04.05.2013 Aufrufe

DDB 03 06 - Deutsche Gesellschaft für Osteogenesis imperfecta ...

DDB 03 06 - Deutsche Gesellschaft für Osteogenesis imperfecta ...

DDB 03 06 - Deutsche Gesellschaft für Osteogenesis imperfecta ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Wiebke Hendreß:<br />

Ich muss mich<br />

nicht verhüllen<br />

Serie:<br />

Einweihung<br />

„medifitreha“<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>Osteogenesis</strong> <strong>imperfecta</strong><br />

(Glasknochen) Betroffene e. V.<br />

DER DURCHBRUCH<br />

www.OI-<strong>Gesellschaft</strong>.de<br />

AKTUELLES THEMA<br />

Partnerschaft und OI<br />

Marit Hamer:<br />

Mobilitätswochenende<br />

in Berlin<br />

<strong>03</strong>/20<strong>06</strong><br />

Annett Heinich:<br />

6. Sächsischer<br />

Behindertentag


Aktuelles Thema<br />

Partnerschaft und OI<br />

Geschlecht<br />

behindert,<br />

Merkmal weiblich<br />

Es berichtet Nicole Meyer<br />

Nicht nur Johann Gottfried von Herder<br />

hat gesagt: „Das Glück, geliebt zu<br />

werden, ist das höchste Glück auf<br />

Erden.“ Doch die Liebe ist nicht nur<br />

die schönste, sondern leider auch<br />

schmerzhafteste Sache der Welt und<br />

gerade im Zusammenhang mit<br />

Behinderung ein schwieriges Thema.<br />

Als Betroffener hat man oft den Eindruck,<br />

als potentieller Beziehungspartner<br />

schlicht und einfach nicht zu<br />

existieren. Ich persönlich habe in diesem<br />

Zusammenhang sogar schon<br />

einmal den Satz gehört: „Die zählt<br />

nicht!“ Ein Nichtbehinderter kann<br />

sich eine Beziehung mit einem<br />

behinderten Partner oft schwer vorstellen,<br />

Behinderte laufen deshalb<br />

hier häufig außerhalb jeder Konkurrenz.<br />

Sie sind nicht hübsch oder hässlich,<br />

sie sind behindert oder wie der<br />

Titel einer Fotoaktion <strong>für</strong> behinderte<br />

Frauen einmal aussagte: „Geschlecht<br />

behindert, Merkmal weiblich“.<br />

Diese Tatsache ist den wenigsten<br />

bewusst und auch mir wurde oft<br />

beteuert, wie hübsch, intelligent,<br />

nett, höflich, interessant etc. ich wäre<br />

und dass die Zukunft sicher auch <strong>für</strong><br />

mich einen wunderbaren Partner<br />

bereithält. Diese Sympathie-Bekundungen<br />

sind auch durchaus ernst<br />

gemeint, nur <strong>für</strong> den Gefragten meist<br />

zufällig nicht zutreffend, was eigentlich<br />

sehr merkwürdig ist, bei genauerer<br />

Betrachtung aber durchaus nachvollziehbar.<br />

Warum kommt ein Behinderter als<br />

Beziehungspartner so selten in Frage?<br />

Hier spielen mehrere Aspekte<br />

eine Rolle. Erstens ist der Umgang<br />

8 I DER DURCHBRUCH I <strong>03</strong>/<strong>06</strong><br />

mit einem behinderten Menschen oft<br />

mit vielen Ängsten verbunden. Für<br />

den Nichtbehinderten entstehen Fragen<br />

wie „Kann und will ich meinen<br />

Partner pflegen?“, „Kann ich mit ihm<br />

all die Dinge unternehmen, die ich<br />

sonst auch täte?“ oder „Will ich eine<br />

so große Verantwortung übernehmen?“<br />

Es ist nun einmal Tatsache,<br />

dass bestimmte Unternehmungen<br />

(man denke z. B. an sportliche Aktivitäten)<br />

durchaus mit Schwierigkeiten<br />

verbunden sein können. Auch<br />

das Thema Sexualität wirft sicher<br />

einige rein praktische Fragen auf.<br />

Eine weitere Schwierigkeit kann vor<br />

allem im Teenageralter, der Zeit der<br />

ersten Beziehungen, auftreten:<br />

Behinderte Beziehungspartner sind<br />

in gewisser Weise nicht „vorzeigbar“.<br />

