DDB 03 06 - Deutsche Gesellschaft für Osteogenesis imperfecta ...
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Wiebke Hendreß:<br />
Ich muss mich<br />
nicht verhüllen<br />
Serie:<br />
Einweihung<br />
„medifitreha“<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Osteogenesis</strong> <strong>imperfecta</strong><br />
(Glasknochen) Betroffene e. V.<br />
DER DURCHBRUCH<br />
www.OI-<strong>Gesellschaft</strong>.de<br />
AKTUELLES THEMA<br />
Partnerschaft und OI<br />
Marit Hamer:<br />
Mobilitätswochenende<br />
in Berlin<br />
<strong>03</strong>/20<strong>06</strong><br />
Annett Heinich:<br />
6. Sächsischer<br />
Behindertentag
Aktuelles Thema<br />
Partnerschaft und OI<br />
Geschlecht<br />
behindert,<br />
Merkmal weiblich<br />
Es berichtet Nicole Meyer<br />
Nicht nur Johann Gottfried von Herder<br />
hat gesagt: „Das Glück, geliebt zu<br />
werden, ist das höchste Glück auf<br />
Erden.“ Doch die Liebe ist nicht nur<br />
die schönste, sondern leider auch<br />
schmerzhafteste Sache der Welt und<br />
gerade im Zusammenhang mit<br />
Behinderung ein schwieriges Thema.<br />
Als Betroffener hat man oft den Eindruck,<br />
als potentieller Beziehungspartner<br />
schlicht und einfach nicht zu<br />
existieren. Ich persönlich habe in diesem<br />
Zusammenhang sogar schon<br />
einmal den Satz gehört: „Die zählt<br />
nicht!“ Ein Nichtbehinderter kann<br />
sich eine Beziehung mit einem<br />
behinderten Partner oft schwer vorstellen,<br />
Behinderte laufen deshalb<br />
hier häufig außerhalb jeder Konkurrenz.<br />
Sie sind nicht hübsch oder hässlich,<br />
sie sind behindert oder wie der<br />
Titel einer Fotoaktion <strong>für</strong> behinderte<br />
Frauen einmal aussagte: „Geschlecht<br />
behindert, Merkmal weiblich“.<br />
Diese Tatsache ist den wenigsten<br />
bewusst und auch mir wurde oft<br />
beteuert, wie hübsch, intelligent,<br />
nett, höflich, interessant etc. ich wäre<br />
und dass die Zukunft sicher auch <strong>für</strong><br />
mich einen wunderbaren Partner<br />
bereithält. Diese Sympathie-Bekundungen<br />
sind auch durchaus ernst<br />
gemeint, nur <strong>für</strong> den Gefragten meist<br />
zufällig nicht zutreffend, was eigentlich<br />
sehr merkwürdig ist, bei genauerer<br />
Betrachtung aber durchaus nachvollziehbar.<br />
Warum kommt ein Behinderter als<br />
Beziehungspartner so selten in Frage?<br />
Hier spielen mehrere Aspekte<br />
eine Rolle. Erstens ist der Umgang<br />
8 I DER DURCHBRUCH I <strong>03</strong>/<strong>06</strong><br />
mit einem behinderten Menschen oft<br />
mit vielen Ängsten verbunden. Für<br />
den Nichtbehinderten entstehen Fragen<br />
wie „Kann und will ich meinen<br />
Partner pflegen?“, „Kann ich mit ihm<br />
all die Dinge unternehmen, die ich<br />
sonst auch täte?“ oder „Will ich eine<br />
so große Verantwortung übernehmen?“<br />
Es ist nun einmal Tatsache,<br />
dass bestimmte Unternehmungen<br />
(man denke z. B. an sportliche Aktivitäten)<br />
durchaus mit Schwierigkeiten<br />
verbunden sein können. Auch<br />
das Thema Sexualität wirft sicher<br />
einige rein praktische Fragen auf.<br />
Eine weitere Schwierigkeit kann vor<br />
allem im Teenageralter, der Zeit der<br />
ersten Beziehungen, auftreten:<br />
Behinderte Beziehungspartner sind<br />
in gewisser Weise nicht „vorzeigbar“.<br />
Ein Partner ist eine Art Statussymbol.<br />
Freunde und Verwandte wollen ihn<br />
kennen lernen und bilden sich ihre<br />
