Inzuchtdepression beim Landseer?
Inzuchtdepression beim Landseer?
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<strong>Inzuchtdepression</strong> <strong>beim</strong> <strong>Landseer</strong>?<br />
Vor einiger Zeit wurde die Frage diskutiert, ob der <strong>Landseer</strong> evtl. von einer <strong>Inzuchtdepression</strong><br />
betroffen ist, weil z.B. 50% der gedeckten Hündinnen leer geblieben sind. Egal ob Hündinnen leer<br />
geblieben sind oder nicht, ist es immer angebracht, sich über die Zukunft der <strong>Landseer</strong> aus<br />
Inzuchtgründen Gedanken zu machen. Beim Folgenden habe ich mich bemüht, das Thema möglichst<br />
einfach - im Hinblick auf die Verständlichkeit manchmal vielleicht sehr vereinfacht - vorzustellen.<br />
Als <strong>Inzuchtdepression</strong> bezeichnet man einen Fitnessverlust in ingezüchteten Populationen. Dieser<br />
tritt besonders da auf, wo eine genetische Durchmischung der Population eingeschränkt ist oder durch<br />
Zuchtprogramme bzw. Zuchtverhalten hervorgerufen wird, bei denen die gleichen Elterntiere immer<br />
wieder in der Zucht eingesetzt werden. Dabei gehen einerseits Gene verloren, andererseits nimmt die<br />
Reinerbigkeit immer mehr zu. Da negative Merkmale oft einen genetisch-rezessiven Hintergrund<br />
haben, manifestiert sich eine rezessive Reinerbigkeit im Phänotyp und kann als <strong>Inzuchtdepression</strong><br />
erscheinen. Das Schicksal der Inzuchtpopulationen wird hinreichend in verschiedenen kynologischen<br />
Veröffentlichungen beschrieben. Helmuth Wachtel beschreibt in „Hundezucht 2000“ ein düsteres<br />
Ende vieler Rassen mit kleinerer Population, wenn die z.Z. herrschenden Verhältnisse nicht zu<br />
Gunsten einer „toleranteren“ Zucht aufgegeben werden.<br />
Da eine <strong>Inzuchtdepression</strong> sich in unterschiedlichsten Merkmalen, vielleicht vorerst unbemerkt,<br />
äußern kann, ist eine Überwachung ratsam. Da sich der Lebenslauf der einzelnen Hunde oft dem<br />
Zuchtverein entzieht, weil die Besitzer nicht dem Verein angehören, ist eine Überwachung des<br />
Fortpflanzungsgeschehens vorzuziehen, zumal sich ein Fitnessverlust dort eher bemerkbar macht.<br />
Deshalb wird im VLD seit einigen Jahren eine Statistik zur Beobachtung der Situation erstellt.<br />
Im Folgenden soll die Problematik sowohl theoretisch als auch bzgl. der VLD-Zuchtbehandelt werden.<br />
Die Entwicklung der Inzucht im VLD<br />
Für das Paarungsgeschehen wird im VLD der Inzuchtkoeffizient über 5 Ahnengenerationen für die<br />
Nachkommen berechnet und ist auf 5% begrenzt. Ein ehemaliges Vereinsmitglied (1) hat den Verlauf<br />
Bild 1: Verlauf des Inzuchtkoeffizienten, 5 Ahnengenerationen<br />
für alle Würfe der Jahre 1993 bis 2006 berechnet und in Bild 1 dargestellt. Da die statistischen Mengen<br />
relativ klein sind, ergibt sich ein ziemlich wilder, zackiger Verlauf, der schlecht interpretierbar ist<br />
(blaue Linie). Deshalb wurde diese Darstellung linearisiert und es zeigt sich eine von 2,08% 1993 auf<br />
1,8% 2006 abfallende (schwarze) Linie.<br />
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Nun könnte man daraus folgern, dass es weiter bergab geht. Doch der Schein trügt, denn hierbei<br />
handelt es sich nicht um die „absolute“ Inzucht, sondern lediglich um die „jährliche“ Zunahme der<br />
„praktischen“ Inzucht auf der Basis von 5 Ahnengenerationen unter Einfluß zunehmenden<br />
Populationsumfangs. So stellt die Beschränkung der IK-Berechnung über einige Ahnengenerationen<br />
(im VLD 5) nur ein „Hilfsmittel“ dar, um die Zunahme zu begrenzen.<br />
Wie sich der Inzuchtkoeffizient bei Berechnung über mehr als 5 Ahnengenerationen verhält zeigt sich<br />
als Beispiel in Bild 2 <strong>beim</strong> Vergleich zweier bekannter Deckrüden. Während Hund 1 (rote Kurve) bei<br />
5 Ahnengenerationen einen IK=5% aufweist, liegt dieser bei Hund 2 (blaue Kurve) bei IK=0%.<br />