Ein Partner ist eine Art Statussymbol.<br />

Freunde und Verwandte wollen ihn<br />

kennen lernen und bilden sich ihre<br />

Meinung über ihn. Nicht selten steht<br />

man dann Vorurteilen und Ängsten<br />

gegenüber und gerät somit in Rechtfertigungszwang.<br />

Das dritte und wohl gravierendste<br />

Problem ist die Attraktivität, welche<br />

laut verschiedener wissenschaftlicher<br />

Studien ein wichtiges Kriterium der<br />

Partnerwahl darstellt. Das beginnt bei<br />

den sekundären Geschlechtsmerkmalen<br />

wie Busen, Taille o. ä. und endet<br />

bei speziellen Problemen einzelner<br />

Krankheitsbilder wie z. B. Körperhaltung<br />

oder verkrampfte Gesichtsmuskulatur.<br />

Das Schönheitsideal, welches<br />

die heutigen Medien beherrscht, ist<br />

<strong>für</strong> diese Problematik sicher auch<br />

wenig förderlich. Ich beispielsweise<br />

muss zugeben, mit 90-60-90-Maßen<br />

nicht wirklich mithalten zu können.<br />

Auch wenn man sich bei der Partnerwahl<br />

oft nicht bewusst von Äußerlichkeiten<br />

leiten lassen möchte, so<br />

beeinflusst das äußere Erscheinungsbild<br />

eines Menschen in jedem Fall<br />

unbewusst die Gefühle, die man <strong>für</strong><br />

sein Gegenüber entwickelt.<br />

Auch wenn ich persönlich Schönheit<br />

relativ finde, könnte ich nie mit<br />

einem Menschen zusammen sein,<br />

der mir nicht gefällt, auch wenn ich<br />

aufgrund meines etwas ausgefallenen<br />

Geschmacks mit meiner Meinung<br />

da manchmal alleine dastehe.<br />

Darüber hinaus besagen Theorien<br />

aus dem Bereich der evolutionären<br />

Psychologie, dass das genetische<br />

Angebot eines Geschlechtspartners<br />

ausschlaggebend <strong>für</strong> die Partnerwahl<br />

ist. Man sucht sich immer diejenigen<br />

Väter bzw. Mütter, welche die<br />

„besten“, d. h. die gesündesten Gene<br />

<strong>für</strong> den Nachwuchs bereithalten. Ein<br />

behinderter Mensch demonstriert leider<br />

auf eine sehr deutliche Art und<br />

Weise, dass das nicht unbedingt<br />

gegeben ist. Außerdem sollte ein<br />

potentieller Partner die Mutter- bzw.<br />

Vaterrolle erfüllen können und auch<br />

hier entsteht die Frage, inwiefern ein<br />

behinderter Mann oder eine behinderte<br />

Frau der entsprechenden Rolle<br />

gewachsen ist.<br />

All diese Aspekte sind natürlich nicht<br />

nur einseitig relevant. Stattdessen<br />

treffen all die eben erörterten Themen<br />

ja auch <strong>für</strong> den Betroffenen<br />

selbst zu. Das heißt, dass auch ein<br />

behinderter Mensch sich einen Partner<br />

sucht, der den einschlägigen Kriterien<br />

<strong>für</strong> die Partnerwahl entspricht.<br />

Daraus resultiert das Problem, dass<br />

<strong>für</strong> einen Behinderten die Spanne<br />

zwischen den Ansprüchen an einen<br />

Beziehungspartner und den Möglichkeiten,<br />

die er <strong>für</strong> deren Umsetzung<br />

hat, sehr groß ist. Wer von uns hat<br />

nicht schon einmal gehört, man solle


sich doch jemanden suchen, der „es<br />

auch schwer hat“? Ich kann nicht<br />

leugnen, mich genau dagegen<br />

gewehrt zu haben, sondern habe<br />

immer nach einem großen, schlanken,<br />

gut aussehenden Kerl gesucht,<br />

mit dem ich die sprichwörtlichen<br />

Pferde stehlen konnte. Aber einmal<br />

hat diese Kriterien auch ein Rollstuhlfahrer<br />

erfüllt, der mir damit ziemlich<br />

den Kopf verdreht hat. Man sollte<br />

also wirklich nicht vorschnell urteilen!<br />