Meinung über ihn. Nicht selten steht<br />
man dann Vorurteilen und Ängsten<br />
gegenüber und gerät somit in Rechtfertigungszwang.<br />
Das dritte und wohl gravierendste<br />
Problem ist die Attraktivität, welche<br />
laut verschiedener wissenschaftlicher<br />
Studien ein wichtiges Kriterium der<br />
Partnerwahl darstellt. Das beginnt bei<br />
den sekundären Geschlechtsmerkmalen<br />
wie Busen, Taille o. ä. und endet<br />
bei speziellen Problemen einzelner<br />
Krankheitsbilder wie z. B. Körperhaltung<br />
oder verkrampfte Gesichtsmuskulatur.<br />
Das Schönheitsideal, welches<br />
die heutigen Medien beherrscht, ist<br />
<strong>für</strong> diese Problematik sicher auch<br />
wenig förderlich. Ich beispielsweise<br />
muss zugeben, mit 90-60-90-Maßen<br />
nicht wirklich mithalten zu können.<br />
Auch wenn man sich bei der Partnerwahl<br />
oft nicht bewusst von Äußerlichkeiten<br />
leiten lassen möchte, so<br />
beeinflusst das äußere Erscheinungsbild<br />
eines Menschen in jedem Fall<br />
unbewusst die Gefühle, die man <strong>für</strong><br />
sein Gegenüber entwickelt.<br />
Auch wenn ich persönlich Schönheit<br />
relativ finde, könnte ich nie mit<br />
einem Menschen zusammen sein,<br />
der mir nicht gefällt, auch wenn ich<br />
aufgrund meines etwas ausgefallenen<br />
Geschmacks mit meiner Meinung<br />
da manchmal alleine dastehe.<br />
Darüber hinaus besagen Theorien<br />
aus dem Bereich der evolutionären<br />
Psychologie, dass das genetische<br />
Angebot eines Geschlechtspartners<br />
ausschlaggebend <strong>für</strong> die Partnerwahl<br />
ist. Man sucht sich immer diejenigen<br />
Väter bzw. Mütter, welche die<br />
„besten“, d. h. die gesündesten Gene<br />
<strong>für</strong> den Nachwuchs bereithalten. Ein<br />
behinderter Mensch demonstriert leider<br />
auf eine sehr deutliche Art und<br />
Weise, dass das nicht unbedingt<br />
gegeben ist. Außerdem sollte ein<br />
potentieller Partner die Mutter- bzw.<br />
Vaterrolle erfüllen können und auch<br />
hier entsteht die Frage, inwiefern ein<br />
behinderter Mann oder eine behinderte<br />
Frau der entsprechenden Rolle<br />
gewachsen ist.<br />
All diese Aspekte sind natürlich nicht<br />
nur einseitig relevant. Stattdessen<br />
treffen all die eben erörterten Themen<br />
ja auch <strong>für</strong> den Betroffenen<br />
selbst zu. Das heißt, dass auch ein<br />
behinderter Mensch sich einen Partner<br />
sucht, der den einschlägigen Kriterien<br />
<strong>für</strong> die Partnerwahl entspricht.<br />
Daraus resultiert das Problem, dass<br />
<strong>für</strong> einen Behinderten die Spanne<br />
zwischen den Ansprüchen an einen<br />
Beziehungspartner und den Möglichkeiten,<br />
die er <strong>für</strong> deren Umsetzung<br />
hat, sehr groß ist. Wer von uns hat<br />
nicht schon einmal gehört, man solle
sich doch jemanden suchen, der „es<br />
auch schwer hat“? Ich kann nicht<br />
leugnen, mich genau dagegen<br />
gewehrt zu haben, sondern habe<br />
immer nach einem großen, schlanken,<br />
gut aussehenden Kerl gesucht,<br />
mit dem ich die sprichwörtlichen<br />
Pferde stehlen konnte. Aber einmal<br />
hat diese Kriterien auch ein Rollstuhlfahrer<br />
erfüllt, der mir damit ziemlich<br />
den Kopf verdreht hat. Man sollte<br />
also wirklich nicht vorschnell urteilen!<br />
Darüber hinaus spielen bestimmte<br />
Ängste bezüglich der Beweggründe<br />
