Internistisch-rheumatologische Begutachtung von ... - Springer
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Z Rheumatol 61:652–660 (2002)<br />
DOI 10.1007/s00393-002-0465-8<br />
O. Sander<br />
R. Fischer-Betz<br />
M. Schneider<br />
Eingegangen: 16. Oktober 2002<br />
Akzeptiert: 4. November 2002<br />
Dr. med. Oliver Sander ())<br />
Dr. med.Rebecca Fischer-Betz<br />
Prof. Dr. med. Matthias Schneider<br />
Rheumazentrum Düsseldorf<br />
Klinik für Nephrologie<br />
und Rheumatologie<br />
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf<br />
Moorenstr. 5<br />
40225 Düsseldorf, Germany<br />
E-Mail: Sander@rheumanet.org<br />
Einleitung<br />
Kollagenosen und Vaskulitiden sind seltene entzündlich<br />
rheumatische Erkrankungen, die in vielfältigen<br />
Manifestationen und klinischen Verläufen auftreten<br />
können. Zu Beginn können eher unspezifische<br />
Symptome die Diagnosestellung verzögern, Fehldiagnosen<br />
sind nicht ungewöhnlich. Die unterschiedlichen<br />
Spontanverläufe mit Manifestationen, die nahezu<br />
alle Organen betreffen können, erschweren die<br />
Festlegung therapeutischer Standards und auch die<br />
Abschätzung der Prognose. Dies wirkt sich auch auf<br />
die <strong>Begutachtung</strong> dieser Erkrankungen aus. Die dokumentierten<br />
und publizierten Erfahrungen zur <strong>Begutachtung</strong><br />
<strong>von</strong> Kollagenosen sind rar (3, 9, 18, 19,<br />
26). Dies führt zu großer Unsicherheit und Variation<br />
bei der <strong>Begutachtung</strong> der Patienten.<br />
BEITRAG ZUM THEMENSCHWERPUNKT<br />
<strong>Internistisch</strong>-<strong>rheumatologische</strong> <strong>Begutachtung</strong><br />
<strong>von</strong> Patienten mit Kollagenosen<br />
Guidelines for assessment<br />
of patients with connective tissue<br />
diseases<br />
n Zusammenfassung Verbindliche<br />
Richtlinien zur <strong>Begutachtung</strong> <strong>von</strong><br />
Kollagenosen sind nicht verfügbar.<br />
Der Artikel gibt dafür am<br />
Beispiel des systemischen Lupus<br />
erythematodes einen Leitfaden<br />
unter Berücksichtigung publizierter<br />
Daten, der aktuellen Therapie<br />
und Prognose <strong>von</strong> Kollagenosen.<br />
Neben Tabellen mit Graduierungsvorschlägen<br />
werden Interpretationshilfen<br />
gegeben und Beispiele<br />
gezeigt.<br />
n Summary Guidelines for assessments<br />
of connective tissue<br />
diseases in social jurisdiction and<br />
for insurance are not available in<br />
Germany. This article is a guideline<br />
reflecting published data,<br />
modern therapy and actual prognosis.<br />
In addition, help for interpretation<br />
and examples are given.<br />
n Schlüsselwörter <strong>Begutachtung</strong><br />
– Kollagenosen – SLE<br />
n Key words Guidelines –<br />
connective tissue diseases –<br />
Germany<br />
Im Folgenden sollen anhand des Systemischen Lupus<br />
Erythematodes (SLE) exemplarisch Grundlagen und<br />
Durchführung der <strong>Begutachtung</strong> vorgestellt werden.<br />
Das verwendete Prinzip ist auf andere Kollagenosen,<br />
Overlap-Syndrome und Vaskulitiden und auf Sonderformen<br />
des Lupus erythematodes wie alleiniger kutaner<br />
Verlauf übertragbar: nicht die Diagnose an<br />
sich ist das wegweisende Kriterium der <strong>Begutachtung</strong>,<br />
sondern die Ausprägung der Erkrankung.<br />
<strong>Begutachtung</strong> <strong>von</strong> Patienten mit SLE<br />
Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Prognose des<br />
SLE für einen großen Teil der Patienten infaust. Durch<br />
die moderne Therapie hat sich die kurz- und mittelfristige<br />
Prognose des SLE deutlich verbessern lassen.<br />
ZfRh 465
O. Sander et al.<br />
<strong>Internistisch</strong>-<strong>rheumatologische</strong> <strong>Begutachtung</strong> <strong>von</strong> Patienten mit Kollagenosen<br />
Tab. 1 a SLAM-SCORE (Felder ankreuzen, Punkte zusammenzählen) (grau unterlegte Felder nicht nutzen!, in diesem Fall z. B. nur 1 oder 3 möglich)<br />
Allgemeinsymptome 0 (nein / normal) 1 (mild) 2 (mäßig) 3 (schwer)<br />
Gewichtsverlust nein 10 %<br />
Müdigkeit nein ohne Aktivitätsverlust funktionelle<br />
Limitierung<br />
Fieber nein 37,5–38,58C >38,58C<br />
Haut<br />
n Schleimhautulzera<br />
n Schmetterlingserythem<br />
n auf Lichtprovokation<br />
ausgelöste HV<br />
n periunguales Erythem<br />
nein ja<br />
n Alopezie nein beim Kämmen spontan<br />
n erythematöse oder nein 50%<br />
makulopapulöse HV<br />
n diskoider LE<br />
Vaskulitis (leukozytokl.,<br />
Urtikaria, Purpura, Livedo<br />
reticularis, Ulzera)<br />
Augen<br />
„cytoid bodies“ nein ja<br />
Hämorraghien nein ja<br />
