburg in<br />
Baden) kämpft. In dem erhaltenen <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong><br />
Urkundenbestand usw. ist der Name nicht erwähnt.<br />
Auch der Name Johannes Rigler ist in <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong><br />
Urkunden nicht fassbar. Er steht nicht in der Umlagenliste<br />
von 1360. Ob er mit dem in der Urkunde<br />
<strong>Stadt</strong>archiv <strong>Weißenburg</strong> 1384 Juli 11 neben Ulrich<br />
Spalter und Stefan Kammerer zusammen mit seinem<br />
Bruder Ulrich genannten Hans Rigler identisch ist,<br />
erscheint überaus fraglich: schon weil die Urkunde<br />
alle vier mit einer Bürgschaft (eigentlich eine persönliche<br />
Verpfändung, so Kammerl) verbindet, die eine<br />
namentlich genaue Bezeichnung der Bürgen verlangt.<br />
Hans hieß daher tatsächlich so und nicht Johannes.<br />
Dafür spricht auch, dass in den Pisaner Akten der Vorname<br />
mit Johanno (als Dativ) vermerkt wurde, obwohl<br />
die Schreiber den Vornamen Hans sonst mit „Ansi“<br />
usw. wiedergaben. Einer Gleichsetzung von Johannes<br />
mit Hans steht zusätzlich entgegen, dass Johannes auf<br />
18<br />
jeden Fall älter als Hans gewesen sein muss. Denn<br />
setzt man seinen Söldnerdienst ab 1344 in sein drittes<br />
Lebensjahrzehnt, also etwa um sein 25. Lebensjahr,<br />
so ist seine Geburt um 1320 anzunehmen. Er hätte<br />
dann 1384 die Durchschnittslebenszeit (für Adel und<br />
Patriziat) von 50 Jahren bereits überschritten.<br />
Schließlich deutet der Name Hans als Mindername<br />
von Johannes darauf hin, dass er vielleicht vom Vollnamen<br />
eines Familienmitgliedes abgeleitet wurde, das<br />
Pate war und damit älter. Hans scheidet somit für die<br />
Pisaner Akten aus. Dies bestärkt die vermutete genealogische<br />
Stellung Johannes Riglers als Angehöriger<br />
der Vorgängergeneration oder einer Nebenlinie, wenn<br />
auch urkundlich völlig isoliert. Ein engerer Familienzusammenhang<br />
mit Ulrich und Hans ergibt sich dennoch<br />
daraus, dass – dies jetzt im Vorgriff auf die nachfolgenden<br />
Ausführungen – seine Bildstiftung im Chor<br />
sich einpasst in die ungefähr gleichzeitigen Zuwendungen<br />
der Familien Rigler, Spalter und Kam(me)rer<br />
für den Ostflügel des Karmeliterklosters mit den<br />
wichtigsten Räumen für das Klosterleben. 29<br />
In Pisanischen Listen ist nun dreimal ein Iohanno<br />
Righiler verzeichnet: 1344 (Februar bis April),<br />
1347/1348 (Dezember bis Januar) und 1349 (Juni<br />
bis August und Oktober bis Dezember). 30 Er dient als<br />
27 Schäfer, 2. Buch, II.: 1353, 1117 (S. 92) und 2. Buch, I.: 1358, 37 (S. 60).<br />
28 Schäfer, 2. Buch, I., S. 60 Anm. 2 mit Verweis nach S. 34 (analog zu<br />
Thomas Mos de Righilier unter Nr. 42; S. 45 unter Nr. 49 als Mos de<br />
Richiler geschrieben).<br />
29 Denkmaltopographie, S. 108-110 (109).<br />
30 Schäfer, 3. Buch: P 1344, 420 (S. 139 als Iohanni Lighiler. Die Vertau -<br />
schung von „l“ und „r“ kommt in den Akten öfters vor. Schäfer, 3. Buch,<br />
S. 379). P 1348, 615 (S. 157: Righiler); P 1349, 212 (S. 164: Righilier). Von<br />
Seidel/Silva diese Einträge bzw. die historische Person des Johannes Rigler<br />
nicht beachtet, nur allgemein „the Rigler family“ erwähnt. Siehe S. 178<br />
Anm. 57 und 58 (S. 195).
