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Vertrauen als Voraussetzung für bestimmte Formen ...

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<strong>Vertrauen</strong> <strong>als</strong> <strong>Voraussetzung</strong> <strong>für</strong> <strong>bestimmte</strong> <strong>Formen</strong><br />

organisatorischen Wandels<br />

Egbert Kahle<br />

1. Problemstellung<br />

2. Zur Behandlung des <strong>Vertrauen</strong>s in der wirtschafts- und sozialwissen-<br />

schaftlichen Literatur<br />

3. <strong>Vertrauen</strong> aus kognitionswissenschaftlicher Sicht<br />

4. Wahrnehmung und Reaktion auf organisatorischen Wandel<br />

1


1. Problemstellung<br />

<strong>Vertrauen</strong> wurde in den letzten Jahren vermehrt auch in der betriebswirtschaftlichen<br />

und speziell organisationstheoretischen Diskussion aufgegriffen<br />

und zwar besonders unter dem Aspekt des Wandels 1 und der Organisation<br />

von Netzwerken und Virtueller Organisationen 2 und in Versuchen der<br />

Einordnung in transaktionstheoretische und Principal-Agent-Konzepte 3 -<br />

in soziologischen und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen war es<br />

schon länger präsent 4 -. Dabei wird ersichtlich und zum Teil auch explizit<br />

kritisiert 5 , daß es dabei an einer präzisen Bestimmung des Inhalts und der<br />

Reichweite dieses zwar nach Alltagserfahrungen bekannten, aber in diesem<br />

wissenschaftlichen Zusammenhang neuartigen Konzepts fehle. Dem ist<br />

beizupflichten, vor allem auch deshalb, weil die <strong>Vertrauen</strong>sbeziehung in<br />

den meisten Fällen - von soziologischen Betrachtungen abgesehen 6 - <strong>als</strong><br />

duale Beziehung zweier Individuen gesehen wird; einer solchen dualen<br />

Betrachtung fehlen aber gleich zwei wichtige Elemente von <strong>Vertrauen</strong>sbeziehungen:<br />

- Die Einbindung von <strong>Vertrauen</strong> in ein Netzwerk sozialer Beziehungen<br />

dauerhaften Charakters<br />

- Die Unterscheidung von ontologischem 7 , persönlichem und institutionellem<br />

<strong>Vertrauen</strong>, bei denen es in Entwicklung und Einsatzbedingungen<br />

Wechselbeziehungen gibt.<br />

Die Betrachtung von <strong>Vertrauen</strong>sbeziehungen in Prinzipal-Agent-<br />

Situationen oder in Spielsituationen mit variablem Ergebnis kann daher<br />

zwar zu einer Analyse von Teilaspekten des Problems hilfreich sein, keineswegs<br />

aber das Gesamtproblem von <strong>Vertrauen</strong> in und zwischen Organisationen<br />

abbilden 8 . Organisatorischer Wandel geht immer einher mit der<br />

Wahrnehmung von Veränderungen - Veränderungsmöglichkeiten und -<br />

1<br />

Vgl. Bleicher, K., <strong>Vertrauen</strong> <strong>als</strong> kritischer Faktor einer Bewältigung des Wandels, in: ZfO 1995, S. 390<br />

ff.<br />

2<br />

vgl. Loose,A. - Sydow,J., <strong>Vertrauen</strong> und Ökonomie in Netzwerkbeziehungen, in: Sydow,J. - Windeler,<br />

A. (Hrsg.), Management interorganisationaler Beziehungen, Wiesbaden 1994, S. 160 ff.; Bullinger,H.J. -<br />

Brettreich-Teichmann, W. - Fröschle,H.P., Das virtuelle Unternehmen - Koordination zwischen Markt<br />

und Hierarchie, in: Office Management, 1995 Heft 12, S.18 ff., Fontana; M., <strong>Vertrauen</strong> ist der Schlüssel<br />

zum virtuellen Büro, in : Der Organisator, 1994, Heft 1 - 2 , S. 10 f.<br />

3<br />

vgl. Sjurts, I., Kontrolle ist, ist <strong>Vertrauen</strong> besser ? in: DBW 1998, S. 283 ff: Ripperger, T., Ökonomik des<br />

<strong>Vertrauen</strong>s, Tübingen 1998; Vogt, J., <strong>Vertrauen</strong> und Kontrolle in Transaktionen - Eine institutionenökonomische<br />

Analyse, Wiesbaden 1997<br />

4<br />

vgl. Luhmann, N., <strong>Vertrauen</strong> - Ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität, 3. Aufl. Stuttgart<br />

1989; Hundhausen, C., Werbung um öffentliches <strong>Vertrauen</strong> - Public Relations,Essen1951;Bentele, G.<br />

(Hrsg.), Publizistik in der Gesellschaft, Konstanz 1994.<br />

5<br />

Vgl. Sjurts, I., Kontrolle...a.a.O., S. 284<br />

6<br />

vgl. Luhmann, N., <strong>Vertrauen</strong> -...a.a.O.<br />

7<br />

vgl. Böhme, G., Trau, schau, wem ? in: Die Zeit , 16. 12. 98, S. 45<br />

8<br />

vgl. Lane, Ch., Introduction: Theories and Issues in the Study of Trust, in: Lane, Ch. - Bachmann, R.<br />

