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Rede des Kollegiumsvertreters Herrn Oberstudienrat Heinz ...

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<strong>Rede</strong> <strong>des</strong> <strong>Kollegiumsvertreters</strong> <strong>Herrn</strong> <strong>Oberstudienrat</strong> <strong>Heinz</strong> Bongartz zur Verabschiedung<br />

<strong>des</strong> Schulleiters <strong>des</strong> Gymnasiums Gerresheim, <strong>Herrn</strong> Oberstudiendirektor Claus Thomann<br />

Aula <strong>des</strong> Gymnasiums Gerresheim, Düsseldorf, am Freitag, dem 28. Januar 2011<br />

Sehr geehrter Herr Thomann, verehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen!<br />

Es sind vier DIN-A-4-Seiten, die schon auf den ersten Blick erkennen lassen, dass sie aus einer vor<br />

allem in technischer Hinsicht vergangenen Zeit stammen. Die Durchschläge mit Kohlepapier haben<br />

jeden Tippfehler festgehalten, wurden sie doch noch mit einer Kugelkopfschreibmaschine<br />

angefertigt, die heute in einem Technikmuseum besichtigt werden könnte. Es handelt sich um<br />

das Protokoll der Schulkonferenz vom 07. Oktober 1992.<br />

Ein Protokollant wurde gesucht, Herr Laufer hatte rasch eine Lösung gefunden und richtete eine<br />

freundliche Bitte an mich: „Sie machen das“ - vielleicht war der Satz auch kürzer.<br />

Es dürfte nicht uninteressant sein, vor allem im Hinblick auf die Ereignisse der letzen Tage, einen<br />

Blick in das Konferenzprotokoll zu werfen, selbstverständlich unter Berücksichtigung der nach wie<br />

vor verpflichtenden Vertraulichkeit.<br />

Nach Beschluss der Schulkonferenz vom 22. Juni 1992 sind zwei Bewerber anzuhören; als Erster<br />

stellt sich Herr StD Thomann vor. Die Fragen, die dann an ihn herangetragen werden, betreffen<br />

eine Fülle von Themen: das Handlungskonzept der Lan<strong>des</strong>regierung mit der damit verbundenen<br />

Unzufriedenheit in den Kollegien, der Verein der Freunde, Personalverwaltung,<br />

Tarifverhandlungen, Baumaßnahmen, Stundenplangestaltung, Unterrichtsverteilung, Führungskonzept,<br />

Leitungsfunktion mit Koordination und Delegation und SV-Arbeit.<br />

Der Mitbewerber aus Mönchengladbach bringt einen ungewöhnlichen Aspekt in die Befragung ein:<br />

die Absprachen politischer Parteien im Hinblick auf die Besetzung von Schulleiterstellen und<br />

skizziert dann die besondere Form der Schule, die er als kommissarischer Schulleiter verwaltet.<br />

Und nun zitiere ich ausnahmsweise einen Satz wörtlich: „Der Umstand, dass es sich dabei um eine<br />

Ganztagsschule handle, dürfe nicht zu der Vermutung Anlass geben, seine Bestrebungen seien<br />

darauf gerichtet, am Gymnasium Gerresheim einen Ganztagsbetrieb zu etablieren“ - das war, wie<br />

bereits bemerkt, 1992.<br />

Nach Abschluss der Befragung hatte die Schulkonferenz also eine echte Wahl zwischen einem sehr<br />

ruhigen und vornehmlich sachorientierten Bewerber und einem Rheinländer, der sein Temperament<br />

bisweilen nur unter Schwierigkeiten bändigen konnte - auf ihn werde ich in einem anderen<br />

Zusammenhang noch zurückkommen. Aber es konnte keine Abstimmung erfolgen, da noch ein<br />

Antrag zur Geschäftsordnung gestellt und kontrovers diskutiert wurde. Die Konferenz entschied<br />

sich dann für <strong>Herrn</strong> Thomann, der auf das Ergebnis bis 22.23 Uhr hatte warten müssen.<br />

