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T.C. BOYLE<br />

"Wie man die Welt<br />

rettet und si ch dabei<br />

a müsi ert" − di eses<br />

Motto trifft nur bedi ngt<br />

auf di e Anstrengungen<br />

von Ty Tierwater,<br />

Ökoterrori st z wischen<br />

1989 und 2026, zu.<br />

T.C.Boyle:Ein Freund<br />

der Erde, Roman aus<br />

demAmerikanischen<br />

("AFriend ofthe Earth",<br />

VikingPenguin New<br />

York 2000)von Werner<br />

Richter, Hanser Verlag<br />

München 2001, 356 S.,<br />

876 LUF.<br />

Luxe mbourg 1<br />

Port Payé<br />

P/S. 332<br />

598/01<br />

ettet di e Erde, falls es<br />

ichlohnt!<br />

Dieser Roman, umdie Jahr-<br />

tausendwende geschrieben,<br />

hat die drohende Kli maka-<br />

tastrophe, die Bemühungen<br />

von I ndividuen und Organisa-<br />

ti onen à l a "Fri ends of the<br />

Earth" u m deren Abwendung<br />

sowie den bevorstehenden<br />

Weltuntergang durch eben die-<br />

se Kli makatastrophe i m Jahr<br />

2026 zum The ma. Undist we-<br />

der peinlich aufklärerisch<br />

noch lähmend moralisierend<br />

noch ein reißerischer Öko-<br />

thriller. Wer den Autor des<br />

Ro mans Ein Freundeder Er-<br />

de kennt, stellt sich aufeinen<br />

Stur m von sl apsti ckhaften<br />

Anekdoten, satirisch−grotes-<br />

ken Übertrei bungen und un-<br />

entwegten Regengüssen von<br />

zynischen Erkenntnissen über<br />

e l i b r i s<br />

die Hybris von Gut und Böse<br />

ein. Seit über 15 Jahren be-<br />

glückt der kalifornische Kult-<br />

autor T. Coraghessan Boyle<br />

seine große Fangemeinde mit<br />

satirischen Perl en aufdemNi-<br />

veau von Weltliteratur. Und<br />

immer wieder geli ngt es i hm,<br />

si e zu irriti eren und vor den<br />

Kopf zu stoßen, ohne dabei<br />

amEnde das Terrain des ame-<br />

ri kanischen Kitsches ganz zu<br />

verl assen.<br />

08/01<br />

Die Ökoszene der USA, die<br />

zur Zeit von der am Tropf der<br />

Erdöli ndustrie hängenden<br />

Bush−Regierung arg gebeutelt<br />

wird, kann sich sicherlich ei-<br />

nen sch meichelhafteren Spie-<br />

gelvorihremGesichtvorstel- len als die fast vierzigjährige<br />

Karri ere des Ökoterroristen<br />

Tyrone O'Shaughnessy Tier-<br />

water. DabeibeginntdasBuch<br />

gerade i n de m Ambiente, wie<br />

si ch UmweltschützerInnen<br />

heute dieLage des Planeteni m<br />

Jahr 2025 vorstellen mögen.<br />

Seit Monatentobeni m mittler-<br />

weile überbevölkerten Kalifor-<br />

nien heftige Orkane, die Re-<br />

gion ersäuft i n den Wasser-<br />

massen, Hochhäuser stürzen<br />

zusammen, derweil i n Brasi-<br />

lien und Afrika absolute Dürre<br />

herrscht, i n Nor wegen Wein<br />

und an der Loire Reis ange-<br />

baut wird, North−Caroli na und<br />

nicht mehr Mali bu das Mekka<br />

der Milli onäre ist. Ty Tierwa-<br />

ter, mittlerweile 75,arbeitet in<br />

der Resi denz des Popstars<br />

Maclovio Pulchris als Tierpfle-<br />

ger. Es gibt kaum noch Tiere<br />

auf Erden, und Mac hat sich<br />

vorgeno mmen,geradedie Ras-<br />

sen zu retten, die kein Mensch<br />

mag: Hyänen, Füchse, Wasch-<br />

bären...<br />

"Backtothe roots" katapul-<br />

ti ert wird Ty, als seinefrühere<br />

Ehefrau Andrea mit einer Be-<br />

kannten aus der Ökoszene der<br />

90er Jahre auftaucht. I hr An-<br />

si nnen i st es, eine Biographie<br />

der Tochter von Tierwater aus<br />

erster Ehe zu schreiben. Diese<br />

Tochter Sierra war 1 997 nach<br />

zweijähriger Besetzung von ei-<br />

ne m Redwood−Baum gestürzt<br />

und zur Jeanne d'Arc der Öko-<br />

bewegung geworden. OhneBe-<br />

geisterung willigt Ty ein und<br />

lässt für die LeserInnen sein<br />

Leben als Ökoterrorist Revue<br />

passi eren.<br />

Ein völlig verrückte Story<br />

umeinenausgerastetenIndivi-<br />

dualisten,derausgezogenwar,<br />

die Welt zu retten und sich da-<br />

bei selbst zu erfüllen. Dieser<br />

Typ des a meri kanischen Öko-<br />

freaksistbeiunsinEuropawe- nig bekannt: Von politischer<br />

Theori e kaum beleckt, wider-<br />

willig i n oder mit organisatori-<br />

schen Strukturen kooperie-<br />

rend, amEnde dochlieber als<br />

einsamer Trapper seine "rage<br />

