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IM FOKUS:<br />
MEGASTÄDTE<br />
16 FUTURE BY SEMCON 3.2012<br />
NEUE WEGE FÜR<br />
MEGASTÄDTE
Warum sollten Autos von heute Vorbild für Autos von morgen<br />
sein? Diese Frage stellte sich <strong>Semcon</strong> bei der Entwicklung<br />
des Urban <strong>MovE</strong> – einer innovativen Konzeptstudie für den<br />
wachsenden urbanen Verkehr der kommenden Jahrzehnte.<br />
TEXT LINDA KARLSSON ELDH FOTOS DANIEL KUNZFELD<br />
FUTURE BY SEMCON 3.2012 17
IM FOKUS:<br />
MEGASTÄDTE<br />
Aussehen sollte der Urban<br />
<strong>MovE</strong> wie ein ganz normales<br />
Auto. Aber im Inneren<br />
des Elektrofahrzeugs hat<br />
<strong>Semcon</strong> ein paar Finessen<br />
und etliche Neuerungen<br />
versteckt: einen<br />
Elektronabenmotor, drei<br />
verschiedene Antriebsvarianten, Leichtbauwerkstoffe<br />
wie MnE21 und Werkstoffe aus<br />
Naturfasern, eine dezentrale Klimaanlage und<br />
ein HMI-Konzept, bei dem alle Funktionen<br />
über ein Tablet gesteuert werden. In diesem<br />
Konzept bündeln sich sämtliche Erfahrungen,<br />
die <strong>Semcon</strong> in vielen Jahren der Zusammenarbeit<br />
mit führenden Automobilherstellern<br />
gesammelt hat. Doch statt auf einer existierenden<br />
Plattform aufzubauen, wollte <strong>Semcon</strong><br />
etwas ganz Neues entwickeln – etwas, das<br />
die künftigen Anforderungen an E-Mobilität<br />
erfüllt, insbesondere in Megastädten.<br />
Es sollte ein Fahrzeug für Berufspendler,<br />
Kleinfamilien und junge Menschen im urbanen<br />
Verkehrsumfeld werden. Bei der Präsentation<br />
des Konzeptfahrzeugs auf der 7. Internationalen<br />
Zuliefererbörse (IZB) im Oktober<br />
2012 in Wolfsburg war das Interesse groß.<br />
Hier sprach Future by <strong>Semcon</strong> mit Thorsten<br />
Falldorf, E-Mobility Sprecher der Technikgruppe<br />
von <strong>Semcon</strong> und Projektleiter für<br />
Urban <strong>MovE</strong>. »Als Engineering-Dienstleister<br />
zeigen wir, dass <strong>Semcon</strong> ein innovativer Partner<br />
für alternative Fahrzeugkonzepte wie für<br />
Gesamtfahrzeugkonzepte ist. Unser Stand<br />
ist Treffpunkt für große OEMs, potentielle<br />
Projekt-Partner und interessierte Studenten,<br />
die am Projekt mitwirken wollen.«<br />
ANGESICHTS RAPIDE wachsender Städte und der<br />
Debatte über die neuen urbanen Herausforderungen<br />
an die Automobilindustrie hat sich<br />
<strong>Semcon</strong> für einen Viersitzer der Kompaktklasse<br />
entschieden: »Wir haben verschiedene<br />
7 Innovationen im Urban <strong>MovE</strong><br />
Rückkehr zum Minimalismus im Design.<br />
Alu-Spaceframe mit folierter Beplankung aus<br />
Magnesiumwerkstoff MnE21.<br />
Außergewöhnliches Sitzkonzept mit hinterer Sitzreihe,<br />
die zum Kofferraumsitz umgeklappt werden kann.<br />
Innovatives HMI-Konzept, bei dem alle Funktionen<br />
über ein Tablet gesteuert werden.<br />
18 FUTURE BY SEMCON 3.2012<br />
» Der Umbau eines herkömmlichen<br />
Fahrzeuges ist einfach<br />
kein optimaler Ansatz.«<br />
Thorsten Falldorf, Projektleiter Urban <strong>MovE</strong><br />
Konzepte diskutiert, auch das sogenannte<br />
Microcar, uns dann aber doch für ein Fahrzeugkonzept<br />
entschieden, das schon in naher<br />
Zukunft verwirklicht werden kann.«<br />
Große Automobilhersteller wie Audi, Opel<br />
und Volkswagen haben bei verschiedenen<br />
Gelegenheiten bereits Microcar-Konzepte<br />
vorgestellt. Allerdings – da ist man sich einig<br />
– wird es noch eine Weile dauern, bis diese<br />
Konzepte Serienreife erlangt haben, eine neue<br />
Infrastruktur in den Städten geschaffen ist<br />
und umweltfreundliche Fahrzeuge bei Anwendern<br />
auf breitere Akzeptanz treffen.<br />
»Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt<br />
sind, ist der Markt reif für die Microcars«,<br />
sagt Thorsten Falldorf und nennt die Planstadt<br />
Masdar City in den Vereinigten Arabischen<br />
Emiraten als Ansatz für diese neue<br />
futuristische Infrastruktur.<br />
Diese Ökostadt soll die erste CO2-neutrale<br />
Stadt der Welt werden und gleichzeitig die<br />
erste, die auf ein unterirdisches sogenanntes<br />
Personal-Rapid-Transit-Netz setzt. Im elektrisch<br />
motorisierten Individualverkehr gelangt<br />
der Nutzer in einer automatisierten Kabine an<br />
sein jeweiliges Ziel. Was heute vielleicht noch<br />
nach Science Fiction klingt.<br />
»Dieses spannende Projekt gibt einen Vorgeschmack<br />
auf die alternative Infrastruktur,<br />
die die Megastädte benötigen«, sagt Thorsten<br />
Dezentrale Klimatisierung durch PTC- und Peltier-<br />
Elemente in Kopfstützen, Instrumententafel, Fahrzeughimmel<br />
usw.<br />
Personenbezogene Anströmung zur Reduzierung<br />
des Energiebedarfs.<br />
Drei alternative Antriebsvarianten.<br />
Falldorf. »Wir blicken in eine Zukunft, in der<br />
kleine, leichte 1-Sitzer auf schmalen Spuren<br />
unterwegs sind und der Güterverkehr vom<br />
PKW-Verkehr komplett getrennt ist, um so<br />
die Fahrzeugsicherheit für Microcars zu gewährleisten.<br />
Und Fahrzeuge fahren vielleicht<br />
wie an einer Kette aufgereiht über die Autobahn.<br />
Alles ist möglich. <strong>MovE</strong> zielt jedoch auf<br />
die kommenden 10 bis 20 Jahre ab.«<br />
MIT DEM KONZEPTFAHRZEUG geht <strong>Semcon</strong> die<br />
wichtigsten bevorstehenden Herausforderungen<br />
der wachsenden Städte an: die CO2- und<br />
Feinstaubbelastung zu reduzieren oder – da<br />
die fossilen Brennstoffe auf Dauer zur Neige<br />
gehen – ganz zu eliminieren. <strong>MovE</strong> umfasst<br />
gleich drei alternative Antriebsvarianten. Zwei<br />
sind reine Brennstoffzellensysteme, einmal<br />
mit Drucktank und einmal mit LOHC-Tank<br />
(LOHC steht für Liquid Organic Hydrogen<br />
Carriers, flüssige Wasserstoffträger). Das dritte<br />
Antriebssystem ist speziell für die Nutzung<br />
im urbanen Umfeld ausgelegt, in dem der<br />
Anwender nicht täglich weite Strecken mit<br />
dem Auto zurücklegt. Hier dient eine Batterie<br />
als Hauptenergiequelle, unterstützt von einer<br />
Brennstoffzelle zur Reichweitenverlängerung,<br />
die als externe Antriebsquelle bei Bedarf längere<br />
Fahrstrecken ermöglicht. Die Räder werden<br />
über einen elektrischen Radnabenantrieb<br />
Antriebssystem 1: Brennstoffzelle und Drucktank.
Extramaterial<br />
für iPad<br />
im appstore nach »<strong>Semcon</strong>« suchen<br />
bewegt. Je nach Fahrstil und Umgebungsbedingungen<br />
rechnet das <strong>Semcon</strong>-Team mit einer<br />
Reichweite von 100 Kilometern im reinen<br />
Batteriebetrieb.<br />
MIT MOVE SETZT man auf eine Zielgruppe, die<br />
sich ein kleineres, aber dennoch komfortables<br />
Elektrofahrzeug wünscht. Größenmäßig orientiert<br />
man sich daher am Fahrzeugkonzept<br />
des Audi A1. Ein großer Unterschied zu vielen<br />
anderen heutigen Elektroautos ist allerdings,<br />
dass <strong>Semcon</strong> kein existierendes Fahrzeug umbaut.<br />
Stattdessen gilt die Devise, dass Elektrofahrzeuge<br />
vielleicht äußerlich Fahrzeugen<br />
mit konventionellem Verbrennungsantrieb<br />
ähneln, aber ein ganz anderes Innenleben haben.<br />
Insoweit ist <strong>MovE</strong> eine völlig eigenständige<br />
Neuentwicklung.<br />
»E-Mobilität ist nicht gleich E-Antrieb.<br />
Man muss das Fahrzeug als Ganzes betrachten<br />
und die speziellen Anforderungen des<br />
Elektromotors berücksichtigen. Vor allem<br />
muss der Energiebedarf so reduziert werden,<br />