(eds.), Trust within and between Organizations, Oxford 1998, S. 1 - 30<br />

2


notwendigkeiten - im Umfeld und in der Organisation selbst; die Wahrnehmung<br />

ist aber ein kognitiver Prozeß 9 , der auf einer Vielzahl von Reduktions-,<br />

Interpretations- und Verknüpfungsabläufen beruht, die alle eine<br />

zeitliche Erstreckungsdimension haben und vielfach habitualisiert sind.<br />

Gewohnte Dinge im Umfeld werden aber gar nicht mehr explizit wahrgenommen,<br />

so daß man auf ihre Existenz „vertraut“, ohne den Sachverhalt zu<br />

überprüfen. 10<br />

Es lassen sich unter diesen Befunden zwei Tendenzen oder Einflußgrößen<br />

erkennen, die die Intensivierung der Diskussion um das <strong>Vertrauen</strong> in und<br />

zwischen Organisationen erklären; es ist auf der einen Seite der Verlust an<br />

ontologischem und institutionellem <strong>Vertrauen</strong>, wie er soziologisch in der<br />

disembeddedness 11 sichtbar wird und es ist die Beschleunigung des organisatorischen<br />

Wandels bzw. seiner Einflußgrößen, die organisatorisches Lernen<br />

erfoderlich machen 12 und damit <strong>Vertrauen</strong> <strong>als</strong> notwendige <strong>Voraussetzung</strong><br />

des Wandels sichtbar werden lassen. Beide haben den gleichen kognitionswissenschaftlichen<br />

Hintergrund: Die Komplexität der Umwelt<br />

macht es erforderlich, Selektionen bei der Wahrnehmung relevanter Elemente<br />

vorzunehmen und den Rest <strong>für</strong> gegeben - entweder <strong>als</strong> sicher oder<br />

<strong>als</strong> irrelevant - anzusehen, sozusagen eine ceteris paribus Klausel anzuwenden.<br />

Die dynamische Verknüpfung von mehr und mehr Variablen<br />

macht jedoch solche Annahmen obsolet 13 , was entweder zu einer Handlungsunfähigkeit<br />

des Handelnden - sei es ein Individuum oder eine Organisation<br />

- oder zu einem neuen Referenzsystem führen muß.<br />

Nachfolgend sollen nach einem kurzen Überblick über den Stand der Diskussion<br />

im engeren Fachgebiet die verschiedenen Arten von <strong>Vertrauen</strong> und<br />

ihre Wirkungsmechanismen aus den kognitionswissenschaftlichen Grundlagen<br />

abgeleitet werden und dann auf ihre Bedeutung im Prozeß organisatorischen<br />

Wandels und organisatorischen Lernens hin untersucht werden.<br />

Auch damit kann nur eine partielle Betrachtung des Phänomens erfolgen,<br />

die grundlegenden Überlegungen sollen aber eine allgemeine Diskussion<br />

der verschiedenen Aspekte ermöglichen.<br />

2. Zur Behandlung des <strong>Vertrauen</strong>s in der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen<br />

Literatur 14<br />

9 vgl. Kahle, E., Kognitionswissenschaftliche Grundlagen von Selbstorganisation, Arbeitsbericht 1/95 der<br />

Forschungsgruppe Kybernetische Unternehmens-Strategie an der Universität Lüneburg, Lüneburg 1995<br />

10 vgl. Böhme, G., Trau,..., a.a.O.,<br />

11 vgl. Giddens, A., The consequences of Modernity, Cambridge 1990.<br />

12 vgl. Kahle, E., <strong>Voraussetzung</strong>en und Möglichkeiten organisationalen Lernens aus kognitionswissenschaftlicher<br />

Sicht , Arbeitsbericht 2/97 der Forschungsgruppe Kybernetische Unternehmens-Strategie an<br />

der Universität Lüneburg, Lüneburg 1997<br />

13 Entsprechend der Aussage: „Damit alles so bleibt, wie es ist, muß sich vieles ändern !“<br />

14 Dieser Abschnitt stützt sich weitgehend auf Lane, Ch., Introduction.....,a.a.O.<br />

3


Das Konzept des <strong>Vertrauen</strong>s hat viele Aspekte und Bedeutungen, aber die<br />

meisten dieser Konzepte haben drei Elemente gemeinsam:<br />

- Erstens setzen die meisten Theorien ein <strong>bestimmte</strong>s Maß an Interdependenz<br />

zwischen <strong>Vertrauen</strong>sgeber und -nehmer voraus. Erwartungen über die<br />

<strong>Vertrauen</strong>swürdigkeit eines anderen sind nur relevant, wenn die Konsequenzen<br />

des eigenen Handelns von dem Handeln oder der Kooperation des<br />

anderen abhängen 15 . Außerhalb sozialer Beziehungen, die hier sehr weit<br />

gefaßt zu sehen sind, hätten die Individuen keinen Bedarf an <strong>Vertrauen</strong> 16 .<br />

- Zweitens teilen sie die Annahme, daß <strong>Vertrauen</strong> eine Möglichkeit bietet,<br />

in Austauschbeziehungen mit Risiko oder Unsicherheit umzugehen. In der<br />

Wirtschaftstheorie wird das Entstehen von Risiko damit begründet, daß das<br />

vertrauensgebende Verhalten den Agenten dem vermeintlichen opportunistischen<br />

Verhalten des Geschäftspartners aussetzt. Die soziologischen Forschungen<br />

werfen dagegen eher ein Licht auf die Bedingungen, die den<br />

Raum <strong>für</strong> Opportunismus in Austauschbeziehungen bestimmen. Unsicherheit<br />

und Risiko werden dort <strong>als</strong> inhärente Eigenschaften sozialer Beziehungen<br />

gesehen, bedingt durch Zeit- und Informationsprobleme. Die Reaktion<br />

auf Aktionen in sozialen Beziehungen erfolgt meistens zeitversetzt,<br />

wodurch ein Informationsproblem über die mögliche Reaktion der anderen<br />

Person entsteht. Das erfordert eine risikoreiche Vor-Bindung auf Seiten<br />

eines Aktors 17 .<br />

- Die dritte gemeinsameAnnahme in der Literatur zum <strong>Vertrauen</strong> ist der<br />

