Facharbeit Geschichte GK - GYMNASIUM GERRESHEIM am Poth
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<strong>Facharbeit</strong><br />
Von: Viktor d’Heureuse<br />
Thema: Die Revolution im Iran<br />
1979<br />
Kurs: <strong>Geschichte</strong> <strong>GK</strong><br />
Gymnasium Gerresheim <strong>am</strong> <strong>Poth</strong>
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Einleitung 3<br />
2. Der Iran unter den Pahlewi 3<br />
3. Ursachen der Revolution 5<br />
3.1. Ungleiche ökonomischen Entwicklung und d<strong>am</strong>it einher-<br />
gehender gesellschaftlicher Wandel 6<br />
3.2. Widerstand des Klerus gegen die „Verwestlichung“<br />
(Säkularisierung, Abhängigkeit von den USA) und die<br />
Religion als Mittelpunkt der Opposition 9<br />
3.3. Mangelnder Rückhalt der Monarchie in der Bevölkerung<br />
und persönliche Schwäche des Schah 10<br />
3.4. Demoralisierung der Armee 11<br />
4. Die Politisierung der Schia 12<br />
5. Ayatollah Khomeini, Ideologie und Wirken 14<br />
6. Schluss 16<br />
7. Anhang 18<br />
7.1 Ergebnisse der Landreform 1962-1971 18<br />
7.2 Abhängigkeit der iranischen Wirtschaft und des Staates<br />
vom Erdöl 18<br />
7.3 Die Besitztümer des Schah 19<br />
7.4 Zeittafel der iranischen <strong>Geschichte</strong> vom 2.Weltkrieg bis 1980 20<br />
7.5 Machtverteilung im Iran 2004 21<br />
7.6 Karte des Iran 22<br />
8. Literaturverzeichnis 23
1. Einleitung<br />
- 3 -<br />
Als Thema meiner <strong>Facharbeit</strong> habe ich die Revolution in den Jahren 1977 bis 1979 im<br />
Iran ausgesucht. Obwohl sie schon vor über 25 Jahren stattfand, hat sie die politische<br />
Landschaft im Nahen Osten maßgeblich verändert, da heute noch die Ereignisse von<br />
d<strong>am</strong>als auf den Iran und seine Nachbarstaaten einwirken. Die „isl<strong>am</strong>ische Demokratie“,<br />
wie sie Khomeini wollte, existiert nach wie vor, ist jedoch in einem entscheidenden<br />
Umbruch begriffen, wie man der Tagespresse entnehmen kann. Allerdings werden die<br />
Ereignisse der Iranischen Revolution nicht im Geschichts- oder Sozialwissenschafts-<br />
Unterricht ausführlich behandelt. Aufgrund unserer geographischen Entfernung zum<br />
Iran sehen wir die dortigen Ereignisse natürlich aus einer gewissen Distanz, aber wir<br />
sollten nicht vergessen, dass auch hier in Deutschland die Demokratie, in der wir leben,<br />
erst seit 1949 gegeben ist. Deshalb sollten wir auf die Ereignisse im Iran achten. Um<br />
mir selbst und denjenigen, die diese <strong>Facharbeit</strong> lesen, die derzeitige politische Lage im<br />
Iran besser verständlich zu machen, habe ich dieses Thema gewählt. Im Folgenden<br />
stelle ich Ursachen der Revolution im Iran heraus. Weiter habe ich die<br />
Revolutionsideologie und den Werdegang Ayatollah Khomeinis dem Revolutionsführer<br />
zus<strong>am</strong>mengefasst und ziehe aus dem Geschehen ein Fazit. Die <strong>Facharbeit</strong> ist in vier<br />
Teile zu unterteilen. Sie beginnt mit einer Zus<strong>am</strong>menfassung der <strong>Geschichte</strong> des Iran<br />
unter der Herrschaft der beiden Pahlewi und des Verlaufs der Revolution. Es folgt eine<br />
Analyse der Ursachen der Revolution. Weiter untersuche ich die ideologische<br />
Grundlage der Revolution und gebe einen Überblick über Khomeinis Wirken. Als<br />
letztes folgt dann mein Fazit mit der Zus<strong>am</strong>menfassung der Ergebnisse.<br />
2. Der Iran unter den Pahlewi<br />
Nach dem Abzug der britischen und russischen Truppen, die den Iran während des 1.<br />
Weltkriegs besetzt hielten, im Jahre 1921, war die d<strong>am</strong>alige iranische Regierung stark<br />
geschwächt. Der Vater von Moh<strong>am</strong>med Resa Pahlewi, Resa Pahlewi, bildete, als<br />
Befehlshaber einer Kosakenbrigade, eine neue Regierung, in der er Kriegsminister<br />
wurde. Vier Jahre später setzte er den regierenden König Ahmed Schah ab und<br />
inthronisierte sich selbst als Schah Resa Pahlewi. Während seiner Zeit als Regent<br />
förderte er die Industrialisierung der d<strong>am</strong>als noch unentwickelten iranischen Wirtschaft,<br />
er reorganisierte das Verwaltungs- und Finanzwesen, förderte den Ausbau der<br />
iranischen Infrastruktur und ließ westliche kulturelle Einflüsse im Land Fuß fassen.<br />
Insges<strong>am</strong>t lässt sich sagen, dass der Iran während der Pahlewi-Dynastie, die 54 Jahre<br />
andauerte, die industrielle Entwicklung erlebte, die in Europa mehr als dreimal so lange
- 4 -<br />
brauchte. Im 2. Weltkrieg musste Schah Reza Pahlewi jedoch das Land verlassen, da die<br />
Alliierten den Iran besetzten und als Nachschubroute nach Russland benutzten. Sein<br />
Sohn Moh<strong>am</strong>med Resa Pahlewi kooperierte mit den Alliierten und konnte sie 1946 zum<br />
Abzug ihrer Truppen bewegen. Der Iran gewann seine volle Souveränität zurück und ist<br />
seit dem 25. Juli 1945 Mitglied der UN. Der Schah orientierte sich nach dem Krieg weg<br />
von der UdSSR an den USA. Nach einer heftigen ökonomischen Krise, verursacht<br />
durch ein Sinken der Erdölpreise im Jahre 1950, wurde General Ali Rasmara<br />
Ministerpräsident. Er schaffte es, die wirtschaftliche Situation des Iran zu verbessern.<br />
Nachdem er sich der Verstaatlichung der Erdölindustrie widersetzt hatte, wurde er 1951<br />
von einem nationalistischen Extremisten ermordet. Nach seinem Tod beschloss das<br />
Parl<strong>am</strong>ent die Verstaatlichung der Erdölindustrie. Hasain Ala, der neue<br />
Ministerpräsident, unternahm nichts, um diesem Beschluss Folge zu leisten, so dass<br />
seine Regierung gestürzt wurde und Moh<strong>am</strong>med Mossadegh neuer Ministerpräsident<br />
wurde. Es folgte die Verstaatlichung der ges<strong>am</strong>ten Erdölindustrie, was trotz<br />
<strong>am</strong>erikanischer Vermittlungsversuche zum Bruch der iranisch-englischen Beziehungen<br />
führte. Nachdem sich Mossadegh und seine Anhänger offen mit dem Schah angelegt<br />
hatten, wurden sie im August 1953 verhaftet, was zu Unruhen in der iranischen<br />
Bevölkerung führte. Obwohl der Schah zunächst fliehen musste, konnte er nach<br />
Mossadeghs Verhaftung zurückkehren. Der Sturz des Nationalisten Mossadegh, der<br />
breite Unterstützung im Volk, jedoch nicht beim Klerus besaß, gelang nur durch<br />
<strong>am</strong>erikanische Unterstützung. Die CIA bestach einige Offiziere, die mit ihren Einheiten<br />
den Sturz Mossadeghs verursachten. General Fasullah Zahedi bildete daraufhin eine<br />
neue Regierung, die 1959 ein Verteidigungsabkommen mit den USA unterzeichnete.<br />
Außerdem wurde der Staat Israel anerkannt, was zu Verstimmungen mit den arabischen<br />
