Stimme – Bewegung - Das Konzept Schlaffhorst-Andersen - CJD
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Atmung - <strong>Stimme</strong> <strong>–</strong> <strong>Bewegung</strong> - <strong>Das</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong> -<br />
von M. Saatweber<br />
veröffentlicht in: Krankengymnastik - Zeitschrift für Physiotherapeuten 1/2000, Richard Pflaum<br />
Verlag, München<br />
Zusammenfassung<br />
Der ganzheitliche Ansatz des <strong>Konzept</strong>s <strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong> nutzt die Wechselwirkung von<br />
Atmung-<strong>Stimme</strong>-<strong>Bewegung</strong> nicht nur zur Verbesserung der einzelnen Funktionen, sondern auch zur<br />
Stärkung der Persönlichkeit des Menschen. Der Atem, verstanden als Bindeglied zwischen<br />
somatischem und vegetativem Nervensystem, hat hier eine Schlüsselfunktion. Rhythmisierung und<br />
Ökonomisierung der Atem- und <strong>Bewegung</strong>sabläufe sowie Regeneration der genannten Funktionen<br />
ist erklärtes Ziel der Arbeitsweise <strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong>.<br />
Schlüsselwörter: Atmung - Rhythmus - Regeneration - <strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong> - <strong>Stimme</strong><br />
<strong>Das</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong> basiert auf dem Wissen um die Zusammenhänge von Atmung,<br />
<strong>Stimme</strong> und <strong>Bewegung</strong>/Haltung<br />
Die Motorik dieser drei Systeme steht in enger Wechselwirkung zu emotionalen Vorgängen und<br />
vegetativen Reaktionen. Verbale und nonverbale Kommunikation ist durch Haltung und <strong>Bewegung</strong><br />
bestimmt. Jede Einflußnahme auf körperliche Merkmale des Menschen hat somit auch<br />
Auswirkungen auf seine Persönlichkeit. Die Atmung nimmt hier eine einmalige Schlüsselfunktion<br />
ein. Sie ist Bindeglied zwischen somatischem und vegetativem Nervensystem. In der Arbeitsweise<br />
<strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong> wird sie daher als vermittelnde Instanz zwischen diesen beiden Systemen<br />
genutzt. Schon Clara <strong>Schlaffhorst</strong> (1863-1945), Sängerin, und Hedwig <strong>Andersen</strong> (1866-1957),<br />
Pianistin, fanden, angeregt durch das Buch von Leo Kofler (1837-1908) „The Art of Breathing“,<br />
heraus, daß alles menschliche Tun in der Ganzheitlichkeit von Körper und Seele begründet ist.<br />
Bedingt durch persönliche Erfahrungen mit sich selbst, ihrer Atmung und ihrer <strong>Stimme</strong>, begannen<br />
die beiden Frauen, neue Wege im Umgang mit Atmung, <strong>Bewegung</strong> und <strong>Stimme</strong> zu suchen und auch<br />
zu finden. So entstand 1916 in Rotenburg an der Fulda die erste deutsche Atemschule, die Schule<br />
<strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong> für Atem-, Sprech- und Gesangskunst, bekannt als „Rotenburger<br />
Atemschule“. Bis heute wurde sie weiterentwickelt zu einer dreijährigen Berufsfachschule,<br />
Ausbildungsstätte zum Staatl. geprüft. Atem-, Sprech- und Stimmlehrer in Bad Nenndorf bei<br />
Hannover. Atem-, Sprech- und Stimmlehrerinnen und -lehrer sehen ihre Aufgabe in therapeutischen<br />
und pädagogischen Interventionen in den Bereichen Atmung, <strong>Stimme</strong>, Sprache/Sprechen. Aus der<br />
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Tradition der Arbeit heraus fühlen sie sich einem pädagogischen Ansatz auch in der Therapie<br />
verpflichtet. Darüber hinaus ist Regeneration eindeutig erklärtes Ziel der Arbeitsweise <strong>Schlaffhorst</strong>-<br />
<strong>Andersen</strong>; Regeneration, die Clara <strong>Schlaffhorst</strong> und Hedwig <strong>Andersen</strong> „Wiederherstellung gesunder<br />
natürlicher Organfunktionen“ nannten und als Zurückführen zur „Natur in uns“ bezeichneten.<br />
