Glück, Glanz, Schildkröte Flora & Fauna Die Flora & Fauna ...
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<strong>Glück</strong>, <strong>Glanz</strong>, <strong>Schildkröte</strong><br />
<strong>Flora</strong> & <strong>Fauna</strong><br />
<strong>Die</strong> <strong>Flora</strong> & <strong>Fauna</strong> Kommunikationsagentur vermischt seit einem Jahr Business mit Pleasure<br />
neu. Egal ob Sony, Jacobs Kaffee oder die Drum'N'Bass Party am Wochenende: Kunden<br />
aller Couleur fühlen sich hier gut aufgehoben. Kommunikation ist das Zauberwort.<br />
"<strong>Die</strong> <strong>Schildkröte</strong> bildet schwer vermittelbare Jugendliche als Koch oder Kellner aus. Das<br />
Schöne ist, dass man dort für 8 Mark ausgezeichnet zu Mittag essen und sich informell<br />
treffen kann. <strong>Die</strong> <strong>Schildkröte</strong> ist das Rückgrat des Start Up Firmengeländes Wolliner Straße<br />
18/19."<br />
Das Rückgrat einer Firmengruppierung, die sich außer einer gemeinsamen Adresse<br />
gemeinsame, alternative Arbeits- und Lebensideale teilt? Wird hier in der Wolliner Straße<br />
von den Internetdesign-, Musik-, Grafik- und PR-Firmen die reformierte Hippie-Kommune auf<br />
praktikablem Jungprofessionellen-Niveau umgesetzt? <strong>Die</strong> Start Ups als die Prankster von<br />
heute? "Mal den Ball flach halten, und schneid‘ dir die ollen Zöpfe ab," schieben Lizzy Fichtl<br />
und Leigh Haas, neben Heike Blümner Gründungsmitglieder von <strong>Flora</strong> & <strong>Fauna</strong>, solche<br />
Fragen auf den Müllhaufen der Geschichte. <strong>Die</strong> altlinke Dichotomie Outlaw/ Inlaw hat längst<br />
ihre Gültigkeit eingebüßt. Man kämpft nicht um ein besseres Leben, man lebt das bessere<br />
Leben. Hoch die Tassen und Verträge. Niemand tritt mehr zum Duell gegen den<br />
Kapitalismus an - wir leben schließlich nicht in einem Italowestern -, stattdessen werden<br />
innerhalb des Kapitalismus möglichst große Freiräume abgesteckt. "Mixing Business with<br />
Pleasure." <strong>Die</strong> New Economy kommt einem da entgegen. Zumindest die Fassade darf<br />
liberaler gestaltet werden. Lizzy: "Alle Firmen hier sind professionell, alle arbeiten mehr als<br />
40 Stunden die Woche, aber zu einem anderen Arbeitsmodell. Individuell, flexibel. Das<br />
Ergebnis ist professionell, die Vorstellung von Professionalität im Sinne des alten<br />
Büromodells hat sich für uns aber überholt. Man achtet darauf, dass alle Firmen auf dem<br />
Gelände damit einverstanden sind, dass laute Musik gehört werden kann, dass nachts Leute<br />
arbeiten. Wir fühlen uns wohl, wenn Leute im Hof hängen. Deshalb wollen wir auch, dass die<br />
Kirche von unten-Punkkneipe auf dem Grundstück bleibt. Das ist soziale Kontrolle.<br />
Bürogebäude stehen nachts leer, nichts ist gruseliger.<br />
Bei der Firmengruppierung auf dem Grundstück geht es nicht so sehr um konkreten<br />
Austausch von Arbeitsaufträgen. Ein Klima zu schaffen, das den veränderten<br />
Arbeitsansprüchen außerhalb eines 9 to 5-Alltags entgegenkommt, steht im Vordergrund. Es<br />
ist schöner, zu drei Seiten Fenster zu haben und auf Firmen, Gesichter, Menschen mit<br />