against the machine" austo-<br />

bend und letztendlich mehr<br />

auf sein Ego als auf politisch<br />

konsequentes Agieren be-<br />

dacht. De m stehtderehereu-<br />

ropäische Typ der Umweltakti-<br />

vistin gegenüber: Andrea ist<br />

Vorsitzende der militanten Or-<br />

ganisati on " Earth Forever!",<br />

die sich inzwischen von bli n-<br />

der Militanz distanziert hat<br />

und vornehmlich Lobbyarbeit<br />

in Presse und Politik betreibt.<br />

Im Grunde nutzt Andrea den<br />

Sponti Ty als medienwirksa-<br />

mer Katalysatorfürihren hart-<br />

näckigen Lobbyismus. Boyle<br />

benutzt für seinen Eulenspie-<br />

gelroman derzeit real existie-<br />

rende Figuren der US−Umwelts-<br />

zene."EarthForever!" stehtfür<br />

"Earth First!", die radikalste<br />

BRYAN MAGEE<br />

Geschi chte der<br />

Organisati on der USA, die für<br />

Phil osophi e<br />

Di eses Buch bi etet ei nen i nteressanten<br />

Ei nbli ck i n di e Geschi chte<br />

der Phil osophi e, von der gri echischenAntike<br />

bis zur Gegenwart,<br />

von Sokrates, Pl aton und Ari stotel<br />

es über Descartes, Hu me, Vol-<br />

ihre Blockaden und Baumbetaire, Rousseau, Kant und Schosetzungen<br />

bekannt geworden penhauer bi s zu Marx, Nietzsche<br />

ist. Und Tys Tochter Sierraist und Popper. Das Buchi sti n neun<br />

keineandereals Julia Butterfl y chronol ogi sch geordnete Kapitel<br />

Hill, die es allerdings geschafft<br />

unterteilt, wori n jeweil s di e The-<br />

hat, nach z wei Jahrenvonihre<br />

mbesetzten Baum"Luna" lebend<br />

herunterzukommen.<br />

Boyles Schil derungen der<br />

sen der ei nzel nen Phil osophen<br />

zusa mmengefaßt und auf verständli<br />

che Wei se erkl ärt werden.<br />

Lage der Welt um 2025 sind<br />

Das Buch i st rei ch an Ill ustrati o-<br />

zwar recht krass, doch nicht nen, Portraits der Denker und<br />

unbedingt penetrant undapoFotos<br />

von Kunstwerken der jekalyptisch<br />

breitgetreten, sonweiligen Epoche, die in Zusamdernals<br />

schockierende Nebenmenhang mit der Philosophie<br />

sätze in die Story eingeblen- stehen. Es i st kei ne gute I dee,<br />

det. Überhauptfehlt dem Ro- das Buch von vorne nach hi nten<br />

man jegliches didaktische An- durchl esen zu woll en, da es trotz<br />

si nnen, so dass er sich sicher-<br />

all e mi m mer noch et was trocken<br />

lich nicht als bell etristischer<br />

Anhang der " Worl dwatch Reports"<br />

eignet.<br />

Nun,imJahre2026,istder<br />

bl ei bt, und man nachher ni cht<br />

mehr genau wei ß, wel che Theori<br />

e jetzt wel che m Phil osophen<br />

Planet so wie er ist, nämlich<br />

zuzuordnen i st. Es ei gnet si ch je-<br />

fast am Ende, und in der doch hervorragend al s Nach-<br />

Schlussszenein der abgefuckschl agewerk, unter andere m weten<br />

Bar beichtet Ty Andrea, gen des Glossars, wo die wich-<br />

dass er heimlich Ökoterroristi gsten Begriffe der Phil osophi e<br />

mus, der alles andere als p.c. erkl ärt werden, oder wenn man<br />

und taktisch geschickt gewe- si ch über na mhafte Phil osophen<br />

sen ist, betrieben hat: "(...) genauer i nfor mieren möchte. Auf<br />

'undwei ßtduwas?Ichwürdees<br />

ungefähr jeder zwei ten Sei te be-<br />

wieder tun. Gern sogar. − Und<br />

was hast du erreicht? Sieh dich<br />

doch u m,siehdich nur umund<br />

beantworte mir das.' Das ist es,<br />

fi ndet si ch ei n ber üh mtes Zitati n<br />

Großschrift, mit dem Namen des<br />

jeweili gen Phil osophen. Mei n<br />

der Punkt, aufdenwir hingear-<br />

Tipp: Das Buch einfach durchbeitethaben,derSinn<br />

von allebl ätter n, di e ei nzel nen Zitate lede<br />

m,durchwie viele Jahre hinsen, und das Kapitel über den<br />

durch und wie viele Verluste Phil osophen, dessen Zitat ei nem<br />

hindurch, kannichnichteinmal zusagt, ei ngehender studi eren.<br />

ansatzweise zählen, und die Ichhabeesnämli ch trotz großen<br />

Antwortliegt mir aufdenLippen I nteresses ni cht geschafft, das<br />

wie ein Brocken von etwas so Buch von vorne bi s hi nten durch-<br />

Eklige m und Bittere m, dass<br />

zul esen. Dennoch hat mir das<br />

man nicht anderskann, als es<br />

auszuspucken. 'Nichts', sage<br />