Glaube oder die Erwartung, daß die Verletzlichkeit aus der Übernahme<br />

eines Risikos von der anderen Seite in der Beziehung nicht ausgenutzt<br />

wird.<br />

Die Forscher divergieren jedoch in den jeweils von ihnen zugrundegelegten<br />

Ursachen oder sozialen Grundbeziehungen, auf denen solche Erwartungen<br />

aufbauen. Diese Unterschiede beruhen teilweise auf den Grundannahmen<br />

über menschliches Verhalten und soziale Interaktionen, d.h., ob<br />

der Mensch eher <strong>als</strong> rationaler Egoist angesehen wird oder ob seine sozialen<br />

Interaktionen eher von moralischen Erwägungen geleitet werden oder<br />

von kulturellen Regeln und Bedeutungssystemen. Zum Teil beruhen die<br />

Unterschiede auch auf dem Objekt des <strong>Vertrauen</strong>s oder dem Handlungskontext.<br />

Einer kleineren Gruppe von vor allem wirtschaftstheoretisch geprägten<br />

Forschern, die <strong>Vertrauen</strong> eher <strong>als</strong> kalkulierte Handlung sehen,<br />

steht eine größere Gruppe von Soziologen und Organisationsforschern gegenüber,<br />

die das Fundament des <strong>Vertrauen</strong>s in gemeinsamen Werten und<br />

15<br />

vgl. Luhmann, N., Trust and Power, Chichester 1979; Dasgupta, P., Trust as a Commodity, in: Gambetta,<br />

D., (ed.), Trust: Making and Breaking of Cooperative Relations, Oxford 1998, S. 49 - 72.<br />

16<br />

vgl. Lewis, J.D. - Weigert, A., Trust as a Social Reality, in: Social Forces, vol 63/3 , 1985, S. 967 - 984,<br />

hier S. 969.<br />

17<br />

vgl. Luhmann, N., Trust ...,a.a.O.; Simmel, G., The Philosophy of Money, London 1978.<br />

4


moralischen Überzeugungen sehen. Bei einer dritte Gruppe wird die Fundierung<br />

in gemeinsamen kognitiven Grundlagen gesehen. Andere - wie<br />

etwa Luhmann 18 - sehen von den zugrundeliegenden Faktoren völlig ab<br />

und achten nur auf die Funktion des <strong>Vertrauen</strong>s z.B. bei der Komplexitätsreduktion.<br />

Die ausführlichste und aktuellste Darstellung des Ansatzes eines kalkulierten<br />

<strong>Vertrauen</strong>s findet sich bei Ripperger 19 , wobei neben der ausführlichen<br />

Beschreibung und Analyse der Kalküle des <strong>Vertrauen</strong>sgebers und -<br />

nehmers auch die Genese von <strong>Vertrauen</strong> in sozialen Systemen erörtert<br />

wird; Grundbedingung dieses Ansatzes ist die Suche nach einem Mechanismus<br />

zur Reduktion der Konsequenzen unsicherer Erwartungen und von<br />

Handlungskomplexität. Eine weitere aktuelle Arbeit von Vogt 20 ist ebenfalls<br />

dieser Richtung zuzurechnen, wobei Situationen vom „Gefangenen-<br />

Dilemma“ - Typ im Vordergrund stehen.<br />

Das werte- oder normenbasierte <strong>Vertrauen</strong> greift im wesentlichen auf Parsons<br />

zurück, der in seinem strukturfunktionalistischen Ansatz rationales<br />

Selbstinteresse <strong>als</strong> Grundlage einer stabilen kollektiven Ordnung ablehnt<br />

und das Konzept der Solidarität zu dieser Grundlage erhebt. Diese bildet<br />

die <strong>Voraussetzung</strong> <strong>für</strong> die Loyalität des Individuums gegenüber der Gruppe,<br />

die seine Existenz sichert.<br />

In den Ansatz der Begründung von <strong>Vertrauen</strong> durch gemeinsame kognitive<br />

Vorstellungen lassen sich viele soziale Interaktionstheorien einordnen;<br />

hierzu gehören Barber 21 , Blau 22 , Giddens 23 , Luhmann 24 und Simmel 25 neben<br />

vielen weiteren. Auch der hier vertretene Ansatz läßt sich am ehesten<br />

unter diese theoretischen Grundauffassung stellen, auch wenn an dieser<br />

Stelle gerade diese gemeinsamen oder auch unterschiedlichen kognitiven<br />

Vorstellungen in ihrem Entstehungszusammenhang untersucht und deren<br />

Wirkung auf <strong>Vertrauen</strong> in seinen verschiedenen Facetten beschrieben werden<br />

soll.<br />

3. <strong>Vertrauen</strong> aus kognitionswissenschaftlicher Sicht<br />

Die kognitionswissenschaftlichen Grundlagen von Wahrnehmung und Organisation<br />

wurden bereits an anderer Stelle ausführlich beschrieben 26 ;<br />

18 vgl. Luhmann, N., <strong>Vertrauen</strong> ...,a.a.O.<br />

19 vgl. Ripperger, T., Ökonomik ...,a.a.O., S. 83 - 163.<br />

20 vgl. Vogt, J., <strong>Vertrauen</strong> und Kontrolle ...a.a.O.<br />

21 vgl. Barber, B., The Logics and Limits of Trust, New Brunswick 1983.<br />

22 vgl. Blau, P.M., Exchange and Power in Social Life, London 1967.<br />

23 vgl. Giddens, A., The Constitution of Society, Cambridge 1984.<br />

24 vgl. Luhmann, N., Trust ..., a.a.O.<br />

25 vgl. Simmel, The Philosophy ...,a.a.O.<br />

26 vgl. Kahle, E., Kognitionswissenschaftliche...,a.a.O.<br />

5


nachfolgend werden nur die <strong>für</strong> die weiteren Ausführungen relevanten<br />