Episkleritis nein ja<br />
nein 50%<br />
Retikuloendotheliales S.<br />
Lymphadenopathie nein klein >1 cm ×1,5 cm<br />
Hepato/Splenomegalie nein bei Insp. tastbar bei Exp. tastbar<br />
Pulmonal<br />
Pleuraerguss/ Pleurareiben nein Kurzatmigkeit oder<br />
Schmerzen bei Befragen<br />
kein Reiben<br />
Kurzatmigkeit/Schmerzen<br />
bei Belastung<br />
ausk. Reiben<br />
Kurzatmigkeit/Schmerzen<br />
in Ruhe ausk. feuchte RGs<br />
Pneumonitis nein nur radiolog. Infiltrate Kurzatmigkeit bei Belastung Kurzatmigkeit in Ruhe<br />
Kardiovaskulär<br />
Raynaud-Phänomen nein ja<br />
Arterielle Hypertonie nein diastol. 90–105 mmHg diastol. 105–115 mmHg diastol. >115 mmHg<br />
Karditis nein EKG-Veränd./Reiben/Erguss Thoraxschmerzen oder<br />
Arrythmien<br />
Gastrointestinal<br />
Bauchschmerzen (Serositis,<br />
Pancreatitis, Darmischämie)<br />
Neurologisch<br />
Insult (incl. Mononeuritis<br />
muliplex, TIA, Rind)<br />
Myocarditis mit hämod.<br />
Relevanz<br />
nein Angabe <strong>von</strong> Schmerzen “limitierende“ Schmerzen Peritonitiszeichen oder<br />
Aszites<br />
eine einzelne TIA multiple TIA/Rind/Mononeuritis Insult/Myelitis<br />
Epilepsie 1–2/Monat >2/Monat Status epileptikus<br />
„Cortex-Dysfunktion“ Depression,<br />
Konzentrationsstörungen<br />
schwere Depression,<br />
eingeschränkte kognitive<br />
Funktion<br />
Psychose<br />
Demenz<br />
Koma<br />
Kopfschmerzen, Migräne Symptome Belastbarkeit eingeschr. Asept.Meningitis<br />
Myalgien subj. Beklagen limitieren in Aktivität<br />
Gelenke<br />
Arthralgien/Arthritiden Arthralgien Synovialitis limitierte Funktion<br />
Labor<br />
HK >35 30–35 25–29,9 3500 3500–2000 2000–1000 25 Erys/Leuk<br />
Proteinurie 3,5 g/d<br />
653
654 Zeitschrift für Rheumatologie, Band 61, Heft 6 (2002)<br />
© Steinkopff Verlag 2002<br />
Tab. 1 b SLICC-SCORE (Systemic<br />
Lupus International Collaborating<br />
Clinics/ACR Damage Index Arthritis<br />
& Rheumatism 1996; 39(3): 363-369.<br />
Erfasst werden Schäden, die seit Erkrankungsbeginn<br />
aufgetreten sind<br />
und wenigstens 6 Monate bestehen!<br />
Die 5-Jahres-Überlebensrate konnte <strong>von</strong> 50% (1955)<br />
auf über 90% (1998) gebessert werden (31). Die<br />
10-Jahres-Überlebensrate liegt aktuell bei 75–90%.<br />
Das relative Risiko, innerhalb der ersten 10 Jahre nach<br />
Manifestation der Erkrankung zu versterben, konnte<br />
somit <strong>von</strong> 10 auf unter 3 gesenkt werden.<br />
Als prognostisch ungünstige Faktoren gelten weiterhin<br />
Organkomplikationen wie Thrombozytopenie<br />
(25), Niereninsuffizienz (6), sekundäres Antiphospholipidsyndrom<br />
(7) und Lungenbeteiligung (12). Um eine<br />
standardisierte Beurteilung und Verlaufsdokumentation<br />
der Gesamterkrankung zu ermöglichen, wurden<br />
neben spezifischen und unspezifischen Laborparametern<br />
und einer Auflistung der Organmanifestationen<br />
<strong>von</strong> verschiedenen Arbeitsgruppen Scores entwickelt<br />
(29, 30). Mit ihrer Hilfe wird das bunte Bild<br />
der Krankheitszustände und Verläufe einfacher und<br />
vergleichbarer erfasst. In den üblicherweise genutzten<br />
und empfohlenen Scores wird die aktuelle Krankheitsaktivität<br />
(Systemic Lupus activity measure [SLAM],<br />
Systemic lupus erythematosus disease activity index<br />
[SLEDAI], European consensus lupus activity measure<br />
[ECLAM]), die kumulative Organbeteiligung und daraus<br />
resultierende chronische Veränderungen (Systemic<br />
Lupus international cooperating clinics/American<br />
college of rheumatology damage index [SLICC/<br />
ACR DI]) und der allgemeine Gesundheitszustand<br />
(HAQ) bzw. ergänzt durch die Lebensqualität (SF-36)<br />
Auge (Score 1, max. 2)<br />
Katarakt, Optikusatrophie, retinale Veränderungen<br />
ZNS (Score 1, max. 6)<br />
Kogn. Störung o. Psychose, Krampfanfälle, (Therapie >6 Monate), Cerebrovaskuläre Ereignisse, (je Ereignis bis max.<br />
2 Punkte), Polyneuropathie, transverse Myelitis<br />
Niere (Score 1, max. 3)<br />
GFR 3.5g/d, term. Niereninsuffizienz (zählt immer 3 Punkte)<br />
Lunge (Score 1, max. 5)<br />
pulmonale Hypertonie, Lungenfibrose, „shrinking lung“ Syndrom, pleurale Fibrose, Lungeninfarkt oder -resektion,<br />
(ohne Malignom)<br />
Herz (Score 1, max. 6)<br />
Angina pectoris oder Bypass, Infarkt, (je MI bis max. 2 Punkte), Kardiomyopathie, Vitium, Perikarditis, auch Perikardresektion<br />
Gefäße (Score 1, max. 5)<br />
Claudicatio, kleinere Gewebsdefekte, größere Defekte (Amputation) (je Defekt bis max. 2 Punkte), Phlebothrombose<br />
oder postthrombotisches Syndrom<br />
Gastrointestinal (Score 1, max. 6)<br />