Bild 2: Verlauf des Inzuchtkoeffizienten<br />
Rechnet man jedoch z.B. über 10 Generationen, dann erhält man deutlich höhere Werte; für Hund 1<br />
IK=8,5% und für Hund 2 IK=11,6%.<br />
Es zeigt sich also, dass die tatsächliche Inzucht wesentlich höher liegen muss. In Bild 3 ist der Verlauf<br />
der „tatsächlichen“ Inzucht auf der Grundlage der VLD-Würfe der Jahre 1993 – 2006 auf der<br />
Grundlage 1960 (IK=0%) dargestellt. Obwohl der Inzuchtkoeffizient bei ca. 1,9% lag (s. Bild1),<br />
Bild 3: Verlauf des „absoluten“ Inzuchtkoeffizienten<br />
stieg die tatsächliche Inzucht von knapp 12 auf über 14% an.<br />
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Auch die Berechnung des Ahnenverlustkoeffizienten über 5 Generationen zeigt, dass z.B. bei 10<br />
Generationen nur noch mit einem AVK von ca. 20% gerechnet werden kann (s. Bild 4). Mit immer<br />
weiter zunehmenden Ahnengenerationen wird sich der AVK immer mehr dem Wert 0% nähern. Das<br />
Bild 4: Verlauf des Ahnenverlustkoeffizienten<br />
ist auch erklärlich, denn in der 17ten Ahnengeneration z.B. ergeben sich bereits über 100000 Ahnen<br />
(s. Bild 5). Dass so viele Ahnenplätze nicht aus dem damaligen Pool besetzt werden konnte, ist klar,<br />
zumal es damals viel weniger Zuchthunde gab als heute.<br />
Bild 5: Anzahl der Ahnen in Abhängigkeit der Ahnengenerationen<br />
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Theoretische Betrachtungen zum Schicksal einer Population<br />
In Bild 6a – 6c sind die Verläufe der Genfrequenzen in Abhängigkeit der Zucht-Populationsgrösse<br />
dargestellt (2). Die Grafiken sind „Zufallsberechnungen“ und zeigen, wann eine Population in<br />
Abhängigkeit von ihrer Größe nach wieviel Generationen reinerbig wird. Wie bereits geschildert, kann<br />
Reinerbigkeit – insbesondere bei rezessiven Genen – zum Fitnessverfall und damit evtl. zum<br />
„Aussterben“ einer Population führen. Berechnet wurde jeweils das Schicksal von 8 Zucht-<br />
Populationen was durch die 8 Kurvenverläufe in jeder Grafik dargestellt ist. Der Ausgangspunkt ist die<br />
Allel-Frequenz 0,5. Das bedeutet, dass 50% der Gene dominant (A) und 50% der Gene rezessiv (a)<br />
sind – anders ausgedrückt: A/a. Wenn die Kurvenverläufe den Allel-Frequenzwert 0 oder 1 erreichen,<br />
dann liegt Reinerbigkeit, entweder A/A oder a/a vor. Auf der Abszisse (X-Achse) kann man ablesen,<br />
nach wieviel Folgegenerationen die jeweilige Population den Wert 0 oder 1 erreicht, also reinerbig<br />
wird.<br />
Bild 6a: Verlauf der Genfrequenzen bei Zucht-Populationsgrössen von 4<br />
Bild 6a zeigt, dass bei einer Zucht-Populationsgrösse von 4 Tieren nach etwa 20 Folgegenerationen die<br />
Reinerbigkeit für die letzte der 8 Zucht-Populationen erreicht wird. Vermutlich ist es jedoch so, dass<br />
bereits viel früher das Schicksal der Tiere besiegelt ist, denn die Depression findet ja nicht erst statt,<br />
wenn alles reinerbig geworden ist.<br />
Bild 6b: Verlauf der Genfrequenzen bei Zucht-Populationsgrössen von 40<br />
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Bild 6b zeigt, dass es 2 Populationen gibt, die mehr als 100 Folgegenerationen teilweise mischerbig<br />
bleiben.<br />
Bei 400 Zuchthunden – siehe Bild 6c - ist für alle 8 Populationen über mehr als 100 Folgegenerationen<br />
mindestens teilweise die Mischerbigkeit gesichert.<br />
Damit wird deutlich, dass das Überlebens-Schicksal deutlich von der Grösse der Zuchtpopulation<br />
abhängig ist<br />
Die Zuchtverhältnisse im VLD<br />
Bild 6c: Verlauf der Genfrequenzen bei Zucht-Populationsgrössen von 400<br />
Wie eingangs bemerkt, ist die Überwachung der gynäkologischen Fitness sowie der Altersstruktur für<br />
die Beurteilung einer <strong>Inzuchtdepression</strong> geeignet.<br />
Bild 7 zeigt die Lebenserwartung in Abhängigkeit vom tatsächlichen Alter – ein <strong>Landseer</strong> der z.B. 10<br />
Jahre alt ist, hat die Chance 12 Jahre alt zu werden. Die Grafik zeigt aber auch, dass ein Welpe nur<br />
