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Epilepsie im Erwachsenenalter - Universitätsklinikum Bonn

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<strong>Epilepsie</strong> <strong>im</strong> <strong>Erwachsenenalter</strong><br />

Was gibt es Neues?<br />

Medikamentöse Erstbehandlung (Monotherapie)<br />

Aus der Gruppe der sog. neueren Antiepileptika stehen zur Monotherapie bzw. Erstbehandlung<br />

inzwischen Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin und Topiramat zur Verfügung (⇑⇑). Lamotrigin und<br />

Topiramat können auch zur Behandlung generalisierter <strong>Epilepsie</strong>n empfohlen werden (⇑). Die neueren<br />

Antiepileptika sind zur Behandlung fokaler <strong>Epilepsie</strong>n mindestens gleich wirksam wie die klassischen<br />

Wirkstoffe Carbamazepin, Valproinsäure, Phenytoin und Phenobarbital bei vermutlich besserer<br />

Verträglichkeit und damit besserer Effektivität (⇑), jedoch geringerer Erfahrung und<br />

Arzne<strong>im</strong>ittelsicherheit. Daher sollten nach individueller Abwägung bezüglich <strong>Epilepsie</strong>syndrom und<br />

spezifischem Nebenwirkungsprofil bei manchen Patienten zur Ersteinstellung durchaus neuere<br />

Antiepileptika eingesetzt werden.<br />

Behandlung pharmakoresistenter <strong>Epilepsie</strong>n<br />

Als neuestes Antiepileptikum wurde Pregabalin zur Kombinationstherapie fokaler <strong>Epilepsie</strong>n<br />

zugelassen (⇑).<br />

Bei therapierefraktären <strong>Epilepsie</strong>n kann mit dem Ziel einer geringen Anfallsfrequenz eine alternative<br />

Monotherapie statt einer (weiteren) Polytherapie erwogen werden (⇑).<br />

Bei therapierefraktären fokalen <strong>Epilepsie</strong>n bleibt die <strong>Epilepsie</strong>chirurgie nach sorgfältiger<br />

Indikationsstellung die Therapie der Wahl für die hierzu geeigneten Patienten (⇑).<br />

Die wichtigsten Empfehlungen auf einen Blick<br />

Bei der Ersteinstellung einer <strong>Epilepsie</strong> ist der antiepileptische Wirkstoff aus den Gruppen der<br />

klassischen oder neueren Antiepileptika individuell nach zu erwartender Wirksamkeit, speziellem<br />

Nebenwirkungsprofil sowie zu erwartenden – erwünschten oder unerwünschten – Interaktionen mit<br />

Begleitmedikamenten und Gesundheitsrisiken (z. B. Osteoporose) auszuwählen. Für fokale <strong>Epilepsie</strong>n<br />

kommen Carbamazepin, Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Topiramat<br />

und Valproinsäure in Frage, für generalisierte <strong>Epilepsie</strong>n insbesondere Valproinsäure, aber auch<br />

Lamotrigin, Phenobarbital und Topiramat sowie Ethosux<strong>im</strong>id zur Behandlung von Absenzen (A).<br />

Bei erfolgloser Erstbehandlung kann eine alternative Monotherapie oder – wahrscheinlich gleichwertig –<br />

eine Kombinationstherapie angestrebt werden. Die Wirkstoffauswahl erfolgt wiederum individuell unter<br />

zusätzlicher Berücksichtigung der mutmaßlichen Interaktionen zwischen den Wirkstoffen. Zur<br />

Kombinationstherapie sind zusätzlich zu den o.g. Wirkstoffen zu erwägen: Levetiracetam, Pregabalin,<br />

Tiagabin, in fernerer Wahl Benzodiazepine (B).<br />

Bei fokalen <strong>Epilepsie</strong>n mit nachgewiesener Pharmakoresistenz (mindestens zwei konsequente, aber<br />

nicht erfolgreiche medikamentöse Therapien) sollte eine prächirurgische Abklärung mit der Frage einer<br />

operativen Therapieoption möglichst frühzeitig erfolgen, da der epilepsiechirurgische Eingriff bei<br />

gegebener Indikation die Therapie der Wahl darstellt (A).<br />

Definition<br />

<strong>Epilepsie</strong> ist ein chronischer Zustand des Gehirns, der charakterisiert ist durch eine abnorm erhöhte<br />

Neigung, epileptische Anfälle hervorzubringen. Die Diagnose einer <strong>Epilepsie</strong> erfordert das Auftreten<br />

mindestens eines epileptischen Anfalls, bei unzureichenden Hinweisen auf das Vorliegen des chronisch<br />

zu Anfällen disponierenden Zustandes ist das Auftreten mehrerer Anfälle zur Diagnosestellung<br />

erforderlich (Fisher et al. 2005). Epileptische Anfälle sind plötzlich auftretende Verhaltens- und/oder<br />

Befindensstörungen mit dem zerebralen elektrophysiologischen Korrelat abnormer exzessiver oder<br />

synchroner Entladungen ausreichend großer Neuronengruppen. Diese elektrophysiologischen<br />

Veränderungen sind bei den meisten Anfällen auch <strong>im</strong> Oberflächen-EEG nachweisbar. Da Anfälle aber<br />

nur sehr selten und meist zufällig während EEG-Untersuchungen auftreten, wird die Diagnose<br />

epileptischer Anfälle in der Regel hauptsächlich auf der Grundlage der Anfallsanamnese gestellt.


Typische iktale hirnelektrische Muster ohne begleitende klinische Symptomatik können wie der<br />

Nachweis interiktaler epilepsietypischer Potenziale allgemein die Diagnose des <strong>Epilepsie</strong>syndroms<br />

erleichtern und speziell in Entscheidungsfindungsprozessen der prächirurgischen <strong>Epilepsie</strong>diagnostik<br />

relevant werden. Zielgröße der antikonvulsiven Behandlung sind jedoch die obligat klinischen<br />

epileptischen Anfälle (<strong>im</strong> Folgenden nur noch als „epileptische Anfälle“ bezeichnet).<br />

Die Diagnose „<strong>Epilepsie</strong>“ ergibt sich nach dem Auftreten mehrerer epileptischer Anfälle oder nach dem<br />

Auftreten eines epileptischen Anfalls bei gleichzeitigem Nachweis einer erhöhten Neigung, epileptische<br />

Anfälle hervorzubringen (s.o.). Dabei ist v.a. an Erstanfälle mit hohem Wiederholungsrisiko zu denken,<br />

beispielsweise generalisiert tonisch-klonische Anfälle mit bilateral synchronen spike-waves <strong>im</strong> EEG<br />

oder an fokale Anfälle bei entsprechender MR-tomographisch nachweisbarer kortikaler Läsion. Hier<br />

kann in Zusammenschau mit den interiktalen EEG-Befunden und der Anamnese u. U. schon nach dem<br />

ersten Anfall die Diagnose „<strong>Epilepsie</strong>“ gestellt werden. Demgegenüber erlaubt das Auftreten einzelner,<br />

auch wiederholter epileptischer Anfälle mit akuter symptomatischer Verursachung bzw. Auslösung<br />

durch identifizierbare unspezifische anfallfördernde Bedingungen, wie z. B. Schlafentzug, nicht die<br />

Diagnose einer <strong>Epilepsie</strong>. Solche sog. Gelegenheitsanfälle sind nicht Gegenstand dieser Leitlinie (siehe<br />

Leitlinie „Erstmaliger epileptischer Anfall“).<br />

Ätiologie und Klassifikation<br />

Ätiologisch sind symptomatische (<strong>Epilepsie</strong> als Ausdruck einer identifizierbaren strukturellen<br />

Grunderkrankung), kryptogene (mutmaßlich symptomatische <strong>Epilepsie</strong> ohne Nachweis der<br />

Grunderkrankung) und idiopathische (<strong>Epilepsie</strong> aus vermuteter oder nachgewiesener genetischer<br />