Infarkt o. Resektion im unt. GIT, (je Ereignis bis max. bis 2 Punkte), Mesenterialinsuffizienz, chronische Peritonitis,<br />
Striktur o. Resektion i. o. GIT, Pankreasinsuff. o. Pseudozysten<br />
Bewegungsapparat (Score 1, max. 7)<br />
Muskelatrophie o. Schwäche, ,Lupus‘-Arthritis, Osteoporose mit Frakturen, Osteonekrose (je Ereignis bis max. 2<br />
Punkte), Osteomyelitis, Sehnenruptur<br />
Haut (Score 1, max. 3)<br />
vernarbende Alopezie, ausgedehnte Vernarbungen, Ulzera (nicht venöse)<br />
Sonstiges (Score 1, max. 2)<br />
Gonadeninsuffizienz vor dem 40. LJ, Diabetes mellitus, Malignom (keine Dysplasie)<br />
SLICC-Score gesamt:<br />
erfasst. (Tab. 1 a–b gibt zur Orientierung die (nicht validierte)<br />
deutsche Übersetzung exemplarischer Instrumente<br />
wieder.) Longitudinale und Querschnittuntersuchungen<br />
wurden zur Validierung der Instrumente,<br />
zur Analyse der Abhängigkeit der drei verschiedenen<br />
Ebenen und auch zu deren prognostischen Bedeutung<br />
durchgeführt (8, 11, 13, 32). Aktuelle Arbeiten konnten<br />
eine Beeinflussung der Prognose durch hohe<br />
Krankheitsaktivität (1, 10, 23) und hohen kumulativen<br />
Organschaden (27, 28) aufzeigen.<br />
Partridge et al. untersuchten in ihrer 1997 publizierten<br />
Studie (21) 152 Patienten, die zum Zeitpunkt<br />
ihrer Diagnose einer regelmäßigen Arbeit nachgingen.<br />
Nach im Mittel 3,4 Jahren hatten 68% ihr Arbeitsverhältnis<br />
geändert, 49% zunächst weniger gearbeitet<br />
und 40% hatten die Arbeit komplett beendet.<br />
Wesentliche Prädiktoren waren neben dem Ausbildungsstand<br />
die Aktivität zu Beginn der Erkrankung<br />
und der initiale Organbefall.<br />
Anamnese und Untersuchungen<br />
Die <strong>Begutachtung</strong> eines Patienten mit SLE ist <strong>von</strong> einem<br />
internistischen Rheumatologen zu leiten, der je<br />
nach Organbeteiligung andere Fachdisziplinen (z. B.<br />
Neurologie) zusätzlich aktiviert.
n Die allgemeine Anamnese sollte durch das Abfragen<br />
typischer Symptome ergänzt werden. Hierbei<br />
können die Befunde, die in den Klassifikationskriterien<br />
des ACR, in Aktivitätsscores wie SLAM,<br />
SLEDAI oder ECLAM und im SLICC/ACR DI erfasst<br />
werden, ein guter Anhalt sein. Zur Stützung<br />
und Ergänzung der Anamnese dienen alte Fotos,<br />
Arztbriefe und Laborbefunde. Oft liegen zahlreiche<br />
Vorbefunde <strong>von</strong> ambulanten und stationären<br />
Behandlungen vor. Im Durchschnitt ist mit 0,69<br />
Krankenhausaufenthalten/Patient und Jahr zu<br />
rechnen (22).<br />
n Die subjektive Einschätzung zur Lebensqualität<br />
sollte in einem validierten Instrument erhoben<br />
werden (z. B. SF-36).<br />
n Die körperliche Untersuchung sollte die Haut,<br />
Schleimhäute, innere Organe, das Gefäßsystem,<br />
den Bewegungsapparat und zumindest orientierend<br />
auch neurologisch/psychiatrische Funktionen<br />
erfassen. Die technischen Basisuntersuchungen<br />
(Größe, Gewicht, Blutdruck an beiden Armen,<br />
EKG in 12 Ableitungen) sollten bei allen Patienten<br />
durch eine Abdomensonographie (inkl. Pleura<br />
und Perikard) und ein Röntgenbild des Thorax<br />
(wenn vorliegendes älter als 6 Monate) ergänzt<br />
werden. Diese Untersuchungen müssen gegebenenfalls<br />
gezielt durch weitere Bildgebung (z. B.<br />
ZNS) oder Funktionstests (z. B. Lungenfunktion)<br />
ergänzt werden.<br />
n Bei der Routine-Labordiagnostik sind ein<br />
möglichst manuelles Differentialblutbild, Gerinnung,<br />
eine Kreatininclearance sowie eine Dokumentation<br />
der Proteinausscheidung über 24 Stunden,<br />
BSG, CRP und Komplementfaktoren erforderlich.<br />
Die spezielle Labordiagnostik sollte in einem<br />
erfahrenen Labor durchgeführt werden. Rheumafaktor,<br />
ANA (Titer und Fluoreszenzmuster), ENA,<br />
ds DNS-, Cardiolipin- und b2-Mikroglobulin-AK,<br />
ANCA (bei Vaskulitiden) sind zu dokumentieren.<br />
n Krankheitsaktivität und Organschaden sollte mit<br />
Hilfe der Scores quantifiziert werden, um einen<br />
Verlaufsparameter auch für spätere Untersuchungen<br />
zu haben.<br />
Sinnvolle Ergänzungen bei besonderen Fragestellungen<br />
(z.B. Ausschluss <strong>von</strong> bestimmten Berufen, beklagte<br />
Symptome):<br />
n Die erhöhte Frakturgefährdung (24) rechtfertigt<br />
zumindest bei weiteren Risikofaktoren für eine<br />
Osteoporose eine Knochendichtemessung. Der<br />
Messwert alleine bedingt ohne Funktionsausfall<br />
keine Minderung der Erwerbsfähigkeit, kann aber<br />
den Ausschluss bestimmter beruflicher Tätigkeiten<br />
rechtfertigen.<br />
n Echokardiographie, Langzeit-EKG und gegebenenfalls<br />
ergometrische Untersuchungen erhöhen die<br />
O. Sander et al.<br />
