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Kunst um 1900. Nicht nur im Hinblick auf das<br />

Artifizielle und Ästhetische, son<strong>de</strong>rn auch für das<br />

Hybri<strong>de</strong>, die Gemengelage, in <strong>de</strong>r das Prätentiöse<br />

niemals ohne das Prunken<strong>de</strong> zu haben ist, und<br />

das strotzen<strong>de</strong> Mannsbild Klimts auf die gezierte,<br />

mit <strong>de</strong>r Verfallenheit kokettieren<strong>de</strong> Antikörperlichkeit<br />

seiner Auftraggeberinnen trifft – o<strong>de</strong>r<br />

die öffentliche Skandalfigur sich im Atelier<br />

einen Rückzugsort hält, in <strong>de</strong>m die Mo<strong>de</strong>lle sich<br />

in allen Posen räkeln –, die über das Gezeichnetwer<strong>de</strong>n<br />

weit hinausgeht. Der Künstler traf dabei<br />

auf eine Gesellschaft, <strong>de</strong>ren Großväter, gemäß<br />

ihrer Ringstrassen-Tradition, aus <strong>de</strong>r Provinz in<br />

die Stadt kamen und <strong>de</strong>n erworbenen Reichtum<br />

an die Väter weitergaben, damit die Söhne in<br />

Luxus und höchster Verfeinerung schwelgen<br />

konnten. Dabei sahen diese sich einer Doppelmoral<br />

ausgesetzt, wie sie uns Stefan Zweig in<br />

seiner Autobiographie Die Welt von Gestern überliefert<br />

hat. Die Zeit wur<strong>de</strong> bestimmt durch die<br />

Nöte <strong>de</strong>r jungen Männer, die nichts an<strong>de</strong>res<br />

konnten, als sich in ebenso unsittliche wie unter<br />

<strong>de</strong>r Hand tolerierte Verhältnisse zu flüchten –<br />

Nöte, die für die betroffenen Mädchen und<br />

Frauen noch weitaus gravieren<strong>de</strong>r waren. Diese<br />

Doppelmoral gebar eine Halbwelt mit vielerlei<br />

Existenzformen.<br />

Das Werk von Gustav Klimts ist im Wesentlichen,<br />

soweit es Menschen zeigt, <strong>de</strong>n Frauen gewidmet.<br />

In<strong>de</strong>m er von <strong>de</strong>r Frau zeichnend Besitz ergreift,<br />

macht er sie zur anschaulichen Metapher <strong>de</strong>r<br />

ästhetischen wie erotischen Verfügbarkeit. Und<br />

bei aller Malerei für die Wiener Oberschicht und<br />

die von Geld und Gefühlen gelangweilten<br />

Gattinnen fin<strong>de</strong>t sich vielfältig gera<strong>de</strong> jenes<br />

Milieu in seinen Bil<strong>de</strong>rn. Dabei ist sein Stil von<br />

einer auffallen<strong>de</strong>n Offenheit, mit <strong>de</strong>r er <strong>de</strong>n<br />

erotischen Aspekt seines jeweiligen Themas hervorhebt,<br />

jedoch feinsinniger, sensibler als die<br />

unmittelbar wirken<strong>de</strong> Direktheit, die Kokoschka<br />

und Schiele später praktizierten.<br />

Der persönliche und individuelle Gustav Klimt<br />

wird in seinen Zeichnungen fassbar 5 . Deutlicher<br />

als bei vielen seiner Zeitgenossen sind seine<br />

Skizzen weniger auf die vollgültige, ausstellbare<br />

Autonomie hin angelegt. Sie sind vielmehr<br />

authentischer Natur und zeigen jenen Realismus,<br />

<strong>de</strong>r die Welt in ihrer viel wahrhaftigeren, inneren<br />

und ungreifbaren Realität zeigt. Hermann Bahr,<br />

unermüdlicher Streiter für Klimt, wies im Ver<br />

Sacrum 1898 schon darauf hin, wenn er sagte, dass<br />

das was wir re<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r tun gar nicht wichtig ist; es ist nur<br />