Elementarsätze aufgeführt:<br />

- Wahrnehmung ist kein physikalischer Vorgang der Abbildung von einer<br />

physikalischen Dimension in eine andere, sondern ein Berechnungsvorgang.<br />

Dieser ist subjektiv, d.h. an das Subjekt gebunden und von dessen<br />

inneren Zuständen, insbesondere seinen Bedürfnissen, determiniert. Die<br />

Wahrnehmung des Individuums ist eine subjektive Konstruktion, die mit<br />

Hilfe des sehr leistungsfähigen Gehirns stabil gehalten wird.<br />

- Unendliche rekursive Rechenprozesse können zu stabilen, endlichen<br />

Werten führen. In der menschlichen Wahrnehmung oder Kognition führt<br />

das rekursive Errechnen von Realitäten zu einer stabilen Wahrnehmung.<br />

- Menschliche Wahrnehmung ist selbst-referentiell und nicht-trivial.<br />

- Wahrnehmung (Beobachtung) ist erfahrungsgeleitet und keine isolierte<br />

oder abstrakte Operation des Gehirns. Primär, d.h. entwicklungspsychologisch<br />

gesehen, wird Wissen (Verstehen) über Erfahrung erworben.<br />

Daraus ist <strong>für</strong> die Beurteilung des <strong>Vertrauen</strong>s abzuleiten, daß man in erster<br />

Linie dem eigenen, durch Erfahrung erworbenen Wissen vertraut, letztlich<br />

deshalb, weil man es selbst erarbeitet und entwickelt hat. Dieser Wissensbestand<br />

und sein Bezugsrahmen wird ständig weiterentwickelt, aber nur<br />

selten - eigentlich nie - revolutionär umgestaltet. Für diesen Wissenbestand<br />

stellt sich die Frage des <strong>Vertrauen</strong>s nicht, weil er selbstgeschaffen und somit<br />

authentisch ist.<br />

Die Erfahrung ist aber nur ein Teil, wenn auch ein unabdingbar vorauszusetzender,<br />

des Wahrnehmungssystems; ein ganz wesentlicher Teil des kognitiven<br />

Systems des Menschen ist die Sprache 27 , vermittels derer der<br />

Mensch die Erfahrungen anderer Menschen erfassen und verarbeiten kann.<br />

Der Mensch erwirbt zuerst durch seine Erfahrungen Kenntnisse im Gebrauch<br />

der Sprache. Entwicklungspsychologische Forschungen haben ergeben,<br />

daß beim Kleinkind die Denkentwicklung am Anfang unabhängig<br />

von der Sprachentwicklung verläuft 28 ; das Kleinkind nimmt wie oben beschrieben<br />

durch Erfahrung wahr und es erlernt durch Erfahrung und Nachahmung<br />

Sprachlaute, ohne ihnen entsprechende Denksymbole zuzuordnen;<br />

diese Zuordnung erfolgt von einem subjektiv unterschiedlich <strong>bestimmte</strong>n<br />

Zeitpunkt an, von dem an die Sprache das Denken neben der Erfahrung<br />

sehr stark beeinflußt.<br />

Um die Erfahrungen anderer Menschen verarbeiten zu können, muß ein<br />

gewisser Mindestvorrat an korrespondierenden Zeichen und Symbolen<br />

27<br />

vgl. Maturana, H., Search for Objectivity or the Quest for a Compelling Argument, in: The Irish Journal<br />

of Psychology 9 (1),S. 80<br />

28<br />

vgl. Wygotski, L.S., Denken und Sprechen, Stuttgart 1969, S.86f.<br />

6


vorhanden sein, damit zwischen den sprechenden Personen Verstehen erzeugt<br />

wird. Das bedeutet, daß die Sprachhandlung des Einen eine Handlung<br />

des Anderen auslösen muß, die der Eine auf seine Sprachhandlung<br />

beziehen kann. Die Übereinstimmung der Zeichen- und Symbolvorräte<br />

mag sehr limitiert sein, aber sie ist fast immer irgendwie vorhanden und sei<br />

es, daß man feststellt, daß man sich nicht verständlich machen kann 29 .<br />

Die Sprache stellt <strong>als</strong> Hauptinstrument zwischenmenschlicher Verständigung<br />

- es gibt sicherlich auch andere sensorische zwischenmenschliche<br />

Beziehungen, die aber kognitiv nachrangig sind - neben der eigen Erfahrung<br />

den wichtigsten Weg des Wissenserwerbs dar. Im allgemeinen sind<br />

zwei Limitierungen der Sprache von besonderer Bedeutung: Die eine ist<br />

ihre Unbestimmtheit oder Mehrdeutigkeit und die andere ist ihre Linearität;<br />

<strong>für</strong> die <strong>Vertrauen</strong>sbildung ist vor allem die Unbestimmtheit bedeutsam.<br />

Bei der Unbestimmtheit (Mehrdeutigkeit) geht es darum, daß es einerseits<br />

<strong>für</strong> einen Begriff (Sachverhalt) mehrere Worte gibt, die diesen Begriff<br />

lautlich abbilden; dazu tritt noch, daß der Sachverhalt auf unterschiedlichen<br />

Begriffsebenen abgebildet sein kann. Auf der anderen Seite gibt es<br />

<strong>für</strong> ein Wort oft mehrere Begriffe, die es verkörpert 30 . Sprache hat <strong>als</strong>o<br />

auch bei klarsten und eindeutigsten semantisch- syntaktischen Bezügen<br />

eine Unbestimmtheit, die sich - wenn überhaupt - nur pragmatisch, d.h.<br />

situationsbezogen auflösen läßt. Das aber bedeutet, man muß verstehen<br />

(wissen), was gemeint ist, um zu verstehen, was gemeint ist. Die Situation<br />

muß im Prinzip bekannt sein, um aus der sprachlichen Äußerung den richtigen<br />