Disposition) <strong>Epilepsie</strong>n zu unterscheiden. Mit Verbesserung der Diagnostik durch die bildgebenden<br />

Verfahren, vor allem die Magnetresonanztomographie (MRT), werden vormals kryptogene <strong>Epilepsie</strong>n<br />

zunehmend als symptomatische erkannt. Häufige Ursachen symptomatischer <strong>Epilepsie</strong>n sind kortikale<br />

Entwicklungsstörungen, Tumoren, Enzephalitiden, Schädel-Hirn-Traumata, zerebrovaskuläre Prozesse,<br />

metabolische Erkrankungen, perinatale Schäden, <strong>im</strong>munologische Erkrankungen, seltener sind<br />

Vaskulitiden sowie Intoxikationen.<br />

Gängige Klassifikationen in der Epileptologie beziehen sich auf Anfallstypen oder <strong>Epilepsie</strong>syndrome;<br />

therapeutisch relevant ist neben der Berücksichtigung der Ätiologie (idiopathisch vs.<br />

symptomatisch/kryptogen) v. a. die Anfallklassifikation nach fokalen und generalisierten Anfällen.<br />

<strong>Epilepsie</strong>n mit fokal eingeleiteten, sekundär generalisierten Anfällen gehören klassifikatorisch zu den<br />

fokalen <strong>Epilepsie</strong>n. In der Therapie best<strong>im</strong>mt der Anfallstyp wesentlich die Auswahl der Antikonvulsiva,<br />

die Ätiologie der <strong>Epilepsie</strong> die Behandlungsprognose (s. u.).<br />

Fokale idiopathische <strong>Epilepsie</strong>n und symptomatische generalisierte <strong>Epilepsie</strong>n sind <strong>im</strong><br />

<strong>Erwachsenenalter</strong> selten, so dass <strong>im</strong> Folgenden der Schwerpunkt bei den symptomatisch/kryptogenen<br />

fokalen <strong>Epilepsie</strong>n sowie den idiopathischen <strong>Epilepsie</strong>n mit generalisierten Anfällen liegen wird.<br />

Best<strong>im</strong>mte epileptische Syndrome wie die progredienten Myoklonusepilepsien und vor allem manche<br />

<strong>Epilepsie</strong>n des Kindesalters sind wegen ihrer Besonderheiten einzeln zu betrachten und können in<br />

dieser Leitlinie nicht abgehandelt werden.<br />

Ziele und Anwendungsbereich<br />

Definition der Ziele der Leitlinie<br />

Ziel dieser Leitlinie ist eine Opt<strong>im</strong>ierung der Behandlung der verschiedenen Formen der <strong>Epilepsie</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>Erwachsenenalter</strong>. Die Leitlinie ist evidenzbasiert und stellt eine Fortentwicklung der entsprechenden<br />

Leitlinie der DGN von 2002 dar.<br />

Definition des Anwendungsbereiches (Zielgruppe)<br />

Diese Leitlinie wendet sich an Ärzte aller Fachrichtungen, die in unterschiedlichsten klinischen<br />

Kontexten mit der Behandlung von Patienten mit <strong>Epilepsie</strong> befasst sind.<br />

Therapie<br />

(Zur Akutbehandlung siehe Leitlinien „Erstmaliger epileptischer Anfall“ und „Status epilepticus“.)


Indikation zur Behandlung<br />

Ist die Diagnose einer <strong>Epilepsie</strong> gestellt, wird dem Patienten eine antikonvulsive Therapie zur<br />

Vermeidung weiterer Anfälle angeboten. Dabei sollte, sofern möglich, auch die Ursache der <strong>Epilepsie</strong><br />

behandelt werden.<br />

Bei chronischer symptomatischer <strong>Epilepsie</strong> ist zudem die Behandlung der Grunderkrankung<br />

anzustreben.<br />

Eine Therapie wird in der Regel erst nach dem zweiten oder gar dritten epileptischen Anfall initiiert<br />

werden, wenn Hinweise auf das Vorliegen eines chronischen epileptischen Zustands fehlen. Allerdings<br />

ist eine medikamentöse Behandlung schon nach dem ersten Anfall, insbesondere bei folgenden<br />

Bedingungen, in Betracht zu ziehen:<br />

Hinweise auf eine idiopathische <strong>Epilepsie</strong> (EEG-Befund, genetische Belastung, Auftreten der<br />

Anfälle in den ersten zwei Stunden nach dem Aufwachen [Aufwach-Grand-mal]).<br />

Erster Anfall bei identifizierter, mutmaßlich epileptogener zerebraler Läsion (Zustand nach SHT,<br />

Zustand nach Enzephalitis, Hirntumor, Gefäßmalformation).<br />

Anfall bei fokalen epilepsietypischen Potenzialen <strong>im</strong> interiktalen EEG und Behandlungswunsch<br />

seitens des Patienten, u. a. wegen erheblicher sozialer Konsequenzen bei weiteren Anfällen<br />

(private Kraftfahreignung, besondere Arbeitsplatzsituation, öffentliche Tätigkeiten etc.).<br />

Erster Anfall <strong>im</strong> höheren Lebensalter (ab 65–70 Jahren) wegen allgemein höherer<br />

Systemvulnerabilität (z. B. Knochenfragilität bei Stürzen), hoher Rezidivquoten und der<br />

Problematik postiktaler Verwirrtheit bei oft alleine lebenden Patienten.<br />

Eine Behandlung kann hingegen auch dann nicht zwingend indiziert sein, wenn sehr selten Anfälle<br />

auftreten (seltener als ein- bis zwe<strong>im</strong>al pro Jahr = Oligoepilepsie), oder wenn die Anfälle wenig<br />

belastend sind (einfach-fokale Anfälle, ausschließlich nächtliche Anfälle), oder wenn eine Behandlung<br />

wenig Compliance erwarten lässt oder vom Patienten nicht gewünscht wird.<br />

Therapieziele<br />

Anfallfreiheit ist das pr<strong>im</strong>äre Therapieziel. Es ist bei etwa der Hälfte aller Patienten mit <strong>Epilepsie</strong>n<br />

medikamentös erreichbar. Kann dieses Ziel nicht erreicht werden, muss eine tolerabel niedrige<br />

Anfallfrequenz angestrebt werden. Nach konsequenter, jedoch erfolgloser Behandlung mit 2 adäquaten<br />

Antikonvulsiva ist eine Prüfung der Operabilität der <strong>Epilepsie</strong> indiziert (s. u.). Zweites Therapieziel ist die<br />

Vermeidung von beeinträchtigenden Nebenwirkungen. Dazu gehören vor allem kognitive<br />

Nebenwirkungen, aber auch Gewichtszunahme, andere kosmetische Probleme wie Hirsutismus oder<br />

Gingivahyperplasie. Auch gilt es, das Auftreten der durch permanente hepatische Enzyminduktion oder<br />

-inhibition mit bedingten metabolisch-hormonellen Folgezuständen (z. B. Osteoporose, sexuelle<br />

Störungen) zu vermeiden.<br />

Hinweise zur Lebensführung<br />

Anpassen der Lebensführung: regelmäßiger Schlafrhythmus mit Variation der Einschlaf- und<br />

Aufwachzeiten um möglichst nicht mehr als je 2 Stunden bei <strong>Epilepsie</strong>syndromen mit<br />

entsprechendem Anfallsrisiko (insbesondere idiopathische <strong>Epilepsie</strong>n); Meiden potenziell<br />

gefährdender Situationen (Baden, Rauchen <strong>im</strong> Bett); Meiden beruflicher Gefährdungssituationen<br />

mit über das Alltagsrisiko hinausgehenden Gefährdungen; Meiden anamnestisch identifizierter<br />

oder individuell anfallauslösender Situationen und Reize (Reflexepilepsien); regelmäßige<br />