ich. 'Überhauptnichts.' (...)".<br />

Doch halt mal, hatten wir<br />

Buch sehr gut gefall en, da es<br />

sehr verständli ch i st und man erfährt,<br />

was ei gentli ch hi nter den<br />

nicht gesagt, dass unser Kult-<br />

oft gehörten Namen verschi edeautor<br />

bei aller Satire und alle m ner Phil osophen steckt, aber<br />

Zynismus i m Grunde doch ein auch wegen der vielen ausge-<br />

politischer Romanti ker ist? zei chneten Ill ustrati onen.<br />

Und deshalb gibt's, wie in ei-<br />

Núri@(16)<br />

ne m Hollywood−Schinken, einen<br />

Epil og als Nachschlag, wo<br />

Ty und Andreai n dieSierra Nevada<br />

hochfahren. Dorthin, wo<br />

- Kli makastrophe hin oder<br />

her -, si ch die Natur das Terrain<br />

der umgestürzten Bäume<br />

zurückerobert. Und die Frage<br />

eines Mädchens − einer neuen<br />

"Sierra"− ob die Hyäneanihrer<br />

Leine ein Hund, ein Afghane<br />

sei, darf Ty bejahenund hinzufügen:<br />

"Und ich, ich bin ein<br />

Mensch." Wenn das nicht<br />

schönist?<br />

Bryan Magee:Geschichte<br />

der Philosophie, aus<br />

Robert Garcia demEnglischen ("The<br />

StoryofPhilosophy",<br />

Dorling Kindersley<br />

London 1998)von<br />

Sibille Mischer und<br />

Birger Brinkmeier,<br />

Gerstenberg Verlag<br />

Hildesheim2000,240S.,<br />

1. 276 LUF.<br />

Redakti on: Li eszeechen asbl – Bei tr äg e vo n Ni n a Gar ci a, Núri a Gar ci a,<br />

RobertGarcia, SuzanneKönig, MaïtéKrippler, Yannick Krippler, Nelly<br />

Rech-Eirich, Angela Wi charz-Lindner, u. a.


II<br />

BAHI YYIH NAKHJAVANI:<br />

Di e Satt elt asche<br />

(sk) − Auf dem Pil ger weg zwischen<br />

Mekka und Medi na wird MItte des<br />

19. JahrhundertsdasSchicksal von<br />

neun Menschen durch ei ne Satteltasche,<br />

di e gehei mni svoll e Schriftrollen<br />

enthält, tiefgreifendverändert. Der j unge Bedui ne, ei n raffi ni erter<br />

Di eb, der zu den unzähli gen Räuber n<br />

gehört, di e an den Karawanenstrecken<br />

l auern, u m di e rei chen Pil ger zu<br />

überfall en, kommt alsersterinVerbi<br />

ndung mit der Satteltasche. Es folgen<br />

di e bl utj unge Braut i n i hrer Hochzeitssänfte, di e − wegen der<br />

überaus großzügi gen Mitgift von türkischen Soldaten bewacht − auf<br />

de m WegzuihremBräutigamin Damaskusist, der Hauptmannder Räuber, zu dessen Bande der junge Bedui ne gehört, ei n sch mieriger<br />

Gel dwechsler ausIndien, dielängstin die Freiheit entlasseneSkla vin der Braut, ein alter Mannaus China, ein blutjunger, fanatischer<br />

Mull ah, ei n rätsel hafter Der wi sch und schli eßli ch noch di e Lei che<br />

ei nes auf der Pil gerfahrt verstorbenen sch werrei chen Kauf manns.<br />

Für jeden ei nzel nen bedeuten di e Satteltasche und i hr I nhalt etwas<br />

anderes, birgtsie eine Erkenntnis oder die Wahrheit. All e Geschi chten<br />

greifen i nei nander, aus neun verschiedenen Perspekti ven wird<br />

di e Geschi chte der Satteltasche erzählt, und entstanden i st ei n wunderschönes<br />

Märchen wie ausTausendundei ner Nacht.<br />

Bahiyyih Nakhjavani: Die Satteltasche ("The saddlebag"),Deutsch<br />

von Anette Grube, btb− Goldmann Verlag,<br />

München,2001,250S., 924 LUF.<br />

MURI EL SPARK: Frau Dr. Wolfs Methode<br />

(sk) − Dr. Hil degard Wolfistin Paris eine anerkanntePsychologin, i hre Beratung sehr gefragt. Ei nes Tages erscheint ein Manninihrer<br />

Praxi s, der von si ch behauptet, Lord Lucan zu sei n, der i m Nove mber<br />

1 974 di e Nanny sei ner Kinderermordethabensollundseitdem abgetauchtist. Merkwürdig ist nur, dass sich bereitsein anderer<br />

Mann i n Behandl ung bei i hr befi ndet, der si ch Robert Wal ker nennt,<br />

all erdi ngs ebenfall s von si ch behauptet, Lord Lucan zu sei n. Bei de<br />

ähnel n de m Mann auf den Fotos aus den si ebzi ger Jahren, doch eines<br />

i st kl ar: Ei ner von bei den l ügt. Dr. Wolf hat i hrerseits kei ne ganz<br />

wei ße Weste, und sehr schnell wird deutlich, dass sie miti hrer Vergangenheit<br />

erpresst wird.<br />

Der Fall des Lord Lucan, der bei de m Versuch, sei ne Ge mahli n u m<br />

di e Ecke zu bri ngen, wohl versehentli ch das Kindermädchener wi scht, abtaucht und von Gönnern j ahrzehntel ang i m Untergrund fi -<br />