Staaten führte. In den 1960er Jahren führte der Schah die so genannte „Weiße<br />
Revolution“ durch. Pahlewi erließ Reformen bzw. Progr<strong>am</strong>me zur Modernisierung des<br />
Staates: unter anderem eine Bodenreform, Maßnahmen zur Industrialisierung,<br />
Gründung landwirtschaftlicher Genossenschaften, Ausbau des Bildungs- und<br />
Gesundheitswesens sowie Gewährung politischer Rechte an Frauen. Die Reformen<br />
trafen auf Zustimmung und auch auf starke Ablehnung. Vor allem die schiitische<br />
Geistlichkeit sah in vielen der neuen Gesetze Widersprüche zum traditionellen<br />
isl<strong>am</strong>ischen Recht, der Scharia. Im Zuge der nun folgenden Proteste wurde der<br />
Geistliche Ayatollah Khomeini aus dem Iran ausgewiesen, der sich immer mehr zum<br />
Westen wendete. Am 26. Oktober 1967, nach 26 Jahren Regierungszeit, wurde Pahlewi<br />
formell gekrönt. Ende der 60er Jahre suchte der absolut regierende Schah Verbindungen
- 5 -<br />
zum Ostblock, um nicht zu abhängig vom Westen zu werden. Der Iran näherte sich<br />
außerdem den arabischen Staaten mit Ausnahme des Irak, mit dem es territoriale<br />
Streitigkeiten gab, wieder an. Diese territorialen Streitigkeiten führten 1971 zu<br />
Grenzkonflikten mit dem Irak, die aber 1975 beigelegt werden konnten. Im gleichen<br />
Jahr beendete der Schah das Mehrparteiensystem und schuf eine Einheitspartei mit dem<br />
N<strong>am</strong>en Rastachîz („Auferstehung“). In den 60er und 70er Jahren schien sich der Schah<br />
zunehmend von der iranischen Bevölkerung zu entfremden. Seine kostspielige<br />
Hofhaltung stand im krassen Gegensatz zu den ärmlichen Verhältnissen, in denen viele<br />
Iraner lebten. Denn obwohl das durchschnittliche Einkommen in den 70er Jahren bei<br />
2000 US $ lag, lebte ein Großteil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Von der<br />
Modernisierung und Industrialisierung des Staats profitierte nur ein kleiner Teil der<br />
Bevölkerung und auch die relativ wohlhabende Mittelschicht ging durch staatliche<br />
Repression und wegen der Verwehrung politischer Emanzipation auf Distanz zur Politik<br />
des Schahs. In den Jahren 1977 und 1978 eskalierte die Situation im Iran. Zwei<br />
Ereignisse dienten als Anlässe für Massenproteste iranischer Theologiestudenten. Im<br />
Oktober 1977 verstarb der Sohn Khomeinis im Irak unter mysteriösen Umständen. Im<br />
Iran nahmen viele Leute an, dass er im Auftrag des Schah liquidiert worden sei. Zudem<br />
erschien <strong>am</strong> 7. Januar 1978 in der regierungstreuen Zeitung Etalaat ein Artikel des<br />
Informationsministers Homayun, der den im Exil lebenden Ayatollah Khomeini grob<br />
verunglimpfte. Die Proteste wurden blutig niedergeschlagen. In der folgenden<br />
Trauerzeit k<strong>am</strong> es zu weiteren Protestdemonstrationen, die wiederum niedergeschlagen<br />
wurden. So eskalierten die Demonstrationen und die Reaktion der Staatsgewalt immer<br />
mehr. Anfang 1979 herrschten im Land bürgerkriegsähnliche Zustände und der Iran war<br />
für den Schah nicht mehr regierbar. Er verließ ihn <strong>am</strong> 16. Januar 1979 und reiste nach<br />
Kairo. Der zurückgekehrte Ayatollah Chomeini setzte die vom Schah verfügte<br />
Übergangsregierung wieder ab und ließ eine neue Regierung von Mehdî Bâzârgân<br />
zus<strong>am</strong>menstellen. Nach einem Referendum im März wurde mit überwältigender<br />
Zustimmung der Bevölkerung die Isl<strong>am</strong>ische Republik Iran <strong>am</strong> 1. April 1979<br />
ausgerufen. D<strong>am</strong>it endete formell die Revolution im Iran. Der Schah verstarb <strong>am</strong> 27.<br />
Juli 1980 in Kairo an einem Krebsleiden.<br />
3. Ursachen der Revolution<br />
Es lassen sich mehrere Ursachenkomplexe ausmachen, die zur Revolution führten und<br />
sie ermöglichten. Im Folgenden werden die Hauptgründe für die Revolution im Iran
- 6 -<br />
genannt und untersucht. Außerdem werden die Faktoren beleuchtet, die den<br />
erfolgreichen Ablauf der Revolution ermöglichten.<br />
3.1. Ungleiche ökonomische Entwicklung und dem d<strong>am</strong>it einhergehender<br />
gesellschaftlicher Wandel<br />
Als eine der Ursachen für die Revolution im Iran lässt sich die schnell, aber ungleich<br />
verlaufene ökonomische Entwicklung des Landes anführen. Der Iran war bis zum 20.<br />
Jahrhundert ein wenig entwickeltes Land, dessen Wirtschaft hauptsächlich auf den<br />
Agrarsektor konzentriert war. Unter der Pahlewi-Dynastie wurde die wirtschaftliche<br />
Entwicklung erheblich vorangetrieben (s.o.). Die alliierten Besatzungsmächte<br />
hinterließen nach ihrem Abzug 1946 ein gut ausgebautes Verkehrsnetz aus Straßen und<br />
Bahnlinien. Vor allem in den zwanzig Jahren vor der Revolution machte der Iran<br />
erhebliche Fortschritte auf dem Weg zu einer industrialisierten kapitalistischen<br />
Gesellschaft, die selbst die vorangegangenen Jahre in den Schatten stellten. Im<br />
Vergleich zu den 60er und 70er Jahren war das Land in den vorangegangenen Jahren<br />
nur relativ wenigen Veränderungen ausgesetzt. Der beschleunigte Wandel erzeugte<br />
starke Spannungen in der iranischen Gesellschaft. Zum Beispiel wollten die von Reza<br />
Pahlewi unterdrückten iranischen Nomadenstämme in den 50er Jahren ihre einst<br />
verloren gegangene Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit zurückerlangen. Diese und<br />
ähnliche Ereignisse führten dazu, dass vorindustrielle und vorkapitalistische Strukturen<br />
beibehalten wurden (z.B. Basare), welche später zu Konflikten innerhalb der iranischen<br />
Bevölkerung führten, da sie mit dem zunehmenden Fortschritt nicht mithalten konnten.<br />
Der Antrieb für die ökonomische Entwicklung k<strong>am</strong> von der iranischen Erdölindustrie,<br />
deren Einnahmen von 45 Millionen Dollar im Jahre 1950 auf 1,039 Milliarden Dollar<br />
1970 und nach den Preissteigerungen durch die OPEC im Jahr 1976 noch einmal auf<br />
20,5 Milliarden Dollar stiegen. Während der Mitte der 70er Jahre hatte das Pro-Kopf-<br />
Einkommen im Iran mehr als 2000 Dollar erreicht und die Industrieproduktion stieg um<br />
15% pro Jahr. Die Binnenwanderung führte dazu, dass fast die Hälfte der Bevölkerung<br />
in den Städten lebte. Der Iran genoss einen relativen Wohlstand, der dazu führte, dass<br />
eigentlich keine soziale Gruppe eine Senkung des Einkommens hinnehmen musste. 1<br />
Dieses allgemeine Wachstum brachte jedoch auch seine eigenen Probleme mit sich. Das<br />
reichlich vorhandene Öleinkommen und die d<strong>am</strong>it verbundenen hohen Profite führten<br />
zu einer Konzentration der Entwicklung auf die Erdölförderung, so dass andere<br />
Industriesektoren in ihrer Entwicklung zurückblieben. Auch vormals rentable<br />