Um diese Ziele zu erreichen, entwickelten C. <strong>Schlaffhorst</strong> und H. <strong>Andersen</strong> die sogenannten<br />
Regenerationswege:<br />
• die kreisende <strong>Bewegung</strong><br />
• die schwingende <strong>Bewegung</strong><br />
• die rhythmische <strong>Bewegung</strong><br />
• das Atmen<br />
• das Tönen.<br />
Die Regenerationswege nach <strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong> werden eingesetzt zur Schulung und kognitiven<br />
Verankerung des Körperbewußtseins für Muskeltonus, Haltung, <strong>Bewegung</strong>, <strong>Stimme</strong>, Stimmung und<br />
Atmung sowie deren Wechselwirkungen untereinander.<br />
Die kreisende <strong>Bewegung</strong> ist ein Spiel mit der Balance, ein „Umspielen der Mitte“<br />
Dieses Balancespiel geht mit einer ständig wechselnden Muskelbeanspruchung einher. Dadurch<br />
wird der Muskeltonus reguliert, eutonisiert. <strong>Das</strong> Hauptmerkmal der kreisenden <strong>Bewegung</strong> ist der<br />
einseitig gerichtete Ablauf. Durch das Kreisen um die eigene Körperachse wird der Bezug zum<br />
Körpermittelpunkt intensiviert. Besonders angesprochen wird hierbei das Gamma-Nervensystem,<br />
das Muskelspindeln in der Aufrichtungsmuskulatur innerviert. Durch die ständige Verlagerung des<br />
Gewichts muß sich die Muskulatur, die den Menschen in der Aufrichtung hält, immer wieder neu<br />
einstellen. Jeder Punkt des Kreises benötigt ein anderes Zusammenspiel der Muskulatur. <strong>Das</strong> heißt:<br />
Falsche Spannungen werden gelöst, fehlende Spannungen aufgebaut, denn die Muskulatur muß<br />
flexibel sein, sonst ist ein Beibehalten der Aufrichtung während einer solchen Gewichtsverlagerung<br />
nicht möglich (Saatweber 1994).<br />
Die schwingende <strong>Bewegung</strong> ist im Gegensatz zum Kreisen zweiseitig gerichtet: vor - zurück bzw.<br />
links - rechts<br />
Die schwingende <strong>Bewegung</strong> ist nicht fortlaufend. Sie hat an zwei Polen ein ausschwingendes<br />
Moment, auf das die Umkehr folgt. Die schwingende <strong>Bewegung</strong> kann mit dem ganzen Körper oder<br />
auch mit einzelnen Körperteilen (Armen und Beinen) ausgeführt werden. Ziel ist auch hier die<br />
bessere Haltung und Aufrichtung, denn durch die Gewichtsverlagerung über der Standfläche der<br />
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Füße wird auch hier über das Gamma-Nervensystem die Muskulatur eutonisiert. Jedoch fällt bei der<br />
schwingenden <strong>Bewegung</strong> eine räumliche Dimension fort, da man entweder seitlich oder vor- und<br />
zurückschwingt. Beim Vorschwung erhöht sich die Spannung der rückwärtigen Rumpfmuskulatur,<br />
während sie beim Rückschwung wieder nachläßt und umgekehrt. In diesem zweiphasigen Weg ist<br />
die Dreiteiligkeit enthalten, wenn die <strong>Bewegung</strong> mit der Atmung verbunden ist. Auf den<br />
Vorschwung erfolgt die Ausatmung. Es kommt zu einem Ausschwingen der <strong>Bewegung</strong> in der<br />
Atempause, und die Einatmung trägt die <strong>Bewegung</strong> zurück. So entsteht eine andere Qualität als bei<br />
Nichteinbeziehung der Atmung. Die einzelnen <strong>Bewegung</strong>sphasen werden intensiver ausgeführt. Es<br />
kommt z. B. zu einem richtigen Aussschwingen und nicht nur zu einem „Hin- und Herpendeln“<br />
(Saatweber 1994).<br />
Die rhythmische <strong>Bewegung</strong> lehnt sich direkt der Atembewegung an und bedeutet Umgang mit dem<br />
individuellen dreiteiligen Atem- und <strong>Bewegung</strong>srhythmus<br />
Sie soll zum Finden des eigenen, individuellen Rhythmus führen. Nach den zwei Phasen Einatmung<br />
und Ausatmung folgt eine dritte Phase, die Atempause, gekennzeichnet durch Lösung der gesamten<br />