Einnahme der Antikonvulsiva.<br />

Dennoch weitgehend „normale Lebensführung“ ohne sozialen Rückzug (die u. U. seltenen Anfälle<br />

dürfen nicht zum Lebensmittelpunkt werden). Vermeidung zu starken sekundären<br />

Krankheitsgewinns mit konsekutiver „Angst vor Anfallfreiheit“.<br />

Therapie der symptomatischen und kryptogenen fokalen <strong>Epilepsie</strong>n<br />

Zusammenfassung der Empfehlungen<br />

Die Erstbehandlung der <strong>Epilepsie</strong> erfolgt mit einer Monotherapie, für die in Abhängigkeit vom<br />

<strong>Epilepsie</strong>syndrom, von spezifischen Nebenwirkungsprofilen, möglichen Langzeiteffekten und<br />

individuellen Aspekten des betreffenden Patienten auszuwählen ist zwischen (alphabetisch)


Carbamazepin, Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Pr<strong>im</strong>idon, Topiramat<br />

und Valproinsäure (A).<br />

Bei Versagen der Ersttherapie kann – ebenfalls nach individuellen Gesichtspunkten – auf eine<br />

alternative Monotherapie mit einer anderen der o.g. Substanzen oder zu einer Kombinationstherapie<br />

gewechselt werden. Als Kombinationsmedikamente stehen dann zusätzlich zu den o.g. in erster Linie<br />

Levetiracetam, Pregabalin und Tiagabin zur Verfügung (A).<br />

Nach Versagen der Zweittherapie ist eine alternative Monotherapie, eine alternative Zweifachtherapie<br />

oder auch eine Polytherapie aus drei und – in Ausnahmefällen – mehr Wirkstoffen möglich. Zusätzlich<br />

ist zu diesem Zeitpunkt in einer Spezialklinik die Diagnose des <strong>Epilepsie</strong>syndroms und ggf. die<br />

Indikation zu einem operativen Vorgehen zu überprüfen. Bei sorgfältiger Indikationsstellung ist ab<br />

diesem Zeitpunkt des Krankheitsverlaufs die oft kurative Operation als Therapie der Wahl anzusehen<br />

(A).<br />

Bei medikamentös-therapierefraktären, inoperablen <strong>Epilepsie</strong>n stellt die Implantation eines<br />

Vagusnervst<strong>im</strong>ulators eine sinnvolle Behandlungsalternative dar, insbesondere bei Patienten, die unter<br />

Medikamentennebenwirkungen leiden (B).<br />

Medikamentöse <strong>Epilepsie</strong>therapie<br />

Medikamentöse Ersttherapie<br />

Für die medikamentöse <strong>Epilepsie</strong>therapie steht eine zunehmende Zahl von Medikamenten zur<br />

Verfügung, die in die sog. klassischen und neuen Medikamente unterteilt werden. Zu den klassischen<br />

Medikamenten gehören (alphabetisch) Carbamazepin (CBZ), Phenobarbital (PB), Phenytoin (PHT),<br />

Pr<strong>im</strong>idon (PRM) und Valproinsäure (VPA). Zu den neuen Medikamenten gehören Gabapentin (GBP),<br />

Lamotrigin (LTG), Levetiracetam (LEV), Oxcarbazepin (OXC), Pregabalin (PGB), Tiagabin (TGB) und<br />

Topiramat (TPM). Aus dieser Gruppe sind LEV, PGB und TGB nicht zur Monotherapie zugelassen.<br />

Weiterhin werden Benzodiazepine in der Therapie der chronischen <strong>Epilepsie</strong> eingesetzt, bevorzugt wird<br />

hier das Clobazam (CLB). Auch Sultiam (ST) wird eingesetzt. Für nur noch selten einzusetzende<br />

Antikonvulsiva der ferneren Wahl (s. u.) wie Azetazolamid, Benzodiazepine wie Diazepam und<br />

Clonazepam, Brom, Felbamat, Mesux<strong>im</strong>id, Vigabatrin bestehen enge Indikationsgrenzen, und es<br />

werden teils aufwändige Verlaufskontrollen bezüglich spezifischer Nebenwirkungen gefordert;<br />

Einzelheiten hierzu können in dieser Leitlinie nicht dargestellt werden.<br />

Bei der Entscheidung, welches Medikament in der Ersttherapie eingesetzt wird, spielen verschiedene<br />

Gesichtspunkte eine Rolle. Die klassischen Antiepileptika sind alle zur Monotherapie zugelassen, von<br />

den neueren Medikamenten sind es derzeit Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin und Topiramat. Bei<br />

fokalen <strong>Epilepsie</strong>n lassen alle bisherigen Studien nur erkennen, dass keine deutlichen Unterschiede in<br />

der durchweg guten Wirksamkeit vorhanden sind (⇑⇑). Die Entscheidung, welches Medikament in der<br />

Ersttherapie eingesetzt wird, richtet sich nach dem Syndrom und nach den Bedürfnissen des Patienten.<br />

Zunehmend spielen auch Kostenfaktoren eine Rolle. Dies mag dazu beitragen, dass Carbamazepin für<br />

fokale <strong>Epilepsie</strong>n und Valproinsäure für pr<strong>im</strong>är generalisierte <strong>Epilepsie</strong>n weiterhin als die bevorzugten<br />

Medikamente der ersten Wahl angesehen werden. Aus ärztlicher Sicht sind aber bei der Wahl des<br />

Wirkstoffs auch die z. T. erheblichen unerwünschten Nebenwirkungen und Langzeitfolgen (z. B.<br />

Osteoporose) und die u. U. ungünstige Pharmakokinetik von VPA und CBZ zu berücksichtigen. Die<br />

Wahl des Erstmedikaments sollte daher all diese Aspekte berücksichtigen und vor allem individuell auf<br />

den jeweiligen Patienten zugeschnitten sein; eine dogmatische Festlegung auf eine Ersttherapie mit<br />

CBZ bzw. VPA ist nicht sinnvoll.<br />

Die Dosierungen der Antikonvulsiva (Tabelle 1) sind bezüglich Eindosierungstempo und Enddosis<br />

sehr individuell zu gestalten, ein Dosierungsrahmen ist jeweils den Produktinformationen zu entnehmen.<br />

Gemäß einer gängigen Regel sollte jedes Antikonvulsivum bis zur Nebenwirkungsgrenze eindosiert<br />

werden; allerdings muss damit gerechnet werden, dass die letzten Aufdosierungsschritte von mittleren<br />

zu individuell höchstmöglichen Dosen nur noch eine geringe Zunahme der Wirksamkeit zeigen. Die<br />

Nebenwirkungsgrenze kann bei Kombinationstherapien deutlich niedriger liegen als bei Monotherapien.<br />

Die Dosisanpassung sollte pr<strong>im</strong>är anhand der individuellen Wirksamkeit und der klinischen<br />

Verträglichkeit, nicht anhand von Serumspiegeln erfolgen. Laborchemisch überhöht erscheinende<br />

Serumspiegel begründen bei guter Verträglichkeit und Anfallkontrolle keine Dosisreduktion.<br />

Medikamentöse Zweittherapie


In der Regel sollte der ersten Monotherapie eine zweite Monotherapie oder eine Kombinationstherapie<br />

zweier Wirkstoffe folgen (⇑⇑). Eine zweite Monotherapie ist vor allem dann erfolgreich, wenn die erste<br />

Monotherapie nebenwirkungsbedingt nicht hochdosiert erfolgen konnte. Die Umsetzung von der ersten<br />

auf die zweite Monotherapie kann bei manchen Medikamenten infolge der Interaktionen zwischen den<br />

Medikamenten durch Nebenwirkungen oder Anfallzunahme kompliziert werden. Generell sind<br />

Antikonvulsiva leichter zu kombinieren, wenn es nicht zu störenden medikamentösen<br />