Es begann dann für Sie, sehr geehrter Herr Thomann, die Phase der Einarbeitung, der Ausbau der<br />

Führungsposition, die Auseinandersetzung mit hergebrachten Traditionen der Schule und vor allem<br />

das Herangehen an die unterschiedlichen Temperamente, die ein Kollegium prägen und da ist es<br />

fast nicht möglich, Konflikte zu vermeiden. Aber hier gilt der Ausspruch „ex ungue leonem“ (an der<br />

Kralle erkennt man den Löwen) und den Schulleiter unter anderem daran, wie er mit<br />

gegensätzlichen Auffassungen, Konflikten und persönlichen Herausforderungen umgeht.<br />

Meine Damen und Herren! Ich habe mir lange überlegt, ob ich die folgende Begebenheit erzählen<br />

soll, da sie eigentlich recht persönlich ist und die ich damals weniger heiter fand als sie heute<br />

erscheinen mag; aber sie ermöglicht doch den Einblick in eine bemerkenswerte<br />

Konfliktbewältigungsstrategie <strong>des</strong> Schulleiters.<br />

An der Schule war ein pädagogischer Tag vorbereitet worden, und es erschienen zwei<br />

kofferbewehrte Frauen, die alsbald das Kommando übernahmen; zunächst wurde das Klippert-


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Gelenk eingeübt: Nach einem klug ersonnenen Plan sollten Stühle samt Besatzung gegeneinander<br />

verschoben werden. Das Gelenk setzte sich nun, angefeuert von den Frauen, in Bewegung; es<br />

ächzte nach rechts, es knirschte nach links, und mit einem Mal saß ich <strong>Herrn</strong> Thomann<br />

gegenüber. Seine Stirn war umwölkt, die Laune in Mitleidenschaft gezogen: mehr war ihm nicht<br />

anzumerken, er ist Norddeutscher und litt eher tiefinnerlich. Ich war hingegen auf Krawall<br />

gebürstet - falls man denn diesen Vorgang auf der Ebene trivialerer Kommunikationsstrukturen<br />

darzustellen sich anschicken würde.<br />

Meine Ansprache an die Frauen war kurz und schroff, ihre Beschwerde bei <strong>Herrn</strong> Thomann<br />

ausführlich und detailverliebt. Als ich am nächsten Tag zum Gespräch gebeten wurde, war<br />

mir der Anlass natürlich klar - und unterwegs überlegte ich dann, ob wohl die Peitsche<br />

hervorgeholt werden könnte oder verdientermaßen müsste oder doch eher in der Tasche bleiben<br />

sollte - woraus sich übrigens ergibt, dass man auch mit Modalverben Bestrafungsfantasien<br />

strukturieren kann.<br />

Meine im Gespräch immer noch vorhandene Uneinsichtigkeit änderte sich mit dem Satz <strong>des</strong><br />

Schulleiters: „Ich habe mich für Sie entschuldigt.“ Diese Wendung hatte ich nicht erwartet, ich<br />

war geradezu verblüfft und es fand sich dann ein Weg, diesen Konflikt mit den Beteiligten aus der<br />

Welt zu schaffen.<br />

Einige Zeit später fiel mir eine alte Textausgabe in die Hand: The Gentleman Ideal, herausgegeben<br />

von <strong>Oberstudienrat</strong> Emil Jäger, versehen mit dem Zusatz: Alleinberechtigte Schulausgabe. Sie ist<br />

seit min<strong>des</strong>tens dreißig Jahren vergriffen, und das aus Gründen, die leicht nachvollziehbar<br />

sind - die Botschaft ist elitär und entspricht dem Ideal einer aristokratisch geprägten<br />

