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Kiesteichente Juli 2012 - Freie Waldorfschule Mannheim

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Biographiearbeit<br />

hung, dass er das so ausdrücken kann.<br />

Jacques Lusseyran („Das wiedergefundene Licht“) sagte einmal: „Die Ruhe ist<br />

nicht in der Welt, sondern in dem ruhigen Blick, den wir auf die Welt richten.“<br />

Analog dazu darf man vielleicht sagen: Die Ordnung, der Sinn, die „Moral“ ist<br />

dem allzu äußeren Blick verborgen. „Wer nicht suchen kann, wie nur je ein <strong>Freie</strong>r,<br />

bleibt im Trugesbann siebenfacher Schleier.“ (Christian Morgenstern).<br />

Stephanie Fabian im Dauergespräch mit und inspiriert<br />

von Brigitte von der Decken:<br />

7-14 Jahre - Die Welt ist schön<br />

Alles was Himmel und Erde verbindet ist schön.<br />

„Schönheit“, das ist das Erziehungsideal für Kinder im zweiten Jahrsiebt. Der<br />

Begriff „Schönheit“ ist schwer zu fassen. Bei einem Elternabend des Hortes<br />

zu diesem Thema kam auch schnell die Diskussion zu schönen und unschönen<br />

Spielsachen. Sehe ich morgens die Jungs der unteren Klassen im Kreis<br />

kauern ihre Lego-Kämpfer vor sich aufgebaut - bin ich irritiert. Das stört mein<br />

ästhetisches Empfinden, lässt mich Krieg und Streit vermuten und ganz schnell<br />

in die Geschlechterfalle tappen. Schwert, Taschenmesser und ähnliches habe<br />

ich akzeptiert und lasse sie bei meinen Töchtern auch gerne „stattfinden“. Aber<br />

nur, weil ich keinen Zugang zu Lego-Kämpfern habe, kann ich denen nicht ihre<br />

„Schönheit“ absprechen.<br />

Denn für die Jungs, die da im Kreis kauern, haben sie ganz offensichtlich eine<br />

Schönheit. Um ehrlich zu sein, habe ich mir diese „Monster“ auch nie angeschaut.<br />

Ich hatte sie noch nicht mal in der Hand und finde sie trotzdem schrecklich.<br />

Soweit steht es also mit meiner Toleranz. Hah! Ist ein Filly schön? (Zur<br />

Erklärung für Jungs-Mamas: pastellfarbige Einhörner im Hosentaschenformat,<br />

beflockt, Sammelobjekt, Stück um 2,-- Euro).<br />

Schönheit braucht auch gar nicht schön sein. Das Tun allein ist schön. So<br />

können Kinder Weltverwandler sein, sie können schiefe Hütten bauen, aus<br />

heruntergefallenen Blüten und Unkraut wilde Sträuße binden und Erdklumpen<br />

formen. Sie können in Brauntönen Matschbilder malen. Schön ist das Sich-Ein-<br />

Lassen auf die Welt, das Aktivwerden, das Ergreifen seiner Möglichkeiten, das<br />

sich-aus-probieren.<br />

Von der Betrachtung zur Wahrnehmung:<br />

Schönheit liegt im Auge des Betrachters. „Oder der Betrachterin“, füge ich gerne<br />

hinzu. Denn Schönheit ist irgendwie auch etwas sehr weibliches. Schönheit findet<br />

auch statt: wenn ich Kinder beim Spielen beobachte: ihre Versunkenheit und<br />

Hingabe an das Spiel. Wenn ich beim offenen Klassenzimmer sehe mit welcher<br />

Liebe und doch ganz unterschiedlich jedes Kind sein Heft gestaltet hat.<br />

Wenn ich beim Johannifest die Andacht sehe mit welcher die Kinder das große<br />

fackelnde Feuer betrachten. Wenn der Schulhof vollsteht mit Menschen denen<br />

das Herz aufgeht bei Volkstanz und passender Musik. Schön ist, wenn im<br />

Werkstattkurs zwei Jungs zusammen eine gigantische Hundehütte bauen. Schön<br />

ist wenn Kinder mit einer großen Altersspanne zusammen in der Vogelschaukel<br />

liegen und miteinander schaukeln. Schön ist, wenn ein Hortner die wilde<br />

Fangen-Jagd mitmacht und die Kinder in echtem Entsetzen kreischend vor ihm<br />

davon rennen und so drin im Spiel sind, das der Hortner für die Dauer des Spiels<br />

eine Schreckfigur ist.<br />

Schön ist, wenn ich mit meiner Ziege und meinem Hund in den Schulhof laufe<br />

und sofort von Groß und Klein umringt werde und meinen Tieren eine solche<br />

Liebe und Freude entgegenschlägt. Schön ist, im Sommer Eisessen zu gehen.<br />

Schön ist, Dinge zu wiederholen und sich an der Vorfreude der Kinder zu freuen.<br />

Schön ist kurz nach Schulbeginn morgens aus allen offenen Fenstern Flötentöne<br />

zu hören, schön ist das Selbstverständnis wie Kinder ihre verletzten Schulfreunde<br />

ins Arztzimmer bringen. Schön ist, wenn die Kinder dort verhandeln, ob der<br />

Bauchwehtee auch mit Honig sein kann.<br />

Schönheit ist ein hoheitsvolles Wort und es erschreckt mich ein wenig. Schön<br />

ist einfacher. Manchmal bin ich ganz ergriffen von der Schönheit, die sich<br />

mir bietet. Ich habe einmal einen Berg bestiegen mitten in der Nacht um den<br />