<strong>für</strong> die Beziehung (man denke hier<br />
beispielsweise an die Angst, aus Mitleid<br />
gemocht zu werden oder an die<br />
Frage, was man als Behinderter seinem<br />
Beziehungspartner eigentlich<br />
bieten kann) eine große Rolle. Eine<br />
ältere Dame frage mich einmal, was<br />
denn ein Mann mit mir anfangen solle!<br />
Mit derartigen Bedenken tut man<br />
dem geliebten Menschen schnell<br />
unrecht, was eine Beziehung auf<br />
Dauer relativ schwierig machen kann.<br />
All diese Gründe machen das Thema<br />
„Liebe“ <strong>für</strong> jemanden, der ein Handicap<br />
mit sich trägt, aber auch <strong>für</strong><br />
andere Menschen, die in irgendeinem<br />
Punkt nicht dem Ideal der<br />
<strong>Gesellschaft</strong> entsprechen, sehr<br />
schwierig. Aber trotzdem kann und<br />
sollte man diese „schönste Sache der<br />
Welt“ nicht aus seinem Leben streichen,<br />
sondern tapfer weiter kämpfen<br />
und hoffen, dass einem irgendwann<br />
einmal das Gegenteil bewiesen wird.<br />
Sex und Behinderung?<br />
Anonym<br />
Geboren wurde ich mit einer Behinderung.<br />
In den ersten fünf Jahren war<br />
ich, glaub' ich, mehr im Krankenhaus<br />
als zu Hause. Ich bemerkte relativ früh,<br />
dass ich medizinisch interessanter war<br />
als menschlich. Das führte dazu, dass<br />
ich in meiner Jugend nicht das Gefühl<br />
hatte, als Junge behandelt zu werden.<br />
Während meiner Schulzeit war ich im<br />
Internat. Das hatte Vor- und Nachteile.<br />
Ich war in einer Schule <strong>für</strong> Körperbehinderte.<br />
Der Vorteil war, ich war einer<br />
von vielen. Ich spielte keine Sonderrolle.<br />
Der Nachteil war, ich lebte in einer<br />
„geschützten Behindertenwelt“.<br />
Es gab zwar geschlechtlich getrennte<br />
Zimmer, aber im Gemeinschaftsbad<br />
wurde diese Trennung sehr schnell<br />
aufgehoben. Ich entdeckte demzufolge<br />
sehr früh den kleinen Unterschied.<br />
Auch zu Hause bin ich diesbezüglich<br />
sehr offen aufgewachsen (Es<br />
gab keine körperlichen Geheimnisse).<br />
Während ich außerhalb der „Behindertenwelt“<br />
das Gefühl hatte, ein<br />
asexuelles Wesen zu sein, entdeckten<br />
wir uns im Internat gegenseitig. Wir<br />
spielten Doktor, wir verliebten uns, wir<br />
entwickelten uns aneinander.<br />
Als die Schule beendet war, ging ich<br />
nach B., um die übliche Büroausbildung<br />
zu absolvieren. Ich war erneut in<br />
einer „Behindertenwelt“. Anfangs war<br />
ich in einem schrecklichen Lehrlings-<br />
wohnheim im Sechs-Mann-Zimmer. Es<br />
hatte den typischen Krankenhauscharakter.<br />
Nach einiger Zeit bekamen<br />
einige von uns die Chance, in ein kleineres,<br />
demokratischeres und vor allem<br />
zentraleres Wohnheim zu ziehen. Nun<br />
war ich mitten in B. Die Ausbildung<br />
langweilte mich, und ich wollte aus<br />
der „Behindertenwelt“ ausbrechen.<br />
Also fing ich an, die Stadt <strong>für</strong> mich zu<br />
entdecken. Ich verliebte mich in einen<br />
Lehrlingskollegen. Da er dies aber<br />
nicht erwidern konnte, begann ich, mir<br />
die „Szene“ zu erschließen. Besonders<br />
erfolgreich war ich nicht. Ich erlebte<br />
ein paar „one-night-stands“, aber die<br />
gewünschte Beziehung stellte sich<br />
nicht ein.<br />
Als ich wieder nach D. zog, erlebte ich<br />
ein paar mehr oder weniger kurze<br />
Beziehungen. Diese gaben mir durchaus<br />
das Gefühl, dass ich nicht nur das<br />
behinderte Objekt bin. Aber ich war<br />