1 Fred Halliday, 1981, S. 195f.
- 7 -<br />
Unternehmen wurden langs<strong>am</strong> unrentabel und waren nicht mehr konkurrenzfähig. Das<br />
Öleinkommen förderte eine Subvention unrentabler Industriezweige und nährte einen<br />
riesigen Dienstleistungssektor. Die Iraner lebten in der Illusion, dass sie sich die<br />
Anstrengungen, die andere Industriestaaten ohne eigene Ölvorkommen aufbringen<br />
mussten, sparen konnten.<br />
Der Öl-Boom war jedoch nicht von Dauer und nach den großen Preissteigerungen der<br />
OPEC Mitte der 70er Jahre setzte in den Jahren 1977 und 1978 eine Stagnation des<br />
Bruttosozialprodukts des Iran ein. Es gab eine beträchtliche Inflation, die Mietpreise<br />
stiegen, Engpässe bei der Nahrungsmittelversorgung und ständige Stromausfälle plagten<br />
die Stadtbevölkerung. Das führte zwar zu keiner größeren Notlage, aber der<br />
wirtschaftliche Abschwung raubte den Menschen die Zuversicht und das Vertrauen in<br />
das politische System. Die Regierung musste den Kaufleuten Preiskontrollen<br />
auferlegen. Außerdem entschloss sich die Regierung unter Ministerpräsident Amuzegar,<br />
im Jahr 1977 dem Klerus die staatlichen Subventionen zu kürzen. Ein Schritt, der noch<br />
Konsequenzen nach sich ziehen sollte. Für die Armen war jedoch die ungleiche<br />
Verteilung des, trotz der Stagnation, immer noch immensen BSP das größte Ärgernis.<br />
Der Unterschied zwischen ländlichen und städtischen Einkommen war in den 70er<br />
Jahren so groß wie nie zuvor. Nun geschah das gleiche auch innerhalb der städtischen<br />
Gebiete. Mitte der 70er Jahre tätigten 10% der Bevölkerung 40% der Ausgaben. Die<br />
städtischen Armen litten indessen besonders unter der Wohnungsnot und der d<strong>am</strong>it<br />
verbundenen Inflation der Mietkosten, so dass sie 70% ihres durchschnittlichen<br />
Einkommens für Mieten ausgeben mussten. Die neue Generation der Wanderarbeiter<br />
mochte zwar in den Städten ein höheres Einkommen erreichen, verlor aber gleichzeitig<br />
das soziale Netz ihrer Dorfgemeinschaft. Die Korruption, in die auch die Mitglieder der<br />
königlichen F<strong>am</strong>ilie verwickelt waren, nahm in den 70er Jahren ungeheure Ausmaße<br />
an, was später den Zorn vieler enttäuschter Iraner auf die Verantwortlichen lenkte. 2<br />
Der Kern des Problems war jedoch die ungleiche soziale und ökonomische<br />
Entwicklung, die sich nicht in allen Sektoren gleichzeitig vollzog. Trotz großer<br />
Fortschritte bei der industriellen Erdölverarbeitung und Förderung blieben eigentlich<br />
alle anderen Sektoren der Wirtschaft in der Entwicklung zurück. In der Landwirtschaft<br />
zum Beispiel schufen die Reformen der sechziger Jahre einen marktwirtschaftlich<br />
orientierten Sektor, der auf die städtische Wirtschaft ausgerichtet war, aber gleichzeitig<br />
blieben große Teile des Landes im Besitz von F<strong>am</strong>ilienbetrieben, die völlig abgeschottet<br />
2 Siehe Anhang 7.1
- 8 -<br />
von der übrigen Wirtschaft arbeiteten, 3 was zu der Nahrungsmittelkrise der 70er Jahre<br />
führte. Dies wiederum zwang den Schah zum Import von Nahrungsmitteln zur<br />
Versorgung der Bevölkerung. Da auf dem Weltmarkt teilweise stark subventionierte<br />
Agrarprodukte aus den Industrieländern erworben wurden, deren Preise unter denen der<br />
heimischen Produkte lagen, ging die iranische Agrarwirtschaft langs<strong>am</strong> zu Grunde.<br />
Auch in den Städten gab es eine ungleiche Entwicklung. Es bestand eine lange<br />
Tradition der kommerziellen und religiösen Institutionen rund um die Basare, die sich<br />
zwar den Reformen geschickt anpassten, aber dennoch ihre Unabhängigkeit bewahrten.<br />
Im produzierenden Gewerbe fanden zweieinhalb Millionen Menschen Anstellung, was<br />
ein Viertel der iranischen Arbeitskräfte war. Doch die große Mehrheit der kleinen<br />
Handwerksbetriebe, in denen sie arbeiteten, hielten an den Produktionsmethoden,<br />
kulturellen Werten und Verhaltensweisen früherer Epochen fest.<br />
Vergleichbares geschah auch auf dem Finanz- und Handelssektor. Trotz der Bildung<br />
eines modernen Bankenwesens und moderner Einzelhandelsmärkte gaben die<br />
traditionellen Basare ihre Vormachtstellung auf diesen Gebieten nicht auf. Ein<br />
wesentlicher Teil des Handels und der Geldgeschäfte blieb unter der Kontrolle der<br />
Basare, die traditionell diesen Sektor beherrschten. Die Basar-Kaufleute waren zwar<br />
sehr unzufrieden mit dem Angriff der neuen Banken und Einzelhandelsmärkte auf ihre<br />
Vormachtstellung, aber ihre Stellung besserte sich durch die Zunahme von<br />
Geldgeschäften und des Handels durch den wirtschaftlichen Aufschwung. Sie hatten<br />
nach wie vor zwei Drittel der Geschäfte unter ihrer Kontrolle, was ihnen weiterhin<br />
beträchtliche Gewinne einbrachte. Die Basar-Kaufleute waren auch weiterhin die<br />
Anlaufstelle für Leute, die von den Banken für nicht kreditwürdig erachtet wurden. Sie<br />
waren es auch, die traditionellerweise die religiösen Einrichtungen finanzierten wie<br />
Moscheen, Heiligtümer und religiöse Schulen. Dies alles sicherte den Basar-Kaufleuten<br />
einen großen Einfluss auf das Land, den die Regierung unbedingt schmälern wollte. Die<br />
Basarhändler, die städtischen Armen und die Geistlichkeit waren somit die Teile der<br />
Bevölkerung, die später zur Revolution schritten und außerdem an den alten Werten und<br />
Traditionen festhielten. Die Umwandlung und der Versuch der Modernisierung der<br />
iranischen Bevölkerung und der Wirtschaft barg also erhebliches Konfliktpotenzial.<br />
Der Iran wurde zunehmend zu einem monostrukturierten Exportland, dessen einzige<br />
Devisenquelle der Export von Erdöl war. Vor allem in der Phase des wirtschaftlichen<br />
Abschwungs explodierten die Ausgaben des Schah für Rüstungsgüter. In den Jahren<br />
von 1970 bis 1978 hatte die Aufrüstung der iranischen Armee 75 Milliarden Dollar<br />
3 Siehe Anhang 7.2
- 9 -<br />
verschlungen 4 . Erst während der Revolution k<strong>am</strong> langs<strong>am</strong> das ganze Ausmaß der<br />
Verschwendung zutage, die sich der Schah hatte zuschulden kommen lassen. 5 So<br />
wurden zum Beispiel zwischen 1960 und 1976 insges<strong>am</strong>t 52,6 Milliarden Dollar durch<br />
Erdölexporte eingenommen. Davon mussten 33 Milliarden Dollar zur Begleichung des<br />
Außenhandelsdefizits, das durch Nahrungsmittel- und Rüstungsgüterimporte entstanden<br />
war, ausgegeben werden. 6<br />
3.2. Widerstand des Klerus gegen die „Verwestlichung“ (Säkularisierung,<br />
Abhängigkeit von den USA) und die Religion als Mittelpunkt der Opposition<br />
In der Herausbildung des Isl<strong>am</strong> als Widerstandsideologie spielte ein Faktor die<br />
entscheidende Rolle: die Tatsache, dass unter dem Schah und seinem Vater fast alle<br />
weltlichen Widerstandsbewegungen zerschlagen worden waren. Diese Kräfte hatten in<br />
den früheren Jahren den Widerstand gegen das Regime organisiert. Die letzten<br />
weltlichen Widerstandsgruppen, die Guerillagruppen (Fedayin, Mojhaddin), waren nach<br />
ihrem langen und erfolglosen K<strong>am</strong>pf gegen das Regime in den 50er bis in die 70er Jahre<br />
geschwächt. Da auf diese Weise weltliche Protestbewegungen unterbunden worden<br />