gleichem Nenner zu blicken statt auf Geranien in Plastikübertöpfen. Du kannst zu deinem<br />
Nachbarn gehen, Butter ausleihen oder das Fax benutzen. <strong>Die</strong> Wolliner Straße ist aber nicht<br />
unsere kleine Insel, das gallische Dorf. Das ist ein Zusatz. Wir arbeiten noch nicht einmal zu<br />
10 Prozent mit Leuten aus dem Haus zusammen."<br />
Wir sind drei Flexecutives, wir sind drei Diven<br />
<strong>Flora</strong> & <strong>Fauna</strong> hat sich im Herbst 99 als "Kommunikationsagentur für Texte, Konzepte und<br />
Events" gegründet. <strong>Die</strong> Firma unterteilt sich in <strong>Flora</strong> & <strong>Fauna</strong> Medien von Lizzy und Heike<br />
und <strong>Flora</strong> & <strong>Fauna</strong> Visions von Leigh. Mit ihrem Hip-Wissensvorsprung sorgen Lizzy und<br />
Heike dafür, dass die Imagekampagnen ihrer Auftraggeber sich nicht zum peinlichen<br />
Eigentor verkehren. Leigh bietet bei Bedarf ihre Raum- und Lichtinstallationen dazu. Sie<br />
arbeitet sonst aber weitestgehend selbständig im Club- und Theaterrahmen. Carharrt, Motor<br />
Music oder Sony verlassen sich u.a. auf das künstlerisch-wirtschaftliche Gespür der drei.<br />
<strong>Flora</strong> & <strong>Fauna</strong> verlässt sich darauf, dass sie ihre Content-Vorstellungen möglichst<br />
einspruchsfrei verwirklichen können – künstlerische <strong>Die</strong>nstleistung. Nebenher veranstalten<br />
sie eigene Events wie "<strong>Flora</strong>, <strong>Fauna</strong>, Fressen" oder "Bring back the Pleasure". Mit ihrem<br />
Geschäftsmodell, dass "kommerzielle Interessen und künstlerischen Anspruch zu einem<br />
Kommunikationserfolg" verbinden will, verfolgen Lizzy, Heike und Leigh einen pragmatischen<br />
Idealismus, eine Realo-Politik im kreativ-ökonomischen Feld. Es gibt keine Rechtfertigung,<br />
sich als beleidigte Fundamentalisten-Leberwurst selbst jeglichen Spielraum zu rauben. Man<br />
muss sich allerdings à priori darauf verständigen, die New Economy als Spiel- und nicht als<br />
Kampfraum zu begreifen. Der <strong>Flora</strong> & <strong>Fauna</strong>-Slogan "Mixing Business with Pleasure" will<br />
sicher nicht behaupten, man solle im vorauseilenden Gehorsam seine
Vergnügungsvorstellungen den Geschäftsgegebenheiten anpassen – der<br />
durchökonomisierte Mensch. <strong>Die</strong> Geschäftsgegebenheiten seien im Gegenteil so disponibel<br />
geworden, dass man sie den Vergnügungsbedürfnissen anpassen kann – der humanisierte<br />
Kapitalismus. Das Abenteuer Big Business, in das man sich in einer Kombination aus Robin<br />
Hood und Keith Haring stürzt. Wozu die selbstaufreibende Melodramatik eines Jean Michel<br />
Basquiat? Swatch heißt z.B. Sony; Leigh Haas: "Es ist sehr interessant, macht sehr viel<br />
Spaß, Konzepte an Sony zu verkaufen. Da ist kein großer Unterschied zwischen meinen<br />
Arbeiten für Sony, den WMF-Club oder die Performancegruppe Gob Squad. Aber die Firmen<br />
gehören völlig unterschiedlichen Welten an." Lizzy: "Keine dieser Welten zu verteufeln,<br />
sondern sich adäquat zwischen ihnen zu bewegen, ist das Ziel. Wir machen Pressearbeit für<br />