Sinn herauszuholen.<br />

Die Mehrdeutigkeit der Sprache, die <strong>als</strong>o ein Hindernis zur vollkommenen<br />

Kommunikation darstellt, ist aber zugleich die Ursache da<strong>für</strong>, daß wir<br />

Sachverhalte oder Beobachtungen neu ordnen und "bedenken" können. 31<br />

Diese Mehrdeutigkeit und die Tatsache, daß die Informationen nicht selbst<br />

erfahren wurden, führt zu verschiedenen Arten von Unsicherheit der Wissensbestände:<br />

Auf der einen Seite ist die Zuordnung des Wissen in der geistigen<br />

Landkarte 32 des Menschen nicht eindeutig festgelegt und zum anderen<br />

ist die Verläßlichkeit des Übermittlers der Information weniger sicher<br />

<strong>als</strong> die eigene und zwar sowohl bezüglich seiner Fähigkeit zur „richtigen“ -<br />

subjektiven - Wahrnehmung und bezüglich seiner Ehrlichkeit in der Wie-<br />

29 Auf die verschiedenen Funktionen von Sprache: Konnotative, denotative, affirmative (emotionale) und<br />

autologische Funktion wird später eingegangen. werden,<br />

30 Beispiele finden sich bei Kahle, E., Kognitionswissenschaftliche ...,a.a.O..<br />

31 vgl. Kahle, E., Betriebswirtschaftliches Problemlösungsverhalten, Wiesbaden 1973, S. 35 - 37<br />

32 zu den cognitive maps vgl. Laukkanen, M., Comparative Cause Mapping of Organizational Cognitions,<br />

in: Meindl,J. R. - Stubbart, Ch. - Porac, J. F.,(eds.)Cognition Within and Between Organizations, Thaousand<br />

Oaks et.al., 1996, S. 11<br />

7


dergabe von Wahrnehmungen. Dadurch entsteht Unsicherheit in der geistigen<br />

Landkarte des Individuums, die auch das Fehlen von Informationen<br />

einschließt deren Existenz bekannt ist oder vermutet wird, die aber nicht<br />

vorliegen.<br />

Die geistigen Landkarten - die Wissensbestände - des Individuums enthalten<br />

nicht nur Faktenwissen, sondern auch Verhaltensregeln und Erklärungsmuster;<br />

sie sagen dem Menschen, wie er sich verhalten soll und warum<br />

etwas so ist, wie er es wahrnimmt, wobei die Erklärungen auf Grund<br />

der Linearität der Sprache oft einfacher -monovariabel - sind <strong>als</strong> es tatsächlich<br />

der Fall ist.<br />

Das Verlassen auf die erfahrene und durch Kommunikation ausgebaute<br />

geistige Landkarte kann <strong>als</strong> ontologisches <strong>Vertrauen</strong> 33 bezeichnet werden.<br />

Diesem sehr nahe, aber meines Erachtens doch davon zu unterscheiden 34<br />

ist das institutionelle <strong>Vertrauen</strong>. Dieses kommt dadurch zustande, daß mit<br />

der denotativen Übermittlung von Fakten und Erklärungen auch konnotative<br />

Zusammenhänge, d.h. Wertungen positiver und negativer Art in der<br />

Sprache transportiert werden. Das bedeutet, daß beispielsweise mit der<br />

Kenntnis über die Elemente und das Funktionieren des Rechtssystems auch<br />

die Erwartung der Schaffung von Gerechtigkeit durch dieses System vermittelt<br />

wird oder daß das Vorhandensein von Hierarchie und Vorgesetzten<br />

allein durch seine Existenz <strong>als</strong> Legitimation der Weisungsbefugnis dient.<br />

Daß auch naturgesetzliche Phänomene solche konnotativen Aspekte haben<br />

können, zeigt Böhme 35 , allerdings sind mythologisch gerade die Unsicherheit<br />

über die Wiederkehr des Frühlings und der Sonne mit erheblichen<br />

Zweifeln behaftet, was zu speziellen Feiern und Beschwörungsriten führte.<br />

In dem Maße, wie die konnotativen Erwartungen an Institutionen enttäuscht<br />

werden, löst sich institutionelles <strong>Vertrauen</strong> auf, d.h. denotative und<br />

konnotative Ebene der Beurteilung einer Institution fallen auseinander<br />

oder auch die denotative Beschreibung wird angezweifelt.<br />

Während institutionelles <strong>Vertrauen</strong> weitgehend <strong>als</strong> eine Weiterentwicklung,<br />

eine strukturelle und komplexitätsverarbeitende Vertiefung ontologischen<br />

<strong>Vertrauen</strong>s angesehen werden kann, das im Wesentlichen über die<br />

Sprache vermittelt wird, läßt sich persönliches <strong>Vertrauen</strong> im Wesentlichen<br />

auf direkte Erfahrung in Begleitung verbaler Kommunikation zurückführen.<br />

Das bedeutet, daß ohne frühe <strong>Vertrauen</strong>serfahrung ein Mensch sich<br />

schwer tut, überhaupt persönliche <strong>Vertrauen</strong>sbeziehungen aufzubauen und<br />

es bedeutet weiterhin, daß immer ein gewisser Erfahrungshorizont mit der<br />

33 vgl. Böhme, G., Trau ...,a.a.O.<br />

34 anders Böhme, G., Trau ...,a.a.O.<br />

35 vgl. Böhmen, G., Trau ..., a.a.O.<br />

8


Person - oder dem Typus, den sie repräsentiert mit allen potentiellen Nebeneffekten<br />

wie Halo oder „recency“ etc. - vorliegen muß, um persönliches<br />

<strong>Vertrauen</strong> zu schaffen. Dabei kann in gewissem Umfang <strong>Vertrauen</strong>skapital<br />