waren, wurde die Religion zum Symbol und zur organisatorischen Mitte des<br />
Widerstandes.<br />
Die Liberalen und die Guerillas, die in den 70er Jahren das Regime bekämpften, wurden<br />
seit dem Januar 1978 zunehmend durch geistliche Kräfte und die Basarhändler ersetzt.<br />
Innerhalb der isl<strong>am</strong>ischen Kräfte selbst ging die Führung von der gemäßigten<br />
Geistlichkeit (Sharriat-Madari) und von den reformorientierten moslemischen<br />
Militanten (Bani-Sadr, Bazargan) auf die stärker fund<strong>am</strong>entalistische Geistlichkeit der<br />
Khomeini-Beheshti-Variante über. Die Tatsache, dass die Revolution nicht von einer<br />
einzelnen Partei organisiert wurde, machte sie unempfindlicher gegenüber den<br />
Gegenmaßnahmen des Regimes, die frühere Revolutionsversuche unterdrückt hatten.<br />
Einer der Aussprüche der isl<strong>am</strong>ischen Militanten war: „Unsere größte Stärke ist unser<br />
Mangel an Organisation“ 7 . Die große Koalition der Kräfte, die den Schah stürzte, war<br />
gerade wegen ihres vielseitigen und spontanen Charakters stark. Dies sorgte jedoch<br />
auch für die nachrevolutionäre Lähmung der gemäßigten Kräfte und die<br />
Fund<strong>am</strong>entalisierung der neuen iranischen Republik.<br />
4 Gerhard Konzelmann, 1988, S. 58<br />
5 Siehe Anhang 7.3<br />
6 Ulrich Tilgner, 1979, S. 164f.<br />
7 Fred Halliday, 1981, S. 200
- 10 -<br />
Jeder, der im Iran an der Revolution teilnahm wie die Studenten, die kleinen<br />
Oppositionsgruppen, war letztendlich gezwungen, sich der vorherrschenden religiösen<br />
Strömung unterzuordnen. Die politische Organisation spielte auch aus diesem Grund<br />
nur eine sekundäre Rolle. Viel wichtiger war die Organisation durch die Geistlichkeit<br />
selbst, die, gestützt auf alle Stadtteile mit Zentren in den Moscheen, in der Lage war, die<br />
religiöse Infrastruktur zu nutzen, um die Bevölkerung zu mobilisieren. Diese Netzwerke<br />
erhielten in den Jahren der Revolution eine führende Rolle, obwohl sie anfangs nicht für<br />
diese weltlichen Zwecke gedacht und geeignet waren. Außerdem hatten sie 1978 mit<br />
Ayatollah Chomeini einen mitreißenden, charismatischen Führer gefunden. Hinter der<br />
Geistlichkeit stand zudem die isl<strong>am</strong>istische militante Untergrundorganisation Fedayin-<br />
Isl<strong>am</strong>, die in den fünfziger Jahren gegründet worden war. Auch wenn Khomeini selbst<br />
nicht Mitglied dieser Organisation war, einige andere führende Geistliche waren es.<br />
Diese Organisation bereitete sich seit Jahrzehnten auf die Entmachtung des Schahs vor<br />
und war zu allem entschlossen, um ihr Ziel zu erreichen.<br />
3.3. Mangelnder Rückhalt der Monarchie in der Bevölkerung und persönliche<br />
Schwäche des Schahs<br />
Sowohl der Vater des Schah als auch der Schah selbst waren nicht durch die<br />
Bevölkerung an die Macht gelangt, sondern hatten ihre Macht durch Putsche und -im<br />
Falle des Schah- auch durch Kollaboration mit den alliierten Besatzern gewonnen. Sie<br />
genossen daher niemals die Loyalität des iranischen Volkes. Beide regierten in<br />
unterschiedlichen Formen politischer Diktatur. Der Schah und sein Vater wurden von<br />
Chomeini als ‚Usurpatoren’ bezeichnet und er wählte d<strong>am</strong>it nach Ansicht vieler Iraner<br />
genau den richtigen Ton, obwohl es wohl zwei unterschiedliche Auslegungen für diesen<br />
Begriff gab. Aus Sicht der politischen Opposition traf diese Aussage zu, da sie<br />
entmachtet worden war (u.a. durch die Verfassung, die der Vater des Schah erstellte und<br />
die Vertreibung von Masadeq). Viele Geistliche sahen im Schah einen unrechtmäßigen<br />
Herrscher, da sie die, nach ihrer Auslegung des Korans, legitime Führungsrolle im Staat<br />
für sich beanspruchten.<br />
Beide Pahlewis waren auch unbeliebt, weil sie auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen<br />
waren. Der Sohn konnte den Aufstand Masadeqs 1953 nur mit <strong>am</strong>erikanischer Hilfe<br />
niederschlagen und war den Amerikanern daher verpflichtet.<br />
Die Popularität des Schah blieb jedoch nicht immer gering. Zwar fruchteten die<br />
Versuche, als neue Staatsideologie den „Pahlewismus“ (Betonung der vorisl<strong>am</strong>ischen<br />
Vergangenheit zur Legitimierung der Monarchie) einzuführen, nicht. Mit dem
- 11 -<br />
wirtschaftlichen Boom der 60er und 70er Jahre wurde die Diktatur des Schah allerdings<br />
stillschweigend gebilligt. Doch gerade, als der Aufschwung Mitte der 70er Jahre <strong>am</strong><br />
größten war, sorgte die immer weiter grassierende Korruption für zunehmende<br />
Unzufriedenheit mit der Politik des Schah. Auch die Mittelklasse, die eigentlich<br />
Nutznießer des neuen Reichtums war und keine materiellen Verbesserungen von einer<br />
Revolution erhoffen konnte, ergriff keine Partei für den Schah, als seine Macht zu<br />
wanken begann. Dies hing d<strong>am</strong>it zus<strong>am</strong>men, dass das durch und durch diktatorische<br />
Regime des Schah der Mittelschicht in politischen Dingen kein Mitspracherecht<br />
gewährt hatte. Somit versäumte es der Schah, den politischen Interessen seiner einzigen<br />
gesellschaftlichen Stütze nachzukommen, und er verspielte dadurch die Chance zur<br />
Bildung einer aktiven Anhängerschaft. So war er, als die Revolution ausbrach, politisch<br />
isoliert.<br />
Außerdem zeigte der Schah in der Zeit vor der Revolution eine gewisse Distanz zu der<br />
Realität im Iran. Seine Unwissenheit über die Zustände im Land und seine Neigung<br />
zum politischen Inaktionismus trugen mit zum Gelingen der Revolution bei. Dieser<br />
Fatalismus, aber auch teilweise seine Rücksichtslosigkeit bei der Durchsetzung seiner<br />
Reformen in den letzten Regierungsjahren lassen sich mit seinem Krebsleiden erklären,<br />
da der Schah vermutlich seit 1974 wusste, dass er Krebs hatte, woran er auch 1980 in<br />
Kairo starb.<br />
3.4. Demoralisierung der Armee<br />
Ein weiterer wichtiger Faktor für das Gelingen der Revolution war die Demoralisierung<br />
der Armee. Ein Grund dafür war die Form, die die Konfrontation mit der Bevölkerung<br />
annahm. Unbewaffnete Mengen mit einer allgemein anerkannten Ideologie, dem Isl<strong>am</strong>,<br />
standen einer hochgerüsteten Armee, die nur von korrupten Offizieren<br />
zus<strong>am</strong>mengehalten wurde, gegenüber. Der Konflikt zwischen den Demonstrierenden<br />
und dem Militär war ein Zermürbungsk<strong>am</strong>pf, der als wiederkehrendes Muster ablief.<br />
Wenn eine Demonstration begann, wurde sie vom Militär auseinandergetrieben. Nach<br />
den folgenden vierzig Trauertagen für die Toten * k<strong>am</strong> es zu neuen<br />
Protestkundgebungen. Diese provozierten wiederum eine Reaktion des Militärs.<br />
Die Armee, der diese Massen gegenüberstanden, war ein Wehrpflichtigenheer, dessen<br />
Soldaten die Probleme der Protestierenden natürlich bekannt waren. Chomeini sprach<br />
die Angehörigen der Armee direkt an und appellierte an die Wehrpflichtigen, ihre<br />
* (Es gab immer Tote und Verletzte, 40 Tage Trauer sind isl<strong>am</strong>ische Tradition, genau wie die folgenden<br />
Beileidsbekundungen in Form von Märschen durch die Städte.)