nanzi ell unterstützt und vor den Er mittl ungen der Polizei geschützt<br />

wird, ist die Grundlage dieses Kri mis von Muriel Spark, derjedoch<br />

nicht sonderlichzufesseln vermag. So richtig schlau wird man<br />

ni cht aus der Ent wi ckl uung der Di nge, und das Ende der Geschi chte<br />

ruft ei ne gewi sse Ratl osi gkeit hervor. Besti mmt nicht ihr größtes<br />

Werk.<br />

Muriel Spark:Frau Dr. WolfsMethode("Aidingand<br />

Abetti ng"VikingLondon, 2000), ausdemEnglischen von<br />

Hans−Christi an Oeser,Diogenes VerlagZürich 2001,<br />

175 S., 724 LUF.<br />

MARCELLO FOI S:<br />

Roter Regen<br />

(awl) − Sizilien hat Andrea Camill eri,<br />

nun zi eht Sardi ni en nach. Der 1 960<br />

i n Nuoro geborene Schriftstell er<br />

Marcell o Foi s i st i nz wischen zum<br />

Star der i tali eni schen Kri miszene<br />

avanci ert. I n Himmelsblut, dem<br />

zwei ten Roman u m den fei nsi nni gen<br />

Avvocato Busti anu, der ebenso begei<br />

stert aufgeno mmen wurde wie<br />

sei n Vorgänger ( Tausend Schritte),<br />

muss der noch bei sei ner Ma mvoll<br />

en Sel bst mord aufkl ären.<br />

ma l ebende An wal t ei nen gehei mni s-<br />

Fi nstere Fa mili enbande kommen da<br />

ans Li cht, und auch ei n hübsches Fräul ei n, das Busti anu den Kopf<br />

verdreht, schei nt i n das Dra ma ver wickeltzu sein. Den Hintergrund<br />

di eser Geschi chte bil det der stets präsente rote Regen, der di e I nsel<br />

mit Wüstensand ei nschl ämmt. Ort der Handl ung i st ei n Dorf i n der<br />

Barbagi a, di eser auch heute noch ver wunschenen Bergwel t Zentral -<br />

sardi ni ens, zur Zeit des ausgehenden 1 9. Jahrhunderts. Ei n sympathi<br />

sch alt modi sch erzählter Kri mi, der sich wohltuend abhebt von<br />

der Sex−and−Cri me− Massen ware. Dabei mitnichten ei n Camill eri−<br />

Pl agi at, sondern ei ne echte literari sche Entdeckung, erschi enen i n<br />

ei ner<br />

Verl ag.<br />

sor gfäl ti g ge machten Taschenbuchausgabe bei m Di ana−<br />

Marcello Fois: Himmelsblut, Roman aus demItalienischen<br />

("Sangue dal cielo", Edizioni Frassinelli) von<br />

Petra Kaiser und Peter Klöss, Diana Verlag München<br />

2001, 175 S., 308 LUF.<br />

ex li bri s<br />

ANI PACHEN/ADELAI DE DONNELLY<br />

Ein Bergvon Kummer<br />

Di e Rei se ei ner<br />

ti beti schen Kri eger-<br />

nonne. "Li cht i m<br />

Dunkel der Nacht" − so<br />

der et was bl ässli che<br />

deutsche Titel −<br />

beri chtet von der<br />

Tibeterin Ani Pachen.<br />

AniPachen/Adelaide<br />

Donnelley:LichtimDunkel<br />

der Nacht, Roman<br />

aus demamerikanischen<br />

Englisch ("Sorro w<br />

Mountain. TheJourney<br />

ofaTibetan Warrior<br />

Nune" Kodansha America,<br />

NewYork)von<br />

Jochen Eggert, Wolfgang<br />

Krüger VerlagFrankfurt<br />

2001, 352 S., 878 LUF.<br />

RI TA MAE B RO WN<br />

Runnymede auf der<br />

Gr enze z wischen<br />

Maryl and und<br />

Pennsyl vani a i st<br />

wieder der Schauplatz<br />

für die Kabbeleien<br />

zwischen Julia Ellen<br />

und Louise.<br />

Rita Mae Brown:Böse<br />

Zungen,("Loose Lips",<br />

BantamBooks,New<br />

York), Deutsch von<br />

Margarete Längsfeld,<br />

Rowohlt Verlag Reinbek<br />

2001, 512 S., 988 LUF.<br />

Sie wird als einziges Kindei-<br />

nes Clan−Oberhauptes in der<br />

östli chen ti betischen Provinz<br />

Kha m geboren. Ihre sorglose<br />

Kindheit verläuft har monisch.<br />

1950 widersetzt sie sich einer<br />

arrangierten Ehe und be-<br />

schließt, Nonne zu werden.Im<br />

gleichenJahr wirdi mZuge der<br />

Kulturrevoluti on die Provinz-<br />

hauptstadt Cha mdo von chi-<br />

nesischen Truppen erobert.<br />

Doch erst 1 954 spitzt sich die<br />

Lage i n Pachens Wohnort<br />

Lhe mda zu.<br />

Zwei Jahrespäter muss si e<br />

ihrem spirituellen Leben<br />

entsagen, umsichaufeine Zu-<br />

kunft als Landesfürstin vorzu-<br />

bereiten. Nach demTod i hres<br />

Vaters wird sie zum einzigen<br />

weiblichen Clan−OberhauptTi-<br />

bets und kä mpft ge meinsam<br />

mit den anderen Stammesfür-<br />

stenfür die Freiheit ihres Lan-<br />

des. Als es Anfang März 1 959<br />

zumVolksaufstand der Tibeter<br />

kommt, setzen die Chinesen<br />

Flugzeuge und Bomben gegen<br />

die nur mit Schwertern und<br />

Gewehren ausgerüsteten Tibe-<br />

ter ein. Wie viele andereflieht<br />

auch Pachen mitihremStamm<br />

in die Berge, wosiespäter ge-<br />

fangen genommen wird. Als<br />

Anführerin ihres Clans wird<br />

si e "schwerer Verbrechen" be-<br />

schuldigt undals einzige Frau<br />

wie eine männliche Gefangene<br />

behandelt. Es folgen Verhöre<br />

und Folterungen, bei denen<br />

Schläge und Umerzi ehungs-<br />