Klassengesellschaft, Frauen bleiben unberücksichtigt. Dort findet sich ein breites Textspektrum<br />

mit Darlegungen von John Locke, Anthony Earl of Shaftesbury, Lord Chesterfield und anderen<br />

und als Gegenposition eine Passage aus The making of a snob von Thackeray.<br />

Beim Durchblättern fesselt mich ein Text mit der Überschrift „A Gentleman" von Henry Cardinal<br />

Newman, dem führenden Vertreter <strong>des</strong> Oxford Movement im 19. Jahrhundert. Als ich seine<br />

Ausführungen las, war der Konflikt mit <strong>Herrn</strong> Thomann noch nicht lange vergangen und das<br />

Gespräch mit ihm wirkte noch nach. Der erste Satz lautete: „It is almost a definition of a gentleman to say<br />

he is one who never inflicts pain.”<br />

Es gibt eine beherzigenswerte Devise: Ein guter Übersetzer schlägt alle Wörter nach, vor allem<br />

solche, die er gut kennt. Die vorgeschlagenen Übersetzungsmöglichkeiten blieben aber<br />

unbefriedigend und trafen den Kern nicht - ich deute die Aussage so, dass ein gentleman alles daran<br />

setzt, um einem anderen Menschen Beschämung zu ersparen. Die weiteren Darlegungen Newmans<br />

würde man sich über dem Schreibtisch einer jeden Chefetage wünschen - aber in einer Zeit der<br />

Arbeitsverdichter und Menschenführungsexperten wäre das von Newman eindrucksvoll<br />

entwickelte Programm ein Entlassungsgrund. Übrigens würde von folgendem Satz auch je<strong>des</strong><br />

Lehrerkollegium profitieren: „He is merciful towards the absurd“ - er ist nachsichtig gegenüber<br />

schrägen Typen.<br />

Sehr geehrter Herr Thomann! Ich hatte zu Beginn die eindrucksvolle Themenliste angeführt, zu<br />

der Sie Stellung nehmen sollten - und diese Themen verwandelten sich in Aufgaben, die im<br />

aufreibenden Schulalltag unter höchst komplexen Bedingungen möglichst ohne Konflikte gelöst<br />

werden sollten. Das fordert die ganze Persönlichkeit und zehrt an ihr. Will man das in ein Bild<br />

fassen, dann bietet sich ein Barock-Emblem an, das von Gabriel Rollenhagen um 1613<br />

veröffentlicht wurde. Es zeigt eine brennende Kerze, die von sich sagt: „Aliis in serviendo consumor.“-<br />

„Ich verzehre mich im Dienst an den anderen.“<br />

Es ist ein Bild. das die Arbeit und die Bemühungen vor allem derer umschreibt, die Menschen mit<br />

ihren Problemen, Hoffnungen und Erwartungen begleiten, ihnen raten und sie bisweilen auch in<br />

ihre Schranken weisen müssen. Ein Schulleiter kann im schlimmsten Fall von vier Seiten<br />

unter Feuer genommen werden: von der Schulpolitik, die die Arbeitsverdichtung im Bereich der<br />

Leitungsfunktionen so ausgeweitet hat, dass es zunehmend schwierig wird, Bewerber<br />

überhaupt nur zu finden; von Seiten <strong>des</strong> Kollegiums, das sich manchmal nur schwer vorstellen<br />

kann, unter welchen Zwängen und Vorgaben das Amt ausgeübt werden muss, von den Eltern, die,


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geleitet vom verständlichen Interesse am Fortschritt ihrer Kinder, bisweilen Forderungen an die<br />

Schulen herantragen, die auch bei gutem Willen nicht erfüllt werden können, und auch von<br />

den Schülerinnen und Schülern, die zunehmend unter Lernschwierigkeiten leiden und bisweilen<br />

von auffälliger Disziplinlosigkeit bestimmt sind; ein pädagogisch verantwortetes Lösungskonzept<br />

zu finden ist in den Jahren Ihrer Amtsführung, sehr geehrter Herr Thomann, sicherlich nicht<br />

einfacher geworden. Allen möchte ich eine indianische Weisheit ans Herz legen: „Großer<br />