Bild 7: Sterbekurve der <strong>Landseer</strong><br />
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eine Lebenserwartung von 7,5 Jahre hat. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Kurve auch alle<br />
Unfälle beinhaltet, die gerade in den ersten 4 Lebensjahren häufiger auftreten. Diese Statistik ist leider<br />
schon einige Zeit alt. In den letzten Jahren sind deutlich mehr <strong>Landseer</strong> erst in hohem Alter gestorben,<br />
sodass sich heute vermutlich ein altersmäßig günstigerer Verlauf ergibt.<br />
In Bild 8 sind die „Wurf-Verluste“ und die „Welpen-Verluste“ dargestellt. Die Wurf-Verluste ergeben<br />
sich aus dem Quotienten der erfolgreichen Paarungen (mit Nachkommen) zu den gesamten Paarungen<br />
(mit und ohne Nachkommen). Bei den Welpen-Verlusten handelt es sich um den Quotienten der durch<br />
den Zuchtwart abgenommenen zu den geborenen (lebendig und tot geborenen) Welpen.<br />
Bild 8: Wurf- und Welpenverluste im VLD<br />
Durch den Mangel an statistischer größerer Menge ergeben sich auch hier „zackige“ Kurvenverläufe<br />
mit teilweiser eingeschränkter Interpretationsfähigkeit. Deshalb bietet sich eine Linearisierung an<br />
(gestrichelte Linien), die einen günstigen, fallenden Verlauf zeigt – bei den Wurf-Verlusten von etwa<br />
32% auf 31% und bei den Welpen-Verlusten von etwa 14% auf 9%. Beide Verläufe geben nach<br />
meiner Einschätzung z.Z. keinen Hinweis auf eine <strong>Inzuchtdepression</strong>. In der Literatur sind Wurf-<br />
Verluste von 30% bei vielen Tierarten beschrieben – bei den Welpen-Verlusten liegen die Werte<br />
deutlich unter den „Literaturwerten“.<br />
Bild 9: Welpenverluste im VLD<br />
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In Bild 9 sind die Welpen-Verluste in Totgeborene und Verendete aufgeteilt. Hier zeigt sich der bereits<br />
in Bild 8 gezeigte erfreuliche Verlauf, insbesondere bezüglich der verendeten Welpen, was sowohl auf<br />
eine gute Aufzucht, als auch auf widerstandsfähigere Welpen zurückgeführt werden könnte.<br />
Die Darstellung der Wurfstärke zeigt in Bild 10 bereits schon in der „gezackten“ Kurven einen<br />
deutlich erkennbaren, abfallenden Verlauf. Während bei den linearen Darstellung die geworfenen<br />
Welpen pro Wurf (lebend- und totgeborene) von 9 (Jan. 97) auf 7,1 (Jan. 11) abfällt (blaue Linie),<br />
zeigen ebenfalls die ins Zuchtbuch eingetragenen Welpen pro Wurf einen Abfall von 7,6 (Jan. 97) auf<br />
6,5 (Jan. 11) (rote Linie). Hierin könnte eine gewisse Schwäche der Reproduktion gesehen werden. Da<br />
der Abfall nicht gravierend erscheint, ist die weitere Entwicklung zu beobachten.<br />
Zusammenfassung<br />
Vermutlich gibt es z.Z. keine besonderen Anzeichen für eine <strong>Inzuchtdepression</strong>. Die Verantwortung<br />
für die <strong>Landseer</strong> zwingt jedoch die Vereine die Zucht laufend kritisch zu beobachten. Die Berechnung<br />
über 5 Generationen mit Begrenzung auf wenige % schützt nicht vor einem Anstieg der „absoluten“<br />
Inzucht und hat bzgl. <strong>Inzuchtdepression</strong> nur eine aufschiebende Wirkung. Da der Zeitpunkt des<br />
Ereignisses unbekannt ist, sollte nicht bis dahin mit der Einführung geeigneter züchterischer<br />
Maßnahmen gewartet werden – vielleicht ist es dann für manche Rasse bereits zu spät. Da in<br />
geschlossenen Populationen derartige Maßnahmen bestenfalls aufschiebende Wirkung haben, wäre es<br />
wünschenswert, die derzeitigen Zuchtregelungen nicht nur in den Vereinen, sondern ausgehend vom<br />
Weltverband bis herunter zu den Vereinen, zu überdenken und ggf. entsprechend anzupassen (siehe<br />
auch Artikel „Inzucht“).<br />
H. Grigoleit<br />
Bild 10: Wurfstärke im VLD<br />
(2) Populationsgenetik „Genetische Drift“, Prof. Dr. David Heckel, 26.05.2008<br />
(1) Inzucht, Markus Pagenkämper, 2008<br />
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