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
sog. selbstständiger Reiter mit einem Streitross<br />
(= equus) und einem Beipferd (= ronzino) in allen drei<br />
Soldzeiten immer in derselben banneria des Conrado<br />
de Bret/de Breech/de Brect (= Konrad von Berg oder<br />
von Bretten oder von Breech/Brabant?). Kämpft<br />
Johannes Rigler 1344 noch ohne Begleitreiter (dem<br />
sog. equitator), so ist er in der zweiten und dritten<br />
Dienstzeit mit einem zweiten Reiter zu einer Kampfeinheit<br />
zusammengeschlossen, von denen mehrere in<br />
einer banneria zusammengefasst wurden. 1344 reitet<br />
er noch allein neben Henrico de Vien, der dann<br />
1347/1348 sein equitator ist, 1349 ist es Guanerio de<br />
Gaul. 31 Die banneria umfasst jeweils mehrheitlich<br />
Namen aus dem Elsass, Schwaben und der Steiermark<br />
(Die Listen für die Jahre 1345 bis 1347 sind<br />
nicht vorhanden. Es ist aber anzunehmen, dass Johannes<br />
Rigler auch diese drei Jahre in Pisanischen<br />
Diensten zubrachte). Wir sehen hier eine über Jahre<br />
hinweg beständige, wohl auch mit der Zeit persönlich<br />
vertiefte Beziehung zur Republik Pisa, zum Führer<br />
der banneria und zum Nebenmann im Kampf, die<br />
auch für andere Soldritter festzustellen ist. So diente<br />
Konrad von Berg in Pisa von 1335 bis 1354. Die Söldner<br />
mussten ihre Pferde und die Rüstung aus eigenen<br />
Mitteln stellen, was entweder eigenes Vermögen oder<br />
eine Kreditaufnahme verlangte. Wie völlig durchkommerzialisiert<br />
seitens der Pisaner Kaufleute dieses<br />
Zumarktetragen der Söldnerhaut war, zeigt die Regelung,<br />
dass nur getötete Pferde geldwert ersetzt wurden.<br />
Fand der militärische Gastarbeiter den Tod, erhielten<br />
seine Erben nur den ausstehenden Sold. Für<br />
Begräbnis und Grabstein sorgten die Ehefrau oder die<br />
Kameraden. 32 Johannes Rigler folgte dem Vorbild Tausender<br />
aus dem Adel und dem Patriziat der Städte im<br />
Reich wie auch aus anderen Feudalstaaten Europas.<br />
Abb. 6: Der Spielmann. (Foto: <strong>Stadt</strong>archiv <strong>Weißenburg</strong>)<br />
31 Schäfer, 3. Buch: P 1344, 421 (S. 139), P 1348, 616 (S. 157), P 1349, 213<br />
(S. 164).<br />
32 Schäfer, 3. Buch, S. 39.<br />
19
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
Sie alle – Deutsche, Engländer, Franzosen (Burgunder,<br />
Bretonen), Spanier (Katalanen), Ungarn und Italiener<br />
– suchten sich im Kriegsdienst in Italien, hier im<br />
Dienst der toskanischen <strong>Stadt</strong>republiken, die Mittel<br />
für die gehobene Lebensführung zu erwerben, die ihnen<br />
die heimischen Verhältnisse nicht mehr gewährten. 33<br />
Die drei Dienstzeiten fielen in eine historische Phase,<br />
in der die Konkurrenzkämpfe der toskanischen <strong>Stadt</strong>republiken<br />
(vor allem von Florenz, Lucca, Pisa und<br />
Siena) nach der Annexion Luccas durch Pisa 1342<br />
(bis 1369) ohne größere militärische Auseinandersetzungen<br />
verliefen. Auf die banneria des Konrad von<br />
Berg wurde aber nicht verzichtet, und auch Johannes<br />
Rigler muss als Soldat geschätzt worden sein, da er<br />
mehrmals angenommen wurde. Seine Bewerbung in<br />
Pisa geschah wohl aufgrund der prokaiserlichen Haltung<br />
der <strong>Stadt</strong>republik. Das wäre für einen <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong><br />
Patriziersohn schon deswegen Beweggrund<br />