nach wie vor auf der Suche.<br />
Eines Abends lernte ich eine Frau kennen.<br />
Ja, sie ist behindert. Ich denke,<br />
Behinderte müssen sich nicht automatisch<br />
magnetisch anziehen. Aber es<br />
macht einiges einfacher. Man muss<br />
sich gegenseitig nicht so viel erklären.<br />
Leider ist es immer noch so, dass<br />
Behinderung etwas „Mystisches“ darstellt:<br />
„Ich kann mir gar nicht vorstellen,<br />
wie Du das meisterst.“<br />
<strong>03</strong>/<strong>06</strong> I DER DURCHBRUCH I 9
Aktuelles Thema<br />
Partnerschaft und OI<br />
Kann eine<br />
Familie mit OI<br />
möglich werden?<br />
Anonym<br />
Kennen Sie die Sendung „Mein Baby”?<br />
Eine Dokumentation über das Leben<br />
werdender Mütter. In dieser Fernsehsendung<br />
werden zwei bis drei Frauen,<br />
teilweise mit ihren Männern, vorgestellt,<br />
alle kugelrund! Es sind nur noch<br />
wenige Tage oder Stunden bis zur<br />
Geburt.<br />
Spannend zu sehen, was man da alles<br />
einkauft, organisiert und aufbaut, <strong>für</strong><br />
das, was da bald kommt. Und dann ist<br />
es endlich soweit, egal, ob sie sich <strong>für</strong><br />
eine natürliche Geburt oder einen Kaiserschnitt<br />
entschieden haben, nun ist<br />
es da, das neue Leben.<br />
Oft habe ich mir diese Sendung angeschaut<br />
und so mancher Gedanke darüber<br />
hat sich in mir breit gemacht.<br />
Werde ich so einen „schönen dicken<br />
Babybauch” auch mal haben können?<br />
Um dann nach neun Monaten ein kleines<br />
Wesen in meinen Armen zu halten.<br />
Eigentlich bin ich aus frauenärztlicher<br />
Sicht im besten Alter zum Kinderkriegen.<br />
Trotzdem setzen mir als OI-lerin<br />
Gewissensbisse zu: Auch wenn es aus<br />
gynäkologischer Sicht <strong>für</strong> mich unbedenklich<br />
sei soll, ein Kind zu bekommen,<br />
um so schwerer ist es <strong>für</strong> mich,<br />
dass ich nicht nur die physiologische<br />
Seite in Betracht ziehen kann, sondern<br />
meine Psyche eine sehr wichtige Rolle<br />
spielt.<br />
Es gibt Leute, die wollen Ratschläge<br />
geben, so genannte „Ratschläge <strong>für</strong>s<br />
Leben”. Als ich zum Beispiel bei meiner<br />
Großmutter zu Besuch war und wir<br />
über mein Leben sprachen, vor allem,<br />
wie es mir in meiner Kindheit mit den<br />
vielen Brüchen und Schmerzen erging,<br />
die ich ertragen musste, hieß der „Rat-<br />
10 I DER DURCHBRUCH I <strong>03</strong>/<strong>06</strong><br />
schlag <strong>für</strong>s Leben” von meiner Großmutter:<br />
Dann solltest du lieber keine<br />
Kinder bekommen! Oft ist mir dieser<br />
Satz durch den Kopf gegangen.<br />
Im Laufe der Jahre fiel mir auf, dass<br />
meine Geschwister (alle gesund)<br />
immer öfter den Satz von meiner Mutter<br />
zu hören bekamen:<br />
Na, wann werd ich denn endlich Oma?<br />
Und bei mir? Komisch, meine Eltern<br />
haben mich das noch nie gefragt.<br />
Doch eigentlich haben sie doch alle<br />
Recht. Was ist denn mit den Schmerzen,<br />
wenn ich mir als Kind wieder mal<br />
ein Bein brach und wieder von null<br />
anfangen musste? Was ist mit den Tränen,<br />
die ich weinte, wenn ich wieder<br />
einmal nicht mit zur Klassenfahrt durfte,<br />
weil es einfach zu gefährlich war?<br />
Was ist denn mit dem Aussehen, wenn<br />
man bemerkt, man bleibt so klein?<br />
Jeder hält Ausschau nach einem<br />
Freund. Aber irgendwie werde ich<br />
übersehen. Sollte ich denn meinem<br />