- 12 -<br />
Einheiten zu verlassen. Er machte jedoch gleichzeitig klar, dass die korrupten Offiziere<br />
nach einer geglückten Revolution einer Strafe nicht entgehen konnten. In einer<br />
Ansprache in seinem Pariser Exil sagte Chomeini:<br />
„In jedem Fall fordere ich diese jungen Männer der Armee auf, in die Arme des Volkes<br />
zurückzukehren. Ich weiß, dass sie ihre isl<strong>am</strong>ische Wesensart, ihr menschliche<br />
Wesensart, nicht verloren haben. Doch sie unterstehen jetzt, wie sie glauben, dem<br />
Befehl von Höheren, von Generalen und ähnlichen Leuten, und man macht ihnen Angst<br />
d<strong>am</strong>it, dass es in einer isl<strong>am</strong>ischen Armee keine Offiziere mehr geben wird. Doch das<br />
ist falsch (...). Das Land braucht immer die Armee und braucht immer Offiziere (...).<br />
Was das Land aber nicht braucht, sind Schmarotzer, die das Eigentum des Volkes<br />
stehlen und nicht arbeiten wollen. Diese Leute müssen ihre eigene Rechnung<br />
aufmachen: Je weniger sie stehlen, um so besser für sie (...), denn wohin sie<br />
auch gehen werden, wir werden sie finden.“ 8<br />
Viele hatten kein Interesse mehr, auf die Demonstranten zu schießen, die ihre eigenen<br />
Interessen vertraten und zur eigenen F<strong>am</strong>ilie gehören konnten. Sie nahmen daher<br />
Khomeinis Angebot an und desertierten. Als der Schah das Land verließ, hinterließ er<br />
eine Armee, deren Offizierskorps gespalten war. Ein weiterer Nachteil der Armee war,<br />
dass ihr jegliche Legitimität innerhalb der Bevölkerung fehlte, da sie nur als Werkzeug<br />
des Schah zur Unterdrückung der Bevölkerung gedient hatte. Das wenig rühmliche<br />
Verhalten der iranischen Armee im Grenzkonflikt mit dem Irak war der Moral nicht<br />
zuträglich gewesen. Dies alles sorgte für eine Spaltung der Mehrheit der iranischen<br />
Bevölkerung und des Militärs. Der iranischen Armee fehlte jegliche politische und<br />
soziale Unterstützung, um an der Revolution mitzuwirken oder ihr gar wie etwa in Chile<br />
oder der Türkei mit einem Putsch zuvorzukommen. Dafür waren die hohen Offizier viel<br />
zu eng mit dem Schah verbunden.<br />
4. Die Politisierung der Schia<br />
Nahezu alle Iraner sind Muslime, wovon 95% Angehörige der schiitischen Gruppe des<br />
Isl<strong>am</strong> sind. Dies ist neben den Sunniten die zweite große Hauptgruppe des Isl<strong>am</strong>. Diese<br />
beiden Gruppen unterscheiden sich hauptsächlich durch ihre Ansicht über die<br />
Rechtmäßigkeit des Im<strong>am</strong>. Schiiten sind die Anhänger der so genannten Schia. Schia<br />
heißt Šī’at ’Alī (Gruppe oder Partei Alis). Ali ibn Abi Talib war der Schwiegersohn und<br />
enger Vertrauter Moh<strong>am</strong>meds, des Begründers der muslimischen Religion. Seine<br />
Anhänger waren der Meinung, dass nur er das Recht habe. die Nachfolge Moh<strong>am</strong>meds<br />
als Im<strong>am</strong> anzutreten. Nach seinem Tod stritten die Anhänger Šī’at ’Alī über seine<br />
Nachfolge. Es gab einige Abspaltungen in den vergangenen Jahrhunderten, weil man<br />
sich nicht einigen konnte, wer aus Alis Nachkommenschaft der rechtmäßige Im<strong>am</strong><br />
8 Khomeini-Rede, Ashura 1978 (Neufle-le-Chateau, 11.November 1978), Ulrich Tilgner, 1979, S. 104f.
- 13 -<br />
werden sollte. Heute ist die so genannte Zwölferschia die stärkste Fraktion der Schiiten.<br />
Die Anhänger der Zwölferschia sehen in Moh<strong>am</strong>med al-Mahdī den letzten Im<strong>am</strong>. Er sei<br />
als Kind in die Verborgenheit entrückt worden und werde <strong>am</strong> Ende der Zeiten als Mahdi<br />
(Messias) erscheinen. Andere Gruppen sind die Siebener-Šī’at, die Isma’il anerkennt,<br />
oder die Zaidīya, die die Zain al-’Abidīn als rechtmäßigen Im<strong>am</strong> betrachtet. Die im Iran<br />
herrschende Gruppierung ist seit 1501 (d<strong>am</strong>als noch Persien) die Zwölferschia. Die<br />
Schia gilt im Vergleich zur Sunna, der allgemein vorherrschenden Form des Isl<strong>am</strong>, als<br />
fanatisch. Sie erkennt „Ungläubige“ nicht an. Die Gräber der zwölf Im<strong>am</strong>e sind viel<br />
besuchte Wallfahrtsorte (besonders Kerbela und Nedschef im Irak und Qum und<br />
Maschhad im Iran) und beliebte Begräbnisstätten. 9<br />
Trotz der Tatsache, dass sich die Revolution im Iran auf die Schia berief und diese heute<br />
Staatsreligion des Iran ist, war die Schia in der Vergangenheit eigentlich unpolitisch.<br />
„Die Idee einer politisch aktiven Schia ist ein neues Phänomen und (...) wurde von<br />
iranischen intellektuellen unter dem Eindruck der kulturellen Überfremdung und<br />
wirtschaftlichen Ausbeutung Irans entwickelt.“ 10<br />
Diese Intellektuellen waren vor allem Dschalâl Âl-e Ahmed (1923-1969) und Alî<br />
Scharî’atî (1933-1977), sein Schüler. Unter dem Eindruck der westlichen Einflüsse, die<br />
der Schah in den Iran brachte, entwickelten sie eine eigene Weltanschauung. Sie zogen<br />
wie viele andere den Nutzen westlicher Vorbilder für den Iran in Zweifel und<br />
erwarteten, dass sich die Iraner auf die eigenen kulturellen Werte zurückbesinnen und<br />
wollten nicht länger mit ansehen, wie der Iran durch die Nachahmung des Westens von<br />
seinen Wurzeln entfremdet wurde, einen Vorgang, den sie als „Befallensein vom<br />
Westen“, „Vergiftung vom Westen“ und „Verwestlichung“ 11 bezeichneten. In der<br />
Religion sahen sie den einzigen von diesen Phänomenen nicht befallenen Wert, wobei<br />
vor allem Alî Scharî’atî diese Theorie weiter entwickelte. Er sah die Urgemeinde<br />
Moh<strong>am</strong>meds als Ideal an und wollte einen kämpferischen Isl<strong>am</strong>, der sich gegen die<br />
westlichen Werte verteidigte. Von allen Gläubigen erwartet er politisches Handeln und<br />
brandmarkte Abweichler als Anhänger der in seinen Augen verweichlichten<br />
„Schwarzen Schia“, die sich westlichen Einflüssen ergab. Sich selbst sah er als<br />
Anhänger der „Roten Schia“:<br />
„Die ‚Rote Schia’ ist die ursprüngliche, unverfälschte, wahre Schia (...), eine<br />
revolutionäre Bewegung, die für Gerechtigkeit eintritt und jegliche Fremdherrschaft,<br />
Unterdrückung, despotische Willkür und Ausbeutung bekämpft.“ 12<br />
9 Annemarie Schimmel, 1990, S. 82f.<br />
10 Monika Gronke, 2003, S. 105<br />
11 Monika Gronke, 2003, S. 106<br />
12 Monika Gronke, 2003, S. 106
- 14 -<br />
Er forderte weiter, das Reich Gottes auf Erden zu errichten, und erwartete somit von den<br />
Gläubigen selbst die Vertretung des verborgenen zwölften Im<strong>am</strong> zu übernehmen, der<br />
dieses Wunder eigentlich vollbringen sollte. Den hohen Geistlichen wies er eine<br />
Position als Organisatoren der Revolution zu, befreite sie jedoch von ihrer traditionell<br />
herausgehobenen Position. D<strong>am</strong>it gelang es ihm, die traditionell unpolitische Schia zu<br />
einer Revolutionsideologie zu transformieren. Allerdings verstarb er selbst, bevor sich<br />
seine Ideen in die Tat umsetzten ließen, im Exil 1977 in London. Die Revolution<br />
entwickelte sich über seine teilweise gegen den Klerus gerichteten Vorstellungen<br />
hinaus, wie sich im theokratisch organisierten nachrevolutionären Iran zeigt. Khomeini,<br />