Wechselwirkungen kommt. So ist z. B. eine Umstellung von Carbamazepin auf Phenytoin schwieriger<br />

zu handhaben als eine Umstellung von Lamotrigin auf Oxcarbazepin. Ähnlich schwierig kann die<br />

Umsetzung von Valproinsäure auf Lamotrigin sein, da es zu nebenwirkungsreichen Interaktionen<br />

kommen kann. Es empfiehlt sich, von vornherein die Behandlungsstrategie schriftlich zu fixieren, damit<br />

bei den folgenden Besuchen die grundsätzliche Strategie nicht aus den Augen verloren wird. Dabei gilt,<br />

dass läsionelle <strong>Epilepsie</strong>n in der Regel schwerer therapierbar sind. Hier ist eine Kombinationstherapie<br />

von vornherein zu erwarten, so dass Medikamente, die sich gut kombinieren lassen (d. h. moderne<br />

Medikamente ohne Enzyminduktion und ohne Interaktionspotenzial), frühzeitig eingesetzt werden.<br />

Bevorzugt in der Kombination werden Medikamente wie Gabapentin, Lamotrigin, Levetiracetam,<br />

Pregabalin und Topiramat. Eine sinnvolle Kombinationstherapie setzt die detaillierte Kenntnis der<br />

Pharmakokinetik und der Pharmakodynamik voraus.<br />

Die für die Wahl des Ersttherapeutikums wichtigen Charakteristika der einzelnen Medikamente sind<br />

stichwortartig <strong>im</strong> Anschluss dargestellt. Detaillierte Informationen müssen dem Beipackzettel und der<br />

Produktinformation entnommen werden.<br />

Vorgehen bei Versagen der Zweittherapie<br />

Ist eine Therapie auch mit dem zweiten Medikament oder gar der ersten Kombination nicht erfolgreich,<br />

sind eine Diagnoseüberprüfung und eine intensive Prüfung der therapeutischen Alternativen dringend<br />

angezeigt. Zur Diagnoseüberprüfung gehört der Ausschluss zusätzlicher oder ausschließlich<br />

auftretender dissoziativer (psychogener) Anfälle oder der anderen oben aufgeführten<br />

Differenzialdiagnosen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte eine Zuweisung zu einer Spezialklinik<br />

erfolgen, die mit Methoden der modernen Diagnostik (Video-EEG-Doppelbildaufzeichnung u. a.) die<br />

Frage der Operabilität der <strong>Epilepsie</strong> prüft und Differenzialdiagnosen ausschließt.<br />

Antikonvulsiva zur Erst- bzw. Mono- und Kombinationstherapie <strong>im</strong> <strong>Erwachsenenalter</strong> (⇑⇑)<br />

Carbamazepin:<br />

pro: breite Erfahrungsgrundlage, gute Verträglichkeit,<br />

contra: wegen Enzyminduktion teils ungünstige Interaktionen in Kombinationen sowie mit exogen<br />

zugeführten oder körpereigenen Hormonen, mögliche kognitive Beeinträchtigungen (<strong>im</strong> Alter<br />

zunehmend), allergische Exantheme bei 5–8%, selten Leukopenie.<br />

Valproinsäure:<br />

pro: breite Erfahrungsgrundlage, keine Sedierung, auch bei eventuell nicht erkannter<br />

idiopathischer generalisierter <strong>Epilepsie</strong> hochwirksam, auch i.v. Gabe möglich,<br />

contra: selten inakzeptable NW vor allem bei Frauen (PCOS, Gewichtszunahme, Haarausfall),<br />

sehr selten Leberversagen (meist <strong>im</strong> Kleinkindesalter), Enzephalopathie, Interaktionen durch<br />

Verdrängung aus der Eiweißbindung, Enzyminhibition.<br />

Lamotrigin:<br />

pro: gut verträglich, positiv psychotrop,<br />

contra: selten gravierende allergische Reaktionen, niedriges Eindosierungstempo, teils<br />

problematische Interaktionen durch Enzyminduktion (cave: Anfallsrezidive unter oraler<br />

Antikonzeption und Nachlassen der kontrazeptiven Wirkung).<br />

Gabapentin:<br />

pro: sehr gut verträglich auch <strong>im</strong> Senium, praktisch keine Interaktionen, keine hepatische<br />

Metabolisierung, hohes Eindosierungstempo,<br />

contra: gelegentlich sedativ, dre<strong>im</strong>al täglich Gabe erforderlich; bei niedriger glomerulärer<br />

Filtrationsrate verringerte Dosis verordnen.<br />

Oxcarbazepin:<br />

pro: gute Verträglichkeit, Erfahrungen von Carbamazepin wahrscheinlich z. T. übertragbar,<br />

contra: selten ausgeprägte Hyponatriämien, kognitive Nebenwirkungen <strong>im</strong> Alter zunehmend.


Phenytoin:<br />

pro: breite Erfahrungsgrundlage, nicht sedierend, unproblematische Umstellung auf i.v. Gabe,<br />

contra: geringe therapeutische Breite, teils problematische Interaktionen, teils intolerable NW<br />

(Gingivahyperplasie, Hirsutismus), allergische Exantheme, zerebellare Schäden bei Intoxikation<br />

oder dauerhafter hochdosierter Therapie, kardial arrhythmogen, eventuell problematisch bei<br />

psychiatrischer Komorbidität, Enzyminduktion.<br />

Topiramat:<br />

pro: wenig Interaktionen, Gewichtsreduktion als eventuell gewünschter Nebeneffekt,<br />

contra: relativ niedriges Eindosierungstempo, teils zu ausgeprägter Gewichtsverlust, kognitive<br />

Beeinträchtigungen, selten Nephrolithiasis.<br />

Phenobarbital/Pr<strong>im</strong>idon:<br />

pro: breite Erfahrungsgrundlage, auch bei eventuell nicht erkannter idiopathischer generalisierter<br />

<strong>Epilepsie</strong> hochwirksam, unproblematische Umstellung auf i. v. Gabe,<br />

contra: Sedierung, kognitive Beeinträchtigung, teils problematische Interaktionen, eventuell<br />

ungünstig bei psychiatrischer Komorbidität, Dupuytren-Kontraktur.<br />

Antikonvulsiva zur Kombinationstherapie (⇑⇑)<br />

Levetiracetam:<br />

pro: gute Verträglichkeit, schnelle Eindosierung, wenig Interaktionen,<br />

contra: noch wenig klinische Erfahrungen, psychische Nebenwirkungen v.a. bei Patienten mit<br />

psychiatrischen Vorerkrankungen, eventuell Toleranzentwicklung.<br />

Tiagabin:<br />

pro: gute Verträglichkeit,<br />

contra: selten nonkonvulsive Status provozierend.<br />

Clobazam:<br />

pro: wenig Interaktionen, gute Verträglichkeit,<br />

contra: oft Wirkverlust, Sedierung und/oder kognitive Beeinträchtigung bei höheren Dosen.<br />

Pregabalin:<br />

pro: gute Verträglichkeit, wenig Interaktionen,<br />

contra: noch wenig klinische Erfahrungen, Nebenwirkung Gewichtszunahme.<br />

Antikonvulsiva der ferneren Wahl (Auswahl)<br />

Vigabatrin zur add-on-Therapie bei ansonsten therapieresistenten fokalen <strong>Epilepsie</strong>n, ferner bei<br />

West-Syndrom; Nebenwirkungen: irreversible konzentrische GF-Störungen in über 40% der<br />

Fälle, psychiatrische Neuerkrankungen unter Vigabatrin, siehe aktuelle Fach- und<br />

Gebrauchsinformationen.<br />

Felbamat be<strong>im</strong> Lennox-Gastaut-Syndrom; NW: aplastische Anämie, Leberversagen!; siehe<br />

aktuelle Fach- und Gebrauchsinformationen.<br />

Bromid bei therapieresistenten <strong>Epilepsie</strong>n mit generalisiert tonisch-klonischen Anfällen; NW:<br />