Atemmuskulatur. Bei vermehrter Atemarbeit verkürzt sich zwar die Dauer der Pause, die<br />
Lösungsqualität sollte jedoch bestehen bleiben. Die drei Phasen „Anspannung“/Einatmung,<br />
„Abspannung“/Ausatmung, „Pause“ - in der Atmung wie in der <strong>Bewegung</strong> - müssen sich ganz<br />
erfüllen. Nur dann stehen sie in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander und führen zu<br />
<strong>Bewegung</strong>en, die wohltuend und belebend wirken und eine gewisse Leichtigkeit enthalten. Für<br />
unser Auge erscheinen solche atemverbundenen <strong>Bewegung</strong>en schön und harmonisch. Übungen zur<br />
Wahrnehmung und Verlängerung der Atempause dienen dem Spannungsabbau und der Flexibilität<br />
der Atemmuskulatur sowie der Ökonomisierung ihrer Arbeit. Sie können durch atemrhythmisch<br />
ausgeführte <strong>Bewegung</strong>en auch auf andere Muskelgruppen übertragen werden.<br />
Der Regenerationsweg Atmen bedeutet zuerst einmal, die Atmung wahrzunehmen und sie in ihrem<br />
dreiteiligen Rhythmus von Einatmung, Ausatmung, Atempause zu erkennen<br />
Die kontraktilen Elemente der Atemmuskulatur durchlaufen dabei abwechselnd ihre drei<br />
Funktionszustände Kontraktion, Dehnung und Lösung. Diese rhythmische Dreiteiligkeit der<br />
Atembewegung wird als Vorbild für die Schulung der übrigen Skelettmuskulatur genutzt. Hinzu<br />
kommen atemvertiefende Übungen, die entweder über <strong>Bewegung</strong>en direkt auf die Atemmechanik<br />
einwirken, oder über das Setzen von Einatemreizen indirekt über das Atemzentrum zu einer<br />
Atemvertiefung führen. Solch ein Einatemreiz wird z. B. über die Verlängerung der Ausatmung<br />
gesetzt. Der resultierende Anstieg des Kohlendioxidgehaltes im Blut bewirkt über die Stimulierung<br />
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des Atemzentrums einen vertieften Einatemimpuls. Die Ausatemverlängerung kann sowohl über<br />
einen artikulatorischen Widerstand als auch über den Einsatz der <strong>Stimme</strong> (phonatorischer<br />
Widerstand) erreicht werden (Lang 1998).<br />
Der Einsatz der <strong>Stimme</strong> zur Ausatemverlängerung - das Tönen - ist der fünfte Regenerationsweg<br />
nach <strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong><br />
Tönen bedeutet zunächst nur, der Ausatemluft mit Hilfe der Stimmbänder, die durch den<br />
Anblasedruck in Schwingung versetzt werden, einen Widerstand entgegenzusetzen. Durch die<br />
Schwingungen, die an den Stimmlippen entstehen, wird der ganze Körper mit seinen Hohlräumen,<br />
Wandungen und knöchernen Elementen - je nach unterschiedlichen Lautfunktionen mit<br />
unterschiedlichen Schwerpunkten - in Vibration versetzt und erfährt somit eine Mikromassage. Dies<br />
kann Fehlspannungen im Körper ansprechen und eutonisieren.<br />
Gezielter Umgang mit Atmung und <strong>Bewegung</strong>: Anregung der Atemfunktion, Rhythmisierung und<br />
Ökonomisierung von Atmung und <strong>Bewegung</strong> sowie Eutonisierung<br />
Die Atmung nimmt hier eine besondere Stellung ein. Atmung ist Organbewegung. Die<br />
Atemdynamik wird jedoch von der äußeren Skelettmuskulatur bewerkstelligt. Atemrhythmus und<br />
Atemzugvolumen werden durch die vegetativen Atemzentren im Hirnstamm unwillkürlich an die<br />
gegebenen Lebensumstände angepaßt. Darüber hinaus ist dieses ausnahmslos quergestreifte<br />
Muskelgewebe über kortikale Zentren auch willkürlich steuerbar. Elastizität, Flexibilität und<br />
Wohlspannung aller Muskelgruppen ist das Ziel der <strong>Bewegung</strong>sschulung nach <strong>Schlaffhorst</strong>-<br />
<strong>Andersen</strong>. Je nach Betonung einer Phase des Rhythmus kann der Spannungszustand eines Muskels,<br />
einer Muskelgruppe oder des gesamten Körpers gezielt beeinflußt werden, d. h., Fehlspannungen<br />