schulungen noch die mil deste<br />

Sankti onsfor m darstellen. Im<br />

Lauf i hrer 21 Jahre währenden<br />

Haft, muss Pachen unter an-<br />

dere m Fußfesseln tragen und<br />

eine neunmonati ge Dunkel−<br />

und Einzelhaft durchleben.<br />

Nach i hrer Haftentl assung<br />

1981 verbringt sie den<br />

größten Teil i hrer Zeit in Lhasa.<br />

Dort kommtesimSeptember<br />

1 987 zu erneutem Widerstand,<br />

an dem auch sie sich<br />

akti v beteiligt. Nun wird sie<br />

wieder von den Chinesen beschattet<br />

und bereitet daraufhin,<br />

mit 56 Jahren, ihreFlucht<br />

aus Tibet vor.1998erreichtsie<br />

Dhara msala, die nordindische<br />

Exil hauptstadt des Dalai Lama<br />

und anderer Exilti beter. Hier<br />

erfüllt sich dann endlich i hr<br />

Wunsch,dersiediejahrelange<br />

Haftzeit hat ertragen lassen:<br />

Sie trifft den Dalai Lamaund<br />

wird endlich Nonne.<br />

Eigentli ch ist diese Lebensgeschichte<br />

recht außergewöhnlich.<br />

Leider ist i m Buch<br />

daraus fast eine Soap geworden.<br />

Darüber hilft auch das<br />

Geleitwort des Dalai Lama<br />

nicht hinweg, der i m Übrigen<br />

nicht auf das Buch, sondern<br />

nur auf die Situati on Tibets<br />

und das Leben Pachens ein-<br />

Neues von den<br />

Hunsenmeir−Schwestern<br />

Der geneigten Leserschaft<br />

si nd si e vielleicht schon aus<br />

den vorherigen Werken Jacke<br />

wie Hose und Bingo von Rita<br />

Mae Brown bekannt: Julia Ellen,<br />

gennant"Juts", kinderlos,<br />

kettenrauchend, lebenslustig,<br />

frech, egoistisch und protestantisch,<br />

und ihre ältere<br />

Schwester Louise, genannt<br />

"Wheezie", nicht altern wollendes<br />

erzkatholisches Moralapöstelchen,<br />

das Mann, die<br />

beiden Töchter Mary und Maizi<br />

e und gerne auch die restliche<br />

Ver wandschaft unter die<br />

belehrende Fittiche nimmt.<br />

Im April 1 941 geraten die<br />

unzertrennlichen und dennoch<br />

ewig streitlustigen<br />

Schwestern mal wieder aneinander,<br />

weil Louise nicht zugeben<br />

will, dass i hr vierzigster<br />

Geburtstag vor der Tür steht.<br />

Die anschließende Rauferei in<br />

Cadwalders Drugstore hinterläßt<br />

Schäden in Höhe von<br />

knapp vierhundert Dollar und<br />

beschert den Schwestern eine<br />

fette Schlagzeile i n der Lokalpostille.<br />

Die geplagten<br />

Ehe männer der beiden Streithennen<br />

verdienen nicht allzu<br />

gut, und u m diese für damali-<br />

ge Verhältnisse ungeheure<br />

Summe aufzubringen, be-<br />

schließen die beiden Schwe-<br />

stern, einen Friseurladen zu<br />

eröffnen, der sich unter den<br />

Da men der Kleinstadt bald<br />

zum Hit bzw. zur Tauschbör-<br />

se für allerlei Klatsch und<br />

Tratsch entwickelt.<br />

PlötzlichtobtinEuropader<br />

zweite Weltkrieg. Was zu-<br />

nächst noch weit entfernt<br />

schien, gehörtauchfürRunny-<br />

mede bald zur Realität. Viele<br />

Männer verlassen die Stadt,<br />

umin den Kri eg zu zi ehen, die<br />

verbliebenen Bewohner ma-<br />

chen Luftschutzübungen und<br />

bewachen nachts den Himmel.<br />

Auch einige der j ungen Frauen<br />

meldensichzumKri egsdienst.<br />

Ewiger Streitpunkt ist die<br />

Kinderlosigkeit von Juts, der<br />

Louisei mmer wieder unter die<br />

Nase reibt, dasssievomLeben<br />

sowieso keine Ahnung hat,<br />

denn wer keine Kinder hat,<br />

und so weiter. Als Juts undi hr<br />

Mann Chester beschliessen,<br />

einKindzuadoptieren,trifftes<br />

si ch gerade gut, dass Rill ma<br />

Ryan nach einer Kri egsaffaire<br />

mit einemverheirateten Solda-<br />

ten zufällig eins zu viel hat. So<br />

598 - 20/7/2001<br />

geht. Das nachfolgende pom-<br />

pöse Vor wort von Richard<br />

Gere l ässt dann aber schon<br />

Schli mmes erahnen. Hätte Ani<br />

Pacheni hre Lebensgeschichte<br />

selbst aufgeschrieben, wäre<br />

wahrscheinlich eine faszinie-<br />

rendeAutobiographieentstan- den. So aber fühlte sich die<br />

ameri kanische Psychologin<br />

Adelaide Donnelly berufen,<br />

dies aufgrund von Interviews<br />

zu tun. DabeilässtsiePachen<br />

inderIch−For müberihr Leben<br />

berichten. Sie fühlt sich aber<br />

immer wieder bemüßigt, eige-<br />

nes Hintergrundwissen einzu-<br />

arbeiten, was einerseits oft<br />

aufgesetzt wirkt, andererseits<br />

zu viele Fragen offen lässt.<br />

Eine gesonderte Zeittafel der<br />

Geschichte Tibets, eine kurze<br />

Darstell ung des Buddhismus<br />

und eine Erklärung der ver-<br />

wendeten ti betischen Aus-<br />

drücke hätten hier wohl mehr<br />

bewirkt. Zude m hat Donnelly<br />

zugelassen, dass sich eine<br />

Freundin "der ersten Kapitel<br />