Sedation, Bromakne.<br />

Benzodiazepine Clonazepam, Diazepam, Lorazepam bei therapieresistenten fokalen und<br />

generalisierten Anfällen; NW: Sedation, Wirkverlust, Abhängigkeit.<br />

Sultiam bei therapieresistenten fokalen <strong>Epilepsie</strong>n; NW: Hyperventilation, Parästhesien,<br />

dosisabhängig Gewichtsabnahme.<br />

Azetazolamid bei therapieresistenten Absenzen und fokalen Anfällen sowie progressiver<br />

Myoklonusepilepsie; NW: Verwirrtheit, kardiale Arrhythmien.<br />

<strong>Epilepsie</strong>chirurgie (⇑)<br />

Eine Indikation zur Diagnostik bezüglich epilepsiechirurgischer Behandlungsmöglichkeiten<br />

besteht prinzipiell bei jedem Patienten mit pharmakoresistenter fokaler <strong>Epilepsie</strong>. Dabei ist<br />

„Therapieresistenz“ definiert als das Nichterreichen der o.g. Therapieziele trotz konsequenter<br />

Medikation. Konkret: bei hochdosierter, hinreichend langer Therapie (bei relativ niedriger Anfallfrequenz:<br />

mindestens 5Faches des gegebenen Durchschnittsintervalls zwischen zwei Anfällen) mit nacheinander<br />

mindestens zwei Antikonvulsiva erster Wahl oder einem Antikonvulsivum erster Wahl und einer


Kombinationstherapie erster Wahl dennoch intolerable Anfallfrequenz und/oder intolerable<br />

Nebenwirkungen und/oder intolerable Einschränkungen der Lebensqualität.<br />

Aus dieser Gruppe (ca. 20–30% aller <strong>Epilepsie</strong>patienten) sind etwa 10–20%, also 2–3% aller<br />

<strong>Epilepsie</strong>patienten, epilepsiechirurgische Kandidaten. Das moderne epilepsiechirurgische Konzept<br />

befürwortet, dass die <strong>Epilepsie</strong>chirurgie weit früher eingesetzt werden sollte als dies bisher geschehen<br />

ist. Dies bedeutet nicht, dass sie eine Alternative zur medikamentösen Therapie ist, aber in<br />

Abhängigkeit von den voraussichtlichen Erfolgschancen und dem mutmaßlichen Komplikationsrisiko<br />

der operativen Therapie wesentlich früher in das therapeutische Konzept eingebunden werden sollte.<br />

So ist zum Beispiel ein Patient mit einer mesialen Temporallappenepilepsie mit MR-tomographischen<br />

Zeichen einer Hippocampussklerose ein epilepsiechirurgischer Kandidat mit exzellenten<br />

Erfolgsaussichten, der hingegen meist nicht entscheidend von einer antikonvulsiven medikamentösen<br />

Behandlung profitiert. Die antikonvulsive Therapie muss zumindest in den ersten Jahren nach der<br />

Operation weitergeführt werden. Bei einem Patienten ohne MR-tomographisch identifizierbare<br />

epileptogene Läsion ist die Wahrscheinlichkeit der postoperativen Anfallfreiheit max<strong>im</strong>al bei etwa 50%<br />

anzusetzen. Hier sollte eine ausführlichere Therapieresistenzprüfung erfolgen. Jeder Therapeut ist<br />

angehalten, die epilepsiechirurgische Behandlungsmöglichkeit mit in sein Therapiekonzept zum<br />

frühestmöglichen Zeitpunkt einzubeziehen und dem Patienten zu erläutern. Hierzu ist es entscheidend,<br />

den Patienten mit Hilfe der diagnostischen Vorbefunde zunächst in einem Kontinuum einzuordnen,<br />

welches von Kandidaten mit exzellenten Erfolgsaussichten bis zu Patienten mit geringen Aussichten auf<br />

postoperative Anfallfreiheit reicht. Diese Zuordnung wie auch die Indikation zum epilepsiechirurgischen<br />

Eingriff kann nur in speziellen Zentren mit großer Erfahrung in der <strong>Epilepsie</strong>chirurgie gestellt werden,<br />

daher sollte die Zuführung des Patienten in solche Einrichtungen bei Versagen der medikamentösen<br />

Therapie rechtzeitig geplant werden.<br />

Details der sog. prächirurgischen Diagnostik, die jedem epilepsiechirurgischen Eingriff vorauslaufen<br />

sollte und die aus einer ausführlichen MRT-, EEG- und neuropsychologischen Diagnostik sowie ggf.<br />

weiteren bildgebenden Untersuchungen besteht, sind den entsprechenden Lehrbüchern zu entnehmen,<br />

ebenso die Einzelheiten zu den individuell zu wählenden operativen Eingriffen (Engel u. Pedley 1997).<br />

Im nichtspezialisierten Krankenhaus und be<strong>im</strong> niedergelassenen Neurologen sollte ein qualitativ<br />

hochwertiges MRT als erster Schritt für die Konzeptbildung durchgeführt werden. Weitere<br />

Untersuchungen, wie die Durchführung eines PETs oder SPECTs, sollten Spezialkliniken vorbehalten<br />

werden, da für sie spezielle Indikationen bestehen.<br />

Patienten mit multifokalen <strong>Epilepsie</strong>n sind in der Regel keine geeigneten Kandidaten für<br />

epilepsiechirurgische Eingriffe. Lediglich Patienten, bei denen Sturzanfälle oder schwere<br />

Grand-mal-Anfallserien das Bild dominieren, können als Kandidaten für eine palliative Callosotomie in<br />

Betracht gezogen werden.<br />

Medikamentöse Therapie bei epilepsiechirurgischen Patienten<br />

Präoperativ bei kurativen Eingriffen möglichst Einstellung auf antikonvulsive Monotherapie. Bei<br />

palliativen Eingriffen präoperativ individuell möglichst opt<strong>im</strong>ale Medikation (meist<br />

Kombinationstherapie). Nach einem erfolgreichen epilepsiechirurgischen Eingriff kann die<br />

antiepileptische Medikation frühestens nach einem Jahr allmählich ausgeschlichen werden. Angesichts<br />

nennenswerter Rückfallquoten von etwa 30% <strong>im</strong> Langzeitverlauf nach epilepsiechirurgischen Eingriffen<br />

ist auch eine postoperative medikamentöse Langzeitbehandlung zumindest bei solchen Patienten zu<br />

erwägen, deren Krankheitsgeschichte mutmaßliche Prädiktoren eines erhöhten Rückfallrisikos<br />

erkennen lässt (z. B. fehlender histologischer Nachweis einer epileptogenen Läsion, präoperative<br />

<strong>Epilepsie</strong>dauer > 20 Jahre; siehe <strong>im</strong> Einzelnen McIntosh et al. 2004, Yoon et al. 2003, Schmidt et al.<br />

2004b). Änderungen der medikamentösen Behandlung sollten nur in Rücksprache mit dem Patienten<br />

und dem behandelnden Zentrum erfolgen. Anfallrezidive nach Absetzen der Antikonvulsiva können<br />

meist durch die vorherige medikamentöse Behandlung kupiert werden.<br />

Vagusnervst<strong>im</strong>ulator (⇑)<br />

Der Vagusnervst<strong>im</strong>ulator ist ein <strong>im</strong> Brustbereich <strong>im</strong>plantiertes St<strong>im</strong>ulationsgerät von der Größe eines<br />

Herzschrittmachers, das über eine Reizelektrode in der Regel mit dem linken N. vagus verknüpft ist. Er<br />

st<strong>im</strong>uliert <strong>im</strong> Regelfall alle fünf Minuten für dreißig Sekunden. Nach bisher vorliegenden Daten und<br />

Patientenerfahrungen (ca. 20000 Patienten) liegt die Wirksamkeit des Vagusnervst<strong>im</strong>ulators in der<br />

