Neues zu § 315 b StGB – BGHSt 48, 119 – - Ja-Aktuell
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Aufsatz Strafrecht z <strong>§</strong> <strong>315</strong> <strong>StGB</strong><br />
ten Gefahr (»Gefahrerfolg«). Um den Begriff der konkreten<br />
Gefahr bauen sich mächtige Bibliotheken auf.<br />
Kennen muss man die seit 1995 gebräuchliche Faustformel<br />
des BGH. Danach liegt eine konkrete Gefahr<br />
vor, wenn ein unbeteiligter Beobachter aus der Sicht<br />
ex ante <strong>zu</strong> der Einschät<strong>zu</strong>ng gelangt, dass das gerade<br />
noch einmal gut gegangen sei. 11 Man hört den »Beobachter«<br />
gerade<strong>zu</strong> erleichtert aufschnaufen, wenn es<br />
dem Fahrer gelingt, das Hindernis eben noch um Haaresbreite<br />
<strong>zu</strong> umfahren oder mit einer Vollbremsung<br />
den Aufprall um Millimeter <strong>zu</strong> vermeiden. Plastisches<br />
Schlagwort ist der »Beinahe-Unfall«. Hingegen genügt<br />
selbst eine abstrakt höchstgefährliche Verkehrslage<br />
nicht. »Modellfall« ist das Fahren im bremsenlosen<br />
Fahrzeug (oben II 1); auch hier muss es mindestens <strong>zu</strong><br />
einer akuten Krisensituation, eben dem Beinahe-<br />
Unfall kommen. 12 Aber Achtung: Verursacht die Tat<br />
einen relevanten Verlet<strong>zu</strong>ngserfolg, also bedeutenden<br />
Fremdsachschaden oder eine nicht unerhebliche Körperverlet<strong>zu</strong>ng,<br />
so muss man sich mit dem Merkmal<br />
der konkreten Gefahr nicht mehr näher auseinander<br />
setzen. Denn jeder bedeutenden Verlet<strong>zu</strong>ng ist denknotwendig<br />
eine bedeutende konkrete Gefahr vorausgegangen.<br />
13 Man braucht nicht mehr nach einem Beinahe-Unfall<br />
<strong>zu</strong> suchen, weil bereits ein »Unfall« (Eintritt<br />
bedeutenden Fremdsachschadens) geschehen ist.<br />
Hier hat der BGH jetzt eine Korrektur vorgenommen<br />
(unten III 3).<br />
III. Die Falllösung<br />
Geht man mit dem erworbenen Rüstzeug an unsere<br />
beiden Taten heran, so scheint die Lösung unproblematisch<br />
<strong>zu</strong> sein. <strong>§</strong> <strong>315</strong> b I Nr 1 <strong>StGB</strong> ist nicht vollendet,<br />
weil weder die Zersplitterung der Scheibe durch den<br />
Steinwurf noch der Lackschaden weitere Gefahrerfolge<br />
nach sich zog. Angesichts der weiten Begriffsdefinition<br />
des Hindernisbereitens 14 könnte bei guter<br />
Begründung Nr 2 angenommen werden. Näher liegt<br />
jedoch <strong>§</strong> <strong>315</strong> b I Nr 3 <strong>StGB</strong>. Es handelt sich nach der<br />
Rspr um klassische Anwendungsfälle des ähnlichen,<br />
ebenso gefährlichen Eingriffs (oben II 1). Dass die<br />
Handlungen der Angekl die Verkehrssicherheit beeinträchtigt<br />
haben, liegt auf der Hand. Sie waren im<br />
eigentlichen Sinne gemeingefährlich. Schließlich wurde<br />
auch jeweils bedeutender Fremdsachschaden verursacht,<br />
weswegen wir unschwer auf das Vorliegen<br />
einer vorgelagerten konkreten Gefahr für bedeutende<br />
Sachwerte schließen können. Die Untergrenze für<br />
den bedeutenden Sachwert setzt die Rspr <strong>–</strong> vom BGH<br />
nochmals bekräftigt <strong>–</strong> bei 750 E an.<br />
Der BGH hat diese vermeintlich klaren Konstellationen<br />
jedoch <strong>zu</strong>m Gegenstand einer Grundsatzentscheidung<br />
gemacht. Sein Ergebnis: Der Steinwurf<br />
stelle eine vollendete Tat nach <strong>§</strong> <strong>315</strong> b I Nr 3 <strong>StGB</strong><br />
dar; hingegen soll hinsichtlich des Ausgießens des<br />
Lacks nur Versuch vorliegen. Das Ergebnis über-<br />
rascht. Überraschend ist auch, dass die Annahme<br />
einer vollendeten Tat in Be<strong>zu</strong>g auf den Steinwurf<br />
dem BGH lange Ausführungen abgenötigt hat. Woran<br />
liegt das?<br />