der die Führung der Revolution übernahm, entwickelte seine Ideen im eigenen Sinne<br />
weiter, indem er offen gegen die in westlichen Demokratien praktizierte Säkularisierung<br />
agitierte:<br />
„Es gibt Leute, die behaupten, Religion und Politik müssten getrennt werden. Nach<br />
ihrer Meinung sollten sich die Männer des Glaubens nicht in die Angelegenheiten des<br />
Staates einmischen. (...) Wer so redet ist ein Atheist und spricht das nach, was die<br />
Imperialisten ihm diktieren. Zur Zeit des Propheten war die Religion keineswegs von<br />
der Politik getrennt. (...) Der Prophet hat die niemals aufzulösende<br />
Einheit von Religion und Staat geschaffen(...).“ 13<br />
Mit diesen Worten erstickte Khomeini den Versuch, nach der Abdankung des Schah<br />
eine westlich orientierte Demokratie im Iran zu schaffen.<br />
5. Ayatollah Khomeini, Ideologie und Wirken<br />
Ayatollah Rûhollâh Mussawi Hendi Khomeyni (1902-1989), im Folgenden Khomeini<br />
genannt, wurde der Führer der Revolution im Iran. Ayatollah (Geschenk oder Spiegel<br />
Gottes) ist ein höherer Ehrentitel, der einem Mudschtahid (Schriftgelehrten) angetragen<br />
werden kann. Es gibt keine zentrale Instanz, die den Titel verleiht. Khomeini st<strong>am</strong>mte<br />
aus einer F<strong>am</strong>ilie kleiner Landeigentümer aus der Kleinstadt Khomeyn im Zentrum des<br />
Iran (zwischen H<strong>am</strong>adân und Isfahan). Er wurde von Ayatollah Hoseyn Borûdscherdî in<br />
der Stadt Qum unterrichtet, der, wie viele Geistliche d<strong>am</strong>als, jegliche politische<br />
Betätigung weit von sich wies. Unter diesem Einfluss hielt Khomeini seine politischen<br />
Interessen zunächst zurück, und erst im Oktober 1962 und im Juni 1963, nachdem<br />
Borûdscherdî verstorben war, trat Khomeini erstmals offen gegen den Schah auf. Er<br />
nahm hauptsächlich Anstoß an zwei Reformen des Schah. Erstens gab der Schah bei<br />
den anstehenden Wahlen der Provinzräte auch Frauen und Andersgläubigen das<br />
Wahlrecht, und zweitens verletzte die anstehende Landreform in seinen Augen das<br />
13 Gerhard Konzelmann,1988, ,S. 55
- 15 -<br />
heilige Recht der Muslime auf Eigentum. In einer seiner Reden bezeichnete er den<br />
Schah als Satan, was er noch oft wiederholte, so dass der Schah ihn festnehmen ließ.<br />
Doch die ärmeren Bewohner Teherans, als deren Sprachrohr er sich profiliert hatte,<br />
demonstrierten dagegen. Nachdem Ende des Jahres 1963 bürgerkriegsähnliche Zustände<br />
in Teheran herrschten, sah sich der Schah gezwungen Khomeini freizulassen. Dieser<br />
Vorfall zeigte erstmals, dass Teile der iranischen Bevölkerung der religiösen Führung<br />
im K<strong>am</strong>pf gegen das Regime des Schah beistanden. Die Bedeutung dieser Ereignisse<br />
schien nur von Chomeini verstanden zu werden, dem Schah, der liberalen Opposition<br />
und den Menschen im Ausland entging sie vollständig. Gerade die Bereitschaft der<br />
Bevölkerung, der religiösen Führung zu folgen, sollte einerseits Khomeinis Überleben<br />
sichern und andererseits später die Revolution möglich machen. Nachdem Khomeini<br />
mit seinen Beleidigungen gegen den Schah fortfuhr, wurde er unter Hausarrest gestellt.<br />
In dieser Zeit machte er die Vereinigten Staaten von Amerika als sein größtes Feindbild<br />
neben dem Schah aus, da dieser sich nicht ohne die Unterstützung der USA an der<br />
Macht halten konnte. Die USA schlugen dem Schah daraufhin vor, den Unruhestifter<br />
Khomeini deportieren zu lassen. Ein Mord, wie er im Iran an Dissidenten sonst üblich<br />
war, k<strong>am</strong> nicht in Frage, da er zu viele opferbereite Anhänger hatte. 1964 wurde<br />
Khomeini ins Exil in die Türkei geschickt. Im Jahr 1965, nach elf Monaten Aufenthalt<br />
in der Türkei, erhielt er eine Einreisegenehmigung in den Irak und ließ sich <strong>am</strong> Schrein<br />
von Nedschef, dem Begräbnisort Ali ibn Abi Talibs, nieder. Auch hier hetzte er<br />
weiterhin gegen das Regime des Schah. Genau das erwartete die irakische Regierung<br />
(d<strong>am</strong>als unter Präsident Ahmed Hassan Al Bakr) von ihm, da sie sich eine politische<br />
Destabilisierung des Iran erhoffte, denn es gab einen Grenzkonflikt zwischen den<br />
beiden Staaten, der 1971 zu kriegerischen Auseinandersetzungen führte.<br />
Tonbandkassetten seiner Reden wurden von seinen Anhängern in den Iran gebracht und<br />
fanden dort Gehör. 1977 starb in Nedschef der Sohn Khomeinis, Mustapha Khomeini,<br />
im Alter von 49 Jahren. Obwohl die Todesursache nie festgestellt wurde, glaubten viele<br />
Iraner, dass der Sohn des unermüdlichen Regimekritikers umgebracht worden war. Im<br />
Iran k<strong>am</strong> es zu Demonstrationen, die niedergeschlagen wurden. Nachdem der Iran 1975<br />
mit dem Irak einen Friedensvertrag geschlossen hatte, wurde Khomeini zunehmend<br />
lästig für die irakische Regierung, die ihn 1978 ausweisen lies. Die letzte Exil-Station<br />
Khomeinis war Neauphle-le-Château, ein Vorort von Paris. Anders als sonst bei<br />
Asylanten üblich, bek<strong>am</strong> Khomeini nicht die Auflage, politische Betätigung zu<br />
unterlassen, denn die französische Regierung schien erkannt zu haben, dass es mit dem<br />
Regime des Schah zu Ende ging. So durfte Khomeini in seinem neuen Exil eine
- 16 -<br />
Gegenregierung aufbauen und er erklärte offen, dass jegliche Schmälerung seiner<br />
politischen Bewegungsfreiheit und seiner Aktivitäten unerwünscht sei: „Frankreich<br />
muss sich überlegen, wo seine Interessen in der isl<strong>am</strong>ischen Welt liegen.“ 14 Frankreich<br />
ließ dem zukünftigen Herrscher des Iran umfangreiche Unterstützung zukommen. Für<br />
seine Rückreise nach Teheran <strong>am</strong> 1. Februar 1979, nachdem der Schah aus dem Iran<br />
vertrieben worden war, stellte ihm die Air France einen Jumbo Jet zur Verfügung. Nach<br />
seiner Ankunft in seinem Heimatland nach fünfzehn Jahren im Exil brachte seine kurze<br />
Ansprache seine ganze Wut zum Ausdruck: „Der Schah hat dieses Land zu Grunde<br />
gerichtet. Zwanzig Jahre wird der Wiederaufbau brauchen (...). Wirklich ausgebaut hat<br />
Moh<strong>am</strong>med Reza Pahlewi nur die Friedhöfe.“ 15 Nach dem Ausruf der Isl<strong>am</strong>ischen<br />
Republik Iran im Jahr 1979 wurde Khomeini Staatsoberhaupt und oberster religiöser<br />
Führer. Im selben Jahr billigte er die Erstürmung der <strong>am</strong>erikanischen Botschaft, bei der<br />
50 <strong>am</strong>erikanische Staatsbürger als Geiseln genommen werden. Dieses Ereignis prägte<br />
die Beziehungen zwischen dem Iran und den USA für lange Zeit. Der 1. Golfkrieg<br />
zwischen dem Iran und dem Irak wurde zum Teil wegen der Weigerung Khomeinis, mit<br />
den Irakern in einen Dialog zu treten, acht Jahre lang geführt, ohne dass eine Seite die<br />
Oberhand gewinnen konnte. Khomeini hoffte, mit dem Krieg auch das Nachbarland<br />
Irak von seinem Despoten befreien zu können. Das Ende der Herrschaft Sadd<strong>am</strong><br />
Husseins erlebte er jedoch nicht mehr, da er <strong>am</strong> 3. Juni 1989 starb. Vorher hatte er noch<br />
einmal international Aufsehen erregt mit seinem Todesurteil gegen den indischen<br />