Größenordnung der Wirksamkeit eines neuen Antiepileptikums, ohne aber dessen Nebenwirkungen zu<br />

haben. Nebenwirkungen der Vagusnervst<strong>im</strong>ulation sind Heiserkeit, u. U. Kribbelparästhesien <strong>im</strong>


Halsbereich, die entweder nach kurzer Zeit vom Patienten toleriert oder aber nach einer gewissen Zeit<br />

nicht mehr bemerkt werden. Hauptproblem der Vagusnervst<strong>im</strong>ulation ist, dass sich die Wirksamkeit erst<br />

<strong>im</strong> Laufe der Zeit, meist erst nach 6 Monaten, entwickelt. Oft kann die Wirksamkeit erst ein Jahr nach<br />

Implantation beurteilt werden. Nach jetzigem Kenntnisstand sind gute oder weniger geeignete<br />

Kandidaten bisher nicht zu differenzieren, so dass lediglich der Erfolg retrospektiv den Einsatz dieser<br />

Therapiemethode rechtfertigt. Kosten-Nutzen-Studien in Schweden und Belgien zeigen, dass nach 3–4<br />

Jahren ein eindeutiger „Kostenvorteil“ besteht. Die Indikation zur Implantation eines<br />

Vagusnervst<strong>im</strong>ulators zur palliativen Therapie ist bei Patienten gegeben, deren Anfälle<br />

pharmakoresistent sind und die nicht einer resektiven epilepsiechirurgischen Behandlung zugeführt<br />

werden können. Die streckenweise auftretenden positiv psychotropen Effekte der Vagusnervst<strong>im</strong>ulation<br />

werden von vielen Patienten dankbar wahrgenommen. Prinzipiell sollte bei erfolgreicher<br />

Vagusnervst<strong>im</strong>ulation auch eine Vereinfachung des meist polytherapeutischen medikamentösen<br />

Reg<strong>im</strong>es überlegt werden (Schmidt et al. 1999). Die Implantation und die aufwändige Nachbetreuung<br />

sollten nur in spezialisierten <strong>Epilepsie</strong>zentren vorgenommen werden.<br />

Vorgehen<br />

Nach Indikationsstellung und Ausschluss seltener Kontraindikationen (ausgeprägte<br />

Lungenfunktionsstörung, Z.n. Vagotomie) chirurgische Implantation des St<strong>im</strong>ulators, postoperativ<br />

ambulante Nachsorge mit Einstellung der Reizparameter (Stromstärke, Reizdauer, Intervall zwischen<br />

St<strong>im</strong>ulationen), individuell angepasste medikamentöse antikonvulsive Therapie.<br />

Therapie der idiopathischen <strong>Epilepsie</strong>n<br />

Zusammenfassung der Empfehlungen<br />

Valproinsäure bleibt Medikament der ersten Wahl zur Behandlung idiopathischer <strong>Epilepsie</strong>n mit<br />

generalisierten Anfällen (A); gegen isolierte Absenzen bleibt auch Ethosux<strong>im</strong>id Medikament der ersten<br />

Wahl. Nach individueller Abschätzung der speziellen Nebenwirkungsprofile kann bei manchen<br />

Syndromen auch die initiale Gabe von Lamotrigin oder Topiramat erwogen werden (B). Als<br />

Reservepräparate bei Therapieresistenz stehen Phenobarbital und Benzodiazepine sowie in Zukunft<br />

möglicherweise auch Levetiracetam (noch keine diesbezügliche Zulassung!) zur Verfügung (B).<br />

Fokale idiopathische <strong>Epilepsie</strong>n des <strong>Erwachsenenalter</strong>s wie die autosomal-dominant vererbte<br />

nächtliche Frontallappenepilepsie (ADNFLE) oder die familiäre Temporallappenepilepsie (FTLE; s. u.)<br />

können wie andere fokale <strong>Epilepsie</strong>n behandelt werden (B).<br />

Therapie der idiopathischen <strong>Epilepsie</strong>n mit fokalen Anfällen (⇑)<br />

ADNFLE (autosomal-dominant vererbte Frontallappenepilepsie) und FTLE (familiäre<br />

Temporallappenepilepsie):<br />

Carbamazepin-Monotherapie, bei Therapieversagen weiter wie unter „medikamentöser<br />

<strong>Epilepsie</strong>therapie“ beschrieben.<br />

Therapie der idiopathischen <strong>Epilepsie</strong>n mit (auch) generalisierten Anfällen<br />

Ersttherapie (⇑⇑)<br />

Monotherapie mit Valproinsäure, bei Absenzen als einziger Anfallart alternativ Monotherapie mit<br />

Ethosux<strong>im</strong>id.<br />

Alternativ: Monotherapie mit Lamotrigin oder Topiramat.<br />

Bei Versagen der Ersttherapie (⇑)<br />

Persistenz von Absenzen: Valproinsäure plus Ethosux<strong>im</strong>id/Mesux<strong>im</strong>id oder Valproinsäure plus<br />

Lamotrigin oder Valproinsäure plus Clobazam.<br />

Persistenz von generalisiert tonisch-klonischen Anfällen: Valproinsäure plus Lamotrigin oder<br />

Valproinsäure plus Phenobarbital/Pr<strong>im</strong>idon oder Monotherapie Lamotrigin oder Komedikation<br />

Topiramat oder Levetiracetam oder Clobazam.


Persistenz von myoklonisch-<strong>im</strong>pulsiven Anfällen: Komedikation mit Phenobarbital/Pr<strong>im</strong>idon oder<br />

Clobazam, Topiramat, Levetiracetam.<br />

Ein Wechsel auf eine Valproinsäure-Monotherapie ist bei idiopathischen <strong>Epilepsie</strong>n vorzunehmen,<br />

wenn die Ersttherapie mit einem anderen Wirkstoff erfolgt war.<br />

Bei Versagen der Zweittherapie (⇔)<br />

Andere klinisch und rational sinnvolle Zweifach- oder Mehrfach-Kombinationen der o. g. Wirkstoffe.<br />

Überprüfung der Diagnose (s. o.).<br />

Bei Versagen sämtlicher medikamentöser Therapien<br />

Möglichst Vereinfachung einer Polytherapie zur Zweifach- oder Monotherapie.<br />

Gegebenenfalls Vagusst<strong>im</strong>ulator.<br />

Spezielle Syndrome (Beispiele stichwortartig)<br />

Progressive Myoklonusepilepsie (⇑)<br />

Hochdosiert Piracetam oral (bis 40 g/Tag), ggf. nach einleitend intravenöser Therapie,<br />

Valproinsäure,<br />

bei Versagen Monotherapiewechsel auf oder Kombination mit Clobazam, Lamotrigin, eventuell als<br />

Komedikation,<br />

bei Versagen Levetiracetam,<br />

bei Versagen Versuch mit Zonisamid (in Deutschland nicht zugelassen), Azetazolamid.<br />

Reflexepilepsien (⇔)<br />

1. Wahl Valproinsäure-Monotherapie,<br />

2. Wahl Clobazam oder Lamotrigin.<br />

Unklassifizierbare Anfälle bzw. Syndrome (⇔)<br />

1. Wahl Valproinsäure,<br />

2. Wahl Carbamazepin oder Lamotrigin oder Clobazam, ggf. in Zweierkombinationen.<br />

Schwer zu behandelnde <strong>Epilepsie</strong>n<br />

Trotz des Einsatzes aller Behandlungen medikamentöser und chirurgischer Art verbleibt eine Gruppe<br />

von Patienten, deren Erkrankung chirurgisch nicht angehbar ist und die auch mit einer Polytherapie mit<br />

oder ohne Vagusnervst<strong>im</strong>ulator unbefriedigend eingestellt sind. Gerade bei dieser Patientengruppe<br />

muss überlegt werden, ob es nicht noch Therapiealternativen gibt. Dazu gehört beispielsweise die<br />

