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"Symphonie der Hölzer" von Michaela Nolte (pdf) - Museum Neukölln

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arbara caveng<br />

NEUKÖLLNER SOZIALPARKETT<br />

SYMPHONIE DER HÖLZER<br />

Von den wilden Müllkippen in <strong>Neukölln</strong>s Straßen, aus Kellern o<strong>der</strong> Dachböden <strong>von</strong><br />

<strong>Neukölln</strong>er Bewohnern stammt <strong>der</strong> Stoff, aus dem das „Sozialparkett“ ist. Muhammets<br />

Küchentisch, ein Kin<strong>der</strong>bett <strong>von</strong> Kerstin, Gülers Gar<strong>der</strong>obe o<strong>der</strong> Bernhards<br />

Schiffsplanke. Das Kopf- und Fußende des Bettes lehnten an einem Baum in <strong>der</strong><br />

Bartastraße, Winnie Puh - eingearbeitet in eine Schranktür - hatten Unbekannte samt<br />

Holzstapel im Mittelweg ‚entsorgt‘.<br />

Sie gehören zu rund 550 Fundstücken und Spenden, die die Schweizer Künstlerin<br />

barbara caveng zu einem „sozialen Bodenbelag“ komponiert hat. 4289 Parkettstäbe,<br />

fachmännisch zurechtgesägt und verlegt auf 120 Quadratmetern im Fischgräten-<br />

muster, ursprünglich auch ‚Bürgerparkett‘ genannt. Eine begehbare Installation, auf <strong>der</strong><br />

die Geschichten <strong>der</strong> Menschen anklingen. Von <strong>der</strong> zehnjährigen Sindi aus <strong>der</strong><br />

Okerstraße, die in Hamburg geboren wurde und Hannover besser findet als <strong>Neukölln</strong>,<br />

<strong>von</strong> Andrea aus Sardinien, <strong>der</strong> in <strong>Neukölln</strong> seinen ersten Fuchs gesehen hat o<strong>der</strong><br />

Bruno (64) vom Hermannshof, für den „<strong>Neukölln</strong> mein Mittelmeer ist“.<br />

barbara caveng, die seit knapp drei Jahren selbst in <strong>Neukölln</strong> lebt, hat mit einem<br />

sechsköpfigen Team über fünf Monate Holz jeglicher Art und Form zusammengetragen<br />

und bearbeitet: <strong>von</strong> Sperrholz bis zu edlem Teak, <strong>von</strong> kaputten Brettern bis zum<br />

kompletten Schrank. Bemalte Küchenbankreste wurden <strong>von</strong> Baumscheiben geholt,<br />

Tische und Schubfächer <strong>von</strong> Straßenecken, eine blaue Nachtkonsole <strong>von</strong> dem Mann<br />

mit den Haifischschuhen.<br />

Was im Leben und in den Wohnungen <strong>der</strong> Menschen ausgedient hat, erzählt nun ein<br />

Stück über die <strong>Neukölln</strong>er und ihre Wohnkultur. Liebevolles Rosendekor, aufgemalte<br />

Tiere und Herzchen-Verzierungen, und viel Tristesse <strong>der</strong> Holzimitate – bevorzugt:<br />

Buche hell.<br />

Gesammelt, gereinigt und vorsortiert wurde in einem Ladenlokal in <strong>der</strong> Okerstraße.<br />

Anlaufstelle und Ausstellungsraum, in dem Holz für Holz <strong>der</strong> Projektverlauf<br />

dokumentiert wurde. Mit Fotografien <strong>der</strong> Ursprungshölzer am Fundort o<strong>der</strong> mit ihren<br />

Spen<strong>der</strong>n, und über eine Bezirkskarte spannte sich ein dichtes Netz aus leuchtend<br />

roten Fäden, das die Fotos mit den jeweiligen Straßen verortete. Für drei Monate<br />

wurde die „Sozialparkettstube“ zu einem Treffpunkt im Schiller-Kiez. Man kam mit<br />

Nachbarn ins Gespräch, konnte die Künstlerin zum Projekt befragen und über seine<br />

Erfahrungen im Kiez o<strong>der</strong> mit dem Material erzählen. Auf Fragebögen wurde notiert,


warum man <strong>Neukölln</strong> liebt o<strong>der</strong> hasst und welche Geschichte hinter <strong>der</strong> Holzspende<br />

steckt. Doris hat die Telefonbank eines Verstorbenen gestiftet, um ihn als Teil des<br />

„Sozialparketts“ zu würdigen. Im Blog schreibt sie über ihre Freude, dass so an Erol K.<br />

erinnert wird und zitiert den Künstler Lionel Feininger: „Kunst ist nicht Luxus, son<strong>der</strong>n<br />

Notwendigkeit.“<br />

Das „<strong>Neukölln</strong>er Sozialparkett“ gehört neben dem „Kunstparkett“ und dem Belziger<br />

„Volksparkett“ zu einer Trilogie, mit <strong>der</strong> barbara caveng das Parkett als materielles und<br />

gesellschaftliches Phänomen hinterfragt – sinnlich, poetisch, ästhetisch und kritisch.<br />

Nicht die Repräsentationsfläche <strong>von</strong> Macht, Geld o<strong>der</strong> Ruhm steht im Zentrum,<br />

son<strong>der</strong>n das künstlerische Sinnbild <strong>von</strong> und für Menschen, die kaum Chancen<br />

bekommen, sich auf dem ‚gehobenen Parkett‘ zu bewegen.<br />

Gemütlichkeit und Tristesse, Individuelles und Massenware, Wohnkultur und<br />

‚Wohnhaft‘ – die ganze Palette des problembeladenen, aber auch vielfältigen Bezirks<br />

wird auf dem „<strong>Neukölln</strong>er Sozialparkett“ ausgebreitet, begehbar und erfahrbar<br />

gemacht. Ein Klangteppich aus 4289 Paneelen, Hun<strong>der</strong>ten <strong>von</strong> Farbtönen, zu 85<br />

Prozent aus beschichtetem Pressspan und 15 Prozent Echtholzarten. 75 namentlich<br />

genannte Akteure und über 100 Unbekannte aus dem Kiez haben ihre Erinnerungen,<br />

ein kleines Stück ihres Lebens, ihre Sehnsüchte, Hoffnungen o<strong>der</strong> Flüche in ihn<br />

eingewebt. Mit Schnörkeln, Punkten und Zebrastreifen, mit Plastikfurnieren und grün-<br />

weißem Kickerspiel. Ein Klangteppich aus lauten und leisen Tönen, mit sensiblen<br />

Spuren o<strong>der</strong> rauen Kratzern, gesammelt in über 90 Straßen <strong>Neukölln</strong>s – erklingt im<br />

<strong>Museum</strong> als <strong>Symphonie</strong> <strong>der</strong> Hölzer.<br />

Ein Zitat des Philosophen Walther Benjamin klebt mit ausgeschnittenen Buchstaben<br />

auf einem rosa Brett: „Die Spur ist die Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag,<br />

was sie hinterließ.“ Ein philosophischer ‚Anschlag‘ <strong>von</strong> Irene aus <strong>der</strong><br />

Schillerpromenade. Auch das ist <strong>Neukölln</strong>. barbara caveng hat mit dem „Sozialparkett“<br />

eine kommunikative Installation geschaffen, die den Ecken, Kanten und Kuriositäten<br />

des Bezirks eine ästhetische Gestalt verleiht, den Menschen und dem Material ein<br />

Stück ihrer Würde zurückgibt.<br />

<strong>Michaela</strong> <strong>Nolte</strong>

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