mit ihrem poetischen Feinge-<br />

fühl angenommen" hat. Gera-<br />

de diese Seiten aber triefen<br />

von einer solchen Rührselig-<br />

keit, dass die Rezensenti n<br />

mehr als einmal dazu geneigt<br />

hat, das Buch einfür alle Mal<br />

aufdieSeite zulegen. DerHoff-<br />

nung der Autorinnen, ein Por-<br />

trät des ti betischen Volkes zu<br />

bieten und seine spirituelle<br />

Weisheit widerzuspiegeln,<br />

wird das Buch so keinesfalls<br />

gerecht.<br />

Nelly Rech−Eirich<br />

kommt Nicky in die Familie,<br />

und Juts, dieihr Kindeher un-<br />

konventi onell erzieht, treibt<br />

Louise damit noch heftiger i n<br />

den Wahnsi nn.<br />

Die Hunsenmeir−Schwe-<br />

stern treiben es gewohnthef-<br />

ti g und bunt. Juts überziehtih-<br />

re bisweilen recht morali nsau-<br />

re Schwester mit ätzendem<br />

Sarkas mus, Wheezie wie-<br />

derumversuchtebensouner- müdlich wie vergeblich, Nicky<br />

zu einerjungen Damezuerzie-<br />

hen und i hre Schwester auf<br />

den rechten Weg zu bri ngen.<br />

Wir begleiten die beiden und<br />

die sympathischen Bewohner<br />

von Runnymede über etliche<br />

Jahre, erleben Trennungen<br />

und Hochzeiten, Geburten<br />

und Todesfälle,einensouverä-<br />

nen Sheriff undlästi ge Schwie-<br />

ger mütter, wir besuchen ver-<br />

schiedene Gottesdienste mit<br />

erheiternden Episoden, verfol-<br />

gen die mühsamen Schlich-<br />

tungsversuche von Cora, der<br />

Mutter der beiden,nehmen an<br />

unzähligen Verbalschlachten<br />

und tätli chen Auseinanderset-<br />

zungen teil und beobachten<br />

vergnügt den Einfallsreichtum,<br />

mit dem die Schwestern sich<br />

immer wieder gegenseitig eins<br />

auswischen. Der Tenor bleibt<br />

jedochstets heiter und gelöst,<br />

und schließlich wird alles gut.<br />

Das i deale Sommerbuch für<br />

gutgelaunte Pool−, Strand−und<br />

GartenstuhlfaulenzerIinnen.<br />

Suzanne König


ex li bri s<br />

20/7/2001 - 598 III<br />

TREZZA AZZOPARDI<br />

ie Asche meines Vaters<br />

Maltesi sches<br />

Immigrantenmili eu i n<br />

der walisischen<br />

Hafenstadt Cardiff.<br />

Ei n Spi el er und sei ne<br />

fünf Töchter.<br />

Trezza Azzopardi: Das<br />

Versteck,Roman aus<br />

demEnglischen ("The<br />

HidingPlace", Picador<br />

London 2000)von<br />

Monika Schmalz, Berlin<br />

Verlag Berlin 2001,<br />

357 S., 876 LUF.<br />

Trezza Azzopardi<br />

VOLKER PI SPERS<br />

Der Düssel dorfer<br />

Kabaretti st Vol ker<br />

Pi spers i st ni cht nur<br />

ei n gr andi oser<br />

Rechenkünstl er,<br />

sondernauchein<br />

höchst scharfzüngi ger<br />

Kommentator der<br />

Realität, der "echten"<br />

wie der "gefühlten".<br />

Schicksalein der Emigrati on<br />

si nd l eichte Beute für gewitzte<br />

SchriftstellerInnen. Auf diese<br />

Weise hat FrankMcCourt mit<br />

"Die Asche meiner Mutter" ei-<br />

nen Weltbestseller geschrie-<br />

ben. Undauchbeidiesem, nur<br />

teil weise autobiographisch ge-<br />

prägten Ro man Das Versteck<br />

der i n Cardiff geborenen engli-<br />

schen Autorin mit dem exoti-<br />

schen Namen Trezza Az-<br />

zopardi fühlt man sich an<br />

Asche erinnert.<br />

In den fünfziger Jahren lan-<br />

det der Emigrant Jackie aus<br />

Malta i m unansehnlichen Ha-<br />

fen von Cardiff, der ökonomi-<br />

schen Hauptstadt der nieder-<br />

gehenden Kohleregion Wales.<br />

Er teilt seine Bleibe bei einem<br />

Schlafhändler mit seinem<br />

Land mann Joe Medano, der<br />

alsbald den Absprung i n die<br />

okkulte Geschäftswelt der Ha-<br />

fenstadt schafft. Joe verschafft<br />

Jack einen Job, doch Jackist<br />

ein Spieler. Er verliert nicht<br />

nur sein Haus anJoe Medano,<br />

sondern gar eine seiner fünf<br />

Töchter. Die Geschichte schil-<br />

dert den ge meinsamen und ge-<br />

trennten Werdegang der<br />

Ehefrau Mary und i hrer f ünf<br />

Töchter. Die Familie ist ein no-<br />

torischer Sozialfall, ständig un-<br />

ter der Obhut derSozialämter.<br />

Als das Haus einemFeuer zum<br />

charf kalkuliert<br />

Volker Pispers:update<br />

2000− Damit müssen Sie<br />

rechnen,conanima<br />

verlag Düsseldorf2000<br />

(Vertrieb über Eichborn),<br />

2CD−Set, 792 LUF.<br />

Ist I hnen auch schon aufge-<br />

fallen, wie groß die Kluft zwi-<br />

schen den nackten Fakten und<br />

der i ndividuellen Befi ndlich-<br />

keit ist? Weshalb beklagen<br />

JournalistInnen so penetrant<br />

das Verschwinden des politi-<br />

schen Kabaretts, obwohl<br />

Pispers ihnen aus dem Stand<br />

fünfzig Namen von KollegIn-<br />

nen nennen kann, die genau<br />

dieses Geschäft betreiben?<br />

Weshalbbeträgt der"gefühlte"<br />