Hormontherapie bei katamenialen Anfällen. Ein weiteres Therapieziel diesseits der Anfallfreiheit kann<br />

sein, eine relativ nebenwirkungsarme Therapie anzustreben. Die Reduktion auf eine Mono- oder<br />

Zweiertherapie wird häufig vom Patienten positiv aufgenommen. Hier sollten vor allem Medikamente<br />

zum Einsatz kommen, die positiv psychotrop sind (Lamotrigin), und die Reduktion auf rein nächtliche<br />

Anfälle kann auch eine wesentliche Therapieerleichterung für den Patienten darstellen. Verbindliche<br />

Regeln für die Behandlung dieser Patienten gibt es nicht. Hier muss <strong>im</strong>mer wieder versucht werden, die<br />

Behandlungssituation <strong>im</strong> Sinne des Patienten zu opt<strong>im</strong>ieren und auch neu zugelassene Medikamente<br />

einzusetzen.<br />

Beendigung der Behandlung<br />

Allgemein: Sehr individuell unter Berücksichtigung von Anfallsituation, Nebenwirkungen und<br />

sozialer Situation des Patienten zu entscheiden. Rezidivrisiko durchschnittlich nicht unter 30%, in<br />

Abhängigkeit von Prädiktoren persistierender Epileptogenität individuell auch sehr viel höher (z. B.<br />

bei MR-tomographisch nachweisbarer typischerweise epileptogener Läsion oder bei Diagnose<br />

best<strong>im</strong>mter idiopathischer <strong>Epilepsie</strong>n wie der juvenilen myoklonischen <strong>Epilepsie</strong> mit einem<br />

Rückfallrisiko bis zu 90%).


Voraussetzung: Anfallfreiheit (Ausnahme: Patientenwunsch nach Absetzen bei intolerablen<br />

Nebenwirkungen trotz Wirkstoffwechsel bei <strong>Epilepsie</strong> mit ohnehin nur relativer<br />

Behandlungsindikation, z. B. Oligoepilepsie).<br />

Anfallfreies Intervall bei chronischer <strong>Epilepsie</strong> vor Absetzversuch: Min<strong>im</strong>um 24 Monate,<br />

abhängig von individueller Konstellation diverser Prädiktoren. Nachgewiesene oder vermutete<br />

Prädiktoren eines geringen Rezidivrisikos: normaler neurologischer Befund, zuletzt normales EEG<br />

(nur bei idiopathischen <strong>Epilepsie</strong>n), Anfallfreiheit unter Ersttherapie, Erkrankungsbeginn in der<br />

Jugend, nur ein Anfalltyp, länger dauernde Anfallfreiheit vor Absetzversuch, kein Vorliegen einer<br />

juvenilen myoklonischen <strong>Epilepsie</strong>, keine fortbestehende ZNS-Erkrankung (z. B. inoperabler<br />

Resttumor), keine sekundär generalisiert tonisch-klonischen Anfälle. Bei Häufung negativer<br />

Prädiktoren kann auch eine langjährige Fortsetzung einer Monotherapie trotz Anfallfreiheit sinnvoll<br />

sein, insbesondere bei idiopathischen <strong>Epilepsie</strong>n.<br />

Tempo der Abdosierung des letzten in wirksamer Dosierung eingesetzten Monotherapeutikums:<br />

Ausschleichen über ca. 6 Monate bis zum vollständigen Absetzen, nach individueller Abwägung<br />

auch schnellere Abdosierung, z. B. um jeweils 25% der Tagesdosis je 2 Wochen, also über<br />

insgesamt 8 Wochen. Minderung des Rezidivrisikos durch langsamere Abdosierung nicht sicher<br />

belegt. Cave: Entzugserscheinungen, z. B. bei Benzodiazepin-Abdosierung, ggf. gegen Ende der<br />

Abdosierungsphase niedrigeres Reduktionstempo.<br />

Bei Anfallrezidiv: Wiedereinsetzen der zuletzt gegebenen Monotherapie ist in etwa der Hälfte der<br />

Fälle sofort wirksam, es kann aber in Einzelfällen Jahre dauern, bis wieder Anfallfreiheit erreicht<br />

wird. Etwa 10–20% der Patienten sind auch nach mehrjähriger Behandlung nicht anfallfrei<br />

(Schmidt u. Löscher 2005).<br />

Ergänzende Kommentare zur aktuellen Evidenz<br />

Erstbehandlung mit „klassischen“ vs. „neueren“ Antiepileptika:<br />

Bei Patienten mit fokalen Anfällen sind die zur Erstbehandlung zugelassenen neueren Antiepileptika<br />

(GBP, LTG, OXC, TPM) nach doppeltblinden kontrollierten Vergleichstudien ähnlich wirksam wie<br />

klassische Wirkstoffe (CBZ, VPA, PHT) bei in manchen Studien besserer Verträglichkeit (Übersichten<br />

bei Kwan u. Brodie 2003, Vazquez 2004, French et al. 2004 a, b, Schmidt et al. 2005). Bei<br />

idiopathischen <strong>Epilepsie</strong>n mit generalisierten Anfällen sind Topiramat (Biton et al. 1999) und Lamotrigin<br />

(zumindest bei Kindern mit Absenzen; siehe Frank et al. 1999) zwar in placebokontrollierten Studien<br />

wirksam, kontrollierte Studien zum Vergleich mit VPA in der Ersttherapie liegen aber nicht vor. Eine<br />

neuere retrospektive Studie legt eine Überlegenheit von VPA gegenüber LTG in der Erstbehandlung<br />

nahe (Nicolson et al. 2004). Die Evidenz reicht nicht aus, um zur Wirksamkeit neuerer vs. klassischer<br />

Antiepileptika bei verschiedenen Syndromen von idiopathischen <strong>Epilepsie</strong>n mit generalisierten Anfällen<br />

verbindlich Stellung zu nehmen. So kranken viele Studien zu generalisiert tonisch-klonischen Anfällen<br />

an einer mangelnden Differenzierung von idiopathischen und nichtidiopathischen Ätiologien (Übersicht<br />

in Faught 2003); dies mag erklären, warum zwar VPA und LTG, aber u. U. auch CBZ und PHT als gut<br />

wirksam für diese Anfälle befunden werden.<br />

Mono- vs. Kombinationstherapie mit (u. a.) neueren Antiepileptika nach gescheiterter Ersttherapie:<br />

Es bleibt angesichts des weitgehenden Fehlens randomisierter Studien umstritten, ob eine<br />

Kombinationstherapie einer alternativen Monotherapie als Zweitbehandlung überlegen ist (Übersicht in<br />

Beghi et al. 2003). Eine neuere randomisierte, prospektive, aber offene Studie ergab keine wesentliche<br />

Differenz zwischen diesen beiden Reg<strong>im</strong>es (Beghi et al. 2003). Aktuell muss diese<br />

Therapieentscheidung weiterhin nach individuellen patientenbezogenen Gesichtspunkten gefällt<br />

werden.<br />

GBP, LEV, LTG, OXC, TGB und TPM sind als add-on-Medikamente bei therapierefraktären fokalen<br />

<strong>Epilepsie</strong>n wirksam, LEV, LTG und OXC auch als Monotherapeutika (Übersicht in French et al. 2004b).<br />

Für therapierefraktäre generalisierte <strong>Epilepsie</strong>n bei Erwachsenen kann bei der derzeitigen, naturgemäß<br />

schwachen Evidenzlage allenfalls TPM, mit Abstrichen auch LTG empfohlen werden (French et al.<br />

2004b).<br />

Vagusnervst<strong>im</strong>ulation:<br />

Die meisten vorliegenden Studien sind retrospektiv angelegt und vergleichen allenfalls Gruppen mit<br />

hohen vs. niedrigen (mutmaßlich subtherapeutischen) Reizstärken, da<br />

„placebokontrollierte“ Untersuchungen bei diesem Verfahren prinzipiell nicht möglich sind. Die<br />