Kind dieselbe Last aufladen, wie ich sie<br />
tragen musste bzw. muss?<br />
Trotzdem finde ich, man sollte sich<br />
auch mal die Vorteile ausmalen: Ich<br />
habe OI-Mütter getroffen und war<br />
erstaunt, was <strong>für</strong> ein zusammengeschweißtes<br />
Team daraus entstehen<br />
kann. Mir persönlich allerdings wäre es<br />
lieber, ein Kind ohne OI zu bekommen.<br />
Deshalb habe ich mich mit dem<br />
Gedanken einer Präimplantationsdiagnostik<br />
befasst. Damit kann die Entscheidung<br />
<strong>für</strong> ein Kind sicherer, psychisch<br />
befriedigender und bewusster<br />
gestaltet, also insgesamt positiver<br />
erlebt werden.<br />
Risiken natürlich nicht ausgeschlossen!<br />
Was aber ebenfalls <strong>für</strong> mich eine entscheidende<br />
Rolle spielt, ist der Partner.<br />
Kann er sich eine Zukunft mit seiner<br />
OI-Partnerin und einem Kind, das vielleicht<br />
ebenfalls OI haben könnte, vorstellen?<br />
Mein Partner sagt, dass er kein Problem<br />
mit OI hat. Für ihn wäre es eher<br />
belastend, wenn man in die Natur eingreift.<br />
Für ihn wäre „das Kind” ein Kind,<br />
nichts anderes!<br />
Vergiss es nie: Dass du lebst, war keine eigene Idee,<br />
und dass du atmest, kein Entschluss von dir.<br />
Vergiss es nie: Dass du lebst, war eines anderen Idee,<br />
und dass du atmest, sein Geschenk an dich.<br />
Vergiss es nie: Niemand denkt und fühlt und handelt so wie du,<br />
und niemand lächelt so, wie du´s grade tust.<br />
Vergiss es nie: Niemand sieht den Himmel ganz genau so wie du,<br />
und niemand hat je, was du weißt, gewusst.<br />
Vergiss es nie: Dein Gesicht hat niemand sonst auf dieser Welt,<br />
und solche Augen hast alleine du.<br />
Vergiss es nie: Du bist reich, egal, ob mit oder ohne Geld,<br />
denn du kannst leben! Niemand lebt wie du.<br />
Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur,<br />
ganz egal, ob du dein Lebenslied in Moll singst oder Dur.<br />
Du bist ein Gedanke Gottes, ein genialer noch dazu. Du bist du. Jürgen Werth
Freundin –<br />
Beruf – Behinderung –<br />
Zu viel <strong>für</strong> einen Mann?<br />
Anonym<br />
Es ist 21 Uhr, ich komme gerade<br />
nach Hause und setze mich gemütlich<br />
mit einem Glas Rotwein auf meinen<br />
Balkon, genieße die Abendsonne<br />
und da fällt mir ein, dass ich Margit<br />
noch einen Text zugesagt hatte:<br />
„Wie hat meine Behinderung mein<br />
Leben beeinflusst - Aus männlicher<br />
Sicht“<br />
So sitze ich also hier und ziehe<br />
Bilanz: Schöne Wohnung, Single, keine<br />
Kinder, selbständig lebend,<br />
Lebensmittelpunkt der Job, 60<br />
Arbeitsstunden pro Woche, anständiges<br />
Einkommen. Damit unterscheidet<br />
sich meine Lebenssituation deutlich<br />
vom Durchschnitt derer in meinem<br />
Alter (verheiratet, 1,3 Kinder, Sportverein,<br />
Stammtisch, Hobbies etc.).<br />
Jetzt stellen sich die zentralen Fragen:<br />
Bin ich damit unglücklich? –<br />
nein. Liegt es an meiner Behinderung?<br />
– vielleicht, wahrscheinlich, ich<br />
hab keine Ahnung.<br />
Ich denke über meine Arbeitskollegen<br />
nach und erkenne, dass bei<br />
denen die Bilanz sehr ähnlich aussieht.<br />
Hat die Behinderung also keinen<br />
Einfluss auf meinen Lebensweg?<br />
– doch, sie hat.<br />
Dass ich anders bin als andere, wurde<br />
mir früh bewusst und ich habe –<br />
manchmal schmerzhaft – gelernt,<br />
damit klar zu kommen. Schon in der<br />