können ausgeglichen werden: Wird eine <strong>Bewegung</strong> mit größerer Anforderung an die aktive<br />
Kontraktion eines Muskels oder seines Gegenspielers geübt, wird sie vergrößert, schnell oder<br />
impulshaft ausgeführt und wird die Aufmerksamkeit auf die Spannungszunahme gerichtet, so wirkt<br />
sie spannungsaufbauend. Legt man das Gewicht auf den lösenden Teil des <strong>Bewegung</strong>sablaufs und<br />
auf die Ruhephase, verlangsamt das Tempo und wählt kleine <strong>Bewegung</strong>en, so führt dies zum<br />
Spannungsabbau (Lang 1998).<br />
<strong>Das</strong> „Schwingen“, ein Spiel mit dem Gleichgewicht, wirkt regulierend und eutonisierend auf<br />
Muskeltonus und Atemfunktion<br />
„Schwingen“ ist letztlich das Zusammenspiel der o. g. Regenerationswege und kann als<br />
Einzelschwingen, Partner- oder Gruppenschwingen geübt werden. Es können Medien wie<br />
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Schwingegurt, Deuser- oder Theraband, Gymnastikreifen oder Seil unterstützend hinzugezogen<br />
werden. Folgende Ziele des Schwingens werden angestrebt:<br />
• Spannungsausgleich/Eutonisierung der Muskulatur als Voraussetzung für gute<br />
Bereitschaftsspannung und Höchstleistungen.<br />
• Wiederherstellung des individuell auf Mensch und Lebenssituation abgestimmten dreiteiligen<br />
Atem- und <strong>Bewegung</strong>srhythmus.<br />
• Verbessern der Aufrichtung, Aufbau der Mittelkörperspannung.<br />
• Atemanregung über Aktivieren der Zwerchfellmuskulatur, bessere Beweglichkeit des<br />
Zwerchfells, intensivierte Sauerstoffzufuhr, verbesserte Durchblutung, Maximierung der<br />
Vitalkapazität.<br />
• Rhythmisierung der Atmung unter besonderer Berücksichtigung der Pause als Lösungs- und<br />
Regenerationsphase<br />
- ausschwingende Pause<br />
- reflektorische Luftergänzung<br />
• Schulen der Wahrnehmung für unterschiedliche Körperfunktionen und ihre Interdependenz.<br />
• Koordinierung der inneren (Atem-) und der äußeren <strong>Bewegung</strong>.<br />
• Ökonomisieren von Atem-, Stimm- und <strong>Bewegung</strong>sfunktionen, um möglichst hohe Leistung bei<br />
möglichst geringem Aufwand zu erreichen.<br />
• Eutonisieren der Muskulatur, um die Durchlässigkeit für Schwingungen der <strong>Stimme</strong> zu<br />
erreichen.<br />
• Erschließen von Resonanzräumen, Voraussetzung für eine tragfähigere, resonanzreichere<br />
<strong>Stimme</strong>, Verbessern der stimmlichen Belastbarkeit (Saatweber in „Dokumentation...“ 1998).<br />
Weitere Ziele der <strong>Bewegung</strong>sschulung nach <strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong>: Ökonomisieren und<br />
Eutonisieren bei Alltagsbewegungen<br />
Der Einsatz atemrhythmischer <strong>Bewegung</strong>en (z. B. atemrhythmisches Gehen: Heben des Beins mit<br />
der Einatmung, Absetzen des Beins mit einer geführten Ausatmung auf „f“ und Gewichtsver-<br />
lagerung auf das andere Bein in der Atempause) regt die Atmung an und rhythmisiert sie. Darüber<br />
hinaus wird die Muskelkraft durch Atemkraft unterstützt (Heben des Beins während der<br />
Einatmung), und die bewußt eingesetzte Atempause führt zur Lösung auch der angespannten<br />
Beinmuskulatur. Die Muskulatur „lernt“ wieder, gleichmäßig zwischen ihren Funktionszuständen<br />
abzuwechseln. <strong>Das</strong> Bewußtmachen dieser Zusammenhänge steht hier an erster Stelle. Die<br />
rhythmische Dreiteiligkeit der Atemmuskulatur wird als Vorbild für die Schulung der übrigen<br />
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Skelettmuskulatur genutzt. In Folge wird die Kopplung von Atmung und <strong>Bewegung</strong> in der<br />
Gleichphasigkeit des rhythmischen Geschehens der „atemverbundenen <strong>Bewegung</strong>“ weichen.<br />