Überlegenheit der Therapie mit höheren Reizstärken ist gesichert. Insgesamt erreichen 30% oder mehr


der Patienten eine Reduktion der Anfallfrequenz um mehr als 50%, der Anteil der anfallfreien Patienten<br />

liegt deutlich unter 10%. Ein Therapieeffekt stellt sich bei manchen Patienten erst <strong>im</strong> zweiten<br />

Behandlungsjahr ein (Binnie 2000, Privitera et al. 2002, Amar et al. 2004, Vonck et al. 2004,<br />

Scherrmann et al. 2001, Spanaki et al. 2004).<br />

<strong>Epilepsie</strong>chirurgie:<br />

Weltweit wird aus epilepsiechirurgischen Zentren übereinst<strong>im</strong>mend berichtet, dass Eingriffe nach<br />

sorgfältiger Indikationsstellung bei etwa zwei Dritteln der Patienten zu dauerhafter Anfallfreiheit führen<br />

(Engel u. Pedley 1997, Cascino 2004, Schmidt et al. 2004 a, b). Dennoch liegt, vor allem aufgrund nahe<br />

liegender medizinethischer Fallstricke, bislang nur eine randomisierte Studie vor, die<br />

klinisch-epileptologisch vergleichbare, schon therapierefraktäre Patienten hinsichtlich des<br />

Therapieerfolgs chirurgischer vs. medikamentöser Behandlung untersuchte – mit dem erwarteten<br />

Ergebnis, dass das operative Vorgehen hochsignifikant erfolgreicher war (Wiebe et al. 2001). Diese<br />

Studie betraf ausschließlich Temporallappenepilepsien, für andere fokale <strong>Epilepsie</strong>n kann weiterhin<br />

„nur“ der absolute Therapieerfolg ohne Vergleich mit adäquaten Kontrollgruppen herangezogen werden<br />

(Tonini et al. 2004). Der Temporallappenchirurgie vergleichbare Erfolgsquoten können zumindest bei<br />

läsionellen extratemporalen <strong>Epilepsie</strong>n erzielt werden (Übersicht in Grunwald et al. 2000).<br />

Zum Langzeitverlauf nach <strong>Epilepsie</strong>chirurgie liegen nur wenige Studien vor, sämtlich retrospektiv und<br />

die Temporallappenchirurgie betreffend. Der Anteil anfallfreier Patienten liegt nach zehn Jahren <strong>im</strong>mer<br />

noch zwischen 40 und 60% (Salanova et al. 1999, McIntosh et al. 2004) oder gar bei 75% (Eliashiv et al.<br />

1997). Das späte postoperative Absetzen erhöht die Rückfallrate (Schiller et al. 2000, Schmidt et al.<br />

2004 a, b); dieser Effekt kann verschwinden, wenn die Antiepileptika bevorzugt bei vermeintlichen<br />

„Niedrig-Risiko-Patienten“ abgesetzt werden (McIntosh et al. 2004).


Tabelle 1 Dosierungen und Serumkonzentrationen der wichtigsten Antikonvulsiva<br />

Substanz Eindosierungstempo Zieldosis Anzahl der Therapeutische Wirkungen auf<br />

(Abkürzung) (orientierend) (mg) Tagesdosen Serumkonzentrationen Serumkonzentrationen<br />

(orientierend)<br />

(µg/ml) (orientierend) ande- rer<br />

= irrelevant<br />

Antikonvulsiva =<br />

irrelevant<br />

Carbamazepin 200 mg alle 3 Tage 400-2.000 2 (retard) 3 3-12 LTG (⇓) VPA (⇓)<br />

(CBZ)<br />

(nicht-retard)<br />

Clobazam<br />

(CLB)<br />

Gabapentin<br />

(GBP)<br />

Lamotrigin<br />

(LTG)**<br />

Levetiracetam<br />

(LEV)<br />

Oxcarbazepin<br />

(OXC)<br />

Phenobarbital<br />

(PB)<br />

Pregabalin<br />

(PGB)<br />

Phenytoin<br />

(PHT)<br />

Pr<strong>im</strong>idon<br />

(PRM)<br />

Tiagabin<br />

(TGB)<br />

Topiramat<br />

(TPM)<br />

Valproinsäure<br />

(VPA)<br />

5 mg pro Tag 10-40 2 * *<br />

300 mg alle 1-3<br />

Tage<br />

Monotherapie: 25<br />

mg für 2 Wo., dann<br />

50 mg für 2 Wo.,<br />

dann 50 mg pro<br />

Woche<br />

250-500 mg alle 1-3<br />

Tage<br />

300 mg alle 1-5<br />

Tage<br />

25-50 mg alle 3-5<br />

Tage<br />

75-150 mg pro<br />

Woche<br />

50-100 mg alle 3-5<br />

Tage, gegen Ende in<br />

25-mg-Schritten<br />

62,5-250 mg alle 7<br />

Tage<br />

1.200-3.600 3 * *<br />

100-600 2 2-15 *<br />

1.000-3.000 2 * *<br />

900-2.400 2-3 7,5-30 (vor allem bei hoher<br />

OXC Dosis LTG ⇓)<br />

50-200 1-2 10-40 CBZ (⇓) LTG (⇓) VPA<br />

(⇓)<br />

300-600 2 * *<br />

200-500 2-3 5-25 CBZ (⇓) LTG (⇓) OXC<br />

(⇓)<br />

500-1.000 3 5-15 wie PB<br />

5 mg alle 5-7 Tage 30-50 1 * *<br />

25 mg pro 1-2<br />

Woche(n), ab 100<br />

mg: 50 mg pro<br />

Woche<br />

300-600 mg alle 3-5<br />

Tage<br />

50-400 2 7-20 *<br />

600-3.000 1-2 (retard)<br />

2-3 (nicht<br />

retard)<br />

40-120 CBZ-Epoxid (⇑) LTG<br />

(⇑) PB (⇑) PHT (frei)<br />

(⇑)<br />

**bei Kombination mit enzyminduzierenden bzw. -hemmenden Antikonvulsiva u. U. deutlich zu modifizierende Enddosen<br />

und/oder Eindosierungstempi


Verfahren zur Konsensbildung<br />

Überarbeitet von der Expertengruppe unter Berücksichtigung der Rückmeldungen zur vorherigen,<br />

publizierten Version von 2002. Korrigiert durch die Kommission Leitlinien der DGN. Endgültig<br />

verabschiedet durch die Expertengruppe am 1. 11. 2004.<br />

Kooperationspartner und Sponsoren<br />

Diese Leitlinie entstand ohne Einflussnahme oder Unterstützung durch die Industrie.<br />

Expertengruppe<br />

Prof. Dr. J. Bauer, Klinik für Epileptologie, <strong>Universitätsklinikum</strong> <strong>Bonn</strong><br />

Prof. Dr. R. W. C. Janzen, Neurologische Klinik, Krankenhaus Nordwest, Frankfurt a. M.<br />

Prof. Dr. M. Kurthen, Klinik für Epileptologie, <strong>Universitätsklinikum</strong> <strong>Bonn</strong><br />

PD Dr. H. Lerche, Klinik für Neurologie, Universität Ulm<br />

Prof. Dr. D. Schmidt, Arbeitsgruppe <strong>Epilepsie</strong>forschung, Berlin<br />

Prof. Dr. H. Stefan, Neurologische Klinik mit Poliklinik, Zentrum <strong>Epilepsie</strong> Erlangen,<br />

Universität Erlangen-Nürnberg<br />

Federführend: Prof. Dr. C. E. Elger, Klinik für Epileptologie, <strong>Universitätsklinikum</strong> <strong>Bonn</strong>,<br />

Sigmund-Freud-Str. 25, 53105 <strong>Bonn</strong><br />

e-mail: Christian.Elger@ukb.uni-bonn.de<br />

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