Manitu, lass' mich nie über einen Menschen urteilen, in <strong>des</strong>sen Mokassins ich nicht<br />

wenigstens tausend Schritte gegangen bin.“<br />

Bedenkt man im Zusammenhang mit den eben genannten Problemfeldern den Arbeitsaufwand, der<br />

im Beziehungsfeld der vier am Schulleben beteiligten Gruppen aufgewendet werden muss, dann<br />

könnte man das Bild Rollenhagens verdichten: es wäre dann eine Kerze, die an beiden Enden brennt.<br />

Sie haben, sehr geehrter Herr Thomann, die Schule auf neue Wege geführt, dabei Erhaltenswertes<br />

bewahrt und dafür gesorgt, dass sie auch weiterhin eine bedeutsame und gern angenommene<br />

Institution <strong>des</strong> Stadtteils Gerresheim bleibt.<br />

Ich könnte nun sagen: Herr Thomann, wir danken Ihnen. Aber das geht so nicht: das wäre ein für<br />

norddeutsche Verhältnisse unerhörter Temperamentsausbruch. Ich könnte Ihnen rheinisch danken:<br />

weitschweifig und redselig, aber das geht auch nicht; der echte rheinische Dank endet mit<br />

dem unvermeidlichen Satz: „Wissense wat, kommense misch emal besuchen.“ Wenn Sie das im<br />

Rheinland machen, dann werden Sie Ihren Lebenserfahrungen eine wahrhaft unvergessliche<br />

hinzufügen.<br />

Ich nehme einen kleinen Umweg und komme noch einmal auf Ihren Mitbewerber von 1992 zurück.<br />

Er ist später doch noch Schulleiter in Mönchengladbach geworden, konnte aber nicht ahnen, welche<br />

ungeheuren Belastungen ihm das Fehlverhalten eines Kollegen einbrachte. Dergleichen haben<br />

wir an unserer Schule nicht erleben müssen, aber ich könnte mir vorstellen, dass Sie an manchen<br />

Abenden emotional mitgenommen den Tagesablauf noch einmal an sich haben vorüberziehen<br />

lassen.<br />

Ich entschuldige mich bei Ihnen für diejenigen, die Ihnen aus Gedankenlosigkeit oder mit<br />

Vorbedacht das Leben schwerer gemacht haben, als es mit den Belastungen Ihres Amtes ohnehin<br />

schon war. Vielleicht ist in diesem Zusammenhang eine Bemerkung <strong>des</strong> römischen Philosophen<br />

Seneca hilfreich: „Der Steuermann vereinigt zwei Rollen in sich. Die eine hat er mit allen, die dasselbe Schiff<br />

bestiegen haben, gemein: er ist selbst auch Passagier. Die Rolle <strong>des</strong> Steuermanns dagegen kommt ihm allein zu. Der<br />

Sturm schadet nur dem Passagier in ihm, nicht aber dem Steuermann.“<br />

Zum Abschluss muss ich nun doch noch überschwänglich werden: Wir, das Kollegium <strong>des</strong><br />

Gymnasiums Gerresheim, danken Ihnen von Herzen für Ihre erfolgreiche und so oft<br />

entsagungsvolle Arbeit, ich freue mich darüber, einen fairen und verständnisvollen Schulleiter<br />

gehabt zu haben, der mir viel Freiheit gelassen hat.<br />

Und nun noch ein Ratschlag Senecas: „Überlege dir einmal, wie viel Energie du unbedenklich für dein<br />

Vermögen, wie viel Mühe und Arbeit du für deine Karriere eingesetzt hast. Etwas von alledem darfst du jetzt auch<br />

an deinen Ruhestand wagen.“<br />

Dazu wünschen wir Ihnen alles Gute und viel Erfolg bei der Bewältigung eines neuen<br />

Lebensabschnitts.<br />

Vielen Dank!

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