Schule begann mein Dasein als Einzellgänger/Außenseiter.<br />
Natürlich<br />
gab es in der Pubertät triste Momente,<br />
in denen zum Beispiel ein Mädchen,<br />
das ich verehrt habe, mit<br />
einem Anderen davonzog. Ob es an<br />
meiner Behinderung, an der offensiveren<br />
Vorgehensweise der „Konkurrenten“,<br />
an dem Mädchen oder an<br />
etwas ganz anderem lag, kann ich<br />
nicht sagen. Genau so wenig bin ich<br />
mir schlüssig, ob meine Zurückhaltung<br />
eine „Charakterschwäche“ oder<br />
die Scheu eines Behinderten ist. So<br />
dauerte es bis zum Abitur mit der<br />
ersten Beziehung. Nach einigen<br />
Monaten kam die Nagelprobe: Nehme<br />
ich einen Ausbildungsplatz in der<br />
Nähe und halte an der Beziehung<br />
fest, oder nehme ich den anderen<br />
Ausbildungsplatz mehrere 100 Kilometer<br />
entfernt und lasse mich überraschen,<br />
was aus der Beziehung<br />
wird. Ich entschied mich <strong>für</strong> den<br />
interessanteren Arbeitsplatz und die<br />
Beziehung löste sich auf. Dieses Verhaltensmuster<br />
hat sich in meinem<br />
weiteren Leben noch dreimal wiederholt:<br />
Bewusst das private Glück dem<br />
beruflichen Werdegang geopfert.<br />
Natürlich gibt es Momente, in denen<br />
„Mann“ überlegt, ob man als „Behinderter“<br />
mit anderen Männern konkurrenzfähig<br />
ist. Abends an der Bar<br />
das hübsche Mädchen, das mich<br />
interessiert mustert. Vermutlich<br />
betrachtet sie mich nicht wegen meiner<br />
„Modelfigur“, aber ein Einstieg in<br />
ein Gespräch wäre es allemal. Sie<br />
sieht gut aus und hat alles, was<br />
„Mann“ sich <strong>für</strong> einen Abend<br />
wünscht. Allerdings gehen Schönheit<br />
und Intelligenz nicht immer konform<br />
und aus dem ausweichenden Blick<br />
von ihr, als ich sie direkter ansehe,<br />
schließe ich, dass sie zumindest jetzt<br />
eher nicht gewillt ist, sich mit dem<br />
Problem Behinderung zu befassen.<br />
Wenn ich sie jetzt anspreche, hole ich<br />
mir vermutlich einen Korb. Wenn ich<br />
allerdings erfolgreich bin, muss ich<br />
morgen beim Frühstück gequälte<br />
Konversation betreiben. Da mir beide<br />
Alternativen nicht zusagen, wende<br />
ich mich wieder meiner Kollegin<br />
(Single, keine Kinder, Arbeitszeiten<br />
wie meine) zu, die mich seit knapp 2<br />
Jahren kennt und mit der ich heute<br />
zum zweiten Mal „aus“ bin. Mit der<br />
könnte ich mir gut vorstellen, nicht<br />
nur den Abend zu verbringen, sondern<br />
auch das anschließende Frühstück<br />
(und alles dazwischen) zu<br />
genießen. Mal abwarten, was sich<br />
aus dem Abend entwickelt.<br />
Zusammengefasst mag die Behinderung<br />
mich also vielleicht von dem<br />
einen oder anderen kurzen Abenteuer<br />
abgehalten oder es mir gar<br />
verbaut haben. Ob ich mit diesen<br />
Nächten mit wenig Schlaf glücklicher<br />
wäre, weiß ich nicht. Natürlich sehne<br />
ich mich manchmal nach jemandem,<br />
mit dem ich mein Leben teilen kann.<br />
Ob es diese Partnerin wegen meiner<br />
Behinderung, meines Lebensstils<br />
oder wegen beidem momentan nicht<br />
gibt, kann ich nicht sagen. Entscheidend<br />
ist aber nach meiner Auffassung,<br />
dass „Mann“ in seiner Haut<br />
steckt und das Leben führt, das<br />
einem Spaß macht, egal, ob sich<br />
jemand daran stört, dass man dieses<br />
Leben mit Behinderung führt oder<br />
nicht.<br />
<strong>03</strong>/<strong>06</strong> I DER DURCHBRUCH I 11