Sonnenaufgang hinter dem Großklockner zu sehen. Damals habe ich auch<br />

den Sonnengesang von Franz von Assisi kennengelernt. Niemals werde ich<br />

8<br />

diesen anstrengenden Aufstieg im nahezu Dunkeln vergessen. Und niemals die<br />

Schönheit des Sonnenaufgangs und meinen eigen Stolz es so hoch im Dunkeln<br />

geschafft zu haben.<br />

Schönheit sollte niemals einem Perfektionismus zum Opfer fallen: nicht an meinem<br />

Körper, nicht in meiner Wohnung und schon gar nicht in meiner Seele.<br />

Walter Seyffer<br />

14 – 21 Jahre - Das Wahre<br />

„Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“, Franz Kafka<br />

Die Zeit der Pubertät, in der die Jugendlichen sich wegen „Innerem Umbau“ gegenüber<br />

der Welt verschließen, hat sich im Laufe der letzten hundert Jahren um<br />

ca. 2 Jahre nach vorn, vom 14. Lebensjahr auf das 12. Lebensjahr hin verschoben.<br />

Der Mensch, der in sich alle Naturreiche trägt: das mineralische, das pflanzliche<br />

und das tierische Element, bringt diese Elemente mit der Geschlechtsreife<br />

zur Ausbildung. Somit ist der tierische Aspekt, der seinen Höhepunkt in der Fortpflanzung<br />

findet, spätestens um das vierzehnte Lebensjahr zur Ausgestaltung<br />

gekommen. Die geistig–seelische Ausbildung – das ICH – „hinkt“ dem hinterher.<br />

Der Jugendliche, der sich mit einem Mal mit seiner Geschlechtsreife konfrontiert<br />

sieht, ist diesem Umstand oftmals nicht gewachsen.<br />

Ein eigenes Umgehen damit lernt der Jugendliche erst, wenn er sein drittes<br />

Jahrsiebt beendet hat. Bei aller Unvollkommenheit unserer Erziehung und all den<br />

Zweifeln und Ängsten, die sich bei Eltern in der Zeit der Pubertät einstellen, können<br />

diese ruhig darauf vertrauen, dass, wenn Eltern authentische Vorbilder in der<br />

Zeit der Kindheit waren, dieser Vorbildcharakter jetzt in einer, der Individualität<br />

des Jugendlichen entsprechenden Weise zum Tragen kommt. Dies heißt, dass<br />

Werte, die in der Erziehung vertreten wurden einerseits in diese einflossen und<br />

andererseits in den Handlungen der Erziehenden Gestalt angenommen haben.<br />

Unter den Augen eines Pubertierenden nützen uns unsere Alltags-Masken wenig.<br />

Es erwacht die Fähigkeit, alles nicht authentische Handeln im Verhalten der<br />

Erwachsenen, diesen gegenüber kritisch zu spiegeln. Dies gründet darauf, dass<br />

Jugendliche auf der Suche nach Werten sind, die sie selbst noch nicht für sich<br />

individuell handhaben können. Einerseits wird von dem sozialen Umfeld erwartet,<br />

dass Jugendliche bereits eine gewisse Verantwortung für ihr Handeln übernehmen;<br />

andererseits sehen sie sich einer Erwachsenenwelt gegenüber gestellt,<br />

in der Zweifel und Zukunftsängste vorherrschen. Wen wundert es da, dass die<br />

Suche nach einem Mentor ein zentrales, wenn auch oft nicht bewusstes Thema<br />

für den Jugendlichen ist. Der Mentor – er erkennt das Beste in uns, in vollem<br />

Vertrauen auf unsere mitgebrachten Fähigkeiten.<br />

Den meisten von uns dürfte dieses Beispiel bekannt sein: da hat man bereits<br />

Jahre in einem Schulfach mit den Inhalten gerungen und sich selbst als total unfähig<br />

diesem Fach gegenüber betrachtet; dann eines Tages betritt eine Lehrerin<br />

oder ein Lehrer das Klassenzimmer und man weiß augenblicklich – „der Bann ist<br />

gebrochen!“. Von nun an fühlt man sich durch diese Persönlichkeit verstanden<br />

und mit diesem Gefühl des „Verstandensein“ verbessern sich auch wie selbstverständlich<br />

die Leistungen.<br />

Triebfeder ist die Sehnsucht nach „Wahrhaftigkeit“. Wahr ist, was verändern<br />

will. Ob zum Guten oder Schlechten entzieht sich meist der Beurteilung des<br />

Jugendlichen.<br />

Auf ihrem nun oft einsamen Weg in die Adoleszenz finden Jugendliche sich in<br />

einem Labyrinth von Wünschen und Gefühlen. Sie sollten demnach ausgerüstet<br />

sein, mit einem in den vorangegangenen Jahrsiebten erworbenen Ariadnefaden<br />

des Guten und Schönen.<br />

Die Reise durch die Jahrsiebte geht weiter. In der Herbstausgabe der<br />

<strong>Kiesteichente</strong> erfahren Sie mehr zu den nachfolgenden Lebenszyklen, zum<br />

Beispiel zum „unverantwortlichen Jahrsiebt“.<br />

Wer sich selbst tiefer mit der Biographiearbeit beschäftigen will, kann zum<br />

Beispiel bei Frau Heinke Wickenhäuser, im Rahmen der Elternschule einen<br />

Kurs besuchen. Die neue Elternschule erscheint Ende Oktober <strong>2012</strong>.<br />

02/12 <strong>Kiesteichente</strong>

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