auch verbal transferiert werden, wenn z.B. A dem B vertraut und dieser<br />

dem C und letzteres von B an A mitgeteilt wird; so kann auch <strong>Vertrauen</strong><br />

durch Kommunikation bewirkt werden; aber diese indirekte Erfahrung ist<br />

deutlich wirkungsschwächer <strong>als</strong> die direkte Erfahrung von Bestätigung<br />

oder Enttäuschung von <strong>Vertrauen</strong>serwartungen.<br />

Zusammengefaßt heißt das:<br />

- Wir vertrauen auf unser Weltbild, das wir uns durch Erfahrung und<br />

Kommunikation erarbeitet haben; es enthält Unsicherheiten bei Fremdinformationen<br />

und fehlenden Informationen. Dieses Weltbild gibt Verhaltenssicherheit<br />

und wird stetig und inkrementell verändert.(Ontologisches<br />

<strong>Vertrauen</strong>)<br />

- Wir vertrauen in das Funktionieren von Institutionen und in die Qualität<br />

(Werthaltigkeit) ihrer Ergebnisse; dieses <strong>Vertrauen</strong> ist komplexitätsreduzierend<br />

und erleichtert das Handeln. (Institutionelles <strong>Vertrauen</strong>)<br />

- Wir vertrauen anderen Personen dahingehend, daß sie die Fähigkeit und<br />

Bereitschaft haben, uns gegenüber positiv zu handeln; dieses <strong>Vertrauen</strong> ist<br />

erfahrungsbedingt und verringert Transaktionskosten. (Persönliches <strong>Vertrauen</strong>)<br />

4. Wahrnehmung und Reaktion auf organisatorischen Wandel 36<br />

Eine Organisation <strong>als</strong> System von Menschen und gegebenenfalls einigen<br />

von ihnen genutzten Maschinen und Anlagen 37 verfügt prima facie über<br />

kein eigenes Verarbeitungssystem <strong>für</strong> Reize (Stimuli). Ein solches entsteht<br />

aber sozusagen bei der Entwicklung der Organisation <strong>als</strong> wechselseitig<br />

aufeinander bezogene Verhaltenserwartungen mit und zwar in erster Linie<br />

über die Verarbeitung von Sprach- aber auch anderen Signalen.<br />

Diese Betrachtung ist entwicklungsbezogen formuliert, bestehende Organisationen<br />

- und das sind die meisten von denen, die wir betrachten, haben<br />

diesen Prozeß hinter sich und sind sich seiner häufig gar nicht mehr bewußt.<br />

36 Zur Vertiefung vgl., Kahle E., <strong>Voraussetzung</strong>en und Möglichkeiten...,a.a.O.,<br />

37 Das hängt davon ab, ob man die Organisation <strong>als</strong> rein soziales oder <strong>als</strong> sozio-technisches System betrachtet.<br />

Als Beispiel mag <strong>für</strong> die Informationsverarbeitung eine Lokomotive mit Lokführer dienen, bei<br />

der der Lokführer zwar alle Informationen auswertet, aber eine Automatik die Lok stoppt, wenn der<br />

Lokführer einen <strong>bestimmte</strong>n Schalter nicht regelmäßig betätigt.<br />

9


Als Sensoren einer Organisation, die Stimuli aufnehmen, können die Menschen<br />

angesehen werden, die zu der Organisation gehören und die z.B. eine<br />

Bestellung aufnehmen, aber es können auch Maschinen oder Anlagen<br />

sein, wie etwa ein Betriebsdatenerfassungssystem oder ein automatischer<br />

Kassentresor (AKT), der Geld ausgibt und die Transaktion dokumentiert.<br />

Eine Organisation kann nur durch ihre Organe, ihre Elemente, Stimuli aufnehmen<br />

und handeln. Diese Stimuli werden aber erst zu Information oder<br />

Wahrnehmung, wenn es Regeln zu ihrer Verarbeitung zu einem Gesamtbild<br />

gibt. Diese Regeln legen fest, welche Signale <strong>als</strong> Stimuli angesehen<br />

werden, was überhaupt verarbeitet wird und in welcher Weise. Solche Regeln<br />

können durch Gewohnheit (Usancen) entstehen, indem eine Reaktion<br />

auf ein Signal <strong>als</strong> angenehm oder zutreffend gewertet wird und in gleichartigen<br />

Situationen wiederholt wird; die Regel kann auch von einer Person<br />

innerhalb der Systemgrenze der Organisation vorgeschlagen und von den<br />

anderen bewußt akzeptiert werden, wobei der Grund <strong>für</strong> die Akzeptanz der<br />

Regel in dem Glauben an ihre Zweckmäßigkeit liegen kann, aber auch in<br />

der Macht oder Beliebtheit des Vorschlagenden. Regeln zur Signalverarbeitung,<br />

d.h. zur Interpretation von Stimuli, können auf unterschiedlichste<br />

Weise entstehen; ihre Wirkung erhalten sie aber erst durch ihre Akzeptanz<br />

und Verbreitung. Erst wenn die Interpretation eines Sign<strong>als</strong> von den übrigen<br />

Teilnehmern am Interpretationsprozeß geteilt wird, ist sie wirksam;<br />

dabei ist "natürlich" zu bedenken, daß hier die Unschärfebedingung<br />

sprachlicher Ausdrucksform wirksam wird, d.h., daß die Interpretation nur<br />

ungefähr übereinstimmen muß; ob sie hinreichend übereinstimmt, erkennt<br />

man an den Wirkungen, die <strong>als</strong> Stimuli zurückkommen.<br />

Die Wahrnehmung einer Organisation ist <strong>als</strong>o in dieser Hinsicht der individuellen<br />