Der Grund liegt in der Rspr des BGH selbst. Blenden<br />
wir nochmals <strong>zu</strong>rück: Wir haben gesehen, dass<br />
die Beschädigung eines Fahrzeugs eine Straftat nach<br />
<strong>§</strong> <strong>315</strong> b I Nr 1 <strong>StGB</strong> nur dann darstellt, wenn gerade<br />
die Fahrzeugbeschädigung eine abstrakte Verkehrsgefahr<br />
und einen Gefahrerfolg herbeiführt. In der Vergangenheit<br />
war es immer wieder vorgekommen, dass<br />
die Instanzgerichte genau dies übersahen und etwa in<br />
Fällen des Rammens anderer Fahrzeuge ohne hierdurch<br />
ausgelöste weitere Gefahren wegen <strong>§</strong> <strong>315</strong> b I<br />
Nr 1 <strong>StGB</strong> verurteilten. Der BGH beanstandete dies <strong>zu</strong><br />
Recht und entwickelte die Formel, die Beschädigung<br />
dürfe nicht bereits die Realisierung der von einem<br />
Eingriff ausgehenden Gefahr darstellen. Die Formel<br />
gibt dabei nur den Inhalt des Gesetzes wieder: Die Beschädigung<br />
muss den Gefahrerfolg bewirken, darf also<br />
nicht mit diesem in einem Akt <strong>zu</strong>sammenfallen. Zugleich<br />
betonte der BGH aber (ebenfalls <strong>zu</strong> Recht), dass<br />
dann <strong>§</strong> <strong>315</strong> b I Nr 2 oder 3 <strong>StGB</strong> an<strong>zu</strong>wenden sei. 15<br />
1. Die Sündenfälle<br />
Den soweit ersichtlich ersten Sündenfall bildet ein Beschluss<br />
aus dem <strong>Ja</strong>hr 1997. 16 Der Täter hatte eine Frau<br />
aus seinem mit 40 km/h fahrenden Auto gestoßen, die<br />
beim Aufschlagen auf der Straße erhebliche Verlet<strong>zu</strong>ngen<br />
erlitt. Der BGH rügte die von der Vorinstanz ausgesprochene<br />
Verurteilung wegen <strong>§</strong> <strong>315</strong> b I Nr 3 <strong>StGB</strong>.<br />
Für <strong>§</strong> <strong>315</strong> b I Nr 1 <strong>StGB</strong> sei anerkannt, dass die Beschädigung<br />
die abstrakte Gefahr und den Gefahrerfolg begründen<br />
müsse; wegen des identischen Tatbestandsaufbaus<br />
könne für <strong>§</strong> <strong>315</strong> b I Nr 3 <strong>StGB</strong> nichts anderes<br />
gelten. Erschöpfe sich der Eingriff in der Gefährdung<br />
bzw der Körperverlet<strong>zu</strong>ng, so scheide <strong>§</strong> <strong>315</strong> b <strong>StGB</strong><br />
aus. In einem Urteil aus dem <strong>Ja</strong>hr 2001 17 wurde diese<br />
Formel dann <strong>zu</strong>m Grundsatz für alle Tatvarianten<br />
des <strong>§</strong> <strong>315</strong> b <strong>StGB</strong> erhoben. Der Täter war in Beschädigungsabsicht<br />
auf ein Fahrzeug <strong>zu</strong>gefahren und hatte<br />
dieses <strong>–</strong> mit der Folge beträchtlichen Fremdsachschadens<br />
<strong>–</strong> gerammt. Der Eingriff erschöpft sich nach BGH<br />
auch hier in der Verlet<strong>zu</strong>ng (Beschädigung). Es fehle<br />
an der Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit.<br />
11 BGH NJW 1995, 3131; <strong>zu</strong>m Ganzen LK-König (Fn 7) <strong>§</strong> <strong>315</strong> Rn 51 ff<br />
12 So entgegen der früheren Rspr. BGH NJW 1996, 329; siehe von Heintschel-Heinegg<br />
JA 1996, 645<br />
13 Nahe<strong>zu</strong> allg M; LK-König (Fn 7) <strong>§</strong> <strong>315</strong> Rn 57 mit zahlreichen Nachw<br />
14 Jede Einwirkung im Verkehrsraum, die geeignet ist, den reibungslosen<br />
Verkehrsablauf <strong>zu</strong> hemmen oder <strong>zu</strong> verzögern; siehe etwa <strong>BGHSt</strong> 41,<br />
231, 234<br />
15 ZB BGH NZV 1990, 77; NStZ 1995, 31; wN bei LK-König <strong>§</strong> <strong>315</strong> Rn 25, 26;<br />
Rengier Strafrecht BT II <strong>§</strong> 44 Rn 3. Anders nur BGH VRS 50, 94, 95<br />
16 BGH NZV 1998, 36<br />
17 BGHR <strong>StGB</strong> <strong>§</strong> <strong>315</strong> b Abs 1 Nr 3 Eingriff 5<br />
JA 2003 Heft 10 n n 821 "