Schriftsteller Ahmed Salman Rushdie wegen dessen Romans „Die Satanischen Verse“.<br />
6. Schluss<br />
Als Fazit der vorrevolutionären Ereignisse lässt sich sagen, dass man hier einen<br />
Revolutions-Verlauf sieht, der sich grundlegend von dem der bekannten europäischen<br />
oder der Russischen Revolution unterscheidet. Anders als bei der Französischen<br />
Revolution war nicht das Streben nach politischer Freiheit ausschlaggebend für die<br />
Revolution, sondern das Streben nach religiöser Freiheit. Daher verlief die Revolution<br />
auch anders als etwa die Russische Revolution 1917, in der der russische Klerus als<br />
Hauptfeind der Revolution neben dem zaristischen Regime angesehen wurde. Die<br />
Tatsache, dass eine religiöse, keine politische Ideologie der Revolution zugrunde lag<br />
und dass sie hauptsächlich vom iranischen Klerus und den Armen getragen wurde und<br />
nicht vom Bildungs- und Besitzbürgertum, macht einen wichtigen Unterschied zu den<br />
14 Gerhard Konzelmann, 1988, S. 53<br />
15 Gerhard Konzelmann, 1988, S. 57
- 17 -<br />
vielen anderen Revolutionen des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts aus.<br />
Auch die verworrene <strong>Geschichte</strong>, die der Iran nach dem Ende des Regimes des Schah<br />
erlebte, ist eine Besonderheit. Den meisten Anhängern der Revolution war vor dem<br />
Ende der Revolution wahrscheinlich gar nicht klar, was Khomeini sich für den<br />
nachrevolutionären Iran ausgedacht hatte. Auch wenn der Irak als äußeren Feind das<br />
Land noch einmal einte, konnte der Zerfall der „Gottesherrschaft“ Khomeinis nicht<br />
aufgehalten werden. Heute, 25 Jahre nach der Gründung der Isl<strong>am</strong>ischen Republik Iran,<br />
steht der Staat an einem Scheideweg. Obwohl nach Khomeinis Tod 1989 alles nach<br />
einer Liberalisierung aussah, besteht für die isl<strong>am</strong>ische Demokratie wieder die Gefahr,<br />
sich in eine isl<strong>am</strong>ische Diktatur zu verwandeln.<br />
Im Iran scheint die Revolution auch 25 Jahre nach ihrem offiziellen Ende noch nicht<br />
vorbei zu sein und auch in Zukunft wird sich die politische Landschaft im und um den<br />
Iran noch ändern, wie die Einnahme des Irak durch die Amerikaner und die Alliierten<br />
und der Streit um die bevorstehenden Wahlen im Iran zeigen. 16<br />
16 Siehe Anhang 7.5
18<br />
7.1 Ergebnisse der Landreform 1962-1971 1<br />
Land in % der fruchtbaren<br />
Ges<strong>am</strong>tfläche/ in ha pro Bauer<br />
5/ < 2 ha<br />
13,7/ 2 bis 5 ha<br />
67,6/ 5 bis 50 ha<br />
13,7/ 50 bis 100 ha<br />
Land in % der fruchtbaren<br />
Ges<strong>am</strong>tfläche/ in ha pro Bauer<br />
4,3/ < 2 ha<br />
10,6/ 2 bis 5 ha<br />
63,7/ 5 bis 50 ha<br />
21,4/ 50 bis 100 ha<br />
Landverteilung vor...<br />
...und nach der Landreform<br />
Anzahl der Bauern/ in %<br />
der Ges<strong>am</strong>tzahl<br />
508000/ 40<br />
321300/ 25,3<br />
431800/ 34<br />
8890/ 0,7<br />
Anzahl der Bauern/ in %<br />
der Ges<strong>am</strong>tzahl<br />
513000/ 34<br />
325900/ 21,6<br />
653300/ 43,3<br />
16600/ 1,1<br />
Iranische Bauern als Selbstversorger<br />
Vom Ertrag wurde nichts weniger als die die Hälfte oder<br />
verkauft<br />
Hälfte mehr<br />
insges<strong>am</strong>t<br />
bei einer Größe von<br />
51% 26,7% 22,3%<br />
weniger als 1 ha 55,5<br />
25,9<br />
18,6<br />
1 bis 2 ha<br />
39,5<br />
28,5<br />
32,0<br />
3 bis 5 ha<br />
51,1<br />
26,6<br />
22,3<br />
5 bis 10 ha<br />
59,2<br />
26,5<br />
14,3<br />
10 bis 50 ha<br />
48,4<br />
28,2<br />
23,4<br />
50 bis 100 ha<br />
1,0<br />
1,9<br />
97,1<br />
100 ha und mehr 3,0<br />
0,2<br />
96,8<br />
7.2 Abhängigkeit der iranischen Wirtschaft und des Staates vom Erdöl 2<br />
Der Iranische Staatshaushalt 1970- 1977<br />
Staatseinkommen in %<br />
Jahr 1970/71 1971/72 1972/73 1973/74 1974/75<br />
Gas und Erdöl<br />
Steuern<br />
Sonstiges<br />
49,2<br />
41,6<br />
9,2<br />
60,0<br />
32,1<br />
7,9<br />
Staatseinkommen in %<br />
Jahr 1975/76 1976/77<br />
Gas und Erdöl 76,7 84<br />
1 nach Ulrich Tilgner, 1979, S. 162<br />
2 Ulrich Tilgner, 1979, S. 163<br />
59,0<br />
34,0<br />
7,0<br />
67,0<br />
29,2<br />
3,8<br />
86,4<br />
11,7<br />
1,9
19<br />
7.3 Die Besitztümer des Schah 3<br />
(Übersetzung eines Flugblattes aus dem Persischen)<br />
Das, was ihnen in dieser Abhandlung zur Verfügung steht, wurde mit Fleiß und mühevollen<br />
Recherchen im In- und Ausland erforscht und zus<strong>am</strong>mengestellt. Nach Ansicht des<br />
Chronisten soll diese Zus<strong>am</strong>menstellung dazu Beitragen, die Tyrannen dieser blutrünstigen<br />
Maschinerie und die Plünderer (...) zu beseitigen. Diener und Untergebene! Sagt nicht, keine<br />
Möglichkeit gehabt zu haben, die Verbrechen des Regimes aufzudecken.<br />
Der Vater des Schah, Reza, einst genannt der Mauleseltreiber, erlangte seinen N<strong>am</strong>en Reza<br />
Khan auf folgende Weise: Als er aus dem Norden nach Teheran zog, besaß er nur einige<br />
Kleider und ein paar Stiefel. Dann schloss er sich einer Kosakentruppe an und begann die<br />
Dienerschaft bei den Russen, mit deren Hilfe er schließlich einen Putsch durchführen konnte.<br />
Nach 16 Jahren diktatorischer Herrschaft und unzähligen Verbrechen an Land und Nation<br />
warfen ihn andere Herren hinaus. Zu diesem Zeitpunkt besaß er 67 Millionen Toman Bargeld,<br />
Teheraner Paläste, Immobilien in Sari, zwei Drittel des Geländes in Gorgan, wesentliche Teile<br />
Chorasans, Fabriken im Norden und Boden in Shemiran. Schah Moh<strong>am</strong>med Reza wurde Erbe<br />
all dieses Besitzes. Als er auf der Szene auftauchte, verkaufte er Teile des Landbesitzes an<br />
seine Herren; ein anderer teil wurde dann von Dr. Mossadegh enteignet und der Nation zur<br />
Verfügung gestellt. Mit dem Erlös aus dem Verkauf von Teilen des Landbesitzes wurde die<br />
Bank-e-Omran (Bank des Aufbaus) gegründet. Es folgt eine Zus<strong>am</strong>menstellung weiterer<br />
Besitztümer des Schah, die er sich nach der so genannten Weißen Revolution angeeignet hat –<br />
die so genannte Weiße Revolution war im Grunde ein Befehl seiner Herren, genauso wie er<br />
neuerdings den Befehl erhalten hat, die Nation eine offenbar politische Atmosphäre und<br />
Freiheiten zu gewähren. Ihr Diener! Gebt ihm Bescheid: Hast Falsch kalkuliert, musst gehen<br />
wie dein Vater(...)Im Anhang fand sich eine lange Liste mit Besitztümern und Barvermögen<br />
des Schahs im In- und Ausland. Der Ges<strong>am</strong>twert Betrug wohl einige Zehn Milliarden US<br />
Dollar.<br />
...Der Schah sagte in Amerika während einer Unterredung mit Journalisten, dass er während<br />
seiner Herrschaft niemals Ruhe gehabt habe, dass er all seinen Besitz und alles der Nation zur<br />
Verfügung gestellt habe. Der verbrecherische Lügner wurde zu guter Letzt bloßgestellt.<br />
Augenblicklich hat er ja nichts übrig gelassen, und es gibt kein Verbrechen, das er noch nicht<br />
ausgeführt hat, aber nun ist er mit dem Zorn des Volkes konfrontiert.(...)<br />
Veröffentlicht wurde dieses Flugblatt von Angestellten mehrerer iranischer Banken. Das<br />
Flugblatt löste im Iran einige Diskussionen aus, wie die Besitztümer des Schahs nach der<br />