die den Exponence-Drum and Bass-Abend freitags im Berlin Club WMF, suchen Partner für<br />
Gob Squad, genauso aber für Jacobs Kaffee und Motor Music. Wir können doch nicht immer<br />
nur Skateboardpartys in Schrabbelhallen machen. Sonst bewegen wir uns aus unserem<br />
Kellerloch nicht raus. Mit unserem Wissen werden Großprojekte schöner, kriegen mehr<br />
Gefühl. Das ist auch für die andere Seite wichtig. Them and us? Verrat der Basis? Das<br />
Problem habe ich nicht. Es geht um Kommunikation. Wenn ich gut kommuniziere, passiert so<br />
etwas nicht. Ich muss fair vermitteln. Ich wünsche mir, dass Leute aus dem "Underground"<br />
sich trauen, für die Deutsche BA zu arbeiten. <strong>Die</strong> Künstler Jim Avignon oder Dag sind ein<br />
gutes Beispiel dafür, wie man Freunde und Großauftraggeber entsprechend unterschiedlich<br />
bedient. Beide Seiten bekommen ihre Bilder, aber zu unterschiedlichen Bedingungen. Das<br />
empfinde ich nicht als Verrat, das ist ganz ehrlich und realistisch." Leigh: "Wie soll ich von<br />
einer Lichtinstallation im Bastard leben? Das geht nicht. Ich müsste hinter der Bar arbeiten."<br />
Lizzy: "Ich finde es schade, wenn Talente verballert werden, weil sie hinter der Bar arbeiten<br />
müssen. Wir bleiben ja unserem Basisnetzwerk treu: Leute mitnehmen, das Big Business-<br />
Budget in der eigenen Szene aufteilen." <strong>Die</strong> Romantik der Flexecutives-Identität(en) –<br />
Glamour, Spaß, Geld plus Integrität und weitestgehende Autonomie – bleibt in der<br />
priviliegierten <strong>Flora</strong> & <strong>Fauna</strong>-Stellung als eigene Chefin und Künstlerin unangekratzt. Der<br />
Bigotterie der vorgetäuschten Enthierachisierung innerhalb der Firmen, die<br />
Selbstverantwortung erhöht, aber Selbstbeteiligung weiterhin ausschließt, entziehen sich<br />
Lizzy, Heike und Leigh durch Gründung ihrer eigenen Firma. Mit <strong>Flora</strong> & <strong>Fauna</strong> sind sie<br />
Freischärler im Wirtschaftsmeer, die mit ihrer kleinen Barke wendig sowohl zwischen den<br />
dicken Pötten mit den Weiße Kragen-Mannschaften als auch den selbstgezimmerten Flößen<br />
mit der Nietengürtel-Besatzung lavieren. Lizzy: "<strong>Die</strong> Kontraste müssen erhalten bleiben. <strong>Die</strong><br />
kleinen Partys, die alten Jeans vom Flohmarkt – die großen Firmen, die teuren Designer-<br />
Schuhe." In der Wolliner Straße gestalten sie einen Heimathafen mit, der statt vom Hippie-<br />
Kommunarden vom Lebensunternehmer bewohnt wird. Ein Hafen, in dem gemeinsam<br />
geprobt wird, wie man das Leben-oder-Arbeiten gegen das Leben-und-Arbeiten ersetzen<br />
kann. Unentfremdet in der flexibilisierten New Economy. Lizzy: "Lieblingsideen durchziehen<br />
und davon leben können. Aufwachen ohne Knoten im Hals und Magen. So muss es sein.<br />
Tatsächlich geht es ja, man muss es nur tun."<br />
Wer sich bei dem Versuch, Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung gleichermaßen<br />
umzusetzen, in den weniger krebsgefährdenden Widersprüchen verheddert, dürfte dabei bis<br />
zum Tag der großen Abrechnung ungeklärt bleiben.