Wahrnehmung sehr ähnlich: Sie erfolgt nicht direkt, sondern entsteht<br />

erst aus der gemeinsamen Interpretation von Signalen nach den gemeinsamen<br />

Regeln der organisatorischen Informationsverarbeitung. Der<br />

wesentliche Unterschied zur menschlichen Wahrnehmung ist, daß diese<br />

Prozesse der "Verrechnung", die im menschlichen Gehirn auf der Basis<br />

chemo-elektrischer Ladungs/Entladungsprozesse ablaufen, in der Organisation<br />

zwar auch rechnerischer Art sein können, aber weitestgehend<br />

sprachlich-interpretativer Art sind. Probleme der organisatorischen Wahrnehmung<br />

können dann entstehen, wenn die Vernetzung der Verarbeitungselemente,<br />

die im Gehirn des Menschen sehr hoch, redundant und überlappend<br />

ist, in der Organisation aus Effizienzgründen weniger eng und nicht<br />

redundant ist, weil dann interne Korrekturen, z.B. nach dem Prinzip der<br />

10


lateralen Inhibition unterbleiben oder wenn die Verarbeitungselemente auf<br />

grund ihrer Nicht-trivialität eigene Ziele bei der Verarbeitung verfolgen.<br />

Was ein einzelnes Element "weiß", <strong>als</strong> Signal empfangen hat, ist solange<br />

noch nicht Gegenstand der organisatorischen Wissensbasis, <strong>als</strong> es nicht<br />

nach den Regeln der Organisation vereinnahmt wurde. So spielt es beispielsweise<br />

keine Rolle, ob irgendeine Person von einer Information<br />

Kenntnis genommen oder sie verstanden hat: Wenn ein Brief einer Organisation<br />

"zugegangen" ist, d.h. auf ordentlichem Wege in ihren Einflußbereich<br />

gelangt ist, gilt die Information <strong>als</strong> erhalten. Umgekehrt kann ein<br />

Einzelner etwas davon wissen, aber ohne den "amtlichen" Zugang liegt<br />

organisatorisch nichts vor.<br />

Diese Regeln der Signalverwertung sind Bedeutungsregeln, Zuordnungsregeln<br />

(z.B. die Zuordnung von Ursachen zu Wirkungen oder von Eigenschaften<br />

zu Objekten oder Objekten) und alle Arten von Rechenregeln.<br />

Dazu treten Regeln der Kommunikation, d.h. der Festlegung <strong>bestimmte</strong>r<br />

Kommunikationswege, der Benutzung <strong>bestimmte</strong>r Kommunikationsmittel<br />

oder -formen und der Gültigkeit von Kommunikation in Abhängigkeit vom<br />

Kommunikator.<br />

Für die Interpretation von Signalen durch Menschen gilt - wie oben kurz<br />

dargestellt - die Eigenschaft der Nicht - Trivialität, d.h. die Ergebnisse einer<br />

Signalinterpretation sind bei den verarbeitenden Menschen nicht (voll)<br />

vorhersagbar, während bei maschineller Signaltransformation das Ergebnis<br />

vorhersagbar sein sollte 38 . Hier liegt ein nachfolgend zu beachtender wichtiger<br />

Unterschied zwischen individueller Wahrnehmung und der organisatorischen<br />

Wahrnehmung und Kommunikation. Bei derAnwendung von<br />

innerorganisatorisch festgelegten Regeln der Interpretation ist Nicht-<br />

Trivialität zwar auch möglich, aber ein Abweichen wird hier schwerer,<br />

weil es von den anderen Elementen nicht - oder nicht ohne weiteres - akzeptiert<br />

wird. Organisatorische Signalinterpretation hat insoweit eine gewisse<br />

Trivialisierung der Interpretationsprozesse zur Folge, weil Verläßlichkeit<br />

gesucht wird; die Untersuchungen zum Comparative Cognitive<br />

Mapping bzw. Organizational Cognitive Mapping zeigen das 39 .<br />

Auf der Grundlage dieser Rahmenbedingungen individueller und organisatorischer<br />

Wahrnehmung und der kognitionswissenschaftlichen Differenzierung<br />

in der Begründung von <strong>Vertrauen</strong> lassen sich nun Konsequenzen<br />

ableiten, die das <strong>Vertrauen</strong> <strong>als</strong> kritischen Faktor im organisatorischen<br />

Wandel 40 begründen:<br />

An den allmählichen, ungeplanten Wandel von Organisationen kann sich<br />

das Individuum mit seinem Weltbild und seinem institutionellen <strong>Vertrauen</strong><br />

38<br />

Eine deutliche Ausnahme bilden Übersetzungsprogramme, deren Ergebnis gegenüber einer Übersetzung<br />

durch einen Übersetzer - noch - erhebliche Unvorhersagbarkeit besitzen.<br />

39<br />

Laukkanen, M., Comparative Cause ...,a.a.O. S. 11<br />

40<br />

Bleicher, K., <strong>Vertrauen</strong>....,a.a.O..<br />

11


ebenso allmählich und inkrementell durch Adaption und Uminterpretation<br />

von Wissenbeständen anpassen.<br />

Geplanter struktureller und kultureller Wandel hingegen stellt wesentliche<br />

Teile der bisherigen geistigen Landkarte in Frage, erschüttert <strong>als</strong>o das ontologische<br />

<strong>Vertrauen</strong>; bisher gültige Tatbestände, Erklärungen und Verhaltensregeln<br />

verlieren ihre formale Gültigkeit. Damit entsteht entweder<br />

ein Dissens zwischen den individuell weiterhin wirksamen (vertrauten)<br />

Wissensbeständen und den formalen, was zu einer institutionellen <strong>Vertrauen</strong>skrise<br />

führen kann, weil die Organisation nicht mehr ist, was sie war.<br />

Andernfalls verliert das Individuum das <strong>Vertrauen</strong> in Teile seiner eigenen<br />