<strong>Internistisch</strong>-<strong>rheumatologische</strong> <strong>Begutachtung</strong> <strong>von</strong> Patienten mit Kollagenosen<br />
Sensitivität und Spezifität bei Verdacht auf eine<br />
kardiale Mitbeteiligung oder kardiale Folgen der<br />
Therapie.<br />
n Die Dopplersonographie der Arterien ist bei weiteren<br />
Risikofaktoren, längerem Krankheitsverlauf<br />
und älteren Patienten sinnvoll, da Patienten mit<br />
SLE ein deutlich erhöhtes Arterioskleroserisiko aufweisen<br />
(33). Ohne klinische Symptomatik ist aber<br />
kein Einfluss auf MdE/GdB geltend zu machen!<br />
n Eine Schichtbildgebung des Kopfes sollte bei neurologischen<br />
Symptomen zur Beurteilung der Fähigkeit,<br />
auch gefährliche Arbeitsplätze anzunehmen,<br />
erwogen werden.<br />
n Eine invasive Diagnostik ist im Allgemeinen nicht<br />
nötig.<br />
<strong>Begutachtung</strong> im sozialen Entschädigungsrecht<br />
und nach dem Schwerbehindertengesetz:<br />
Bei inhaltlicher Gleichheit wird die Minderung der<br />
Erwerbsfähigkeit (MdE) im sozialen Entschädigungsrecht<br />
und der Grad der Behinderung (GdB) ausschließlich<br />
im Schwerbehindertengesetz verwandt.<br />
Beide sind ein Maß für die nicht nur vorübergehenden<br />
(mindestens 6 Monate andauernden) Auswirkungen<br />
eines Mangels an funktioneller Intaktheit<br />
unter Berücksichtigung der physiologischen Alterung<br />
(§3 SchwbG). Sie regeln das Ausmaß <strong>von</strong> Entschädigungen<br />
oder sozialer Vergünstigungen (insbesondere<br />
bei GdB ≥50 = schwerbehindert). Klassische<br />
Anwendungen finden sich bei Verlusten (oder<br />
damit gleichzusetzenden Funktionsstörungen) <strong>von</strong><br />
Gliedmaßen, die tabellarisch aufgelistet sind (15).<br />
Auch für Erkrankungen innerer Organe gibt es tabellarisch<br />
Richtlinien<br />
n in den Anhaltspunkten für die Ärztliche Gutachtertätigkeit<br />
im sozialen Entschädigungsrecht und<br />
n nach dem Schwerbehindertengesetz, die vom<br />
Bundesarbeitsministerium zuletzt 1996 veröffentlicht<br />
wurden (3, aktuelle Internet-Version unter<br />
http://www.bma.de und http://www.uwendler.de).<br />
Dabei handelt es sich nicht um rechtsverbindliche<br />
Normen, sie sind aber norm-ähnlich anzuwenden<br />
(untergesetzliche Normen, z.B. BverfG Beschluss<br />
vom 6. 3. 95, 1BvR 60/95).<br />
Grundsätzlich ist nicht die Diagnose oder Prognose<br />
das wegweisende Kriterium der <strong>Begutachtung</strong>,<br />
sondern die Ausprägung der Erkrankung. Für die<br />
Bemessung <strong>von</strong> Herzerkrankungen zum Beispiel ist<br />
es nicht entscheidend, ob eine 1-, 2- oder 3-Gefäß<br />
koronare Herzerkrankung vorliegt, sondern nur die<br />
zum Zeitpunkt der <strong>Begutachtung</strong> dokumentierte<br />
Leistungseinbuße. Patienten ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung<br />
kann kein(e) MdE/GdB zuer-<br />
655
656 Zeitschrift für Rheumatologie, Band 61, Heft 6 (2002)<br />
© Steinkopff Verlag 2002<br />
kannt werden. Ein Wert <strong>von</strong> 20–40 entspricht einer<br />
Beeinträchtigung bei mittelschwerer Belastungen wie<br />
forschem Gehen. Sind schon alltägliche Belastung<br />
wie Spazierengehen eingeschränkt, gilt ein(e) MdE/<br />
GdB <strong>von</strong> 50–70. Treten schon in Ruhe Beschwerden<br />
auf, liegt eine 90–100 MdE/GdB vor.<br />
Alle <strong>Begutachtung</strong>en <strong>von</strong> rheumatischen Systemerkrankungen<br />
sollten sich in ihrer Gesamtbeurteilung<br />
an solchen globalen Vergleichszahlen orientieren.<br />
Besonderheiten in der <strong>Begutachtung</strong><br />
<strong>von</strong> Kollagenosen<br />
Deutschsprachige Fachbücher zur <strong>Begutachtung</strong> geben<br />
für den SLE wie auch für andere Kollagenosen<br />
nur spärliche Hinweise, insbesondere sind keine tabellarisch<br />
gestaffelten Richtlinien wie z.B. für Herzerkrankungen<br />
verfügbar.<br />
Nach Marx ist ein Spektrum <strong>von</strong> einem nur gering<br />
eingeschränkten Leistungsbild bis zur Erwerbsunfähigkeit<br />
und Pflegebedürftigkeit möglich. Dieses<br />
wird „insbesondere vom Befall der Organsysteme bestimmt“<br />
(18, S. 464). Auch die Anhaltspunkte für die<br />
Ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht<br />
und nach dem Schwerbehindertengesetz<br />
des Bundesarbeitsministeriums (1996) empfehlen<br />
„neben der funktionellen Einbuße die Aktivität mit<br />
ihren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und<br />
die Beteiligung weiterer Organe zu berücksichtigen“.<br />
Dieses sollte „unter Beachtung der Krankheitsentwicklung“<br />
stattfinden (3, Abschnitt 26.18). Konkretere<br />