Steuersatz bei deneingebil det<br />

ausgebeuteten WählerInnen<br />

der Liberalenexorbitante 90%,<br />

auch wenn die Steuertabelle<br />

ganz andere Zahlen nennt?<br />

Nicht nur die Partei der Bes-<br />

serverdienenden knöpft sich<br />

Pispers in seinem Programm<br />

Damit müssen sie rechnen<br />

vor: Um Geld gehtesschließ-<br />

lich auch beimDauerbrenner<br />

CDU−Spendenaffäre, deren<br />

"rückgratl ose" Aufklärung er<br />

geißlert.<br />

Ein weiteres Feld für Kriti k<br />

bietet die Glaubwürdigkeit der<br />

politisch Handelnden: Sostellt<br />

Pispers beispielsweise fest,<br />

dass sich der amti erende Bun-<br />

deskanzler Gerhard Schröder<br />

das Motto seines Vorvorvorgängers<br />

Konrad Adenauer zu<br />

eigen gemachthat, das da l autete:<br />

"Was schert mich mein<br />

Geschwätz von gestern?"<br />

Gründlich i n die Mangel ge-<br />

Opfer fällt, bricht die Familie<br />

endgültig auseinander. Erst 25<br />

Jahre später begegnen sich<br />

die Überlebenden bei der Be-<br />

erdigung der Mutter wieder,<br />

die Aufarbeitung der Vergan-<br />

genheit geli ngt nur zumTeil.<br />

nommen wird auch die "Zeltmission"<br />

der Grünen, deren<br />

Führungsriege den langen<br />

Marsch i n den Arsch der Instituti<br />

onen l ängst vollendet hat.<br />

Bittere Worte fi ndet Pispers<br />

für das Versagen der Politiki m<br />

Kosovo−Kri eg, bevor er mit Industriekonzernen<br />

wie Dai mler−<br />

Chrysler abrechnet, die als<br />

Syste manbieter nicht nur an<br />

der Produkti on von Minenverdienen,<br />

sondern die passenden<br />

Räumgeräte gleich mitliefern,<br />

ganz zu schweigen von<br />

Krankenwagen und Prothesen.<br />

Imzweiten Teil seines Progra<br />

mms gewinnt Pispers der<br />

Integrati on von AusländerI nnen<br />

völlig neue Seiten ab ( mit<br />

de m für Einbürgerungswillige<br />

vorgeschriebenen Sprachtest<br />

konfronti ert, müsste eigentlich<br />

die Hälfte der Deutschen<br />

ausgebürgert werden), bevor<br />

er si ch seinen Liebli ngsopfern<br />

widmet, nä mlich LehrerInnen,<br />

ÄrztInnen und Beschäftigten<br />

bei Post und Bahn. Seine Vorschläge<br />

zur Neugestaltung des<br />

Unterrichts dürften bei den<br />

SchülerInnen gut ankommen -<br />

Pech für die PaukerInnen, die<br />

sich davor fürchten, wenn<br />

endlich (das) Leben i n die<br />

Schule kommt! Reichlich Balsamträufelt<br />

Volker Pispers in<br />

die WundendervonderGe sundheitsreformso arg gebeu-<br />

Trezza Azzopardi zeichnet<br />

hier eine depri mierende Fami-<br />

liensagai n einersehreigenwil-<br />

ligen Erzählfor m.<br />

Zwar wird der rote Faden<br />

von der Ich−Erzähleringespon-<br />

nen. Die ist die jüngste der<br />

Töchter, die bei den dramati-<br />

schen Ereignissen der endgül-<br />

ti gen Aufsplitterung der Fa mi-<br />

lie erst vier war.Sie verlor bei<br />

einem Brand die linke Hand<br />

und wurde f ortan von den<br />

telten MedizinerInnen. Da diese<br />

heutzutage bei jeder Behandlung<br />

draufzahlen, sollten<br />

Kranke sich deshalb gutüberlegen,<br />

ob und wann sie i hreN<br />

DoktorIn aufsuchen! Zu Risiken<br />

und Nebenwirkungen befragen<br />

Sie ambestenIhren Kabarettisten.<br />

Seit der Mutati on<br />

der ehe maligen Monopole von<br />

Post und Bahn zu modernen<br />

Dienstleistungsunternehmen,<br />

ver misst Pispers schmerzli ch<br />

den bewährt−ruppigen Umgangston<br />

von früher. Gab es<br />

da mals Demüti gungen noch<br />

gratis, muss die Kundschaft<br />

heute dafüri m Domina−Studio<br />

ordentli chl atzen.<br />

Wieschoninseinenvorherigen<br />

Programmen, Frisch gestrichen<br />

und Ein Wortergab<br />

das andere, präsenti ert Volker<br />

Pispers dem Publikum<br />

auchi n diesemProgrammwieder<br />

eine gesalzene Rechnung.<br />

Die Zuhörenden müssen si ch<br />

ganz schön wegducken, wenn<br />

si e seinen treffsicheren Pointen<br />

ausweichen wollen.Verbiesterten<br />

ZeitgenossInnen ist<br />

deshalb dringend vom Anhören<br />

dieser geballten Ladung<br />

Gesellschaftskritik abzuraten!<br />

Alle übrigen Mit menschen<br />

dürften sich diesen starken<br />

Tobak rheinischen Humors<br />

jedoch gefahrlos zumuten<br />

können.<br />

Angela Wicharz−Lindner<br />

Schwestern nur noch " Krüppie"<br />

genannt. Doch die Autorin<br />

erzählt nicht gradli nig, kontinuierlich,<br />

sondern reiht eine<br />

unwahrscheinlich reiche Galeri<br />

e an kurzen Anekdoten zu eine<br />

m komplexen, doch leicht<br />

zu entwirrenden Puzzle aneinander.<br />

Vignetten nennen die<br />

briti schen Literaturkritiker eine<br />

solche Technik, die denEindruck<br />

er weckt, die Erzählerin<br />