Atemverbundene <strong>Bewegung</strong> heißt, daß die <strong>Bewegung</strong> von der Atmung getragen und unterstützt<br />
wird. <strong>Bewegung</strong> und Atmung bleiben in dem ihnen eigenen, situationsbedingten Rhythmus. Durch<br />
die Lösungsphase der Atmung wird die Möglichkeit zur Lösung auch auf die <strong>Bewegung</strong> übertragen.<br />
Eine Phasengleichheit ist nicht mehr gegeben. Diese <strong>Bewegung</strong>sform läßt sich in den Alltag<br />
integrieren und auch auf ein minimales <strong>Bewegung</strong>sausmaß reduzieren. Sie führt zur „bewegten<br />
Haltung“ und ermöglicht einen stetigen Zugang zum individuellen vegetativen Rhythmus, zu<br />
unserer „inneren Natur“ mit ihren regenerierenden Kräften. Auch ist es die <strong>Bewegung</strong>sform, die für<br />
jegliche Phonation, für Singen und Sprechen, für alle an der Tonerzeugung beteiligten Muskeln,<br />
notwendig ist.<br />
Dem <strong>Konzept</strong> <strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong> entsprechend wird auch die <strong>Stimme</strong> unter regenerativen<br />
Gesichtspunkten eingesetzt<br />
Die Funktionen der einzelnen Sprachlaute werden gezielt als phonatorische Widerstände genutzt.<br />
„Jeder Laut wirkt sich bei physiologisch richtiger Bildung belebend und regenerierend auf Atmung<br />
und <strong>Stimme</strong> und damit auf das allgemeine Wohlbefinden aus. Deshalb eignen sich Sprachlaute<br />
ausgezeichnet, um gezielt (in Lautübungen und Übungstexten) oder umfassend (in lyrischen oder<br />
Prosatexten und in der Spontansprache) regenerative, anregende, beruhigende oder wohltuende<br />
Wirkungen hervorzurufen“ (Böhme 1997). Singen, Sprechen, kurz, sich stimmlich ausdrücken,<br />
beeinflußt somit emotionale und vegetative Reaktionen und hat Auswirkungen auf den gesamten<br />
Funktionskreis. Wie schon bei der Beschreibung des Tönens erwähnt, eutonisieren die durch die<br />
<strong>Stimme</strong> erzeugten Schwingungen die Gesamtkörpermuskulatur. Dabei werden wiederum<br />
Resonanzräume frei, die für die Phonation genutzt werden können. Der Organismus wird<br />
„durchlässig“, sowohl für Schwingungen der <strong>Stimme</strong> als auch für <strong>Bewegung</strong>en. Darüber hinaus<br />
setzt die <strong>Stimme</strong> bei der Phonation der Ausatmung einen Widerstand entgegen, der die<br />
Atemmuskulatur kräftigt, die Atemfunktion intensiviert und über den Spannungsaufbau in der<br />
Atem(haupt- und -hilfs)muskulatur die Spannungszustände in der <strong>Bewegung</strong> beeinflußt. Atem-,<br />
Stimm- und Gesamtkörperspannung stehen in enger Beziehung zueinander, was mit zentralnervösen<br />
Vernetzungen und mit den Muskelketten unseres Organismus zu erklären ist. Aus der Funktionellen<br />
Anatomie ist z. B. die für die Statik des Menschen maßgebliche Muskelkette bekannt, die sich von<br />
den Füßen bis zu den Kopfgelenken erstreckt. Sie beeinflußt den Kehlkopfeinhängeapparat zum<br />
einen über die Stellung der Halswirbelsäule und des Kopfes, des Brustbeins und des Schultergürtels.<br />
Zum anderen bestimmt sie über Haltung und <strong>Bewegung</strong> des Brustkorbs die Funktionsfähigkeit der<br />
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Atem- und Atemhilfsmuskulatur, die für die optimale Luftdosierung verantwortlich ist (Lang 1998).<br />
Die Vielfalt der Muskelketten, die in diesem Rahmen nicht detailliert zu beschreiben sind, ist<br />
letztlich verantwortlich für die Wechselwirkung von <strong>Bewegung</strong> und <strong>Stimme</strong>. Die Arbeitsweise<br />
<strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong> nutzt gezielt diese Möglichkeiten. So geht es in der Stimmschulung und -<br />
therapie darum, eingefahrene, einseitige und unökonomische <strong>Bewegung</strong>smuster, die dann auch mit<br />
