Aus dem Tagesanzeiger 16.2.2013 - Club Beaufort
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<strong>Aus</strong> <strong>dem</strong> Tages-Anzeiger:<br />
«Plötzlich machte es bum – und ich sass auf <strong>dem</strong> Rücken eines Wals»<br />
Simon Koster bereitet sich auf eines der härtesten Segelrennen vor: Von Frankreich in die Karibik –<br />
auf einem 6,50 Meter kleinen Boot.<br />
Von Ruedi Baumann<br />
Oberengstringen – 6 Meter 50 sind sehr wenig. Sogar auf <strong>dem</strong> Zürichsee sind die meisten Boote<br />
grösser. Am 13. Oktober 2013 startet Simon Koster im bretonischen Fischerstädtchen Douarnenez<br />
mit seiner Mini-Jacht zum berüchtigten Mini Transat. Das ist ein Rennen über den Atlantik für<br />
Einhandsegler in kleinen Booten.<br />
Simon Koster auf kleiner Trainingsfahrt in heimischen Gewässern. Foto: PD
Für Simon Koster zählt jeder Franken: Tagsüber arbeitet er als Elektroniker, danach arbeitet er bis<br />
Mitternacht am Boot. Foto: Sophie Stieger<br />
Simon Koster aus Unterengstringen hat zwar zwei Hände – und erst noch ziemlich kräftige.<br />
Einhandsegler sind wagemutige Typen allein auf einem Boot – sie brauchen eine Hand, um sich<br />
festzuhalten, und die andere zum Arbeiten. Eine Hand für den Mann und eine für das Schiff. Allein<br />
auf <strong>dem</strong> Atlantik, wenn seine Nussschale Wellenberge runtersurft, muss sich ein Segler gut<br />
festhalten. Koster segelt mit seinem Vater seit <strong>dem</strong> Kindergarten. Als Segler hat er die ganze<br />
Ochsentour absolviert – vom Kindersegeln im Optimisten bis zum Yachtmaster im englischen Kanal.<br />
Er war Schweizer Meister mit einer 420er-Jolle und hat dreimal auf grossen Rennjachten den Atlantik<br />
überquert.<br />
«Obermühsam, aber obergeil»<br />
Die Lust, es allein über den grossen Teich zu wagen, überkam ihn vor zwei Jahren. Als Brotjob segelte<br />
er eine 12-Meter-Rennjacht von Jamaika nach England – nur zu zweit, weil der dritte Mitsegler<br />
ausfiel. Kurz nach <strong>dem</strong> Start in der Karibik streikte der Autopilot. Koster und sein Kollege mussten die<br />
nervöse Rennjacht zwei Wochen lang 24 Stunden am Tag von Hand steuern. «Das war obermühsam<br />
– aber obergeil.»
Das Mini Transat ist ein Rennen für junge Segler, die keine Millionensponsoren und riesigen Teams<br />
hinter sich haben. 100'000 Franken haben Boot und Segel gekostet, 500 Stunden lang hat Koster<br />
bisher an seinem Boot gebastelt, geschliffen, geleimt und geschraubt. Damit die Kosten nicht aus<br />
<strong>dem</strong> Ruder laufen, haben die Organisatoren die <strong>Aus</strong>rüstung streng limitiert.<br />
Die Segler dürfen nur ein einfaches GPS-Gerät an Bord haben und einen Weltempfänger – aber<br />
weder einen elektronischen Kartenplotter noch einen Kurzwellensender für lange Distanzen. Sie<br />
können bloss Wetterberichte empfangen und die Entfernung der anderen Jachten zum Ziel. «Ich<br />
kenne zwar meine Position im Rennen, habe aber keine Ahnung, ob die Konkurrenten südlich oder<br />
nördlich von mir segeln.» Mit der Limitierung der Technik soll verhindert werden, dass teure<br />
Betreuerteams vom Land aus die strategische Beratung übernehmen.<br />
