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20 Jahre Streetball-Team in Berlin

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<strong>Streetball</strong> im Jugendknast<br />

„Die wollen nur spielen“<br />

Artikel vom 2.12.<strong>20</strong>08 aus der taz<br />

Sechs Basketballer, e<strong>in</strong> Korb und überall Gitter: Im Jugendgefängnis<br />

Berl<strong>in</strong>-Plötzensee spielen Gefangene und Jugendliche<br />

von draußen <strong>Streetball</strong>. Das Ergebnis ist e<strong>in</strong>deutig.<br />

von HENDRIK HEINZE<br />

Für den 16. Januar <strong>20</strong>09 hat Khaled* e<strong>in</strong>en Plan: Am Tag se<strong>in</strong>er<br />

Entlassung will er laufen, so weit ihn se<strong>in</strong>e Be<strong>in</strong>e tragen. H<strong>in</strong>aus<br />

aus Haus 6 der Jugendstrafanstalt Berl<strong>in</strong>-Plötzensee, dann vielleicht<br />

nach Norden, am Flughafen vorbei. Vielleicht läuft Khaled<br />

auch Richtung Südosten, nach Neukölln, dort lebt er - lebte.<br />

Denn seit fast drei <strong>Jahre</strong>n sitzt der 23-Jährige <strong>in</strong> der Enge des<br />

Jugendknasts.<br />

Am vergangenen Samstag kommt dort die weite Welt zu Besuch.<br />

Sie kommt <strong>in</strong> Gestalt von elf <strong>Streetball</strong>-Spielern, die alle noch<br />

etwas verschlafen aussehen. Um ihre Hüften baumeln Sporttaschen.<br />

E<strong>in</strong>ige haben Basketbälle dabei. Die elf Jugendlichen<br />

und Studenten kommen regelmäßig Freitagnacht zur „<strong>Streetball</strong><br />

Night“ <strong>in</strong> die Berl<strong>in</strong>er Max-Schmel<strong>in</strong>g-Halle. Hierbei fragte Sportpädagoge<br />

Frank Paschek sie, ob sie bereit s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong> Turnier<br />

auf Berl<strong>in</strong>s ungewöhnlichstem Court. In den Jugendknast darf<br />

sonst niemand h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, ke<strong>in</strong>e Familie, ke<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong>. Die Jugendlichen<br />

waren bereit, und so heißt es <strong>in</strong> der abgeschabten<br />

Knastturnhalle an diesem Tag zum vierten Mal dr<strong>in</strong>nen gegen<br />

draußen, jede Seite stellt drei <strong>Team</strong>s. Gespielt wird immer drei<br />

gegen drei.<br />

Geme<strong>in</strong>sam machen sich Insassen und Auswärtige warm.<br />

Khaled macht e<strong>in</strong>e gute Figur. Später wird er von e<strong>in</strong>em Internetvideo<br />

erzählen, das ihn zeigt, wie er Salti schlägt und über Berl<strong>in</strong>s<br />

Häuserdächer spr<strong>in</strong>gt. Das ist lange her. „Ich b<strong>in</strong> dick geworden<br />

hier im Knast“, sagt er. Bälle prallen gegen die Korbbretter,<br />

rollen durch die kle<strong>in</strong>e Halle. Die Oberlichter s<strong>in</strong>d vergittert. Am<br />

Hallene<strong>in</strong>gang baut der durchtra<strong>in</strong>ierte Sportbeamte die Musikanlage<br />

auf, es läuft US-HipHop. „Stay <strong>in</strong> the game“, heißt die CD<br />

- im Spiel bleiben. E<strong>in</strong>er der Gefangenen hat sie ihm gegeben.<br />

Das <strong>Streetball</strong>turnier br<strong>in</strong>gt Abwechslung <strong>in</strong> den deprimierenden<br />

Knastalltag. Die Jugendlichen haben e<strong>in</strong>en Anspruch auf mickrige<br />

zwei Stunden Sport pro Woche, und auch das erst seit kurzem.<br />

Klar, sagt der Sportbeamte, jeden Tag wäre besser. Aber<br />

ohne Aufsicht von ihm oder e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>er drei Sportkollegen<br />

gehe es nicht, von den mehr als 400 Jungs an diesem Standort<br />

sitzen mehr als die Hälfte wegen Gewaltdelikten e<strong>in</strong>.<br />

Khaled ist e<strong>in</strong>er von ihnen. Er ist Paläst<strong>in</strong>enser aus Neukölln,<br />

Rütli-Schule, ke<strong>in</strong> gesicherter Aufenthalt, ke<strong>in</strong>e Arbeitserlaubnis,<br />

sagt er. Über se<strong>in</strong>e Tat möchte er nicht sprechen, „komplizierte<br />

Sache“. Die Richter haben es versuchten Totschlag genannt, und<br />

so wird Khaled se<strong>in</strong> drittes Weihnachten h<strong>in</strong>ter Gittern erleben,<br />

bevor er im Januar nach drei <strong>Jahre</strong>n loslaufen kann. Jetzt besprechen<br />

er und se<strong>in</strong>e Mannschaftskameraden mit dem marti-<br />

<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong><br />

27<br />

alischen Namen „Soldier Boys“, wie sie gegen das <strong>Team</strong> „Zwei<br />