Darüber hinaus spielen bestimmte<br />

Ängste bezüglich der Beweggründe<br />

<strong>für</strong> die Beziehung (man denke hier<br />

beispielsweise an die Angst, aus Mitleid<br />

gemocht zu werden oder an die<br />

Frage, was man als Behinderter seinem<br />

Beziehungspartner eigentlich<br />

bieten kann) eine große Rolle. Eine<br />

ältere Dame frage mich einmal, was<br />

denn ein Mann mit mir anfangen solle!<br />

Mit derartigen Bedenken tut man<br />

dem geliebten Menschen schnell<br />

unrecht, was eine Beziehung auf<br />

Dauer relativ schwierig machen kann.<br />

All diese Gründe machen das Thema<br />

„Liebe“ <strong>für</strong> jemanden, der ein Handicap<br />

mit sich trägt, aber auch <strong>für</strong><br />

andere Menschen, die in irgendeinem<br />

Punkt nicht dem Ideal der<br />

<strong>Gesellschaft</strong> entsprechen, sehr<br />

schwierig. Aber trotzdem kann und<br />

sollte man diese „schönste Sache der<br />

Welt“ nicht aus seinem Leben streichen,<br />

sondern tapfer weiter kämpfen<br />

und hoffen, dass einem irgendwann<br />

einmal das Gegenteil bewiesen wird.<br />

Sex und Behinderung?<br />

Anonym<br />

Geboren wurde ich mit einer Behinderung.<br />

In den ersten fünf Jahren war<br />

ich, glaub' ich, mehr im Krankenhaus<br />

als zu Hause. Ich bemerkte relativ früh,<br />

dass ich medizinisch interessanter war<br />

als menschlich. Das führte dazu, dass<br />

ich in meiner Jugend nicht das Gefühl<br />

hatte, als Junge behandelt zu werden.<br />

Während meiner Schulzeit war ich im<br />

Internat. Das hatte Vor- und Nachteile.<br />

Ich war in einer Schule <strong>für</strong> Körperbehinderte.<br />

Der Vorteil war, ich war einer<br />

von vielen. Ich spielte keine Sonderrolle.<br />

Der Nachteil war, ich lebte in einer<br />

„geschützten Behindertenwelt“.<br />

Es gab zwar geschlechtlich getrennte<br />

Zimmer, aber im Gemeinschaftsbad<br />

wurde diese Trennung sehr schnell<br />

aufgehoben. Ich entdeckte demzufolge<br />

sehr früh den kleinen Unterschied.<br />

Auch zu Hause bin ich diesbezüglich<br />

sehr offen aufgewachsen (Es<br />

gab keine körperlichen Geheimnisse).<br />

Während ich außerhalb der „Behindertenwelt“<br />

das Gefühl hatte, ein<br />

asexuelles Wesen zu sein, entdeckten<br />

wir uns im Internat gegenseitig. Wir<br />

spielten Doktor, wir verliebten uns, wir<br />

entwickelten uns aneinander.<br />

Als die Schule beendet war, ging ich<br />

nach B., um die übliche Büroausbildung<br />

zu absolvieren. Ich war erneut in<br />

einer „Behindertenwelt“. Anfangs war<br />

ich in einem schrecklichen Lehrlings-<br />

wohnheim im Sechs-Mann-Zimmer. Es<br />

hatte den typischen Krankenhauscharakter.<br />

Nach einiger Zeit bekamen<br />

einige von uns die Chance, in ein kleineres,<br />

demokratischeres und vor allem<br />

zentraleres Wohnheim zu ziehen. Nun<br />

war ich mitten in B. Die Ausbildung<br />

langweilte mich, und ich wollte aus<br />

der „Behindertenwelt“ ausbrechen.<br />

Also fing ich an, die Stadt <strong>für</strong> mich zu<br />

entdecken. Ich verliebte mich in einen<br />

Lehrlingskollegen. Da er dies aber<br />

nicht erwidern konnte, begann ich, mir<br />

die „Szene“ zu erschließen. Besonders<br />

erfolgreich war ich nicht. Ich erlebte<br />

ein paar „one-night-stands“, aber die<br />

gewünschte Beziehung stellte sich<br />

nicht ein.<br />

Als ich wieder nach D. zog, erlebte ich<br />

ein paar mehr oder weniger kurze<br />

Beziehungen. Diese gaben mir durchaus<br />

