Einführung in den Sohar - Salomon Ludwig Steinheim-Institut für ...
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Aus Scholems durchschossenem<br />
<strong>Sohar</strong>-Exemplar<br />
Der englischen Sprache mächtige<br />
und am Studium des <strong>Sohar</strong><br />
selbst <strong>in</strong>teressierte Leser<br />
f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e ausgezeichnete,<br />
reich kommentierte Übersetzung<br />
dieses „dritten heiligen<br />
Buches“ des Ju<strong>den</strong>tums <strong>in</strong>: The<br />
Zohar. Pritzker Edition. Translation<br />
and Commentary by Daniel<br />
C. Matt, Stanford University<br />
Press, seit 2004, bisher sechs<br />
Bände, Le<strong>in</strong>en mit Schutzumschlag,<br />
bibliophil gestaltet. Der<br />
aramäische Text des <strong>Sohar</strong> ist<br />
im Internet zu f<strong>in</strong><strong>den</strong>:<br />
4<br />
sup.org/zohar<br />
des <strong>Sohar</strong> war von großer Wichtigkeit, und so<br />
herrschte e<strong>in</strong>e Ideologie se<strong>in</strong>er Rechtfertigung, ohne<br />
dass die geistige Welt, die dem Buch zueigen ist,<br />
noch von Bedeutung gewesen wäre. Auf se<strong>in</strong> erbärmliches<br />
Ende als „Seelen-Talisman“ müssen wir<br />
hier jedoch nicht e<strong>in</strong>gehen. Behandeln wir andere<br />
Fragen, die uns auf das Hauptproblem zurückführen:<br />
Wie wurde der <strong>Sohar</strong> zu e<strong>in</strong>em heiligen Buch,<br />
zu e<strong>in</strong>em Dokument von Offenbarungswert?<br />
Man wird nicht behaupten, dass der <strong>Sohar</strong> <strong>in</strong><br />
Heiligkeit geboren wurde. Nach se<strong>in</strong>em Ersche<strong>in</strong>en<br />
bedurfte es längerer Zeit, bis er die Stellung erobert<br />
hatte, die er danach <strong>für</strong> vierhundert Jahre <strong>in</strong>nehatte.<br />
Im 14. Jahrhundert war er außerhalb kabbalistischer<br />
Kreise völlig unbekannt, doch auch bei <strong>den</strong><br />
Kabbalisten selbst nahm er weder e<strong>in</strong>e zentrale<br />
Stellung e<strong>in</strong> noch hatte er absoluten religiösen<br />
Wert. In <strong>den</strong> ersten Generationen war Kritik noch<br />
möglich. Es gab Leute wie Rabbi Josef ibn Waqar,<br />
die die Leser vor der Lektüre warnen konnten,<br />
<strong>den</strong>n „es häufen sich dar<strong>in</strong> die Irrtümer...“. Zwar<br />
verebbte nach e<strong>in</strong>er gewissen Zeit die Kritik, doch<br />
man sieht, dass es <strong>für</strong> die sephardischen Kabbalisten<br />
e<strong>in</strong>e ganze Reihe anderer Bücher gab, welche<br />
mit dem <strong>Sohar</strong> konkurrierten, darunter auch solche,<br />
die ihn nachzuahmen, ja ihn zu übertreffen<br />
suchten. Wir sehen, dass ihre Haltung zum <strong>Sohar</strong><br />
sich nicht von der zu irgende<strong>in</strong>em anderen Buch<br />
unterscheidet. Niemand aber unternahm <strong>den</strong> Versuch,<br />
e<strong>in</strong>e neue Tora zu schreiben oder e<strong>in</strong>en besseren<br />
<strong>Sohar</strong> zu verfassen, nachdem das Volk ihn angenommen<br />
hatte.<br />
Im 14. Jahrhundert brummt der Markt der kabbalistischen<br />
Literatur mit „Pseudoschreibe“ <strong>in</strong> Gestalt<br />
des <strong>Sohar</strong>. Die Haltung der Kabbalisten war<br />
im Grunde ke<strong>in</strong>e andere als die der Kritiker: man<br />
nahm diese ganze Inszenierung nicht ernst. Die<br />
Nachahmungen, die e<strong>in</strong>e größere Autorität erlangten,<br />
s<strong>in</strong>d das Sefer haPeliah und das Sefer haQana.<br />
Wohl siegte der <strong>Sohar</strong> im Wettbewerb um Beschreibung<br />
der Welt des Ju<strong>den</strong>tums im Spiegel der<br />
Kabbala, wenn auch erst nach der Vertreibung von<br />
der iberischen Halb<strong>in</strong>sel. Als die Kabbalisten als<br />
Vertreter der Hauptströmungen der jüdischen Geschichte<br />