Umsetzungsvorschläge finden sich zu folgenden<br />
Punkten:<br />
n „Bei der <strong>Begutachtung</strong> <strong>von</strong> Kollagenosen ist, anders<br />
als zum Beispiel bei den Herzerkrankungen,<br />
nicht nur die Würdigung der aktuellen Funktionseinbuße<br />
maßgebend.“ „... nach der Behandlung<br />
bestimmter Erkrankungen, die zu Rezidiven neigen,<br />
ist bei der Bemessung <strong>von</strong> GdB/MdE eine<br />
Heilungsbewährung abzuwarten“ (3, Abschnitt<br />
26.1 (3)).<br />
Ist also unter einer Therapie aktuell keine<br />
Funktionseinbuße sichtbar, kann dennoch für die<br />
Zeit eines möglichen Rezidivs die Funktionseinbuße<br />
vor Beginn der Therapie als Maßstab zur<br />
<strong>Begutachtung</strong> herangezogen werden.<br />
n Auch eine über 6 Monate anhaltende „aggressive<br />
Therapie“ (hochdosierte Steroide in Verbindung<br />
mit Zytostatika) rechtfertigt eine über aktuelle<br />
Funktionseinbußen hinausgehende Festlegung des<br />
GdB/MdE auf mindestens 50 (3, Abschnitt 26.18).<br />
Hiermit wird möglichen Komplikationen der Therapie<br />
Rechnung getragen, ohne dass aktuell Einschränkungen<br />
vorliegen müssen.<br />
Konkrete Umsetzung der Empfehlungen<br />
n Alle Organe/Organsysteme sind bezüglich ihres<br />
aktuellen Mangels an Intaktheit zu überprüfen.<br />
Die jeweilige organspezifische Beeinträchtigung<br />
wird zunächst einzeln abgeschätzt. Akute Erkrankungen<br />
(fieberhafter Infekt, Verstauchung etc.)<br />
mit Einschränkungen, bei denen eine Normalisierung<br />
innerhalb <strong>von</strong> 6 Monaten zu erwarten ist,<br />
werden nicht berücksichtigt. Die Anhaltspunkte<br />
für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen<br />
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz<br />
des Bundesarbeitsministeriums (3)<br />
beinhalten häufige Einschränkungen und die übliche<br />
Graduierung der MdE/GdB. Bei Kollagenosen<br />
relevante Veränderungen wurden in Tabelle 2 zusammengefasst.<br />
n Ist der aktuelle Zustand Folge einer therapeutischen<br />
Besserung, besteht aber eine hohe Wahrscheinlichkeit<br />
eines Rezidivs, kann eine „Heilungsbewährung“<br />
angenommen werden. Der schlechtere<br />
Zustand vor Therapie gilt als Bemessungsansatz.<br />
Nachfolgend muss eine erneute <strong>Begutachtung</strong> erfolgen.<br />
Sollte kein Rezidiv aufgetreten sein, wird im<br />
weiteren der aktuelle (bessere) Zustand beurteilt.<br />
Die Dauer der Heilungsbewährung ist bei Kollagenosen<br />
nicht festgesetzt. In Analogie zur Multiplen<br />
Sklerose, Zuständen nach Organtransplantation<br />
und Frühkarzinomen ist eine Zeitdauer <strong>von</strong> 2 Jahren<br />
vertretbar. Längere Zeiträume als Heilungsbewährung<br />
werden nur für fortgeschrittenere<br />
Krebserkrankungen genannt. Kürzere Zeiträume<br />
wären wegen des organisatorischen Aufwandes<br />
der erneuten Überprüfung unsinnig. Die Wahrscheinlichkeit<br />
der Reaktivierung einer Lupusnephritis<br />
als Beispiel liegt bei über 40% (14) und rechtfertigt<br />
die Anwendung der Heilungsbewährung.<br />
n Besteht aktuell eine „aggressive Therapie“ (s. o.)<br />
soll der MdE/GdB <strong>von</strong> 50 (= Schwerbehindert!)<br />
nicht unterschritten werden. Die Anhaltspunkte<br />
für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen<br />
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz<br />
des Bundesarbeitsministeriums (3)<br />
nennen hier „z.B. hochdosierte Cortison-Behandlung<br />
in Verbindung mit Zytostatika“. Dabei ist die<br />
Frage der betreffenden Cortisondosis ebensowenig<br />
geklärt wie zwischen verschiedenen Chemotherapien<br />
differenziert wird. In diesem Fall ist der Ermessensspielraum<br />
des Gutachters zur Berücksichtigung<br />
der Auswirkung der Therapie auf den Patienten<br />
(unterschiedliche Cushingschwellendosis,<br />
Übelkeit, Leukopenie etc.) entscheidender als klare<br />
Grenzdosen. Nach autologer Stammzelltherapie ist<br />
der/die GdB/MdE der Grundkrankheit zu beurteilen,<br />
nach allogener ist ein(e) GdB/MdE <strong>von</strong> 100<br />
für 3 Jahre (Heilungsbewährung) vorgeschlagen
Tab. 2 a MdE/GdB Abstufungen bei<br />
Funktionsstörungen innerer Organe<br />
(3, Abschnitt 26,8–26,16)<br />
(3, Abschnitt 26.16). Eine orale Antikoagulation<br />
bedingt z. B. eine MdE <strong>von</strong> 10.<br />
n Bestehen allgemeine Beschwerden wie Müdigkeit,<br />
Schwäche oder Arthralgien ist auch ohne wesentliche<br />
Funktionseinschränkung eine MdE <strong>von</strong> 10 anzunehmen,<br />
bei Auswirkung auf die Funktionalität<br />
bis zu 40 (3, Abschnitt 26.18).<br />
n Liegen psychische oder psychovegetative Störungen<br />
vor, die über das übliche Maß hinausgehen<br />
und Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit wesentlich<br />
einschränken, kann eine MdE <strong>von</strong> bis 40 festgesetzt<br />
werden.<br />
O. Sander et al.<br />
<strong>Internistisch</strong>-<strong>rheumatologische</strong> <strong>Begutachtung</strong> <strong>von</strong> Patienten mit Kollagenosen<br />
Krankheiten der Atmungs- Funktion 1/3 eingeschr., BGA normal 20–40<br />
organe partiale Insuffizienz 50–70<br />
respirat. Globalinsuffizienz 80–100<br />
Herz/Kreislauferkrankungen ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung 0–10<br />
mit Beeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung<br />
(entsprechend 75 W Ergometrie, forsches Gehen) 20–40<br />
mit Beeinträchtigung bei alltäglicher Belastung<br />
(50 W, Spazierengehen) 50–70<br />
mit gelegentlichen schweren Dekompensationen 80<br />
mit Beeinträchtigung bereits in Ruhe 90–100<br />
Hypertonie mit Organbeteiligung 20–40<br />
mit Beteiligung mehrerer Organe 50–100<br />
PBC, Autoimmunhepatitis ohne entzündliche Aktivität 20<br />
mit geringer 30<br />
mit mäßiger 40<br />
mit starker 50–70<br />
dekompensierte Leberzirrhose 70–100<br />
Speiseröhre/Darmstörungen mit Behinderung der Nahrungsaufnahme,<br />
Einschränkung der Kost, Essdauer verlängert 20–40<br />
mit erheblicher Minderung der Kräfte<br />
und des Ernährungszustandes 40–50<br />
mit Aspiration 70<br />
Niereninsuffizienz Kreatinin 8 mg/dl, Dialyse 100<br />
Nephrotisches Syndrom ohne Ödeme 20–30<br />
mit Ödemen 40–50<br />
mit immunsuppressiver Therapie 50<br />
Ausfall der Gonadenfunktion Postmenopause 10<br />
Praemenopausal bei unzureichender Ausgleichbarkeit 20–30<br />
durch Substitution<br />
Vor Abschluss der körperlichen Entwicklung 20–40<br />
Diabetes Therapie Sulfonylharnstoffe 20<br />
Sulfonylharnstoffe+Insulin 30<br />
nur Insulin 40<br />
Immundefekt erhöhte Infektanfälligkeit 20–40<br />
1–2 außergewöhnliche Infektionen/Jahr 50<br />
Anaemie, MDS gelegentliche Transfusionen 20–40<br />
Verlust der Milz 10<br />
Gesamt MdE/GdB<br />
Der/die GdB/MdE des zu Begutachtenden ist nicht<br />
einfach die Summe der Einzelwerte. Vielmehr sollte<br />
der Gesamtwert das Zusammenwirken der einzelnen<br />
Faktoren reflektieren. Er/sie darf nicht niedriger als<br />
der höchste Einzelwert festgesetzt werden. Bei der<br />
oberen Grenze sollte die Gesamtbeurteilung anderer<br />
Erkrankungen als Maßstab genommen werden, dazu<br />
eignen sich z.B. die oben genannten Herzerkrankungen<br />
besonders. Das vereinfacht die Gesamtbeurteilung,<br />
die einen breiten Ermessensspielraum bietet.<br />
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658 Zeitschrift für Rheumatologie, Band 61, Heft 6 (2002)<br />
© Steinkopff Verlag 2002<br />
Tab. 2 b MdE/GdB Abstufungen bei<br />
Funktionsstörungen der Haut und des<br />
Bewegungsapparates<br />
(3, Abschnitt 26.2, 26.17–26.18)<br />
Tab. 2 c MdE/GdB Abstufungen bei<br />
Funktionsstörungen des Nervensystems<br />
und der Kopforgane<br />
(3, Abschnitt 26.3–26.6)<br />
Da die Scores (SLAM, SLEDAI, ECLAM, SLICC)<br />
recht gut Aktivität und Schwere der Erkrankung widerspiegeln<br />
und auch prognostische Bedeutung haben,<br />
könnten sie als grober Leitfaden dienen.<br />
<strong>Begutachtung</strong> einer Erwerbsoder<br />
Berufsunfähigkeit<br />
Zur <strong>Begutachtung</strong> einer Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit<br />
beziehungsweise Festlegung <strong>von</strong> Einschränkungen<br />
der Tätigkeiten ist eine weitaus individuellere Entscheidung<br />
möglich. Sie ist unabhängig <strong>von</strong> MdE/GdB.<br />
Gesichtsentstellung wenig störend 10<br />
sonstige einfache 20–30<br />
abstoßend wirkend 50<br />
Haut Prädelektionsstellen, geringe Ausdehnung 0–10<br />
stärkere Ausdehnung, kosmetisch bedeutsam 20–40<br />
über Prädelektionsstellen hinaus, Ulzera 50–70<br />
Muskulatur geringe Auswirkungen 20–40<br />
Kontrakturen, Treppensteigen nicht möglich 50–80<br />
Geh-Stehunfähigkeit und Gebrauchsunf. der Arme 90–100<br />
Gelenke geringe Auswirkungen 20–40<br />
dauernde Beschwerden, schwer beeinflussbar 50–70<br />
Verlust beider Hände/ 100<br />
aller zehn Finger<br />
Verlust einer Zehe 0<br />
Hirnschaden geringe Auswirkungen 30–40<br />
mittelschwere Auswirkungen 50–60<br />
schwere Leistungsbeeinträchtigung 70–100<br />
Epilepsie 3 Jahre anfallsfrei 30<br />
sehr seltene Anfälle (weniger als 1/Jahr) 40<br />
seltene Anfälle (Pause <strong>von</strong> Monaten) 50–60<br />
mittlere Häufigkeit (Pause <strong>von</strong> Wochen) 60–80<br />
wöchentlich 90–100<br />
Nervenausfall N. medianus proximal 40<br />
N. femoralis 40<br />