das Gefühl, dass ich nicht nur das<br />

behinderte Objekt bin. Aber ich war<br />

nach wie vor auf der Suche.<br />

Eines Abends lernte ich eine Frau kennen.<br />

Ja, sie ist behindert. Ich denke,<br />

Behinderte müssen sich nicht automatisch<br />

magnetisch anziehen. Aber es<br />

macht einiges einfacher. Man muss<br />

sich gegenseitig nicht so viel erklären.<br />

Leider ist es immer noch so, dass<br />

Behinderung etwas „Mystisches“ darstellt:<br />

„Ich kann mir gar nicht vorstellen,<br />

wie Du das meisterst.“<br />

<strong>03</strong>/<strong>06</strong> I DER DURCHBRUCH I 9


Aktuelles Thema<br />

Partnerschaft und OI<br />

Kann eine<br />

Familie mit OI<br />

möglich werden?<br />

Anonym<br />

Kennen Sie die Sendung „Mein Baby”?<br />

Eine Dokumentation über das Leben<br />

werdender Mütter. In dieser Fernsehsendung<br />

werden zwei bis drei Frauen,<br />

teilweise mit ihren Männern, vorgestellt,<br />

alle kugelrund! Es sind nur noch<br />

wenige Tage oder Stunden bis zur<br />

Geburt.<br />

Spannend zu sehen, was man da alles<br />

einkauft, organisiert und aufbaut, <strong>für</strong><br />

das, was da bald kommt. Und dann ist<br />

es endlich soweit, egal, ob sie sich <strong>für</strong><br />

eine natürliche Geburt oder einen Kaiserschnitt<br />

entschieden haben, nun ist<br />

es da, das neue Leben.<br />

Oft habe ich mir diese Sendung angeschaut<br />

und so mancher Gedanke darüber<br />

hat sich in mir breit gemacht.<br />

Werde ich so einen „schönen dicken<br />

Babybauch” auch mal haben können?<br />

Um dann nach neun Monaten ein kleines<br />

Wesen in meinen Armen zu halten.<br />

Eigentlich bin ich aus frauenärztlicher<br />

Sicht im besten Alter zum Kinderkriegen.<br />

Trotzdem setzen mir als OI-lerin<br />

Gewissensbisse zu: Auch wenn es aus<br />

gynäkologischer Sicht <strong>für</strong> mich unbedenklich<br />

sei soll, ein Kind zu bekommen,<br />

um so schwerer ist es <strong>für</strong> mich,<br />

dass ich nicht nur die physiologische<br />

Seite in Betracht ziehen kann, sondern<br />

meine Psyche eine sehr wichtige Rolle<br />

spielt.<br />

Es gibt Leute, die wollen Ratschläge<br />

geben, so genannte „Ratschläge <strong>für</strong>s<br />

Leben”. Als ich zum Beispiel bei meiner<br />

Großmutter zu Besuch war und wir<br />

über mein Leben sprachen, vor allem,<br />

wie es mir in meiner Kindheit mit den<br />

vielen Brüchen und Schmerzen erging,<br />

die ich ertragen musste, hieß der „Rat-<br />

10 I DER DURCHBRUCH I <strong>03</strong>/<strong>06</strong><br />

schlag <strong>für</strong>s Leben” von meiner Großmutter:<br />

Dann solltest du lieber keine<br />

Kinder bekommen! Oft ist mir dieser<br />

Satz durch den Kopf gegangen.<br />

Im Laufe der Jahre fiel mir auf, dass<br />

meine Geschwister (alle gesund)<br />

immer öfter den Satz von meiner Mutter<br />

zu hören bekamen:<br />

Na, wann werd ich denn endlich Oma?<br />

Und bei mir? Komisch, meine Eltern<br />

haben mich das noch nie gefragt.<br />

Doch eigentlich haben sie doch alle<br />

Recht. Was ist denn mit den Schmerzen,<br />

wenn ich mir als Kind wieder mal<br />

ein Bein brach und wieder von null<br />

anfangen musste? Was ist mit den Tränen,<br />

die ich weinte, wenn ich wieder<br />

einmal nicht mit zur Klassenfahrt durfte,<br />

weil es einfach zu gefährlich war?<br />

Was ist denn mit dem Aussehen, wenn<br />

man bemerkt, man bleibt so klein?<br />

Jeder hält Ausschau nach einem<br />

Freund. Aber irgendwie werde ich<br />