genug gewesen, weil seine <strong>Stadt</strong> ebenfalls auf gute<br />
Beziehungen zu Kaiser Ludwig dem Bayern (1314-<br />
1347) setzte wie später auch zu Kaiser Karl IV. (1347-<br />
1378) aus dem Hause Luxemburg. 34 Es fällt auf, dass<br />
er offen seinen persönlichen, bürgerlichen Namen gebraucht<br />
und sich nicht anonym nach der Heimatstadt<br />
nennt wie so viele in den Pisanischen Listen. 35 Außerdem<br />
zeigt sich in Rüstung, Wappen und Helmzier kein<br />
Unterschied zu den Abbildungen adeliger Stifter in<br />
dieser Zeit. 36 Das lässt auf ein starkes gesellschaftliches<br />
Selbstbewusstsein als Angehöriger des führenden<br />
Bürgertums schließen. Eine Stationierung in<br />
Lucca kann aus den Akten nicht belegt werden. Der<br />
Volto Santo wurde aber auch in Pisa verehrt, und es<br />
bestand damals schon eine lange Tradition seiner<br />
Verehrung gerade durch den ausländischen Adel. Hier<br />
hat Johannes Rigler das heilige Kreuz kennengelernt<br />
20<br />
und sich unter seinen Schutz gestellt. Die militärischen<br />
Einsätze gegen Florenz 1344, gegen Aufstände<br />
in Pisa 1347 und 1348 und zuletzt die Soldmonate im<br />
Jahr 1349 überstand er ohne Leibesschaden. Auch<br />
wenn der direkte Nachweis nicht möglich ist, so kann<br />
man doch anhand der Indizien diesen Iohanno<br />
Righiler als Stifter des <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> Volto Santo in<br />
Betracht ziehen. Aus Dankbarkeit gegenüber Gott hat<br />
er nach seiner glücklichen Rückkehr von einem Teil<br />
des gesparten Soldes das heilige Kreuz in der Karme -<br />
literkirche als Bild zur Andacht und zur Erinnerung an<br />
seine Dienstzeit in Pisa malen lassen. Auch hierin<br />
unterscheidet er sich nicht von seinen adeligen<br />
Kameraden, die ihren Sold für fromme Stiftungen<br />
verwendeten, die urkundlich überliefert sind. 37<br />
Merkwürdig ist, dass der Ehefrau kein Wappen beigegeben<br />
wurde – anders als etwa Gertrud von Bellers -<br />
heim auf dem Kronberger Bild (siehe Anm. 15).<br />
33 Siehe zum Absatz Selzer, S. 39-45.<br />
34 Jäger, S. 17.<br />
35 Bei Schäfer, 3. Buch, sind im Register für die Jahre zwischen 1324 und<br />
1387 21 Söldner mit einem Herkunftsnamen aufgeführt, der mehrheitlich<br />
als „<strong>Weißenburg</strong>“, vereinzelt auch als Weinsberg, Würzburg oder Güssen -<br />
burg (bei Ulm) gelesen werden kann. Unklar bleibt jedoch, ob <strong>Weißenburg</strong><br />
am Nordgau (heute in Bayern) oder <strong>Weißenburg</strong> im Elsass (heute<br />
Wissembourg/Bas-Rhin) gemeint war. Von Seidel/Silva, S. 178, mit Anm.<br />
59 ganz unkritisch verwendet. Selzer behandelt den so offensichtlich großen<br />
Anteil bürgerlicher Söldner distanziert. Vergleiche S. 191-204 (203-204).<br />
36 Vergleiche das ehemalige Wandbild in Kronberg/Taunus bei S/R, nach S.<br />
228. Zwar ist die Verwendung des Stechhelms für bürgerliche Wappen<br />
üblich, aber die Helmzier folgt adeligem Vorbild. Die in <strong>Weißenburg</strong> mit<br />
dem Helm verbundenen hörnerähnlichen Stangen sind keine heraldischen<br />
Formen, sondern dienten zur Befestigung von beweglichen Elementen, wie<br />
Federbüschen oder Rädchen, die beim Anritt gegen den Gegner im Wind<br />
flatterten bzw. sich drehten. Seyler, S. 117.<br />
37 Selzer erwähnt die Volto-Santo-Wandbilder nicht. Vergleiche Abschnitt<br />
„Mitbringsel“ (S. 330-337).