Für Simon Koster, der weder reiche Eltern noch millionenschwere Sponsoren hat, zählt jeder<br />
Franken. Tagsüber arbeitet er als Elektroniker, baut Schaltkästen zusammen oder kontrolliert<br />
Steuerungen für Maschinen. Eine Saison lang hat er noch als Gärtner gearbeitet. Am Abend fährt er<br />
von Oberengstringen nach Oberglatt, um bis Mitternacht am Boot zu arbeiten. Da haben ihm der<br />
Dekorationsbauer Ueli Naef und der Kunststofftechniker Thomas Cahak von Acryline einen Platz in<br />
der Halle und die Benützung sämtlicher Werkzeuge und Vakuumpumpen für Kunststoffarbeiten zur<br />
Verfügung gestellt.<br />
Als Koster nach draussen stürzte, sah er nur eine riesige Schwanzflosse.<br />
Er sass auf <strong>dem</strong> Rücken eines Wals.<br />
Im letzten Sommer segelte Koster ein Testrennen von der Bretagne auf die Azoren und zurück. 160<br />
Meilen vor den Azoren, an 6. Stelle liegend, «da machte es plötzlich bum, und das Boot stand<br />
bockstill», erzählt Koster. «Ich sass unten und hörte über Kopfhörer die Wetterprognosen.» Als er<br />
nach draussen ins Cockpit stürzte, sah er nur eine riesige Schwanzflosse. Er sass auf <strong>dem</strong> Rücken<br />
eines Wals. «Zum Glück brach der Kiel durch den Aufprall nicht ab.» Das hätte einen Totalschaden<br />
und ein ziemlich schnelles Absaufen der kleinen Jacht bedeuten können. Nur eines der beiden<br />
Steuerruder wurde weggedrückt. Koster gelang es, einen 15 Zentimeter langen Riss im Heck mit<br />
Polyester notdürftig zu laminieren. Das Rennen zurück in die Bretagne gewann der junge Schweizer<br />
dank einer gewagten nördlichen Route.<br />
Das Mini Transat ist für Spitzensegler etwa gleichbedeutend wie Gokart-Rennen für Formel-1-Fahrer.<br />
Wer sich auf den 7400 Kilometern über den Atlantik durchsetzt, kann einer der Grossen werden.<br />
Koster startet im Herbst als einer von zwei Schweizern in einem Feld von 77 Booten.<br />
Maximal 15 Minuten Schlaf am Stück<br />
Eines der wichtigsten Instrumente auf Kosters Racer ist der elektronische Wecker mit einem 120<br />
Dezibel lauten Pfeifton – zu laut für jede Disco. Während des Rennens schläft er maximal 15 Minuten<br />
am Stück. Für diese kostbaren Viertelstunden muss Koster jedes Mal den fast 100 Quadratmeter<br />
grossen, ballonartigen Spinnaker bergen. Mit so viel Segelfläche kommt der Autopilot nicht zurecht,<br />
vor allem beim Surfen mit Passatwind von schräg hinten.<br />
Das Brutale am Einhandsegeln: Wer zu viel schläft, ist zu langsam. Und wer zu wenig schläft, fällt ins<br />
Delirium. «Ich sehe dann jeweils Fischerboote, die es gar nicht gibt», sagt Koster. In Frankreich nimmt
er nun an einer Studie teil, um mehr über sein Schlafbedürfnis und einen optimalen Schlafrhythmus<br />
herauszufinden.<br />
Einen Motor hat Koster nie dabei, bloss zwei Kanister mit Methanol-Alkohol für eine Brennstoffzelle.<br />
Damit generiert er den Strom für Autopilot, Beleuchtung und Radio. Für die rund 15 bis 20 Tage<br />
zwischen Lanzarote und der Karibik hat er 100 Liter Wasser dabei. «Und wir nehmen genug<br />
Plastikbeutel mit gefriergetrockneter Nahrung mit», sagt er. Mit «wir» meint er übrigens: «Mein Boot<br />
und ich».<br />
http://tagi.ch/21758164