Plexus lumbosacralis 80<br />
Psychische Störungen Leichtere psychovegetative oder psychische Störungen 0–20<br />
Stärker behindernde Störungen (z.B. ausgeprägtere depressive<br />
oder phobische Störungen, somatoforme Störungen) 30–40<br />
Auge Probleme der Tränensekretion 10–20<br />
Gleichgewichtssinn Schwindel 0–10<br />
mit Unsicherheit bei Belastung 20<br />
mit Fallneigung bei alltäglicher Belastung 30–40<br />
Mund Sicca-Symptomatik 0–20<br />
Behinderung der Mundöffnung (5-25mm)<br />
mit Auswirkung auf Nahrungsaufnahme 20–40<br />
Prinzipiell gibt es für Patienten mit systemischem<br />
Lupus erythematodes keine „verbotenen“ Berufe<br />
oder Tätigkeiten und nur wenige begründete Einschränkungen.<br />
n Patienten mit SLE sollten Sonnenexposition und<br />
extreme klimatische Einflüsse wie Kältearbeitsplätze<br />
(insbesondere bei Raynaud-Syndrom und akraler<br />
Perfusionsstörung) meiden. Die Induktion eines<br />
Lupus like syndrome durch chemische Substanzen<br />
insbesondere Vinylchlorid sollte zu besonderer<br />
Vorsicht und Überwachung der Patienten führen.<br />
n Infektionen stellen weiterhin eine häufige Todesursache<br />
dar. Eine besondere Infektionsgefahr wie
ei der Tätigkeit auf Intensiv- oder Infektionsstationen<br />
sollte bei jeder immunsuppressiven Therapie<br />
und florider Erkrankung, insbesondere mit<br />
Leukopenie vermieden werden. Bei intensivierter<br />
Therapie, schwerem Antikörpermangel oder ausgeprägter<br />
Leukopenie sollte auch die gesteigerte<br />
Infektionsgefahr bei Tätigkeiten in z. B. Krankenhaus,<br />
Kindergarten, Schule oder Einzelhandel<br />
berücksichtigt werden.<br />
n Schwere körperliche Arbeiten und Arbeiten in<br />
besonderer Gefährdung sollten bei Gelenkbefall/<br />
Bandinstabilität und wegen erhöhter Frakturgefährdung<br />
bei Osteopenie ausgeschlossen werden.<br />
n Eine pulmonale Mitbeteiligung oder eine ausgeprägte<br />
Anämie können neben der verminderten<br />
körperlichen Belastbarkeit die Fähigkeit zur Arbeit<br />
in größeren Höhen und die Benutzung <strong>von</strong><br />
Flugzeugen limitieren.<br />
n Eine Mitbeteiligung der Haut kann zu einer Einschränkung<br />
in Tätigkeiten mit Publikumsverkehr<br />
oder bei besonderer Belastung der Haut durch Arbeitsstoffe<br />
führen.<br />
n Schichtdienst ist nur bei geringer Krankheitsaktivität<br />
und unter engmaschiger Kontrolle zu erlauben.<br />
Insbesondere die regelmäßige Medikamenteneinnahme<br />
muss gesichert sein.<br />
n Vollschichtige Arbeit ist bei Remission und geringer<br />
Krankheitsaktivität unbedenklich, Arbeitszeiten<br />
um 2–4 Stunden sind aber auch bei florider<br />
Erkrankung denkbar.<br />
n Bei zentralnervöser Organbeteiligung, insbesondere<br />
bei sekundärem Krampfleiden, ist die Erlaubnis<br />
zur Tätigkeit mit Eigen- und Fremdgefährdung<br />
wie zum Führen <strong>von</strong> Kraftfahrzeugen kritisch zu<br />
prüfen.<br />
n Bei nephrotischem Syndrom mit Ödemen ist längere<br />
stehende Tätigkeit zu vermeiden beziehungsweise<br />
durch die Einrichtung <strong>von</strong> Liegezeiten auszugleichen.<br />
Beispiele<br />
n 30-jährige Patientin mit SLE (Erstdiagnose vor<br />
1 Jahr), Glomerulonephritis als Erstmanifestation,<br />
Arthralgien, Stomatitis und Raynaud-Syndrom,<br />
laufende Immunsuppression mit Cyclophosphamid<br />
als i.v. Bolus derzeit alle 3 Monate, keine Steroide.<br />
Aktuell etwas Müdigkeit, seit 1 Jahr keine Regelblutung,<br />
keine weiteren Krankheitssymptome,<br />
BSG 20 mm/h, Leukozyten 3500/ll, C3 und C4<br />
leicht vermindert, dsDNS-AK 10 (< 7) IU/ml, Proteinurie<br />
< 1 g/24 h, Kreatininclearance 100 ml/min.<br />
Beurteilung: SLICC/ACR DI=1, SLAM=2, Zytostatikatherapie.<br />
Seit der Manifestation des SLE<br />
O. Sander et al.<br />
<strong>Internistisch</strong>-<strong>rheumatologische</strong> <strong>Begutachtung</strong> <strong>von</strong> Patienten mit Kollagenosen<br />
kann ein GdB/MdE <strong>von</strong> 60 gerechtfertigt werden,<br />
die Überprüfung ist in 1 Jahr sinnvoll mit möglicher<br />
Herabstufung auf 20 bei weiterbestehend<br />
niedriger Krankheitsaktivität.<br />
n 38-jährige Patientin mit seit 5 Jahren bekanntem<br />
SLE, Schmetterlingserythem, Arthralgien, nicht<br />
deformierende Arthritis, Raynaud-Syndrom. Therapie<br />
mit Chloroquin, NSAR und 2,5 mg Prednisolon/Tag.<br />
Aktuell etwas Müdigkeit, Arthralgien,<br />
Tendovaginitis der Beugesehnen, kleiner Pleuraerguss,<br />
Laborparameter ohne Besonderheiten.<br />
Beurteilung: SLICC/ACR DI=0, SLAM=4, keine<br />
Zytostatika. Ein MdE/GdB 30 (entsprechend einer<br />
Einschränkung bei besonderer Belastung) ist gerechtfertigt.<br />