Revolution verstaatlicht werden können.<br />
3 Ulrich Tilgner, 1979, S. 171f.
7.4 Zeittafel der iranischen <strong>Geschichte</strong> vom 2.Weltkrieg bis 1980<br />
20<br />
II Weltkrieg Alliierte zwingen den deutschlandfreundlichen Schah Pahlewi zur Flucht,<br />
übernehmen die Kontrolle und nutzen den Iran als Nachschubweg und<br />
Rohstoffquelle.<br />
1943 kehrte der Sohn Pahlewis, Moh<strong>am</strong>med Resa Pahlewi, in den Iran<br />
zurück. Er kooperierte mit den Alliierten und konnte sie...<br />
Nach 1945 ...1946 zum Abzug ihrer Truppen bewegen. Der Iran gewann somit seine<br />
volle Souveränität zurück. Seit dem 25. Juli 1945 ist der Iran Mitglied der<br />
UN. Der Schah orientierte sich nach dem Krieg an den USA, weg von der<br />
UdSSR.<br />
1950 Heftige ökonomische Krise. General Ali Rasmara wurde Ministerpräsident.<br />
1951 Ali Rasmara wurde ermordet, nachdem er sich der Verstaatlichung der<br />
Erdölindustrie widersetzte. Nach seinem Tot beschloss das Parl<strong>am</strong>ent die<br />
Verstaatlichung der Erdölindustrie. Hasain Ala, der neue Ministerpräsident,<br />
unternahm nichts, um diesem Beschluss Folge zu leisten. Seine Regierung<br />
wurde gestürzt, Moh<strong>am</strong>med Mossadegh wurde neuer Ministerpräsident. Es<br />
folgte die Verstaatlichung der Erdölindustrie, was trotz <strong>am</strong>erikanischer<br />
Vermittlungsversuche zum Bruch der iranisch-englischen Beziehungen<br />
führte.<br />
1953 Nachdem sich Mossadegh und seine Anhänger offen mit dem Schah angelegt<br />
hatten, wurden sie im August 1953 verhaftet. Obwohl der Schah zunächst<br />
fliehen musste, konnte er nach Mossadeghs Verhaftung zurückkehren.<br />
General Fasullah Zahedi bildete daraufhin eine neue Regierung.<br />
1959 Bildung eines Verteidigungsabkommens mit den USA. Anerkennung des<br />
Staates Israels, was zu Verstimmungen mit den anderen arabischen Staaten<br />
führte.<br />
Die 60er So genannte Weiße Revolution. Pahlewi erließ Reformen bzw. Progr<strong>am</strong>me:<br />
u.a. Bodenreformen, Industrialisierung, Gründung landwirtschaftlicher<br />
Genossenschaften, Ausbau des Bildungs- und Gesundheitswesens sowie<br />
Gewährung politischer Rechte an Frauen. Der Iran wandte sich immer mehr<br />
dem Westen zu. Am 26. Oktober 1967, nach 26 Jahren Regierungszeit,<br />
wurde Pahlewi auch formell gekrönt. Ende der 60er Jahre suchte der absolut<br />
regierende Schah auch Verbindungen zum Ostblock, um nicht zu abhängig<br />
vom Westen zu werden. Der Iran näherte sich außerdem den anderen<br />
arabischen Staaten wieder an, außer dem Irak, mit dem es territoriale<br />
Streitigkeiten um Schatt el Arab und um den Besitz mehrerer Inseln im<br />
Persischen Golf gab.<br />
1971 Das führte zur Besetzung der Inseln durch den Iran und zum Abbruch der<br />
diplomatischen Beziehungen zwischen Iran und Irak.<br />
1975 Erst 1975 konnten sich die beiden Staaten auf einen Friedensvertrag einigen.<br />
Am 2. März 1975 kündigte der Schah das Ende des Mehrparteiensystems an<br />
und führte das Einparteiensystem ein, einzige zugelassene Partei war die<br />
Iranische Nationale Erneuerungspartei.<br />
1977 Zunehmende Unzufriedenheit unter der iranischen Bevölkerung. Ende der<br />
70er Jahren entfremdete sich der Herrscher immer mehr von seinem Volk.<br />
Im Oktober starb ein Sohn Khomeinis auf mysteriöse Weise. Viele Anhänger<br />
Khomeinis nahmen an, das der iranische Geheimdienst SAVAK dafür<br />
verantwortlich war. Im Dezember fand eine Anti-Schah-Demonstration<br />
anlässlich eines Besuchs des Schahs in Washington statt. Diese<br />
Demonstration wurde auch im iranischen Fernsehen übertragen.
21<br />
1978 Am 7.1.erschien in der Zeitung Etalaat ein Artikel des Informationsministers<br />
Homayun, der den im Exil lebenden Ayatollah Chomeini verunglimpfte.<br />
Daraufhin gab es erste Sympathiemärsche für Khomeini von<br />
Theologiestudenten in Qum, die blutig niedergeschlagen wurden. Das zog<br />
wiederum Demonstrationen nach sich, deren erneuter Niederschlagung<br />
immer weitere Demonstrationen folgen. Im April gab es auch erste Streiks<br />
und in 20 Städten fanden Demonstrationen statt. Seit Januar waren ca. 4000<br />
Tote durch Militär- und Polizeieinsätze zu beklagen. Ende April k<strong>am</strong> es zum<br />
Generalstreik. Ende des Jahres musste in Ishfahan das Kriegsrecht<br />
ausgerufen werden, was weitere Demonstrationen nicht verhindern konnte.<br />
1979 Im Land herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände, die den Schah <strong>am</strong> 16.1.<br />
zum Verlassen des Landes zwingen. Die zuvor gebildete zivile<br />
Übergangsregierung unter Bakhtiar wurde von dem <strong>am</strong> 1.2. zurückgekehrten<br />
Khomeini für illegal erklärt. Khomeini lies Mehdî Bâzârgân eine<br />
Gegenregierung bilden. Nachdem große Teile der Verwaltung die<br />
Gegenregierung unterstützten, erklärte die Armee <strong>am</strong> 12.2. ihre Neutralität<br />
und die Regierung Bakhtiar ihren Rücktritt. Führende Minister und<br />
Verantwortliche der Schah-Regierung wurden verhafte. Am 14.2. besetzten<br />
Demonstranten die <strong>am</strong>erikanische Botschaft. Im April 1979 wurde die<br />
Isl<strong>am</strong>ische Republik Iran ausgerufen. Der neuen Theokratie stand Ayatollah<br />
Chomeini als oberste Kontrollinstanz vor. Die Revolution im Iran endete.<br />
Der Schah starb 1980 im Exil in Kairo.<br />
7.5 Machtverteilung im Iran 2004<br />
Präsident Isl<strong>am</strong>ischer Führer<br />
Macht relativ gering Höchste Instanz im Staat<br />
Moh<strong>am</strong>med Chat<strong>am</strong>i<br />
• Direkt vom Volk gewählt<br />
• Chef der Exekutive<br />
Parl<strong>am</strong>ent („Madschlis“)<br />
• Direkt vom Volk gewählt<br />
• Relativ geringe Macht, da...<br />
290 Abgeordnete,<br />
123 legten aus Protest<br />
ihr Mandat nieder<br />
...Gesetzvorlagen<br />
Genehmigt werden müssen<br />
Ali Ch<strong>am</strong>enei<br />
• Wird vom Expertenrat auf<br />
Lebenszeit gewählt<br />
• Bestimmt politische Richtlinien<br />
• Ist Oberbefehlshaber der<br />
Streitkräfte und<br />
par<strong>am</strong>ilitärischer Einheiten<br />
• Bestätigt den Präsidenten<br />
Wächterrat<br />
• Zwölfköpfig, je zur Hälfte vom<br />
Präsidenten und vom Parl<strong>am</strong>ent<br />
bestimmt<br />
vom... • De facto ein Machtinstrument<br />
der konservativen Führung<br />
Ausschluss von rund 2500 reformorientierten<br />
Kandidaten von der<br />
Parl<strong>am</strong>entswahl <strong>am</strong> 20. Februar
7.6 Karte des Iran<br />
22<br />
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8. Literaturverzeichnis<br />
Quelle: (Alle Angaben: Titel: Untertitel; Autor(en); Ort + Jahr)<br />
Ayatollah Khomeini: Leben, Revolution, Erbe; Ulrich Encke; o.O.;o.J.<br />
Brennpunkt Mittel-Ost; Fred Halliday; Stuttgart 1981<br />
Der Atem Allahs: Die isl<strong>am</strong>ische Welt und der Westen – K<strong>am</strong>pf der Kulturen?; Bernard<br />
Lewis; Wien – München 1994<br />
Der Isl<strong>am</strong>: Eine Einführung; Annemarie Schimmel; Stuttgart 1990<br />
Die Golfregion in der Weltpolitik; versch. Autoren; Stuttgart 1991<br />
Die isl<strong>am</strong>ische Herausforderung; Gerhard Konzelmann; München 1988<br />
Die Isl<strong>am</strong>ische Republik Iran, Ebert/Fürtig/Müller; Köln 1987<br />
Encarta Enzyklopädie 2005 Build Nr.: 14.0.0.0603 ; versch. Autoren; Redmond 2004<br />
<strong>Geschichte</strong> Irans: Von der Isl<strong>am</strong>isierung bis zur Gegenwart; Monika Gronke; München<br />
2003<br />
Golf Journal; versch. Autoren; Frankfurt a.M. 1991-1992<br />
Iranisches Tagebuch: 5 Jahre Revolution; Hans-Peter Drögemüller; H<strong>am</strong>burg 1983<br />
Iran: From Religious Dispute to Revolution; Michael m.J.Fischer; C<strong>am</strong>bridge,<br />
Massachusetts, London 1984<br />
Umbruch im Iran: Augenzeugenberichte – Analysen – Dokumente; Ulrich Tilgner (Hg.);<br />
H<strong>am</strong>burg 1979<br />
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