zu Sprechern des Volkes wur<strong>den</strong>, da wurde<br />
auch ihr Hauptbuch zu e<strong>in</strong>em Dokument von besonderem<br />
Wert, wurde geheiligt und schlug Wurzeln<br />
<strong>in</strong> der Seele des Volkes, bis es die Würde e<strong>in</strong>es<br />
dritten Buches der Quellen des Ju<strong>den</strong>tums erlangte.<br />
Jenes Lebensgefühl, das sich mit dem Sieg der Kab-<br />
bala durchsetzte und das so anders war als das, was<br />
ihm vorang<strong>in</strong>g, fand se<strong>in</strong>en vollendeten Ausdruck<br />
im Buch <strong>Sohar</strong>. Es war vor allem <strong>in</strong>sofern erfolgreich,<br />
als es die ganze Welt des Ju<strong>den</strong>tums, wie die<br />
ersten Kabbalisten sie verstan<strong>den</strong>, <strong>in</strong> sich entfaltete.<br />
Als es dann als heiliges Buch akzeptiert war – was<br />
Wunder, dass die historische Kritik zum Schweigen<br />
kam! Der Glaube an die Urtümlichkeit des Buches,<br />
das Streben, diese ganze dramatische Inszenierung<br />
als faktische, historische Wirklichkeit und nicht als<br />
romantische Ausschmückung anzunehmen, setzten<br />
sich durch. Der Erste gew<strong>in</strong>nt. Je tiefer e<strong>in</strong> Buch <strong>in</strong><br />
Urzeiten verwurzelt ist, desto größer wird se<strong>in</strong>e Autorität.<br />
Wenn wir uns <strong>den</strong> <strong>in</strong>haltlichen Fragen zuwen<strong>den</strong>,<br />
lässt sich sagen, dass der <strong>Sohar</strong> zurecht se<strong>in</strong>e<br />
Siege <strong>in</strong> <strong>den</strong> Kreisen der Kabbalisten errungen hat.<br />
Er liegt vor uns als Schlussste<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er facettenreichen<br />
historischen Entwicklung. Der größte Teil<br />
der Anliegen, auf die die sefardischen Kabbalisten<br />
ihr Augenmerk richteten, fand dar<strong>in</strong> vollendeten<br />
Ausdruck. E<strong>in</strong>e umfassende Beschreibung der jüdischen<br />
Welt aus kabbalistischer Sicht, allerd<strong>in</strong>gs<br />
ke<strong>in</strong>e systematische! Systematischen Büchern war<br />
bei uns im allgeme<strong>in</strong>en ke<strong>in</strong> Erfolg beschie<strong>den</strong>.<br />
Denjenigen Schöpfungen, die unmittelbar aus <strong>den</strong><br />
ursprünglichsten Schichten jüdischen Bewusstse<strong>in</strong>s<br />
hervorgehen, mangelt es an systematischem Ausgreifen.<br />
System ist bei uns Sache der Assimilation.<br />
Die wesentlichen Quellen, wor<strong>in</strong> wir die Seele des<br />
Volkes ohne jedes Anzeichen von Fremdartigem suchen,<br />
s<strong>in</strong>d nicht <strong>in</strong> systematischer Form verfasst.<br />
Es wundert mich nicht, dass das Buch „Der<br />
Führer der Unschlüssigen“ (More Newuchim des<br />
Maimonides) nicht <strong>den</strong> Rang errungen hat, <strong>den</strong> der<br />
<strong>Sohar</strong> erreichte. E<strong>in</strong> Dokument, dem es an Ordnung<br />
mangelt, hat die Oberhand gegenüber e<strong>in</strong>em<br />
Dokument, das die Welt des Ju<strong>den</strong>tums auf ideologische<br />
Weise zu erfassen sucht.<br />
Natürlich gibt es viele Gründe <strong>für</strong> <strong>den</strong> Sieg der<br />
Kabbala über die Philosophie, <strong>den</strong> Sieg des Dämmerlichts<br />
und der Dunkelheit über das klare Licht<br />
der philosophieren<strong>den</strong> Aufklärung. Der <strong>Sohar</strong> ist<br />
mitnichten das System der Kabbala. Die Ideologien<br />
entspr<strong>in</strong>gen der Nutzung bei bestimmten Fragen.<br />
Die Ideologie <strong>für</strong> sich genommen jedoch hat nur<br />
kläglichen E<strong>in</strong>fluss und die ideologischen Versuche<br />
der Kabbalisten <strong>in</strong> systematischer Form gelangten<br />
erst zu e<strong>in</strong>er gewissen Abrundung, nachdem sich<br />
Assimilation und Säkularisierung <strong>in</strong> der Epoche der