übersehen. Sollte ich denn meinem<br />

Kind dieselbe Last aufladen, wie ich sie<br />

tragen musste bzw. muss?<br />

Trotzdem finde ich, man sollte sich<br />

auch mal die Vorteile ausmalen: Ich<br />

habe OI-Mütter getroffen und war<br />

erstaunt, was <strong>für</strong> ein zusammengeschweißtes<br />

Team daraus entstehen<br />

kann. Mir persönlich allerdings wäre es<br />

lieber, ein Kind ohne OI zu bekommen.<br />

Deshalb habe ich mich mit dem<br />

Gedanken einer Präimplantationsdiagnostik<br />

befasst. Damit kann die Entscheidung<br />

<strong>für</strong> ein Kind sicherer, psychisch<br />

befriedigender und bewusster<br />

gestaltet, also insgesamt positiver<br />

erlebt werden.<br />

Risiken natürlich nicht ausgeschlossen!<br />

Was aber ebenfalls <strong>für</strong> mich eine entscheidende<br />

Rolle spielt, ist der Partner.<br />

Kann er sich eine Zukunft mit seiner<br />

OI-Partnerin und einem Kind, das vielleicht<br />

ebenfalls OI haben könnte, vorstellen?<br />

Mein Partner sagt, dass er kein Problem<br />

mit OI hat. Für ihn wäre es eher<br />

belastend, wenn man in die Natur eingreift.<br />

Für ihn wäre „das Kind” ein Kind,<br />

nichts anderes!<br />

Vergiss es nie: Dass du lebst, war keine eigene Idee,<br />

und dass du atmest, kein Entschluss von dir.<br />

Vergiss es nie: Dass du lebst, war eines anderen Idee,<br />

und dass du atmest, sein Geschenk an dich.<br />

Vergiss es nie: Niemand denkt und fühlt und handelt so wie du,<br />

und niemand lächelt so, wie du´s grade tust.<br />

Vergiss es nie: Niemand sieht den Himmel ganz genau so wie du,<br />

und niemand hat je, was du weißt, gewusst.<br />

Vergiss es nie: Dein Gesicht hat niemand sonst auf dieser Welt,<br />

und solche Augen hast alleine du.<br />

Vergiss es nie: Du bist reich, egal, ob mit oder ohne Geld,<br />

denn du kannst leben! Niemand lebt wie du.<br />

Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur,<br />

ganz egal, ob du dein Lebenslied in Moll singst oder Dur.<br />

Du bist ein Gedanke Gottes, ein genialer noch dazu. Du bist du. Jürgen Werth


Freundin –<br />

Beruf – Behinderung –<br />

Zu viel <strong>für</strong> einen Mann?<br />

Anonym<br />

Es ist 21 Uhr, ich komme gerade<br />

nach Hause und setze mich gemütlich<br />

mit einem Glas Rotwein auf meinen<br />

Balkon, genieße die Abendsonne<br />

und da fällt mir ein, dass ich Margit<br />

noch einen Text zugesagt hatte:<br />

„Wie hat meine Behinderung mein<br />

Leben beeinflusst - Aus männlicher<br />

Sicht“<br />

So sitze ich also hier und ziehe<br />

Bilanz: Schöne Wohnung, Single, keine<br />

Kinder, selbständig lebend,<br />

Lebensmittelpunkt der Job, 60<br />

Arbeitsstunden pro Woche, anständiges<br />

Einkommen. Damit unterscheidet<br />

sich meine Lebenssituation deutlich<br />

vom Durchschnitt derer in meinem<br />

Alter (verheiratet, 1,3 Kinder, Sportverein,<br />

Stammtisch, Hobbies etc.).<br />

Jetzt stellen sich die zentralen Fragen:<br />

Bin ich damit unglücklich? –<br />

nein. Liegt es an meiner Behinderung?<br />

– vielleicht, wahrscheinlich, ich<br />

hab keine Ahnung.<br />

Ich denke über meine Arbeitskollegen<br />

nach und erkenne, dass bei<br />

denen die Bilanz sehr ähnlich aussieht.<br />

Hat die Behinderung also keinen<br />

Einfluss auf meinen Lebensweg?<br />

– doch, sie hat.<br />

Dass ich anders bin als andere, wurde<br />

mir früh bewusst und ich habe –<br />

manchmal schmerzhaft – gelernt,<br />

damit klar zu kommen. Schon in der<br />