ein Gleichnis, das Wichtige ist hinter unseren Worten und<br />

Taten, das Unaussprechliche, ein Charakteristikum, das<br />

als künstlerisches Motiv eben auch für Klimts<br />

Zeichnungen gilt 6 . Was ihn dabei an <strong>de</strong>r Frau<br />

faszinierte und worin er die Ausschweifungen<br />

seiner künstlerischen Freiheit vorweggenommen<br />

sah, stieß zur gleichen Zeit <strong>de</strong>n Wiener Philosophen<br />

Otto Weininger ab: Das Weib ist nichts, und<br />

darum, nur darum kann es alles wer<strong>de</strong>n 7 , schrieb er als<br />

Fazit in seinem bekannten Werk Geschlecht und<br />

Charakter. Genau diese Formbarkeit hatte es Klimt<br />

aber angetan, und im Bündnis mit ihr erfand<br />

seine zeichnerische Hand immer neue Ornamente<br />

<strong>de</strong>r Geschlechtslust 8 . Das Spektrum seiner<br />

Studien und speziell seiner Akte reicht dabei<br />

vom mädchenhaften Typus bis zur vollreifen<br />

Frau. Immer wie<strong>de</strong>r und bis in sein Spätwerk<br />

hinein war Klimt bemüht, sich eine möglichst<br />

umfassen<strong>de</strong> und differenzierte Typologie <strong>de</strong>s<br />

weiblichen Erscheinungsbil<strong>de</strong>s zu erarbeiten: Bei<br />

aller Komplexität <strong>de</strong>r Stellungen und <strong>de</strong>r perspektivischen<br />

Ansichten bleibt er <strong>de</strong>r sichtbaren Wirklichkeit treu. Seine<br />

unmittelbaren Eindrücke sublimiert er aber wie kein an<strong>de</strong>rer zu<br />

poetischen Linienkreationen; letztendlich entziehen sich die<br />

Frauengestalten in seinen Zeichnungen <strong>de</strong>r greifbaren Wirklichkeit.<br />

Angeregt wird Klimt jedoch immer von <strong>de</strong>r körperlichen<br />

Präsenz <strong>de</strong>r weiblichen Mo<strong>de</strong>lle 9 .<br />

1 Gerbert Frodl, Gustav Klimt – Maler zwischen <strong>de</strong>n Zeiten, in: Ausst. Kat., Klimt und die Frauen, Wien 2000-1, S. 9.<br />

2 Marie Herzfeld, Essayistin und Übersetzerin, schrieb in diesem Zusammenhang 1891 treffend über Hermann Bahr:<br />

H. B. bleibt in je<strong>de</strong>r Verkleidung doch immer <strong>de</strong>r Österreicher (…) Österreicher in <strong>de</strong>r Gabe, sich allem zu assimilieren, mit <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Umgebung zu verschmelzen, <strong>de</strong>utsch mit <strong>de</strong>n Deutschen zu fühlen, französisch mit <strong>de</strong>n Franzosen, russisch mit <strong>de</strong>n Russen und dann plötzlich sich<br />

zurückzunehmen und nichts zu sein als <strong>de</strong>r alte Österreicher,…, Herzfeld zitiert nach Gotthard Wunberg, Die Wiener Mo<strong>de</strong>rne. Literatur,<br />

Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910, Stuttgart 1981, S. 312.<br />

3 Zitiert nach Rainer Metzger, op. cit., Wien 2005, S. 7.<br />

4 Zitiert nach Gotthard Wunberg, op. cit., S. 185.<br />

5 Rainer Metzger, op. cit., S. 15.<br />

6 Alice Strobl, Gustav Klimt – Die Zeichnungen, Band 1, Salzburg 1980, S. 8.<br />

7 Otto Weininger, Geschlecht und Charakter, Wien 1903, S. 78. Otto Weiningers Geschlecht und Charakter ist wohl das umstrittenste<br />

Werk aus <strong>de</strong>m Wien <strong>de</strong>s Fin <strong>de</strong> siècle, die brennendste Anklage gegen <strong>de</strong>n Wiener Ästhetizismus und seine<br />

Frauen. Wahrscheinlich hat kein Buch aus <strong>de</strong>m Wien <strong>de</strong>s Fin <strong>de</strong> siècle so heftige Kontroversen nach sich gezogen wie<br />

dieses erstaunliche Werk eines tragisch-genialen jungen Menschen.<br />

8 Werner Hofmann, in: Ausst. Kat., Experiment Weltuntergang – Wien um 1900, Hamburger Kunsthalle, Hamburg 1981, S. 27.<br />

9 Marian Bisanz-Prakken, in: Ausst. Kat., Gustav Klimt, Neue Galerie, New York 2007, S. 110.

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