entsprechenden einseitigen Verhaltensweisen auf der Ebene der Kommunikation einhergehen, zu<br />
modifizieren und um neue zu erweitern. So verstanden bedeutet Stimmschulung immer auch<br />
Erweiterung der individuellen Ausdrucks- und Kommunikationsfähigkeit (Saatweber in Glatzer<br />
1997).<br />
Immer wieder verwundert es, daß Atem-, Sprech- und Stimmlehrer in so vielen Bereichen<br />
therapeutisch und/oder pädagogisch tätig sind<br />
Der Atem, verstanden als Bindeglied zwischen Leib und Seele oder, anders ausgedrückt,<br />
vermittelnde Instanz zwischen somatischem und vegetativem Nervensystem, hat eine<br />
Schlüsselfunktion. Heilen oder erziehen, auf der Basis am oder besser gesagt mit dem Atem öffnen<br />
sich für Atem-, Sprech- und Stimmlehrer und -lehrerinnen folgende Berufsfelder:<br />
• Im therapeutisch/rehabilitativen Bereich bei<br />
- Sprach-, Sprech- und Redeflußstörungen<br />
- Stimmstörungen<br />
- Atemwegserkrankungen und Fehlfunktionen der Atmung<br />
- Störungen im Haltungs- und <strong>Bewegung</strong>ssystem<br />
- vegetativen Dystonien, Herz-Kreislauferkrankungen<br />
- psychosomatischen Erkrankungen etc.<br />
• Im prophylaktischen Bereich im Sinne der Gesundheitsvorsorge und -erziehung<br />
- bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen<br />
- in der Heil- und Sozialpädagogik<br />
- in der Lehrer-, Erzieher-, Pfarrer-, Moderatorenaus- und -fortbildung<br />
• Im musisch/künstlerischen Bereich an<br />
- Musikhochschulen<br />
- Schauspielschulen/Theatern<br />
- Konservatorien<br />
- mit Orchestern etc.<br />
Atem-, Sprech- und Stimmlehrer und -lehrerinnen sind in der Stimm- und Sprachtherapie gegenüber<br />
den Kostenträgern Logopäden gleichgestellt.<br />
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Literatur<br />
1. Böhme, G.: Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen, Gustav Fischer Verlag,<br />
3. Auflage, Stuttgart 1997<br />
2. Edel, H., Knauth, K.: Grundzüge der Atemtherapie, Ullstein Mosby Verlag, 5. Auflage,<br />
Berlin 1993<br />
3. Glatzer, M.: Die Psychotonik Glaser im Licht akuteller Entwicklungen, Hippokrates Verlag,<br />
Stuttgart 1997<br />
4. Lang, A.: Außenbewegung - Innenbewegung, ein Zugang zur beweglichen <strong>Stimme</strong>, Akademie<br />
für gesprochenes Wort, 2. Stuttgarter Stimmtage, 1998<br />
5. Lang, A.: <strong>Das</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong> in der Therapie von Torticollis-PatientInnen,<br />
Torticollis-Echo 1998<br />
6. Saatweber, M.: Einführung in die Arbeitsweise <strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong>, Schulz Kirchner<br />
Verlag, Idstein 1994<br />
7. Saatweber, M.: <strong>Das</strong> Schwingen nach <strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong>, Dokumentation: Integration von<br />
Sprecherziehung, Liedgestaltung und Körpertraining in der Ausbildung zum<br />
Schauspieler,(Hrsg.) Bayerische Theaterakademie/Gerda Marko, München 1998<br />
8. Saatweber, M.: <strong>Das</strong> Schwingen in der Arbeitsweise <strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong>, Die<br />
Ausdruckswelt<br />
der <strong>Stimme</strong>, (Hrsg.) Horst Gundermann, Hüthig Verlag, Heidelberg 1998<br />
9. Saatweber, M.: Aufführungsangst (Lampenfieber) - Präventions- und Interaktionshilfen durch<br />
die Arbeitsweise <strong>Schlaffhorst</strong>-<strong>Andersen</strong>, Kongreß für Musikermedizin und Musikphysiologie,<br />
Berlin 1998<br />
10. Seyd, W.: Schwingen und Atemmassage, Neckar Verlag<br />
Anschrift der Verfasserin:<br />
Margarete Saatweber<br />
Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin<br />
Forststraße 22<br />
42369 Wuppertal<br />
Tel: 0202-464931 Fax: 0202-4604898<br />
E-Mail: M.Saatweber@t-online.de<br />
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