Schule begann mein Dasein als Einzellgänger/Außenseiter.<br />

Natürlich<br />

gab es in der Pubertät triste Momente,<br />

in denen zum Beispiel ein Mädchen,<br />

das ich verehrt habe, mit<br />

einem Anderen davonzog. Ob es an<br />

meiner Behinderung, an der offensiveren<br />

Vorgehensweise der „Konkurrenten“,<br />

an dem Mädchen oder an<br />

etwas ganz anderem lag, kann ich<br />

nicht sagen. Genau so wenig bin ich<br />

mir schlüssig, ob meine Zurückhaltung<br />

eine „Charakterschwäche“ oder<br />

die Scheu eines Behinderten ist. So<br />

dauerte es bis zum Abitur mit der<br />

ersten Beziehung. Nach einigen<br />

Monaten kam die Nagelprobe: Nehme<br />

ich einen Ausbildungsplatz in der<br />

Nähe und halte an der Beziehung<br />

fest, oder nehme ich den anderen<br />

Ausbildungsplatz mehrere 100 Kilometer<br />

entfernt und lasse mich überraschen,<br />

was aus der Beziehung<br />

wird. Ich entschied mich <strong>für</strong> den<br />

interessanteren Arbeitsplatz und die<br />

Beziehung löste sich auf. Dieses Verhaltensmuster<br />

hat sich in meinem<br />

weiteren Leben noch dreimal wiederholt:<br />

Bewusst das private Glück dem<br />

beruflichen Werdegang geopfert.<br />

Natürlich gibt es Momente, in denen<br />

„Mann“ überlegt, ob man als „Behinderter“<br />

mit anderen Männern konkurrenzfähig<br />

ist. Abends an der Bar<br />

das hübsche Mädchen, das mich<br />

interessiert mustert. Vermutlich<br />

betrachtet sie mich nicht wegen meiner<br />

„Modelfigur“, aber ein Einstieg in<br />

ein Gespräch wäre es allemal. Sie<br />

sieht gut aus und hat alles, was<br />

„Mann“ sich <strong>für</strong> einen Abend<br />

wünscht. Allerdings gehen Schönheit<br />

und Intelligenz nicht immer konform<br />

und aus dem ausweichenden Blick<br />

von ihr, als ich sie direkter ansehe,<br />

schließe ich, dass sie zumindest jetzt<br />

eher nicht gewillt ist, sich mit dem<br />

Problem Behinderung zu befassen.<br />

Wenn ich sie jetzt anspreche, hole ich<br />

mir vermutlich einen Korb. Wenn ich<br />

allerdings erfolgreich bin, muss ich<br />

morgen beim Frühstück gequälte<br />

Konversation betreiben. Da mir beide<br />

Alternativen nicht zusagen, wende<br />

ich mich wieder meiner Kollegin<br />

(Single, keine Kinder, Arbeitszeiten<br />

wie meine) zu, die mich seit knapp 2<br />

Jahren kennt und mit der ich heute<br />

zum zweiten Mal „aus“ bin. Mit der<br />

könnte ich mir gut vorstellen, nicht<br />

nur den Abend zu verbringen, sondern<br />

auch das anschließende Frühstück<br />

(und alles dazwischen) zu<br />

genießen. Mal abwarten, was sich<br />

aus dem Abend entwickelt.<br />

Zusammengefasst mag die Behinderung<br />

mich also vielleicht von dem<br />

einen oder anderen kurzen Abenteuer<br />

abgehalten oder es mir gar<br />

verbaut haben. Ob ich mit diesen<br />

Nächten mit wenig Schlaf glücklicher<br />

wäre, weiß ich nicht. Natürlich sehne<br />

ich mich manchmal nach jemandem,<br />

mit dem ich mein Leben teilen kann.<br />

Ob es diese Partnerin wegen meiner<br />

Behinderung, meines Lebensstils<br />

oder wegen beidem momentan nicht<br />

gibt, kann ich nicht sagen. Entscheidend<br />

ist aber nach meiner Auffassung,<br />

dass „Mann“ in seiner Haut<br />

steckt und das Leben führt, das<br />

einem Spaß macht, egal, ob sich<br />

jemand daran stört, dass man dieses<br />

Leben mit Behinderung führt oder<br />

nicht.<br />

<strong>03</strong>/<strong>06</strong> I DER DURCHBRUCH I 11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!