Einschränkungen bestehen beim Arbeitsplatz<br />
bezüglich Kälte- und Sonnenlichtexposition<br />
sowie Schwere der Arbeit.<br />
n 56-jährige Patientin mit seit 18 Jahren bekanntem<br />
SLE und sekundärem Antiphospholipidsyndrom.<br />
Bedarfsweise Steroidtherapie <strong>von</strong> 2,5–50 mg Prednisolon/Tag<br />
bei hämolytischer Anämie (2 Schübe/<br />
Jahr). Unverträglichkeit zahlreicher Immunsuppressiva.<br />
Cushingoid, Osteopenie, rezidivierende<br />
Infektionen, Jaccaud-Arthropathie, leichte mnestische<br />
Störungen bei Z.n. Apoplex. Alleine durch<br />
die „aggressive“ Therapie mit rezidivierenden<br />
Komplikationen ist eine MdE/GdB <strong>von</strong> über 50 gerechtfertigt,<br />
unter Berücksichtigung des Schadens<br />
(Anämie, Arthropathie und cerebrale Ischämie) sicherlich<br />
insgesamt <strong>von</strong> 70–80. Einschränkungen<br />
bestehen beim Arbeitsplatz bezüglich Kälte- und<br />
Lichtexposition, schwerer und mittelschwerer Arbeit,<br />
Fingerfertigkeit, Publikumskontakt, Arbeiten<br />
im Gefahrenbereich.<br />
Andere Kollagenosen<br />
Die <strong>Begutachtung</strong> <strong>von</strong> Patienten mit Sklerodemie,<br />
Myositiden, Misch- und undifferenzierten Kollagenosen<br />
kann sich eng an die <strong>von</strong> Patienten mit SLE anlehnen.<br />
Die Sklerodermie mit überwiegendem Befall der<br />
Haut erfordert besondere Vorkehrungen zum Schutz<br />
vor Kälte und mechanischer Belastung der Akren.<br />
Bei limitierter kutaner Erkrankung kann die Funktionseinschränkung<br />
der Finger/Hand im Vordergrund<br />
der Einschränkungen stehen. Die Empfehlung<br />
zur MdE/GdB kann sich eng an die Gliedertaxe bei<br />
Verlust anlehnen (9, S. 791–807). Bei Mitbeteiligung<br />
des Ösophagus kann es durch eine limitierte Kalorienzufuhr<br />
zu Einschränkungen in der Schwere der<br />
Arbeit kommen. Zudem sind wegen der häufigen<br />
Refluxprobleme hebende und bückende Tätigkeiten<br />
zu meiden.<br />
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© Steinkopff Verlag 2002<br />
Prognostisch ungünstig und mit einer hohen<br />
Mortalität behaftet ist die systemische Sklerose mit<br />
Herz-, Lungen- und/oder Nierenbeteiligung (16). Die<br />
Prognose kann durch die heute zur Verfügung stehende<br />
Therapie nicht beeinflusst werden, spontane<br />
Besserungen sind kaum zu erwarten. Eine MdE/GdB<br />
<strong>von</strong> 70–100 ergibt sich oft aus der schweren Beeinträchtigung<br />
der beteiligten Organsysteme. Dennoch<br />
kann in Einzelfällen, wie das Beispiel Paul Klees<br />
zeigt, erfolgreich eine Berufstätigkeit wahrgenommen<br />
werden. Bei Besserung unter immunsupressiver<br />
Therapie ist eine Heilungsbewährung über 2 Jahre<br />
gerechtfertigt.<br />
Bei Patienten mit Poly- und Dermatomyositis<br />
steht die Schwäche der Muskulatur mit entsprechenden<br />
Einschränkungen im Vordergrund. Wegen der<br />
höheren Rate an Remissionen bei frühzeitig einsetzender<br />
Therapie ist eine Reevaluation bereits nach<br />
einem Jahr denkbar. Eine Tumorerkrankung sollte<br />
ausgeschlossen sein.<br />
Patienten mit undifferenzierter Kollagenose und<br />
Raynaud-Syndrom haben eine günstige Prognose.<br />
Im Vergleich zu anderen Kollagenosen haben sie die<br />
höchste Remissionsrate und entwickeln prognostisch<br />
relevante und zu berücksichtigende Langzeitfolgen<br />
im allgemeinen nur beim Übergang in eine differenzierte<br />
Kollagenose. Bei Patienten mit einer Mischkollagenose<br />
ist vor allem auf eine pulmonale Mitbeteiligung<br />
zu achten, die mit einer hohen Mortalität assoziiert<br />
ist (4).<br />
Das primäre Antiphospholipid-Syndrom ist in seiner<br />
prognostischen Beurteilung vom SLE mit sekundärem<br />
APS zu trennen, wenn auch die Unterscheidung<br />
klinisch oft schwierig ist. Katastrophale Verläufe sind<br />
nur in etwa 1% zu erwarten (5). Die <strong>Begutachtung</strong><br />
kann sich auf die Organkomplikationen beschränken.<br />
In Ergänzung ist für die Dauer einer Antikoagulation<br />
eine MdE/GdB <strong>von</strong> 10 anzusetzen. Es besteht wegen<br />
der Blutungsgefahr eine Einschränkung der Berufsfähigkeit<br />
für gefährliche und schwere Arbeit.<br />
Die hier zusammengestellten Manifestationen und<br />
Ausprägungen können selbstverständlich nicht umfassend<br />
sein, sie sollen modellhaft die Problematik<br />
verdeutlichen. Letztlich wird man sich in der <strong>Begutachtung</strong><br />
immer an solchen Beispielen orientieren<br />
müssen, was ja wohl auch <strong>von</strong> der Gesetzgebung so<br />
vorgesehen ist. Die endgültige Einschätzung muss<br />
dem einzelnen Gutachter überlassen bleiben.