Wissenslandkarte, was eine erhebliche geistige und seelische Belastung<br />

darstellt. Die Befunde über die Vermeidung kognitiver Dissonanz lassen<br />

die erste Alternative wahrscheinlicher erscheinen.<br />

Eine Brücke zur Überwindung der Belastungen beim Auftreten der zweiten<br />

Alternative kann persönliches <strong>Vertrauen</strong> bilden: Wenn im Fall des Wegbrechens<br />

gesicherter Erkenntnisse oder Verhaltensregeln persönliches<br />

<strong>Vertrauen</strong> zu den anderen Organisationsteilnehmern oder zu den Auslösern<br />

der Veränderung besteht, dann kann dieses <strong>Vertrauen</strong> das Beschreiten der<br />

neuen Wege der Signalinterpretation und des Verhaltens absichern; in einer<br />

persönlichen <strong>Vertrauen</strong>sbeziehung sind Rückfragen möglich und kleinere<br />

Fehler werden kooperativ und konstruktiv beseitigt.<br />

Eine andere Möglichkeit der Überwindung der ontologischen und institutionellen<br />

<strong>Vertrauen</strong>sprobleme beim geplanten organisatorischen Wandel<br />

besteht darin, diesen prozessual an den gewohnten allmählichen ungeplanten<br />

Wandel anzupassen, d.h. die Änderungen durch intensive Kommunikation<br />

schrittweise in die geistigen Landkarten der Organisationsteilnehmer<br />

einzuarbeiten. Hier liegt ein wesentlicher Punkt <strong>für</strong> die scheinbar<br />

zu umfangreiche Rhetorik bei organisatorischen Wandlungsprozessen 41 ,<br />

die aber durch Wiederholung und Modifikation das gewohnte Muster der<br />

Wahrnehmung erzeugt.<br />

Es lassen sich einige Typen organisatorischen Wandels oder Lernens voneinander<br />

unterscheiden 42 , die diese wahrnehmungsprozessuale Komponente<br />

des Wandels und des <strong>Vertrauen</strong>s bzw. des Verlustes unterschiedlicher<br />

Arten von <strong>Vertrauen</strong> auf unterschiedliche Weise berücksichtigen.<br />

- Typ "Personalentwicklung": Die Organisationsteilnehmer werden in ihren<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten geschult und weiterentwickelt. Man geht<br />

- implizit oder explizit - davon aus, daß bei einer hinreichenden Zahl von<br />

"geschulten" oder "entwickelten" Mitarbeitern sich die organisatorischen<br />

Regeln mehr oder weniger von selbst ändern werden.<br />

41<br />

vgl Kieser, A., - Hegele, C. - Klimmer, M., Kommunikation im organisatorischen Wandel, Stuttgart<br />

1998, insb. S.144ff.<br />

42<br />

vgl. Kahle, E., <strong>Voraussetzung</strong>en und Möglichkeiten...,a.a.O.,<br />

12


- Der Typ "Beobachtetes Laissez Faire" : Die Unternehmensleitung oder<br />

ein entsprechender Stab oder Berater beobachtet die stattfindenden Wissensveränderungsprozesse<br />

und steuert diese über Akzeptanzhinweise und<br />

sanfte Sanktionen.<br />

- Der Typ "Prince Charming" oder "Der Große Kommunikator": Ein charismatischer<br />

und meistens auch dynamischer Führer, seltener eine Führungsgruppe,<br />

bringt oft viele neue Regeln der Interpretation und Kommunikation<br />

ein, die auf grund seiner hohen Akzeptanz schnell allgemeine Akzeptanz<br />

finden.<br />

- Der Typ "Geplanter kultureller Wandel" : Hier wurde - sei es von innen<br />

oder von außen - eine Diskrepanz zwischen den geltenden organisatorischen<br />

Interpretationsregeln und den - objektiven oder vermuteten, jetzigen<br />

oder zukünftigen - Erfordernissen der Umwelt festgestellt und es werden<br />

Programme zur Schaffung - inhaltliche Gestaltung und organisatorische<br />

Akzeptanz - der neuen Wissensbasis erarbeitet.<br />

- Der Typ "Neue Köpfe braucht das Land". Hier wird ein festgestellter<br />

oder empfundener Bedarf an Veränderung, den man mit dem vorhandenen<br />

Potential nicht zu schaffen glaubt oder vermag, durch Einstellung einer<br />

größeren Zahl von neuen Mitarbeitern bewirkt. Das geschieht im Einzelnen<br />

durch<br />

= eine Veränderung der organisatorischen Wissensbasis, die Neuen wissen<br />

einfach andere Dinge.<br />

= die Konfrontation der geltenden Interpretationsregeln mit einer "kritischen<br />

Masse" noch nicht "eingeschworener" Mitglieder.<br />

= die Möglichkeit von erheblichen Strukturveränderungen, Karrierechancen<br />

sowie Machtverschiebungen.<br />

= Setzung neuer Interpretationsregeln im Anlernprozeß der neuen Mitglieder,<br />

die da<strong>für</strong> keine alten Regeln vergessen müssen. Das große Problem<br />

des "Entlernens" in bestehenden Organisationen entfällt <strong>für</strong> diesen<br />

Personenkreis.<br />

Die ersten beiden Typen setzen auf das Nichtentstehen von <strong>Vertrauen</strong>skrisen,<br />

weil die Anpassung im Modus „allmählich“ bleibt; der dritte setzt auf<br />

persönliches <strong>Vertrauen</strong>, die letzten beiden müssen mit dem <strong>Vertrauen</strong>sproblem<br />

zurechtkommen; es spricht viel da<strong>für</strong>, daß das Fehlschlagen von organisatorischem<br />

Wandel dieser beiden Typen mit der nichterkannten <strong>Vertrauen</strong>sproblematik<br />

zu tun hat.<br />

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