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
Der exponierte hohe Platz im Mönchschor ehemals<br />
hinter dem Lettner (!) wird nicht nur dem Ansehen<br />
des Stifterpaares und seiner eingesessenen Familie<br />
geschuldet sein, sondern ist auch ein Hinweis auf ein<br />
offenbar engeres Verhältnis des Konvents zum heiligen<br />
Kreuz von Lucca.<br />
Da die bisherige Datierung der Literatur in das letzte<br />
Viertel bzw. das späte 14. Jahrhundert mit ihrer starken<br />
Anbindung an die urkundliche Präsenz des Ulrich<br />
Rigler entfällt, kann ein älterer Ansatz gegeben sein. 38<br />
Hierzu bieten sich aus historischen Gründen frühestens<br />
das Jahr 1350 (Rückkehr des Stifters aus Italien<br />
bzw. Vollendung der Karmeliterkirche?) als terminus<br />
post quem an. Aus kunstgeschichtlicher Sicht ist das<br />
Jahr 1365 vorzuziehen, denn ab da zeigt sich die Gestaltung<br />
von Nase und Augen des Volto Santo auf<br />
böhmischen Wand- wie Tafelbildern. Auch dass<br />
Johannes Rigler in der Umlagenliste von 1360 nicht<br />
erwähnt wird, deutet in die Jahre danach. Als terminus<br />
ante quem könnte das Jahr 1377 in Frage kommen.<br />
Denn 1377 einigten sich die „Bürger vom Rat“ und<br />
die „Bürger der Gemeinde“ auf eine neue Ratsver -<br />
fassung, wohl nach vorangegangenen politisch-sozialen<br />
Auseinandersetzungen. Es ist zu beobachten, dass<br />
sich hiernach das frühere Patriziat allmählich aus der<br />
<strong>Stadt</strong> zurückzieht. Daher könnte – vorbehaltlich weiterer<br />
Forschungen – 1377 durchaus ein Enddatum an -<br />
geben, vor dem das Bild gemalt worden sein müsste. 39<br />
Das <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong> Wandbild zeigt ikonographisch<br />
eindeutig ein Christusbild und damit einen echten<br />
Volto Santo. Es wurde zu seiner Verehrung angebracht<br />
und in einem späteren neuzeitlichen Jahrhundert unverändert<br />
übertüncht. Eine spätere Verwendung als<br />
Kümmernisbild kann ausgeschlossen werden, wie<br />
schon die intakte Bildfläche ohne jeden malerischen<br />
Eingriff indiziert. Zudem finden sich in <strong>Weißenburg</strong><br />
keine Hinweise auf den Kult der Volksheiligen. Das<br />
Wandbild ist ein Zeugnis vergangener Frömmigkeit,<br />
aber auch des gesellschaftlichen Selbstbewusstseins<br />
eines Mitglieds einer der führenden <strong><strong>Weißenburg</strong>er</strong><br />
Familien. Kunsthistorisch steht es an erster Stelle unter<br />
den Wandbildern des Volto Santo nördlich der Alpen.<br />
Abb. 7: Der Chor der Karmeliterkirche<br />
vor der Schließung der Kirche (1966).<br />
Die Fresken befinden sich an der Nordwand (links).<br />
(Foto: <strong>Stadt</strong>archiv <strong>Weißenburg</strong>, Slg. Heinrich Walter)<br />
38 So auch Schädler-Saub, S. 270.<br />
39 Nach freundlichem Hinweis von <strong>Stadt</strong>archivar Kammerl vom 15.6.2011.<br />
21
Arndt Müller – Das Volto-Santo-Wandbild in der Karmeliterkirche zu <strong>Weißenburg</strong> i. Bay. 1/2012<br />
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Abb. 8: Das Fresko im Zeitraum zwischen<br />
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endgültigen Freilegung (1928).<br />
(Foto: <strong>Stadt</strong>archiv <strong>Weißenburg</strong>)
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Seyler, Gustav A.: Geschichte der Heraldik. Siebmacher’s<br />
großes Wappenbuch. Band 7, Neustadt/Aisch 1970, Reprint<br />
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Spieß, Karl von: Die Heilige Kümmernis, in: Marksteine der<br />
Volkskunst, 2. Teil (Jahrbuch für historische Volkskunde<br />
VIII., IX. Band), Berlin 1942, S. 191-249.<br />
Spieß, Karl: Zwei neuaufgedeckte Voltosanto-Kümmernis-<br />
Fresken im Rahmen der Kümmernisfrage, in: Österreichische<br />
Zeitschrift für Volkskunde, Gesamtband 54/1951, S. 9-<br />
25 (Heft 1-2) und S. 124-142 (Heft 3-4), Wien 1951<br />
Arndt Müller, Jahrgang 1942, Buchhändler in Frankfurt<br />
am Main, Mitglied des Vereins Rieser Kulturtage,<br />
dort seit vielen Jahren mit Vorträgen und Exkursionen<br />
aktiv; u. a. veröffentlichte er 2007 eine Arbeit zum Thema<br />
„Bilder des Volto Santo und der hl. Kümmernis im<br />
Ries und in seiner Umgebung“.<br />
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