eri nnere si ch peri odisch und<br />

fragmentarisch an Szenen ihrer<br />

Kindheit. So konzentriert<br />

die LeserInnen die Lektüre<br />

auch angehen müssen, so virtuos<br />

gestaltet sich i m Laufe<br />

der Seiten die Choreographie<br />

des Ganzen.Eineetwas schroffe<br />

Zäsur findet statt, als Jack<br />

auf einem Schiff zurück nach<br />

Malta anheuert, gerade am<br />

Hochzeitstag seiner ältesten<br />

Tochter. Die Mutter strandet i n<br />

der Psychiatrie, die jüngeren<br />

Töchter werden auf verschiedene<br />

Adopti vfamilien ver-<br />

streut. Erst aufderBeerdigung<br />

der Mutter,treffen sich einige<br />

der unglücklichen Geschwister<br />

wieder. Sie geben eintragisches<br />

Zeugnis von den dauerhaften<br />

Folgen der familiären<br />

Zerrüttung wieder.<br />

Fernab j eglicher Soziallarmoyanz<br />

bietet Das Versteck<br />

eine intensive, fast filmische<br />

Darstellung sozialer und psychischerVerelendungamunteren<br />

Ende der sozialenLeiteri m<br />

Großbritannien der Nachkri<br />

egszeit. Die Dialoge sind<br />

ebenso knapp und elementar<br />

wie die Gefühle, dieinsolcheine<br />

m Milieu möglich si nd. Eine<br />

Chronikfamilialen Zerfalls, die<br />

in ihrer atmosphärischen<br />

Dichte und i hrer fili granen<br />

Dramaturgie wirklich außergewöhnlich,jagrandios<br />

zu nennenist.<br />

ØYSTEI N LØNN: Maren Gri pes not wendi ge<br />

Ri t ual e<br />

(sk) − Maren Gri pe i st ei ne ungewöhnli ch anzi ehende junge Frau,<br />

der di e Männer gerne hi nterhersehen. Si e i st seit Jahren mit Jakob<br />

in kinderloser Eheverheiratet, undallesgehtseinengewohntruhi gen Gang auf der kl ei nen nor wegi schen I nsel. Und dann geschi eht<br />

et was Unfassbares: Maren, di e noch ni e i n i hre m Leben Alkohol getrunkenhat,<br />

gehtindieDorfkneipe, knöpftsichdieBluseaufund<br />

betri nkt si ch. Ei n Schiff i st geko mmen, mit ei nem Holländer an<br />

Bord, und di eser Mann, den Maren zwar gesehen, mit dem sie aber<br />

ni e ei n Wort ge wechselt hat, bri ngt das gesa mte Gefüge i hres Lebens<br />

und das der I nsel bewohner völli g durchei nander. Denn auf ei nmal<br />

mei nt auch so manch anderer i n der Dorfge mei nschaft, ausrasten<br />

zu müssen, und bi sl ang unbescholtene Bürger neh men di e<br />

Dorfknei pe ausei nander und setzen Schuppen i n Brand.<br />

Øystein Lønn lässt Marens Mutter, ihren Mann, den Priester, den<br />

Wirt, die Nachbarn und andere die Geschichte erzählen, in der es<br />

umUnvorhergesehenesgeht, dasplötzlichdasFundament, aufdem<br />

man ver mei ntli ch si cher steht, i ns Wankenbringt. Durchdievielen<br />

verschi edenen Erzähl er entsteht ei n vielschichtiges Bild einer Dorfgemeinschaft,<br />

des empfindlichenGefüges, das in eine reizvolle<br />

Landschaft voll er Farben und Düfte ei ngebettet i st. Ei n l ei ses Buch<br />

über di e Sehnsucht, mit viel Verständnis für menschliche Schwächen,<br />

und über di e Abgr ünde, di e i n j ede m von uns l auer n.<br />

Øystein Lønn: Maren Gripes notwendigeRituale, Roman<br />

aus demNorwegischen("Maren Gripes nødvendige<br />

ritualer", Gyldendal Norsk Forlag1999)von Alken<br />

Bruns, Berlin VerlagBerlin 2001, 173 S., 792 LUF.<br />

KATHY REI CHS:<br />

Robert Garcia<br />

Sprechende Knochen<br />

(roga) − Di e Frau wei ss, wovon si e<br />

schrei bt. Kathy Reichs ist forensischeAnthropologin,<br />

ihr dritterKri mi<br />

Lasst Knochen sprechen lässt<br />

di e Hel di n Tempe BrennannachQue bec fahren, u m unabl ässi g ver weste<br />

Körperteil e und Knochen zu m Sprechen<br />

zu bri ngen. Di es mal geht es u m<br />

ei nen Bandenkri eg z wischen Bikern,<br />

den Heathens und den Vipers, der<br />

weni ger mit Motorrädern als mit Expl<br />

osi va und Ge wehren ausgetragen wird und dessen Einsatz die<br />

Kontrolle über Drogengeschäfteist.<br />

ImLaufedesspannendenPlotshäufensichfürTempe Leichen<br />

ebenso an wie persönlicheEnttäuschungenundGefahrenmomente, di e si e und i hren Neffen bedrohen.<br />

Mitunter geht Frau Rei chs allzu akri bi sch auf Detail s der Sezi ertechni<br />

k und kri minologischenFachkundeein, dochüberwei te Strecken<br />

i st der Roman sehr spannend und sehr i nteressant. Aufgrund des<br />

et was kuri osen Schl usses fällt LasstKnochen sprechen ei nen<br />

Deut gegenüber den Vorgängern ab, doch ei gnet si ch di eser Ro man<br />

ni chtsdestotrotz al s vergnügli che und pri ckel nde Url aubsl ektüre.<br />

KathyReichs: LasstKnochen sprechen,Roman aus dem<br />

Amrikanischen("Deadly Décisions", Scribner NewYork<br />

2000)von Klaus Berr,KarlBlessingVerlag München<br />

2001, 346 S., 968 LUF.

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