dass mit der Akku-Kapazität eine größere<br />
Reichweite erzielt werden kann. Ein weiteres<br />
Thema ist die Akustik. Ein Elektroauto wird<br />
ganz anders wahrgenommen als eines mit<br />
deutlich hörbarem Verbrennungsmotor. Der<br />
Umbau eines herkömmlichen Fahrzeuges ist<br />
einfach kein optimaler Ansatz«, weiß Thorsten<br />
Falldorf.<br />
Das Design des <strong>MovE</strong> wird als »Rückkehr<br />
zum Minimalismus« bezeichnet und soll<br />
mit seiner Reduktion auf das Wesentliche<br />
lautloses Gleiten, Energiefluss und Aerodynamik<br />
visualisieren. Des Weiteren setzte das<br />
Entwicklungsteam auf unterschiedliche Materialkonzepte.<br />
So besteht beispielsweise die<br />
Karosserie aus einem Aluminium-Spaceframe<br />
und einer folierten Beplankung aus dem Magnesiumwerkstoff<br />
MnE21.<br />
Im Interieur kommen naturfaserverstärkte<br />
Werkstoffe zum Einsatz. Auch hier gibt es ei-<br />
Antriebssystem 2: Brennstoffzelle und LOHC-Tank. Antriebssystem 3: Batterie mit kleinerer<br />
Brennstoffzelle als Range Extender.<br />
Thorsten Falldorf<br />
Standort: <strong>Semcon</strong>, Wolfsburg,<br />
Deutschland<br />
Position: Projektleiter Urban <strong>MovE</strong><br />
Der Urban <strong>MovE</strong> ist ein Projekt im Rahmen der Technologie-Roadmap von <strong>Semcon</strong>, bestehend aus vier Bereichen:<br />
Safe, Lean, Light, Smart.<br />
nige Innovationen, zum Beispiel das alternative<br />
HVAC-System mit dezentraler Klimatisierung.<br />
Viele kleine PTC- und Peltier-Elemente<br />
in Türen, Kopfstützen, Fahrzeughimmel und<br />
Instrumententafel erzielen eine personenbezogene<br />
Anströmung, die den Energiebedarf<br />
im Auto reduziert.<br />
»Gerade der E-Kompressor für die Klimaanlage<br />
ist in einem E-Fahrzeug ein Bauteil,<br />
das viel Energie aus der Batterie zieht. Die<br />
Herausforderung ist, dass die Anwender<br />
durch die heutigen Klimaanlagen von einer<br />
sehr schnellen Klimatisierung sehr verwöhnt<br />
sind«, so Thorsten Falldorf.<br />
DIE KOMMUNIKATION DER Autos ist ein großes<br />
und wichtiges Thema für die Zukunft – auch<br />
für <strong>Semcon</strong>. In der Zukunft werden Autos<br />
nicht nur mit anderen Autos, sondern<br />
auch mit Ampeln und Verkehrsleitsystemen<br />
kommunizieren können. Dadurch wird<br />
die Fahrt sicherer, aber selbstverständlich<br />
auch bequemer. Das alles setzt Internet im<br />
Auto voraus. So hat man sich bei <strong>MovE</strong> ein<br />
HMI-Konzept überlegt, bei dem alle Funkti-<br />
onen über ein Tablet gesteuert werden. »Das<br />
Tablet übernimmt im Auto eine zentrale<br />
Funktion. Sämtliche Infotainment-Funktionen<br />
werden über einen Touchscreen gesteuert<br />
und zusätzlich über Vibrationen und<br />
3D-Spracherkennung, damit der Fahrer nicht<br />
abgelenkt wird. Wir glauben, dass sich hier<br />
ein wichtiges Marktsegment für Automobil-<br />
Apps öffnen wird.«<br />
So möchte man dem Anwender der Zukunft<br />
eine neue Art von Interaktion mit dem<br />
Auto ermöglichen. Das Auto soll lernfähig<br />
werden und dem Anwender das Leben leichter<br />
machen, indem es zum Beispiel darüber informiert,<br />
wo sich die nächste Ladestation für<br />
Wasserstoff oder das nächste gute Restaurant<br />
befindet. Auch außerhalb des Autos ist das<br />
Tablet hilfreich und kann beispielsweise über<br />
die Navigationsfunktion den Fahrer zum Auto<br />
zurückführen. »In diesem Auto bündeln wir<br />
die Kompetenzen, die wir für Kunden wie<br />
VW, andere OEMs und Zulieferer über die<br />
Jahre gesammelt haben. Jetzt freuen wir uns<br />
darauf, Teile des Konzepts zusammen mit<br />
unseren Kunden umzusetzen.« 1<br />
Dezentrale und anwesenheitsgesteuerte<br />
Klimatisierung.<br />
FUTURE BY SEMCON 3.2012 19