Große und zwei Kle<strong>in</strong>e“ antreten sollen. Sie brauchen sich nicht<br />

zu verstecken, auch <strong>Team</strong>kamerad Gabriel* macht e<strong>in</strong>en athletischen<br />

E<strong>in</strong>druck. Der dunkelhäutige Jugendliche ist schon „zwei<br />

sieben“ hier, zwei <strong>Jahre</strong> und sieben Monate. Insgesamt muss er<br />

„vier neun“ absitzen, versuchter Mord. „Ich habe e<strong>in</strong>en abgestochen“,<br />

sagt Gabriel.<br />

Das Spiel ist wenige M<strong>in</strong>uten alt, da zeigt sich, dass Khaled und<br />

die Soldier Boys ke<strong>in</strong>e Chance haben. Die von draußen haben<br />

e<strong>in</strong>en Mittzwanziger mit Dreitagebart <strong>in</strong> ihren Reihen, der e<strong>in</strong>en<br />

Korb nach dem anderen macht. „Dem habe ich schon vor zehn<br />

<strong>Jahre</strong>n gesagt, er soll mal bei Alba Berl<strong>in</strong> vorspielen“, grummelt<br />

Sportpädagoge Frank Paschek am Spielfeldrand. Die Soldier<br />

Boys verlieren das Spiel 5:12 - beim <strong>Streetball</strong> zählt jeder Korb<br />

e<strong>in</strong>en Punkt, jeder Distanzwurf zwei. Der bärtige Korbjäger trägt<br />

e<strong>in</strong> T-Shirt mit dem Aufdruck „MVP“, das heißt most valuable<br />

player - wertvollster Spieler. Die Insassen tragen Uniform, seit<br />

dem Herbst müssen sie das. Beigefarbene Fleecejacke, bordeauxfarbenes<br />

T-Shirt, graue Jogg<strong>in</strong>ghose oder kurze schwarze<br />

Hose, dazu Sportschuhe.<br />

Auf den zwei Courts <strong>in</strong> der kle<strong>in</strong>en Halle wird pausenlos gespielt.<br />

15 Spiele à 10 M<strong>in</strong>uten werden ausgetragen, dann müssen die<br />

Gefangenen zum Mittagessen.<br />

Turnschuhe quietschen, Spieler klatschen sich ab. <strong>Streetball</strong> ist<br />

der Liebl<strong>in</strong>gssport der Sozialpädagogen, weil er nicht uncool ist,<br />

aber trotzdem gut geeignet, um Fairness zu vermitteln. Die Spieler<br />

zeigen selbst an, wenn sie foul gespielt haben. Schiedsrichter<br />

gibt es nicht. Hier redet niemand groß von Abschreckung oder<br />

der Vermittlung von Werten, wie es sonst oft bei Sportveranstaltungen<br />

mit pädagogischem Auftrag der Fall ist. Die Jugendlichen<br />

spielen e<strong>in</strong>fach. Verwunderlich nur, dass niemand auf die Idee<br />

gekommen ist, gemischte <strong>Team</strong>s zu bilden.<br />

Ihr drittes Spiel gew<strong>in</strong>nen Khaled und die Soldier Boys, es geht<br />

gegen Witali* und se<strong>in</strong>e Mitspieler. Witali hat schon „zwei e<strong>in</strong>s“<br />

h<strong>in</strong>ter sich, er muss <strong>in</strong>sgesamt „vier neun“ wegen versuchten<br />

Mordes. Als die Polizei ihn verhaftete, war er e<strong>in</strong> 16-jähriger<br />

Zehntklässler <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Friedrichsha<strong>in</strong>. Jetzt ist er 18, und weil er<br />

das erste Mal im Leben e<strong>in</strong>en Basketball <strong>in</strong> der Hand hat, haben<br />

die Soldier Boys leichtes Spiel.<br />

Die Siegerehrung steht an. Khaled und Gabriel schlagen abwechselnd<br />

Salti, bis es so weit ist. Sie haben mit zwei Siegen und<br />

drei Niederlagen den vierten von sechs Plätzen belegt, bestes<br />

Knastteam. Alle von draußen waren besser. „Wir haben ja kaum<br />

Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g“, sagt Khaled. Beim letzten Mal machte er noch den<br />

zweiten Platz, aber se<strong>in</strong> weißrussischer Mitspieler von damals ist<br />

schon entlassen, genau wie die vier Sieger. Das nächste Turnier<br />

im März ist das erste, das ohne ihn stattfi nden wird.<br />

„Haltet die Ohren steif, bleibt sauber“, sagt e<strong>in</strong>er der Insassen<br />

zum Abschied. E<strong>in</strong>ige der Gäste lachen. Dann gehen sie durch<br />

die Sicherheitsschleuse, an den Wärtern vorbei, und laufen<br />

durchs kalte, freie Berl<strong>in</strong>.<br />

* Namen v. d. Red. geändert<br />

<strong>Streetball</strong>-<strong>Team</strong>

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